Die Kulturbeziehungen zwischen der Volksrepublik Ungarn und den beiden deutschen Staaten A Magyar Népköztársaság és a két német állam közti kulturális kapcsolatok (1949-1989/90)
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Andreas Schmidt-Schweizer
Dr. phil. Andreas Schmidt-Schweizer, M.A. Historiker mit Schwerpunkt deutsche und ungarische Zeitgeschichte Studium in München und Freiburg i.Br. Stipendiat der Universität Freiburg, des DAAD, des Budapester Europa-Instituts und der Gerda Henkel Stiftung Seit 2005 Wissenschaftler am Institut für Geschichtswissenschaft des Zentrums für Humanwissenschaften in Budapest
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Die Kulturbeziehungen zwischen der Volksrepublik Ungarn und den beiden deutschen Staaten A Magyar Népköztársaság és a két német állam közti kulturális kapcsolatok (1949-1989/90) - Andreas Schmidt-Schweizer
Einleitende Bemerkungen
Die vorliegende Untersuchung¹ behandelt die deutsch-ungarischen kulturellen Beziehungen in den vier Jahrzehnten von 1949 bis 1989/90, sie befasst sich also mit den Kulturkontakten der Volksrepublik Ungarn zu den beiden deutschen Staaten und mit den Kulturbeziehungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zu Ungarn während der Ära der bipolaren Weltordnung. Damit thematisiert sie einen – bislang nicht behandelten – Teilbereich der deutsch-ungarischen Beziehungsgeschichte, der sich nicht nur inhaltlich sehr komplex und vielschichtig gestaltete, sondern der auch hinsichtlich seines Verlaufs besonders wechselvoll und spannungsgeladen war sowie stark von antagonistischen weltanschaulichen Faktoren beeinflusst wurde.² In dieser historischen Epoche, die durch die Zweiteilung der Welt, Europas und Deutschlands geprägt war, mussten die Blockkonfrontation und vor allem auch die Deutsche Frage besondere Auswirkungen auf die Entwicklung der deutsch-ungarischen Kulturkontakte haben.
In meiner Überblickstudie versuche ich, die deutsch-ungarischen kulturellen Beziehungen mit Blick auf Zielsetzungen, Maßnahmen und tatsächliche Ergebnisse zu skizzieren. Hierbei stelle ich den Wandel des Beziehungsgefüges anhand einer Einteilung in sechs, klar voneinander zu unterscheidende Phasen dar. Diese Periodisierung ergibt sich in erster Linie aus der sich verändernden Intensität und Qualität der Kulturkontakte sowie aus dem sich verschiebenden Gewicht der beiden deutschen Staaten im ungarischen Kulturleben. Über die empirisch-deskriptive Ebene hinaus beabsichtige ich, vor dem Hintergrund der innen-, deutschland- und weltpolitischen Geschehnisse Erklärungen für die festgestellten Entwicklungen zu geben und einige grundsätzliche Probleme dieser schwierigen „Dreiecksbeziehung"³ herauszustellen. Natürlich kann ich in diesem Rahmen nur auf einige, mir grundlegend erscheinende Aspekte eingehen und zur Illustration nur fallweise konkrete, paradigmatische Beispiele anführen. Auf eine Darlegung der Diskussionen innerhalb der Führungsgremien der drei Staaten muss aus Gründen des Umfangs verzichtet werden. Abschließend werfe ich einen kurzen Blick auf die langfristigen, bis heute relevanten Auswirkungen dieser kulturellen Beziehungsgeschichte.
