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Joranor: Steine im Strom der Zeit
Joranor: Steine im Strom der Zeit
Joranor: Steine im Strom der Zeit
eBook989 Seiten13 Stunden

Joranor: Steine im Strom der Zeit

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Über dieses E-Book

Joranor ... So nannten die ersten arelianischen Siedler das Land, das sie vor so langer Zeit, am Ende ihrer langen Reise fanden.
Für sie war es das verheißene Land - das Land ihrer Träume und Hoffnungen. Für die katzenartigen Chelodrim, die dort bereits seit Generationen lebten, war es ihre Heimat.

Dreihundert Jahre lang konnte sich das arelianische Reich nahezu ungehindert über den Kontinent ausbreiten. Doch nun scheint sich ein alles entscheidender Krieg nicht länger vermeiden zu lassen.

Und während die Einen versuchen, den Ausbruch des Krieges noch abzuwenden, lernen die Anderen eine Wahrheit, die ihr Weltbild zerstören und sie für immer verändern wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum31. Jan. 2024
ISBN9783758333477
Joranor: Steine im Strom der Zeit
Autor

Nils Gedicke

Nils Gedicke wurde im Jahre 1979 geboren und ist von Beruf Softwareentwickler. Die Liebe zu phantastischen Welten entdeckte er schon sehr früh und machte das Erdenken und Verfassen von Geschichten bereits in seiner Jugend zu einem seiner Hobbys.

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    Buchvorschau

    Joranor - Nils Gedicke

    Mein Dank geht an

    *

    Jenni und Jules

    für euren kreativen Input und Motivation während des Schreibens

    und

    darüber hinaus

    *

    Maikl und Yvonne

    für eure ehrliche Meinung und unendliche Geduld beim Korrigieren

    meiner orthografischen Ergüsse

    (Alle verbliebenen Fehler gehen alleine auf meine Kappe)

    *

    meine Testleser

    Andreas, Argon Itea, Dennis, Markus und Rüdiger

    für eure Kritik und wichtigen Hinweise

    *

    Und nicht zuletzt

    Nate

    einfach dafür, dass du da bist und mir zuhörst, auch wenn du mit

    Fantasy-Literatur nicht wirklich viel anfangen kannst.

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Kapitel Eins Flucht

    Kapitel Zwei Richtung Heimat

    Kapitel Drei Arelon

    Kapitel Vier Baktesabath

    Kapitel Fünf Wahrheiten

    Kapitel Sechs Das Feldlager

    Kapitel Sieben Die Gilde

    Kapitel Acht Bündnisse

    Kapitel Neun Aufbruch

    Kapitel Zehn Olükien

    Kapitel Elf Der Plan

    Kapitel Zwölf Verhandlungen

    Kapitel Dreizehn Entscheidungen

    Epilog

    Appendix

    Dramatis Personae

    Sprache der Chelodrim

    Prolog

    Joranor … So nannten die ersten Siedler das Land, das sie vor so langer Zeit, am Ende ihrer langen Reise fanden. Für sie war es das verheißene Land — das Land ihrer Träume und Hoffnungen. Für all jene, die dort bereits lebten, war es ihre Heimat.

    Hätte ich gewusst, welche Bedeutung die Ereignisse jener Zeit hatten und welche Konsequenzen sie bis in das Hier und Jetzt haben würden, ich hätte meine Wanderung wohl niemals begonnen. Doch als ich aufbrach, wusste ich nichts von alledem.

    Damals wollte ich das Land bereisen und alles lernen, was es über diese Welt zu lernen gab. Ich wollte Verborgenes entdecken, Geheimnisse lüften und schlussendlich mit dem neu gewonnenen Wissen zurückkehren, so wie es viele Generationen vor mir taten und auch hoffentlich noch viele weitere nach mir tun werden.

    Nie hätte ich gedacht, dass meine Wanderung ein so jähes Ende finden, nie mir vorstellen können, dass eine von uns unsere wichtigsten Gesetze brechen würde. Denn niemals hätte ich geahnt, wie groß die Macht der Angst, des Zornes und des Hasses sein, wie weit der Wunsch nach Vergeltung ein jedes Wesen treiben und wie verzehrend heiß das Feuer der Rache brennen kann.

    Diese Geschichte beginnt mit einem Ereignis, bei dem jenes unselige Feuer zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder auflodern sollte. Hier, in der kleinen Stadt Ewensgard im arelianischen Reich, nahmen die Dinge zwar nicht ihren Anfang, doch begann hier die Kette der Ereignisse, die mein Leben, mein Wesen und mein Sein für immer verändern sollten. Ereignisse, die mich letzten Endes zu dem machten, was ich heute bin:

    Nur ein Stein im Strom der Zeit.

    Kapitel Eins Flucht

    1

    Sorans Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen, als die Wachen unter dem aufmerksamen Blick ihres Hauptmanns die Tür zu der kleinen Zelle öffneten. Kalter Schweiß ließ die grobe Uniform, die er in seiner Rolle als Henker tragen musste, an seinem Körper kleben, doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Wenn auch nur einer der drei Männer verdacht schöpfte, war sein Vorhaben gescheitert. Also trat er mit festem Schritt an ihnen vorbei in die kleine, dreckige Kammer und versuchte möglichst ungerührt zu wirken, als sein Blick zum ersten Mal auf die Gefangene fiel.

    Im ersten Moment konnte er nicht glauben, dass das Wesen, das vor ihm in der Zelle lag, eines der gefährlichsten Geschöpfe der Welt sein sollte.

    Es lag auf einer dreckigen Matte aus verfaulendem Stroh, und auf den ersten Blick hätte man es für einen Menschen halten können, wäre da nicht das kurze, hellbraune Fell gewesen, das den ganzen Körper bedeckte. Auch der lange, dünne Schwanz, der dem Wesen fast bis zur Wade reichte und in einer struppigen Quaste endete, brach mit dem Eindruck der Menschlichkeit.

    An einigen Stellen war das Fell des Wesens verbrannt und fast überall von angetrockneten Blut verklebt, während die wenige Kleidung, die es am Körper trug, zerrissen und verdreckt an ihm herabhing. So wie es da lag, sah es so aus, als würde es auch ohne die bevorstehende Zeremonie in wenigen Minuten sein Leben aushauchen. Doch Soran wusste es besser. Er wusste nicht nur um die Zähigkeit der Chelodrim im Allgemeinen, nein, gerade über dieses spezielle Exemplar wusste er einiges, hatte er doch schon sein ganzes Leben mit Kediara verbracht.

    Die beiden Wachen, die nach ihm die Zelle betreten hatten, wichen unwillkürlich zurück, als sie den Kopf hob und sie mit ihren geschlitzten Augen böse aus einem Gesicht anfunkelte, das eher an eine Katze erinnerte als an ein menschliches Wesen.

    Kediara bleckte ihre spitzen Zähne und fauchte die Neuankömmlinge an. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit stieß sie sich vom Boden ab und versuchte nach ihnen zu schlagen. Hätte sie noch die nötige Kraft gehabt, wäre es womöglich gefährlich geworden, doch so fuhr ihre mit scharfen Krallen bewehrte Hand harmlos durch die Luft, während sie, schmerzhaft stöhnend, wieder auf dem dreckigen Lager zusammen sackte.

    »Nun bringt sie endlich raus!«, tönte die ungeduldige Stimme des Hauptmanns, der noch immer im Gang wartete.

    Die beiden Männern hinter Soran mussten sich sichtlich zusammenreißen, um ihrer Pflicht nachzukommen. Zögernd traten sie vor, ergriffen Kediara an den Armen und zogen sie unsanft zur Tür hinaus. Rücksichtslos schleppten sie sie durch die steinernen Gänge des Rathauses, während das laute Rufen der aufgebrachten Menge vom Marktplatz durch die Fenster des Gefangenentraktes zu ihnen hereindrang.

    Dort vor dem Gebäude drängten sich die Schaulustigen und gaben Soran das Gefühl, sämtliche Einwohner Arelons, der Hauptstadt des arelianischen Reiches, wären hier, in der kleinen Stadt Ewensgard zusammengekommen, um das seltene Spektakel zu betrachten.

    Und sie alle wollen Blut sehen, war er überzeugt. Sie wollen sehen, wie einer ihrer Dämonen zurück in die Abgründe geschickt wird, aus denen er ihrer Meinung nach stammt.

    Zornig verzog er den Mund, als er als letzter der Gruppe das Gebäude verließ, und war froh, dass man sein Gesicht unter der Henkersmaske nicht sehen konnte. Gesenkten Hauptes schritt er durch die Menge, während sich die Wachen vor ihm ihren Weg zum Zentrum des Platzes bahnten und versuchte das Gegröle der Menschen auszublenden. Stattdessen ging er noch einmal in Gedanken seinen Plan durch.

    Seit er Kediaras Entführer bis hierher verfolgt hatte, hatte er einige Zeit damit verbracht, sich mit der Stadt und ihrer Umgebung vertraut zu machen, und alles für ihre Flucht vorzubereiten. Auch die Gebäude und Gassen in der Umgebung des Marktplatzes hatte er sich genau angeschaut und schließlich einen Weg gefunden, auf dem sie aus der Stadt entkommen konnten. Zumindest hoffte er, dass es so sein würde.

    Dass er es dann auch noch geschafft hatte, sich als Henker anheuern zu lassen, war ein glücklicher Zufall gewesen, der ihm sein Vorhaben ungemein vereinfachte.

