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Die Toten von Rabenstein
Die Toten von Rabenstein
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eBook330 Seiten4 Stunden

Die Toten von Rabenstein

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Über dieses E-Book

Im Zentrum des Kontinents tobt der Aufstand gegen die geistige Versklavung. Unterdessen nähern sich bei der Jagd nach einem Mörder zwei verfeindete Eisgrafen einander an. Die Blicke der entflohenen Gründer des Geheimen Bundes von Dunculbur richten sich nach Rabenstein. Nach dem geheimnisvollen Tod eines Verteidigers, der als unüberwindbar galt, fliehen seine Mitstreiter. Während mit ihnen auch der unheilvolle Dunstein verschwindet, treffen die Artefakte der Macht in Rabenstein ein. Der Kampf scheint bereits zugunsten der Verteidiger entschieden, als sie feststellen müssen, dass der Dunstein zurückgekehrt ist und der Feind bereits längst in ihrer Mitte weilt.
SpracheDeutsch
HerausgeberMystic Verlag
Erscheinungsdatum1. Apr. 2020
ISBN9783947721191
Die Toten von Rabenstein

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    Buchvorschau

    Die Toten von Rabenstein - Eckhard Bausch

    Orientierungshilfe

    Prolog

    Aus der erhitzten Schale stieg in schleierartigen Schwaden gelber Dampf auf, der sich bis zur Decke emporkräuselte. Die faltigen Hände der Wahrsagerin tasteten über einen bizarr geformten Kristall, der den Hochkönig an eine Eisscholle erinnerte, wie er sie einmal im hohen Norden gesehen hatte.

    „Ich sehe, wie ein Vetter Seiner Himmlischen Majestät den Thron der Hochkönige besteigt und einen Mann aus einem fremden Land zum Statthalter von Doinat ernennt, krächzte die Alte mit den zerzausten Haaren. Ihr abwesender Blick verlor sich in dem gelben Dampf. „Ich sehe den rechtmäßigen Hochkönig nicht mehr!, rief sie anklagend. „Er ist verschwunden! Schande!"

    Nur noch dünne Rauchfähnchen stiegen aus der Schale auf. Dann erstarben auch sie. Der Blick der Seherin klärte sich.

    Der Hochkönig schien versteinert. Erst nach einer ganzen Weile bewegte er die Lippen, und sie formten nur ein Wort: „Schredostes."

    Eolyxi, die Wahrsagerin, nahm ihre Hände von dem Kristall weg. „Ich habe die Zukunft gesehen, bekräftigte sie. „Genau so wird sie eintreten. Niemand kann das ändern. Furchtlos blickte sie dem Hochkönig in die dunklen Augen. Diese hielten ihrem Blick nicht stand.

    Herundulurk, der sechste Nachfolger des Dynastiegründers Zitaxon, sah zur Decke empor, wo sich die letzten Überbleibsel des gelben Rauchs inzwischen verflüchtigt hatten. Er war ein großer Eroberer, aber er hatte Angst vor der Zukunft.

    „Ich werde dafür sorgen, dass diese Dinge nicht zu meinen Lebzeiten eintreten werden, verkündete er. „Ich werde den Statthalter von Doinat ergreifen lassen und in die Verbannung schicken. Seine Stellung wird aber kein Fremder, sondern mein jüngster Sohn einnehmen.

    Eolyxi durchschaute die Absichten des großen Eroberers. Er würde seinen Vetter Schredostes auf einer winzigen Insel mitten in einem tückischen Sumpf aussetzen lassen. Da das Moor zudem an der Grenze zum Land der feindlichen Ureinwohner lag, war das keine Verbannung, sondern ein Todesurteil. Wenn Schredostes nicht den Tücken des Sumpfes zum Opfer fiel, würden ihn die riesigen Flachschädel erschlagen.

    Die Seherin wollte nicht für den Tod eines Mannes die Verantwortung tragen, der als der Gütigste im ganzen Land galt und mit Sicherheit nicht die Absicht hatte, den Hochkönig zu stürzen. So beschloss Eolyxi, die Weiße Göttin aufzusuchen.

