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Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten
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Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten
eBook1.275 Seiten15 Stunden

Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten

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Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten

Von Alfred Bekker, Earl Warren, Steve Hogan

 

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

 

Steve Hogan: Auf der Insel lauert der Tod

Alfred Bekker: Kubinke und die Memoiren

Alfred Bekker: Stadt der Schweinehunde

Alfred Bekker: Das nächste Opfer

Alfred Bekker: Ein aufmerksamer Zeitungsleser

Alfred Bekker: Ein Fall für den Norden

Earl Warren: Bount Reiniger und die Mädchenfalle Manhattan-Nummer

Earl Warren: Bount Reiniger und die Liebesghrüße aus Amsterdam

Earl Warren: Bount Reiniger oder Lieber erben als sterben

Earl Warren: Lebenslänglich für Bount Reiniger

Earl Warren: Bount Reiniger und der Club der Leichenmacher

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum11. März 2023
ISBN9798215164457
Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    Ein Koffer voller Mörder - Alfred Bekker

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author 

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

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    Ein Koffer voller Mörder: Krimi Koffer 11 Krimis auf 1000 Seiten

    Von Alfred Bekker, Earl Warren, Steve Hogan

    Dieses Buch enthält folgende Krimis:

    Steve Hogan: Auf der Insel lauert der Tod

    Alfred Bekker: Kubinke und die Memoiren

    Alfred Bekker: Stadt der Schweinehunde

    Alfred Bekker: Das nächste Opfer

    Alfred Bekker: Ein aufmerksamer Zeitungsleser

    Alfred Bekker: Ein Fall für den Norden

    Earl Warren: Bount Reiniger und die Mädchenfalle Manhattan-Nummer

    Earl Warren: Bount Reiniger und die Liebesghrüße aus Amsterdam

    Earl Warren: Bount Reiniger oder Lieber erben als sterben

    Earl Warren: Lebenslänglich für Bount Reiniger

    Earl Warren: Bount Reiniger und der Club der Leichenmacher

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    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, ALFREDBOOKS UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author/

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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    Auf der Insel lauert der Tod: Schottland-Krimi

    von Steve Hogan

    ––––––––

    Eigentlich will Shona, die frisch von der Polizeiakademie kommt, nur ihre Chancen auf den Einsatz in der Motorradstaffel verbessern, als sie sich nach Finnsay versetzen lässt, einer abgelegenen Shetland-Insel. Doch ausgerechnet dort treibt ein entflohener Straftäter sein Unwesen, und es gibt einen seltsamen Unfall, dem Shona auf den Grund gehen will.

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author

    © dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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    Prolog

    Iona Stacey rutschte aus und fiel hin.

    Der Regensturm hatte die grauen Klippen in spiegelglatte Flächen verwandelt. Die junge Frau stöhnte auf, als sie mit dem Kopf unsanft auf den steinernen Untergrund schlug. Doch sie gönnte sich keine Pause. Sofort kam Iona wieder auf die Füße. Wenigstens war sie passend angezogen für eine halsbrecherische Flucht durch eine menschenleere sturmgepeitschte Felsenwüste. Ihre Boots mit Profilsohle ermöglichten ihr ein halbwegs zügiges Vorankommen.

    Und doch wurde sie immer noch verfolgt. Iona traute sich nicht mehr, einen Blick über die Schulter nach hinten zu werfen. Zu groß war die Furcht vor dem, was sie zu sehen bekommen würde.

    Die Sturmhexe.

    Iona hatte gelacht, als sie zum ersten Mal von diesem Schreckgespenst hörte. Inzwischen wäre ihr nicht mehr eingefallen, sich über das sagenumwobene Wesen zu amüsieren. Auf einer champagnerfeuchten Party in Glasgow ließ es sich leicht über die abergläubischen Insulaner und ihre Spukgestalten lästern.

    Aber jetzt war Iona auf Finnsay, einer unheimlichen Insel am Ende der Welt. Und das Lachen wäre ihr im Hals steckengeblieben, wenn sie nicht ohnehin ihre ganze Lungenkraft zum Laufen gebraucht hätte.

    Die Sturmhexe war hinter ihr her.

    Gewiss, genau gesehen hatte Iona die Kreatur noch nicht. Aber die finstere Gestalt verfolgte sie. Und es sah nicht so aus, als ob Iona ihr entkommen könnte. Trotzdem konnte die junge Frau nicht mit dem Laufen aufhören. Zu schrecklich war die Vorstellung, in die Fänge der Sturmhexe zu geraten.

    Tief und bleiern hingen die Regenwolken über der aufgewühlten See. Iona flüchtete an der Steilküste entlang. Hier gab es keine Pfade, nur Klippen und Felswände. Doch selbst wenn es einen Fußweg gegeben hätte, so wäre er bei dem trüben Licht und den Regenschauern so gut wie unsichtbar gewesen.

    Schon bald würde es Nacht werden.

    Iona wollte auf gar keinen Fall in der Finsternis zurückbleiben. Das durfte nicht geschehen. Sie begriff, dass sich außer ihr selbst kein menschliches Wesen in diese Einöde traute.

    Iona war allein mit der Sturmhexe.

    Dieser Gedanke verstärkte die Panik der jungen Frau nur noch. Ihre einzige Hoffnung war die Rückkehr zu ihrem Leihwagen. Dann konnte sie die Tür hinter sich zuschlagen, den Motor starten und zurück ins Dorf fahren – unter Menschen. Aber wie sollte sie zu ihrem Auto zurückfinden?

    Hier oben an der Nordspitze sahen alle Felsen und Klippen gleich aus. Hinzu kam, dass es von Minute zu Minute dunkler wurde. So etwas wie Straßenlaternen existierten natürlich ebenfalls nicht. Allein schon, weil es hier keine Straße gab. Selbst die elende Schotterpiste, auf der sie hierher gefahren war, endete im Nirgendwo. Lediglich auf der weit entfernten Shetland-Hauptinsel Mainland konnte man das ferne fahle Signalfeuer eines Leuchtturms erkennen. Und das schottische Festland lag weit hinter dem Horizont.

    Die Sturmhexe kam näher.

    Das spürte Iona, aber sie sah es nicht. Die junge Frau glaubte, ein Blick auf die Schreckensgestalt würde auf der Stelle ihr Leben beenden.

    „Lass mich in Ruhe!"

    Diesen Satz stieß sie in ihrer Verzweiflung aus, aber der brausende Wind riss die Worte sofort wieder von Ionas Lippen. Sie glaubte nicht, dass irgendjemand sie hörte. Außer der Sturmhexe, und die würde sich auf keinen Fall erweichen lassen.

    Es gab unzählige Geschichten über die Sturmhexe. Wenn auch nur die Hälfte davon stimmte, dann war Iona verloren.

    Plötzlich glaubte die junge Frau, dass eine Klaue nach ihr greifen würde. Voller Panik machte sie einen besonders großen Schritt nach vorn. Sie trat ins Leere. Iona schrie voller Entsetzen. Sie ruderte mit den Armen, versuchte irgendwo Halt zu finden. Doch unter ihr klaffte ein Abgrund.

    In ihrer Angst hatte sich Iona zu nahe an den Klippenrand gewagt. Vielleicht lag es auch daran, dass sie die Gefahr bei Starkregen und aufziehender Dunkelheit nicht richtig erkannt hatte.

    Für Iona gab es keine Rettung mehr. Sie stürzte auf den steinigen Strand von Finnsay und brach sich ihr Genick.

    1. Kapitel

    Shona McGill machte einen langen Hals, denn sie hörte das satte Knattern eines schweren Polizei-Motorrads. Shona stand vor der Polizeischule von Inverness. Soeben hatte sie ihren letzten Unterrichtstag beendet, nun musste sie noch die offizielle Abschlussfeier hinter sich bringen.

    Doch den Gedanken an das höchstwahrscheinlich verkrampfte Ereignis schob sie einstweilen von sich, denn nun bog die Maschine um die Ecke. Shona bekam große Augen, als sie das blitzblank geputzte Zweirad erblickte. Der Kollege im Motorradsattel hob grüßend seine behandschuhte Rechte. Shona winkte mit einer leichten Zeitverzögerung zurück. Sie musste sich erst daran gewöhnen, dass sie von nun an ein vollwertiges Mitglied der Northern Constabulary – der nordschottischen Polizei – war. Sie blickte neidisch hinter dem Motorrad her, bis das Rücklicht nicht mehr zu erkennen war.

    „Träumst du schon wieder?"

    Die Stimme von Julia Braddock ertönte hinter Shona. Sie drehte sich langsam um. Auch Julia trug die dunkelblaue Uniform, doch im Gegensatz zu der rotblonden Shona wirkte die dunkelhaarige Julia wie aus dem Ei gepellt. Auf ihren Schuhen war nicht ein einziges Staubkorn zu erkennen, und die Bügelfalten waren messerscharf. Im Vergleich zu ihrer Zimmerkameradin aus der Polizeikaserne kam sich Shona klein und unbedeutend vor – und das sogar im Wortsinn. Julia war rund eine Handbreit größer als Shona, die bei der Einstellungsuntersuchung nur ganz knapp die vorgeschriebene Mindestgröße für Polizistinnen erreicht hatte.

    Außerdem war Julia Jahrgangsbeste unter den Polizeischülern, während Shona mit ihren Leistungen nur im hinteren Drittel lag. Das konnte aber auch daran liegen, dass sie oft auf Krawall gebürstet war und ihren Ausbildern Widerworte gab, während Julia sich überall Liebkind machte.

