Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Todeslügen: Kriminalroman
Todeslügen: Kriminalroman
Todeslügen: Kriminalroman
eBook396 Seiten5 Stunden

Todeslügen: Kriminalroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Steckt in jedem Menschen ein Killer?

In einer Kirche werden zwei Leichen gefunden, ein Mann und eine Frau, brutal ermordet. Der Mann trägt das Priestergewand, doch er ist nicht der Priester. Detective Frankie Sheehan muss den Mörder finden. Angst geht um, denn vor kurzem ist der Doppelmörder Sean Hennessy aus dem Gefängnis entlassen worden. Er wurde vor fünfzehn Jahren für den Mord an seinen Eltern und den Mordversuch an seiner Schwester verurteilt. Nun ist er frei und will seine Unschuld beweisen. Doch plötzlich geschieht ein weiterer Mord. Der Tote war Journalist und hatte damals über den Hennessy-Fall berichtet. Ist Sean Hennessy wirklich unschuldig? Was ist damals tatsächlich passiert? Und wer ist der Mörder, der Dublin nun in Angst versetzt?

»In ihrem zweiten Roman verbindet Olivia Kiernan das Verbrechen und die irische Gegenwartsgesellschaft zu einem „Whydunnit“, den sie diszipliniert und gut strukturiert in Szene setzt.« Krimi-couch.de

»Wie schon »Zu nah« ein gut gemachter Krimi, der durch seine tiefgängigen psychologischen Tat- und Täteranalysen besticht.« ekz Bibliotheksservice

SpracheDeutsch
HerausgeberHarperCollins
Erscheinungsdatum19. Aug. 2019
ISBN9783959678452
Todeslügen: Kriminalroman
Autor

Olivia Kiernan

Olivia Kiernan ist Bloggerin und Autorin und stammt aus County Meath, Irland. Sie studierte Kreatives Schreiben an der University of Sussex und lebt heute in Oxfordshire, doch die irische Kultur hat einen großen Einfluss auf ihr Schreiben. Dies ist ihr zweiter Roman.

Ähnlich wie Todeslügen

Titel in dieser Serie (2)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Polizeiverfahren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Todeslügen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Todeslügen - Olivia Kiernan

    HarperCollins®

    Copyright © 2019 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins

    in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    Copyright © 2019 by Olivia Kiernan

    Originaltitel: »The Killer in Me«

    Erschienen bei: riverrun

    Published by arrangement with riverrun,

    an imprint of Quercus Editions Ltd., London

    Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

    Umschlagabbildung: Stephen Mulcahey / Arcangel,

    Pete Rowbottom / Getty Images, FinePic, München

    Lektorat: Carla Felgentreff

    Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

    Printed in Germany

    ISBN E-Book 9783959678452

    www.harpercollins.de

    Widmung

    Für Ann

    Zitat

    »Du siehst vielleicht nicht aus wie ein Mörder, aber wenn du lange genug im Gefängnis bist, meißelt die Zeit dir das Gesicht des Bösen ein, bis du gehst und redest wie der leibhaftige Teufel. Im Innern bist du noch derselbe Mensch, aber den sieht keiner mehr. Nein, alle sehen bloß den Mörder.«

    Seán Hennessy, Fünfzehn Jahre ein Mörder,

    mit freundlicher Genehmigung von Blackthorn Films © 2012

    KAPITEL 1

    In meinem Beruf kann es vorkommen, dass ich mich mit jemandem an einen Tisch setzen muss, der bekanntermaßen ein Mörder ist. Ich muss ihm die Hand schütteln. Mit ihm reden. Muss ihn denken lassen, wir wären auf einer Ebene, dass seine Psyche und meine sich gar nicht so sehr unterscheiden. Es ist ein subtiles Spiel, bei dem es um Kontrolle geht, und er soll glauben, dass er sie hat, selbst wenn dem nicht so ist, aber besonders, wenn dem so ist. Manche Detectives, vor allem die unerfahrenen, reden mit einem wissenden Glanz in den Augen von Vertrauensbildung. Sie denken nämlich, wenn ein Mörder mit ihnen plaudert, haben sie ihn sozusagen schon in der Tasche, dass ihr Täter gleich die Maske fallen lässt und alles gesteht.

    Aber ich bin lange genug im Geschäft, und ich weiß, wenn ein Killer mich anlächelt, dann nicht, weil ich so nett zu ihm bin, sondern weil er sich dazu herablässt. Letzten Endes weiß keiner wirklich, wozu ein Mensch fähig ist, ganz gleich, ob er ein Lächeln im Gesicht hat, dir fest die Hand schüttelt oder dir in die Augen sieht, während er dich anlügt.