    So sehr die Arelianer die Chelodrim auch hassen, dachte er abfällig. Für die Drecksarbeit sind sie sich offenbar noch immer zu schade.

    Nun blieb ihm nichts mehr anderes zu tun, als zu hoffen, dass sie sich auch lange genug ablenken ließen, um ihnen die Flucht zu ermöglichen.

    Als er endlich am großen Scheiterhaufen in der Mitte des Platzes ankam, konnte er die Blicke, die auf ihm ruhten, förmlich spüren. Doch der Hass und die Wut in ihnen, so wusste er, galt nicht ihm, sondern Kediara — dem Dämon.

    Abergläubisches Pack, ging es ihm durch den Kopf, als er eine Fackel nahm und diese entzündete. Die Wachen banden Kediara mit dicken Seilen an einem Pfahl fest, der aus dem Scheiterhaufen hervorragte, traten von der Feuerstelle zurück und schon näherte sich unaufhaltsam der Moment der Wahrheit, an dem sich zeigen würde, was Sorans Plan taugte.

    »Im Namen Thalions des Gerechten!«, dröhnte es vom Balkon des großen Rathauses, wo der Bürgermeister mit den Abgesandten der Kirche stand. »Schickt diesen Dämon dorthin zurück, woher er kam!«

    Soran senkte den Blick, schloss die Augen und ließ ein Bild vor seinem geistigen Auge entstehen. In Gedanken griff er nach dem Quell seiner Magie, genauso wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Dann stieß er die Fackel in das trockene Holz.

    Augenblicklich quoll Rauch hervor, wurde bald immer dichter und hüllte den Scheiterhaufen komplett ein. Doch er stieg nicht etwa in den Himmel auf, nein. Er kroch viel mehr — einem lebenden Wesen gleich — am Boden entlang, verschluckte zunächst die nahe am Scheiterhaufen stehenden Wachen und bewegte sich dann langsam, aber unaufhaltsam, auf die umstehende Menge zu. Aus seiner Mitte erklang ein unheimliches Heulen, das immer lauter zu werden schien, je weiter sich die graue Masse ausbreitete.

    Entsetzen machte sich auf den Gesichtern der umstehenden Menschen breit. Voller Panik begannen sie auseinander zu laufen — fort von der unheimlichen Erscheinung.

    Am Scheiterhaufen selbst jedoch, war die Luft klar geblieben. Soran löschte die Fackel und warf sie achtlos beiseite. Seine Magie, die nun die Illusion immer weiter anwachsen ließ, hatte dafür gesorgt, dass kein Feuer auf die trockenen Zweige übergesprungen war und der Scheiterhaufen noch immer so unversehrt vor ihm lag, wie zu Beginn der Zeremonie.

    Er legte die Maske ab, zog seinen Dolch aus dem Gürtel und kletterte über das aufgetürmte Holz zu Kediara empor. Mit einem schnellen Schnitt hatte er die Seile durchtrennt und hielt ihr nun seine Hand entgegen.

    »Ked, wie geht es dir?«, fragte er besorgt. »Kannst du laufen?«

    »Soran!«, stieß sie voller Unglauben hervor und versuchte seine Hand zu greifen. Doch kaum hatte sie sich von dem Pfahl gelöst, da taumelte sie ihm auch schon entgegen und wäre wohl gestürzt, hätte er sie nicht geistesgegenwärtig festgehalten.

    »Vorsicht«, sagte er und hielt sie einen Moment stützend fest, bevor er sie schließlich kurzentschlossen hochhob und vom Scheiterhaufen heruntertrug. »Lass mich dir helfen.«

    Sie stieß ein leises, protestierendes Fauchen aus, ließ ihn aber gewähren — ja, sie klammerte sich sogar für einen Augenblick regelrecht an ihn, als fürchtete sie, dass er wieder verschwand — bis sie am Rande des aufgetürmten Holzes angekommen waren und er sie wieder absetzte.

    »Du … du bist tatsächlich gekommen«, brachte sie stockend hervor, als könne sie es noch immer nicht glauben. Dann machte sie ein paar kurze, unsichere Schritte und schien ihm zumindest wieder so sicher auf den Beinen zu sein, dass er sie nicht länger stützen musste.

    »Natürlich bin ich das«, sagte er und blickte sich gehetzt um. »Aber jetzt lass uns hier verschwinden«.

    Erneut ergriff er ihre Hand und gemeinsam traten sie in die wallenden Rauchschwaden.

    2

    Vom Balkon des Rathauses aus beobachtete Torgard Elesim, der Bürgermeister des kleinen Ortes Ewensgard, das Geschehen gemeinsam mit drei Geweihten der arelianischen Kirche.

    Vater Gerion Riwensbrück, Hochgeweihter des Thalion — des Gottes der Gerechtigkeit — stand hoch aufgerichtet da und ließ seinen wachen Blick über den Marktplatz wandern. Er war kein Mann großer Gesten und trug die gleichen schlichten grauen Roben wie jeder andere Geweihte seines Ordens auch. Lediglich der prunkvoll bestickte rote Überwurf, den er nur zu offiziellen Anlässen wie diesem anlegte, hob ihn gegenüber seinen Ordensbrüdern hervor. Und wären nicht sein weißes, langsam etwas licht werdendes Haar und die dunklen Flecken auf seiner ansonsten fast gräulich scheinenden Haut gewesen, Torgard hätte nicht geglaubt, dass der Priester sein sechzigstes Lebensjahr bereits überschritten hatte.

    Sein gesamtes Auftreten wirkte so, als stünde er noch mitten in der Blüte seiner Jahre. Kein Zittern schlich sich in seine Hände, und wenn er sprach, klang seine Stimme laut und deutlich.

    Sein Schüler, Bruder Eslam Ewersstamm, ein junger Geweihter von vielleicht gerade einmal zwanzig Jahren, stand neben ihm und unterhielt sich leise mit Bruder Borikai Rador vom heiligen Orden der Arelia. Die beiden jungen Männer, obwohl in ungefähr gleichem Alter, hätten viel gegensätzlicher nicht sein können. Bruder Eslam war ein dunkelhäutiger, eher stiller Zeitgenosse mit ernstem Blick, während Bruder Borikai ein fast schon vorlauter Blondschopf war. Im Gegensatz zu den einfachen Roben der Thalion-Geweihten trug er ein weißes, mit goldenen Nähten verziertes Gewand, und Torgard war sich sicher, einzig Vater Gerions Position als Hochgeweihter hielt Bruder Borikai davon ab, als Geweihter der Arelia — der Mutter aller Götter — selbst die Leitung der Zeremonie zu übernehmen, bei der dieses Ding, dieser Dämon, ein für alle Mal vom Antlitz der Welt verbannt werden sollte.

    Zumindest hoffte er, dass diese schreckliche Geschichte damit endlich ihr Ende fand.

    Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass es diese Dämonen wirklich gab. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie ein solches Wesen zu Gesicht bekommen.

    Wie jeder gläubige Arelianer hatte er zwar von der Existenz dieser Kreaturen aus den alten Überlieferungen gehört, die in den Tempeln des Landes Tag für Tag gepredigt wurden, doch hatte er sie immer nur für Geschichten gehalten. Geschichten, die dazu da waren, Menschen wie ihm den rechten Weg zu weisen, auf dass sie immer im Lichte ihrer aller Mutter Arelia wandeln. Und nun sah er eine dieser Kreaturen mit eigenen Augen. In Fleisch und Blut gekleidet stand sie — festgebunden auf dem Scheiterhaufen in der Mitte des Platzes — da und betrachtete die versammelte Menschenmenge mit dem giftigen Blick ihrer Katzenaugen, als wollte sie sie alle verfluchen.

    Arelia steh uns bei, dachte er bei diesem Anblick. Was, wenn dieses Wesen doch noch irgendeinen Trick versucht?

    Gerade wollte er sich an Vater Gerion wenden, um ihm diese Frage zu stellen, als ihm der seltsame Blick des Hochgeweihten auffiel.

    Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf das Geschehen am Scheiterhaufen, so als würde er nicht glauben können, was er dort sah.

    »Ketzer!«, brachte der Hochgeweihte genau in dem Moment hervor, als der Henker gerade die Fackel in den Scheiterhaufen stieß. Mit einer ruckartigen Bewegung fuhr er zu den anderen Geweihten herum und rief etwas, das jedoch in dem plötzlich losbrechenden Heulen unterging, das auf einmal aus dem Inneren des Scheiterhaufens erklang.

    Voller Schrecken verfolgte Torgard das Geschehen auf dem Marktplatz, konnte aber im ersten Moment nicht glauben, was er dort sah.

    Der Rauch, der aus dem Scheiterhaufen aufstieg, kroch am Boden entlang und begann alles und jeden einzuhüllen.

    Nein, verbesserte Torgard sich in Gedanken, er verschlingt die Menschen förmlich.

    Klaffende Schlünde bildeten sich, wann immer der Rauch jemanden berührte, um sich, dem Kiefer eines Raubtieres gleich, kurz darauf wieder um seine Opfer zu schließen. Die grauenhafte Erscheinung breitete sich unaufhaltsam aus, während die Geräusche am Scheiterhaufen immer lauter und bedrohlicher wurden.

    Mit einem panischen »Vater beschützt uns!« fuhr Torgard zu den Geweihten herum, doch diese waren verschwunden.