Die Schlüsselbegriffe „Kulturbeziehungen, „Außenkulturbeziehungen
bzw. „auswärtige Kulturpolitik bedürfen einer Erläuterung.⁴ Kulturbeziehungen können sich einerseits auf der offiziellen staatlichen Ebene (Staat und Länder) abspielen, wobei sie auf zwischenstaatlichen Verträgen, Vereinbarungen und Absprachen beruhen. Kulturelle Kontakte können andererseits aber auch unterhalb dieser Ebene zustande kommen, also im nicht offiziell zwischenstaatlich geregelten Bereich. Akteure der auswärtigen Kulturbeziehungen sind staatliche Organe oder staatlich kontrollierte Institutionen, vom Staat unmittelbar oder mittelbar beeinflusste Einrichtungen, private Vereinigungen oder Unternehmen, Vereine und Künstlerensembles usw. sowie Privatpersonen. In der hier behandelten Epoche kommt der staatlichen Ebene bzw. den staatlich regulierten Aktivitäten – vor allem wegen des Charakters der sozialistischen Systeme – eine zentrale Rolle zu. Als Kulturbeziehungen selbst betrachte ich in erster Linie die Kontakte auf den Gebieten Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Hochschulwesen, Kunst (Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei, Theater, Film), Sprachpflege, Jugendkontakte, Sport und Massenmedien.⁵ Bei den Wissenschaftsbeziehungen unterscheide ich zwischen dem – ideologisch weniger „sensiblen
– technisch-naturwissenschaftlichen Bereich und den – weltanschaulich problematischeren – Geistes- und Sozialwissenschaften. „Auswärtige Kulturpolitik, „Außenkulturpolitik
bzw. „Kulturdiplomatie" sind Mittel zur Gestaltung der kulturellen Außenbeziehungen. Wie in der Außenpolitik überhaupt handelt es sich hierbei – entgegen aller idealistischen Rhetorik und der Betonung des Prinzips der Gegenseitigkeit (Reziprozität) – selbstverständlich auch immer um nationale Interessen- und Machtpolitik,⁶ deren Ziele zu hinterfragen sind.
Die bipolare Weltordnung⁷ als weltpolitischer Hintergrund dieser Epoche und die sich aus ihr ergebenden Konflikte und Handlungszwänge bestimmten den politischen Aktionsradius der drei Staaten in ihrer jeweiligen Bündniskonstellation auch in der Außenkulturpolitik auf entscheidende Weise. Der Begriff „deutsche Frage"⁸ betrifft jene Probleme, die sich aus der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben, und vor allem diejenigen Spannungen, die dadurch entstanden, dass sich beide deutsche Staaten gegenüber dem Ausland als Vertreter der deutschen Staatlichkeit, Nation und Kultur profilieren wollten. Die deutsche Teilung führte damit zwangsläufig zu einer scharfen Konkurrenz in den kulturpolitischen Bestrebungen der beiden deutschen Staaten, die Drittländer wie Ungarn in Rechnung stellen mussten.⁹
Nach dem Zusammenbruch der zwischenstaatlichen Beziehungen infolge der Auflösung des Dritten Reichs, der Besetzung Deutschlands und Ungarns durch die Alliierten und der gewaltsamen Vertreibung von etwa der Hälfte der 400.000 Ungarndeutschen aus ihrer Heimat¹⁰ kann erst im Herbst 1949 von einem Neuanfang in den deutsch-ungarischen Kulturbeziehungen gesprochen werden. Unter den Bedingungen des sich verschärfenden Kalten Kriegs und des Stalinismus konnte es sich dabei anfänglich ausschließlich um Beziehungen zwischen der am 20. August 1949 proklamierten Volksrepublik Ungarn und der am 7. Oktober 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik handeln.
¹ Die Untersuchung entstand im Rahmen eines Projekts über die westdeutschungarischen Beziehungen von 1949 bis 1990, das der Verfasser am Institut für Geschichtswissenschaft des Zentrums für Humanwissenschaften des Loránd-Eötvös-Forschungsnetzwerks durchführt und das vom Ungarischen Wissenschaftlichen Forschungsfonds (OTKA, K-81562) gefördert wurde. Editorischer Hinweis: Beim Zitieren deutschsprachiger Quellen wird den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung (Duden) Rechnung getragen. Die zitierten ungarischsprachigen Dokumente wurden vom Verfasser ins Deutsche übersetzt.
² Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ungarn und den beiden deutschen Staaten waren demgegenüber bekanntlich wesentlich stärker an pragmatischen Interessen ausgerichtet und wiesen durch die vier Jahrzehnte hindurch ein beinahe kontinuierliches Wachstum auf.
³ Die deutsch-deutschen Kulturbeziehungen werden – wie gezeigt – hier nicht behandelt. Siehe hierzu Lindner, Zwischen Öffnung und Abgrenzung.
⁴ Zur allgemeinen Begriffserörterung siehe Harnischfeger, Auswärtige Kulturpolitik, S. 713-723; Praxenthaler, Die Sprachverbreitungspolitik der DDR, S. 2-10.
⁵ Hier orientiere ich mich an der Definition der verschiedenen Bereiche von Kultur bei Werner Maihofer (Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, S. 977). Einer der Hauptbereich bei Maihofer, nämlich die Religion, wird hier, da er in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt, weggelassen, während der Bereich der Sprachpflege – aus noch aufzuzeigenden Gründen – eine besondere Bedeutung erhält.
⁶ Horst Harnischfeger stellt in diesem Sinne hinsichtlich der auswärtigen Kulturpolitik fest, dass es hier „entscheidend ist, dass die Staaten für die allgemeinen Zwecke der Außenpolitik versuchen, mit Mitteln der Kultur auf die Staatenwelt Einfluss zu nehmen oder ihren Einfluss bzw. Macht über die kulturellen Beziehungen zu erhöhen." (Harnischfeger, Auswärtige Kulturpolitik, S. 713).
⁷ Siehe hierzu neuerdings Gaddis, Der Kalte Krieg, klassisch Loth, Die Teilung der Welt. Zur Rolle Ungarns zur Zeit der Ost-West-Konfrontation siehe neuerdings Békés, Enyhülés és emancipáció.
⁸ Zur Deutschen Frage nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Dülffer/Michalka (Hrsg.), Die deutsche Frage.
⁹ Zur Geschichte der west- bzw. ostdeutschen auswärtigen Kulturpolitik siehe Paulmann, Auswärtige Repräsentationen, S. 1-32; Griese, Auswärtige Kulturpolitik und Kalter Krieg, S. 23-54; Saehrendt, Kunst als Botschafter, S. 47-89; Praxenthaler, Die Sprachverbreitungspolitik der DDR, S. 27-39; 96-161; Muth, Die DDR-Außenpolitik, S. 14-53. Für Ungarn existieren diesbezüglichen keine grundlegenden wissenschaftlichen Untersuchungen.
¹⁰ Zur Vertreibung der Deutschen aus Ungarn sowie zu den internationalen und innerungarischen Zusammenhängen des Vertreibungsprozesses siehe Tóth, Migrationen in Ungarn.
Erste Phase (1949–1959):
Rudimentäre Anfänge der ostdeutsch-ungarischen kulturellen Kontakte
Die erste Phase der deutsch-ungarischen Kulturbeziehungen setze ich für den Zeitraum von 1949 bis 1959 an. Bereits wenige Wochen nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und Ungarn am 19. Oktober 1949 wurde seitens Ostberlin das Vorhaben, offizielle Kulturbeziehungen zu Budapest aufzunehmen,¹¹ in Angriff genommen.¹² Diese Initiative führte am 24. Juni 1950 zur Unterzeichnung des ersten Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit zwischen der DDR und Ungarn.¹³ In diesem lediglich elf knappe Artikel umfassenden Vertrag stellten beide Seiten zum einen das Ziel des „Niederkämpfens der faschistischen und militaristischen Ideologie" heraus, zum anderen skizzierten sie – ganz allgemein – das Vorhaben, in den Bereichen Schulwesen, Wissenschaft, Medien, Propaganda, Theater, Film und Musik zu kooperieren.
