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Girga - Waldsterben
Girga - Waldsterben
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eBook452 Seiten6 Stunden

Girga - Waldsterben

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Über dieses E-Book

Tief im Herzen der fantastischen Welt Girga liegt die Heimatinsel der Elfen, wo die mythischen, naturverbundenen Wesen isoliert vom Rest der Welt leben. Keiner unter ihnen ahnt, dass jenseits des Meeres der grausame Halbgott Kastro einen finsteren Plan schmiedet, der das Schicksal der Elfen und aller anderen Sterblichen verändern soll - keiner außer Loz, einem greisen Propheten.
Doch die engstirnigen Elfen haben den Propheten ihre mythischen Kräfte längst abgesprochen. Loz versucht verzweifelt, die Elfen vor der drohenden Katastrophe zu warnen, doch der Regierungsrat der Elfen ist viel zu tief in seine eigenen Intrigen und Machtkämpfe versponnen, um ihm auch nur Aufmerksamkeit zu schenken. Als Loz' einziger wahrer Fürsprecher noch durch einen Staatsstreich entmachtet wird, scheinen die Elfen endgültig auf ihren Untergang zuzusteuern.
Doch Kastros brutale Ork-Streitkraft macht keinen Halt. Nur ein einziger Elfenkrieger überlebt den ersten Angriff schwer traumatisiert. Als der Regierungsrat endlich handelt, scheint die Katastrophe kaum noch abwendbar.
Die Elfen müssen ihre alten Ideale vergessen und mit allen Mitteln gegen den Feind kämpfen. Das friedliebende Volk sieht sich erstmals in seiner Geschichte mit Kämpfen und Schlachten konfrontiert.
Können sich die Elfen noch retten? Oder wird Kastro seinen Plan verwirklichen und die Welt an den Abgrund stoßen?
Ein weiser Prophet, der verzweifelt versucht, seine Heimat, sein Volk und seine Familie zu retten.
Ein grausamer Halbgott, der keine Skrupel kennt und danach trachtet, die Macht eines Weltenzerstörers zu entfesseln.
Ein rückgratloses Regierungsmitglied, das manipuliert und selbst aus der Apokalypse seinen Vorteil ziehen will.
Ein außergewöhnlicher Krieger, der kämpft, liebt und sich von seinen Gefühlen leiten lässt.
Mit ihnen beginnt hier eine Geschichte, die eine ganze Welt verändern und erschüttern wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Feb. 2015
ISBN9783737531047
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    Buchvorschau

    Girga - Waldsterben - Thomas Ladits

    Girga – Waldsterben

    Thomas Ladits

    Copyright: © 2014 Thomas Ladits

    ISBN 978-3-7375-3104-7

    Lektorat & Layout: Sandra Schmidt; www.text-theke.com

    Umschlaggestaltung: Thomas Bambas

    Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Alle Rechte sind dem Autor vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet.

    Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, liegen alleine beim Autor. Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadenersatz.

    Inhaltsverzeichnis

    Dramatis Personae

    Prolog

    Der göttliche Tyrann

    Der Prophet von Palor

    Ein Schiff der Unsterblichen

    Propheten und Politik

    Die Stacheln Girgas

    Die Ausweglose Wüste

    Der hohe Regierungsrat der Elfen

    Alte Geschichten

    Faltous

    Korruption in der Politik

    Vorboten des Unheils

    Ein altes Volk

    Unterstützung aus der Vergangenheit

    Die graue Flut

    Drachen, Bäume und Tod

    Die Schwäche eines Propheten

    Ein Heer der grauen Monster

    Der letzte Krieger

    Der neue Rat der Elfen

    Raue See

    Meister Grovanik

    Der Kerker von Treelive

    Gäste auf der Elfeninsel

    Kenntnis für den Ratsvorsitzenden

    Legendenschreiber

    Von den Fesseln befreit

    Eine neue Verbündete

    Machutocs Vermächtnis

    Rivalitäten

    Kampfesgeläut

    Waldsterben

    Bodenlose Narben

    Stirb, Untod!