    Hilflos stand er da und starrte auf das Geschehen. Doch als der Rauch das Rathaus fast erreicht hatte, verließ Torgard auch das letzte bisschen Mut.

    Von Panik erfüllt drehte er sich um und rannte so schnell ihn seine Füße tragen konnten.

    3

    Auch Gerion hatte das Geschehen auf dem Marktplatz aufmerksam verfolgt. Schon seit einigen Minuten plagte ihn ein merkwürdiges Gefühl, so als würde irgendetwas nicht stimmen.

    Aber was stimmt hier schon seit die Geweihten vom Orden Arelias einen gefangenen Dämon aus den Tiefen der arelianischen Mythen in die Stadt gebracht haben?

    Misstrauisch ließ er seinen Blick über die Menge wandern und versucht, so unnahbar wie möglich zu erscheinen, als seine Augen an dem Henker hängen blieben, der gerade im Begriff war, die Fackel in den Scheiterhaufen zu stoßen.

    Er hatte diesen Mann nur kurz kennengelernt. Ein Tagelöhner, der sich gerade in der Stadt aufhielt und nur allzu gerne bereit gewesen war, sich eine gehörige Stange Geld hinzuzuverdienen. Doch jetzt, wo er in Ruhe darüber nachdachte, schien der Fremde ihm fast schon ein wenig zu schnell bereit gewesen zu sein, die Aufgabe des Henkers bei der Verbannung dieser Kreatur zu übernehmen.

    Er selbst hatte es vom ersten Tag an für eine dumme Idee gehalten, aus der Verbannung des Dämons eine öffentliche Zurschaustellung zu machen. Doch Bruder Borikai hatte sich nicht umstimmen lassen.

    »Wir müssen den Menschen zeigen, was für eine Gefahr noch immer von den lameranischen Ketzern ausgeht!«, hatte er argumentiert, und obwohl Gerion als Hochgeweihter des Thalion hier in Ewensgard der ranghöchste Geweihte war, konnte er Bruder Borikais Meinung, als Vertreter des Ordens der Arelia — der heiligen Mutter aller Götter selbst — nicht einfach ignorieren.

    Alles Reden hatte nichts gebracht, und so hatte Gerion schließlich eingewilligt und die Vorbereitungen befohlen. Vier Tage lang hatten sie nach jemandem Gesucht, der diese Aufgabe übernehmen würde, doch zunächst hatte sich niemand gefunden, der mutig genug gewesen wäre, das Feuer an den Scheiterhaufen zu tragen. Bis sich schließlich der Fremde gemeldet hatte.

    Er war ein großgewachsener Mann mittleren Alters. Sein dichtes, dunkles Haar zeigte noch keine Spur von Grau, und sein wettergegerbtes, braun gebranntes Gesicht ließ darauf schließen, dass er die meiste Zeit seines Lebens wohl im Freien verbracht hatte. Ein Jäger, oder Waldarbeiter, hatte Gerion geschätzt. Ein weiterer dieser Tagelöhner, die nichts zu verlieren hatten.

    »Was soll ein Dämon schon einem wie mir tun?«, war die dazu passende Einstellung des Fremden gewesen und Gerion hatte nicht weiter gefragt. Zu sehr war er noch damit beschäftigt gewesen die Befragung der Bestie zu überwachen. Doch nun hatten sich ihm die Fragen förmlich aufgedrängt.

    Wo war der Fremde hergekommen? Woher nahm er den Mut, einem Dämon gegenüberzutreten?

    Mehrere mögliche Antworten waren ihm in den Sinn gekommen, doch eine nach der anderen hatte er verworfen, bis nur noch eine übrig geblieben war. Und das, was er nun auf dem Platz vor dem Rathaus sah, machte aus seiner Vermutung schreckliche Gewissheit. Die Haltung des Fremden, als er auf den Dämonen zu trat, war nicht die eines bezahlten Henkers, der eine ungeliebte, vielleicht sogar gefährliche Aufgabe hinter sich brachte. Nein, es war die Haltung eines Mannes, der sich sicher war, sein Ziel erreicht zu haben. Ein Ziel, das so vollkommen anders war als das, wofür er bezahlt wurde.

    »Ketzer!«, entfuhr es Gerion, als er erkannte, was dort unten vor sich ging, doch da nahm das Unheil auf dem Marktplatz auch schon seinen Lauf. Augenblicklich wandte er sich von dem Geschehen ab und befahl seinem Schüler Eslam, ihm zu folgen. Auch Bruder Borikai verstand sofort und ordnete sich ohne Widerworte seinem Befehl unter, als sie durch die Gänge des Rathauses eilten und einige der Wachen um sich scharten, die dort ihren Dienst versahen. Dann — nur wenige Minuten später — traten sie aus demselben Portal, durch das kurz zuvor auch der Dämon geführt worden war, auf den Marktplatz hinaus.

    Der Rauch hatte sich bereits über den gesamten Platz ausgebreitet und die Straßen waren menschenleer. Erschrocken blieben die Wachen, die das Geschehen zum ersten Mal sahen, stehen. Nur die Präsenz der Geweihten hielt sie davon ab, wie alle anderen, die Flucht zu ergreifen.

    »Macht schnell!«, forderte Gerion seine Begleiter auf. »Wir müssen etwas unternehmen, bevor das Werk dieses Unseligen noch die ganze Stadt verschluckt.«

    Er streckte dem Nebel seine Hand entgegen, in der er eines der Artefakte Thalions, eine goldene Kugel, hielt, die leicht zu glühen schien. Dann begann er zu beten.

    »Thalion, Herr der Gerechten, erleuchte uns!«

    Bruder Eslam streckte ebenfalls seine Hand aus und eine weitere goldene Kugel glühte auf, als dieser in seine Worte einfiel.

    »Erfülle uns mit deiner Macht, um deine Feinde zu bestrafen!«

    Bruder Borikai kniete nieder und legte ein kleines, mit Edelsteinen verziertes, Kästchen vor sich auf den Boden. Er öffnete es und als er sprach, hallte seine Stimme mit fester Entschlossenheit über den Platz.

    »Große Arelia, Mutter aller Götter und Schöpferin der Welt, stehe uns in dieser finsteren Stunde bei!«

    Gerion und Eslam knieten nun ebenfalls ehrfürchtig nieder, streckten ihre Hände mit den glühenden Kugeln über das Kästchen und die drei Stimmen der Geweihten erhoben sich wie eine, als sie gemeinsam die heiligen Worte sprachen, die das Ritual beendeten.

    »Erbarmt euch unser und offenbart das Versteckte. Hebt hinfort den Schleier, der das Böse schützt und bannt die Geister, die es rief!«

    Das Glühen der Kugeln wurde zu einem hellen Licht. Ein leichter Luftzug kam auf, der schnell stärker und stärker wurde. Er zog den Nebel in das Kästchen hinein und die Luft begann sich zu klären, während das Heulen vom Scheiterhaufen schlagartig verklang.

    4

    Kaum dass sie mit Soran in den Rauch getreten war, stellte Kediara fest, wie sehr ihr die letzten Tage in den Knochen steckten. Es kostete sie einige Mühe, auf den Beinen zu bleiben und nicht hinzufallen. Und so stolperte sie mehr neben Soran her, als dass sie lief, während er sie immer tiefer in die dichten Rauchschwaden führte.

    Noch immer konnte sie kaum glauben, dass er es tatsächlich war, hatte sie die Hoffnung auf Rettung doch schon fast aufgegeben. Soran hingegen hatte das offensichtlich nicht getan. Er war ihr tatsächlich nachgeeilt und hatte es geschafft, sie buchstäblich in letzter Sekunde vor dem sicheren Tod zu bewahren. Aber in Sicherheit waren sie deshalb noch lange nicht. Erst wenn sie aus dieser verfluchten Stadt, nein, dem ganzen verfluchten Land entkommen waren, würden sie wieder sicher sein. Oder zumindest so sicher, wie man irgendwo auf der Welt vor diesen Schlächtern sein konnte.

    »Verdammte Arelianer!«, fluchte sie und folgte Soran weiter durch den Rauch.

    Sie konnte nicht das Geringste sehen, doch er schien damit keine Probleme zu haben. Er zog sie mal in diese, mal in jene Richtung. Zog sie vorbei an fliehenden Menschen und bewegte sich dabei so, als ob der Rauch gar nicht existieren würde. Dann plötzlich, von einem Moment auf den anderen, verstummte das Heulen und die Luft begann sich zu klären.

    »Da muss ich dir leider zustimmen«, hörte sie Soran leicht außer Atem sagen. »Sie haben den Zauber schneller gebannt, als ich gedacht habe.«

    Als der Rauch sich langsam zu lichten begann, erkannte Kediara seinen Schatten neben sich und sah wie er sich kurz umblickte.

    »Da lang«, stieß er hervor, rannte los und zog sie erneut mit sich, wodurch sie beinahe zu Boden gegangen wäre.

    Der Rauch hatte sich bereits so weit zurückgezogen, dass sie ihre Umgebung wieder erkennen konnte und sah, dass Soran direkt auf einen Stall zusteuerte. Kaum hatten sie ihn erreicht, griff er auch schon nach dem Riegel des großen Tores und zog daran.

    Zu Kediaras Erleichterung ließ sich das Tor problemlos öffnen und kaum, dass sie hindurch waren, zog Soran es auch schon wieder zu und verbarrikadierte es mit einem Balken, der direkt neben dem Eingang bereitlag. Erleichtert setzte sie sich auf einen Haufen Stroh in einer Ecke des Stalls und ließ sich schwer gegen eine Wand sinken.