    *

    Dem Mann mit dem Federbusch auf dem Bronzehelm widerstrebte die Anordnung des Hochkönigs. Als Anführer der zehn Leibgardisten, die Schredostes nach Yacudac gebracht hatten, trug er jedoch die Verantwortung für die Ausführung des königlichen Befehls. Er stand am Rande des Moores und suchte nach einer Möglichkeit, die winzige Insel inmitten des Sumpfes zu erreichen. Die Entscheidung wurde ihm auf eine Weise abgenommen, mit der er nicht gerechnet hatte.

    Aus dem Unterholz trat eine zierliche Frau mit blütenweißer Haut und goldenen Locken hervor. Unerschütterlich schritt sie auf die Gruppe der muskulösen, schwer bewaffneten Krieger zu und verlangte, sie sollten ihr den Gefangenen übergeben. Einer der Gardisten stellte sich ihr entgegen. Da ergriff ihn die Frau mit einer schnellen Bewegung und schleuderte ihn in hohem Bogen durch die Luft, dass er weit entfernt auf dem ausgetrockneten Boden hinter den Sümpfen aufschlug. Die anderen Soldaten starrten gebannt zu der Stelle, wo nach dem Aufprall ihres Gefährten eine Staubwolke hochstieg. Die Weiße Frau nahm Schredostes bei der Hand und führte ihn weg. Den restlichen Kriegern fehlte der Mut, die Frau anzugreifen. Später erzählten sie ihrem Hochkönig Herundulurk, dass sie seinen Vetter auf der Insel im Maar von Yacudac abgesetzt hätten.

    Schredostes wurde von keinem Sindrier je wiedergesehen. Die Weiße Frau nahm ihn mit in ihr kleines Reich, eine weitläufige Höhle nahe dem See von Yacudac. Dort erfuhr er auch ihren Namen: Larradana.

    Larradana verliebte sich in den ruhigen, gütigen, groß gewachsenen Sindrier. Sie zeugte mit ihm im Laufe der Zeit mehrere Kinder, die die schwarzen Augen ihres Vaters hatten, aber in ihren Bewegungen über eine unglaubliche Schnelligkeit verfügten. Schredostes wurde älter, Larradana nicht. Fast auf den Tag vierzig Jahre nachdem sie ihn befreit hatte, starb er in ihren Armen. Sie bestattete seine Gebeine in einer kleinen Felsenkammer. Unendlich traurig verließ sie die Höhlen von Yacudac und kehrte nie mehr zurück. Ihre Nachkommen aber blieben dort. Von den Sindriern wurden sie später „Pylax" genannt.

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    Kapitel 1 – Vorbereitungen für entscheidende Kämpfe

    Für die Verteidiger von Rabenstein begann ein Wettlauf gegen die Zeit. Nur eine Handvoll Menschen hatte bisher erkannt, dass sich in der vorzeitlichen Festung Charak Dun voraussichtlich das weitere Schicksal des Kontinents entscheiden würde. Statt der Artefakte der Macht hatte der unheilschwangere Dunstein den Weg zu dem Ort gefunden, wo seinetwegen schon in der Vergangenheit immer wieder heftige Kämpfe stattgefunden hatten. Drei Mitbegründer des Geheimen Bundes von Dunculbur waren aus ihren Gefängnissen entkommen und richteten nun ihren Blick nach Rabenstein. Erneut stand der altehrwürdigen Stätte eine schicksalhafte Auseinandersetzung bevor. Aber dieses Mal hatten es die Verteidiger mit Feinden zu tun, die aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel unüberwindbar schienen.

    Die Wirren der in Obesien tobenden Revolution und die Verfolgungsjagd nach dem Mörder des Herzogs der Höhlen banden zudem Kräfte, die bei der Verteidigung von Rabenstein dringend benötigt worden wären.

    *

    „Spürst du das auch?", fragte der Mann und schaute hinunter zu dem schwarzen, raupenähnlichen Wesen auf seinem Handrücken.

    „Es ist meine Stimme, die du hörst. Lautlose Worte, die erst im Kopf des Mannes zu einer sinnhaften Nachricht zusammengesetzt wurden. „Aber dennoch bin nicht ich es, was zu dir spricht. Es ist der Baum.

    Der Mann versuchte, die gewaltige Zeder mit seinen Blicken zu erfassen. Es gelang ihm nicht. Die Frühnebel hatten sich noch nicht vollständig gelichtet, und es hatte den Anschein als seien die obersten Äste des riesigen Baumes mit dem diesigen Himmel verwoben.

