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Rückkehr des Wächters
Rückkehr des Wächters
Rückkehr des Wächters
eBook393 Seiten5 Stunden

Rückkehr des Wächters

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Über dieses E-Book

Er umgeht jede Regel, liebt den Luxus, schöne Frauen und ein kühles Misty Cloud.

Doch eine missglückte Rebellion kostete ihn den Job als Schutzengel. Jetzt zählt für Dastan nur noch eines: wieder in die Engeldatei aufgenommen zu werden, um sein unbeschwertes Leben zurückzubekommen. Dafür muss er allerdings eine Aufgabe bewältigen: den verschwundenen letzten Magier der Menschen finden und in Sicherheit bringen. Um ihn aufzuspüren, muss sich Dastan an den Nichtsnutz Edmund wenden. Doch dieser hat wenig Lust, dem Engel zu helfen. Zu allem Überfluss tauchen unheilvolle Schatten auf und aus der ohnehin schwierigen Mission wird ein Kampf auf Leben und Tod
SpracheDeutsch
HerausgeberAmrûn Verlag
Erscheinungsdatum5. Jan. 2023
ISBN9783958694996
Rückkehr des Wächters

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    Buchvorschau

    Rückkehr des Wächters - Stefanie Bender

    I. Der Auftrag

    4 Jahre später

    D ie Hand war kalt. Schwer legte sie sich auf seine Schulter und drückte Dastan zu Boden. Es umfing ihn Verzweiflung. Ein schmerzhaftes Gefühl, das auch die kleinste Hoffnung zerstörte. Auch die Stimmen, der Singsang der Gelehrten, brachten keine Wärme in ihm hervor. Männer und Frauen umringten ihn, wiegten sich zum Klang der düsteren Melodien. Die Emotion war falsch, ein Fehler. Manipuliert von der Besorgnis. Er fühlte sich wie ein hilfloser Säugling, doch kniete dort keinesfalls ein Kind. Er war ein gestandener Mann mit der Aussicht auf Wiedergutmachung. Warum empfand er dann solche Furcht? Die Kälte fraß sich in sein Leinenhemd, welches sie ihm am Eingang übergestreift hatten. Ein Schmerz durchfuhr seinen zitternden Körper. Schleier tanzten vor seinen Augen und beraubten ihn der Wirklichkeit. Die Hand war kalt. Sie verformte sich, wand sich wie eine Schlange. Finger wuchsen, wurden länger, mutierten zur dämonischen Klaue und gruben sich tief in sein Fleisch. Krampfhaft unterdrückte er den Schmerzensschrei, der seine Kehle unaufhaltsam hinaufzukriechen drohte. Der Boden war weiß. Weiß wie die Wände, weiß wie das Leinenhemd. Jede dritte Fliese war mit einer Gravur versehen. Das Zeichen der Engel: Zwei gekreuzte Flügel mit einem blauen, wachsamen Auge in deren Mitte.

    Die Klaue stieß tiefer zu. Tränen traten in seine Augen. Leid, nichts als Leid und Schmerz.

    »Dastan Davani!«

    Er horchte auf. Jemand nannte ihn beim Namen. Nicht das Wesen, welches ihn peinigte. Die Stimme drang von weiter her zu ihm durch. Die Qual in seiner Schulter benebelte seine Sinne. Schweiß rann seine Wirbelsäule hinunter. Die Angst hatte der Hoffnung längst das Herz herausgerissen. Es war vorbei. Kein Wächter der Welt konnte dieses Leid ertragen. Er gab sich der Dunkelheit hin. Sollte der Dämon ihn holen.

    Wohltuende Wärme streichelte seine Haut und vertrieb die Furcht vor dem Tod für Sekunden – doch die Geborgenheit zerplatzte wie Seifenblasen. Blut. Klebriges, lauwarmes Blut lief an seiner Schulter herab. Er wollte schreien, doch erneut drückte es ihn zu Boden. Er sah die messerscharfen Nägel, die in aller Ruhe sein Schlüsselbein aufritzten. Aus Finger wurden Krallen, aus Krallen längliche verbogene Klauen. Fast leidenschaftlich strichen sie über die tiefe Wunde, hinauf zu seinem Kehlkopf. Er wollte dem Monstrum ins Antlitz sehen, doch vor seinen Augen verschwamm jegliches Bild. Nur seine langen, von Arterien durchzogenen Arme, die sich um seinen Körper schlangen, konnte er erkennen.

    »Dastan Davani!«

    Die Halle gab das Echo wieder. Er hörte seinen Namen und dieses Mal vernahm auch die Kreatur den Ruf. Sie schreckte auf. Ruckartig zogen sich die Fänge aus seinem Fleisch. Scharf sog der Engel die Luft zwischen den Zähnen ein. Das Monster hatte aufgegeben. Aber er hatte sich nicht gewehrt, war bereit, zu kapitulieren. Aus welchem Grund ließ es ihn am Leben? Etwas legte sich auf seine Schulter. Doch die Klaue drückte ihn nicht zu Boden. Die Hitze war verflogen. Fast schon väterlich fühlte sich die Berührung an. Endlich fand er den Mut, seinen Kopf zu drehen. Freudentränen traten ihm in die Augen: Hand und Finger waren die eines Engels. Fein, blass und vollkommen.