    Die letzte Zuflucht

    Das Verhängnis

    Der Hoffnungsträger

    Das Feuer der Rache

    Die Letzten

    Der Sturmbezwinger

    Der Rest des Waldbrandes

    Epilog

    Danksagung

    Dramatis Personae

    Chandéc: Elf, Mitglied der Leaveblades

    Droom: Ork, Offizier

    Elyaa: Elfe, Mitglied der Leaveblades

    Goltan: Elf, Seemann, enger Freund des Loz

    Grovanik: Untoter, Meister des Untodes

    Kastro: Halbgott, Anführer der Orks

    Kramus: Ork, Häuptling

    Loz: Elf, Prophet, Bruder der Luja

    Luckbert: Zwerg, Gefangener

    Luja: Elfe, Adelige, Frau des Mathros

    Lunc: Elf, Ratsmitglied

    Machutoc: Elf, umstrittenes Ratsmitglied

    Mathros: Elf, Ratsvorsitzender, Mann der Luja

    Medoché: Elfe, Ratsmitglied

    Raychàlo: Elf, Großwesir

    Sarija: Elfe, Ratsmitglied

    Ulahra: Elfe, Kriegerin

    Urntêch: Elf, Ratsmitglied

    Yeria: Vampirelfe, Dienerin des Machutoc

    Zamjja: Elfe, Ratsmitglied

    Zjustor: Elf, Hauptmann

    Prolog

    Die Bäume in den elfischen Städten ragten hoch in den Himmel und boten Wohnräume für mehrere Dutzend Elfen. Ihre Kronen waren von den Wolken verschleiert, die das fahle Licht des Mondes von der grasbewachsenen, grünen Erde fernhielten. Das alte Holz der Bäume knarrte leise und beruhigend, der Wind rauschte sanft durch die Blätter, die Luft war angenehm warm und es war das Geräusch eines sprudelnden Baches zu hören. Glühwürmchen schwebten lautlos durch die Luft, Nachtfalter flatterten nervös zu den hellen Laternen. Das Heulen eines Waldkauzes durchdrang die nächtliche Stille im Wald von Palor, wo die Luft von den betörenden Aromen verschiedener Pflanzen der künstlich angelegten Gärten durchzogen war. Die Erde und das Gras waren weich und gaben unter jedem Gewicht leicht nach.

    In der Ferne waren die Bäume der nächsten Elfenwälder zu sehen und Treelive, die größte Stadt auf der Elfeninsel, der idyllischen Heimat der schönen Elfen. Treelive war Sitz des Regierungsrates und Hauptstadt der Magier und Priester. Auf Weisung eines alten Propheten war sie in den Wald gebaut worden, in dem sie heute stand. Damals hatte man noch auf die Ratschläge der Propheten gehört, doch jetzt war es nicht mehr so.

    Die Bäume von Treelive brannten lichterloh. Hier stand man im idyllischen Palor und sah zu, wie in weiter Ferne die Hauptstadt brannte, die Bäume umstürzten, die Elfen starben. Wie das Unheil über die Elfen hereingerollt kam, unaufhaltsam und übermächtig. Rauchschwaden stiegen in der Ferne bis in die Wolken auf und verschleierten den Blick auf die Kopfbirke immer mehr, den großen Birkenbaum, in dem der Regierungsrat saß.

    Tränen rollten bei diesem Anblick über Loz’ Wangen. Er hatte sie warnen wollen, doch er hatte versagt. Er fühlte sich schuldig für das Leid und den Tod, der sich in Treelive ereignete und unmittelbar auf die Elfen in Palor zukam. Er hätte sie alle retten können, doch er hatte sich nicht genug angestrengt. Es war seine Schuld.

    Luja stand wenige Meter vor ihm und streckte ihre Hand nach ihm aus. Sie rief seinen Namen, doch es war, als spreche sie eine andere Sprache. Loz konnte sie nicht hören, obwohl er sie genau sah. Er sah, wie ihre Lippen seinen Namen formten, doch Loz war unfähig, sich zu bewegen. Er konnte Luja nicht helfen und blieb einfach stehen, weiter auf die brennenden Bäume Treelives blickend.

    Der Himmel verfinsterte sich, die grauen Wolken wurden dunkler und schließlich schwarz, das Feuer von Treelive rannte in einer gewaltigen Walze über den Wald und die Grasflächen hinweg auf Palor, Loz und Luja zu. Die Elfe wurde von den Flammen erfasst und verschluckt, die Walze brach auch wie eine gewaltige Welle über Loz herein und hüllte ihn in Flammen ein, doch er konnte die Hitze nicht spüren. Vor seinem Auge schwebte ein Falke in der Luft, der sich, genauso plötzlich, wie er erschienen war, wieder in Rauch auflöste und dem Anblick einer großen, rothäutigen Kreatur mit einem langen Hals und einem breiten Körper Platz machte. Die Kreatur stand im Zentrum der Feuerwalze und lachte. Sie lachte Loz aus, sie lachte die Elfen aus, sie lachte überhaupt alle aus. Loz hatte diese oder eine ähnliche Gestalt noch nie gesehen …

    Schweißgebadet fuhr Loz auf, sein Rücken bestrafte ihn sogleich für diese schnelle Regung. Unfähig, sich zu bewegen, starrte er auf die Holzwand dem Bett gegenüber. Nun hatte er diesen Traum schon zum vierten Mal gehabt. Er raubte ihm den Schlaf, er kehrte immer wieder. Es gab Abweichungen hie und da, mal brannte die Kopfbirke nicht, mal schon, mal war Goltan da, mal Luja, manchmal auch niemand …

    Etwas unsagbar Großes, Gefährliches näherte sich. Loz spürte es genau.

    Der göttliche Tyrann

    Kastro grunzte verächtlich, als ihm sein Opfer gereicht wurde. Auf dem Fell eines großen Büffels legte man ihm Fleisch, Gold, Schmuck und anderes mehr vor die Füße. Die Orks verneigten sich tief vor ihm und wagten es nicht, ihn anzusehen. Die dummen, grauhäutigen Kreaturen mit den schmalen, schwarzen Augen fühlten sich anscheinend geehrt, und für sie war diese ganze Prozedur höchst aufregend und bedeutsam.