    „Bist du sicher, Schlaan?", vergewisserte sich der Mann.

    Der Mon’ghal reckte den vorderen Teil seines Raupenkörpers in die Höhe. Er wirkte nun wie eine angriffslustige Schlange, was jedoch angesichts seiner geringen Größe irgendwie lächerlich anmutete.

    „Ich würde dich nie belügen. In den lautlosen Worten lag ein deutlicher Vorwurf. „Aber nun höre die Botschaft: Das Geflecht der alten Wesenheiten braucht einen neuen Vermittler. Es hat dich für diese Aufgabe ausersehen. Sie besteht darin, dass du den Menschen, die draußen in der Welt für das Geflecht handeln, den Willen der alten Wesenheiten übermittelst. Dafür bietet das Geflecht der alten Wesenheiten dir und mir seinen Schutz an. Ein fürchterlicher Sturm wird über Obesien hinwegfegen. Er hat bereits begonnen und könnte mit einer völligen Vernichtung der Mon’ghale enden. Wenn du jedoch die dir zugedachte Aufgabe annimmst, wird er dein Heer und meine Artgenossen jedenfalls hier an diesem Ort verschonen.

    Es entstand eine kurze Pause. Dann vernahm der Mann erneut die Stimme in seinem Kopf: „Bist du bereit für deinen ersten Auftrag?"

    „Ja", bestätigte der Ducarion ohne lange Überlegung.

    Der Mon’ghal war wieder auf den Handrücken des Mannes zurückgesunken. Seine unhörbare Stimme erteilte dem neuen Vermittler die Anweisungen für dessen erste Mission: „Der Meister der Todeszeremonie, der bisher für das Geflecht gehandelt hat, kommt seinen Pflichten nicht mehr in dem erforderlichen Umfang nach. Stattdessen versucht er, eine Stätte zu verteidigen, die längst ihre Bedeutung verloren hat. Er muss abgelöst werden. Gehe zu den Höhlen von Tulumath! Dort triffst du einen Weißen Mann namens Tholulh. Er vertritt eine Macht, die noch stärker ist als das Geflecht. Du musst ihn bitten, dass er den alten Wesenheiten erlaubt, den Meister der Todeszeremonie zu ersetzen. Dafür werden aber zwei Personen benötigt."

    *

    Weit mehr als andere Menschen wurde Saradur ständig von einer inneren Unruhe angetrieben. Aber selbst er konnte sich der mystischen Beschaulichkeit dieses Ortes nicht entziehen. Das kristallklare Wasser des Spiegelsees lag wie eine polierte Glasscheibe eingebettet zwischen den umgebenden Hügeln. Zwei riesige Weiden standen eng verflochten am Seeufer; aus der Ferne wirkten sie wie ein einziger Baum. Gleich den Kaskaden eines geronnenen Wasserfalls schmiegten sich die Gebäude des Monasteriums von Bogogrant an eine zum See hinabfallende Bergflanke.

    Der Höchste Priester genoss diesen Anblick von einem hölzernen Steg aus, der einige Meter auf den See hinausführte. Bald gewann jedoch seine innere Unruhe wieder die Oberhand. Er schickte sich an, die restliche Wegstrecke zum Monasterium zurückzulegen.

    Der gesamte Hang war bedeckt von einem Gewirr terrassenförmiger Gebäude und Gärten, in denen vorwiegend Wein, Obst und Oliven angebaut wurden. Auf seinem Weg durch diese Gärten eröffneten sich Saradur immer wieder Ausblicke auf den in der Sonne glitzernden Spiegelsee, die beiden riesigen Weiden und die verkarsteten Hügel, die in weiter Ferne mit dem Horizont verschmolzen.