    Ich beobachte, wie er durch den Pub geht, weiche Sneakers, fester Gang. Er ist fast nicht wiederzuerkennen. Bloß ein ganz normaler junger Mann, der an einem Sonntagabend ein Bier trinken will. Er sieht mich an einem der hinteren Tische und kommt herüber, streckt mir die Hand entgegen. Finger krümmen sich um meine. Schwielen, eine Wulst in seiner Handfläche. Saubere, kurz geschnittene Nägel. Die Muskeln in seinem Unterarm spannen sich an, als er meine Hand drückt.

    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Detective«, sagt er lächelnd. Ich spüre, wie seine Augen mich taxieren, und ich hoffe für ihn, dass er mehr sieht als bloß eine Blondine im Hosenanzug.

    Er ist groß gewachsen, aber ich bin fast genauso groß wie er. Alles in allem sieht er gut aus. Blaue Augen. Schlank, Kurzhaarfrisur, schöner Blondton. Ein Mann, der seine Strafe abgesessen hat. Ein Mann, der seine Eltern ermordet hat und der versucht hat, auch seine kleine Schwester zu ermorden. Ich beobachte, wie er sein Lächeln wegpackt, einen Stuhl hervorzieht, seine starken Hände auf den Tisch stützt und sich hinsetzt. Und die Frage ist nicht, ob er ein Mörder ist, sondern ob siebzehn Jahre Gefängnis ausreichen, um einen Menschen zu ändern.

    Tanya West sitzt mit am Tisch. Sie ist leger gekleidet: schwarzes T-Shirt über einer Bluejeans, die aussieht wie aus der Teenager-Abteilung. Das dunkle Haar ist zu einem hohen Knoten gebunden, große Silberohrringe baumeln bis auf die Schultern, silberner Nasenstecker. Ich spüre, wie ihre flinken dunklen Augen die Interaktion zwischen Hennessy und mir beobachten. Tanya ist Anwältin. Eine von der Sorte, die uns auf den Wecker geht: Strafverteidigerin. Kein Detective, der im Morddezernat arbeitet, kann Strafverteidiger leiden. Wie oft habe ich schon gefährliche Kriminelle dank einer raffinierten Verteidigung ungestraft davonkommen sehen? Ganz zu schweigen davon, dass es ihr Job ist aufzuzeigen, wo wir überall Mist gebaut haben, wie beispielsweise zur falschen Zeit mit einem Verdächtigen reden oder durch eine falsche Vorgehensweise den Ausschluss von stichhaltigen Beweisen verursachen.

    Die Verteidigung ist die gegnerische Linie, über die wir unseren Fall schieben müssen. Und Tanya ist gut in ihrem Job. Man könnte jemanden auf frischer Tat ertappen, bis zu den Ellbogen im Gedärm seines Opfers, und Tanya würde ein Gericht dennoch davon überzeugen, dass er bloß über die Leiche gestolpert und mit ausgestreckten Händen in den Innereien gelandet ist. Aber ich mag sie trotzdem. Tanya geht es nicht darum, die Justiz auszutricksen oder zum Narren zu halten, sie will sie vielmehr zwingen, ihr Bestes zu geben. Außerdem ist sie meine Schwägerin, und offenbar zählt Familie doch irgendwie, denn es gibt nicht viele, die mich dazu überreden könnten, einem verurteilten Mörder die Hand zu schütteln und mir anzuhören, was er zu sagen hat. Aber Tanya kann und hat. Wobei sie allerdings die Tatsache, dass es sich um Seán Hennessy handelt, klugerweise für sich behalten hat. Tanya ist keine Strafverteidigerin der üblichen Sorte. Hennessy kein Täter der üblichen Sorte.

    »Schön, Sie wiederzusehen, Seán«, sagt sie. »So«, sie grinst zu mir rüber, »die herzliche Begrüßung haben wir hinter uns, fangen wir an.«

    Ich lehne mich auf meinem Platz zurück, unfähig, die Augen von Seán Hennessy abzuwenden. Unfähig, die Bilder seines Verbrechens aus dem Kopf zu bekommen. Das grausige Blutbad. Die Vielzahl von Messerstichen am Körper seiner Mutter, seines Vaters. Seiner Schwester.

    Tanya legt eine Aktenmappe auf den Tisch und faltet beinahe ehrfürchtig die Hände darüber. »Seán, wir können von Glück sagen, dass Frankie bereit ist, sich mit Ihrem Fall zu befassen.« Sie wendet den Kopf, lächelt mich an. »Sie ist eine der Besten.«

    »Natürlich, natürlich«, murmelt er. Trockene Lippen. Die Zunge klebt ihm im Mund. Entlang seines Haaransatzes glänzt Feuchtigkeit. Er wischt sie mit schnellen Fingern weg. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Detective.«

    Hennessys Anblick genügt, um mich am Sinn meines Berufes zweifeln zu lassen. Wo ist die Reue? Sie sitzt mir jedenfalls nicht gegenüber. Er hat zwei Menschen umgebracht, fast noch einen dritten. Er hat seine Zeit abgesessen, aber jetzt ist er hier. Ich war’s nicht, sagt er. Ein Ego, groß wie ein Kontinent.