    Kastro hingegen fand sie enttäuschend und todlangweilig. „Fällt euch denn nichts Neues ein?, fuhr er den Ork an seiner Seite an, Kramus, den Orkhäuptling. Der Ork fuhr unter Kastros mächtiger, lauter Stimme zusammen. „Mein Herr … wir haben Euch jedes Jahr solche Opfer gebracht und Ihr wart nie … verärgert darüber. Stimmt dieses Jahr etwas nicht? Kramus war groß und von kräftiger Statur, doch er stotterte wie ein unbeholfener Junge. Kastro erhob sich von seinem großen Stuhl und betrachtete den Stapel Opfer vor ihm skeptisch. Ein kunstvoll geschmiedetes Amulett darin erregte seine Aufmerksamkeit. „Was ist das?, fragte er laut. Er zog das Amulett heraus und stellte fest, dass die Kette daran zerrissen war, was ihn nicht interessierte. Das kleine, bronzene Ding konnte er mit einem seiner klauenbesetzten, roten Finger zerdrücken. Doch stattdessen sah er sich die Gravur darauf genau an. Für ein Volk wie die Orks war es harte Arbeit, eine solche Gravur in ein Amulett zu schmieden. Es zeigte einen fünfzackigen Stern, der an der oberen Zacke brannte und zwischen den beiden unteren einen Eiskristall sitzen hatte. Das Zeichen der Wächter, der Abadakaner. „Wer wagt es …!, brüllte Kastro in die Menge der versammelten Orks hinein. Das leise Geflüster, das bisher unter den grauhäutigen Kreaturen geherrscht hatte, verschwand vollkommen. „Wer hat mir das geopfert!?", wollte Kastro wissen. Keiner rührte sich, was verständlich war. Niemand wäre dumm genug, sich freiwillig zu melden. Aber für ein Wesen wie Kastro stellte das kein Problem dar. Er fand den Schuldigen ganz leicht – dank seiner überirdischen, halbgöttlichen Kräfte.

    „Du, sagte er und zeigte auf einen Ork, der in der ersten Reihe stand und schluckte, als die Kralle von Kastros rotem Zeigefinger in seine Richtung deutete. „Du schenkst mir ein Symbol Abadakons? Bist du noch bei Sinnen!? Der Ork wagte nicht zu antworten. Kastro machte ein paar schwere Schritte auf ihn zu und blieb dann vor dem Ork stehen. Kastro überragte ihn um mehr als einen Meter. Der große Halbgott bemerkte, dass Kramus ihm gefolgt war, ignorierte den Orkhäuptling allerdings. Kastro blickte aus seinen schwarzen Augen auf den Ork, der vor ihm noch kleiner zu werden schien. Er legte ihm seine Hand auf den Kopf. Der dichte, braune Haarwuchs des Orks fühlte sich rau und ungepflegt an. Kastro übte permanent stärker werdenden Druck auf den Schädel des Orks aus. „Du solltest wissen, was ich verboten habe. Jegliche Huldigung von Abadakon! Schon beim zweiten Wort floss Blut aus den Wunden am Kopf des Orks, und beim letzten ließ Kastro den Ork los und er fiel auf den Boden. Sein Schädel war zerdrückt. Kastro wandte sich an Kramus: „Schafft diesen Frevler fort. Dann wandte er sich an einen weiteren Ork in den Reihen: „Und du, hol mir einen Eimer Wasser. Aber einen großen. Und beeil dich gefälligst." Der Ork rannte sofort los. Es war wohl eine Erleichterung für ihn, dieses Gelände zu verlassen.

    Kastro setzte sich wieder zurück auf seinen Steinstuhl und sprach zu der Menge: „Nun, ich würde sagen, eure Opfer sind … ausreichend. Ihr habt euren Gott einigermaßen zufriedengestellt. Für das kommende Jahr könnt ihr beruhigt schlafen, aber wagt es nicht, mir so etwas noch einmal vorzuwerfen. Geht jetzt!", fügte er mit lauterer Stimme hinzu. Binnen Minuten war keiner der tausend Orks übrig, die sich auf dem Platz versammelt hatten. Nur der eine kam zurück, um Kastro Wasser zu bringen. Der Halbgott wusch sich das Blut des Frevlers von der Hand, dann befahl er auch dem letzten Ork, zu gehen.

    Er wedelte mit der Hand in der Luft, um sie zu trocknen, und sah sich die zahlreichen Opfer an, die von den Orks für ihn dargereicht worden waren. Für die Orks war all dies von unschätzbarem Wert, Kastro hingegen interessierte es nicht. Es waren Dinge, die irdische Bedürfnisse stillen konnten. Nahrung, Schmuck, Reichtümer … All das brauchte Kastro nicht. Er hatte gerade wieder auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass er sein Land mühelos regieren konnte – mit Angst und Schrecken.

    Die Belange der Orks waren für ihn bedeutungslos, ebenso wie die Orks an sich. Kastro kümmerte sich wenig um den Kult, der sich um seine Person gebildet hatte, und war sich seiner Überlegenheit sicher. Dennoch verstand er es, die grenzenlose Ergebenheit des Volkes zu nutzen, indem er seine Macht demonstrierte und sie einschüchterte. Auch wenn es nichts gab, was Kastro nicht tun konnte, war es sicher von Nutzen, eine Schar loyaler Helfer zu haben.