    Die beiden so unterschiedlichen jungen Frauen mussten sich in ihrer Zwangsgemeinschaft irgendwie zusammenraufen, aber richtige Freundinnen würden sie wohl nie werden – jedenfalls wenn es nach Shona ging. Julia war ihr gegenüber unverbindlich nett, wie zu allen Kollegen und Vorgesetzten. Doch Shona war sicher, dass Julia sie im Grunde ihres Herzens nicht ausstehen konnte. Trotzdem lächelte Shona nun, denn sie würde Julia wohl so bald nicht wiedersehen.

    „Klar, meinen großen Traum lasse ich mir nicht nehmen, Julia. Die Motorradstaffel – dort will ich hin."

    Die dunkelhaarige Polizistin hüstelte gekünstelt.

    „Bist du sicher, dass das so eine gute Idee ist? Das Auswahlverfahren für diesen Dienst soll knallhart sein, habe ich gehört."

    „Und du meinst, ich würde sowieso versagen? Weil ich nicht Jahrgangsbeste bin, so wie du?"

    „Das meinte ich nicht. Julia blieb katzenfreundlich. Sie legte sogar ihre Hand auf Shonas Unterarm. „Ich würde es nur schade finden, wenn du enttäuscht wirst. Wir haben uns doch in den letzten Jahren so gut kennengelernt ...

    Das Lächeln verschwand von Shonas Gesicht.

    „Nein, Julia. Das haben wir nicht. Du weißt nichts von mir. Ich habe dir schon in der ersten Ausbildungswoche erzählt, dass ich zur Motorradstaffel will. Aber du hast das nie ernst genommen. Klar, wahrscheinlich dachtest du, ich würde die Polizeischule sowieso nicht packen."

    „Beim Pistolenschießen hast du die Mindestanforderungen erst beim dritten Versuch geschafft. Und bei der Klausur in Rechtskunde hat Ian dich bei sich abschreiben lassen, sonst wärst du durchgerasselt."

    „Danke, dass du mich daran erinnerst, sagte Shona ironisch. „Hast du darüber Buch geführt? – Nun schau nicht so empört, ich bin nicht sauer auf dich. Obwohl ich immer noch glaube, dass du mich beim Commander verpfiffen hast, als ich mich nachts weggeschlichen habe, um Party zu machen.

    „Das war ich nicht, Ehrenwort!"

    „Wie auch immer – natürlich ist das Auswahlverfahren die Hölle auf Erden. Die Motorradstaffel, das ist nun mal nicht irgendein öder Dienst auf einer Langweiler-Wache. Aber was du vielleicht nicht weißt: Man kann Pluspunkte sammeln, bevor man sich dort anmeldet."

    Julia war ganz Ohr. Mit Pluspunkten kannte sie sich aus, schließlich hatte sie sich in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Gefälligkeiten ganz nach oben geschleimt. Aber von dieser Sache schien sie nichts zu wissen. Shona war stolz, dass sie Julia wenigstens einmal etwas voraus hatte. Dabei war sie sicher, dass sich Julia keinesfalls selbst für die Motorradstaffel bewerben würde. Die dunkelhaarige Polizistin wollte hoch hinaus, daran zweifelte Shona nicht. Wahrscheinlich sah sie sich in ihren Wunschvorstellungen schon als ersten weiblichen Superintendent – und somit als die oberste Beamtin der Northern Constabulary.

    „Pluspunkte? Und wie?"

    Julia bemühte sich, nicht allzu neugierig zu klingen. Dennoch brachte ihr Gesichtsausdruck Shona erneut zum Grinsen.

    „Ganz einfach. Ein altgedienter Kollege von der Motorradstaffel hat mir den Trick verraten. Man muss zuvor ein Jahr lang auf dem ödesten und unbeliebtesten Posten von ganz Nordschottland Dienst schieben. Dort, wo sonst garantiert niemand hin will. Wenn man diese Zeit überstanden hat, wird die Bewerbung mit großem Wohlwollen geprüft. Und genau so werde ich es machen."

    „Wohin willst du dich denn versetzen lassen?"

    Julias Frage war ernst gemeint, sie schien es wirklich nicht zu wissen. Das wunderte Shona nicht, denn Julia selbst hatte schon ihren Einsatz in dem angenehmsten und friedlichsten Polizeidistrikt weit und breit eingefädelt. Die Jahrgangsbeste würde die Polizeiwache in einem vornehmen Villenviertel von Glasgow mit ihrer Anwesenheit beehren. Dort, wo man bei der Fußstreife noch nicht einmal Hinterlassenschaften von Schoßhündchen auf dem Gehweg fand.

    „Ich lasse mich nach Finnsay versetzen, Julia."

    „Nie gehört."

    „Was, du als Jahrgangsbeste kennst Finnsay nicht? – Okay, ich selbst musste auch erst einmal im Atlas nachschauen. Finnsay gehört zu den Shetland-Inseln. Mehr weiß ich über das Eiland auch nicht."

    „Ist deine Bewerbung schon genehmigt?"

    „Selbstverständlich. Die Personalabteilung konnte es kaum glauben, dass jemand Finnsay als Wunsch-Einsatzort angegeben hat. Sonst scheint die Insel sich wohl eher für Strafversetzungen zu eignen. Das ist meine Meinung."

    „Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg dort oben, Shona, meinte Julia mit ihrem üblichen falschen Lächeln. „Sehen wir uns bei der Abschlussfeier?

    Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, dachte Shona. Aber sie nickte einfach nur. Warum sollte sie jetzt noch einen Streit mit Julia vom Zaun brechen? Die Jahrgangsbeste eilte davon. Vermutlich traf sie sich mit ihrem Freund, der gewiss genauso perfekt und pflegeleicht war wie sie selbst. Shona hatte ihn nie zu Gesicht bekommen, aber nach dem Foto über Julias Bett zu urteilen war er ein absoluter Traumtyp.

    Shona hatte keinen Freund.

    Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an Julia nehmen, dachte sie in einem Anfall von plötzlicher Verzagtheit. Shona war oft kratzbürstig und ungeduldig. Dean hatte sich davon irgendwann vergraulen lassen. Sie war ein halbes Jahr mit ihm zusammen gewesen, als sie mit der Polizeischule angefangen hatte. Obwohl – was war dieser Typ überhaupt wert? Er hatte ihre Zukunftspläne nie für voll genommen und immer nur blöde Sprüche über die Polizei im Allgemeinen und Shona im Besonderen geklopft. Hätte er sie nicht unterstützen können? Gerade die ersten Monate der Ausbildung waren alles andere als leicht für sie gewesen. Shona war innerlich nicht so gestrickt, dass sie gejammert hätte. Doch insgeheim hatte sie damals auf Deans Beistand gehofft – allerdings vergeblich.

    Shona hatte ihre Reisetasche schon gepackt, denn bereits am nächsten Morgen wollte sie die Fähre nach Finnsay nehmen. Das bot ihr einen willkommenen Vorwand, nicht allzu lange auf der Abschlussfeier bleiben zu müssen. Mit einigen Leuten aus der Polizeischule verstand sich Shona besser als mit Julia, aber wirklich schwer fiel ihr der Abschied nicht. Sie eckte leicht an und war alles andere als diplomatisch. Das hing allerdings auch mit ihrem großen Sinn für Gerechtigkeit zusammen, der letztlich für ihre Berufsentscheidung den Ausschlag gegeben hatte.

    Doch wenn so ein stromlinienförmiger Charakter wie Julia Braddock viel mehr Erfolg hatte als sie selbst, dann war die Polizeiausbildung vielleicht ein Fehler gewesen. Shona schüttelte den Kopf, als müsse sie einen bösen Traum abschütteln. Sie hatte in letzter Zeit zu viel gepaukt, das lag ihr nicht. In Finnsay begann ein neuer Lebensabschnitt für sie. Der Polizeischule weinte sie jetzt schon keine Träne nach.

    *

    Am nächsten Morgen herrschte strahlender Sonnenschein. Shona wurde von ihrer Mutter zum Hafen gebracht. Victoria McGill war extra aus Edinburgh angereist, um ihrer Tochter Good Bye zu sagen. Wenigstens hatte Shona verhindern können, dass ihre Mom auf der Abschiedsfeier am Vorabend erschienen war. Victoria McGill war eine resolute Frau, die neben ihrem Beruf noch zahlreiche Ehrenämter bekleidete – von einer Suppenküche für Obdachlose bis zur Hausaufgabenhilfe für arme Kinder. Shonas Mutter hätte es gern gesehen, wenn ihre Tochter Lehrerin geworden wäre wie sie selbst. Daher war sie nicht gerade begeistert von Shonas Berufswahl. Doch sie kannte den Eigensinn ihrer Tochter und hatte nie versucht, ihr die Polizeischule auszureden.

    Shona hatte von ihrer Mutter die grüne Augenfarbe und das widerspenstige Haar geerbt. Charaktermäßig war die impulsive Tochter das ziemliche Gegenteil der stets beherrschten und vorausplanenden Victoria McGill. Shonas Vater war schon vor vielen Jahren durch einen Autounfall ums Leben gekommen.

    „Dad wäre stolz auf dich."

    Shona war überrascht, diese Worte aus dem Mund ihrer Mutter zu hören. Sie sprachen selten über den Vater, an den sich die junge Frau kaum noch erinnern konnte. Sie war sieben Jahre alt gewesen, als die Nachricht von seinem Tod kam.

    „Wirklich, Mom?"

    „Ja, du wirst deinem Vater immer ähnlicher. Nicht äußerlich, das meine ich nicht. Ich spreche von deinem Lebensweg. Wie ich mitbekommen habe, waren deine Leistungen auf der Polizeischule eher unterdurchschnittlich ..."

    „Na, vielen Dank auch!", stieß Shona gekränkt hervor.