    In einem lauschigen Steinpavillon an der Hangseite eines winzigen Olivenhains wurde Saradur von Ilmin erwartet, dem Rektor des Monasteriums von Bogogrant. Der Nachfolger der Zwillinge Orhalura und Teralura, ein noch verhältnismäßig junger Mann von knapp über vierzig Jahren, war auf Veranlassung des Höchsten Priesters in dieses Amt eingesetzt worden. Er hatte ein breites, fröhliches Gesicht und einen deutlichen Bauchansatz. Jeder konnte sofort erkennen, dass dieser Mann die schiere Lebensfreude verkörperte. Obwohl Saradur wusste, dass die Vorstellungen und Lebensweise Ilmins deutlich von seinen eigenen abwichen, schien er ihm die richtige Wahl für Bogogrant. Der Höchste Priester hatte erfasst, dass auch eine gewisse Vielfalt für das Überleben des Ordens wichtig war. Vor allem aber versuchte er, Menschen an sich zu binden, die andernfalls zu unliebsamen Gegnern werden konnten. Weit weg von Modonos, dem Zentrum des Ordens, konnte ein Rektor nur wenig bewirken und daher auch nur wenig Schaden anrichten. Diese Einschätzung entsprach jedenfalls der Denkweise Saradurs, der jedoch wie alle anderen Menschen mit seinen Überlegungen auch nicht immer richtig lag.

    Das Äußere des dritten Mannes, der zu der Zusammenkunft erschienen war, hätte sich kaum noch markanter von dem Ilmins unterscheiden können: hochgewachsen, mit pechschwarzem, fettigem Haar und unruhig flackernden Augen, unfähig, dem Blick seines Gesprächspartners längere Zeit standzuhalten. Sein olivgrüner Umhang wies ihn als einfachen Priester aus. Die dicke Staubschicht auf der Kleidung verriet, dass er gerade von einer längeren Reise eingetroffen war.

    „Seid willkommen in Bogogrant, Bruder Saradur, begrüßte der Rektor den Höchsten Priester mit nachgerade überbordender Freundlichkeit und drückte ihm beide Hände. Nachdem sich der Höchste Priester artig für den herzlichen Empfang bedankt hatte, stellte der Rektor den anderen Gast vor: „Das ist Bruder Brodolap. Er kommt direkt aus Modonos und bringt leider schlimme Nachrichten.

    Ilmin unterstrich diese Worte mit einer auffordernden Geste in Richtung des einfachen Priesters, woraufhin dieser sich leicht vor Saradur verbeugte und die Geschehnisse in der Hauptstadt zusammenfasste: „Eminenz, das Heer von Tirestunom hat Modonos überfallen und sogar die Akademie abgeriegelt. Dem Ducentron Crescal ist es offenbar gelungen, sich dem Einfluss der Mon’ghale zu entziehen. Modonos ist gefallen. Sowohl die Reste des Heeres als auch die Schildwache sind zu Crescal übergelaufen. Die Garde wurde aufgelöst. Nur das Kollektiv und einige Mitglieder des Kriegsrats konnten fliehen."

    Nachdem er seinen ersten Schreck überwunden hatte, trat Saradur an die Brüstung des Pavillons und schaute nachdenklich auf das Land hinunter. Er ahnte, dass dieser Aufstand die bisherige Ordnung und damit auch den Priesterorden hinwegfegen konnte. Neben seinen persönlichen Kampf um die Unsterblichkeit und seinen weltanschaulichen Kampf gegen das Geflecht der alten Wesenheiten war nun auch noch ein Kampf um das reine Überleben getreten. Seine feingliedrigen Hände strichen über den rauen Sims der Brüstung, während in seinem Kopf ein Plan zu reifen begann.

    Er wandte sich an den Rektor.

    „Wir können später die Lage und die weiteren Schritte in Ruhe erwägen. Ich werde ein paar Tage hierbleiben. Könnten Sie mir jetzt aber bitte den Mann aus dem Norden schicken?"

    „Selbstverständlich", erwiderte Ilmin und verließ den Pavillon.

    „Sie wissen, wo sich unser Äußerer Stützpunkt in Lokhrit befindet?", fragte der Höchste Priester Brodolap, nachdem der Rektor gegangen war.

    „Ja", bestätigte der Mann aus Modonos.

    Saradur nickte zufrieden: „Gut. Sie werden dorthin gehen und dem Rektor, Ulban, über die Lage in der Hauptstadt berichten. Dabei werden Sie aber mit keinem Wort erwähnen, dass dies auf mein Geheiß geschieht. Sagen Sie, Ilmin habe Sie darum gebeten. Der Mann aus dem Norden wird Sie begleiten. Sie werden sich strikt an dessen Anweisungen halten. Kann ich mich darauf verlassen?" Brodolap ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. Er wusste, dass mit dem Höchsten Priester nicht zu spaßen war. Daher bestätigte er beflissen, dass er den Auftrag wie verlangt ausführen würde.