    Kastro war kein Ork. Kastro war ein mächtiger Halbgott, der Sohn des Licht- und Friedensgottes Abadakon und der Schöpfungs- und Naturgöttin Rodalla. Kastro hatte immer an das Prinzip des Stürzens geglaubt: Der Sohn stürzt eines Tages den Vater. Oder der Vater vermacht dem Sohn alles. Doch Kastro war nicht der älteste Sohn des Abadakon. Er hatte einen älteren Bruder, Zirto, den Gott der Elemente und der Natur, Schutzgott der Elfen. Kastro war der Schutzgott der Orks. Aber da Zirto der ältere Sohn war, stand ihm das Haupterbe Abadakons zu und nicht Kastro. Kastros Gier allerdings war so stark gewesen, dass er Zirto in einen Hinterhalt gelockt und ermordet hatte. Um die Schmach zu vervollständigen, hatte Kastro in Zirtos Blut gebadet und es getrunken. Abadakon hatte sofort eine Maßnahme ergriffen und Kastro aus der Welt der Götter in die Welt der Sterblichen verbannt. Er hatte Kastro seine göttliche Gestalt genommen. Der einst junge, dunkelhaarige Mann mit schulterlangen Haaren, nackten, muskulösen Oberarmen und einer prunkvollen Tunika war nun ein Ungetüm. Er hatte einen plumpen, rotgeschuppten Körper, zwei kräftige, ebenso schuppige Arme, krallenbesetzte, lange Finger, einen langen Hals mit einem großen Kopf darauf, auf dessen Hinterseite zwei kleine Hörner saßen. Sein Gesicht war frei von Schuppen und wies die Gesichtszüge eines Menschen auf, sein Kopf war kahl, er trug keinen Bart. Seine Beine waren plump und seine drei Zehen mit langen Krallen besetzt, die vierte Zehe stand wie bei einem Vogel nach hinten – ebenfalls mit einer langen Kralle als Waffe ausgerüstet. An seinem Rücken liefen scharfe, verschieden hohe Stacheln vom Genick bis zum Ende des Schwanzes entlang, zwischen den Schulterblättern saß der höchste Stachel, der ein Meter zwanzig lang war.

    Sein irdischer Körper war dem eines jeden Orks natürlich weit überlegen: Kastro hatte das getrocknete Blut seines Bruders überall auf der Haut. Diese war so hart geworden, dass die Waffe eines Sterblichen sie unmöglich durchdringen konnte. Außerdem hatte er das Blut des Zirto getrunken. Es verlieh ihm die Möglichkeit, körperliche Anstrengungen, bei denen der kräftigste Sterbliche zusammenbrach, ohne Weiteres zu bewältigen. Kastro brauchte keine Nahrung. Das Blut eines Gottes versorgte ihn mit allem, was er brauchte. Wenn er aß, dann nutzte er die Nahrung als Genussmittel, nicht so wie die Orks als Lebensgrundlage.

    Kastro bemitleidete die armen Sterblichen ein wenig, die essen und trinken mussten und nur so wenig mit sich und ihrem Leben anstellen konnten. Diese niederen Kreaturen hatten einfach keine Macht. Kastro hingegen hatte Macht. Die Orks verehrten ihn, als er der Schutzgott gewesen war. Seit er der Halbgott war, fürchteten sie ihn. Er hatte sich nach der Verbannung aus der Welt der Götter zu den Orks zurückgezogen, weil er dort am ehesten empfangen wurde – nicht dass Kastro sich um so etwas gekümmert hatte, doch er genoss es, wenn die Sterblichen glaubten, ihm etwas schuldig zu sein. Tatsächlich aber konnte sich Kastro nicht an nur eine Minute erinnern, in der er sich um die Orks gesorgt hatte, in der er nur an die Orks gedacht hatte. Sie dienten nur dem Zweck, nerven- und zeitaufwendige Arbeiten für ihn zu erledigen. Sie fürchteten ihn und taten immer, was er wollte. Kastro hätte die Orks einfach töten können, doch darin sah er keinen Sinn. So sehr er diese bemitleidenswerten, primitiven Kreaturen auch verachtete, sie einfach abzuschlachten, kostete Zeit und war außerdem sinnlos.

    Kastro betrachtete das Amulett in seiner großen Hand skeptisch. Dieser Stern erinnerte ihn an Abadakon und an all den Zorn, den er gegen seinen Vater hegte. An dem Tag, an dem er verbannt worden war, hatte Kastro gelernt, seinen Vater zu hassen. Kastro benutzte einen Zauber, der für die Orks unglaublich, für ihn ein Spaziergang war, und ließ die Gravur des Sternes abschwärzen. Das Bronzefarbene verfärbte sich dunkel und wurde schwarz, begann zu dampfen und schließlich war der Stern aus dem Amulett verschwunden. Der Rauch daraus stieg Kastro in die Nase und kratzte im Hals. Er hustete kurz, dann warf er das Amulett zu Boden und stand auf. Er trat darauf und zermalmte es unter seinem enormen Gewicht zu Abertausenden kleinen Krümeln, bevor er das Gelände verließ.

    Die Stadt, in der er sich befand, war die größte Orkstadt überhaupt. Erst unter Kastros Leitung hatten diese Kreaturen überhaupt begonnen, befestige Städte mit Mauern und Türmen zu bauen. Sie hatten vor seinem Auftauchen nur eine kleine Siedlung gehabt, die nicht einmal eingezäunt war und aus Lehmhäusern bestand. Kastro hatte sie eine neue Stadt an einer Flussbiegung gründen lassen und nannte diese schlicht Kastros Machtsitz. Um den Orks das Gefühl zu geben, ein bisschen wichtiger zu sein, nannte er sie manchmal auch Kastros Orkmachtsitz. Dass sie nur Mittel zum Zweck waren, wussten die Kreaturen ja nicht. Und selbst wenn sie es gewusst hätten, hätte das nichts an der Situation geändert. Kastro hatte über die Jahrhunderte seines unsterblichen Lebens hinweg die Generationen der Orks zurechterzogen. Er hatte Furcht in ihre Gehirne gefüllt, er hatte sie gelehrt, ihn zu fürchten und zu verehren.

