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SKULL MOON: Horror-Thriller
SKULL MOON: Horror-Thriller
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eBook363 Seiten6 Stunden

SKULL MOON: Horror-Thriller

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Über dieses E-Book

Der wilde Westen, eine Kleinstadt mit einem fürchterlichen Geheimnis, und ein uraltes Monster auf der Jagd nach Menschenfleisch.
Montana 1878: Das Böse terrorisiert das kleine Städtchen Wolf Creek. Eine hungrige Kreatur schleicht durch die Nacht und hinterlässt eine Spur angefressener Leichenteile. Niemand kennt es, niemand hat es gesehen und niemand kann es stoppen.
Deshalb wird Deputy U.S. Marshal Joseph Longtree nach Wolf Creek geschickt. Er weiß, dass hinter den Morden Sinn und Methode stehen – doch um die Wahrheit herauszufinden, muss er sich der Korruption und Verderbtheit vor Ort stellen und tief in den örtlichen Aberglauben eintauchen, bis er sich schließlich mit einem Monster aus der indianischen Mythologie konfrontiert sieht.
"Tim Curran ist ein Poet des Grauens. Seine Sprache strotzt vor gewaltigen Bildern, die sich mit Stacheln und Widerhaken in der Erinnerung festsetzen und nicht mehr verdrängen lassen." [Andreas Gruber, Autor]
"Sicher nichts für schwache Nerven, aber genau das, was ich von einem guten Horror Roman erwartet habe." [Lesermeinung]
"Einer der besseren, wenn nicht überhaupt der beste Thriller von Tim Curran!" [Lesermeinung]
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum10. Juni 2021
ISBN9783958351387
SKULL MOON: Horror-Thriller
Autor

Tim Curran

Tim Curran hails from Michigan’s Upper Peninsula. He is the author of the novels Skin Medicine, Hive, Dead Sea, Resurrection, Hag Night, The Devil Next Door, Long Black Coffin, Graveworm, and Biohazard. His short stories have been collected in Bone Marrow Stew and Zombie Pulp. His novellas include Fear Me, The Underdwelling, The Corpse King, Puppet Graveyard, Sow, and Worm. His short stories have appeared in such magazines as City Slab, Flesh&Blood, Book of Dark Wisdom, and Inhuman, as well as anthologies such as Flesh Feast, Shivers IV, High Seas Cthulhu, and Vile Things. Find him on the web at: www.corpseking.com

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    Buchvorschau

    SKULL MOON - Tim Curran

    Autor

    TEIL 1


    NACH DER HENKERSSCHLINGE


    Kapitel 1


    Ein großer, aufgedunsener, obszöner Vollmond scheint.

    Sein bleiches Licht stiehlt sich über die zerklüftete Landschaft voller Schattenlöcher des nördlichen Wyoming Territory. Unwirkliche schwarze Wolken jagen über den Himmel. Ein kühler Wind heult und kreischt; die dunklen Kiefern biegen sich und schwanken.

    Eine einsame verkrümmte Eiche greift nach dem Himmel. Die rindenlosen Äste knarzen und stöhnen. Von einer verbrannten Astgabel baumelt eine mit zerfasertem Seil am Hals aufgehängte Leiche. Der Körper schwingt und dreht sich mit sanften, finsteren Bewegungen im Nachtwind.

    Als die Augen aufgehen, klingt es wie trockene Lippen, die sich öffnen.

    Kapitel 2


    Der Indianer war alt. Sein Gesicht war wie eine Landkarte der Felskluften, die ihn umgaben. Er trug ein verblasstes graues Armeehemd und einen zerfledderten Soldatenhut der Scouts mit dem Silberabzeichen gekreuzter Pfeile. An den Füßen trug er schwarze Mokassins, deren Sohlen abgewetzt waren. Eine fleckige Decke hatte er um sich geschlungen. Er trug eine Öllampe, die zischte und Funken sprühte, und dabei groteske Schatten über die Felsen und kahlen, verkümmerten Bäume warf.

    Er war sehr alt. Selbst er wusste nicht, wie alt er war, er konnte sich lediglich daran erinnern, dass er in seiner Jugend in den Bergen gegen die Bibertrapper gekämpft hatte. Und dass er viel später mit dabei gewesen war, als die Mountain Men 1840 ihr letztes großes Treffen abhielten. Damals, vor fast vierzig Jahren, war er bereits alt gewesen.