    Ich reibe mir den Nacken. »Ich kann nicht lange bleiben.«

    Er sieht erst Tanya an, dann mich, lehnt sich zurück und klopft seine Taschen ab. »Darf ich Sie auf einen Drink einladen? Was möchten Sie?«

    »Nichts, danke. Ich hab Bereitschaft.«

    Er stutzt. »Tanya?«

    »Danke, Seán. Ich nehm einen kleinen Sauvignon blanc, bitte«, antwortet sie.

    Er sieht mich erneut an, als wollte er fragen, ob ich nicht doch etwas möchte, überlegt es sich aber anders. »Okay. Okay.«

    Er steht vom Tisch auf, schiebt sich durch das volle Lokal. Während er sich zur Theke vorarbeitet, dreht er den Kopf hin und her, sucht den Raum ab. Als ich noch zu Hause wohnte, war das hier meine Stammkneipe, ein kleiner Geheimtipp, bestehend aus nur einem winzigen Raum. Durch die Tür kam man direkt zu einer Reihe Barhocker, und das war’s. Irgendwann in den letzten Jahren wurde der Pub entkernt und erweitert, wobei versucht wurde, möglichst viel von der alten Atmosphäre zu retten: dunkle Holztische, niedrige Decke und abgenutzte Dielen. Ich beobachte, wie Seán die Theke erreicht und einen Fuß lässig auf die glänzende Messingfußstange stellt, die unten am Tresen entlang verläuft. Der Barmann am anderen Ende blickt auf, wickelt noch einen Satz Besteck in eine Papierserviette und geht mit einem Nicken auf Seán zu.

    Ich drehe mich zu meiner Schwägerin um, und sie widmet ihre Aufmerksamkeit der Akte vor ihr. Meidet meinen Blick. »Verdammt, Tanya, warum hast du mir nicht gesagt, dass es um Seán Hennessy geht?«

    Sie zuckt ganz leicht mit den Achseln. Die dünnen Ohrringe hüpfen auf ihren Schultern. »Du hast mich nicht gefragt.« Ich schließe die Augen, hole einmal tief Luft. »Spielt es eine Rolle, wer er ist? Er hat gute Argumente für ein Wiederaufnahmeverfahren.«

    »Der Kerl hat seine Eltern ermordet.«

    »Es gibt begründete Zweifel.« Sie wirft einen kurzen Blick durch den Raum zu Seán hinüber und sagt dann leise: »Eine Produktionsfirma namens Blackthorn Films hat Kontakt zu uns aufgenommen. Die drehen eine Dokumentation über Seáns Fall. Soll nächste Woche gesendet werden. Das könnte wunderbare PR für unsere Organisation werden.«

    Ich seufze. »Wozu brauchst du mich dann?«

    »Es kann nie schaden, eine Detective Chief Superintendent an Bord zu haben. Wenn auch nicht in offizieller Funktion. Wir haben niemanden mit deiner Qualifikation. Du kannst Menschen gut einschätzen, Frankie.«

    Tanyas Hilfsorganisation, Justice Meets Justice, wählt die Fälle, für die sie ihre Ressourcen einsetzt, ganz besonders sorgfältig aus. Sie nehmen nur welche an, bei denen sie einen Justizirrtum vermuten, und versuchen dann, neue Beweise zu finden, oder gehen außer Acht gelassenen Ermittlungsansätzen nach. Setzen sich für Menschen ein, die für Verbrechen verurteilt wurden, die sie nicht begangen haben. Doch schon die kleinste Lüge eines Mandanten genügt, und sie lassen ihn fallen.

    Ich habe viel um die Ohren, aber seit dem Costello-Fall vor einigen Monaten läuft’s für mich an der Verbrechensfront ganz gut. Die Sondereinheit für Kapitalverbrechen macht ihre Arbeit. Sie wurde vor drei Jahren für besonders komplizierte Ermittlungen in Irland aus der Taufe gehoben. In einer Welt, wo unsere Strafverfolgungsbehörden den Blick zunehmend auch nach außen richten müssen, soll die Sondereinheit eine Verteidigungsbastion gegen die Kriminellen in unserem Land sein. Vier Polizeireviere mit den besten Detectives der Gardaí und einer von mir geleiteten Zentrale in Dublin. Wir sind eine flexible, gut geölte Maschine, die eingeschaltet werden kann, wenn die polizeilichen Möglichkeiten vor Ort zu beschränkt sind oder wenn es um Fälle von nationaler Bedeutung mit dem entsprechenden Medieninteresse geht. Und in den letzten paar Monaten hatte ich einen Lauf. Drei Fälle aufgeklärt und ad acta gelegt, als hätte ich ein Kreuzworträtsel für Kinder gelöst.

