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Adular (Band 2): Rauch und Feuer
Adular (Band 2): Rauch und Feuer
Adular (Band 2): Rauch und Feuer
eBook546 Seiten7 Stunden

Adular (Band 2): Rauch und Feuer

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Über dieses E-Book

Die Rebellion der Dunkelelfen schreitet weiter voran. Was als Funke begonnen hat, ist zu einer lodernden, schier unaufhaltsamen Kraft geworden, die Adular zu verschlingen droht.
Mit dem Atem der Rebellen stetig im Nacken wächst nicht nur die Wut der Bevölkerung auf Dunkelelfen, sondern auch auf jeden, der ihnen wohlgesonnen ist. Das bekommt die Waldelfin Elanor am eigenen Leib zu spüren. Als ›Dunkelelfenhure‹ und Verräterin beschimpft kann sie nur erahnen, wie groß der Hass ist, der als schwelendes Feuer unter dem Kaiserreich glimmt. Als die Assassinengilde Umbra Anspruch auf ihre ungeborenen Kinder erhebt, gibt es niemanden, der sie davor schützen kann. Stattdessen wird sie aus der Stadt verbannt und der Gilde hilflos ausgeliefert.
Elanor weiß, dass ihr nur zwei Möglichkeiten bleiben. Entweder sie kommt in den Flammen der Rebellion um oder sie nutzt das letzte Licht ihrer schwindenden Hoffnung, um einen Weg aus der Dunkelheit zu finden.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Okt. 2020
ISBN9783038961550
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    Buchvorschau

    Adular (Band 2) - Jamie L. Farley

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Landkarte

    Prolog – Hastor

    Kapitel 1 – Elanor

    Kapitel 2 – Elanor

    Kapitel 3 – Dûhirion

    Kapitel 4 – Valion

    Kapitel 5 – Elanor

    Kapitel 6 – Elanor

    Kapitel 7 – Dûhirion

    Kapitel 8 – Nara

    Kapitel 9 – Dûhirion

    Kapitel 10 - Dûhirion

    Kapitel 11 – Elanor

    Kapitel 12 – Arik

    Kapitel 13 – Dûhirion

    Kapitel 14 – Elanor

    Kapitel 15 – Dûhirion

    Kapitel 16 – Elanor

    Kapitel 17 – Dûhirion

    Kapitel 18 – Elanor

    Kapitel 19 – Dûhirion

    Kapitel 20 – Elanor

    Kapitel 21 – Dûhirion

    Kapitel 22 - Dûhirion

    Kapitel 23 – Elanor

    Kapitel 24 – Dûhirion

    Kapitel 25 – Elanor

    Kapitel 26 – Valion

    Kapitel 27 – Dûhirion

    Epilog – Maryn

    Glossar

    Dank

    Jamie L. Farley

    Adular

    Band: Rauch und Feuer

    Fantasy

    Adular (Band 2): Rauch und Feuer

    Die Rebellion der Dunkelelfen schreitet weiter voran. Was als Funke begonnen hat, ist zu einer lodernden, schier unaufhaltsamen Kraft geworden, die Adular zu verschlingen droht.

    Mit dem Atem der Rebellen stetig im Nacken wächst nicht nur die Wut der Bevölkerung auf Dunkelelfen, sondern auch auf jeden, der ihnen wohlgesonnen ist. Das bekommt die Waldelfin Elanor am eigenen Leib zu spüren. Als ›Dunkelelfenhure‹ und Verräterin beschimpft kann sie nur erahnen, wie groß der Hass ist, der als schwelendes Feuer unter dem Kaiserreich glimmt. Als die Assassinengilde Umbra Anspruch auf ihre ungeborenen Kinder erhebt, gibt es niemanden, der sie davor schützen kann.

    Elanor weiß, dass ihr nur zwei Möglichkeiten bleiben. Entweder sie kommt in den Flammen der Rebellion um oder sie nutzt das letzte Licht ihrer schwindenden Hoffnung, um einen Weg aus der Dunkelheit zu finden.

    Der Autor

    Jamie L. Farley wurde 1990 in Rostock geboren. 2010 zog er nach Leipzig und machte dort eine Ausbildung zum Ergotherapeuten. Schnell merkte er jedoch, dass das nicht der richtige Job für ihn ist, weshalb er sich entschlossen hat Pokémontrainer zu werden. Er ist in Leipzig geblieben und wohnt zusammen mit seiner besten Freundin Anika, einer Ente namens Dave und dem Haus-zombie Bradley in einer WG. Neben der Schreiberei gehören Videospiele zu seiner liebsten Freizeitbeschäftigung. Nach dem Veröffentlichen von zwei Kurzgeschichten, erschien sein Debüt ‚Adular (Band 1): Schutt und Asche‘ Anfang 2019 im Sternensand Verlag.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, Oktober 2020

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Illustration Arik und Nara: Judith C. Pleiner

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-154-3

    ISBN (epub): 978-3-03896-155-0

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Nicole und Kathrin.

    Für das Trio infernal, das wir damals geformt haben.

    Ihr seid die Besten und habt meine letzten beiden Schuljahre absolut großartig gemacht.

    Ich weiß, was auch immer geschieht: Ich muss keine Angst haben, denn der Kutscher kennt den Weg.

    Und unser Rottweiler macht den Weg frei.

    Prolog – Hastor

    Fünf Tage zuvor

    Kalter, grauer Stein bildete die Wände des Kerkergewölbes. Scharfe Klingen, lange Sägen, Ketten und Peitschen schmückten sie. Zwischen ihnen waren Laternen verteilt, die ein fahles Licht in die Kammer warfen. Unter ihnen, nahe an der Wand, befand sich ein Tisch, der von einem schmutzigen Leinentuch verhüllt war. Verschiedene Wölbungen verrieten, dass sich unter dem Stoff weitere Scheußlichkeiten verbargen.

    Ließ man den Blick weiter wandern, erkannte man rechteckige Bänke mit eisernen Fesseln am Fuß- und Kopfende. Blutflecken hatten sich regelrecht in das Holz gefressen, Kerben und Brandflecken waren stumme Zeugen vergangener Grausamkeiten. In der hintersten Ecke befand sich ein winziger Käfig mit Gitterstäben, die so eng waren, dass man kaum einen Finger durch sie strecken konnte. Ein dornenbesetzter Stuhl mit Lederriemen an den Armlehnen und Fußstützen stand neben dem glühenden Kohleofen. Er spendete dem klammen Raum Wärme, Brandeisen ragten wie die steifen Gliedmaßen eines Toten aus seinem roten Schlund.