    »Dastan Davani! Wächter des hohen Gerichts. Erhebe dich und nimm deinen Auftrag in Empfang.«

    Vorsichtig hob Dastan den Kopf. Schleier tanzten vor seinen Augen. Er kniete in der Halle des hohen Gerichts. Sonnenstrahlen durchfluteten die Milchglasfenster. Kein Blut zierte die Wände, keine tödlichen Klauen waren drohend erhoben. Die Dunkelheit wich vor dem unschuldigen Weiß des Marmors zurück. Dutzende Engel, Männer wie auch Frauen, blickten auf ihn nieder. Was um alles in der Welt war nur geschehen? Er berührte sein Schlüsselbein. Nichts. Es war unversehrt. Konnten Wachträume schmerzen? Verwirrt kniete er auf dem Boden der Halle. Auf einmal zog ihn ein Mann in die Höhe.

    »Worauf wartest du, Dastan? Steh auf und geh nach vorne!«

    Vorsichtig tat er einen Schritt nach dem anderen, begleitet von unzähligen Augenpaaren, die jede seiner Bewegungen verfolgten. Noch immer glaubte er, den Schmerz und die Kälte zu spüren. Warum sahen ihn alle so hasserfüllt an? Niemand sprach, nicht mal ein Flüstern. Sie waren ihm nicht freundlich gesonnen, er spürte es. Sie wollten ihn nicht hier haben. Aber weswegen war er überhaupt an diesem Ort? Es gab einen Grund, weshalb er durch diese Halle schwankte und dieses helle Hemd trug.

    »Dastan, was ist los mit dir? Reiß dich zusammen. Das hier ist deine letzte Chance!« Die letzte Chance! Die einzige Möglichkeit! Der Auftrag! Die Engeldatei! Er erinnerte sich. In wenigen Sekunden nahm er die wichtigste Mission seines Lebens entgegen. Nach vier langen Jahren des Bangens konnte er beweisen, dass er es wert war, wieder ein Teil der Engeldatei zu werden. Dies war der Weg, seinen Platz im Kreis der Wächter zurückzuerlangen. Seine Schritte wurden fester. Mit erhobenem Haupt trat er vor das Marmorpult.

    Ein Blitz hinter zusammengekniffenen Lidern, ein stechender Schmerz in der Schulter, die Klaue holte aus. Dastan riss schützend die Arme in die Höhe.

    »Um Tutelas Willen, Dastan, was soll das? Wir sind in einer Auftragsübergabe!« Ein Taumeln inmitten von Wirklichkeit und Traum. Hatte er am Abend zuvor ein Misty Cloud zu viel getrunken? Der Engel rief sich zur Ordnung. Tief atmete er ein und aus. Sein Puls senkte sich. Erst seit wenigen Tagen wusste Dastan, dass er eine letzte Chance bekommen und einen Auftrag in Empfang nehmen sollte. Die Engeldatei hatte ihn auserwählt. Sie mussten seine Akte also wieder in das Computersystem zur Wächterermittlung eingespielt haben. Das war die Gelegenheit, wieder einen festen Platz in der Elite der Wächter zu erlangen. Er war bereit.

    Die sonore Stimme des höchsten Richters Onriell ertönte: »Erneut wird heute vor dem hohen Gericht ein Wächterauftrag übergeben! Dieser Tag wird in die Geschichte Tutelas eingehen. Der Engel, der den heutigen Auftrag in Empfang nimmt, ist erstmalig nicht mittels der Engeldatei auserwählt worden.«

    Ein Raunen ging durch die Menge der Wartenden. Bedenken und Zweifel spiegelten sich in den Gesichtern.

    »Ich bitte um Ruhe!«, bat der alte Onriell, der hinter das Pult trat, um imposanter zu erscheinen. »Auf Grund der Besonderheit dieser neuen Mission war es nicht realisierbar, die Auswertung der Datei abzuwarten. Die Bedenken, die viele von Ihnen nun hegen, sind verständlich. Jedoch können Sie sich sicher sein, meine Damen und Herren, dass die zuständigen Richter diese Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen haben.«

    Ein Gemurmel ging durch die Reihen der anwesenden Engel. Sie steckten die Köpfe zusammen. Manche starrten Onriell verständnislos an, bis ein Mann aus einer der hinteren Reihen das Wort ergriff.