    „Sie werden gleich morgen aufbrechen, entschied Saradur. „Gehen Sie jetzt und ruhen Sie sich aus!

    Brodolap entfernte sich schleunigst. Der Höchste Priester ließ sich auf der Sitzbank im Pavillon nieder, strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und wartete auf den Mann, den er zusammen mit Brodolap nach Lokhrit zu entsenden gedachte.

    Eine Weile später erschien dieser Mann. Er war untersetzt, stämmig und hatte die blauen Augen eines Mithriers. Saradur bot ihm einen Platz an.

    „Wie geht es Ihnen, Zallux?", erkundigte er sich.

    „Die ganze Zeit ging es mir einigermaßen gut, grantelte der ehemalige Fürst zu Drinh und Hüter der Flammen. „Aber wenn ich Sie sehe, weiß ich, dass es wieder einmal gefährlich für mich wird.

    „Diesmal ist es ein völlig harmloser Auftrag, wiegelte der Höchste Priester ab. „Sie werden morgen mit einem Priester des Wissens namens Brodolap nach Tal Nakh aufbrechen. Das ist der Äußere Stützpunkt des Ordens in Lokhrit, am Oberlauf des Lokh, nicht allzu weit von hier entfernt.

    „Und was soll ich dort tun?", wollte Zallux wissen.

    „Das was Sie am besten können", grinste Saradur hämisch. Er griff unter seine weiße Robe mit dem roten Kreis und dem blauen Kubus, zog einen nur fingergroßen Metallbehälter hervor und stellte ihn vor Zallux auf den runden Tisch.

    „Das ist ein Extrakt aus Sumpfmohn und dem Gelben Tückling, erklärte Saradur. „Es handelt sich um eine klare, völlig geruchs- und geschmacksfreie, etwas zähe Flüssigkeit. Sie brauchen nur die Hälfte des Inhalts. Sie wirkt schnell und sicher. Es wird wie der plötzliche Herztod aussehen.

    „Für wen ist das bestimmt?", fragte Zallux lakonisch.

    Der Höchste Priester ließ sich gegen die Lehne der Sitzbank zurücksinken.

    „Der Rektor des Äußeren Stützpunkts von Tal Nakh heißt Ulban. Finden Sie heraus, wer die wichtigste Person in seinem Leben ist. Für diese ist es bestimmt. Nach einer Weile ergänzte Saradur: „Brodolap darf von alledem nichts bemerken. Sobald der Auftrag erfüllt ist, verlassen Sie mit ihm Tal Nakh und schicken ihn hierher zu mir. Sie selbst reiten nach Dunculbur und warten dort auf mich.

    *

    Tralk, der Rabe, hatte erkannt, dass Tergald im Begriff stand, mit Octora und ihren Gefolgsleuten das Aralt-Gebirge zu verlassen. Damit war für ihn der Zeitpunkt gekommen, sich neu zu orientieren. Er hatte sein ganzes Leben hier im Aralt verbracht und wusste, wo er auch in Notfällen noch Nahrung finden konnte. Deshalb entschied er sich dafür, eine Zeitlang Tritoria und Unitor zu folgen. Diese hatten nach dem Abstieg aus der Schneise von Delamunth am Fuß der Gebirgsausläufer den Weg nach Norden eingeschlagen.

    Noch einmal ließ sich der Rabe in wildem Sturzflug auf Tergald herabfallen und krallte sich an seiner Schulter fest. Während seines lauten Gekrächzes zwickte er den Lokhriter plötzlich ins Ohr bevor er sich rasant in die Lüfte erhob, um dem erwarteten Schlag zu entgehen. Aber Tergald lachte nur. Es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, nach dem gefiederten Gefährten zu schlagen, der ihm das Leben gerettet hatte. Dann verstummte sein Lachen, und sein Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck. Er hatte verstanden.

    Die eleganten Schleifen, die der Vogel nun flog, bedeuteten das Zeichen des Abschieds. Kurz hielt Tergald sein Pferd an und winkte ihm ein letztes Mal zu. Dann beeilte er sich, Octora und ihren Kriegern zu folgen, die bereits vorausgeritten waren.