    Der Geruch von Blut und Elend lag schwer in der verbrauchten Luft. Hinter der verschlossenen Tür dieser Kammer hatten sich viele unaussprechliche Gräueltaten abgespielt. Seit Jahrzehnten fanden sich immer wieder arme Seelen in ihr wieder, den Boshaftigkeiten der Folterknechte hilflos ausgeliefert. Selbst wenn sie die Marter überstanden, würden sie diesen Ort mit gebrochenem Geist und Körper verlassen und niemals vergessen, was ihnen hier angetan worden war.

    Der Dunkelelf war oft hier gewesen in den letzten Tagen. Und mittlerweile bot er einen erbärmlichen Anblick: Nackt und zerschunden kniete er auf dem Steinboden. Die Hände hinter dem Rücken gefesselt, ein eisernes Halsband schnitt in seine dunkelgraue Haut und hatte nässende Wunden hinterlassen. Sein Oberkörper war gekrümmt, der Kopf hing kraftlos nach unten. Der deformierte Brustkorb hob und senkte sich schwerfällig, als wäre jeder Atemzug eine Mühsal. Strähnen seines fettigen schwarzen Haares klebten an seiner schweißnassen Stirn.

    Er war die Beute des Löwen. Ein Moment der Unachtsamkeit, gepaart mit unberechtigter Überheblichkeit, hatte dazu geführt, dass er in die Falle geraten war. Aus dem stolzen Grauwolf, für den er sich gehalten hatte, war ein abgemagerter, geprügelter Straßenköter geworden. Der Löwe würde sich nicht an seinem Fleisch laben, es war zu zäh und ungenießbar für ihn. Doch hatte er Gefallen daran gefunden, mit seinem Opfer zu spielen.

    Verächtlich starrte Hastor Adaël auf den Dunkelelfen nieder. Letztlich sollte selbst er in seiner dummen Sturheit begriffen haben, dass sein wertloses Leben Hastor gehörte, schon immer gehört hatte.

    Der Hochelf spannte die Kette, die er in der linken Faust hielt. Ein Ruck ging durch den Leib der Grauhaut. Ihr Kopf wurde in den Nacken geworfen, die rauen Kanten des Halsbandes gruben sich tiefer in ihre Haut, und sie landete bäuchlings auf dem Boden.

    »Aufstehen, Siebenunddreißig«, forderte Hastor und wickelte die Kette um seinen Unterarm. So lange, bis der Dunkelelf ächzend auf die Knie kam. »Warum tust du dir das an? Sag mir, was ich wissen will, und du bist erlöst!«

    Nummer Siebenunddreißig schwieg beharrlich. Das Privileg, mit seinem Namen angesprochen zu werden, hatte er eigenhändig verspielt. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sich dieser räudige Köter geweigert, Hastor seinen Namen zu verraten, und sich auf den Kodex der Assassinengilde berufen.

    Damals hatte der Hochelf den Dummen spielen müssen und so getan, als wären ihm die Gesetze Umbras fremd. Heute wusste der Dunkelelf, wen er vor sich, wen er sich zum Feind gemacht hatte. Einen der mächtigsten Elfen im gesamten Kaiserreich nach Kaiser Galdir.

    Malachits Stadtwache war ihm unterstellt, Adulars stehendes Heer gehorchte seinem Wort. Er war Galdirs militärischer Berater, oberster Kriegsherr und ein Volksheld. ›Hastor der Löwe‹ nannte man ihn dank der vielen Schlachten, die er erfolgreich geschlagen hatte, dank der unzähligen Siege, die er im Krieg und in der Arena errungen hatte.

    Doch das, was Nummer Siebenunddreißig bis ins Mark erschüttert hatte, war die Tatsache, dass es sich bei Hastor um einen Obersten von Umbra handelte. Er hielt die Fäden der Assassinengilde, wie er die Kette zum Halsband des Dunkelelfen in der Hand hielt. Sich sein Wohlwollen zu verscherzen, war eine der dümmsten Entscheidungen, die der Köter jemals gefällt hatte.

    »Ich warte, Grauhaut.« Mit Wucht ließ Hastor das Ende der schweren Kette auf den geschundenen Rücken des Dunkelelfen niederfahren.

    Nummer Siebenunddreißig schrie auf. Die klaffenden Schnittwunden, die er ihm erneut zugefügt hatte, dehnten sich. Blut strömte über seine rechte Gesichtshälfte und geriet in das blinde Auge.

    Diese Schnitte waren Hastors Zeichen und es war ihm eine besondere Freude gewesen, sie Siebenunddreißig zuzufügen. Mit ihnen markierte er diejenigen, die in Ungnade gefallen waren. Widerspenstige Sklaven, aufmüpfige Grauhäute aus der Aschegrube. Früher, auf dem Schlachtfeld, hatte er seine Klauen auch durch die Gesichter seiner geschlagenen Feinde gerissen. Auf dass sie die Schmach ihrer Niederlage für immer im Antlitz trugen. Auf dass sie bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnert wurden, dass sie dem Löwen unterlegen waren.

    Ohne den Blick von ihm zu nehmen, griff Hastor zur Seite und zog ein weiß glühendes Brandeisen aus der Glut. »Sag mir, Siebenunddreißig: Was ist deine größte Angst?« Der Hochelf betrachtete das Eisen einige Sekunden lang. »Fürchtest du den Tod? Schmerz und Demütigung? Oder ist es etwas Profanes, wofür du dich schämen müsstest? Schlangen, Spinnen, Ratten?«

    Langsam führte er das glühende Ende des Brandeisens an das sehende Auge des Dunkelelfen heran. Blanke Angst spiegelte sich in seinem Blick, ein Ausdruck von namenlosem Grauen fraß sich mit spitzen Zähnen in sein geschwollenes Gesicht.

    Der Hochelf wurde von einem wohligen Schauer ergriffen, der sich pochend in seinem Schoß bündelte. Er leckte sich ungeduldig über die Lippen. »Oder …« Die schwelende Hitze war nur Zentimeter vom Auge des Dunkelelfen entfernt. Hastor konnte den Atem der Grauhaut hören, der rasselnd und stoßweise seine Lunge verließ. »Ist es etwas Naheliegendes? Der Verlust des Augenlichts zum Beispiel? Denn was soll die Gilde schon mit einem blinden Assassinen?«

    Nummer Siebenunddreißig war wie erstarrt, wagte nicht einmal zu blinzeln.