    „... aber du hast dich davon nicht beirren lassen, fuhr ihre Mutter fort. „Du hast die Abschlussprüfung bestanden, obwohl das keineswegs sicher war. Dein Dad war genauso. Er wollte unbedingt mit Antiquitäten handeln, obwohl er ein miserabler Geschäftsmann war. Aber er hat sich seinen Lebenstraum nicht kaputtmachen lassen. Ich hoffe, das wird bei dir genauso sein.

    Plötzlich begriff Shona, was für ein großes Kompliment ihre Mutter ihr gerade gemacht hatte. Über ihren Lebenstraum musste die junge Polizistin nicht lange nachdenken. Das war die Motorradstaffel, ganz eindeutig. Shona wollte den ganzen Tag auf einer schweren Maschine umherfahren und dort helfen, wo sie gebraucht wurde.

    Gewiss, Shona war nicht so eine Streberin wie Julia Braddock. Aber musste sie deshalb eine schlechte Polizistin sein? Erst im richtigen Dienstalltag konnte sie zeigen, was in ihr steckte. Die anerkennenden Worte ihrer Mom gaben ihr plötzlich noch einmal einen ungeheuren Auftrieb.

    „Danke."

    Das war alles, was sie momentan erwidern konnte. Aber Victoria McGill wusste, dass ihre Tochter keine Freundin großer Worte war. Also umarmte sie Shona einfach nur. Die junge Polizistin hatte einen Kloß im Hals, ihre Augen wurden feucht. Sie wandte sich schnell ab und nahm ihre Reisetasche.

    „Ich muss los, die Fähre legt gleich ab."

    „Viel Glück, Shona. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du etwas auf dem Herzen hast."

    Victoria McGill winkte, während Shona die Gangway hochstieg. Die Leinen wurden losgemacht und das Schiff nahm schnell Fahrt auf. Shona war überrascht. Sie hatte ihre Mutter nicht oft so gefühlsbetont erlebt. Ob es daran lag, dass Shona eine Reise ins Unbekannte antrat? Oder merkte die Mutter, dass ihre zwanzigjährige Tochter nun endgültig erwachsen geworden war? Auch die Polizeischule war letztlich doch nur eine Schule, in der man für Fehler höchstens eine schlechte Note bekommen konnte. Aber nun begann das richtige Leben, in dem falsche Entscheidungen schlimme Folgen haben konnten. Besonders für eine Polizistin.

    Die mehrstündige Überfahrt verlief ereignislos. Shona hatte es noch nie ausstehen können, untätig herumsitzen zu müssen. Daher war sie erleichtert, als endlich Finnsay in Sicht kam. Jedenfalls nahm sie an, dass sich das Ziel ihrer Reise vor dem Bug der Fähre befand. Das Schiff war schon an mehreren anderen Shetland-Inseln vorbeigetuckert.

    Auf den ersten Blick wirkte Finnsay wie der graue Rücken eines Riesenwals. Im Näherkommen war immerhin so etwas wie karge Vegetation zu erkennen. Außerdem gab es ein Dorf, das aus kleinen, größtenteils einstöckigen Häusern bestand. Der Wind hatte aufgefrischt, und die See wurde unruhiger. Shona hatte gehört, dass auf den Shetland-Inseln das Wetter oft miserabel war. Die Eilande lagen weit draußen in der Nordsee, auf halbem Weg zwischen Schottland und der norwegischen Küste. Das war nicht gerade ein Traumziel für einen Badeurlaub. Aber Shona kam schließlich auch nicht zu ihrem Vergnügen nach Finnsay.

    Die Fähre legte in dem kleinen Hafen an. Als Shona von Bord ging, wurde sie bereits von einem Kollegen erwartet. Er steuerte zielsicher auf sie zu. Das war auch keine Kunst, denn sie trug als einzige Passagierin eine Polizeiuniform.

    „Officer McGill?"

    Der Polizist legte grüßend seine Rechte an den Mützenschirm. Er war etwas älter und erheblich größer als Shona. Er schaute sie so erwartungsvoll an, als wäre sie seine Partnerin bei einem Blind Date.

    „Die bin ich."

    Shona erwiderte den Gruß und legte den Kopf in den Nacken, um ihr Gegenüber besser betrachten zu können. Der Polizist hatte feuerrote Haare, was in Schottland nicht ungewöhnlich war. Ansonsten erinnerte er mit seinem breiten Mund an einen Frosch. Doch trotzdem kam er sich offenbar unwiderstehlich vor.

    „Und ich bin Officer Lachlan McBride. Du kannst mich gerne Lachlan nennen. Und deinen Vornamen habe ich nicht richtig verstanden."

    „Das liegt daran, dass ich ihn noch nicht gesagt habe."

    McBride lachte, als hätte Shona einen erstklassigen Witz gemacht.

    „Und du bist nicht nur bildhübsch, sondern hast auch noch Humor. Ich muss sagen, das Personalbüro scheint es ausnahmsweise wirklich gut mit uns zu meinen."

    Was sollte Shona darauf erwidern? Selten hatte sie eine so plumpe Anmache gehört. Außerdem – bildhübsch war sie ganz gewiss nicht. Sie fühlte sich nicht unattraktiv, wenn sie gerade gute Laune hatte. Aber so ein Model-Typ wie Julia Braddock war sie ganz gewiss nicht. Sie musste grinsen. Wenn dieser Knallkopf McBride sie schon als bildhübsch bezeichnete – welcher Superlativ würde ihm dann zu der Jahrgangsbesten der Polizeischule einfallen? Doch es war äußerst unwahrscheinlich, dass Julia jemals auch nur einen Fuß auf den Boden dieser gottverlassenen Insel setzen würde.

    „Hör mal, Lachlan – lass uns eine Sache klarstellen. Ich bin nicht nach Finnsay gekommen, weil ich die große Liebe suche. Vielmehr will ich hier einfach nur meinen Dienst tun. Wenn du das akzeptierst, wirst du keine Probleme mit mir bekommen. Mein Vorname ist übrigens Shona, wenn du es unbedingt wissen musst."

    McBrides Grinsen wurde noch breiter, obwohl das kaum möglich schien.

    „Du bist schüchtern, das ist schon okay. Du wirst noch merken, was für ein netter Kerl ich bin. Nun lass uns erst mal zur Station fahren, damit du den Rest der Truppe kennenlernst."

    Mit diesen Worten führte der Polizist Shona zu einem Landrover, der als Polizeifahrzeug umgerüstet war. Sie stieg auf der Beifahrerseite ein und warf ihre Reisetasche auf den Rücksitz. McBride schwang sich hinter das Lenkrad und griff zum Mikrophon des Funkgeräts.

    „Seagull one an Zentrale. Die neue Kollegin ist planmäßig eingetroffen, wir kommen jetzt rein."

    „Das ist verstanden, Seagull one."

    Die Antwort war von einer Frauenstimme gekommen. Shona hoffte inständig, dass nicht alle Kollegen solche Nervensägen waren wie McBride. Der redete nämlich ohne Punkt und Komma.

    „Ich hoffe, dir gefällt unser Einsatzfahrzeug. Es hat immerhin schon zwanzig Jahre auf dem Buckel. Der Sergeant beantragt ständig einen neuen Streifenwagen, aber auf dem Festland ist man wohl der Meinung, für uns hier draußen würde der alte Landrover reichen."

    „Habt ihr kein Motorrad?", fragte Shona hoffnungsvoll. McBride lachte schallend, er schlug sich sogar auf die Schenkel.

    „Hey, das ist ein guter Witz! Den muss ich mir merken. – Nein, ein Motorrad haben wir nicht. Damit kann man doch gar keine Schafe transportieren."

    „Schafe?"

    „Du weißt schon, diese wolligen blökenden Viecher."

    „Ich weiß auch, was ein Schaf ist, Lachlan! Aber ich frage mich, warum die Polizei Schafe transportieren muss."

    „Manchmal reißen Schafe aus und stürzen von den Klippen. Dann müssen wir sie bergen und zum Tierarzt bringen. Oder zum Schlachter, je nachdem. Die Polizeiarbeit auf Finnsay ist sehr abwechslungsreich."

    „Zweifellos", murmelte Shona erschüttert. Sie fragte sich allmählich, ob die Dienstverpflichtung auf Finnsay nicht der größte Fehler ihres bisherigen Lebens gewesen war. McBride plapperte ununterbrochen weiter. Zum Glück war der Weg bis zur Polizeistation nicht allzu weit. Ein weiteres Streifenfahrzeug konnte Shona vor der schmucklosen Wache nicht entdecken. Aber wahrscheinlich gab es keines außer dem Landrover. Die Insel war doch verflixt klein. Das wurde ihr erst jetzt so richtig bewusst.

    „Da sind wir, Sir."

    Mit diesen Worten betrat McBride das Wachlokal. Dabei zwinkerte er Shona vertraulich zu, als ob sie schon Geheimnisse miteinander hätten. Die junge Polizistin konnte es sich gerade noch verkneifen, mit den Augen zu rollen. Glaubte dieser Schwätzer wirklich, dass sie sich mit ihm einlassen würde? Offenbar gehörte er zu den Männern, die sich durch eine direkte Zurückweisung nicht stoppen lassen.

    Die Polizeiwache unterschied sich in nichts von den Dienststellen, die Shona während der Ausbildung schon besucht hatte. Sie war nur viel kleiner. Die Computer und das Funkgerät wirkten etwas betagt, soweit Shona das auf die Entfernung beurteilen konnte. Aber das wunderte sie nicht wirklich.

    Der Mann, den McBride angesprochen hatte, erhob sich von seinem Bürostuhl. Seine Rangabzeichen wiesen ihn als Sergeant aus. Er war ein stämmiger Mittfünfziger mit einem mächtigen Schnurrbart.

    „Ich bin Sergeant Ewan Kennedy, der Dienststellenleiter auf Finnsay. Officer McBride kennen Sie ja schon, Officer McGill. Und das ist Officer Catriona Bannister."