    Ich schaue zu Hennessy hinüber. Man könnte die Sache schnell erledigen, ein paar Leute befragen, rausfinden, warum er wirklich glaubt, seine Verurteilung sollte aufgehoben werden. Ich bin neugierig, weshalb Tanya sich in diesem Fall so stark engagiert. Und sie weiß, dass mich ein Rätsel unwiderstehlich anlockt. Selbst eines, von dem ich weiß, dass es bereits gelöst wurde.

    »Geht’s dabei nicht um Geld?«, frage ich.

    Sie wird rot, lässt sich aber nicht anmerken, welches Gefühl für diese Reaktion verantwortlich ist. »Es ist ein großes Risiko für uns. Bei dem Medieninteresse, wenn wir da am Ende wie die Trottel dastehen, können wir einpacken. Aber falls wir recht haben, wäre das ein Riesenerfolg.«

    Ich beobachte Hennessy, während er auf die Getränke wartet. Der Barmann nimmt Gläser aus dem Regal. Seine mageren Schultern vibrieren, als er über irgendeine Bemerkung von Hennessy lacht. Und ich kann mir vorstellen, dass die Öffentlichkeit auf Hennessy reinfällt, wenn so eine Dokumentation über ihn gesendet wird. Er sieht nicht schlecht aus. Er wirkt sympathisch. Er wirkt normal. Wie einer von uns. Er trägt seinen Schafspelz mit lässiger Eleganz.

    Ich denke an die nicht enden wollenden Berichte von Kapitalverbrechen, die täglich über unsere Schreibtische gehen, und an den gewissenhaften Einsatz von Energie und Geld für jeden Einzelnen. Selbst wenn ich mich außerhalb der Arbeit mit Hennessys Fall beschäftigen würde, wäre der Zeitaufwand kaum zu rechtfertigen.

    Ich höre das Bedauern in meiner Stimme, als ich sage: »Tanya, tut mir leid, aber ich glaube, ich bin die Falsche dafür. Die Justiz hat damals das richtige Urteil gefällt, und ich finde nicht, dass die Gesellschaft auch nur eine Minute länger über Seán Hennessy nachdenken sollte. Meiner Erinnerung nach gab es eine Unmenge an Beweisen und Zeugen.«

    »Aber was, wenn die Beweise falsch waren?«

    »Tanya –«.

    »Moment!« Sie hebt eine Hand. »Seán hatte Blut von Bríd und Cara Hennessy unter den Fingernägeln und auf seinem Shirt. Aber was sagst du dazu, dass der erste Sanitäter am Tatort zuerst Bríd und Cara untersucht hat«, sie zählt beide Opfer an den Fingern ab, während sie redet, »und dann Seán behandelt hat, weil er unter Schock stand?«

    Ich seufze.

    »Komm schon, Frankie. Das ist Kreuzkontamination. Das Blut war einer der Hauptbeweise der Anklagevertretung vor Gericht. Vielleicht hat’s ja noch mehr Fehler gegeben.« Sie starrt mich beschwörend an und öffnet die Mappe. »Blackthorn Films. Die haben schon Preise gewonnen. Das wird eine große Sache. Unsere Organisation kann sich das nicht entgehen lassen. Ja, wir brauchen die Fördergelder. Aber noch wichtiger ist, dass ich ihm glaube.«

    Meine Erinnerungen an die Hennessy-Morde sind absurderweise in goldenes Sonnenlicht getaucht. Es war ein sengend heißer Sommer. Hitze treibt die Verbrechensrate in die Höhe, und August ist ohnehin der Monat, in dem Familien sich gegenseitig am ehesten an die Gurgel gehen. Man könnte sagen, dass wir bei der Polizei schon fast damit rechneten, dass so was passiert, aber ehrlich gesagt kann sich keiner wirklich vorstellen, dass jemand seine Familie umbringt. Selbst wenn die Leichen schon vor dir liegen, ist das schwer zu glauben.

    »Ich nicht«, entgegne ich Tanya.

    »Und das ist okay«, sagt sie schnell. »Ich will nur deine Meinung hören. Wir brauchen bloß eine objektive Stimme. Deine Erfahrung mit Profiling, mit dem Durchleuchten eines Falls wäre für uns von unschätzbarem Wert.« Sie schiebt die Aktenmappe über den Tisch. »Da ist Filmmaterial von der Dokumentation drin. Einzelinterviews mit Seán. Insgesamt drei Stunden ungeschnittene Aufnahmen. Ich schick’s dir auch noch per Mail, aber du brauchst das Passwort, um darauf zuzugreifen.«

    Hennessy kommt zurück. »Bitte sehr.« Er stellt Tanya ein Glas Wein hin und setzt sich, ein Glas Bier sicher in der Hand.

    Irgendwie ringe ich mich dazu durch, ihn anzusprechen. »Warum wollen Sie das machen, Mr. Hennessy?« Ich kenne die Antwort. Geld. Immer. Aber bei Killern dieser Art ist es manchmal auch schlicht Aufmerksamkeit. Der Narzisst kann der Faszination seines eigenen Spiegelbildes nicht widerstehen.