    Hastor lehnte sich vor. »Du willst wegsehen und kannst es nicht. Es ist schlimmer, in der Dunkelheit auf das Verderben zu warten, als ihm entgegenzublicken, nicht wahr? Sag mir, was die Pläne deines Freundes Valion sind, und du bist frei!«

    »Ich kenne seine Pläne nicht«, brachte der Dunkelelf heiser hervor.

    Hastor schnalzte missbilligend mit der Zunge. Er war diese Lüge leid. Wie konnte ein einzelner Mann derart starrköpfig sein? Je länger sich diese Grauhaut weigerte zu reden, desto mehr war er seinem Vorhaben zugeneigt.

    Gerne würde er diesen vorlauten Bastard in blinde Dunkelheit stoßen und dabei zusehen, wie er darin herumschwamm und verzweifelt dagegen ankämpfte zu ertrinken.

    Nachdenklich runzelte Hastor die Stirn. Der Dunkelelf fürchtete Blindheit wie kaum etwas anderes, das hatten die vergangenen Verhöre deutlich gezeigt. Wenn er seinem Verlangen nachging und ihn blendete, war dies der letzte Schlag, den es benötigte, um den Widerstand von Nummer Siebenunddreißig zu brechen. Einen blinden Assassinen brauchte niemand, doch nützen würde er der Gilde ohnehin nur noch mit seinen Informationen. Umbra würde ihn hinrichten, sobald er alles gesagt hatte, was er wusste.

    Ein Lächeln hob die Mundwinkel des Hochelfen. »Ich werde es genießen, dir das Auge aus dem Schädel zu brennen.«

    Das sehende Auge des Dunkelelfen weitete sich in schierer Panik und er stemmte sich verzweifelt gegen die Kette.

    Hastor liebte es, seine Opfer zappeln zu sehen. Ob er diesem sturen Esel ein gewimmertes Flehen um Gnade entlocken konnte, wenn er noch wartete? Während er das glühende Ende des Brandeisens langsam wieder an das Gesicht des Dunkelelfen heranführte, schwang die Tür zur Folterkammer auf.

    Verärgert sah der Hochelf über die Schulter. Er hatte ausdrücklich jegliche Störung untersagt. Allerdings war es kein niederer Assassine und kein verirrter Folterknecht, der die Kammer betrat, sondern Gildenmeister Taremia höchstpersönlich.

    Obwohl Hastor gemäß Umbras Gesetzen in der Rangordnung über ihr stand, konnte er ihr die Unterbrechung seines Verhörs am ehesten verzeihen.

    »Entschuldigt meine Störung.« Sie warf dem Dunkelelfen lediglich einen kurzen Blick zu. »Hastor, es gibt etwas, was Eurer Aufmerksamkeit bedarf.«

    Der Hochelf ließ die Kette los, und Nummer Siebenunddreißig fiel zu Boden. Wenn Taremia sich dazu herabließ, die Botin zu spielen, musste sie von einem der anderen Obersten geschickt worden sein. Das wiederum hieß, dass Grem endlich mit den erhofften Informationen angekommen war.

    »Verstehe. Ich werde mich gleich auf den Weg machen«, sagte Hastor und steckte das Brandeisen zurück in die Glut. »Die Grauhaut kann wieder in ihre Zelle. Glück gehabt, Nummer Siebenunddreißig. Du darfst dein Augenlicht behalten. Zumindest bis morgen.«

    Die Hochelfin schnipste mit den Fingern und öffnete ein magisches Portal, das ihn auf direktem Weg in ihr Arbeitszimmer bringen würde. Hastors Identität als Oberster von Umbra musste geheim bleiben. Niemand außer Taremia und Nummer Siebenunddreißig wussten, dass er hier und ein Teil der Gilde war. Und das sollte auch so bleiben.

    Der Hochelf trat durch das Portal und fand sich einen Wimpernschlag später im Büro des Gildenmeisters wieder. Er war froh, den Gestank des Kerkers losgeworden zu sein.

    Ein Zwerg mit schütteren blonden Haaren, das an den Schläfen ergraute, erwartete ihn. Der dichte Bart reichte ihm bis zum Bauch, er verdeckte die zahlreichen Narben, die sich auf dem Unterkiefer, dem Kinn und dem Hals befanden. Hastor jedoch wusste, dass sie da waren. Einzig auf den Lippen, die einigermaßen von der Gesichtsbehaarung befreit blieben, waren die Narben für jeden sichtbar.

    »Hastor«, rief Grem mit einer Stimme, die an einen Erdrutsch erinnerte. Grollend, gewaltig und viel zu laut. Freudig breitete er die Arme aus. »Mein guter alter Freund. Wie geht es dir?«

    »Hervorragend. Danke der Nachfrage«, erwiderte Hastor, wich der ungewollten Umarmung mit einem Schritt nach hinten aus. Der stechende Geruch von billigem Alkohol stieg ihm in die Nase. »Wie ich sehe, bist du immer noch der Alte.«

    Auf den zerfetzten Lippen des Zwergs bildete sich ein verzerrtes Grinsen. »Wer sollte ich sein, wenn nicht ich?«

    Hastor würde nie verstehen, warum Grem selbst anderen Gildenmitgliedern diese aufdringliche Heiterkeit vortäuschte. Wenn er Auftraggeber damit in Sicherheit wiegen wollte, konnte er das tun. Aber innerhalb der Gilde, besonders im Gespräch mit einem anderen Obersten, wäre professionelle Ernsthaftigkeit angebracht.

    »Was hast du für mich, Grem?«, fragte der Hochelf.

    Der Zwerg musterte Taremias Sessel hinter dem mächtigen Schreibtisch. Für einen kurzen Moment zuckte ein Bild vor Hastors innerem Auge auf. Er sah Grem in dem Sessel sitzen, weit zurückgelehnt und mit den schmutzigen Stiefeln auf dem Tisch. Sie beide wussten, dass das der Hochelfin gar nicht gefallen würde. Und glücklicherweise hatte auch Grem genug Respekt vor ihr, um ihren geschätzten Schreibtisch nicht zu verschmutzen. Es genügte schon, dass er mit seinen dreckverkrusteten Stiefeln den roten Teppich besudelt hatte, der sich wie eine Blutlache über dem Boden ausbreitete.