    Shona grüßte und gab beiden die Hand. Während sich die Pranke des Sergeants warm und fest anfühlte, erinnerte die Rechte von Catriona Bannister an einen kalten toten Fisch.

    Die einheimische Polizistin war weizenblond und trug ihr Haar zu einem strengen Zopf geflochten. Sie war groß, größer noch als Julia Braddock, und sehr schlank. Mit ihrem blonden Haar, ihren blauen Augen und ihrer kühlen Art erinnerte sie Shona an eine Wikingerkönigin.

    „Freut mich, Sie kennenzulernen, Officer McGill."

    Doch Catriona Bannister lächelte nicht, während sie diesen Satz aussprach. Und es klang auch nicht, als würde sie es ehrlich meinen. Mit Falschheit kannte sich Shona aus. Schließlich war sie lange genug die Zimmergenossin von Julia Braddock gewesen.

    „Wir dachten schon, die freie Planstelle würde niemals neu besetzt werden, sagte der Sergeant. „Es ist immer gut, wenn genügend Einsatzkräfte vor Ort sind. Besonders jetzt.

    Shona schaute den Vorgesetzten fragend an.

    „Seit gestern ist ein Ausbrecher flüchtig. Der Raubmörder Andy Gordon konnte aus dem Staatsgefängnis in Inverness entkommen. Es gibt Anzeichen dafür, dass er sich ein Boot beschafft hat. Auch die Polizeidienststellen auf den anderen Inseln sind in Alarmbereitschaft. Wir fahnden verstärkt nach ihm. Wenn es irgendwelche Hinweise auf ihn gibt, können wir sofort zusätzliche Kräfte vom Festland anfordern."

    Jagd auf einen Raubmörder? Offenbar war die Polizeiarbeit auf Finnsay doch nicht so öde, wie Shona befürchtet hatte. Allerdings leuchtete ihr nicht ein, warum sich ein Gefängnisausbrecher ausgerechnet auf dieser Insel am Ende der Welt verkriechen sollte. Es war, als hätte der Sergeant die Frage in ihrem Gesicht gelesen.

    „Gordons Freundin wohnt seit einigen Monaten auf Finnsay. Sie heißt Amy Douglas. Statten Sie ihr doch mal einen Besuch ab. Einen Durchsuchungsbeschluss für ihr Haus haben wir nicht. Aber sie soll merken, dass wir sie im Auge behalten. Vielleicht fällt Ihnen ja etwas Verdächtiges auf. Bei der Gelegenheit können Sie Officer McGill gleich noch mehr von der Insel zeigen."

    Sergeant Kennedy hatte sich mit seinen Worten an Shona und McBride gewandt. Die junge Polizistin war nicht gerade begeistert davon, schon wieder mit dem selbsternannten Frauenschwarm losziehen zu müssen. Andererseits erschien ihr der gemeinsame Dienst mit Catriona Bannister noch weniger verlockend.

    Aber vielleicht musste sie sich erst an die neuen Kollegen gewöhnen. Mit Julia Braddock hatte sie es ja auch während der ganzen Ausbildungszeit ausgehalten.

    Shona und McGill meldeten sich zunächst auf der Wache wieder ab.

    Der Polizist ließ den Landrover langsam durch das Dorf rollen. Da erblickte Shona plötzlich erstmals auf Finnsay jemanden, der ihr auf Anhieb gefiel.

    Er kam dem Streifenfahrzeug auf seinem Mountainbike entgegen. Shona schätzte den Typ auf Mitte zwanzig. Sein Gesicht war sonnenverbrannt und wettergegerbt, das dunkelblonde halblange Haar zerzaust. Der Mund wirkte sinnlich, der Blick seiner dunklen Augen konnte einer Frau gefährlich werden. Unter seinem Norwegerpullover und der zerschlissenen Jeans verbarg sich offenbar ein durchtrainierter Körper. Shona ertappte sich dabei, dass sie ihn förmlich anstarrte

    „Wer war das?", fragte sie, als der Mountainbiker an ihnen vorbeigerauscht war.

    „Wer? Ach, der Kerl ist ein Vogelkundler oder so etwas. Er heißt Tevin Russell. Lebt ganz allein auf der Vogelbeobachtungsstation am Scottish Knock. Harmloser Typ, sagt nicht viel."

    Was man von dir nicht gerade behaupten kann, erwiderte Shona in Gedanken. Hatte McBride gar nicht bemerkt, dass dieser Tevin Shonas Interesse geweckt hatte? Wahrscheinlich nicht. Der Rotschopf hielt es gewiss für unvorstellbar, dass sich Frauen noch für andere Männer außer ihm selbst interessieren könnten.

    „Lass uns doch mal ausgehen, wenn wir dienstfrei haben, schlug McBride vor. „Da können wir dann mal in Ruhe reden.

    „Du redest doch sowieso ununterbrochen, Lachlan. – Aber mal was anderes: Wieso triffst du dich eigentlich nicht mit Catriona? Die ist doch eine sehr attraktive Frau."

    „Ja, aber Catriona ist mir zu kompliziert. Außerdem hat sie angeblich eine Affäre mit einem geheimnisvollen Verehrer. Komischerweise wurde der Kerl aber noch von niemandem gesichtet. Nein, Catriona ist nicht mein Fall. Du gefällst mir viel besser."

    Darauf erwiderte Shona nichts. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass Catriona ihren heimlichen Schwarm erfunden hatte, um vor McBride Ruhe zu haben. Die Idee war nicht schlecht. Shona beschloss auf der Stelle, den Kontakt zu diesem Tevin Russell zu suchen. Selbst wenn sich zwischen ihnen nichts entwickelte, konnte sie ihn gegenüber McBride als ihren neuen Freund verkaufen. Dann würde sie ihr neuer Kollege hoffentlich nicht länger mit seinen Annäherungsversuchen nerven.

    Der Landrover hatte das Dorf schon längst hinter sich gelassen und bretterte über die Schotterpisten, die auf Finnsay als Straßen herhalten mussten. Auf den kargen Wiesen rechts und links von der Fahrbahn weideten unzählige Schafe. Das Kreischen der Seevögel bildete gemeinsam mit dem Brausen des Windes eine ständige Geräuschkulisse, an die sich Shona schon fast gewöhnt hatte. Ein peinliches Schweigen konnte zwischen ihr und McBride nicht entstehen, denn der Polizist plapperte immer weiter.

    „Wenn du mich fragst, ist diese Amy Douglas völlig durchgeknallt. Ich meine, wie kann man sich mit einem Mörder einlassen? Sie hat ihn nämlich erst kennengelernt, als er schon hinter Gittern saß. Also, in Freiheit hat sie ihn nie erlebt. Es sei denn, er versteckt sich bei ihr. Wir müssen die Augen aufhalten, der Typ ist gefährlich. Aber du musst keine Angst haben, ich bin ja bei dir."

    „Ich bin Polizistin, schon vergessen? Und ich kann sehr gut auf mich allein aufpassen."

    Shona konnte es nicht ausstehen, wenn sie wie ein unmündiges Kind behandelt wurde. Schon gar nicht von einem Kollegen, der nur wenig älter war als sie selbst. Bevor sie sich noch mehr aufregen konnte, brachte McBride den Landrover zum Stehen. Mitten in der Einöde erblickten sie ein baufällig aussehendes kleines Haus. Es wirkte finster und bedrohlich. Aber vielleicht lag das auch nur an den dunkelgrauen Regenwolken, die schwer und tief über dem Land hingen. Bis zur Steilküste war es nicht weit. Dahinter erstreckte sich die endlos erscheinende Fläche der blaugrauen Wasserwüste bis zum Horizont.

    Shona musste sich eingestehen, dass sie nun wirklich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube hatte. Das hügelige Gelände bot keine Deckung. Vom Haus aus hatte man den Polizei-Landrover gewiss schon von Weitem gesehen. Wenn sich der entflohene Häftling bei seiner Freundin verkrochen hatte, konnten sie ihn auf gar keinen Fall überrumpeln. Und – dieser Andy Gordon hatte schon gemordet, deshalb war er ja schließlich überhaupt hinter Gittern gewesen.

    Sie biss die Zähne zusammen, stieg aus und ging an McBrides Seite auf die windschiefe Kate zu. Wenn Gordon uns angreift, dann kann mein Kollege den Verbrecher mit einem Wortschwall niederstrecken, dachte Shona voller Galgenhumor. Und tatsächlich hielt McBride auch in diesem Moment nicht seinen Mund.

    „Wenn Amy Douglas daheim ist, überlässt du das Reden am besten mir, Shona."

    „Du redest doch sowieso ununterbrochen."

    „Ich bin schließlich schon länger auf Finnsay und hatte bereits Kontakt zu der Verdächtigen", fuhr der rothaarige Polizist unbeirrt fort. Dann klopfte er mit der Faust gegen die hölzerne Tür.

    „Miss Douglas? Öffnen Sie bitte. Hier ist die Polizei."

    Shona ertappte sich dabei, dass sie nervös mit ihrem Schlagstock spielte. Ihr wurde bewusst, dass sie soeben ihren ersten echten Polizeieinsatz nach der Ausbildung erlebte. Was würde geschehen? Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Es war nur zu hoffen, dass man ihr ihre Unsicherheit nicht an der Nasenspitze ansah.

    Nach einem Moment, der Shona wie eine halbe Ewigkeit vorkam, öffnete sich die Tür langsam und knarrend. Sie kniff die Augen zusammen, denn im Inneren des Hauses herrschte schummriges Halbdunkel. Es roch nach Zigarettenrauch, scharfem Lösungsmittel und Farben.

    Eine Frau erschien in der Türöffnung. Sie war Ende zwanzig und trug ihr langes Blondhaar im filzigen Rasta-Stil. Als sie den Polizisten erblickte, seufzte sie genervt.