    Er hebt sein Bierglas an den Mund, trinkt einen Schluck. Blaue Augen huschen zu mir hoch. Sanft. Die richtige Mischung aus Traurigkeit und Bedauern. Genau austariert. »Meine Schwester«, sagt er leise, und ich denke, dass doch ein Funken Scham in ihm ist.

    »Ihre Schwester?«

    »So, wie die Dinge liegen, werde ich sie nie wiedersehen.«

    »Das ist wahrscheinlich auch gut so. Finden Sie nicht? Hat sie nicht ein Anrecht darauf, in Frieden zu leben? Den Blick nach vorn zu richten?«

    Seine Schultern heben sich leicht, der graue Halsausschnitt seines Hoodies kräuselt sich. Seine Hände umschließen das Glas fester. Er blickt nach unten. »Ich denke, es ist für niemanden gut, eine Lüge zu leben.«

    »Ich bezweifle, dass Ihre Schwester glaubt, eine Lüge zu leben. Gerade sie weiß genau, was passiert ist. Sie war dabei. Und wenn sie den Wunsch gehabt hätte, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen, hätte sie das doch längst getan, oder?«

    Er nickt, als hätte er mit der Antwort gerechnet, und sagt dann mit einem Unterton sturer Entschlossenheit: »Falls Cara mich nicht sehen will, kann ich nichts dagegen machen. Aber sie sollte die Wahrheit erfahren.«

    Ein langsam anschwellender Zorn schnürt mir den Hals zu, treibt mir die Röte ins Gesicht. Ich sehe zu Tanya hinüber, aber sie meidet meinen Blick. Ihr Gesicht ist eine blasse Maske der Neutralität.

    »Sie kennt die Wahrheit bereits«, sage ich, und das Selbstvertrauen in seinem Gesicht bekommt Sprünge. »Mr. Hennessy, ich glaube, Sie haben Ihre Eltern abgeschlachtet und hätten beinahe auch Ihre Schwester umgebracht.« Er zuckt zusammen, aber ich rede weiter. »Ich halte Ihre Verurteilung für gerecht. Der einzige Fehler daran ist, dass Sie jetzt frei sind und hier vor mir sitzen können und darüber reden, wie das Urteil gegen Sie aufgehoben werden kann.«

    Er streicht sich mit einer Hand übers Gesicht, drückt die Fingerspitzen auf die Augen. Tanya wirft mir einen Blick zu, der auch als Ohrfeige durchgehen könnte, aber er soll wissen, auf welcher Seite ich stehe. Immer zuerst auf der Seite der Opfer.

    Schließlich sagt er: »Ich verstehe. Ich bin verurteilt worden. Jetzt bin ich schuldig, bis meine Unschuld bewiesen ist.« Als er mich wieder ansieht, schwimmen Tränen in seinen Augen. »Aber ich schwöre Ihnen, ich war’s nicht.« Der letzte Satz kommt als inständiges heiseres Flüstern über zusammengepresste Lippen.

    Hinter der Theke klappert Besteck, und als ich hinüberschaue, sehe ich, wie der Barmann sich bückt, um aufzuheben, was ihm zu Boden gefallen ist. Er kommt wieder hoch, wischt ein Messer an dem Tuch über seiner Schulter ab und wickelt es in eine Papierserviette.

    Ich wende mich Tanya zu. Die dünnen Linien ihrer Augenbrauen sind zu einem Ausdruck hoffnungsvoller Erwartung hochgezogen. Sie weiß genauso gut wie ich, wie meine Antwort ausfallen wird. Ich seufze. »Ich werde mir das Filmmaterial ansehen. Aber mehr auch nicht.«

    »Das ist toll, Frankie.« Sie lächelt begeistert.

    Seán nickt, und für einen Moment sieht es aus, als wollte er nach meinen Händen greifen. Seine eigenen gleiten über den Tisch, doch auf halbem Weg bremst er sich und stammelt stattdessen: »Vielen Dank.«

    Tanya ist schon dabei, weitere Unterlagen aus ihrer Tasche zu ziehen. Noch mehr Heimarbeit für mich. »Das hier ist eine Zusammenfassung unserer Vorgehensweise. Wir haben ein neues Büro in der Stadt. Nicht weit von den Kais.« Sie legt mir eine Visitenkarte hin. »Aber du kannst mich auch so leicht erreichen. Du weißt ja, dass ich die meiste Zeit von zu Hause aus arbeite.«

    Zu Hause, das heißt das Haus meiner Eltern an der Conquer Hill Road in Clontarf. Ich stelle mir das Gästezimmer meiner Eltern vor, verwandelt in einen SOKO-Raum. Mein Bruder Justin und Tanya warten darauf, dass sie in ihr neues Haus einziehen können. Justin, Anwalt für Immobilienrecht, ist immer absolut tiefenentspannt und hat es irgendwie geschafft, die Abläufe beim Kauf ihres neuen Hauses falsch einzuschätzen, sodass er im Alter von siebenunddreißig Jahren zusammen mit seiner Frau vorübergehend in unserem Elternhaus gestrandet ist. Ich frage mich, wie meine Mum damit klarkommt, dass Tanya in ihrem Haus einen alten Mordfall wieder aufzurollen versucht.