    Die kleine Siedlung, die von den Orks gegründet worden war, wurde dann bald zu einer weiteren Stadt ausgebaut, in der Kramus und seine Vor- und Nachfahren ihren Hauptsitz hatten. Kastro nannte sie die Stadt des Orkhäuptlings. Vor seinem Auftauchen hatten die Orks ihr irgendeinen Namen gegeben, den Kastro es aber nicht für wert erachtete, ihn sich zu merken. Orks, die irgendwelche Probleme mit Nachbarn hatten, oder denen etwas gestohlen worden war, gingen zum Orkhäuptling und trugen ihre Bitte dort und nicht bei Kastro vor. Denn wer Kastro mit solch unwichtigen Dingen auf die Nerven ging, verließ den Saal nicht mehr lebend – oder zumindest nicht unverletzt. Obwohl der Orkhäuptling ein offenes Ohr für das Volk hatte, lebte ein Großteil der Orks in Kastros Machtsitz, wo sie sich wegen der Anwesenheit des Halbgottes einfach sicherer fühlten.

    Außer der Stadt des Orkhäuptlings und dem Machtsitz gab es noch Sumpforkheim. Diese seichten Gewässer voller Schlamm und Alligatoren warfen für Kastro persönlich nur wenig ab, für die Orks hingegen zahlte es sich aus, dort eine Stadt zu haben. Sumpforkheim lag zwischen den Sümpfen der Verlorenheit und dem Meer, und nirgendwo gab es so viele und große Fische in Küstennähe als in Sumpforkheim. Außerdem, hatte Kastro festgestellt, waren die Orks in Sumpforkheim wesentlich härter gesotten als die hier. Während sich Bewohner des Machtsitzes oder der Stadt des Orkhäuptlings nur mindestens zu zehnt bis nach Sumpforkheim wagten, reisten die Sumpforkheimer alleine zwischen den Städten hin und her. Die Strecke zwischen dem Machtsitz und Sumpforkheim war für Kastro innerhalb weniger Stunden zu bewältigen, während Orks Tage brauchten. Es war hauptsächlich weites Gelände, und außerdem führte der Weg am Friedhof vorbei. Und Friedhöfe waren ein gefährlicher Ort geworden. Unerklärlicherweise standen dort Nacht für Nacht die Toten auf und schienen alle wie ferngesteuert durch die Landschaft zu ziehen, auf der Suche nach Leben, das sie auslöschen konnten, um ihre Zahl zu vergrößern. Oft waren es nur noch fleischlose Knochengerüste, die einem in weiter Pampa entgegengetrottet kamen. Vor allem in der Ausweglosen Wüste, die nördlich vom Machtsitz lag, gab es diese Klappergeister zuhauf. Welche Macht hier am Werk war, war sogar Kastro ein Rätsel. Irgendwelche Priester der Orks hatten die Schuld auf eine neue Gottheit geschoben. Kastro wusste als ehemaliger Gott aber, dass diese Gottheit frei von den Priestern erfunden worden war, um das Volk irgendwie zu beruhigen. Die meisten Untoten fielen sowieso auseinander, wenn man ihnen mit einem Holzpflock eins überzog, hatte Kastro festgestellt, und sie kamen auch nur bei Nacht raus. Tageslicht schien nicht tödlich, aber unangenehm für sie zu sein.

    Dank der Untoten konnte Kastro wenigstens testen, ob die Orks in der Lage waren, zu kämpfen. Er hatte Kramus die Vollmacht über den Krieg gegen die Untoten erteilt, um sich selbst nicht damit aufhalten zu müssen und sich seinen Rachepläne gegen Abadakon widmen zu können, denn diese waren sein ureigenstes Ziel, seit er zum Halbgott degradiert worden war.

    Der Prophet von Palor

    Für einen Nicht-Elfen waren die Elfenstädte eine Augenweide. Bunt blühende Bäume waren die Häuser der Elfen, ihre Wohnräume waren in den Baum hineingehöhlt. Doch die Räume waren nicht mit Werkzeugen herausgeschlagen worden, sondern mit magischer Hilfe wuchsen die Bäume so, dass sie den Elfen Platz boten, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Leitern und Wendeltreppen an den Bäumen führten zu den höheren Ebenen auf den dicken Ästen. Jeder Baum war wie ein mehrstöckiges Hochhaus, und jede Ebene war mit der Nachbarebene auf gleicher Höhe mit einer Hängebrücke verbunden. Die Bäume auf der Elfeninsel waren das ganze Jahr über grün, Schnee fiel hier kaum. Der weiche, grüne Waldboden war von dünnen Linien kleiner Bäche durchzogen, dessen reines Wasser beruhigend plätscherte. Waldtiere in einer Elfenstadt waren keine Seltenheit. Rehe, Hirsche, Hasen, Bären, alle möglichen Vogel- und Insektenarten tummelten sich zahlreich bei den Elfen.

    Zu Ehren der Göttin Tasfa, die Göttin der Natur, hatten die Elfen eine große Kirche in der Mitte der Stadt Palor errichtet, zu der unerklärlicherweise jeden Morgen zahllose Tiere kamen und ganz ohne Scheu aus dem Wasserbecken tranken, das man davor für sie aufgestellt hatte. Tasfa schien das sehr zu erfreuen, denn sie hatte in den letzten Jahrhunderten keine Dürren, Kälteeinbrüche oder sonstige Naturkatastrophen über die Elfen verhängt.