    Unitor bemerkte bald, dass der einsame Rabe nun ihnen folgte. Deshalb zeigte er sich auch nicht verwundert, als Tralk am zweiten Tag der Reise unversehens auf seiner Schulter landete und dort eine Weile ausruhte. Der Eisgraf streichelte durch das Gefieder des Raben, der daraufhin behutsam an seinem Ohr knabberte. Dass Unitor darüber lachen konnte, bestätigte Tralk, dass er sich einen geeigneten Spielgefährten ausgesucht hatte.

    „Du scheinst ja eine besondere Anziehungskraft auf hässliche Vögel auszuüben", bemerkte Tritoria kratzbürstig.

    Unitor grinste: „Mit solchen Sprüchen solltest du vorsichtiger umgehen. Schließlich bist du ja auch bei mir."

    „Falsch!, giftete sie ihn an. „Du bist bei mir. Und ich ertrage dich nur gezwungenermaßen.

    „Ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird", gab der Mithrier gleichmütig zurück.

    „Vergiss es", keifte die Herzogin ärgerlich und trieb ihr Pferd so heftig an, dass es einen Satz machte und davonstob. Mit einem erschrockenen Krächzen flog der Rabe auf.

    Am späten Nachmittag erreichten sie den „Schlund des Zusith", den Eingang zum Höhlensystem, in dem sich die Schatzkammer der Herzöge befand. Der breite, tunnelartige Stollen führte tief in den Berg hinein. Der Untergrund war derart abgeschliffen, dass dieser Tunnel sogar bequem mit Ochsenkarren befahren werden konnte. Nach einer Viertelstunde beschrieb der Stollen eine Linkskurve. Auf der rechten Seite befand sich ein großer Durchbruch. Bei näherem Hinsehen erwies er sich als das Loch in der Wand eines zylinderförmigen, mehrere Meter durchmessenden Felskamins, dessen Boden etwa fünf Meter unterhalb des Tunnels lag. Einige im Gestein verankerte Metallleitern ermöglichten den Abstieg auf den Grund des Kamins.

    „Du bleibst hier!", kommandierte Tritoria und drückte Unitor die Zügel ihres Pferdes in die Hand. Ohne eine Antwort abzuwarten stieg sie eine der Leitern hinab.

    Kaum hatte sie den Boden berührt, da verließen bereits zwei breitschultrige Zogh-Krieger das aus dem Felsen gehauene Wachhaus und eilten auf die Herzogin zu. In respektvoller Entfernung verhielten sie ihre Schritte und deuteten eine leichte Verbeugung an.

    „Können wir behilflich sein, Hoheit?", erkundigte sich einer der beiden.

    „War Zobirek hier?", fragte Tritoria, obgleich sie die Antwort bereits kannte. Ein kaum wahrnehmbares Blinken am Boden hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, ein kleiner Ring mit einem geschliffenen Edelstein.

    „Ja, Hoheit, bestätigte der Wächter. „Er sagte, es gebe Krieg und er müsse den Schatz der Herzöge in Sicherheit bringen. Zornig sah die Herzogin die beiden Krieger an und schlug sich zweimal mit der rechten Faust gegen die Stirn. Dabei wusste sie aber, dass sie den Wächtern keinen Vorwurf machen konnte. Nach den Gesetzen der Höhlen wäre es ihnen gar nicht möglich gewesen, den Raub durch ein Mitglied der herzoglichen Familie zu verhindern. Mit schnellen Schritten durchquerte sie die Grotte. Durch die Tür neben dem Wachhaus betrat sie die dahinter gelegenen Räume, in denen der Schatz der Herzöge aufbewahrt worden war. Überall auf dem Boden verstreut lagen wertvolle Gegenstände, die der Herzogsmörder und seine Kumpane in ihrer Eile achtlos zurückgelassen hatten. Tritoria wusste indes, dass es sich dabei nur um einen unbedeutenden Bruchteil der Sammlung handelte, die die Herzöge der Höhlen in Tausenden von Jahren zusammengetragen hatten. Wütend trat sie gegen einen silbernen Stirnreif mit einem kleinen Rubin. Während dieser noch klappernd über den Boden rollte, verflüchtigte sich bereits ihr Zorn und machte kühler Überlegung Platz. Nachdenklich folgte sie dem Reif, hob ihn auf und setzte ihn sich auf den Kopf. Dann ging sie zurück zu Unitor.