    Erst als das leise Schnauben auf der anderen Seite der Wand sie zusammenfahren ließ, bemerkte sie, dass sie keineswegs alleine waren. Drei Pferde waren in dem Stall untergebracht, die aufgrund der ungewohnten Störung unruhig in ihren Boxen hin und her tänzelten.

    Soran blieb noch kurz beim Tor stehen, um sicherzugehen, dass niemand sie in den Stall verfolgte, bevor er sich zu ihr setzte.

    »Das war ganz schön eng«, sagte sie und rieb sich die Handgelenke.

    »Allerdings«, entgegnete Soran und fügte mit einem Blick auf die alte Narbe an ihrem linken Handgelenk hinzu: »Tut es sehr weh?«

    »Das geht schon. Was mir mehr Sorgen macht ist, wie es weiter geht. Ich glaube nicht, dass ich noch weiter laufen kann. Und früher oder später werden sie hier auftauchen.«

    Soran ergriff ihre Hand und als sie ihn ansah, strahlte er eine ungeheure Zuversicht aus.

    »Das schaffen wir schon. Wir müssen zwar schnell wieder weiter, aber ich hab mir schon etwas dabei gedacht, mit deiner Rettung bis zur Hinrichtung zu warten.«

    Kurz machte sich ein breites, schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht breit, bevor er aufstand und in eine andere Ecke des Stalls ging.

    »Du sagtest, du kannst nicht mehr laufen. Aber wie sieht es denn mit Kriechen aus?«

    Er schob einige Strohballen zur Seite und ein Loch im Boden kam zum Vorschein, durch das sich eine Person problemlos hindurchzwängen konnte.

    Kediara stand auf und wankte langsam zu ihm herüber. Sie schaute durch das Loch und sah, dass es der Zugang zu einem Tunnel war.

    »Das ist nicht dein Ernst«, meinte sie kopfschüttelnd.

    »Oh doch«, erwiderte Soran. »Erstens sieht das hier so aus, als ob der Besitzer dieses Stalls das Loch selber ausgehoben hat — es weiß also wahrscheinlich niemand sonst, dass dieser Stall noch eine Hintertür besitzt — und zweitens«, fuhr er fort, bevor sie ihn unterbrechen konnte. »Wenn uns die arelianische Baukunst schon einen solchen Fluchtweg bietet, warum sollen wir ihn dann nicht auch nutzen? Außerdem habe ich hier noch etwas, das sie hoffentlich von einer genaueren Untersuchung abhalten wird.«

    Er zog ein kleines kreisrundes Amulett aus der Tasche und hielt es ihr einen Moment hin, bevor er es in die Strohballen stopfte.

    »Mit etwas Glück bringt sie das von unserer Spur ab«, fügte er hinzu und musterte sie mit einem merkwürdigen Blick, in dem Sorge und Belustigung miteinander zu ringen schienen. »Und nun los. Das bisschen Dreck tut deinem Fell auch keinen Abbruch mehr.«

    Ohne es zu merken, hatte Kediara angefangen, ihr Fell glattzustreichen und kleine Dreckklümpchen heraus zu zupfen. Nun stieß sie, ob seiner spitzen Bemerkung, ein empörtes Fauchen aus, zwängte sich dann jedoch durch das Loch in einen engen, dunklen Gang und wartete bis Soran ihr hinterher kroch. Schnell zog er das Stroh so weit vor, bis es wieder über der Öffnung lag und das letzte bisschen Licht aussperrte. Erst dann drehte er sich wieder zu ihr um.

    »Hier musst du jetzt für uns sehen. Ich kann dir nur sagen, wo es langgeht.«

    Kediara schaute sich kurz um und wie immer, wenn sie von einer Situation überfordert war, floh sie sich in bitteren Sarkasmus.

    »Endlich kann ich auch etwas zu meiner Rettung beitragen.«

    In dem Tunnel war es jedoch tatsächlich fast vollständig dunkel, sodass ein Mensch ohne eine Fackel oder Lampe nichts hätte sehen können. Für eine Chelodrim wie sie war dies jedoch kein Problem. Kediara konnte selbst in dieser Finsternis noch genug von ihrer Umgebung erkennen, um Sorans Anweisungen zu folgen.

    »Also gut«, sagte sie ungeduldig. »Wo geht es lang?«

    »Zunächst mal rechts.«

    5

    Als die Luft über dem Marktplatz wieder klar war, fand Gerion seine Vorahnungen endgültig bestätigt. Der Platz war fast völlig leer. Hier und da lagen einige wimmernde, zusammengekrümmte Menschen, die es nicht geschafft hatten, vor der Erscheinung zu fliehen, während der Scheiterhaufen noch immer genau so da stand, wie er errichtet worden war. Kein Feuer hatte auch nur das kleinste Stückchen Holz versengt und vom Dämon und seinem Befreier fehlte jede Spur.

    Gerion richtete sich auf und drehte sich zu den Wachen um, die noch immer verängstigt hinter den Priestern standen.

    »Schickt sofort Boten zu den Stadttoren. Nichts und niemand darf die Stadt verlassen, bis ich es wieder erlaube. Hiermit verhänge ich eine Ausgangssperre.«

    Er blickte ernst von einem der Wächter zum anderen, bevor er fortfuhr.

    »Und trommelt den Rest der Stadtwache zusammen. Ich will, dass hier alles durchsucht wird, bis wir sie gefunden haben. Los jetzt!«

    Die Männer schauten sich kurz an, dann drehten sie sich gleichzeitig um und rannten davon, um die ihnen aufgetragene Aufgabe zu erfüllen.

    »Und wir drei sollten damit anfangen, die umliegenden Häuser zu kontrollieren und einen Schutzbann gegen die Kräfte dieses Ketzers verhängen«, wandte er sich nun an Eslam und Borikai.

    Die beiden Männer nickten zustimmend. Ein jeder wusste, was zu tun war. So teilten sie sich, ohne weitere Worte zu verlieren, auf und begannen mit ihrer Suche.

    Während Bruder Eslam, Gerions vielversprechendster Schüler im Orden des Thalion, sich daran machte, die nächsten Häuser auf Spuren gewaltsamen Eindringens zu überprüfen, ging Bruder Borikai zum Scheiterhaufen, stellte das Kästchen auf die Spitze des Pfahles und begann ein kompliziertes Ritual.

    Gerion selbst ging auf den ihm am nächsten gelegenen Hauseingang zu, holte wieder die Kugel aus der Tasche und murmelte ein leises Gebet, bevor er an der Tür klopfte.

    »Wer ist da? Egal ob Mensch oder Dämon, ich bin bewaffnet. Mich werdet ihr nicht bekommen«, erklang eine ängstliche Stimme aus dem Inneren.

    »Hier ist Vater Gerion Riwensbrück vom heiligen Orden des Thalion. Der Schrecken ist an uns vorübergezogen. Ihr habt nichts mehr zu befürchten.«

    Die Tür öffnete sich einen Spalt und ein faltiges Gesicht erschien.

    »Vergebt mir Vater, doch die Furcht trieb mich zu solch harschen Worten.«

    Gerion versuchte, ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was in den einfachen Bürgern Ewensgards vorgehen mochte. Ihnen zumindest etwas Trost zu spenden, war das Mindeste, das er tun konnte.

    »Es gibt nichts zu vergeben. Geht es euch und den euren gut?«

    Erleichterung zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes, als er die Tür nun gänzlich öffnete und Gerion einen Blick ins Innere des Hauses werfen konnte.

    »Ja«, erwiderte der Mann mit ein wenig mehr Sicherheit in der Stimme. »Wie ihr schon sagtet, Vater, der Schrecken ist an uns vorübergezogen.«

    Gerion warf einen Blick auf die Kugel in seiner Hand, die jedoch keinerlei Regung zeigte.

    »Dann wisst, dass ihr zu eurem eigenen Schutz bis auf Weiteres in eurem Haus bleiben solltet«, entgegnete er freundlich. »Wir wissen noch nicht, welche finsteren Mächte hier wirken. Aber seid ohne Furcht! Unser Herr Thalion wird dafür Sorge tragen, dass den Gerechten kein Leid geschieht.«

    Damit drehte er sich um und ging zur nächsten Tür, wo sich das Spiel wiederholte.

    Gerion überprüfte noch drei weitere Häuser auf diese Weise, bis endlich eine größere Truppe der Stadtwache auf dem Marktplatz erschien. Schnell ging er zu ihnen hinüber und mit einem Blick hatte er auch schon den Hauptmann ausgemacht.

    »Sagt euren Männern, sie sollen jede Gasse und jeden Winkel durchsuchen!«, erteilte er seine Befehle mit fester Stimme. »Der Dämon und sein Gehilfe müssen hier irgendwo sein!«

    Beunruhigtes Gemurmel machte sich unter den Männern breit und sie sahen alles andere als glücklich aus.

    Wäre ich wohl auch nicht, wenn ich an ihrer Stelle wäre, überlegte Gerion und wollte gerade ansetzen, ihnen noch ein paar ermutigende Worte mitzugeben, da trat Bruder Borikai, der sichtlich erschöpft war, hinzu.