    Palor war eine Stadt, die auf einem künstlich angelegten Wald erbaut war. Die Bäume kamen aus Treelive, man hatte die Samen der dortigen Bäume genommen und sie an der nördlichen Küste der Elfeninsel eingepflanzt. Dort war im Laufe der Jahrzehnte der junge, gesunde Wald Palors gewachsen. Zum Dank an Tasfa für die kräftigen Bäume errichtete man dann die Kirche in der Stadtmitte.

    Die Messräume der Elfischen Kirchen waren für jedermann zugänglich. Die Kirche war kein Gebäude aus Stein, sie hatte einen ganzen Baum für sich allein. Im Messraum am Fuß des Baumes konnten Elfen beten und dort wurden auch die Messen abgehalten, während die oberen Räume die Gemächer der Priester waren und dem normalen Elf verborgen blieben. Noch weiter darüber, schon fast in der Baumkrone, lag das heilige Portal nach Wedasa, die Welt der Götter. Hier konnten Priester und – als es sie noch gab – auch Propheten mit den Göttern in Kontakt treten und um Rat und Weissagung bitten.

    Je näher die Stadt der Küste kam, desto kleiner wurden die Bäume. Das Hafengebäude von Palor war das einzige, das aus Stein gebaut war. Der Hafen selbst, wo Schiffe gebaut und Fischfänge gelagert wurden, stand auf einer kleinen Erhöhung, von der aus eine Steintreppe zu den Stegen hinabführte. Dort standen die Schiffe und Boote. Es handelte sich ausschließlich um Fischerboote oder Schiffe, die einem Elfen privat gehörten. Kriegsschiffe traf man hier keine an. Man sah im Reich der Elfen prinzipiell keine Kriegsmaschinen oder Soldaten. Die Elfen wussten zwar von Zwergen, Menschen und Orks, aber sie gingen davon aus, dass die anderen Völker ihnen nichts tun würden, so lange es auch umgekehrt der Fall war. Die Elfen lebten nun schon seit Jahrhunderten abgeschieden auf der Elfeninsel und nie war etwas geschehen.

    Eines der schöneren, wenn auch nicht größeren Schiffe im Hafen trug den Namen Sturmbezwinger und gehörte dem Elfen Goltan. Wenn Goltan nicht mit seinem Schiff durch das Meer fuhr, schlief er oder saß in der kleinen Hafenkneipe. Gerade hörte er sich die Sorgen seines engen Freundes an. Nachdem dieser fertig war, lehnte sich Goltan auf der dunklen Holzbank zurück und sagte: „Du hast wieder geträumt, Loz. Loz, der bejahrte Elf ihm gegenüber, nickte. „Ich weiß. Aber ich träume Nacht für Nacht denselben Traum. Das kann doch kein Zufall sein. Goltan schüttelte den Kopf. „Bitte fang nicht damit an. Du glaubst doch nicht ernsthaft, die Götter hätten dir eine Nachricht geschickt." Goltan war ein großer Elf mit überdurchschnittlich langen, spitzen Ohren. Seine dunklen Haare waren für einen Elfen erstaunlich kurz, sein Gesicht bartfrei. Bei den Elfen war Bartwuchs eine Seltenheit. Goltan hatte starke, kräftige Oberarme und trug ein weißes, von der salzigen Seeluft befeuchtetes Hemd. Seine dunkle Hose schien genauso beschlagen zu sein. Die Füße steckten in hellbraunen Sandalen.

    Sein Freund Loz war schon mehr als doppelt so alt wie Goltan. Loz’ grau-blaue Haare waren länger als Goltans und nach hinten gebunden, wo sie unter der blauen Kapuze verschwanden. Loz’ Ohren waren nicht so lang wie die seines Freundes, sein Gesicht hatte etwas Falkenartiges und war von mehreren Falten durchzogen. Loz trug einen blauen Kapuzenmantel, der ihm bis zu den Fußknöcheln reichte und um den Bauch und an den Knien einen weißen Streifen hatte. Auf der Rückseite der Kapuze war das schöne Bildnis eines silbernen Falken eingestickt. Loz hatte seinen Gehstock an die Bank gelehnt. An dem Stock hingen einige frische, saftige Blätter herab, und wenn sie im Winter abfielen, wuchsen sie im Frühjahr wieder nach. Der Stock lebte.

    Loz sah bedrückt auf die Tischfläche vor sich. „Du glaubst mir nicht, stellte er traurig fest. Goltan beugte sich wieder nach vorne und sagte leise zu Loz: „Die Zeit der Propheten ist schon lange vorbei, Loz. Die meisten haben sich als Lügner entpuppt, die sich bezahlen ließen, um falsche Prophezeiungen zu geben.

    „Hältst du mich für einen korrupten Lügner, Goltan?, fragte Loz ohne Anschuldigung in der Stimme. Goltan schüttelte sofort den Kopf. „Nein, du bist kein Lügner. Aber du bist ein Träumer, Loz. Ich habe auch oft genug Träume, vor denen ich mich fürchte. Aber bisher ist noch keiner in Erfüllung gegangen. Goltan trank einen kleinen Schluck aus seinem Glas. „Tut mir leid, Loz, aber ich glaube, du verrennst dich da in etwas. Loz bewegte sich nicht. „Ich war mir noch nie so sicher wie jetzt, sagte er nach einer Weile des Schweigens. Dann sah er Goltan an. „Wenn du mir schon nicht glaubst, wer wird es dann tun? Goltan zuckte mit den Schultern. „Sie werden dir alle dieselbe Antwort geben. Warum sollten die Götter das Unheil über uns bringen? Was haben wir uns zuschulden kommen lassen? Loz blies verächtlich die Luft aus. „Was habe ich mir zuschulden kommen lassen, dass mir die Götter falsche Visionen schicken? Ich glaube nicht, dass die Götter irgendetwas damit zu tun haben, was ich gesehen habe."