    »Darf ich sprechen, Richter Onriell?« Das Nicken des Ältesten ließ ihn entschlossen nach vorne treten. »Bitte verzeiht meine Zweifel an der Arbeit des Gerichts, doch wie kann ein seit hunderten von Jahren genutztes Medium einfach übergangen werden? Die Datei ist der Grundstein der Sicherheit!«

    Die erhobene Stimme schenkte auch anderen Zuhörern Mut. Schon trat der Nächste hervor. »Wie auch mein Vorredner hege ich starke Zweifel. Wie kann das hohe Gericht sicher sein, dass dieser Mann der Richtige für die Mission ist? Stellt das Gericht die Erfindung der Alten Wächter in Frage?« Zustimmende Worte ertönten aus der Masse.

    »Niemand stellt die Tauglichkeit der Engeldatei in Frage. Uns blieb in dieser Angelegenheit keine Zeit für langwierige Bürokratie, doch kann ich Ihnen versichern, dass Sie uns auch in Zukunft Ihr uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringen können.« Missmutig blickte der alte Richter in die Menge, als erwartete er weitere Engel des Volkes, die ihm unangenehme Fragen stellten.

    Just in diesem Moment zwängte sich ein Mann in die erste Reihe. Dastan verdrehte die Augen, als er die Person erkannte. Dergil, dieser Idiot, dachte er, als er den verhassten Bekannten erblickte.

    Ohne die Menge um Ruhe zu bitten, klagte Dastans ehemaliger Mitschüler an: »Ich frage mich, verehrter Richter Onriell, welch besonderer Auftrag dahinter steht. Wie dringlich kann diese Aufgabe sein, um das Werk der Alten Wächter in Frage zu stellen, nein, es unüberlegt zu übergehen? Ich zweifle nicht nur an der Art und Weise Eurer Arbeit, sondern auch an der Wahrheit Eurer Worte!« Bestürzte Ausrufe hallten durch das Gebäude. Fassungslos hielten sich die Frauen die Hand vor den Mund, während die Männer ungläubig den Engel vor sich anstarrten. Auch Dastan stockte kurz der Atem. Überrascht hob er eine Augenbraue. Mikael Dergil war für seine Stümperhaftigkeit bekannt, doch die Richter der Lüge zu bezichtigen, war schon ein anderes Kaliber. Wenn es schlecht für Mikael ausging, dann würde er angezeigt werden und einen eigenen Prozess erhalten. Das Angehen der Richter, egal auf welche Weise, galt als Straftat. Die Sache begann interessant zu werden. Wie würden die Richter reagieren? Vor allem der alte Onriell. Seine Schlagfertigkeit hatte schon bessere Zeiten erlebt. Onriell winkte Jalfur, seinen Stellvertreter, herbei und flüsterte in sein Ohr. Kaum einen Moment später wandte er sich wieder seinem Publikum zu. Dastan sah, wie der alte Richter zitterte.

    »Ich bitte um Verzeihung, verehrte Versammelte, aber ich bin alt. Ich muss ruhen. Daher gebe ich das Wort an meinen Stellvertreter. Er wird alle Fragen beantworten und die Auftragsübergabe weiterführen.« Onriell trat vom Podest herunter und verschwand durch eine Seitentüre. Kurz herrschte Stille.

    »Meine Frage wurde nicht beantwortet!«, empörte sich Mikael.

    »Ist das so?«, begann Jalfur, der hinter das Pult getreten war. »Verzeiht mir, Mikael Dergil, ich muss Euch wohl überhört haben. Könnt Ihr Euer Anliegen noch einmal wiederholen? Aber bitte in einer entsprechenden Kürze, wir haben keine Zeit und auf Kunstpausen legen wir keinen Wert.«

    »Habt Geduld, Jalfur, Erwählter des Hohen Rates. Ich werde meine Frage gerne noch einmal wiederholen, doch warum erhalte ich die Antwort von Euch und nicht vom Vorsitzenden?«

    »Wenn Ihr Euch schon als Redner vor das Publikum stellt, solltet Ihr besser aufpassen, was besprochen wird«.

    »Ebenso wie Ihr!«

    Dastan konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als sich Jalfurs Hände in die Platte des Pultes krallten. Er sah seinem ehemaligen Lehrer an, dass es in ihm brodelte.