    »Habt keine Angst vor der Magie des Dämons oder seines Gehilfen«, sagte er mit stolz erhobenem Kopf. »Durch den Bann unserer Herrin Arelia ist es in den nächsten Stunden unmöglich, irgendeine Form schwarzer Magie in dieser Stadt einzusetzen.«

    »Ihr habt es gehört!«, ergriff daraufhin der Hauptmann das Wort. »Schwärmt aus! Jeweils in Dreiergruppen! Zeigen wir dem höllischen Gesindel, dass es sich die falsche Stadt für seine Untaten ausgesucht hat!«

    Die Wachen schienen noch immer nicht vollständig überzeugt, doch sie folgten dem Befehl und der Trupp teilte sich auf. Nur der Hauptmann blieb mit zwei weiteren Wachen zurück, um Gerion, Eslam und Borikai bei der weiteren Überprüfung der Häuser zu helfen.

    Gerade hatte sich Gerion einem weiteren Hauseingang zugewandt, da hörte er von der anderen Seite des Platzes Bruder Eslams Stimme.

    »Vater Gerion, kommt schnell! Ich habe etwas gefunden!«

    Augenblicklich eilte er zu seinem Schüler und sah sofort, dass die Kugel, die dieser noch immer in der Hand hielt, wieder von einem schwachen goldenen Schimmer umgeben war. Ein klares Zeichen, dass die Gesuchten in diesen Stall geflohen waren.

    »Wachen! Brecht dieses Tor auf!«, befahl er laut und deutete auf das Gebäude, woraufhin der Hauptmann und seine Männer umgehend zu ihnen traten und sich an dem Tor zu schaffen machten. Es dauerte wenige Augenblicke, dann gab es nach.

    Im Stall war es hell. Licht schien durch ein Fenster unter dem Dachgiebel hinein und Gerion sah drei Boxen, in denen Pferde standen, auf der einen und einige aufgehäufte Strohballen auf der anderen Seite des Gebäudes.

    »Bleibt zurück!«, befahl er den Wachen, die gerade eintreten wollten, streckte seine Hand mit der Kugel vor und betrat den Stall.

    Langsam schwenkte er den Arm von links nach rechts und behielt die Reaktionen der Kugel im Auge. An einer Stelle, direkt vor einer der Boxen, leuchtete sie ein wenig heller und als er diese Stelle ein wenig genauer betrachtete, bemerkte er einige Haare, die an der Wand hingen.

    »Sie waren eindeutig hier. Und das ist noch nicht lange her«, stellte er mit ernster Stimme fest und blickte sich vorsichtig um.

    »Aber wo sind sie nun?«, warf Eslam ein. »Soweit ich es sehen kann, hat dieser Stall keinen zweiten Ausgang.«

    »Was ist mit dem Fenster?«, warf der Hauptmann ein.

    »Zu hoch«, gab Eslam die Antwort. »Da wären sie nicht durch gekommen. Zumindest nicht, ohne dass wir die Entfaltung der finsteren Macht gespürt hätten.«

    Gerion bezweifelte jedoch, dass einer von ihnen den Zauber bemerkt hätte, der zur Überwindung dieser Höhe nötig gewesen wäre. Außerdem hätten sie genauso gut mit einem Seil oder anderem Hilfsmittel zum Fenster hinaufklettern können. Aber dennoch glaubte auch er nicht, dass die Flüchtigen über diesen Weg entkommen waren. Direkt unter dem Fenster zeigte das Artefakt des Thalion zumindest keinerlei Hinweis auf die Präsenz des Dämons. Die Kugel lag reglos und kalt in seiner Hand.

    »Aber wo sind sie dann hin?«, wandte einer der beiden Wächter ein.

    »Das müssen wir eben herausfinden«, erwiderte Gerion und machte sich wieder daran, wie Eslam den Stall abzusuchen.

    Er brauchte nicht lange. Schon nach wenigen Schritten wurde er fündig, als er an einigen aufgehäuften Strohballen vorbeikam und die Kugel in seiner Hand, kaum dass er sie über das Stroh hielt, in hellem Glanz zu strahlen begann. Er blieb stehen, beugte sich langsam zum Stroh herunter und beobachtete, wie das Leuchten heller wurde, je näher er einer bestimmten Stelle kam, an der etwas zwischen den trockenen Halmen lag.

    Kurzentschlossen griff er nach dem Gegenstand, zog ihn aus dem Stroh und betrachtete seinen Fund etwas genauer. Doch was er da sah, wollte er nicht glauben.

    In seiner Hand lag ein Amulett. Kreisrund und mit einer ihm wohlbekannten Gravur versehen. Ein stilisiertes Chamäleon. Das Zeichen von Jeraton dem Geheimnisvollen.

    Aber wie kommt das hierher?

    Gerion überkam ein furchtbarer Verdacht. Die Priester des Jeraton waren dafür bekannt, an den ungewöhnlichsten Plätzen plötzlich wie aus dem Nichts aufzutauchen, und natürlich wusste er, dass diese Fähigkeit, wie die meisten göttlichen Gaben, ihren Ursprung in den Artefakten der Kirche hatte.

    Aber kann das sein? Kann ein Ketzer in der Lage sein, die Macht eines heiligen Artefaktes zu kontrollieren?

    Tief in seinem Inneren wusste Gerion die Antwort bereits. Schon vor Jahren war ihm die Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass es jenseits der Grenze noch weitaus mächtigere Wesen als die Chelodrim-Dämonen geben musste, die es vielleicht sogar vermochten, selbst die Artefakte der Götter mit ihrer dunklen Macht zu korrumpieren. Ja, er hatte sogar versucht, andere Geweihte aller Orden vor dieser Möglichkeit zu warnen, doch sie hatten ihm nicht glauben wollen.

    Warum musste ich unbedingt recht behalten, dachte er verärgert und schloss wütend die Hand um das Amulett.

    »Bruder Eslam, ich glaube, wir können die Suche hier beenden«, brachte er mit mühsam kontrollierter Stimme hervor.

    »Aber Vater!«, kam die überraschte Antwort, die Gerion jedoch sofort unterbrach, indem er ihm das Amulett unter die Nase hielt.

    »Seht ihr das?«, fragte er gereizt. »Wisst ihr was das ist?«

    »Natürlich weiß ich, was das ist. Aber …«

    »Nichts aber!«, fuhr er den jüngeren Priester an. »Sie sind mit Hilfe eines Artefakts unserer eigenen Götter entkommen! Sie haben einen heiligen Gegenstand aufs Schändlichste entweiht!«

    Mit Mühe versuchte Gerion, seine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Zu lange hatte er seine Befürchtungen mit sich herumgetragen. Zu oft hatte man seine Sorgen achtlos beiseite gewischt.

    »Das Einzige, was uns jetzt noch zu tun bleibt, ist herauszufinden, wie dies geschehen konnte!«

    Bruder Eslam schien noch immer nicht ganz überzeugt zu sein, doch er beugte sich Gerions Willen.

    »Und wo sollen wir mit den Nachforschungen beginnen?«, fragte er.

    »Wo schon? Im Tempel!«, entgegnete Gerion knapp. »Kommt!«

    Abrupt wandte er sich zum Gehen, drehte sich jedoch, kurz bevor er das Tor erreichte, noch einmal um und fasste die drei Männer der Stadtwache fest ins Auge.

    »Ihr vergesst am besten alles, was hier drinnen gesprochen wurde«, befahl er ihnen, bevor er den Stall ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ.

    6

    Der Weg durch den dunklen Tunnel kam Soran wesentlich länger vor, als er ihn in Erinnerung hatte. Bereits einige Tage zuvor, als er den Geheimgang entdeckt hatte, war er ihm bis zu seinem Ende gefolgt und hatte sich jede Biegung und Windung eingeprägt. Doch nun, ohne magisches Licht und in völliger Dunkelheit, war das Kriechen durch diesen Gang eine Qual. Es wurde wirklich langsam Zeit, dass der Gang endete und sie das Versteck erreichten, das er ausgesucht hatte.

    Dann, gerade als ihn ernsthafte Zweifel an seinem Gedächtnis überkommen wollten, tauchte ein schwaches Licht vor ihnen auf und als sie um die nächste Biegung kamen, sah er den Ausgang direkt vor ihnen.

    Der Tunnel endete hinter einem Busch am Rande des Schwarzforstes. Gut getarnt, aber nicht zu sehr zugewachsen, deutete vieles darauf hin, dass der Besitzer des Stalls ihn wohl noch regelmäßig verwendete. Welche Schmuggelware auch immer auf diesem Weg normalerweise die Ortsgrenze von Ewensgard passieren mochte, Soran sprach dem Erbauer seinen stillen Dank aus und sorgte dafür, dass der Tunnelausgang wieder gut versteckt war, bevor sie sich in den Wald davon schlichen.

    Er hatte wieder die Führung übernommen, mussten sie doch noch ein gutes Stück in den Wald hinein, bevor sie ihr Ziel erreichten. Ohne einem erkennbaren Pfad zu folgen, gingen sie vorsichtig weiter, immer darauf bedacht, möglichst wenige Spuren zu hinterlassen.

    Die Zeit schien sich ewig hinzuziehen und jedes Geräusch ließ sie innehalten und horchen, ob sie nicht doch verfolgt wurden. Doch nie war etwas anderes als die normalen Geräusche des Waldes zu hören.

    Als sich schließlich die Sonne langsam dem Horizont entgegen neigte und das Unterholz dichter wurde, erreichten sie endlich ihr Ziel und Soran zog einen wie zufällig daliegenden Ast zur Seite.