    Der Zwerg lehnte sich rücklings gegen den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe einen Namen.«

    »Nichts weiter als das? Dafür musste ich das Verhör unterbrechen? Ich hatte gehofft, du würdest mir den Aufenthaltsort der Rebellen bringen.«

    »Ich bin ihnen auf der Spur.« Grems Blick schweifte über die hohen Bücherregale, die an allen vier Wänden des Raumes standen. »Das Problem ist, dass sie sich nicht alle an einem Ort aufhalten, Hastor. Sie sind mal hier, mal dort. Einzelne lassen sich fangen, aber an die Wurzel des Problems müssen wir uns herantasten. Keine Sorge, wir werden diese Grauwölfe schon finden. Trotzdem denke ich, dass der Name, den ich für dich habe, dich brennend interessiert.«

    Hastor massierte sich mit der einen Hand die Stirn und bedeutete ihm mit der anderen weiterzusprechen. Wenn Kaiser Galdir endlich das Problem der Rebellen ernst nehmen würde, hätte er wesentlich mehr Ressourcen, auf die er zurückgreifen könnte.

    »Wusstest du, dass dein Gefangener Dûhirion eine Affäre hat?«

    Das weckte tatsächlich Hastors Interesse. Der Hochelf blickte wesentlich aufmerksamer zu Grem.

    Dieser grinste selbstgefällig. »Offenbar nicht. Er steigt regelmäßig mit einer Waldelfin ins Bett.«

    Hastor fühlte sich, als hätte er eine Schabe im Mund, die er nicht ausspucken konnte, weil sie sich an seiner Zunge festhielt. Es würde ihm nicht im Traum einfallen, mit einer Dunkelelfin zu schlafen. Das Bordell in Malachit, das ausschließlich dunkelelfische Huren beiden Geschlechts beherbergte, war für seinen Geschmack auch zu gut besucht. »Bezahlt er sie dafür? Ist sie blind, zu hässlich, um etwas Besseres zu bekommen, oder schlichtweg dumm?«

    Grem zuckte mit den Schultern. »Weder noch, soweit ich beurteilen kann. Die Gute wäre hübsch, wenn man Elfen mag. Mein Fall sind sie nicht.«

    »Zu wenig Körperhaar?«, spottete Hastor.

    Der Zwerg schnaubte. »Du weißt einen gut gepflegten Damenbart einfach nicht zu schätzen.«

    »Nein, weiß ich tatsächlich nicht. Wie hast du von dieser angeblichen Affäre erfahren?«

    Grem legte seinen breiten Zeigefinger an die Lippen und grinste ominös. »Ich habe zuverlässige Quellen.«

    »Und wer ist diese Quelle?«, fragte Hastor weiter.

    Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Geheimnisse müssen bewahrt werden, Löwe. Insbesondere in einer Assassinengilde. Vertrau mir! Die Person, von der ich meine Informationen erhalten habe, würde es nie wagen, mich zu belügen.«

    Für einen kurzen Moment konnte Hastor hinter die heitere Fassade seines Gegenübers blicken. Da war die kaltherzige Härte, die Grem geschickt hinter seiner gespielten Freundlichkeit verbarg.

    »Gut.« Hastor nickte knapp. »Dann will ich dir glauben. Wer ist die Waldelfin, mit der Siebenunddreißig eine Affäre hat?«

    Grem lächelte wieder. Aus dem berechnenden Assassinen wurde mit einer kleinen Geste ein schelmischer Junge. »Ihr Name ist Elanor Loracas. Sie ist eine Schneiderin in Malachit und arbeitet bei ihrem Onkel Faredir.«

    Hastor hatte viel Gutes von der Schneiderei Loracas gehört, war aber nie selbst Kunde gewesen. Für seine Kleidung hatte er einen eigenen Schneider.

    Wie konnte es dazu kommen, dass eine gewöhnliche Waldelfin, die einem einfachen Handwerk nachkam, sich auf einen Assassinen einließ?

    »Der Name Loracas ist mir bereits untergekommen.« Hastor zuckte mit den Schultern. »Aber ich hoffe, du hast mehr als das für mich. So verwerflich ich diese Affäre auch finde, ist es mir ziemlich egal, ob und wen die Grauhaut vögelt.«

    Selbst wenn es sich bei dieser Affäre um einen Verstoß gegen Umbras Gesetze handelte. Nummer Siebenunddreißig hatte schon genug Probleme, dass dieser kleine Faktor seine Misere auch nicht mehr vergrößerte.

    Grem hob belehrend den Zeigefinger. »Noch ist es dir egal, mein Freund. Noch.«

    Der Hochelf fasste sich wieder an die Stirn. »Grem, du strapazierst meine Geduld erheblich.«

    »Die Waldelfin ist schwanger. Von ihm.«

    Hastor zog die Brauen hoch und ließ seine Hand sinken.

    In der Bevölkerung hielt sich der hartnäckige Irrglaube, dass sich die verschiedenen Rassen untereinander nicht vermehren könnten. Kaiser Galdir und alle seine Vorfahren hatten darauf bestanden, dass diese falsche Tatsache weiter verbreitet wurde. Sie brauchten keine Gesellschaft, in der es Mischlinge mit verunreinigtem Blut gab. Hastor war zwar anderer Meinung als Galdir und hielt es für klüger, die Leute aufzuklären, sodass vermehrt auf Verhütung geachtet und auf Liebesabenteuer zwischen den Rassen verzichtet wurde. Aber seine Stimme wurde diesbezüglich nie erhört. Die meisten stellten ihr Wissen über die Fortpflanzung auch nie infrage. Schließlich war es bei Wald- und Hochelfen eine Gottheit, ein höheres Wesen, das über ihre Schwangerschaft bestimmte.

    Wer machte sich bei so einer Tatsache schon Gedanken, ob ein Zwerg durchaus in der Lage war, eine Menschenfrau zu schwängern? Es fragte sich schließlich auch kaum einer, ob es richtig war, die Dunkelelfen Adulars zu unterdrücken. Natürlich existierten Kinder mit gemischtem Blut. Doch diese wurden entweder direkt nach der Geburt getötet und ihre Eltern gleich mit, wenn sie sich wehrten. Oder sie wurden nur mundtot gemacht und dafür auf Lebenszeit aus Adular verbannt.