    Sie reicht mir die Unterlagen. »Die kannst du behalten. Sind Kopien.«

    Ich nehme sie, schiebe sie in meine Tasche, und Tanya erklärt mir, dass ich mir mit dem Bericht Zeit lassen kann, es aber vielleicht ganz gut wäre, wenn sie ihn im nächsten Monat bekäme. Mein Telefon klingelt in ihre Erläuterungen hinein, und ich war nie dankbarer für eine Unterbrechung.

    »Entschuldigung.« Ich stehe auf und gehe ein Stück vom Tisch weg. Halte mir ein Ohr zu. »Sheehan.«

    »Frankie, Clancy hier. Anscheinend sehen wir dich heute Abend doch noch.« Jack Clancy, unser Assistant Commissioner, mein Boss, Freund und in vielerlei Hinsicht mein Plagegeist.

    »Glaub mir, ich freu mich richtig über deinen Anruf«, antworte ich.

    Meeresrauschen dröhnt durch die Leitung. Der Wind tost um sein Handy. Er spricht lauter. »Wo bist du?«

    »In der Nähe von meinem Elternhaus.« Ich schaue auf die Uhr. Es ist Viertel vor acht. »Was liegt an?«

    »Wir haben zwei Leichen. In der Kirche. St. Catherine’s.«

    »Hier?« Ich gehe aus dem Pub, drehe mich in den Wind, der über das Wasser heranfegt. Clontarf ist ein Vorort an der Küste, einen Steinwurf von Dublins Innenstadt entfernt. Sein Name steht für Schlachten und Siege. Ein Gefühl von Stolz, weil es uns vor langer Zeit mal gelang, die Wikinger niederzuringen. Clontarf, meine Herkunft, meine Heimat.

    »Ja. Die Sache ist Stoff für Schlagzeilen, also komm her«, sagt Clancy.

    Ich blicke die Straße hinunter, in Richtung Dublin, dessen Lichter gerade in der Ferne erwachen, dann hinaus aufs Meer. Die Sonne steht schon tief am Horizont, hinter dicken Wolken versteckt. Die Promenade wird von bernsteingelben Straßenlampen erhellt. Ein paar Spaziergänger sind unterwegs, die Jacken bis zum Hals geschlossen, bewegen sie sich mit gleichmäßig schwingenden Armen an der Ufermauer entlang.

    »Bin in fünfzehn Minuten da«, sage ich und lege auf. Ich stelle mir die Kirche vor, St. Catherine’s, am Ortseingang von Clontarf, dunkel und düster in ihrem Eisenkäfig. Ich stecke mein Handy ein und gehe zurück in den Pub.

    Tanya steht auf. »Musst du los?«

    »Ja.«

    »Okay.« Sie hat eine Hand auf den Tisch gestützt, die andere auf die Hüfte. »Ich ruf dich dann morgen an, ja?«

    Ich hole tief Luft. »Klar.«

    Sie lächelt. »Danke.«

    Ich nehme meinen Mantel von der Stuhllehne und sehe Seán Hennessy an, will mir eine Plattitüde abringen, so was wie … war nett, mit Ihnen zu sprechen oder Sie kennenzulernen, aber ich bringe es nicht über die Lippen. Stattdessen höre ich mich selbst sagen: »Genießen Sie Ihre Freiheit, Mr. Hennessy.«

    Und er runzelt die Stirn. »Danke für Ihre Hilfe, Detective.«

    Wieder auf der Straße lausche ich auf Sirenen, halte Ausschau nach Blaulicht. Mein Kopf ist schon voll im Einsatz. Eigentlich sollte mir dieser Energieschub zu denken geben, eine perverse Art von Neugier, die alle Detectives in den dunkelsten Winkeln ihrer Psyche verbergen. Ein kleiner Schuss Nervenkitzel, durchdrungen von einer gewissen unerschrockenen Hoffnung.

    Ich gehe die Straße hinunter. Der Wind weht mir den Geruch von Seetang und Salz ins Gesicht. Der Sommer hat bislang so gut wie nur Regen gebracht, und wenn’s mal nicht regnet, sind die Tage so kalt wie im Herbst. Ich halte meinen Mantel zu und beschleunige meine Schritte. Als ich St. Catherine’s erreiche, sind meine Hände und mein Gesicht taub vor Kälte. Ich schüttele die Finger aus und betrachte die Kirche. Das Gebäude duckt sich unter ein paar wuchtigen Ulmen, die im Wind knarren, ein gutes Stück von der Straße entfernt. Kollegen in Uniform bewegen sich über das Gelände, sperren den Tatort mit blau-weißem Flatterband ab. Drei Autos parken in der Nähe. Eines davon gehört Clancy. Ich bücke mich unter dem Absperrband hindurch, und einer der Officers kommt mit dem Logbuch auf mich zu.