Hinter all diesen im östlichen Europa abgeschlossenen bilateralen Verträgen stand in erster Linie die machtpolitisch und ideologisch motivierte Absicht des Kremls, das Kulturleben in den Satellitenstaaten nach sowjetischem Muster bzw. im Sinne des „sozialistischen Realismus umzugestalten.¹⁴ Aber auch das Regime in Ostberlin hatte ein existenzielles Motiv, nämlich die – von der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer infrage gestellte – staatliche Existenz der DDR auf internationaler Ebene zu demonstrieren¹⁵ und eine alternative „sozialistische deutsche Kultur
gegenüber der „faschistischen, imperialistischen und militaristischen" Kultur der Bundesrepublik zu propagieren.¹⁶ Und in Budapest war man an Kulturbeziehungen zu Ostberlin offenbar vor allem aufgrund des noch immer hohen Stellenwerts der deutschen Sprache interessiert. Bezeichnend in diesem Zusammenhang war, dass die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte zwischen Ungarn und anderen Ostblockstaaten in den 1950er Jahren oftmals in deutscher Sprache – und nicht auf Russisch – gepflegt wurden.¹⁷
Die ostdeutsch-ungarischen kulturellen Kontakte entwickelten sich in dieser ersten Phase in der Praxis allerdings recht schleppend, d.h. es wurde nur ein Teil der sowieso wenigen Vorhaben, die in jährlichen Arbeitsplänen zusammengefasst wurden, verwirklicht. Zumeist handelte es sich dabei um einzelne Veranstaltungen im Bereich von Film, Musik, Malerei und Literatur sowie um Begegnungen einzelner Wissenschaftler auf naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Kongressen und im Zuge von Studienreisen. 1952, im aktivsten Jahr in der Anfangsphase der ostdeutsch-ungarischen Kulturbeziehungen, zählten die deutsche Kulturwoche in Budapest im Oktober und die ungarische Kulturwoche in Berlin im gleichen Monat sowie deutsche Filmwochen an verschiedenen Orten Ungarns im Mai zu den publikumswirksamsten Veranstaltungen.¹⁸ Ähnlich gering entwickelte Kulturkontakte waren in den 1950er Jahren auch für die ostdeutsch-rumänischen Beziehungen charakteristisch, die Peter Ulrich Weiß in seiner Dissertation dementsprechend auch als „schwunglose Kulturbeziehungen"¹⁹ betitelte. Diese Schwäche kann allgemein auf das Fehlen von entsprechender Infrastruktur und qualifiziertem Fachpersonal²⁰ sowie auf den Vorrang des Wirtschaftsaufbaus und der Konsolidierung der kommunistischen Macht zu Beginn des „Aufbaus des Sozialismus" zurückgeführt werden. Und schließlich rückten die schweren inneren Erschütterungen nach dem Tode Stalin in der DDR (Juni 1953) sowie in Polen und Ungarn (Sommer/Herbst 1956) die Kooperation im Bereich der Kultur für geraume Zeit gänzlich in den Hintergrund.
Zwischen der Volksrepublik Ungarn und der Bundesrepublik bestanden in dieser Phase keinerlei Kulturbeziehungen auf staatlicher Ebene.²¹ Nach dem Tode Stalins entwickelten sich seit 1954 aber zumindest marginale informelle Kontakte auf verschiedenen, zumeist in Westdeutschland abgehaltenen Konferenzen und Kongressen (vor allem zu medizinischen und naturwissenschaftlichen Themen), bei Sportveranstaltungen sowie im Bereich Film, Musik und Messewesen.²² Im Zuge des internationalen „Tauwetters" gab es dann in den Jahren 1955/1956 im ungarischen Außenministerium erstmals Überlegungen, die sich – unter Verweis auf die engen historischen Bande – mit einer Intensivierung der Beziehungen zu Westdeutschland und mit der Wiederaufnahme der offiziellen Kulturbeziehungen befassten. Dabei ging man davon aus, dass „ein beträchtlicher Teil der Beziehungen, insbesondere in geistig-kultureller Hinsicht, der Sache des Fortschritts beider Völker und ihres kulturellen Aufstiegs" gedient habe, und man empfahl, bei den folgenden Wirtschaftskonsultationen auch Gespräche über die Entwicklung der kulturellen Beziehungen zu