    McBride geht ihr also auf den Zwirn, dachte Shona. Da haben wir doch wenigstens schon mal eine Gemeinsamkeit.

    „Ach, die werte Staatsmacht, sagte die Rasta-Frau ironisch. „Hatten Sie Sehnsucht nach mir, Officer McBride?

    „Keineswegs. Wir wollten uns nur nach Ihrem Befinden erkundigen, Miss Douglas. Schließlich wohnen Sie ganz allein hier draußen. Wir wollten uns nur vergewissern, dass es Ihnen gut geht. – Das ist übrigens meine Kollegin Officer McGill."

    „Ich bin Amy Douglas, aber das hat Ihnen Ihr Kollege gewiss schon gesagt. Sie wollen nicht zufällig bei mir herumschnüffeln und checken, ob ich Andy irgendwo versteckt habe?"

    Während sie sprach, wanderte der Blick der Verdächtigen von Shona zu McBride und wieder zurück. Shona wusste nicht, ob sie antworten sollte. Doch plötzlich stieß die Rasta-Frau ihre Haustür sperrangelweit auf. Bei der unerwarteten Bewegung zuckte Shona zusammen. Amy Douglas lachte heiser.

    „Nervös, Officer McGill? Dabei wollte ich doch nur die brave Staatsbürgerin spielen und Sie in mein Haus einladen. Ich habe nämlich nichts zu verbergen!"

    Amy Douglas öffnete zur Bekräftigung ihrer Worte auch die Fensterläden. Trübes Licht fiel herein.

    „Na los, nicht so schüchtern. Kommen Sie rein, alle beide. Wenn Sie hier überall herumgeschnüffelt haben, lassen Sie mich vielleicht eine Zeitlang in Ruhe."

    Die beiden Polizisten betraten das Haus. Es musste wirklich eine ehemalige Fischerkate sein. Es bestand aus einem einzigen Wohnraum, außerdem einer winzigen Küche und einem nachträglich eingebauten Bad in einer kleinen Kammer. Überall herrschte Unordnung. Das Bett war nicht gemacht. Aber nichts deutete darauf hin, dass dort mehr als eine Person geschlafen hatte. Auch in der Küche und im Bad gab es keine Hinweise auf den flüchtigen Verbrecher. Das allgegenwärtige Chaos ließ Shona kalt. Aber sie konnte ihren Blick nicht von einer Leinwand auf einer Staffelei abwenden.

    Amy Douglas hatte offensichtlich gerade gemalt, bevor Shona und McBride erschienen waren. Eine Palette und benutzte Pinsel lagen auf einer schmutzigen Kiste. Die Hausbewohnerin hatte offenbar großes künstlerisches Talent, jedenfalls nach Shonas Meinung. Die junge Polizistin verstand nicht viel von Kunst, aber das Gemälde schlug sie in seinen Bann.

    Es stellte eine Fratze dar, die sich in einer Felsspalte verborgen hielt. Dabei hatte die Malerin so geschickt mit dem Lichteinfall gearbeitet, dass Teile des Gesichtes in der Finsternis verborgen blieben. Und das ist auch gut so, dachte Shona. Das, was man erkennen konnte, war furchtbar genug. Amy Douglas hatte es geschafft, mit Pinsel und Farben absolute Bosheit darzustellen. Jeder Maskenbildner eines Horrorfilms hätte die Malerin um ihr Talent beneidet. Shona konnte ihren Blick nicht von dem Schreckgespenst abwenden, denn sie fühlte sich gleichzeitig auch zu der Gestalt hingezogen. Eine Aura des Geheimnisses umgab das Bild. Amy Douglas musste wirklich eine blühende Fantasie haben, wenn sie sich so ein Wesen ausdenken konnte.

    Die ironische Stimme der Malerin ertönte unmittelbar hinter Shona.

    „Sie sind ja völlig von den Socken, Officer McGill. Spielen Sie die Kunstkennerin, wenn Sie nicht gerade die Welt vor den bösen Buben retten?"

    Shona drehte sich langsam um. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn man sie auf den Arm nahm. Gleichzeitig wusste sie, dass sie sich zusammenreißen musste. Immerhin war sie im Dienst. Also antwortete sie so ruhig wie möglich.

    „Nein, ich habe nicht wirklich Ahnung von Gemälden. Ich habe mich nur gefragt, warum in Ihrem Kopf solche Schreckgestalten entstehen."

    Amy Douglas lachte.

    „Ich muss Sie enttäuschen. Diese Kreatur, die sie dort sehen, gibt es wirklich. Sie wird die Sturmhexe genannt."

    2. Kapitel

    Shona blieb ruhig, jedenfalls äußerlich. Sie hatte irgendwo einmal gehört, dass man Geisteskranken nicht widersprechen sollte. Womöglich griff diese Amy Douglas völlig unvermittelt zu einem Messer oder wurde auf andere Art gemeingefährlich. Also trat Shona möglichst unauffällig einen Schritt nach hinten. Dabei lächelte sie und tat so, als hätte die Malerin gerade etwas völlig Normales gesagt.

    „Aha, so ist das also. – Sind wir hier fertig, Lachlan?"

    Der rothaarige Polizist nickte.

    „Ja, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Sie können sich jederzeit an die Polizei wenden, wenn Sie in Schwierigkeiten geraten, Miss Douglas."

    „Mir geht es gut. Und es ginge mir noch besser, wenn Sie nicht ständig mein Haus überwachen würden. Andy Gordon kriegen Sie sowieso nicht. Der ist nämlich einfach zu clever."

    Darauf erwiderten weder Shona noch McBride etwas, obwohl der Polizist sonst immer das letzte Wort haben musste. Erst als sie wieder im Landrover saßen, machte Shona ihrem Herzen Luft.

    „Mann, diese Amy ist ja völlig durchgeknallt! Ich dachte, sie springt mir gleich an die Kehle. Hast du gar nichts gemerkt, Lachlan? Ich habe dich angeschaut, aber du hast einfach nur in ihrem Krimskrams gewühlt."

    „Hattest du etwa Angst vor der Verdächtigen? Das brauchst du nicht, ich bin doch bei dir. Außerdem war die Situation nicht brenzlig, sondern völlig normal."

    „Normal? Shona riss ihre Augen weit auf. „Findest du es etwa normal, dass diese Amy Douglas an die Existenz einer Sturmhexe glaubt? Und dieses Schreckgespenst auch noch malt? Hat die Horrorgestalt ihr vielleicht sogar Modell gesessen?

    McBride zuckte mit den Schultern, während er den Streifenwagen wieder Richtung Dorf lenkte.

    „Das kannst du nicht wissen, aber die meisten Bewohner von Finnsay sind überzeugt, dass die Sturmhexe wirklich existiert. Schon ihre Urväter haben darüber geredet, und auf einer solch abgelegenen Insel gelten Traditionen und Überlieferungen noch etwas."

    Ob McBride sie an der Nase herumführen wollte? Shona warf einen misstrauischen Seitenblick auf sein Gesicht. Aber noch nie, seit sie ihn kannte, hatte der Polizist so ernst gewirkt.

    „Die Sturmhexe ist so eine Art böser Geist, der mit der Insel verwoben ist, Shona. Sie wohnt in den Nordhöhlen, so heißt es. Kein Einheimischer wagt sich in diese Gegend. Tagsüber nicht, und nachts auf gar keinen Fall. Wer die Sturmhexe stört, der ist des Todes. Darum hat sich auch kein Mensch darüber gewundert, dass vor Kurzem dort oben eine junge Frau ums Leben kam."

    „Du willst sagen, ein Spukwesen hätte sie getötet?"

    „Nein, natürlich nicht. Die offizielle Todesursache dieser Frau namens Iona Stacey lautete Tod durch Unfall. Sie stürzte von der Steilküste und brach sich das Genick. Ich wollte damit nur sagen, dass die Leute von Finnsay der Sturmhexe die Schuld geben könnten."

    „So? Und was glaubst du?"

    „Es war eindeutig ein Unfalltod, erwiderte McBride schnell. „Der Fall wurde schon zu den Akten gelegt. – Hey, wo wirst du überhaupt wohnen?

    Shona fiel auf, dass McBride schnell das Thema wechselte. Das war bei einem Schwätzer wie ihm, der ansonsten jede Einzelheit endlos zerredete, besonders auffällig. Ob Shonas neuer Kollege am Ende selbst an diese Sturmhexe glaubte? Shona beschloss, erst einmal nicht mehr auf der Sache herumzureiten. Aber die Sache mit dieser Iona Stacey hatte ihre Neugier geweckt.

    „Die Personalabteilung hat ein Zimmer in einer Pension für mich angemietet, beantwortete sie McBrides Frage. „Bei einer gewissen Norma McCormick.

    „Mistress McCormick ist nett. Ich bringe dich nachher hin. Aber jetzt drehen wir noch eine Runde um die Insel, bevor wir zur Wache zurückkehren. Immerhin müssen wir Polizeipräsenz zeigen."

    Shona verzog den Mund. Nachdem sie das Haus von Amy Douglas hinter sich gelassen hatten, fuhren sie wieder durch eine menschenleere Landschaft mit friedlich weidenden Tieren.

    „Wem willst du denn Polizeipräsenz zeigen? Den Schafen?"

    McBride ließ sich von Shonas schnippischer Bemerkung nicht aus der Fassung bringen.

    „Der Ausbrecher verkriecht sich womöglich irgendwo hier in der Nähe. Wenn er einen Streifenwagen sieht, wird er vielleicht nervös und macht einen Fehler."