    »Los jetzt, Dergil! Ich habe noch etwas anderes zu tun, als mich mit dir herumzuärgern.« Der Wechsel ins vertraute »Du« warnte den jungen Engel. Er räusperte sich, dann wiederholte er seine Worte: »Ich zweifle nicht nur an der Art und Weise Eurer Arbeit, sondern auch an der Wahrheit Eurer Worte ...«

    »Ihr wagt es, uns der Lüge zu beschuldigen?«, fuhr der Richter mit wütender Stimme dazwischen. Doch Mikael ließ sich nicht beirren und sprach ohne Stocken weiter: »Denn eine Frage steht über allen: Warum soll ausgerechnet Dastan Davani diese Mission ausführen? Wurde er nicht erst vor wenigen Jahren suspendiert, weil er sich den Aufständischen angeschlossen hat und einer Rebellion beiwohnte? Und der ein oder andere Bruch der Wächterregeln sollte hierbei auch nicht in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel die Affäre mit einer Menschlichen, auf Grund derer er abgemahnt wurde. Dastan Davani sollte in das Nihili abgeschoben werden, nicht als Schutzengel in die Menschenwelt!« Zustimmende Worte hallten aus allen Winkeln des Gebäudes, welche Dastan ein flaues Gefühl in die Magengegend trieben. Zwar hatte sich das Gericht bisher noch nie in seinen Entscheidungen beeinflussen lassen, doch lebte das Volk streng nach den Gesetzen der Alten Wächter. Bei gesetzeswidrigen Handlungen gegen die Wächterregeln wurden harte Strafen gefordert.

    »Das hohe Gericht hat Stillschweigen über die Missionen der Wächter zu wahren. Ich bitte, das zu respektieren. Und was den Auserwählten angeht, hast du natürlich recht, Mikael Dergil. Jedoch ist er der am besten geeignete Kandidat für diesen aktuellen Auftrag. Dastan kennt sich in der Heimat des neuen Schützlings bestens aus. So ersparen wir uns unnötige und zeitraubende Recherche«, erklärte Jalfur und blickte dabei direkt in Mikaels Augen. »Oder willst du selbst die Mission in Empfang nehmen und nach Solum, in die Menschenwelt, reisen?«

    Eine minimale Pause entstand, in der sich die beiden Parteien schweigend anstarrten. Man hätte glauben können, die Blitze zu sehen, die zwischen ihren Augenpaaren aufflammten. »Ach, nein«, sprach Jalfur weiter. »Die Reifeprüfung zum Erlangen des Wächtertitels hast du ja nicht zureichend abgelegt. Der Beruf des Schutzengels blieb dir verwehrt. Verzeih, das hatte ich vergessen. Leider ist es mir untersagt, einem niederen Drehstuhlpiloten lebendes Schutzgut anzuvertrauen.« Stille herrschte im Saal. Alle Augenpaare wanderten vom triumphierend lächelnden Richter zu Mikael, in dessen Augen Tränen der Wut und der Scham glänzten. Seine Lippen bebten, während er seine Hände so fest zu Fäusten ballte, dass sich die Fingerknochen unter der rosigen Haut weiß abzeichneten. Er öffnete seinen Mund, als wollte er noch einmal Jalfur entgegentreten, doch drehte er sich ruckartig um, drängelte sich rüde an den Zuschauern vorbei und verschwand zwischen ihren Körpern.

    Der Richter hatte die richtigen Worte gewählt. Nun war sich Dastan sicher, endlich nach vorne treten zu können. Er wollte den Auftrag schnellstmöglich in Empfang nehmen und hier verschwinden. Die kalten Wände der Halle und die vielen Engel engten ihn ein. Außerdem war er schon wieder genervt von dieser Zeremonie. Warum in aller Welt musste das einfache Volk bei der Übergabe dabei sein, warum hatten sie das Recht, Fragen zu stellen? Doch die Auftragsübergabe wurde erneut unterbrochen. Die Stimme gehörte einem Mann mittleren Alters, der ein kleines Mädchen an der Hand hielt. Dastan kannte ihn nicht und verdrehte ermüdet die Augen.

    »Ungeachtet dessen, was wir soeben gesehen und gehört haben, hat das Volk der Engel das Recht zu erfahren, warum in diesem Fall so gehandelt wurde«.

    Tief atmete Jalfur hinter dem Pult ein, dessen Rand er krampfhaft mit den Händen umklammerte. Nahezu unbemerkt wechselte er einen hastigen Blick mit der Richterin Philinea, die unweit von ihm wartete. Als sie ihm ein kaltes Nicken zur Antwort gab, räusperte er sich, bevor er sprach: »Der Anlass für die überstürzte und kurzfristige Handlung ist ein junger und wichtiger Mensch, der in Lebensgefahr schwebt. Er wird verfolgt. Man trachtet nach seinem Leben. Wir sind für die Unversehrtheit der Menschen verantwortlich. Folglich werden wir hier und jetzt, ohne noch weitere Fragen zu beantworten, die Aufgabe an unseren Wächter übergeben. Es geht schließlich um ein Leben. Um das Leben des letzten Magiers der Menschenwelt.«

    Stille. Kein Ton hallte in der Halle des Gerichts wider. Beschämt sahen die Engel zu Boden. Wie hatten sie nur die Entscheidungen der Richter in Frage stellen können? Dastan erkannte, dass dem Großteil des Engelsvolkes eines noch am Herzen lag: die Sicherheit und das Leben der Menschen. Das war seit jeher die Aufgabe der Engel, ihre Mission, und die Besten unter ihnen waren dafür verantwortlich. Er war einer davon. Die Masse der Zuschauer spaltete sich und machte Platz, um Dastan endgültig vortreten zu lassen. Der Engel schritt hindurch und trat vor das Pult. An dieser Stelle hatte er schon oft gestanden. Hier auf der erhöhten und größten der Marmorplatten, hier auf dem Stein der Wächter.