    »Wie nahe steht ihm diese Waldelfin?«, wollte Hastor wissen.

    Nur weil sie von ihm schwanger war, hieß das nicht, dass sie ihm wichtig war. Siebenunddreißig war von Umbra erzogen worden und sollte gelernt haben, dass es keine Liebe für ihn gab. Vielleicht hatte er schlichtweg Gefallen daran gefunden, mit dieser Elanor zu schlafen, und war alles andere als begeistert von ihrer Schwangerschaft. Wenn er überhaupt davon wusste.

    »Weiß ich nicht«, antwortete der Zwerg schulterzuckend. »Sie trägt seine Kinder aus, daher …«

    »Das hat nichts zu bedeuten«, unterbrach Hastor kühl. »Doch sollte sie ihm tatsächlich wichtig sein, habe ich mit ihr das perfekte Druckmittel.«

    Grem winkte ab. »Gib es doch endlich auf mit dem, Hastor! Er weiß nichts, sonst hätte er mit Sicherheit längst geredet. Töte ihn und locke diesen Valion mit seiner Leiche an! Das ist der bessere Weg. Zwei auf einen Streich.«

    Hastor wusste, dass Grem recht hatte mit dem, was er sagte, auch wenn er sich das ungern eingestand. Es bereitete ihm zu viel Vergnügen, Nummer Siebenunddreißig zu quälen, als dass er ihn schon gehen lassen wollte.

    »Und was die schwangere Waldelfin angeht«, fuhr Grem fort, »sie trägt Umbras Nachwuchs im Bauch. Ein Mischblut – vielleicht sogar mehrere auf einmal –, das die scharfen Augen eines Dunkelelfen und die wachsamen Ohren eines Waldelfen hat? Perfekt für einen Assassinen.«

    »Wenn sie nicht als unbrauchbare Krüppel blind und taub zur Welt kommen«, warf Hastor ein.

    »Das sieht man erst, wenn sie geboren sind«, stimmte der Zwerg ihm zu und strich durch seinen Bart. »Mein Rat: Lass Nummer Siebenunddreißig hinrichten, wie er es verdient hat! Wegen Hochverrats. Ehrlich gesagt, hast du diese kleine Gossenratte viel zu lange verschont.«

    Hastor schwieg. Grem musterte ihn aus kalten Augen, deren Farbe an vertrocknetes Gras erinnerte. Sein Blick war wissend, als könnte er jeden einzelnen Gedanken lesen, der durch den Kopf des Hochelfen zuckte. »Du hegst einen persönlichen Groll gegen diesen Dunkelelfen und das trübt dein Urteilsvermögen. Lass dich nicht davon beherrschen, Löwe! Sonst gibst du der Grauhaut Macht über dich, die ihr nicht zusteht.«

    Hastor verzog den Mund und für einen kurzen Moment verspürte er das Verlangen auszuspucken. Er konnte dem Zwerg in diesem Punkt nicht widersprechen. Nummer Siebenunddreißig verfolgte ihn bis in den Schlaf. Er hatte mehr Raum eingenommen, als es die Rebellen bisher getan hatten. »Du hast recht. Ich habe mich von meiner persönlichen Genugtuung hinreißen lassen. Ich werde seinen Tod veranlassen. In der Zwischenzeit hole ich mir mehr Informationen über diese Waldelfin.«

    Grem nickte zufrieden. »Ich werde eine Weile in dieser Zuflucht hier bleiben. Ich will dabei sein, wenn Valion getötet wird. Und die Hinrichtung von Nummer … ach, nennen wir ihn beim Namen. Die Hinrichtung von Dûhirion möchte ich auch ungern verpassen.«

    »Mach es dir bequem, Grem«, erwiderte Hastor gleichgültig.

    »Es ist außerdem eine gute Gelegenheit, Maryn wiederzusehen«, sagte Grem. »Ah, wie lange ist es her, dass ich mit ihr ein paar Humpen Bier geleert habe? Sicherlich schon zehn Jahre. Ha, glaubst du, sie ist immer noch davon überzeugt, mich unter den Tisch trinken zu können?«

    Hastor verdrehte die Augen. Es gab nur wenige Dinge auf dieser Welt, die ihn noch weniger interessierten als eine Antwort auf diese Frage.

    »Ich werde in der Zeit der Arbeit eines gewöhnlichen Assassinen nachgehen. Das habe ich viel zu lange nicht mehr gemacht.« Der Zwerg streckte sich und schlenderte auf die Tür zu. »Ach, und Hastor? Bitte halte dich an dein Wort! Keine weitere Folter mehr, kein Hinauszögern. Ich will diesen Assassinen bald tot sehen, in Ordnung?«

    Der Hochelf sagte nichts. Er wartete, bis Grem verschwunden war, und murrte genervt. Dieser Zwerg hatte großes Glück, dass er mit ihm in der Rangordnung auf einer Stufe stand und Hastor sich seine Frechheiten gefallen lassen musste.

    Die Tür öffnete sich erneut und dieses Mal war es Taremia, die eintrat. Sie war eine Augenweide wie eh und je. Goldgelbe Augen musterten ihn forschend, während sie näher kam. Sie war von schlanker Gestalt, ihre alabasterfarbene Haut makellos und rein. Das schneeweiße Haar reichte ihr bis zum Kinn, und nicht zum ersten Mal wünschte sich Hastor, sie würde es ihrem Stand gemäß mindestens hüftlang tragen. Das ebenmäßige Gesicht der Hochelfin wirkte ausdruckslos, ihre Lippen waren dunkelrot geschminkt, die fein geschwungenen Augenbrauen mit schwarzer Kohle nachgezogen. Gekleidet war sie in den Farben der Gilde – dunkelbraun und schwarz, doch war es nicht die typische Kluft. Statt Hose, Hemd und Tunika hüllte sie sich in ein edles Kleid. Ein überraschend lieblicher Duft von Apfelblüten ging von ihr aus.

    Ungeniert verfolgte Hastor den dezenten und eleganten Schwung ihrer Hüften. Es kam ihm vor, als bewegte sich die Hochelfin immer nach einer inneren Melodie, die nur sie vernehmen konnte.

    »War das Gespräch ergiebig?«, fragte sie neutral.

    Hastor senkte den Blick unauffällig auf ihren wohlgeformten Hintern und nickte.