    Man kann nur einen entscheidenden Fehler machen, nämlich überhaupt auf diese Insel zu kommen, dachte Shona. Aber sie sagte: „Was denkst du, Lachlan? Hält Amy Douglas ihren Freund auf Finnsay versteckt? Und wenn ja, wo?"

    „Ich weiß nicht, was ich von dieser Frau halten soll. Sie wollte uns unbedingt zeigen, dass sie nichts zu verbergen hat. Aber ich traue ihr nicht über den Weg. Wenn überhaupt, dann kann man in den Nordhöhlen jemanden verstecken. Aber wir würden eine Hundertschaft benötigen, um dieses Labyrinth systematisch durchzukämmen. Solange es keine Hinweise auf den Ausbrecher gibt, kriegen wir niemals Verstärkung für so eine Suchaktion."

    Angeblich wohnt doch in den Nordhöhlen diese Sturmhexe, ging es Shona durch den Kopf. Weshalb hat Amy Douglas überhaupt das Spukwesen gemalt? Kaum hatte sich Shona diese Frage gestellt, da erblickte sie zum zweiten Mal an diesem Tag den attraktiven Mountainbiker. Tevin Russell kam aus einer Nebenstraße und bog dorthin ab, wo das Haus von Amy Douglas stand. Auch McBride bemerkte ihn natürlich.

    „Was hat der denn bei Amy Douglas zu suchen?"

    „Wir können ihn ja mal fragen, Lachlan."

    „Gute Idee."

    McBride stoppte den Streifenwagen und wendete. Sie überholten den Radfahrer. Der Landrover blockierte nun die schmale Schotterpiste. Tevin Russell musste stoppen, wenn er nicht gegen den haltenden Landrover knallen wollte. Shona und McBride stiegen aus.

    „Bin ich zu schnell gefahren, Officer McBride?"

    Die Stimme des jungen Vogelkundlers klang dunkel und weich wie Samt. Er wirkte nicht aggressiv, eher in sich selber ruhend. Shona konnte sich vorstellen, dass er sich sehr wohl fühlte allein in der Natur, nur von Tieren und Stille umgeben. Ob er sich nicht trotzdem manchmal nach einem Menschen sehnte, nach einer Freundin? Sie musste sich eingestehen, dass sie diesen Mann überhaupt nicht mit dienstlichem Blick betrachten konnte. Sie ertappte sich sogar dabei, dass sie eifersüchtig war. Ob da etwas lief zwischen Amy Douglas und Tevin, obwohl die Malerin doch mit dem Ausbrecher Andy Gordon liiert war?

    McBride schüttelte den Kopf.

    „Es ist alles in Ordnung, Mr. Russell. Das ist übrigens meine neue Kollegin Officer McGill. – Nein, wir haben Sie nur angehalten, weil wir uns Sorgen um Sie machen und Sie warnen wollten."

    „Warnen? Wovor?"

    „Ein Gefängnisausbrecher ist flüchtig, ein gewisser Andy Gordon. Es besteht die Möglichkeit, dass er sich auf Finnsay aufhalten könnte. Falls Sie etwas Verdächtiges bemerken, informieren Sie uns bitte sofort."

    Tevin nickte. Er schien kein Freund großer Worte zu sein.

    „Kannten Sie eigentlich Iona Stacey, Mr. Russell?"

    Shona hätte selbst nicht sagen können, warum sie diese Frage gestellt hatte. Vielleicht lag es ja daran, dass sie auch einmal etwas sagen wollte, anstatt immer nur ihrem Kollegen das Reden zu überlassen. Tevin blickte sie an. Ihr lief ein wohliger Schauer über den Rücken, als der Blick seiner Augen auf ihr ruhte.

    „Iona Stacey – das war diese junge Frau, die unter rätselhaften Umständen ums Leben kam, nicht wahr? Nein, ich habe sie nicht gekannt, Officer McGill."

    Du kannst mich ruhig Shona nennen, hätte sie am liebsten gesagt. Aber sie konnte sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge beißen.

    „Wohin wollten Sie gerade, Mr. Russell?", meldete sich nun McBride wieder zu Wort.

    „Ich habe kein bestimmtes Ziel, fahre einfach in der Gegend herum."

    „In Ordnung, Mr. Russell. Das wäre von unserer Seite erst einmal alles. Und seien Sie vorsichtig, der Ausbrecher gilt als sehr gefährlich."

    „Ich werde die Augen offenhalten. – Good bye, Officers."

    Shona und McBride stiegen wieder in den Landrover und ließen den Mountainbiker vorbei.

    „Ich wette, der fährt zu Amy Douglas. – Warum hast du ihn eigentlich nach Iona Stacey gefragt, Shona?"

    „Reine Neugier. Was meinte er eigentlich mit den geheimnisvollen Umständen von Iona Staceys Tod?"

    „Ach, daran war eigentlich nichts mysteriös. Zivilisten können so etwas bloß nie richtig einschätzen, das ist alles. Die machen gerne aus einer Mücke einen Elefanten."

    Tevin machte eigentlich nicht den Eindruck, als ob er auf Übertreibungen stehen würde. Aber Shona wusste, dass sie voreingenommen war. Dieser Typ ließ sie ganz und gar nicht kalt. Ob es daran lag, dass sie schon länger keinen Freund mehr gehabt hatte? Oder war es einfach seine natürliche und überzeugende Ausstrahlung, die Shona so beeindruckte? Sie wusste es nicht. Einstweilen konnte sie nur hoffen, dass ihr Kollege nicht bemerkte, was mit ihr los war.

    Shona war dabei, sich bis über beide Ohren in Tevin zu verlieben – und das, obwohl sie bisher nur ein kurzes und außerdem noch dienstliches Gespräch mit ihm geführt hatte.

    Während sie die Patrouillenfahrt fortsetzten, griff Shona wie zufällig zur Landkarte der Insel, die auf dem Armaturenbrett lag. Groß war Finnsay wahrhaftig nicht. Daher benötigte sie auch nicht lange, um die Landzunge namens Scottish Knock zu finden. Dort sollte sich ja die Vogelstation befinden, wo Tevin arbeitete.

    Allzu weit war sie gar nicht vom Dorf entfernt, nur ein paar Meilen. Shona spielte bereits mit dem Gedanken, dort einmal mehr oder weniger unauffällig vorbeizufahren – selbstverständlich, wenn sie dienstfrei hatte. Immerhin war sie gerade erst auf der Insel angekommen. Da war es doch verständlich, dass sie ihre neue Heimat kennenlernen wollte.

    Nach der Rückkehr zur Station erstatteten Shona und McBride dem Sergeant Bericht.

    „Gegen Amy Douglas selbst liegt nichts vor, stellte Ewan Kennedy nickend fest. „Und es ist auch kein Verbrechen, grässliche Sagengestalten zu malen. Trotzdem sollten wir sie im Auge behalten. Es ist gut vorstellbar, dass sie heimlich Kontakt zu ihrem entflohenen Liebsten hat.

    „Könnte Andy Gordon vielleicht hinter dem Tod von Iona Stacey stecken, Sir?", platzte Shona heraus. Der Vorgesetzte hob eine seiner buschigen Augenbrauen.

    „Woher wissen Sie denn von dem Fall Iona Stacey, Officer McGill?"

    „Ich habe ihr davon berichtet, sagte McBride. Und er fügte schnell hinzu: „Und ich habe die Kollegin auch schon davon informiert, dass es ein ganz normaler Unfall war.

    „So, haben Sie das, knurrte der Sergeant. Dann wandte er sich wieder an Shona. „Der Fall Iona Stacey ist abgeschlossen. Und übrigens kann der entflohene Raubmörder schon allein deshalb nicht für den Tod der jungen Frau verantwortlich sein, weil er zum Zeitpunkt ihres Todes noch im Staatsgefängnis einsaß.

    „Aber könnte nicht doch jemand bei ihrem Absturz von der Steilküste nachgeholfen haben?"

    Kaum hatte Shona diese Frage gestellt, als auch schon ein gekünsteltes Lachen von Catriona Bannister ertönte. Die blonde Polizistin blickte von ihrer Arbeit auf.

    „Unsere kleine Polizeischülerin will wohl zeigen, was sie alles gelernt hat!"

    Der Sergeant warf Catriona einen wütenden Blick zu, worauf sie sich sofort wieder über ihre Tastatur beugte. Shona war stocksauer, zumal auch McBride über Catrionas blöden Spruch gegrinst hatte. Wahrscheinlich kam auch er sich unendlich viel erfahrener vor als Shona.

    „Der Fall ist wie gesagt abgeschlossen, Officer McGill. Machen Sie sich lieber in den nächsten Tagen erst mit unseren Abläufen hier auf der Wache vertraut. Außerdem werden Sie weiterhin mit Officer McBride Patrouillendienst verrichten und nach Hinweisen auf den flüchtigen Andy Gordon Ausschau halten."

    „Jawohl, Sir", brachte Shona hervor. Sie konnte sich gerade noch eine freche Bemerkung verkneifen. Wenn das so weiterging, würde diese Catriona bald Ärger mit ihr kriegen. Shona konnte es nicht ausstehen, wenn man sich auf ihre Kosten amüsierte. Was hatte sie der dummen Kuh denn getan? Es war schwer genug, wenn man irgendwo in fremder Umgebung neu anfangen musste. War Catriona bisher so eine Art Henne im Korb gewesen und fürchtete nun Shona als eine junge Konkurrentin? Oder gehörte sie zu den Frauen, denen die Stutenbissigkeit einfach im Blut lag?

    Shona wusste es nicht. Für sie stand nur fest, dass ihr Interesse am Tod dieser Iona Stacey nun erst recht geweckt war. Der Rest ihres ersten Arbeitstages ging mit einer umständlichen Einweisung durch den Sergeant zu Ende. Ihr schwirrte bald der Kopf von all den Dienstanweisungen und Notfallplänen. Endlich schaute Ewan Kennedy auf seine Uhr.