    Der so freigelegte Eingang gab den Blick auf eine kleine, von sämtlichem Geäst befreite, Fläche frei, die rundherum von hoch aufgetürmten Ästen abgeschirmt wurde. In der Mitte der Fläche standen gepackte Rucksäcke neben zwei einfachen Schlafmatten und wenn man nicht wusste, wo man zu suchen hatte, war die Lagerstätte von außen nur durch Glück zu finden. Soran hatte viel Zeit und Aufwand investiert, um den richtigen Ort für ihr Lager ausfindig zu machen und alles für ihre weitere Flucht vorzubereiten.

    »Sind wir hier in Sicherheit?«, fragte Kediara und ließ sich schwer auf eine der Matten sinken.

    »Zumindest bis du wieder ein wenig zu Kräften gekommen bist«, antwortete Soran und drückte beruhigend ihre Hand.

    »Ich schätze, dass sie uns vor übermorgen hier nicht suchen werden. Selbst, wenn sie den Gang gefunden haben, ist der Wald zu groß, um ihn an einem Tag abzusuchen.«

    Auch er setzte sich hin und erst jetzt, als die Anspannung der letzten Stunden von ihm abfiel, bemerkte er, dass auch er eine Erholung dringend nötig hatte. Zuerst musste jedoch Kediara versorgt werden. Er drückte noch einmal ihre Hand, dann machte er sich daran, ihre Wunden zu begutachten.

    Die meisten Verletzungen waren zum Glück nur oberflächlich und taten wohl mehr weh als dass eine ernsthafte Gefahr von ihnen ausgegangen wäre. Dennoch wühlte Soran einen Moment in einem der Rucksäcke, holte ein Fläschchen und einige saubere Tücher hervor und begann die Verletzungen zu säubern.

    Zu Beginn seiner Behandlung zog Kediara noch einige Male scharf die Luft ein, als er ihre Wunden mit der Flüssigkeit aus der Flasche bestrich — was Soran jedoch lediglich als Zeichen dafür nahm, dass der Taronbeerensaft seine Wirkung entfaltete — doch als die letzte Wunde versorgt war, war Kediara bereits eingeschlafen.

    Auch Soran war völlig erschöpft, nahm jedoch noch einmal die Tarnung ihres Lagers in Augenschein, schob hier und da einige der Äste zurecht und als er feststellte, dass es nichts mehr zu verbessern gab, legte auch er sich auf sein Lager. Er hoffte, dass er erwachen würde, wenn sich jemand nähern sollte, denn um Wache zu halten war er definitiv viel zu müde. Ein letztes Mal blickte er zu Kediara hinüber, die ruhig atmend auf ihrem Lager lag, bevor er die Augen schloss und kurze Zeit später ebenfalls eingeschlafen war.

    Als er wieder erwachte, war es bereits hell. Das kleine Lager lag unverändert da und Kediara schlief noch immer neben ihm. Einen Moment lang lauschte er gebannt auf die Geräusche des Waldes, doch als er nichts Besonderes hörte, atmete er erleichtert durch.

    Sein Manöver mit dem Amulett war offenbar gelungen. Niemand war ihnen in den Wald gefolgt und mit etwas Glück hatte man die unmittelbare Jagd auf sie schon aufgegeben.

    Er öffnete den Rucksack mit den Vorräten, die er im Zuge seiner Vorbereitungen besorgt hatte, und holte einen Laib Brot sowie ein Stück Dörrfleisch hervor. Gerade war er dabei, sich etwas von dem Fleisch abzuschneiden, als Kediara erwachte.

    Sie richtete sich auf ihrem Lager auf, fasste sich dann jedoch an den Kopf und sank stöhnend wieder zurück.

    »Langsam«, meinte Soran und ging zu ihr hinüber. »Die haben dir ganz schön zugesetzt. Hier, du solltest was essen.«

    Er reichte ihr das Brot und als sie es ohne Widerspruch nahm, wusste er, dass es ihr wirklich alles andere als gut ging.

    Später ging er noch einmal ein Stück in Richtung der Stadt zurück, um zu überprüfen, ob ihnen wirklich niemand folgte, doch wie bereits am Abend zuvor lag der Wald ruhig und unberührt da. Sie hatten es tatsächlich geschafft.

    Kediaras Zustand besserte sich jedoch den ganzen Tag über nicht. Sie sagte zwar nichts, aber Soran kannte sie nach all den Jahren gut genug um zu erkennen, dass ihr jede Bewegung Schmerzen bereitete. So lag sie den ganzen Tag lang auf ihrem Lager und wenn sie nicht gerade schlief, zupfte sie mit steifen Bewegungen an ihrem Fell herum. Er hatte Mitleid mit ihr, doch im Moment konnte er nichts für sie tun. Und als schließlich der Abend dämmerte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als noch eine weitere Nacht in ihrem improvisierten Lager zu verbringen.

    7

    Eslam ging unruhig in seiner Kammer auf und ab. Durch das kleine Fenster sah er, dass es bereits dunkel war und noch immer hatten sie nichts unternommen.

    Seit sie zum Tempel zurückgekehrt waren, hatte Vater Gerion sich in seinem Studienzimmer eingeschlossen. Die einzigen Momente, in denen man ihn zu Gesicht bekam, waren die, in denen er wieder einmal nach einem weiteren Buch aus der Bibliothek verlangte.

    Natürlich bedurfte es einiger intensiver Nachforschungen, um herauszufinden, woher die Entflohenen ein Amulett des Jeraton gehabt hatten. Eslam wollte jedoch nicht einsehen, warum man nicht zu einem der Tempel des Geheimnisvollen gehen und den Geweihten dieses diebischen Gottes einige direkte und zweifelsfrei unangenehme Fragen stellen konnte.

    Er hatte diese einfache Möglichkeit zunächst aus Respekt vor seinem Mentor nicht erwähnt. Als Vater Gerion sich jedoch immer weiter in immer dickere Bücher zu vertiefen begann, hatte sich Eslam nicht länger zurückhalten können.

    »Man sieht wieder, dass ihr ein sehr unerfahrener Geweihter seid, Bruder Eslam«, hatte der Hochgeweihte ihm entgegnet. »Ihr könnt doch nicht ernsthaft glauben, dass ein Diener des Geheimnisvollen euch einfach so Informationen über einen so ungeheuerlichen Vorgang überlässt.«

    »Aber Vater! Sind wir nicht die obersten Hüter des Rechts auf Arelias weiter Welt?«, hatte Eslam versucht, dagegenzuhalten. »Sind nicht wir es, die diesen Fall restlos aufklären müssen? Müssen diese verschlagenen Heuchler nicht erzittern vor dem Blick des Allsehenden? Müssen sie nicht …«

    Doch Vater Gerion hatte ihm nicht zuhören wollen.

    »Schweigt still! Ihr sprecht immerhin von den Dienern eines Kindes der Arelia!«, hatte er ihn angefahren. »Es mag zwar sein, dass ihr Weg sich von dem Unseren so sehr unterscheidet wie die Wüste vom Meer und doch sind sie uns so nah wie die Nacht dem Tage. Ohne sie könnten wir genauso wenig existieren wie sie ohne uns. Und genauso wie sie zu uns, müssen auch wir schon mit etwas Besserem zu ihnen kommen, um uns in ihre Angelegenheiten einmischen und dann auch noch Kooperation erwarten zu können. Und jetzt geht!«

    Auf diese Art würde er also nicht weiter kommen. Das stand für Eslam seit dem Gespräch fest.

    Aber was konnte es denn besseres geben, als ein entwendetes und von Ketzern missbrauchtes Artefakt der Kirche, um eine genauere Untersuchung zu rechtfertigen?

    Dennoch hatte Eslam das Gefühl, irgendetwas zu übersehen. Irgendetwas passte nicht so in das Bild wie es passen sollte, auch wenn alles ganz klar und eindeutig zu sein schien.

    Dem Ketzer ist es gelungen, sich ein Amulett des Jeraton zu beschaffen und zudem weiß er, wie man es gebraucht.

    Die Einzigen, die jedoch wussten, wie man ein Artefakt der Götter nutzte, waren die Geweihten der Götter selbst.

    Der Ketzer muss also einen Geweihten des Jeraton dazu gebracht haben, ihm das Amulett zu überlassen und ihn den Gebrauch zu lehren. Aber das ist doch unmöglich!

    Ein Geweihter würde eher sterben, als dieses Wissen einem Ketzer zu überlassen. Und wenn ein Geweihter dem Bösen verfallen war und es dennoch getan hatte, so war das doch wohl allemal Grund für eine Untersuchung durch den Orden des Thalion.

    Warum also will Vater Gerion nicht mit der Untersuchung bei den Geweihten im Tempel anfangen?

    Oder gab es noch eine andere Möglichkeit, die Eslam nur nicht einfallen wollte?

    Ich muss dieser Sache einfach nachgehen.

    8

    Gerion saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm lag ein altes staubiges Buch, in dem er nun schon seit einigen Stunden las.

    Es war eines jener Bücher, die in den untersten Gewölben des Tempels aufbewahrt wurden. Eines jener Bücher, in denen Dinge verborgen lagen, die selbst den Gläubigsten in Versuchung führen konnten. Nur Priestern, die in die höheren Geheimnisse der Kirche eingeweiht waren, war es gestattet, in diesen Büchern zu lesen und das auch nur, wenn es einen sehr guten Grund dafür gab. Den hatte Gerion jedoch.