    Sie sah über die Schulter und schenkte ihm ein kühles Lächeln. Die Hochelfin hielt ihm noch einen Moment länger den Rücken zugekehrt und gab ihm mehr Zeit, ihre Kehrseite zu bewundern. Er wusste das zu schätzen.

    »Details kann ich dir später geben.« Jetzt, da niemand mehr bei ihnen war, hatte er beschlossen, auf eine persönlichere Ansprache zurückzugreifen. Der Hochelf rollte mit den gewaltigen Schultern. »Zunächst will ich noch mal zur Grauhaut.«

    »Ich habe Jonna gerade zu ihm geschickt, um die Schnitte in seinem Gesicht zu heilen«, sagte Taremia und stellte sich hinter ihren Schreibtisch. Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper in solcher Art, dass ihre Brüste hochgedrückt wurden. Nur ein klein wenig, eigentlich kaum merklich, doch genug, um seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.

    Hastors rechter Mundwinkel bewegte sich leicht nach oben. Er genoss diese kleinen Neckereien.

    »Ich weiß nicht, ob du mich beim letzten Mal nicht verstanden hast. Dieser Dunkelelf ist nicht dein persönliches Eigentum, Hastor. Halt deine Klingen von seiner Visage fern«, forderte Taremia.

    »Mir gefällt sein Gesicht so wesentlich besser. Ein Acker wird erst nützlich, wenn man ihn pflügt.« Hastors Handbewegung schien ihre Worte wegwischen zu wollen. »Aber wie du wünschst. Es gibt schließlich genug andere Körperstellen, in die sich meine Klingen bohren können.«

    Die Hochelfin schwieg.

    »Wärst du nun so freundlich, ein Portal für mich zu öffnen?«, fragte Hastor und verneigte sich spöttisch vor ihr.

    Taremia schnipste einmal, und die magische Pforte erschien vor einem ihrer Bücherregale.

    »In etwa einer Stunde sollte ich zurück sein«, sagte Hastor. »Dann teile ich gerne alles mit dir. Sogar das, was Grem mir erzählt hat.«

    Zuerst aber würde er Nummer Siebenunddreißig mit dem Wissen über seine Geliebte konfrontieren.

    Kapitel 1 – Elanor

    Gegenwart

    Sie wartete. Erst als sich die schweren Schritte der Wachpatrouille außerhalb ihrer Hörweite befanden, wagte sie aufzuatmen. So leise wie möglich kam sie aus dem Busch, in dem sie sich verborgen hatte.

    Ein letztes Mal sah sie sich prüfend auf der Straße um, bevor sie auf die kleine Hütte zuging.

    Es war kurz nach Mitternacht und die Oberstadt von Malachit lag in dunklem Schlummer. Seit dem Überfall der Rebellen auf die Farmen nördlich der Stadt gab es einige leer stehende Häuser. Tote waren der Tribut des Angriffs. Es hatte nicht die Sklaventreiber getroffen, auf die es die Rebellen wahrscheinlich abgesehen hatten, sondern dunkelelfische Sklaven, Tagelöhner und Arbeiter – Unschuldige.

    Elanor fühlte sich nicht wohl dabei, in das Haus eines Toten einzubrechen und den Nachlass eines Mordopfers für ihre Zwecke zu nutzen. Erst vorgestern waren die Hütte geräumt, sämtliche Besitztümer des ehemaligen Bewohners verkauft, verschenkt oder weggeworfen worden. Aber sie brauchte einen neutralen, sicheren Ort, an dem sie dieses Treffen abhalten konnte.

    Die Waldelfin rang ihre Nervosität nieder und brachte das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle, bevor sie den Dietrich ins Türschloss schob. Der Mond spendete genug Licht, um arbeiten zu können.

    Drei Tage war es her, dass die Zwergin Maryn vor ihrer Tür gestanden und ihr offenbart hatte, dass ihr Geliebter tot war.

    Dûhirion ist tot …

    Ermordet von Umbra, hingerichtet wegen Hochverrats. Verzweiflung hatte sich wie eine vergiftete Nadel in ihr Fleisch gesenkt und grub sich seither immer tiefer.

    Mein Herz ist tot …

    Sie spürte das Gift mit jedem Atemzug, den sie weiterhin tat, obwohl Dûhirion seinen letzten ausgehaucht hatte. Sie spürte es mit jedem Schlag ihres Herzens, das weitermachte, obwohl das von Dûhirion verstummt war.

    Er war ihr brutal entrissen worden und hatte kalte, alles verschlingende Leere hinterlassen. Das Letzte, was sie für ihn tun konnte, war, seine Leiche zu bergen und beizusetzen. Sie hatte seinen Körper nicht retten können, doch wenigstens seiner unsterblichen Seele wollte sie die verdiente Freiheit schenken.

    Wenn die Götter seiner Seele Frieden schenken wollen. Der Gedanke zog wie eine schwarze Wolke in ihrem Kopf auf. Schwer und trostlos. Sie haben zugelassen, dass Umbra ihn tötet. War unsere Liebe doch ein Vergehen? Viriditas hat ihren Segen über unsere Kinder und mich gesprochen. Ich dachte … Das Atmen fiel ihr schwerer, der Drang zu weinen schnürte ihr den Hals zu. Was auch immer ich dachte, ich lag falsch.

    Vielleicht war das alles ihre Strafe für eine Liebe, die nie sein durfte. Dûhirions Tod, der Elanor dazu verdammte, ihre Kinder allein großzuziehen. Die wachsende Feindseligkeit der Bewohner Malachits ihr gegenüber. Vielleicht war das alles ihre Schuld.

    Eine Wolke schob sich vor den Mond, als sie das leise Klicken des nachgebenden Türschlosses vernahm. Elanor atmete leise durch und erinnerte sich daran, warum sie hier war. Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Vorhaben, das Ziel. Die Waldelfin hatte Kontakt zur Gilde aufgenommen und ein Treffen mit einer Schattenklinge vereinbart. Wenn jemand ihr Informationen über den Verbleib von Dûhirions Körper bringen konnte, dann ein Gildenmitglied.

    »Die Tür ist offen, Arik«, flüsterte sie.

    Ein Mann trat aus dem Schatten eines Baumes und kam an ihre Seite. Er trug eine dunkelblaue Robe, die mit silbernem Garn, weißen und hellblauen Elementen verziert war. Der Heiler nickte anerkennend. »Gut gemacht. Nun müssen wir noch darauf warten, dass Ivorien zu uns zurückkehrt.«

    Die Dunkelelfin hatte für sie einen Wachtrupp abgelenkt und von der Hütte weggelockt.