    „Sie können jetzt Feierabend machen, Officer McGill. Das Personalbüro hat für Sie ein Zimmer in der Pension von Mistress McCormick angemietet. Wir sehen uns dann morgen früh."

    „Danke, Sir. – Good bye."

    McBride sprang auf.

    „Warte, ich fahre dich."

    „Nein, danke. Ich will mir noch die Beine vertreten. Und so groß ist das Dorf ja nicht."

    Shona griff sich ihre Reisetasche, die sie schon zuvor aus dem Landrover geholt hatte, und rauschte mit hoch erhobenem Kopf aus der Polizeistation. Dieser blöde McBride sollte sich bloß nichts einbilden, nur weil sie gemeinsam mit ihm Dienst tun musste. Außerdem fand sie es unmöglich, dass er über Catrionas missglückten Witz gegrinst hatte. Oder war sie selbst einfach nur zu empfindlich?

    Das war natürlich auch eine Möglichkeit. Doch Shona musste sich eingestehen, dass sie bereits an ihrem ersten Tag auf Finnsay Heimweh hatte. Sogar in der Polizeischule von Inverness wäre sie lieber gewesen als hier. War es am Ende eine Schnapsidee gewesen, sich auf diese abgelegene Insel versetzen zu lassen?

    Hier kannte natürlich jeder jeden. Die Einheimischen wussten vermutlich längst, dass eine neue Polizistin angekommen war. Sie fragte einen älteren Mann nach dem Weg zur Pension von Mrs. McCormick. Natürlich wusste er, wo das war. Bereits fünf Minuten später stand sie vor der Tür des weiß getünchten einstöckigen Hauses und klopfte.

    Mrs. McCormick erwies sich als eine freundliche ältere Lady mit Strickjacke und leicht blaustichiger Dauerwelle. Sie lächelte Shona freundlich zu, nachdem sie geöffnet hatte.

    „Hallo, du musst die Shona sein. Ich darf dich doch duzen? Ich duze alle meine Gäste, das hält mich jung. Falls ich jemals kriminell werden sollte, kann ich ja immer noch Officer McGill zu dir sagen."

    Shona lächelte. Der Humor der Pensionswirtin gefiel ihr.

    „Einverstanden. Und wie soll ich Sie anreden?"

    „Sag einfach Tante Norma zu mir, das tun alle. – Du willst gewiss gleich dein Zimmer sehen."

    Shona nickte. Allmählich machte sich bei ihr Erschöpfung bemerkbar. Ihr erster Arbeitstag war zwar nicht sehr anstrengend gewesen, aber sie hatte die ganze Zeit unter einer großen Anspannung gestanden. Erst jetzt fiel der Stress allmählich von ihr ab, und zwar vor allem dank Tante Normas herzlicher Art.

    Die Pensionswirtin führte die junge Polizistin in ein Zimmer im Obergeschoss. Das einzige Fenster bot einen Ausblick auf den Hafen und die offene See. Es war gemütlich eingerichtet. Einen Fernseher gab es nicht, dafür aber ein kleines Ölgemälde. Shona war erleichtert, dass darauf nicht die Sturmhexe dargestellt wurde, sondern ein altmodisches Segelschiff.

    „Das Zimmer ist gut", sagte sie und meinte es auch so.

    „Es freut mich, dass es dir gefällt, Shona. Ich habe es heute Morgen noch geputzt. Vor dir wurde es von dieser jungen Frau bewohnt, die so ein schreckliches Schicksal erlitten hat."

    Shona war plötzlich wieder hellwach.

    „Sprechen Sie von Iona Stacey?"

    „Ja, das war ihr Name. Ist es nicht schrecklich, dass sie sterben musste? Man wird wohl nie erfahren, was wirklich mit ihr geschehen ist."

    „Haben meine Kollegen das Gepäck der Frau durchsucht?"

    „Ja, ihre Habseligkeiten wurden von den Officers mitgenommen."

    Ob es im Gepäck weitere Hinweise gegeben hatte? Falls ja, dann würde das zweifellos in der Akte stehen.

    „Bei der Polizei heißt es, ihr Tod wäre ein tragischer Unfall gewesen."

    Shonas Bemerkung konnte sowohl eine Frage als auch eine Feststellung sein. Tante Norma machte eine Geste, die alles oder nichts bedeuten konnte.

    „Ich war nicht dabei. Du hast vielleicht schon gehört, dass wir Einheimischen nicht zu den Nordhöhlen gehen."

    „Wegen der Sturmhexe?"

    Diese Frage war Shona so herausgerutscht, aber die Pensionswirtin schien keinen Anstoß daran zu nehmen.

    „Genauso ist es. Man muss das Schicksal nicht herausfordern, sage ich immer. Iona Stacey hätte sich lieber mit dem netten jungen Mann treffen sollen, der öfter am Gartenzaun auf sie gewartet hat. Es war Wahnsinn, sich allein dort oben bei den Nordhöhlen herumzutreiben. Das musste ja schiefgehen."

    „Was für ein junger Mann?", hakte Shona nach.

    „Er hat in der Dämmerung auf sie gewartet, und dann sind sie zusammen weggegangen. Aber am Tag, an dem das arme Ding starb, habe ich ihn nicht gesehen."

    „Kannten Sie den jungen Mann, Tante Norma? Wie sah er aus?"

    „Seinen Namen kann ich dir nicht sagen. Aber ich könnte ihn dir beschreiben."

    Das tat die Pensionswirtin gleich darauf. Shona konnte ihre Aufregung kaum verbergen. Es hätte sehr gut Tevin Russell sein können, den die ältere Frau an ihrem Gartenzaun gesehen hatte.

    „Haben Sie diese Beobachtung auch meinen Polizeikollegen mitgeteilt?"

    „Es hat mich niemand danach gefragt. – Wieso, habe ich etwas falsch gemacht?"

    „Nein, Tante Norma, Sie nicht."

    Shona war geschockt. Entweder war hier schlampig ermittelt worden – oder jemand hatte bewusst versucht, die Wahrheit unter den Teppich zu kehren. Aber warum? Welches Geheimnis umgab Iona Staceys Tod? Auf der Polizeischule hatte Shona gelernt, dass man allen Hinweisen nachgehen musste. Das war in diesem Fall offenbar nicht geschehen. Sie wollte am nächsten Tag unbedingt versuchen, einen Blick in die Akte zu werfen.

    „Du bist ja so blass, Shona, sagte Tante Norma besorgt. „Willst du vielleicht lieber ein anderes Zimmer? Ich habe noch drei weitere freie Kammern.

    „Nein, das ist nicht nötig. Ich muss bloß gleich noch nach draußen gehen. Heute habe ich eindeutig zu lange auf der Wache gesessen."

    „Das ist eine gute Idee, mein Kind. Zu deinem Zimmer gehört übrigens auch ein kostenloses Leihfahrrad. Damit kannst du unsere schöne Insel erkunden. Es ist eigentlich nicht möglich, sich zu verirren. Alle Wege führen irgendwann auf die große Rundstraße, und die beginnt und endet im Dorf."

    Die Pensionswirtin zeigte Shona gleich noch den Fahrradschuppen hinter dem Haus.

    „Ich lasse dich jetzt in Ruhe, damit du erst einmal richtig hier ankommen kannst. Wenn du etwas brauchst – du findest mich meist in der Küche."

    „Danke, Tante Norma."

    Shona packte zunächst ihre Reisetasche aus. Dann stellte sie sich unter die Dusche. Während das heiße Wasser über ihren Körper rann, ordnete sie ihre Gedanken.

    Sie fühlte sich stark zu Tevin hingezogen, er gefiel ihr besser als jeder andere Typ. Und das, obwohl sie so gut wie nichts über ihn wusste. Doch das, was ihr bekannt war, gefiel ihr gar nicht.

    Wahrscheinlich hatte er gelogen. Tevin kannte Iona Stacey, hatte sich sogar mit ihr getroffen. Ob er auch ihr Mörder war? Und was für eine Verbindung gab es zwischen dem Vogelkundler und der seltsamen Malerin Amy Douglas? Versteckten sie vielleicht sogar gemeinsam den Ausbrecher Andy Gordon?

    Das war doch mal ein richtiger Kriminalfall. Nach den „Trockenübungen" während der Ausbildung hatte Shona niemals mit so einer Sache zu tun gehabt. Da war alles nur graue Theorie. Aber sie war in erster Linie Polizistin geworden, weil sie unterschiedliche Menschen kennenlernen wollte, denen sie womöglich helfen konnte. Jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, einfach nur Akten hin und her zu schieben. Sie musste draußen auf der Straße arbeiten, notfalls sogar mit einem Knallkopf wie McBride.

    Shona hatte das Gefühl, einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein. Ob sie ihre Kollegen von ihrem Verdacht informieren sollte? Auf der Polizeischule war ihr eingehämmert worden, keine Alleingänge zu starten. Aber andererseits hatte sie keine handfesten Beweise, nur Vermutungen und Verdächtigungen. Sie wollte sich nicht so schnell wieder Catrionas Hohn und Spott aussetzen.

    Nachdem sie sich frottiert hatte und in Jeans und Pullover geschlüpft war, wollte Shona noch eine Runde mit ihrem neuen Leihrad drehen. Zwar war es draußen inzwischen stockfinster, aber das störte sie nicht. Wenn sie sich jetzt schon ins Bett legte, würde sie garantiert nicht schlafen können.

    Sie schnappte sich ihr Fahrrad, dessen Beleuchtung zum Glück einwandfrei funktionierte. Straßenlaternen gab es auf Finnsay außerhalb des Dorfes nicht. Shona lenkte ihr Fahrrad dorthin, wo sie die Vogelbeobachtungsstation von Scottish Knock vermutete. Sie hatte sich die Straßenkarte, die sie im Streifenwagen gesehen hatte, einigermaßen gut eingeprägt.