    Schon seit er selbst in den inneren Kreis der Geweihtenschaft aufgenommen und in die größeren Geheimnisse der Kirche eingeweiht worden war, hatte er befürchtet, dass dieser Tag einmal kommen würde. Und nun, da er davon ausgehen musste, dass er mit seinen Befürchtungen recht hatte, fehlte ihm nur noch der letzte Beweis, von dem er hoffte, ihn in einem dieser Bücher zu finden.

    Ein Kapitel nach dem anderen nahm er in Angriff. Er überflog die Seiten und nur an den Stellen, an denen er glaubte, einen Hinweis gefunden zu haben, begann er ernsthaft zu lesen. Dennoch vergingen die Stunden wie im Fluge. Seine Augen brannten, sein Hals war trocken und seine Hände schmutzig vom Staub der Jahrzehnte, die das Buch im Gewölbe gelegen hatte. Aber dennoch suchte er weiter.

    Er wusste, dass irgendwo in diesen alten Schriften das letzte Stück des Puzzles zu finden sein musste und doch fand er es nicht. Beinahe hätte er die Suche für diesen Tag schon beendet, da fiel ihm eine Textstelle auf.

    »Zum ersten Mal trafen wir in den Tiefen der Wälder auf sie. Wesen von einer Kraft jenseits unserer Vorstellung..«

    So schreibt es der heilige Lauralion in seinem »Tagebuch der ersten Erkundung des heiligen Landes«.

    Er beschreibt die Geschehnisse aus einer sehr primitiven und doch äußerst faszinierenden Perspektive, sodass das Ausmaß des Frevels gegen die Götter, den unsere Vorfahren begingen, aus heutiger Sicht erst richtig klar wird. Und so scheint es mir fast so, dass es nicht der Ketzer Erandar war, der sich gegen die Götter versündigte, sondern der Heilige und seine Mannen …

    Gerion schlug das Buch zu. Das war es! Lauralions Tagebuch! Wo, wenn nicht in den Aufzeichnungen des Menschen, der zum ersten Mal gegen die Geschöpfe der Dunkelheit gekämpft hatte, würde er die Antworten finden, nach denen er suchte?

    Wenn es eine Niederschrift gab, mit deren Hilfe er seine Befürchtungen untermauern konnte, dann war es das »Tagebuch der ersten Erkundung des heiligen Landes«. Doch dieses Werk würde er nicht in den Archiven des Tempels von Ewensgard finden. Es gab nur einen Ort, an dem ein solches Buch aufbewahrt wurde. In den Archiven unter den Heiligen Hallen des arelianischen Palastes in Arelon.

    Nun wusste Gerion wo er seine Suche fortsetzen musste. Doch Arelon, die Hauptstadt des arelianischen Reiches, war weit entfernt und die Zeit drängte. Nicht auszudenken, was noch geschehen mochte, wenn sich die lameranischen Ketzer tatsächlich mit jenen alten Wesenheiten verbündet hatten. Er musste sich so schnell wie möglich auf den Weg machen.

    Kapitel Zwei Richtung Heimat

    1

    Die nächsten Tage schienen Soran wie im Fluge zu vergehen. Nachdem sie ihr Lager verlassen hatten, waren Kediara und er zunächst durch den Schwarzforst in Richtung Norden gezogen, ohne etwas anderes als Bäume und ab und zu vereinzelte Tiere zu sehen. Bis sie am frühen Nachmittag des ersten Tages, eine Lichtung mit einem kleinen See fanden.

    Soran würde noch lange an den Moment zurückdenken, in dem Kediara, ohne zu zögern und ganz gegen ihre Natur, Anlauf nahm und in das kalte Wasser sprang.

    Es war ein äußerst komischer Anblick. Kaum war Kediara in den See gesprungen, tauchte sie auch schon wieder prustend auf und schwamm so elegant wie ein ertrinkendes Wildschwein zu einer Stelle, an der sie stehen konnte. Unter lautem Fluchen über die Temperatur des Wassers begann sie, sich den Dreck der letzten Tage aus dem Fell zu waschen, und dieser Anblick war es, der Soran einen schweren Stein von der Seele nahm.

    Seit der Flucht aus Ewensgard war ihm des Öfteren der Gedanke gekommen, dass Kediara ihre Kräfte ein wenig überschätzte und der Weg durch die Wildnis zu viel für sie sein könnte. Doch wenn Kediara dermaßen fluchte und sich so viele Sorgen um die Sauberkeit ihres Fells machte, dass sie sogar freiwillig ein Bad nahm, konnte es ihr nur wieder besser gehen.

    Schmunzelnd schüttelte Soran den Kopf und machte sich ebenfalls auf den Weg zum Ufer. Auch er konnte ein Bad vertragen und außerdem schien diese Lichtung ein guter Ort zu sein, um eine letzte Nacht im Schutz des Waldes zu verbringen.

    2

    Noch einen halben Tag wanderten sie durch den Schwarzforst, bevor sie sich nach Westen wandten, wo die Bäume allmählich lichter wurden und sie schließlich den Wald verließen. Die hügelige Landschaft wurde zunehmend flacher und schließlich lag vor ihnen nur noch die weite Ebene von Biarn. Ein Gebiet, das bis auf einige verstreute Gehöfte unbewohnt war. Kediara stellte ihren Rucksack ab, ließ den Blick über die offene Weite wandern und verzog das Gesicht.

    »Und wohin jetzt?«, fragte sie mit zweifelnder Stimme.

    »Weiter nach Baktesabath«, antwortete Soran, woraufhin Kediara ihn entgeistert anblickte.

    »Muss das sein?«, fragte sie. »Du weißt genau, wie ungern ich dorthin zurückkehre.«

    »Haben wir denn eine Alternative?«, stellte er die naheliegende Gegenfrage. »Die Brücke in den Ruinen ist die einzige Chance, unerkannt über den Odon zurück nach Lameran zu kommen.«

    Erneut ließ Kediara den Blick über die Ebene wandern und stieß ein unzufriedenes Fauchen aus. Soran hatte natürlich recht. Der Grenzfluss zwischen dem arelianischen Reich und Lameran war so breit, dass es außer in den Ruinen ihrer alten Heimat nur in Olükien noch eine Brücke gab, auf der man ihn überqueren konnte. Und auch wenn die Grenzstadt weder zum Königreich Lameran noch zum arelianischen Reich gehörte, so würde eine Chelodrim wie sie dort wohl kaum unbemerkt bleiben.

    »Na das wird ja mal wieder ein Spaß werden«, gab sie schließlich nach. »Tagelang querfeldein wandern, während das Gras einem die Füße zerschneidet …«

    Sorans gespielt mitleidiger Blick ließ sie innehalten. Kopfschüttelnd kam er auf sie zu und legte ihr in übertriebener Fürsorge die Hand auf die Schulter.

    »Oh, du hast recht. Wir hätten natürlich auch gemütlich den Weg zurück über die Reichsstraße nehmen können, den wir gekommen sind«, sagte er und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen. »Dann hätten wir schon nach wenigen Schritten eine wunderbare, bewaffnete Eskorte gehabt. Ganz zu schweigen von den vielen äußerst hilfsbereiten Menschen entlang des Weges.«

    In einer sehr theatralischen Geste legte er ihr den Arm um die Schultern, setzte einen wehmütigen Gesichtsausdruck auf und seufzte.

    »Ja, du hast recht. Das wäre bei weitem besser gewesen.«

    Kediara stieß ihm mit ihrem Ellenbogen kräftig in die Seite, nahm ihren Rucksack wieder auf und ging los.

    »Du weißt genau, was ich gemeint habe«, sagte sie kühl. »Aber leider hast du, wie so häufig, recht. Ich glaube, wenn ich auch nur einem Arelianer begegnen würde, könnte es passieren, dass sich bestimmte Gerüchte über mein Volk bewahrheiten.«

    Schon nach wenigen Schritten war Soran wieder neben ihr.

    »Immer mit der Ruhe«, entgegnete er nun wieder mit ernster Stimme.

    Offenbar hielt er es tatsächlich für möglich, dass sie sich zu etwas Unbedachtem hinreißen lassen könnte. Und wenn sie ehrlich mit sich selbst war, konnte Kediara ihm diesen Gedanken auch nicht verübeln.

    »Ich bin auch kein Freund der Arelianer«, fuhr er fort. »Besonders nach dem, was sie mit dir gemacht haben. Aber versprich mir, dass du dich, sollten wir wirklich jemandem begegnen, zurückhältst. Wenn alles gut geht, sind wir in knapp zwei Wochen wieder zu Hause und die Arelianer können uns erst mal wieder egal sein.«

    Kediaras Stimmung war nun wirklich in den tiefsten Keller gefallen. Niemals würde sie den Arelianern verzeihen, was sie ihr angetan hatten. Sowohl die Torturen der letzten Tage, als auch die Zerstörung ihrer Heimat würde sie ihnen zurückzahlen. Doch vorerst hatte Soran wohl recht.

    »Gut«, gab sie nach und stieß erneut ein wütendes Fauchen aus. »Ich werde mich zurückhalten. Aber sollte es doch zu irgendwelchen Schwierigkeiten mit diesen Hunden kommen, dann Gnade ihnen ihre dämliche Göttin mit ihrer gesamten Sippschaft.«

    Soran sah zwar noch immer nicht zufrieden aus, aber er war klug genug, es dabei zu belassen. Und so wütend sie auch war, so hoffte doch auch Kediara tief in ihrem Inneren, dass sie wirklich in keine weiteren Schwierigkeiten geraten würden.