    Elanor ließ den Dietrich in der eingenähten Tasche ihres Ärmels verschwinden. Sie hatte sich das Schlösserknacken als Kind selbst beigebracht. Die Abenteuergeschichten, die Onkel Faredir ihr am Bett vorgelesen hatte, hatten sie dazu inspiriert, selbst auf Schatzsuche zu gehen.

    Mit kaum neun Jahren hatte sie zum ersten Mal eine Tür aufgebrochen, von der kindlichen Fantasie erfüllt, dahinter eine Schatzkammer zu finden. Im Laufe der Jahre hatte sie ihre Fähigkeiten verbessert. Nachdem sie der Weißen Feder beigetreten war, einer friedlichen Widerstandsgruppe, die sich gegen die Unterdrückung der Dunkelelfen auflehnte, stellte es sich als überaus praktisch heraus, dass sie fähig war, Schlösser zu knacken.

    »Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen«, murmelte die Waldelfin.

    Sie spürte den bekannten und verhassten Knoten in ihren Eingeweiden. Er war da, seit sie ein kleines Mädchen gewesen und ihre Eltern ermordet worden waren. An vielen Tagen bemerkte sie ihn kaum, aber er hatte sich nie gelöst und nach Dûhirions Tod fester und schmerzhafter zugezogen denn je.

    Arik schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Doch Sorge verdunkelte seine bernsteinfarbenen Augen. »Sie ist sehr geschickt und nicht das erste Mal heimlich in der Oberstadt.«

    Elanor versuchte das Lächeln zu erwidern und brachte nur ein müdes Zucken ihrer Mundwinkel zustande. Ihr Kopf schmerzte. Schon seit sie heute Morgen aufgewacht war. Was als seichtes Glimmen begonnen hatte, wandelte sich allmählich zu einem lodernden Feuer. Ihre Nervosität war wie Öl, das über glühende Kohlen gegossen wurde. »Das ist wahr. Aber manchmal hilft einem auch das beste Geschick nicht, wenn man ein Dunkelelf ist …« Unruhig spielte sie mit ihrer Halskette. Der blaue, tropfenförmige Stein fühlte sich angenehm kühl an und es spendete ihr Trost, ihn zu halten.

    Ihr Blick wanderte durch die dunklen Straßen. Etwa eine Stunde Fußweg von hier aus befand sich die breite Treppe, die von der Oberstadt hinab in die Aschegrube führte, jenes Elendsviertel, in dem die Dunkelelfen leben mussten. Wenn man es überhaupt Leben nennen konnte, Vegetieren traf es wohl eher.

    Sie lauschte in den Wind hinein, suchte nach verräterischen Stimmen, fragte sich, ob es heute Nacht ruhig dort war. Oder ob sich wieder ein paar Einwohner der Oberstadt zusammenfanden, um die Dunkelelfen zu terrorisieren. Seitdem die dunkelelfische Rebellengruppe, die sich Grauwölfe nannte, Malachit immer näher kam, wuchs die Gewaltbereitschaft der anderen Völker.

    »Sieh«, flüsterte Arik ihr zu und wies mit dem Zeigefinger geradeaus. »Dahinten ist sie.«

    Ivorien rannte ihnen entgegen und gab ein stilles Zeichen der Entwarnung. Sie blieb keuchend vor ihnen stehen, stützte sich einen Moment lang auf ihren Oberschenkeln ab und verschnaufte. Strähnen ihres mittellangen schwarzen Haares, das sie wie Dûhirion im Irokesenschnitt trug, fielen ihr in die Stirn.

    Erleichterung überkam Elanor, als sie feststellte, dass die Dunkelelfin unversehrt war. »Den Göttern sei Dank. Geht es dir gut?«

    Ivorien richtete sich auf und nickte. Sprechen konnte sie nicht mehr, seit man ihr die Zunge herausgeschnitten hatte. Die Dunkelelfin war eine ehemalige Sklavin. Die Weiße Feder hatte sie vor ihren grausamen Besitzern gerettet. Ivorien hatte sich ihnen aus Dankbarkeit angeschlossen und war für sie offenes Auge und wachsames Ohr in der Aschegrube.

    Sie formte einige Zeichen mit den Händen und lächelte.

    »Es könnte ihr nicht besser gehen«, übersetzte Arik. »Das freut uns sehr, Ivorien.«

    Die Dunkelelfin nickte abermals und deutete dann mit fragender Miene auf die Tür. »Hm?«

    »Ja, sie ist bereits offen«, sagte der Heiler.

    Elanor war erleichtert, nicht allein zu sein. Umbra genoss einen guten Ruf und war nicht dafür bekannt, Auftraggebern gefährlich zu werden. Dennoch war es gut, die Weiße Feder zu haben, die ihr den Rücken stärkte.

    Arik war zunächst vehement dagegen gewesen, dass sie die Gilde kontaktierte. Sie hatten lange diskutiert, und letztlich hatten sie sich geeinigt, dass Elanor das Gespräch führen würde und Arik zuvor eine Illusion auf sie legte, die ihr Äußeres veränderte.

    Sie sah immer noch aus wie eine Waldelfin, doch ihr braunes Haar wirkte dunkler, sodass es jetzt beinahe schwarz schien. Ihre blauen Augen waren einige Nuancen heller und die Sommersprossen verschwunden. Ihre Wangenknochen lagen höher, die Nase war etwas länger und das Kinn spitzer. Die Veränderungen waren marginal, reichten aber, um aus ihr eine andere Person zu machen.

    Das Zeichen der Göttin Viriditas in ihrem Gesicht jedoch konnte die Illusion nicht verbergen. Es zeigte die vereinfachte Darstellung eines Baumes. Krumme Wurzeln streckten sich von ihrer Unterlippe über ihr Kinn, der schmale Stamm verlief von der Oberlippe über ihren Nasenrücken. Die filigranen Äste waren kahl und aufwendig verzweigt; sie spannten sich ausladend über ihre gesamte Stirn. Die weiße Farbe, mit der das Zeichen aufgebracht worden war, stand im starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut.