    Drei Richter traten hervor. Einer davon war Jalfur, in dessen Händen die lang herbeigesehnte Hoffnung lag: Ein Umschlag, verschlossen mit einem silberfarbenen Siegel. Dastans Ungeduld wuchs. Zu gerne hätte er dem Richter den Brief entrissen. Es ging ihm alles zu langsam. Links von Jalfur stand Philinea. Ein weiblicher Engel mittleren Alters und mit wundervollen blonden Locken. Mit ihrem Äußeren erfüllte sie vollends das Klischee der Engel, welches in den Köpfen der Menschen seit langer Zeit verankert war. Der Dritte unter ihnen trug den Namen Elfar. Ein von grauen Strähnen durchzogener Kinnbart zierte sein Gesicht. Sein Haar, kurz und gepflegt, ein typischer Männerschnitt, übernommen von den Menschen, hatte die vollste Zeit bereits hinter sich gebracht. Auch wenn Frisur sowie Statur sich nicht sonderlich ähnelten, erkannte man die Ähnlichkeit der zwei Männer auf den ersten Blick. Dastans Blick wanderte von seinem Vater zurück zu Jalfur, der nach vorne trat und ihm den weißen Umschlag überreichte.

    »Ich bitte um Euer aller Aufmerksamkeit!«, begann er mit erhobener und bestimmter Stimme. »Dastan Davani, Wächter Tutelas, hier ist dein Auftrag!«

    Ein lauter Gong ertönte, als Dastans Hände den Brief entgegennahmen. Der Schlag der großen Glocke war in ganz Tutela zu hören. Ein neuer Auftrag war vergeben worden – jeder sollte es erfahren. Die Säulen der Halle vibrierten und für einen Augenblick hatte Dastan das schmerzhafte Gefühl, die Klaue auf seiner Schulter zu spüren. Er biss die Zähne zusammen. Alles nur Einbildung. Alles nur Einbildung.

    Behutsam entfernte er das Siegel. Ein gefalteter weißer Zettel kam zum Vorschein. Tief atmete Dastan ein und aus. Der Auftrag seines Lebens. Würde er einem König dienen oder eine Zarin schützen? Eine reiche Millionärstochter oder einen Präsidenten?

    Dastan faltete das Papier auf und las den in Großbuchstaben geschriebenen Namen und die Daten seines menschlichen Schützlings. Um ihn herum herrschte gespannte Stille:

    Edmund Badocha

    23 Jahre, alleinstehend, arbeitslos

    Abschluss: Abitur (Note: 3,8)

    Abgebrochenes Naturwissenschaftsstudium

    Abbruch zweier angefangener Ausbildungen

    Problematiken: Alkohol und Drogen

    Verwandtschaft (zurzeit keine Art von Kontakt)

    Eltern: Helena und Hugo Badocha, Geschwister: keine

    Großvater: Balduin Badocha

    Freundeskreis: Tommy Moreeno

    Zukunft/Perspektive: keine

    Wichtigkeitsgrad des Auftrags: sehr hoch

    Nähere Informationen erhalten Sie durch das Hohe Gericht. Sie werden über Ort und Zeit durch einen Boten benachrichtigt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Hohes Gericht von Tutela

    Wollt ihr mich verarschen?, hallte es in Dastans Gedanken. Das konnten die Richter auf keinen Fall ernst meinen! Nach all der langen Wartezeit stand er in der Halle des Hohen Gerichts, um den Auftrag entgegen zu nehmen, der ihn zurückbringen sollte zu Ruhm und Ehre. Mit dieser Mission musste er beweisen, dass sein Rauswurf aus der Engeldatei ein großer Fehler gewesen war. Keinen Moment hatte er gehofft, eine simple Mission zu erhalten, doch das, was er da in der Hand hielt, das war ein Witz! Wollten sie ihn bloßstellen? War es der Zweck des Gerichts, ihn bis auf die Knochen zu blamieren? Nein, das war nicht ihre Art. Egal was sie planten, sie taten es aus Überzeugung und mit großer Ernsthaftigkeit. Edmund Badocha. Sollte dieser Junge wirklich eine Herausforderung sein?

    Dastan blickte wie benommen von dem Schriftstück auf und direkt in Elfars Gesicht. Sein Blick war unerbittlich. Er wusste, was in Dastan vorging. Mit seinen drängenden Augen forderte er ihn wortlos auf, die Annahme zu vollenden.