    »’n Abend, Detective Sheehan.«

    Ich trage mich ein, schreibe die Uhrzeit dazu. »Coroner schon da?«

    »Sie ist drin. Die Kriminaltechnik ist vor zwanzig Minuten eingetroffen.«

    »Danke.« Ich gehe zum Eingang. Große Türflügel aus Eichenholz öffnen sich in den dämmrigen Innenraum der Kirche. Ich trete ein, und meine Schritte hallen vom Deckengewölbe zurück. Clancy, ein paar von der Kriminaltechnik und eine Frau, unsere Coroner, stehen in der Mitte des Hauptgangs beisammen. Rechts von mir sehe ich einen Stapel Gottesdienstblätter in einem Pappkarton. Ein paar vergessene Konfettischnipsel liegen unter der ersten Bank. Hinter der Tür droht ein schiefer Turm aus Weidenkörbchen jeden Moment umzukippen. Gleich daneben steht eine Schachtel mit Schuhüberziehern und Handschuhen aus Plastik bereit. Ich streife sie über und gehe langsam den Gang hinunter.

    Der Körper der Frau kommt als Erstes in Sicht: ein Fuß, nackte Sohle, milchweiß im Schatten. Sie ist nackt von der Taille aufwärts, der Gürtel ihrer dunklen Jeans ist noch immer um die Hüften geschlossen. Sie liegt auf dem Bauch, Arme gebeugt, Kopf zur Seite gewandt. Man könnte meinen, sie schliefe, wären da nicht die Verletzungen an ihrem Hals und den Rücken hinunter. Augen und Mund sind geöffnet, der Schrecken des Todes auf ihrem Gesicht. Neben ihr ein zweites Opfer, ein Mann. Tot. So tot, wie man nur sein kann. Schon seit Tagen, wie’s aussieht. Leichenflecken auf den Händen, im Gesicht. Er ist gekleidet wie ein Priester. Schwarzer Anzug. Der engelweiße Kragen schützt seinen Hals. Ein Messer in seiner geöffneten Hand. Nicht fest gepackt. Nicht umklammert. Es ruht auf kaltem Fleisch. Kaltes Metall, kalte Klinge.

    KAPITEL 2

    Als ich auf die beiden Leichen hinunterschaue, erfasst mich eine tiefe Traurigkeit. Es ist so eine verdammte Schande. Die Unabänderlichkeit. Die Finalität des Todes. Sie überfällt mich mit voller Wucht.

    Clancy dreht sich zu mir um, deutet mit geöffneter Hand auf die Frau an seiner Seite. »Frankie, du kennst Judith?« Unsere Coroner. Eine zierliche Frau mit einem kolossalen Ruf. Penibel. Ernst, mit einer derart kerzengeraden Körperhaltung, dass man sich fragt, ob Totenstarre ansteckend ist.

    »Schön, Sie zu sehen, Dr. Magee.«

    »Ich bin hier fast fertig«, erwidert sie. »Dann kann die Spurensicherung übernehmen.«

    Am Altar gibt Keith Hickey, unser leitender Kriminaltechniker, seinem Team Anweisungen. Keith ist ein Adlerauge und ein Großmaul. Seine Stimme dröhnt durch die Kirche. »Wenn ihr auch nur den leisesten Verdacht habt, dass irgendwas so aussieht, als würd’s nicht dahingehören, markiert ihr es«, erklärt er. »Ihr fotografiert es, und ihr notiert es.«

    Ich wende mich wieder Dr. Magee zu. »Je eher, desto besser.«

    »Unbedingt.« Sie macht noch ein paar Notizen auf einem Klemmbrett in ihrer Hand, unterschreibt und reicht es einem Officer. Dann betrachtet sie erneut die Opfer. »Ist ja offensichtlich, aber ich lege mich mal offiziell fest: Todesart ist Mord.« Sie tritt zur Seite und wartet ab, ob wir irgendwelche Fragen haben, ihr Gesicht voller Antworten, die sie nicht geben will. Noch nicht jedenfalls, nicht bevor unsere Opfer auf dem Tisch in Dublins Rechtsmedizin in Whitehall liegen. Auf Dr. Abigail James, die Rechtsmedizinerin, wartet viel Arbeit. Die Obduktion ist unsere einzige Hoffnung, die Opfer zum Sprechen zu bringen. Unter Dr. James’ scharfem Skalpell hat schon so mancher Geheimnisse preisgegeben.