    Zudem hatte Arik darauf bestanden, dass sie eine dritte Person mit sich nahmen. Seine Schwester Nara hatte vorübergehend die Stadt verlassen. Sie war vor drei Tagen mit einer Jägergemeinschaft tief in den Wechselwald gegangen und würde erst übermorgen zurückkehren.

    »Wir sollten eintreten«, murmelte Elanor. »Die Schattenklinge wird bald da sein.«

    Gemeinsam betraten sie das Haus.

    Für einen kurzen Moment stellte sich Elanor vor, wie es zuvor hier ausgesehen hatte. Sie füllte die Leere mit den Spuren der ehemaligen Bewohner. Dort in der Ecke war das Bett, hier vorne ein Tisch mit vier Stühlen, über einem von ihnen hing ein Mantel. An den Wänden reihten sich einige Schränke für Lebensmittel, Kleidung und Kleinigkeiten, die keinen anderen Platz im Haus gefunden hatten. Links neben der Tür stand ein Paar schmutzige Stiefel.

    Elanor blinzelte einmal, und das Gedankenkonstrukt fiel in sich zusammen, ließ kahle Finsternis zwischen vier Wänden zurück.

    Sie zog die Kapuze ihres dunkelbraunen Umhangs tiefer ins Gesicht. An sich war es nicht notwendig, sich zu maskieren, aber es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.

    Die nächtliche Finsternis wickelte sich um sie wie eine riesige schwarze Schlange. Sie spürte die kühle, schuppige Haut an ihrer eigenen reiben. Ihr Brustkorb wurde zusammengedrückt, die Luft gewaltsam aus ihren Lungen gepresst. Die beiden Beutel mit dem Gold, das sie der Gilde in den gierigen Schlund stopfen würde, wogen plötzlich schwerer als zuvor an ihrem Gürtel.

    Unbewusst strich sie sich über den Bauch, fühlte die Wölbung und zog abrupt ihre Hände zurück.

    »Geht es dir gut?«, fragte Arik vorsichtig.

    »Nein«, murmelte Elanor wahrheitsgemäß. »Er fehlt mir.«

    Er fehlt mir, echote es in ihrem Kopf. Die letzten Stunden seines Lebens waren wahrscheinlich eine einzige Qual. Er war hungrig, litt Schmerzen und wusste, dass er nicht zu mir zurückkommen würde. Umbra hat seine Leiche vermutlich im Dreck verscharrt. Ich konnte nichts tun, um ihn zu retten. Ich habe ihn im Stich gelassen.

    »Ich weiß, mir ebenfalls«, erwiderte der Magier bekümmert. »Und deinen …« Seine Worte verschwammen. Bienensummen. »… ist mit ihnen alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?«

    Ivorien neigte den Kopf leicht zur Seite. Ihre blassroten Augen musterten sie mit einer Mischung aus Mitleid und Unsicherheit.

    Elanor starrte ausdruckslos in die Dunkelheit des Hauses. »Die Schattenklinge sollte gleich hier sein«, wiederholte sie leise.

    Arik schien etwas sagen zu wollen.

    Ivorien hielt eine Hand hoch und schüttelte den Kopf. »Mh-mh.«

    Er seufzte lautlos und fuhr sich mit der knochigen Hand durchs zerzauste schwarze Haar. »Ja, du hast recht.« Er streifte sich seine Kapuze über.

    Wenige Momente später wurde die Tür von außen geöffnet. Ivorien berührte die Waldelfin an der Schulter.

    Elanor sah der dunklen Gestalt entgegen, die sich ins Innere des Hauses schlich. Das musste die Schattenklinge sein, auf die sie warteten, Ivorien hatte sie sofort erkannt. Für die nachtsichtigen Augen der Dunkelelfin war die Finsternis kein Hindernis. Größe und Statur der Silhouette ließen darauf schließen, dass es sich um einen Zwerg handelte. Ob er auch Umbras unverwechselbare Kluft trug, konnte Elanor nur raten.

    Die Waldelfin trat ihm entgegen, während sich Arik und Ivorien im Hintergrund hielten.

    »Seid Ihr die Frau, die nach den Schatten gerufen hat?«, fragte er. Seine Stimme drang mit einem dunklen Rumpeln aus seinem Brustkorb.

    »Die bin ich«, bestätigte Elanor knapp.

    Die Schattenklinge trat ins fahle Mondlicht. Elanor erkannte einen langen Bart, höchstwahrscheinlich blond, der seltsam unregelmäßig gewachsen war. »Wie schön, Euch zu treffen«, sagte er unerwartet fröhlich. »Mein Name ist Grem. Mit wem habe ich das Vergnügen? Wer sind Eure Begleiter?«

    Elanor war sprachlos. Auf einen ernsten Assassinen, der sie finster anstarrte, war sie vorbereitet gewesen. Nicht auf einen heiteren Gesellen, der mit ihr sprach, als wäre sie eine alte Freundin.

    Der Zwerg lachte röhrend. »Verzeiht, habe ich Euch so sehr verschreckt, dass Ihr Euren Namen vergessen habt?«

    »El…eniel«, antwortete die Waldelfin. Obwohl es viele Elfen namens Elanor gab, hielt sie es für besser, ihren Namen nicht zu nennen. Wahrscheinlich war Grem auch nicht sein richtiger Name. »Ein Freund und seine Sklavin begleiten mich.«

    »Grüße!« Der Zwerg verneigte sich in Richtung Arik. »Darf ich fragen, warum genau Ihr eine Sklavin mitnehmt?«

    »Zu unserer Sicherheit«, entgegnete Arik. »Sie ist darauf trainiert, ihr Leben für unseres zu geben.«

    Ivorien nickte mit grimmiger Entschlossenheit.

    »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, fügte der Magier hinzu.

    Elanor hielt dem prüfenden Blick des Zwergs stand, den sie zwar nicht sehen, aber deutlich fühlen konnte. Sein Gesicht lag bis zum Unterkiefer im Schatten seiner Kapuze.

    »Das ist nicht nötig. Umbra ist professionell, wir sind gut zu unseren Auftraggebern, wenn sie gut zu uns sind. Alles andere wäre schlecht fürs Geschäft«, erwiderte die Schattenklinge. »Wenn Ihr Euch so besser fühlt, soll es mir recht sein. Kommen wir zum Geschäftlichen.«

    Elanor entspannte sich zunehmend. Dieser Assassine war bei Weitem nicht so bedrohlich und unheimlich, wie sie erwartet hatte. Sie fühlte

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