    Er hieß Swift Fox und war ein Flathead.

    Das wusste er genauso gut, wie er die Namen Old Fox oder Sly Fox kannte, mit denen ihn manche Stammesmitglieder hinter seinem Rücken riefen. Genau, wie er wusste, dass er die Weißen zuerst bekämpft und sich dann mit ihnen angefreundet hatte, und sogar in ihrer Armee auf den Feldzügen gegen die Dakota kämpfte.

    Er marschierte weiter.

    Als er eine Hügelkuppe erklomm, blies ihm der kalte Novemberwind Staub ins Gesicht. In der Ferne erblickte er die große Eiche und hielt darauf zu. Er ging vorsichtig. Sein langes Leben in diesem Terrain hatte ihn gelehrt, nicht hastig zu sein. Er hatte zu viele Männer eilig über die Felsen und Abhänge laufen sehen, die dann mit den Stiefeln hängengeblieben waren und sich die Fußgelenke gebrochen hatten. Ihm war das noch nie passiert, und dabei wollte er es auch belassen. Die Knochen alter Männer, so wusste er, heilten nicht mehr so gut.

    Die Temperaturen lagen knapp über dem Gefrierpunkt.

    Für diese Jahreszeit im Wyoming Territory war das durchaus normal. Und trotzdem grub sich die Kälte in ihn hinein, legte sich wie Frost auf seine Haut, verdickte sein altes träges Blut. Mehr als alles andere gab dies Swift Fox ohne jeden Zweifel zu verstehen, dass er ein alter Mann war.

    Bei der großen Eiche stand er für eine Weile bewegungslos und betrachtete den gehängten Mann.

    Das Halbblut Charles Goodwater hatte ihm davon erzählt. Er hatte den gehängten Mann aus der Ferne gesehen, als er sich an einen Hirsch anschlich, und war schnell ins Lager zurückgekehrt, um davon zu berichten. Swift Fox war gekommen, da er wusste, dass niemand die Leiche vom Baum schneiden würde, wenn er es nicht tat – weder Indianer noch Weiße. Und so, wie er die Welt sah, war etwas Gottverachtendes daran, einen Mann im Wind hängen zu lassen, bis er verfaulte und die Knochen herunterfielen.

    Deswegen war er gekommen.

    Swift Fox hielt die Öllampe mit ruhiger Hand und sah sich den Gehängten genau an. Er trug einen Mantel aus nachtblauem Tuch und schwarze Hosen, abgewetzte Texasstiefel und einen dunklen Hut mit flacher Krone. Das weiße Baumwollhemd war braun von getrocknetem Blut.

    Swift Fox leckte sich über die Lippen und setzte die Lampe ab. Das flackernde Licht warf riesige umherspringende Schatten. Die Leiche hing keinen halben Meter über dem Boden, sodass Swift Fox nicht sehr hoch in den Baum klettern musste. Er zog ein langes gebogenes Häutungsmesser aus der Scheide an seiner Hüfte und säbelte am Seil. Die Klinge war scharf genug, um mit einem Hieb einen Finger abzutrennen, doch das Seil wollte nicht nachgeben. Er brauchte eine Weile, um es zu durchtrennen. Die Klinge blitzte im Mondlicht.

    Mit einem dumpfen Aufprall fiel die Leiche zu Boden.

    Langsam und vorsichtig kletterte Swift Fox herunter und setzte sich neben den Mann. Seine alten Gelenke protestierten knirschend. Die Hände des Mannes waren hinter seinem Rücken zusammengebunden und Swift Fox durchschnitt die Fesseln. Die Arme waren nicht steif, als er sie befreite und den Mann auf den Rücken rollte. Lange war er noch nicht tot.

    Swift Fox strich sich eine Strähne weißen, vom Wind hochgewehten Haares zur Seite und hielt dem Mann die Laterne näher ans Gesicht. Er hatte die dunkle Haut eines Indianers, aber seine Gesichtszüge waren europäisch. Vielleicht ein Halbblut oder bloß ein Weißer, der sein Leben im Wind und der Sonne verbracht hatte.

    Der Wind heulte wie die Geister der Toten in der einsamen Landschaft, als Swift Fox die Taschen des Mannes durchsuchte. Er trug weder Waffen noch Papiere bei sich. Innen im Mantel spürte Swift Fox jedoch Metall unter seinen Fingerspitzen. Er schlug die Kleidung auf.