    „Zobirek ist nicht nur ein Mörder und Verräter, sondern auch ein gemeiner Dieb, verkündete sie. „Er hat tatsächlich den Schatz der Herzöge gestohlen.

    „Den größten Schatz der Herzöge hat er glücklicherweise zurückgelassen", bemerkte Unitor und deutete auf Tritoria in dem Versuch, sie aufzumuntern. Er erreichte damit jedoch das Gegenteil.

    „Es gelingt dir immer wieder, mich mit deinen törichten Sprüchen in die Flucht zu schlagen. Vielleicht solltest du sie öfter bei deinen Feinden anwenden." Mit diesen Worten sprang sie in den Sattel und ritt den Tunnel zurück auf dem Weg, den sie gekommen waren. Unitor folgte ihr schnell und hielt sie am Arm fest.

    „Hast du darüber nachgedacht, was Zobirek mit dem Schatz vorhaben könnte?", fragte er.

    Tritoria sah ihn an, als ob sie an seinem Verstand zweifelte: „Ist das wirklich so schwierig zu erraten? Er will eine Söldnerarmee aufstellen. Allein mit meinen Soldaten kann er keine offene Feldschlacht gegen die Königin gewinnen. Außerdem werden meine Leute früher oder später erfahren, dass er den Herzog ermordet hat."

    „Genau das wird geschehen, wenn er den Aralt verlässt, erwiderte Unitor. „Dann werden deine Leute zu dir überlaufen. Gegen die vereinten Heere der Königin, der Höhlen und des Marschalls könnte keine Söldnerarmee des Kontinents bestehen. Und weshalb sollte er überhaupt eine offene Feldschlacht wollen? In den Höhlen ist er sicherer als sonstwo in der Welt. Nein, da steckt etwas anderes dahinter, das wir unbedingt herausfinden müssen.

    Tritoria musste sich wider Willen eingestehen, dass seine Argumente überzeugend klangen.

    „Vielleicht hast du recht, räumte sie zerknirscht ein. „Wenn du nicht gerade dumme Sprüche machst, kommt manchmal auch etwas Vernünftiges heraus.

    Wie ein gewaltiger Torbogen öffnete der „Schlund des Zusith" die Sicht in die Außenwelt. Dicke weiße und graue Wolken trieben träge am Himmel vorüber. Beim Verlassen des Tunnels fiel Unitors Blick zuerst auf Tralk, der sich auf einem kleinen Felskegel niedergelassen hatte. Tritorias Aufmerksamkeit galt hingegen Prandorak, der in seinen blauen Mantel gehüllt nur ein paar Schritte vom Stollenausgang entfernt wartete.

    „Zobirek ist zum Kijanduk geritten", berichtete der Herold.

    „Was will er dort?, überlegte Tritoria laut. „Es gibt dort keine Höhle, die groß genug wäre, das Heer aufzunehmen.

    „Die Sterzenburg", erinnerte Prandorak die Herzogin.

    „Die Sterzenburg?, wiederholte sie, zunächst wenig überzeugt. „Die Festung ist ziemlich verfallen. Aber ja, es gibt dort fruchtbare Täler, die nur von der Burg aus zu erreichen sind. Man könnte ein Heer versorgen. Ein geeigneter Platz für eine Verteidigungsanlage. Das haben anscheinend schon die alten Sterzen erkannt.

    „Ich habe vor einigen Wochen gehört, dass an der Burg gebaut wird. Ich habe dieser Nachricht jedoch keine große Bedeutung beigemesssen. Damals schien die Welt noch in Ordnung zu sein", erklärte Prandorak.

    „Wir haben gefunden wonach wir gesucht haben, stellte Unitor fest und fügte grinsend hinzu: „Und das war kein törichter Spruch.

    *

    Die Menschen jubelten als Mesitaz mit dem Heer von Tirestunom die Hauptstadt verließ. War das die Freude über die Befreiung oder über den Abzug? Corbunt glaubte, die Antwort auf diese Frage zu kennen: Es

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