    Sei still Dastan. Sag nichts, gar nichts. Nimm den Auftrag an und dann hau ab. Geh jeglicher Gefahr aus dem Weg. Du bist so weit gekommen, mach es nicht kaputt. Er ordnete seine Gedanken, schaute noch einmal in die Augen seines Vaters und die Jalfurs. Dann stand er auf, riss den Brief in die Höhe, bevor er sich vor den Richtern des Hohen Rates verneigte und sich so für die übergebene Mission und das Vertrauen bedankte.

    »Ich nehme den Auftrag an!«

    Jubelrufe und tobender Beifall erschallten, versetzten den weißen Raum in einen Ausnahmezustand. Noch nie in der Geschichte Tutelas hatte ein verurteilter Rebell eine Chance erhalten, Ruhm und Ehre zurückzuerlangen. Dastan sah nur Fratzen. Hässliche Gesichter, die ihm schadenfroh entgegenlachten. Schnellen Schrittes lief er durch die Gasse, die ihm in der Masse geöffnet wurde. Die Blicke der Engel bohrten sich in seinen Rücken. Mit großem Schwung stieß er die Flügeltüren des Gerichts auf und trat ins Freie. Endlich konnte er wieder atmen.

    II. Der Rebell

    S ein Weg führte an den Wolkenalleen vorbei Richtung Schwebendes Gebirge. Vorüber an den Glasflüssen, am Kristallsee und über die Brücke des Bachs der Kleinen Flügel. Er ließ das alte Haupthaus der Ausbildungsstätten, das hinter einem gepflegten Vorgarten lag und von einer Marmormauer umgeben wurde, unbeachtet hinter sich. Er hatte die Schule gehasst und doch war es sein größter Wunsch gewesen, ein Schutzengel zu werden und den Titel des Wächters zu erlangen, egal was er dafür opfern musste. Nach Abschluss der aufwendigen Ausbildung waren viele seiner Aufträge von Erfolg gekrönt gewesen. Eine Vielzahl an Auszeichnungen hatte ihm schließlich den Weg in die Elite der Schutzengel erleichtert: die Engeldatei. Doch auch die Schattenseite des Ruhmes blieb dem Engel nicht verborgen. Dastan sah sich als Sieger und lachte über die Regeln, die ihm als Wächter auferlegt wurden. Es folgte ein Fehltritt nach dem anderen – kurzzeitige Entgleisungen. Er konnte noch heute nicht nachvollziehen, wieso die sexuelle Erfahrung mit einer Menschenfrau als schlimmes Vergehen angesehen wurde. Die Engel waren bemüht, sich die weit gefächerten Wissenschaften der Menschen anzueignen, warum blieben fleischliche Gelüste dabei so weit im Hintergrund? Sie hatte sich ihm hingegeben, ohne etwas von seiner Übernatürlichkeit zu ahnen. Ein verführerisches junges Ding. Fast bedrängt hatte sie ihn. Er hatte sich ihr nicht widersetzen können. Sie war jung, fremd und unerfahren. Alles an ihr war so anziehend, dass es ein Leichtes war, die Regeln der Wächter zu verdrängen. Doch nicht nur die weiblichen Reize ließen Dastan von einem Missgeschick in das nächste treten. Der Reiz des Unbekannten, die Sucht nach Adrenalin und seine Liebe zu einer Engelsfrau hatten ihn zu einem Schritt bewogen, der sein Leben für immer verändert hatte: Er war den Rebellen beigetreten. Mit Leidenschaft und Entschlossenheit hatte er alles in seiner Macht stehende getan, um die Gemeinschaft zu unterstützen. Doch kaum war das erste Jahr verstrichen, kamen ihm Zweifel an seiner Entscheidung. Kein Lohn war in seine Taschen geflossen, sein Haus am Steg des Kristallsees war das Einzige, was er nicht hatte aufgeben müssen. Das Rebellendasein hatte ihm die Möglichkeit gegeben, Rache zu üben an denen, die ihn Auftrag für Auftrag schikaniert hatten und ihm immer wieder Steine in den Weg legten. Auch die Beziehung mit der schönsten aller Engelsfrauen war um einiges leichter geworden. Doch das war Vergangenheit. Elise Elaah war nicht mehr unter ihnen. Fort – für immer. Nichts hielt ihn mehr bei den Aufständischen. Eine missglückte Mission, der Tod von vielen Freunden, die Verbannung seiner Liebe und das Leben als ewiger Staatsfeind ohne Geld konnte er nicht mehr ertragen. Das Angebot der Richter, seine Taten ungeschehen zu machen, nahm er dankend an. Und dann das! Zornig zog er das Leinenhemd aus und warf es in den nächsten Mülleimer, bevor er den asphaltierten Weg überquerte und den Pfad zu den hüttenartigen Häusern einschlug; der Siedlung der Rebellen. Nach der misslungenen Revolte war Ruhe in die Reihen der Rebellen eingekehrt. Die Anführerinnen waren verbannt und schwere Strafen verhängt worden. Die Geflüchteten zogen wenige Wochen später zurück in ihre Siedlung. Der Schock des Verlusts und Versagens saß tief und wuchs zur Schwermut heran, die eine Decke der Stille über die Rebellen legte. Sie fürchteten um ihr Leben und ihre Freiheit. Die Richter begnadigten jedoch die Flüchtlinge. Die Strafen der Rebellenanführer sollten Warnung genug sein – eine trügerische Annahme. Die strengen Einschränkungen und Observationen, die das Hohe Gericht verhängte, machten die Rebellen zu Gefangenen der eigenen Heimat. Dem Schicksalsschlag zum Trotz, wuchs die Gemeinschaft der Aufständischen stetig. Viele junge Engel entschieden sich gegen die Ausbildung zum Wächter und erlernten andere Berufe. Ebenso verschlug es Jugendliche, welche sich ohne Probleme eine Wächterausbildung hätten leisten können, in die Siedlung der Rebellen. Die einst kleine Gruppe von Aufständischen wandelte sich innerhalb weniger Jahre zur Jugendkultur. Nur eine kleine Anzahl sah sich noch in der Pflicht, für einen einzelnen Menschen die weite Reise auf sich zu nehmen und sich in Gefahr zu begeben. Die jungen Engel waren zu Hasenfüßen geworden. Niemand war mehr bereit, etwas zu riskieren. Sie sprachen von fehlender Würdigung der harten Arbeit; auch die großzügige Bezahlung konnte sie nicht mehr begeistern. Diese Frischfleischrebellen wussten nichts – gar nichts. Nicht einmal den wahren Grund des damaligen Aufstands, nicht die Philosophie, die dahinter gelegen hatte. Für sie war nur das Gefühl und das Wissen wichtig, zu den Außenseitern zu gehören. Zu den verstummten Rebellen in ihrer abgeschiedenen Siedlung.