    Oder?

    Auf der Schotterpiste kam Shona mehr schlecht als recht voran. Wieder einmal träumte sie vom Motorradfahren und ärgerte sich über sich selbst, weil ihr größter Wunsch sie auf dieses gottverlassene Eiland geführt hatte.

    Shona stoppte ihr Fahrrad. Da der Lampendynamo nur im Fahren funktionierte, wurde sie sofort von der Dunkelheit eingehüllt wie von einem schwarzen Vorhang. Die Lichter des Dorfes waren weit hinter ihr verschwunden. Irgendwo musste es eine Abzweigung zum Scottish Knock geben, aber irgendwie konnte sie die Stelle nicht finden.

    Shona hatte sich verirrt. Hinzu kam ein mulmiges Gefühl, eine ungreifbare Bedrohung, die in der Finsternis auf sie lauerte. Sie führte sich vor Augen, dass ein Raubmörder immer noch flüchtig war. Und wenn sich dieser Andy Gordon nun wirklich auf Finnsay aufhielt?

    Es war vielleicht nicht die allerbeste Idee gewesen, ganz allein bei Dunkelheit die Insel zu erkunden. Ihre Pistole hatte Shona nicht bei sich, die wurde nach Dienstende vorschriftsmäßig auf der Wache eingeschlossen.

    Spielte ihre Fantasie ihr einen Streich? War sie gar nicht in Gefahr? Sie horchte. Waren es nur nachtaktive Tiere, die winzige Geräusche verursachten? Oder schlich sich jemand im Schutz der Finsternis an sie heran?

    Plötzlich musste sie auch wieder an die Legende von der Sturmhexe denken. Schaudernd erinnerte sich Shona an die bildliche Darstellung auf der Staffelei im Haus der Malerin. Die Polizistin glaubte nicht an Geister und Gespenster. Und doch konnte sie vor der unheimlichen Atmosphäre auf Finnsay nicht ihre Augen verschließen.

    Ob es beim Tod von Iona Stacey wirklich nicht mit rechten Dingen zugegangen war? Kaum war Shona dieser Einfall gekommen, da ärgerte sie sich schon über sich selbst. Sie musste Fakten sammeln statt mit der Geisterseherei anzufangen.

    In ihrer Nähe stieß ein Schuh gegen einen Stein. Dieses Geräusch kannte Shona. Übersinnliche Wesen bewegen sich gewiss nicht auf Füßen vorwärts, sagte sie sich. Entschlossen wendete sie ihr Rad und stieg wieder in die Pedale. Der Dynamo sirrte, und gleich darauf erschien ein fahler Lichtkegel vor ihrem Vorderrad.

    In dem blassen Scheinwerferlicht erblickte sie Tevin Russell!

    Der Vogelkundler hatte offenbar eine starke Taschenlampe bei sich, die er nun ebenfalls einschaltete. Das Licht blendete Shona.

    „Verflixt, lassen Sie das! Runter mit der Lampe!", rief Shona aufgebracht. Erneut musste sie ihr Fahrrad stoppen. Tevin hatte sie richtig geblendet. Obwohl er die Lampe sofort wieder ausschaltete, tanzten rote Kreise vor ihren Augen.

    „Verzeihen Sie, Officer McGill. Ich habe Sie zuerst nicht gesehen."

    Seine Stimme war genauso sanft wie bei ihrer ersten Begegnung am Nachmittag. Aber Shona musste jetzt ihre schlechte Laune an jemandem ablassen.

    „Den Officer können Sie weglassen, ich bin nicht im Dienst. Das ist Ihr Glück, sonst würde ich Sie wegen Behinderung von Polizeiarbeit verhaften!"

    „Woran arbeiten Sie denn gerade, wenn Sie nicht gar nicht im Dienst sind?"

    Tevins trockene Bemerkung nahm Shona den Wind aus den Segeln. Sie musste unwillkürlich über sich selbst grinsen. Einen ähnlichen Spruch von Catriona hätte sie nicht so gut wegstecken können. Aber das lag einfach daran, dass sie Tevin mochte – und ihre blonde Kollegin nicht.

    „Okay, ich mache eine Radtour einfach zu meinem Vergnügen. Könnten Sie die Lampe bitte wieder einschalten, aber diesmal nicht auf mein Gesicht richten?"

    „Sicher."

    Tevin zielte mit dem Lichtkegel nun auf die Schotterpiste. Er war gekleidet wie am Nachmittag, trug nun allerdings zusätzlich noch einen Anorak. Außerdem hatte er eine Umhängetasche bei sich. Shona führte sich vor Augen, wie gut Tante Normas Beschreibung auf ihn passte. Ob Shona ihn direkt auf seine Bekanntschaft mit Iona Stacey ansprechen sollte? Nein, es war nicht gut, sich in die Karten schauen zu lassen. Sie wollte zunächst versuchen, ihn möglichst unauffällig auszuhorchen.

    „Wie wäre es, wenn wir uns duzen?", schlug sie resolut vor.

    „Gerne – Shona. Hast du vielleicht Lust auf einen Tee in der Beobachtungsstation? Nachts kann es auf Finnsay ziemlich kalt werden."

    „Ja, das ist eine tolle Idee, Tevin."

    Shona sagte sich, dass Tevin den Gefängnisausbrecher wohl kaum in der Vogelwarte versteckt halten würde, wenn er eine Polizistin mit dorthin nahm. Aber andererseits wollte er sie vielleicht auch einfach nur in Sicherheit wiegen, um den Verdacht von sich abzulenken.

    „Gehst du oft nachts spazieren?", fragte sie beiläufig. Sie schob das Fahrrad, während Tevin neben ihr mit seiner Lampe den Weg beleuchtete.

    „Das gehört zu meiner Arbeit. Ich kontrolliere die Brutplätze, die sind dort weiter östlich. Dabei schalte ich meine Leuchte natürlich aus, denn ich will ja die Tiere nicht erschrecken. Aber man gewöhnt sich an die Finsternis. Ich kann mich inzwischen im Dunkeln ganz gut zurechtfinden."

    „Wie lange bist du denn schon Vogelkundler?"

    „Eigentlich studiere ich Biologie. Diesen Job hier habe ich seit einem halben Jahr."

    „Ist es nicht manchmal einsam in der Vogelwarte?"

    Auf diese Frage erwiderte Tevin nichts. Shona glaubte schon, sie wäre in ein Fettnäpfchen getreten. Warum war sie nur immer so impulsiv? Oft redete sie, ohne vorher zu denken. Damit hatte sie sich schon in der Polizeischule jede Menge Ärger eingehandelt. Wieder einmal nahm sie sich vor, in Zukunft etwas zurückhaltender zu sein.

    Shona suchte innerlich fieberhaft nach einem unverfänglichen Thema. Aber alles, was ihr einfiel, hatte mit der Sturmhexe, der toten Iona Stacey oder dem flüchtigen Verbrecher Andy Gordon zu tun. Und darüber wollte sie nun wirklich nicht mit Tevin reden, jedenfalls nicht im Moment.

    Zum Glück erreichten sie nun erst einmal die Beobachtungsstation. Sie bestand nur aus einer alten Fischerkate, die sogar noch kleiner war als das Haus von Amy Douglas. Tevin schaltete das Licht ein. Auf die wissenschaftliche Arbeit wiesen nur ein PC sowie diverse Fachbücher hin. Es gab auch einen Stapel Fotos von Möwen und anderen Seevögeln. Da Tevin im gleichen Raum lebte und arbeitete, erblickte Shona auch sein Bett, auf dem eine Gitarre lag.

    „Ich habe auch früher mal gespielt!, rief sie spontan. Shona war froh, eine Gemeinsamkeit mit Tevin gefunden zu haben. „Darf ich?

    „Sicher, ich habe nichts dagegen. Ich setze schon mal Teewasser auf."

    Er verschwand hinter einer schmalen Tür, wo sich offenbar die Küche befand. Shona setzte sich auf sein Bett und zog ihre Jacke aus. Sie stimmte die Gitarre ein wenig nach, dann entlockte sie ihr die ersten Akkorde. Wie lange war es her, dass sie gespielt hatte? Während der Jahre in der Polizeischule hatte sie jedenfalls kein Instrument angefasst.

    „I don‘t want to change the world

    I‘m not looking for a New England

    I‘m just looking for another girl."

    Unwillkürlich hatte Shona mit dem Singen begonnen. Sie fand eigentlich nicht, dass ihre Stimme sich besonders gut anhörte. Aber Tevin applaudierte trotzdem, nachdem er die dampfenden Teebecher auf dem Tisch abgestellt hatte.

    Es war eine seltsame, aber romantische Atmosphäre entstanden, wie Shona fand. Ob Tevin das genauso empfand? Es fühlte sich für sie jedenfalls so an, als ob sie ihn schon ewig kennen würde. Und diese Vogelwarte war ihr plötzlich so vertraut, als ob sie dort selbst seit Jahren wohnen würde. Und zwar gemeinsam mit Tevin. So etwas war ihr bis zu diesem Abend noch nie passiert. Doch nun riss seine Stimme sie aus ihrem Gefühlswirrwarr.

    „Hey, das klingt nicht übel. Und ich hätte nicht gedacht, dass eine Polizistin ausgerechnet etwas von Billy Bragg spielt, dem One-Man-Punk-Orchestra. – Und ein Tattoo hast du auch."

    Er deutete auf Shonas linken Oberarm. Dort waren die Worte DION IS CUIDICH eintätowiert, umrankt von einer Girlande im keltischen Stil.

    „Was hat das zu bedeuten?

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