    Ein Abzeichen.

    Der Gehängte war ein Deputy U.S. Marshal gewesen.

    Der alte Mann wusste, dass sie dafür teuer bezahlen würden. Der Mord an einem Federal Marshal bedeutete nichts als Ärger, und zwar reichlich davon. Swift Fox sah dem toten Mann ins Gesicht.

    Und die Augen öffneten sich.

    Kapitel 3


    In den folgenden vier Tagen kümmerten sich die vielen Töchter von Swift Fox um den gehängten Mann. Sie wickelten ihn in Büffelroben und fütterten ihn mit einer heißen Brühe aus Hirschblut. Währenddessen hielt der alte Mann Wache und rauchte seine Pfeife. Am Morgen des fünften Tages kam der Gehängte wieder zu Bewusstsein.

    Er sah die Töchter und dann den alten Mann an. Mit einer trockenen, toten Stimme bat er um Wasser. Der alte Mann schickte seine Töchter fort und ließ den Gehängten aus einem Schlauch, der aus der Blase eines Büffels gefertigt war, so viel trinken, wie er wollte.

    »Meine Kehle brennt«, sagte er schließlich. Seine Augen waren blau und eisig.

    »Nichts ist gebrochen«, meinte Swift Fox. »Den Vätern sei Dank, dass Sie am Leben sind.«

    »Du sprichst gutes Englisch.«

    Der alte Mann akzeptierte dies als Fakt, nicht als ein Kompliment. »Ich war ein Scout in der Kavallerie.«

    »Hast du mich hergebracht?«

    »Ja.«

    Unter Schmerzen nickte der Mann. Er sah sich um. »Flathead?«, fragte er.

    »Ja. Ich heiße Swift Fox.«

    »Joseph Smith Longtree«, sagte der Mann. »Wo genau bin ich hier?«

    »In einem Lager an der nördlichen Gabelung des Shoshone River. Keine Meile von wo ich Sie gefunden habe, Marshal.«

    Longtree hustete trocken und nickte. »Wie weit sind wir von Bad River entfernt?«

    »Zwei Meilen«, erklärte ihm der Alte. »Nicht mehr und nicht weniger.«

    Als Longtree sich aufsetzte, fing alles an, sich zu drehen. »Verdammt«, sagte er. »Ich muss nach Bad River. Die Männer, hinter denen ich her bin … vielleicht sind sie noch da.«

    »Was für Männer sind das?«

    Longtree erzählte es ihm.

    Es waren drei, erklärte er. Charles Brickley, Carl Weiss und Budd Hannion. Sie hatten in Nebraska in einem Hinterhalt einem Armeewagen aufgelauert und alle sechs Trooper darin ermordet. Der Wagen war mit Karabinern der Armee beladen, die, so stellte sich heraus, an Krieger der Bannock verkauft wurden. Das war etwas, mit dem sich die Armee und das Indian Bureau auseinandersetzen mussten. Aber der Mord an Soldaten war ein staatlich geahndetes Verbrechen, weshalb das U.S. Marshals Office eingegriffen hatte. Longtree war den Mördern aus dem Dakota Territory bis nach Bad River gefolgt. Doch im Vorgebirge der Absarokas hatten sie ihm aufgelauert. Sie hatten sich auf ihn geworfen, ihn bewusstlos geschlagen und aufgehängt.

    »Aber gestorben sind Sie nicht«, erinnerte ihn Swift Fox.

    »Dank dir.« Jetzt konnte sich Longtree aufsetzen, ohne dass ihm schwindelig wurde.

    Swift Fox musterte ihn. Sein Haar war lang und dunkel, mit einem blauschwarzen Schimmer, den die Weißen nicht hatten. »Bist du ein Halbblut?«, fragte er.

    Longtree lächelte schmallippig. »Meine Mutter war eine Crow, mein Vater ein Bibertrapper.«

    Swift Fox nickte. »Wann willst du hinter diesen Männern her?«

    Longtree rieb sich den Nacken. »Morgen«, sagte er, sank wieder zu Boden und schloss die Augen.

    Kapitel 4


    Ein starker Wind wehte, als er Bad River erreichte.