    Dastan ging über die hölzerne Brücke des Bachs, die die Siedlung von der restlichen Stadt abgrenzte. Während der Zeit unter den Rebellen hatte er sich an die bunte Pracht der Gebäude gewöhnt und doch war es immer wieder eindrucksvoll, von Tutelas silberner Reinheit in die farbenfrohe Welt zu treten. Die Bewohner hatten ihre Häuserfronten und kleinen Gärten ganz individuell nach ihren Wünschen gestrichen, bemalt oder mit Accessoires verschönert. Außerhalb der Rebellensiedlung waren solche Ausuferungen, wie sie gerne genannt wurden, nicht denkbar. Alles musste stimmig sein und den Vorgaben des Hohen Gerichts entsprechen.

    Zielstrebig ging der Wächter in Richtung der Reihenhäuser, blieb vor einer schwarz gefärbten Tür stehen und klopfte.

    »Ethan? Ethan mach auf, ich bin es, Dastan!« Ein wenig mulmig war ihm zumute. Seine Entscheidung, ein weiteres Mal für die Richter zu arbeiten, erntete keine Zustimmung von seinen engsten Freunden. Ethan war erschüttert gewesen und hatte ihn als Verräter beschimpft. Dastan klopfte erneut, als die Tür sich wie befürchtet nicht öffnete. »Mach die verdammte Tür auf, Ethan, ich weiß, dass du da bist.« Das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, brannte sich in Dastans Nacken. Er blickte über die Schulter; sah nichts, klopfte erneut. Bestimmt war es nur ein Gabryfax, welches sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. Diese Siedlung war ein Minenfeld. Keinen Schritt konnte man machen, ohne beobachtet oder verfolgt zu werden. Ein falsches Wort, ein falscher Schritt und die Bomben gingen hoch. Wiederholt klopfte Dastan, diesmal härter, mit der ganzen Faust.

    »Ethan, hör auf mit dem Kinderkram und mach diese verdammte ...«

    Schlurfende Geräusche hinter der Tür, leises Knacken im Schloss, und die Pforte zur Rebellenwohnung öffnete sich. Der in Jogginghose und Achselshirt gekleidete Hausherr lehnte sich lässig gegen den schwarzen Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem abschätzenden Blick musterte er seinen Besucher. Spott und Neugier funkelten in seinen dunkelblauen Augen. »Und? Welchen reichen Arsch wirst du diesmal retten?«, fragte er Dastan ohne jedwede Begrüßung.

    »Zu deiner grenzenlosen Freude ist es diesmal kein reicher Arsch, sondern ein minderbemittelter Kokser.«

    »Hä?«, machte der Mann in der Tür und zog die Stirn kraus. Noch immer hatte er seinen Besucher nicht hereingebeten. Er verharrte in der ablehnenden Haltung und versperrte den Eingang.