    »Wer hat die Toten gefunden?«, frage ich.

    »Eine Mrs. Berry«, antwortet Clancy. »Sie ist draußen bei den Sanitätern. Arbeitet im Pfarrhaus. Sie wollte in der Kirche nach den Blumen sehen.« Er starrt auf den Rücken des weiblichen Opfers, insgesamt elf Stichwunden wie ein dunkles Sternbild auf der Haut. In jeder hat sich etwas Blut gesammelt, und die Haut ist mit blutigen Spritzern besprenkelt. Clancy deutet auf die Wunden. »Die haben nicht stark geblutet. Sind die post mortem?«

    »Da würde ich zustimmen«, sagt Dr. Magee.

    Ich trete einen Schritt zurück, lasse die Szene auf mich wirken, versuche zu sehen, was der Mörder mir vermitteln will. Dann zeig mal, was du zu sagen hast. Die glänzende große Blutlache unter dem Körper der Frau. Der Mann in Seitenlage, zusammengekrümmt. Unter dem rechten Arm der Frau ist das Blut auf dem kalten Boden verschmiert, als hätte sie irgendwann die Gliedmaßen angezogen, wie um sich für einen langen Schlaf zurechtzulegen. Ihr volles Haar ist zur Seite gefallen, und dazwischen schimmert die Kopfhaut rot, ein Streifen aus Blut zieht sich über die Schläfe. Getrocknetes Blut rund ums Ohr. An der Kehle ein klaffender wütender Schnitt.

    »Gibt es eine Kopfverletzung?«

    »Keine erkennbare«, antwortet Dr. Magee. »Ich bin sicher, die Todesursache war ein massiver Blutverlust. Sie ist an der durchgeschnittenen Kehle verblutet.«

    »Und der Mann? Der ist schon länger tot.«

    »Zwei, drei Tage. Vielleicht auch mehr«, antwortet Magee.

    »Aber die Frau ist hier gestorben?«

    »Ohne jeden Zweifel.« Sie zeigt auf die Kirchenbänke zu meiner Linken. Ich wende den Kopf, folge der bogenförmigen Blutspur auf dem hellen lackierten Holz. Ein Strom von dunklen Tupfen. Ein Spritzmuster. Arterienblut der Frau aus dem tiefen Schnitt an ihrem Hals. Es war sehr viel Wut im Spiel.

    Ich schaue nach unten, auf das Messer in der offenen Hand des Priesters. Etwa fünfzehn Zentimeter lange Klinge, knapp vier Zentimeter breit. Vier deutliche Einkerbungen im Griff. »Ist das die Mordwaffe?«

    »Das kann ich nicht sagen«, antwortet sie.

    Ich formuliere die Frage anders: »Könnte es die Mordwaffe sein?«

    Sie neigt den Kopf, studiert das Messer, als gäbe es noch eine andere Möglichkeit. »Wir können es auf DNA untersuchen. Breite und Tiefe der Wunde mit dem Messer abgleichen. Wenn diese Elemente zu ihren Wunden an Hals und Rücken passen, erfahren Sie es als Erste.«

    Ich höre den bissigen Unterton in ihrer Stimme und blicke wieder auf die Leiche, um mir meine Gereiztheit nicht anmerken zu lassen, aber ich kann ihre Zurückhaltung verstehen. In ihrer Funktion als Coroner hat sie das Sagen über den Tatort, bis sie grünes Licht gibt, dann übernimmt die Kriminaltechnik, und erst dann haben wir Detectives die Erlaubnis, näher ranzukommen. Für Magee sind wir Kontaminanten. Ungenau und achtlos. Ihre wachsamen Augen verfolgen jede meiner Bewegungen, um sicherzugehen, dass ich nicht mal ein Haar der Opfer bewege.

    Ich gehe in die Hocke, um mir die Waffe genauer anzusehen. Die Klinge zeigt auf den Rücken der Frau. Sie ist mit Blut bedeckt, ein dünner Film aus Braun und Orange. Aber unter dem Blut kann ich Buchstaben auf der Klinge erkennen. Ein Wort.

    »Da ist was in das Messer geritzt«, sage ich und leuchte mit meiner Taschenlampe darauf.

    Clancy beugt sich über meine Schulter. »Sieht aus wie ein W und ein A.«

    Die Fingerspitzen des Toten sind nach innen gekrümmt, die Nagelbetten blauschwarz, die Linien in seiner Handfläche dunkelrot. Ich beuge mich näher und höre, wie Magee geräuschvoll die Luft einzieht.

    »Waffe. Da steht: Waffe«, sage ich. »Ins Messer gekratzt. Aber ziemlich schlecht.« Ich stehe auf, drehe mich zu Clancy um.

    »Offensichtlich glaubt unser Täter, wir brauchen keine Obduktion, um zu wissen, dass das hier die Mordwaffe ist«, sagt Clancy, und Magee wirft

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1