    Viel machte die Stadt nicht her. Eine zerfurchte Straße, die aus Dreck und getrocknetem Matsch bestand, wand sich zwischen Reihen von verwitterten Bretterhäusern entlang. Wo vorne über den Geschäften Schilder hingen, war dank Wind, Regen und Sonne nichts mehr zu lesen. Es gab einen Stall, einen Schmied und ein graues, mit Brettern zugenageltes Gebäude, das man vielleicht für ein Hotel halten konnte. Es gab keine Gesetzeshüter und kein Gefängnis. Das, weswegen Longtree gekommen war, würde er alleine erledigen müssen.

    Sein Gesicht war staubig und schmutzig. Der Wind wimmerte zwischen den Häusern, als er das Pferd, das Swift Fox ihm geliehen hatte, draußen vor dem Stall anband. Das Pferd, ein alter Grauschimmel, war alles andere als froh darüber, draußen im Wind gelassen zu werden.

    »Wird nicht lange dauern«, versprach Longtree.

    Er öffnete die abgesägte Flinte, die ihm der alte Flathead mitgegeben hatte, lud sie und betrat den verrottenden Brettersteig, den der Frost jeden Winter auf dem Boden verschob. Seine Armeesporen klapperten, als er lief. Swift Fox war etwas kundschaften gegangen und hatte herausgefunden, dass die Männer, nach denen Longtree suchte, oft im Corner Saloon von Bad River zu finden waren.

    Longtree befand sich nun auf dem Weg dahin.

    Damit er nicht den umhergewehten Sand einatmete, hatte er sich das Halstuch über Mund und Nase gezogen. Die Flinte hielt er fest in den Händen und hatte die Augen zu Schlitzen verengt. Seine dunkle Kleidung war jetzt grau vor Staub. Vor dem Saloon hielt er inne. Das Gebäude war am Verrotten, einstöckig, die Bretterverkleidung verzogen und mit Farbresten bedeckt, und über dem schiefen Türrahmen hing eine daran genagelte Armeedecke.

    Langsam trat Longtree ein, die Flinte schussbereit in den Händen. Drinnen war es düster; das einzige Licht kam von flackernden Öllampen. Der unebene Boden war mit streng riechenden Sägespänen bedeckt. Die stickige Luft stank nach billigem Alkohol, Rauch und Schweiß. Ausgemergelte Männer saßen an der Bar, einige an Tischen. Ein übergewichtiges, zahnloses Barweib, das speckig vor Schweiß und Schmutz glänzte, grinste Longtree mit gelbem Zahnfleisch entgegen.

    »Was darf's sein?«, fragte der Bartender. Er war kahlköpfig und hatte nur einen Arm. Ein leerer Ärmel war an seiner Körperseite befestigt.

    Longtree beachtete ihn nicht und ließ sein Halstuch über dem Gesicht, damit ihn die Männer am hinteren Tisch nicht erkannten.

    Sie waren alle da. Brickley, dürr und verhutzelt, den Hut fast bis über die Augen gezogen. Weiss, mollig und klein, grinste seine Partner an. Hannion, ein muskulöser Riese, hatte quer auf einer Wange eine Messernarbe.

    Longtree ging auf sie zu.

    »Willst du was?«, fragte Weiss. In seinem Unterkiefer steckte ein einziger Goldzahn.

    »Ich habe einen Haftbefehl für euch«, sagte Longtree. »Wegen Mordes.«

    Sie sahen ihn mit großen hasserfüllten Augen an.

    Longtree zeigte kurz sein Dienstabzeichen und zog sein Halstuch herunter.

    »Oh Gott«, stammelte Weiss. »Gott im Himmel … du bist tot …« Er fiel nach hinten vom Stuhl, während Brickley und Hannion nach ihren Revolvern griffen. Longtree schoss Brickley ins Gesicht und pulverisierte seinen Kopf in einem Sprühregen aus Blut und Knochen. Hannion zog seinen Revolver und bekam eine Kugel in die Brust, schlug auf dem Boden auf und zuckte wild, pisste ganze Bäche von Rot.

    Longtree öffnete die Flinte, nahm die Hülsen heraus und lud nach. Er trat über die Leichen und baute sich über Weiss auf. Der zitterte am ganzen Leib. Seine Hose war nass, wo er sich bepisst hatte. Blut der anderen beiden Männer klebte an ihm.

    »Wo ist mein Pferd?«, fragte Longtree. »Und meine Revolver?«

    Weiss erschauderte, konnte nicht reden.