    3

    Den Rest des Tages gingen sie schweigend hintereinander her und schlugen am Abend ihr Lager an einer kleinen Baumgruppe auf. Sie beide waren von der Wanderung so erschöpft, dass ihnen jede Lust auf eine Weiterreise für diesen Tag gründlich vergangen war. Als sie dann endlich ein kleines Feuer entfacht hatten, auf dem sie nun ihr Essen zubereiteten, brachte Soran schließlich ein Thema zur Sprache, das auch Kediara schon seit einiger Zeit beschäftigte.

    »Wir sollten uns etwas überlegen, um unsere Vorräte zu schonen«, sagte er, während er seinen Rucksack durchwühlte.

    Kediara, die gerade mit der Kelle in dem kleinen Topf rührte, der über dem Feuer hing, blickte fragend auf.

    »Ich habe zwar ein paar Dinge besorgen können, aber ich glaube nicht, dass es bis zum Trauerwald reichen wird«, erklärte Soran weiter und hielt ihr demonstrativ den offenen Rucksack hin.

    Wie immer zog sich in Kediara bei der Erwähnung ihrer Heimat unwillkürlich etwas zusammen. Lange war sie nicht mehr dort gewesen und sie hatte auch in nächster Zeit nicht vorgehabt, dorthin zurückzukehren. Zu viele schreckliche Erinnerungen verband sie mit diesem Wald. Zu viel war damals passiert. Und trotzdem mussten sie den Trauerwald durchqueren, um wieder nach Lameran zu gelangen. Jeder andere Weg wäre Selbstmord.

    Sie verdrängte die düsteren Gedanken, schluckte einmal schwer und versuchte sich stattdessen auf die Lösung ihres Vorratsproblems zu konzentrieren.

    »Wir könnten uns etwas jagen«, war ihre erste Idee, bevor ihr selbst klar wurde, was Soran im nächsten Moment aussprach.

    »Das wird nicht funktionieren«, sagte er zweifelnd und breitete in einer hilflosen Geste die Arme aus. »In dieser Ebene bemerkt uns jedes Tier schon auf Meilen und um Fallen aufzustellen, fehlt uns die Zeit.«

    »Gut. Was schlägst du also vor?«

    »Wenn ich mich recht entsinne, gibt es in dieser Ebene einige Farmen und Höfe«, begann er und blickte sie über das Feuer hinweg mit ernster Miene an.

    »Ja, und was ist mit ihnen?«, wollte sie wissen. »Meinst du etwa, wir sollten uns an einem ihrer Ställe bedienen? Würde diesen Arelianern recht geschehen …«

    Sofort schüttelte Soran den Kopf und winkte ab.

    »Nein, natürlich nicht«, sagte er abwehrend. »Aber wenn es hier Höfe gibt, dann sollte es auch Ortschaften geben, in denen die Bauern mit ihren Gütern handeln können. Irgendetwas, wo sie Werkzeuge bekommen und Handwerker finden können, um ihre Fuhrwerke reparieren zu lassen. Irgendwelche Siedlungen oder Dörfer. Und wenn wir in den nächsten Tagen irgendwo eine solche Siedlung entdecken sollten, sollte ich dort hingehen und Proviant kaufen.«

    Für einen Moment blickte sie ihn nur an und versuchte zu erkennen, ob er sich vielleicht nur versprochen hatte.

    »Du meinst, wir werden dort hingehen«, erwiderte sie schließlich und schüttelte entschieden den Kopf. »Ich werde mich auf keinen Fall irgendwo verkriechen, während du in ein Kaff voller Arelianer marschierst!«

    Ein abfälliges Fauchen entrang sich ihrer Kehle.

    »Was, wenn sie Boten ausgesandt haben, die nach uns suchen sollen? Man mag den Arelianern zwar viel nachsagen, aber dumm sind sie leider nicht.«

    Sie erhob sich in einer fließenden Bewegung und begann neben dem kleinen Feuer auf und ab zu laufen, während die Wut auf ihre Peiniger in ihr zu brodeln begann.

    »Dein Gesicht wird in jedem verdammten Loch zwischen hier und Lameran bekannt sein. Und ich glaube nicht, dass sie mit dir viel schonender umgehen würden als mit mir, wenn sie dich fangen.«

    Auch Soran war nun aufgestanden.

    »Das mag ja alles stimmen«, sagte er und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Und ich gestehe ja auch ein, dass es auch für mich nicht ungefährlich ist.«

    Er machte eine kurze Pause, in der er sie eindringlich ansah, bevor er fortfuhr.

    »Nichtsdestotrotz verfüge ich über Mittel und Wege, mein Aussehen ein wenig zu verändern, sodass sie mich nicht erkennen werden.«

    »Na und?«, wischte sie sein Argument beiseite. »Das kannst du auch für mich tun. Und außerdem werden wir mit ein paar Siedlern schon fertig werden, wenn es wirklich nötig sein sollte! Sollen sie nur kommen, wir werden …«

    »Genau davor hab ich Angst!«, unterbrach Soran sie unvermittelt. »Ich will unnötiges Blutvergießen vermeiden!«

    Sie wusste nicht, ob es sein Tonfall oder die Worte selbst gewesen waren, die das Fass zum Überlaufen brachten, aber nun war es genug. Seit sie gefangen genommen worden war, hatte man sie wie ein Tier behandelt. Man hatte sie in einen Käfig gesperrt und gefoltert. Man hätte sie sogar beinahe umgebracht! Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, was die Arelianer mit Soran machen würden, wenn sie ihn in die Finger bekamen. Nein, das würde sie nicht zulassen. Sie würde ihn auf keinen Fall alleine gehen lassen.

    Der gesamte Hass auf die Arelianer, der sich in den vergangenen Tagen in ihr angesammelt hatte, drängte auf einmal an die Oberfläche und wollte herausgelassen werden.

    »Glaubst du etwa, ich würde es darauf anlegen?«, spie sie hervor. »Ja, sie hätten es verdammt nochmal verdient! Sie haben mich entführt! Sie haben mich zusammengeschlagen und gefoltert! Und warum? Nur weil diese verdammten Heuchler der Meinung sind, die Welt sollte ihnen alleine gehören!«

    Voller Zorn hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie ihre Krallen ausgefahren und die Zähne gebleckt hatte, während die Worte nur so aus ihr heraus sprudelten.

    »Ich würde liebend gerne auf jede weitere Begegnung mit diesen Bastarden verzichten! Aber ich werde garantiert nicht hier herumsitzen und nichts tun, während du alleine in ein Dorf voller Arelianer marschierst! Du wirkst deinen Zauber entweder auf uns beide und wir gehen gemeinsam, oder keiner von uns!«

    Sie schnaubte bei jedem Atemzug und starrte Soran herausfordernd an. Jedes Mal, wenn er seine Stimme erhob, um zu versuchen sie von ihrem Standpunkt abzubringen, fauchte sie und bleckte wieder gefährlich die Zähne. Es gab nichts, das er hätte sagen und nichts, das er hätte tun können, um ihre Meinung zu ändern.

    Schließlich schien auch Soran das einzusehen und hob beschwichtigend die Hände. Aber Kediara wollte sich nicht beruhigen. Zu viel war in den letzten Tagen geschehen. Zu viel Schmerz, Wut und Zorn hatten sich in ihr angestaut und drängten nun heraus.

    Mit einem letzten Fauchen drehte sie sich um, legte die wenigen Schritte zu den nahestehenden Bäumen mit ein paar kraftvollen Sprüngen zurück, und grub ihre Krallen in den erstbesten Stamm.

    4

    Am nächsten Morgen war Kediara bereits auf den Beinen, als Soran erwachte. Sie stand einige Schritte entfernt und blickte auf das weite Grasland hinaus. In einiger Entfernung waren Felder und die Umrisse eines Gehöftes zu sehen, doch ansonsten wirkte die Ebene im grauen Zwielicht des wolkenverhangenen Himmels trostloser denn je.

    Wie passend, dachte Soran und erhob sich von seiner Matte und ging auf Kediara zu. Er setzte gerade an, etwas zu sagen, als sie sich zu ihm umdrehte.

    »Na, bist du auch endlich aufgewacht?«

    Der fröhliche Ton ihrer Stimme stand im klaren Gegensatz zu ihrem Gesichtsausdruck, und dieser reichte aus, um Soran davon abzuhalten, das Thema des Vorabends noch einmal aufzugreifen.

    »Was heißt endlich? Die Sonne steht doch grade mal über dem Horizont«, versuchte er stattdessen einen ebenso unschuldigfröhlichen Tonfall anzuschlagen und deutete auf die Stelle an der man, hinter dem Wolkenvorhang, die Sonnenscheibe erahnen konnte. »Was hältst du von Frühstück?«

    Er beugte sich nach seinem Rucksack und war so sehr damit beschäftigt, die schrumpfenden Vorräte nach einem geeignetem Frühstück zu durchsuchen, dass er nicht bemerkte, wie Kediara zu ihm herüberkam. Erschrocken fuhr er hoch, als sie auf einmal neben ihm stand und ihm etwas hinhielt.

    »Hier. Ich hab nicht soviel Hunger«, waren die knappen Worte, mit denen sie

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