    „Glaubst du nicht an die Götter?, fragte Goltan. Loz ließ sich mit der Antwort Zeit. „Es gibt Momente, da glaube ich nicht an sie. Mit einem Mal verstummten alle in der Kneipe. Langsam drehten sich alle zu Loz und blickten ihn an. Ein Mann aus einer weiter hinten gelegenen Ecke des Gasthauses sprang auf. Loz erkannte ihn an seiner Kleidung. Er war ein Priester. Er trug weite, purpurne Gewänder und hatte einen goldenen Stirnreif, der das blau-grüne Haar an die Stirn drückte. Die langen Elfenohren zeigten zu beiden Seiten des Gesichtes nach oben. Der Mann machte ein paar große, schnelle Schritte auf Loz zu, während er sagte: „Prophet! Lügner! Es ist nur die Gnade der Götter, die dich vor Krankheiten schont! Du solltest schweigen und dich schämen für die Lügen, die du und die Deinen verbreitet haben! Verschwinde und bete, damit die Götter dir gnädig bleiben, was ich ohnehin nicht verstehen kann!"

    Loz blieb ruhig, während Goltan den Priester verwundert anglotzte. „Ein Priester, der die Götter nicht versteht, sagte Loz, „Wunderbar. Der Priester fand einige Fürsprecher unter den Gästen im Lokal, die auch aufstanden und sich ihm anschlossen. Der Priester ging zu Loz’ und Goltans Tisch und schlug mit den Fäusten so hart darauf, dass das Wasser in Goltans Glas Wellen schlug. „Seht ihn euch an! Nun spottet er noch über die Götter und uns, ihre Boten und Schützlinge. Er wandte sich direkt an Loz. „Du solltest deine Zunge hüten, Prophet. Der Zorn der Götter wird dich treffen, wenn du dich gegen sie aussprichst. Loz zeigte weiterhin keine Regung. „Dann sind die Götter Diktatoren, die jeden zerquetschen, der sich gegen sie auflehnt. Und so etwas betet ihr an. Der Priester lief vor Zorn rot an und Goltan fühlte sich verpflichtet, den Mann in der purpurfarbenen Robe zurückzuhalten. Loz stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und ließ das Sonnenlicht hereinfallen. Dann wandte er sich noch einmal an den Priester: „Ihr unterwerft euch jemandem, von dem ihr gar nicht wisst, ob es ihn gibt. Wenn die Götter mich bestrafen sollten, warum tun sie es dann nicht? Mit dem Stock als Geh- und Stützhilfe verließ Loz das Gasthaus und allmählich kehrte wieder Ruhe ein.

    Loz war nicht verwundert darüber, dass ihm niemand glaubte. Auch die Tatsache, dass Goltan skeptisch war, war alles andere als überraschend. Mehr hatte Loz jedoch die Reaktion des Priesters überrascht, als er sich über die Götter geäußert hatte. Dieser Mann war ein Paradebeispiel für die Engstirnigkeit, die unter Elfen erschreckend stark verankert war. Wie dem auch sei. Bei dem einfachen Volk, das in diesem Gasthaus war, hätte es ohnehin nicht viel gebracht, hätte man ihm geglaubt. Loz musste die Leute überzeugen, die Macht und Einfluss hatten.

    Die Elfen wurden von einem Rat mit sieben Mitgliedern regiert. Einer von ihnen war der Ratsvorsitzende, der mit triftiger Begründung andere Mitglieder aus dem Rat entlassen oder neue Mitglieder hereinholen konnte. Der Ratsvorsitzende kam schon seit Generationen aus Treelive und hatte die Funktion, Vorschläge anzuerkennen oder sie abzulehnen. Brachte ein Ratsmitglied einen Vorschlag, so musste er erst vom Ratsvorsitzenden als logisch und umsetzbar anerkannt werden, bevor er vom Rat diskutiert wurde. Solche Diskussionen zogen sich über Wochen und Monate. Es war schwierig, neue Gesetze oder Regelungen durchzubringen, denn den Rat für sich und einen Vorschlag zu gewinnen, war nicht leicht. Vor allem, wenn der Ratsvorsitzende selbst gegen diesen Vorschlag war. Wenn der Vorsitzende eine Sache gut fand, brauchte er mehr als ein Drittel im Rat, das ihm zustimmte – also mit sich selbst drei. Wenn diese drei zustande kamen, wurde die Sache umgesetzt. Brachte ein gewöhnliches Ratsmitglied einen Vorschlag, so brauchte er mehr als die Hälfte, also mindestens vier Mitglieder, sich eingeschlossen, um die Sache durchzubringen. Die Stimme des Vorsitzenden zählte auch hier nur einfach. Trotz dieses Systems gingen neue Beschlüsse im Rat im Schleichtempo voran. Loz hielt nicht viel von dieser Regierung. Seit fast einem halben Jahr wurde nun schon darüber debattiert, ob man das Ratsmitglied Machutoc nun aus dem Rat entlassen sollte oder nicht. Machutoc war gegenüber eines anderen Ratsmitglieds handgreiflich geworden und hatte ihm mit dem skandalösen Spruch „Elfenblut kann nur mit Elfenblut beglichen werden!" die Nase blutig geschlagen. Der Rat sprach sich fast einstimmig dafür aus, Machutoc loszuwerden. Manche Ratsmitglieder sprachen sogar über die Todesstrafe.