    Longtree trat ihn ins Gesicht. Die Sporen schnitten ihm die Nasenspitze ab und er wurde gegen die Leiche von Hannion geschleudert. Weiss, dessen linker Arm bis zum Ellbogen im blutigen Krater von Hannions Brustkorb steckte, schrie auf. Longtree packte ihn bei den Haaren und zerrte ihn auf die Beine.

    »Meine Sachen«, sagte er mit trockener Stimme. »Und zwar sofort.«

    Kaum imstande, sich auf den Beinen zu halten, führte Weiss ihn aus dem Saloon und durch den brüllenden Sturm zum Stall. Eine Lampe brannte und ein grauhaariger alter Mann ölte Zaumzeug ein. Er sah das Blut an Weiss kleben, sah Longtrees Dienstabzeichen, und ergriff die Flucht.

    Weiss deutete auf Longtrees Pferd und Satteltaschen, seine zusammengerollten Decken und Waffen, die in der Ecke lagen. Dann fiel er wimmernd auf die Knie. Sabber lief ihm das Kinn hinunter.

    »Töten Sie mich nicht, Marshal! Oh, Gott im Himmel, töten Sie mich nicht!«, brabbelte er mit gebrochener, lispelnder Stimme. »Bitte! Die andern hatten mich dazu gezwungen! Sie hatten mich gezwungen!«

    Erneut trat Longtree ihm ins Gesicht. Der Mann heulte auf vor Schmerzen.

    Seufzend wandte sich Longtree seinen Sachen zu und durchsuchte sie. Alles war noch da, abgesehen von den Haftbefehlen und den Steckbriefen mit Beschreibungen der Männer – das fehlte. Seine Revolvergürtel und mit Nickel beschlagenen Colts waren unversehrt. Sein Winchester-Gewehr war entladen worden. Ansonsten war alles unberührt.

    Er hörte, wie sich Weiss hinter ihm stolpernd davonzumachen versuchte.

    Blitzschnell drehte sich Longtree um und ließ ihn die Ladungen aus beiden Läufen spüren. Die Schüsse katapultierten Weiss durch die Tür; sein Brustkorb und Bauch wurden zerfetzt. Er fiel als Leiche zu Boden, wurde nur noch von ein paar zerfaserten Streifen Fleisch zusammengehalten.

    Nachdem das Töten nun erledigt war, setzte sich Longtree hin und rauchte.

    Kapitel 5


    Später, als er die Toten zum Leichenbestatter gebracht und mit den Pferden und Waffen der Outlaws als Bezahlung eine Beerdigung arrangiert hatte, machte sich Longtree wieder auf den Weg. Er ritt zum Lager der Flathead und gab Swift Fox das Pferd und die Flinte zurück, bedankte sich.

    Dann machte er sich davon.

    Longtree gefiel Bad River nicht. Es stank nach Tod und Korruption. Doch wenn man ganz ehrlich sein wollte, gab es kaum Orte im Grenzgebiet, bei denen das anders war. Diese Wahrheit ließ ihn in tiefe Niedergeschlagenheit verfallen.

    Und so ritt er weiter.

    Er wendete sich nach Osten, in Richtung Fort Phil Kearny, wo ihn neue Befehle des U.S. Marshals Office erwarten würden.

    Und in dieser Nacht stank die Luft nach vergossenem Blut.

    Kapitel 6


    Der Weichensteller war ein großer Kerl.

    Er wog fast dreihundert Pfund, und obwohl einiges davon Fett war, bestand er hauptsächlich aus langen harten Muskeln, die sich in einem Leben voller schwerer Arbeit gebildet hatten. Er hieß Abe Runyon, war über Fünfzig und hatte schon so gut wie alles gemacht. Er hatte Pferdegespanne gelenkt und im Colorado Territory Postkutschen bewacht. Er war ein Vorarbeiter der irischen Arbeitstrupps gewesen, die für die Kansas Pacific Railroad Schienen von Kansas City nach Denver verlegt hatten. Er hatte Holz geschlagen und war Trapper gewesen.

    Die Arbeit bei der Eisenbahn gefiel ihm von allem am besten.

    Ganz besonders an diesem Abend. Das südwestliche Montana wurde schwer von einem Sturm gebeutelt. Schnee erstickte den Himmel, wurde von Windböen in Orkanstärke vorangetrieben, die aus den Tobacco Root Mountains herunterpeitschten. Fast zwanzig Zentimeter Schnee waren bereits gefallen.