    »Nichts hä! Ich erklär es dir drinnen«, versprach Dastan und blickte erneut über die Schulter. Das Gefühl, im Visier der Gabryfaxe zu sein, wurde intensiver. Es war an der Zeit, die Unterhaltung hinter sicheren Wänden weiterzuführen.

    Ethan bemerkte seine Unruhe. »Oh, hat der große Wächter Angst bespitzelt zu werden? Haben sie dir verboten, mit einem Rebellen zu reden?«

    »Verdammt, Ethan! Es geht um einen Auftrag. Strengste Geheimhaltung, alte Leier. Sogar du wirst dich daran erinnern können. Schon allein der Gedanke daran, mit dir über den Auftrag zu sprechen, kann für mich das Aus bedeuten.«

    »Die Regeln des Gerichts scheinen sich nicht verändert zu haben, aber die der Aufständischen auch nicht. Dies ist eine Rebellenwohnung; kein Wächter darf eintreten und schon gar kein Verräter. Was davon bist du, Dastan?«

    »Scheiß auf deine Regeln, glaubst du, ich nähme das hier in Kauf, wenn es nicht wichtig wäre?«

    »Oh, wichtig ist es also? Das heißt, ich muss jetzt stolz da­rauf sein, dass du dich in Gefahr begibst, um bei deinem besten Rebellenkumpel zu schnorren?«

    »Schnorren? Bitte ... was?« Ein Grunzen entwich Dastans Kehle. Wütend stieß er seinen Freund beiseite und trat in die Wohnung. Ethan zuckte die Schultern, ging hinter seinem Kumpel her und schloss die Tür. »Ja, schnorren. Du kommst doch immer nur vorbei, um mit mir einen Misty Cloud zu trinken.« Mit einem frechen Grinsen trat er am Wächter vorbei und öffnete den Kühlschrank.

    Das übergroße, mit Aufklebern übersäte Kühlgerät stand in einer Nische des Wohnzimmers. Die meisten der Klebebildchen zeigten unbekleidete Engelsfrauen mit weit ausgebreiteten Flügeln in ordinären Posen oder die Schriftzüge bekannter Rebellenrockbands wie Rising Wind oder Guardians Curse. Ethans Wohnung war typisch für einen Rebell: kein Marmor, keine weißen Wände, keine hellen Fliesen. Der Boden bestand aus dunkelbraunen Korkplatten und die Wände waren teils terrakottafarben, teils schwarz gestrichen. Hier fand man keine Portraits der heiligen Ahnen oder Alten Wächter, hier zierten Banner des beliebten Rebellengetränks, Poster von brennenden Flügeln sowie selbstgeschossene Fotos die dunklen Wände. Dastan hatte schon viele Wohnungen in dieser Siedlung zu Gesicht bekommen. Nicht alle waren so düster eingerichtet wie die Ethans. Die meisten strahlten in bunten Farben mit glitzernden Verschnörkelungen. Tutela sollte in einem Farbenmeer glänzen. Fort mit dem tristen Grau und Silber, hinweg mit der Gleichheit, her mit individueller Lebensgestaltung. Dass mit dieser Zukunftsvision nicht gespaßt wurde, hatten die Rebellen schon mehrmals demonstriert. Die Unruhestifter waren verfolgt, bestraft und eingesperrt worden. Um nicht noch mehr Verluste und Rückschläge zu erleiden, hatten sich die Aufständischen nach und nach zurückgezogen. Ethan reichte Dastan die durchsichtige Flasche mit der milchigen Flüssigkeit und setzte sich neben ihn auf das durchgesessene Sofa.

    »Du siehst abgespannt aus, Kumpel. Wann hast du das letzte Mal die Flügel ausgebreitet und bist ein Stück geflogen? Es würde dir echt mal wieder gut tun.«

    Ja, es war lange her. Damals war Elise noch an seiner Seite. Heimlich traf sich die kleine Clique am Damm, der nördlichen Grenze der Siedlung, um gemeinsam das Gesetz zu brechen.

    Die Wächterregel, welches die Nutzung und Demonstration der Flügel untersagte, existierte seit mehr als 500 Jahren und war seit vielen Jahren auch auf das normale Engelsvolk ausgeweitet worden. Kinder hatten die Erlaubnis, ihre silbernen Schwingen bis zu ihrem zwölften Lebensjahr ohne Grenzen zu nutzen. Auch die Pflicht, die Pracht auf dem Rücken zu verbergen, trat erst mit ihrem 13. Geburtstag in Kraft. Ab diesem Tag waren die Flügel eng an den Körper zu legen oder ganz in die Muskeln einzuziehen, wozu die meisten Engel in der Lage waren. In der Öffentlichkeit durften sie keineswegs zur Schau gestellt werden, ihre Benutzung war ausschließlich für Notzeiten oder für die tadellose Ausübung der Missionen vorgesehen. Die edlen Engelwesen waren bescheiden und benötigten keine körperlichen Besonderheiten, um ein anständiges und angesehenes Leben zu

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