    Der Vorsitzende jedoch war ein Fürsprecher Machutocs, da dieser bisher immer sinnvoll und wohlüberlegt gehandelt und sogar auf Fragen geantwortet hatte, die der Vorsitzende selbst nicht einmal verstanden hatte. Während der Rat über diesen Rausschmiss debattierte, häuften sich die wichtigen Probleme, die das Volk angingen, geradezu. Schlechte Ernten, Schiffe, die unerklärlicherweise einfach in einen Strudel gerissen wurden – und natürlich Untote. Die Elfen waren ein friedliches Volk, trotzdem blieben sie von der Plage der Untoten nicht verschont. Die knochigen Gestalten standen Nacht für Nacht von Friedhöfen auf und zogen durch die Straßen, um Unheil anzurichten und sich zu vermehren – wobei dies durch das Töten weiterer Lebender geschah. Wenn ein Elf starb, verweste sein Fleisch nicht und er wurde auch nicht von Kleintieren zerfressen wie andere Lebensformen. Stattdessen verwandelte sich sein Körper im Lauf der Zeit in einen Baum. Doch wenn ein Elf durch die Hand eines Untoten starb, wurde er selbst zu einem solchen. Es war, als läge auf den wandelnden Toten ein Fluch, der sich wie eine Krankheit auf ihre Opfer überträgt. Wieder war es Ratsmitglied Machutoc gewesen, der Maßnahmen gegen die Untoten ergriffen hatte. Er ließ bewaffnete Wachen ausbilden und eine eigene Organisation gründen, die die Bewegungen der Untoten im Auge behalten sollte. So war es gelungen, die unheimlichen Geister im Süden der Insel zu isolieren.

    Die Elfeninsel war von einem west-ost-laufenden Gebirge in zwei Hälften geteilt, die südlichen Ebenen und die Nordwälder. Während sich südlich des Großen Zauns, wie das Gebirge im Volksmund genannt wurde, fast gar nichts befand, dienten die üppigen Nordwälder den Elfen als belebtes Siedlungsgebiet. Hier, in großen, weiten Wäldern, lebten die Elfen in mit saftigen Blättern bestückten, hohen Bäumen, während auf der fast steppengleichen südlichen Ebene außer ein paar Tieren nichts lebte. Seit Machutocs Maßnahme liefen dort die Untoten herum – und bevor sie die erste Elfenstadt erreicht hatten, mussten sie jede Nacht wieder umkehren, denn sie scheuten das Sonnenlicht und verbrachten den Tag am liebsten in ihren Gräbern. Magier und Forscher hatten sich mit den Untoten beschäftigt, aber niemand war hinter das Geheimnis ihrer Herkunft gekommen.

    Loz hatte allerdings einen unerklärlichen Zusammenhang gefunden. Es hieß, vor etwas weniger als eintausend Jahren sei die mentale Verbindung, die zwischen Elfen und Drachen schon seit Anbeginn der Zeit bestand, erschüttert worden. Die Drachen seien in Angst verfallen und fliegen jetzt über dem Meer, auf der Suche nach neuem Land. Ihre Heimat im hohen Norden soll angeblich von einem herabstürzenden Himmelkörper zerstört worden sein. Und zur gleichen Zeit waren die ersten Untoten aufgetaucht. Loz war bewusst, dass das auch ein dummer Zufall sein konnte. Es könnte auch alles nur Einbildung sein, denn die Theorie, dass zwischen Drachen und Elfen überhaupt eine Verbindung bestand, war nicht bewiesen. Womöglich hatte sich jemand vor sehr langer Zeit nur einen dummen Scherz erlaubt, als er diese Behauptung aufgestellt hatte.

    Fakt war, dass Machutoc das Problem mit den Untoten gelöst hatte, und dass man ihm dies hoch anrechnete. Hätte er das damals nicht getan, so wäre er schon längst aus dem Rat verbannt worden.

    Für Loz war das im Moment schlecht. Je länger der Rat noch über Machutocs Ausscheiden aus dem Rat verhandelte, desto länger könnte es dauern, bis ihm jemand im Rat Gehör schenkte. Er kannte ein Mitglied, sogar den Vorsitzenden, persönlich, aber der würde Loz hinten anstellen, so wie es die Ordnung verlangte – zuerst werden die alten Probleme behandelt, die neuen können warten. Doch Loz’ Problem konnte nicht warten. Er beschloss, sich noch vor Sonnenuntergang mit dem Vorsitzenden zu treffen.

    Der Vorsitzende hieß Mathros. Er stammte, wie seine Vorgänger auch, aus Treelive, doch lebte bei seiner Frau in Palor. Er hatte einst behauptet, wegen des schönen Meeres hierher gezogen zu sein. Während die Verhandlungen um Machutoc liefen, war er in Treelive in der Kopfbirke gewesen, wo der Regierungsrat seinen Sitz hatte. Doch eines der Ratsmitglieder war mitten in den Verhandlungen nach Faltous über das Meer gereist, um die dort heikle Lage zu überprüfen. Die Ratsfrau, Medoché, hatte das den Bewohnern von Faltous schon lange versprochen. Faltous war eine der Städte, die nicht auf der Elfeninsel lagen. Sie

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