    Er saß in seinem Stellwärterhäuschen und spielte im Lampenschein Solitaire. Draußen heulte der Wind und ließ den kleinen Schuppen erzittern.

    Runyon fluchte leise, wusste, dass er die Nacht dort draußen verbringen würde. Wusste, dass er ein verdammter Idiot war, die Gleise überhaupt unter den jagenden Wolkenfetzen zu inspizieren.

    Heute Abend würde es keinen Whisky geben, sondern nur ihn und die Karten und den kleinen Holzofen, der ihn wärmte.

    »Verdammt«, sagte er.

    Er biss das Ende einer Zigarre ab und zündete sie mit einem Streichholz an, während er Tabakfussel ausspuckte. In der Ecke begann Schnee zu driften, den der Wind durch die Lücken ins Häuschen presste. Runyon stopfte einen Lappen in die Wand. Eine Weile sollte das wohl halten.

    Er schluckte bitter wegen seines Pechs in dieser Nacht, wischte sich die Hände an seinem fettigen Overall ab und setzte sich wieder an sein Kartenspiel.

    Dann hörte er das Geräusch.

    Trotz des Windgeheuls und Klapperns des Schuppens konnte er es hören: Jemand machte sich draußen am Holzstapel zu schaffen.

    Runyon wusste, wer das war.

    Er stand auf, schnappte sich seinen leichten Hinterlader Colt Kaliber .38 und öffnete die Tür. Schnee und Wind peitschten ihm entgegen. Er biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu, kämpfte sich nach draußen und stapfte durch die Schneeverwehungen, die ihm an manchen Stellen bis zu den Hüften reichten. Hinter dem Schuppen ertappte er die Diebe auf frischer Tat.

    »Gottverdammt noch mal«, brüllte er in den Sturm und Schnee. »Lasst das Holz fallen!«

    Die Diebe waren drei mager aussehende Indianer in zerfledderten Büffelroben und abgenutzten Hirschlederleggins. Sie ließen das Holz fallen, starrten ihn mit großen dunklen Augen an. Eine dürre, hungrige Truppe, dünn wie Zaunpfähle und voller Verzweiflung.

    »Bitte«, sagte einer von ihnen auf Englisch. »Die Kälte.«

    Sein Englisch war zu gut für eine Rothaut, und das ließ Runyon die Galle hochkommen. Er gab sich mit Wilden wie den Blackfoot und Crow nicht ab, und ganz besonders nicht mit denen, die sich für zivilisiert genug hielten, die Sprache der Weißen zu sprechen. Runyon, der ein wahres Nachschlagewerk von Intoleranz war, hasste Indianer. Er war in einem Klima anti-indianischer Ressentiments geboren und großgeworden, dazu erzogen, alle außer den Weißen zu hassen. Ihm persönlich war nie ein Leid geschehen, aber er hatte von einem Überfall der Cheyenne im Indian Territory gehört, die seine Großeltern ermordet hatten, und wie sein Vater von einem Versteck aus mitangesehen hatte, wie die beiden von den Bastarden skalpiert worden waren.

    »Ach, euch ist kalt?«, rief Runyon.

    Derjenige, der Englisch gesprochen hatte, nickte. Die anderen beiden stierten nur. Runyon wusste, was sie dachten, kannte den Hass, den sie verspürten und wie viel lieber diese hinterhältigen verlogenen Schweine ihm die Kehle durchschneiden statt ihn ansehen würden.

    »Der Sturm hat uns aufgehalten«, sagte der Indianer. »Wir brauchen Holz zum Feuermachen. Wir bringen morgen früh welches zurück.«

    »Ach ja, natürlich, jede Wette. Ich gehe jede Wette ein, dass ihr das machen werdet.«

    »Bitte.« Die Stimme klang ehrlich und wenn er ein weißer Mann gewesen wäre, selbst ein mörderisch veranlagter Rumtreiber, hätte sich Runyon davon berührt gefühlt.

    Aber das hier waren Wilde.

    Und er wusste, dass sie einen in dem Moment, wo man ihnen Gnade oder Mitleid zeigte, auslachten. Dass sie zurückkehren und einen bei der ersten Gelegenheit umbringen würden. Diese heidnischen Teufel respektierten Mitleid nicht; für sie war es Schwäche.

    »Wenn dir kalt ist, Rothaut«, sagte Runyon und zielte mit dem .38er auf das Gesicht, »kann ich dich ganz schnell mit ein bisschen Blei aufwärmen.«

    »Bitte«, sagte der Indianer. Hart erworbener Stolz ließ seine Stimme schwanken – es war nicht einfach, um ein paar Scheite Holz zu betteln.

    »Verpisst euch!«, schrie Runyon. »Verpisst euch, bevor ich euch alle umlege!«

    Langsam setzten sie sich rückwärts in Bewegung, ohne dabei den Weißen aus den Augen zu lassen. Nur zu gut wussten sie, dass das eine schlechte Idee wäre. Zu oft waren Stammesmitglieder ermordet worden, die bewaffneten Weißen den Rücken zugedreht hatten.

    »Wir werden sterben«, sagte einer. »Aber du auch.« Und damit verschwanden sie.

    Doch für Runyon bewegten sie sich nicht schnell genug.

    Er blinzelte in den Wind, legte an und zielte auf den, der mit ihm gesprochen hatte. Er nahm den Rücken des Wilden ins Visier und drückte ab. Die Explosion war im heulenden, beißenden Wind kaum zu hören. So schlecht die Sicht auch war, konnte er doch den Wilden gerade noch hinfallen sehen, bevor wehender Schnee ihn verdeckte.

    »Gottverdammte Heiden«, fluchte Runyon und machte sich wieder auf den Weg nach drinnen.

    Er grinste, als er neben dem Ofen saß und sich die gefühllosen Hände wärmte, denn er war sich bewusst, die Welt von ein paar mehr dieser diebischen Rothäute befreit zu haben.

    Die Schweine würden erfrieren.

    Runyon lächelte.

    Kapitel 7


    Es war sehr viel später, als das Kratzen begann.

    Runyon hatte in seinem Stuhl ein Nickerchen gemacht. Vor ihm war eine Partie Solitaire ausgelegt, in der Hand lag immer noch sein .38er. Er hatte davon geträumt, schön warm und gemütlich bei einem Drink und guten Essen in Wolf Creek zu sitzen. Dann schlug er die Augen auf. Er war nicht in Wolf Creek. Er war in dem gottverdammten Stellwärterhäuschen und wartete auf den Morgen.

    Sich den Schlaf aus den Augen reibend legte er den Colt nieder und horchte. Irgendetwas hatte er gehört. Ein unbekanntes Geräusch. Grundlos wachte er nie auf. Er neigte den Kopf zur Seite und lauschte angestrengt. Der Wind heulte immer noch, der Schnee stob weiterhin in den Schuppen herein und das Gebälk zitterte wie vorher.

    Aber jetzt war da noch etwas.

    Ein tiefer, fast trauriger Klagelaut, den der Wind zerfetzte.

    Und Kratzen. Als würden Krallen an den verzogenen Brettern des Schuppens schaben.

    Er schluckte. Schweiß rann ihm langsam den Rücken hinunter. Es waren die Rothäute. Es mussten die Rothäute sein. Irgendwie hatten sie in den Minusgraden dort draußen überlebt und waren jetzt zurückgekehrt. Vielleicht mit einem Überfallkommando. Zumindest mit Gewehren, Messern und Hass.

    Was hatte die Rothaut gesagt?

    Wir werden sterben … aber du auch.

    Runyon erschauderte.

    Er hätte nicht einen erschießen sollen … er hätte sie alle erschießen sollen. Er hätte die Schweine durch den Schnee verfolgen und sie töten sollen. Sie alle erschießen und sich jede Menge Ärger ersparen …

    Aber jetzt waren sie wieder da.

    Runyon steckte sich die Zigarre neu an. Er wünschte sich, dass er mehr Patronen für den Colt mitgebracht hätte, aber Teufel auch, mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er hätte es besser wissen sollen. Diese Wilden hielten ständig Ausschau nach weißen Männern, die allein waren, um sie zu ermorden und auszurauben.

    Jetzt umrundeten sie den Schuppen, bewegten sich mit leisen Schritten. Er konnte hören, wie sie an der Rückwand schabten. Aber was er dann hörte, ergab keinen Sinn: Knurren. Ein tiefes, animalisches Knurren. Kein Mensch gab solche Laute von sich. Vielleicht hatten sie einen Hund dabei. Er konnte ihn schnüffeln hören, wie er die Nase gegen die Bretter presste, tief grollte und wie ein

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