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DSA 130: Riva Mortis: Das Schwarze Auge Roman Nr. 130
DSA 130: Riva Mortis: Das Schwarze Auge Roman Nr. 130
DSA 130: Riva Mortis: Das Schwarze Auge Roman Nr. 130
eBook345 Seiten4 Stunden

DSA 130: Riva Mortis: Das Schwarze Auge Roman Nr. 130

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Über dieses E-Book

Riva, die freie Stadt an den Ufern des Kvill. Die horasische Altertumsforscherin Ancalita Balliguri ist nicht sehr angetan davon, die Nachfolge des geistig verwirrten Magisters Scribani anzutreten. Doch was hat den armen Magister in den Wahnsinn getrieben? Waren es die Geheimnisse des düsteren Riedemoors, in dem sich seit Phexens Sternenregen allerlei merkwürdige und sinistre Gestalten herumtreiben? Gemeinsam mit dem maraskanischen Zauberer Madajin folgt sie einer unheilvollen Spur, die ihr mehr abverlangt, als sie geben kann. Und auf einmal muss sie sich sogar den Dämonen der eigenen Vergangenheit stellen.
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum21. Juni 2012
ISBN9783868898118
DSA 130: Riva Mortis: Das Schwarze Auge Roman Nr. 130

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    Buchvorschau

    DSA 130 - Mike Krzywik-Groß

    Biografie

    Mike Groß wurde 1976 im verregneten Harz zwischen finsteren Tannen und majestätischen Bergen geboren. 1999 zog er in die Hansestadt Lüneburg, um dort Sozialpädagogik zu studieren. Er verliebte sich nicht nur in die historische Salzstadt mit ihren zauberhaften Giebeln und düsteren Gassen. Denn im letzten Jahr wurde geheiratet, und der Nachname Groß erhielt den unaussprechlichen Zusatz Krzywik.

    Weitere Informationen unter www.krzywikgross.de

    Titel

    Mike Krzywik-Groß

    Riva Mortis

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band 11067PDF

    Titelbild: Arndt Drechsler

    Aventurienkarte: Ralph Hlawatsch

    Lektorat: Florian Don-Schauen

    Buchgestaltung: Ralf Berszuck

    E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

    Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.

    DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE sind eingetragene Marken.

    Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Buch-ISBN 978-3-89064-129-4

    E-Book-ISBN 978-3-86889-811-8

    Danksagung

    Ich danke Karsten, Torsten, Ralf und Alex für all die Inspiration, Kreativität, Begeisterung und ihren DSA-Sachverstand. Ohne eure selbstlose Hilfe wäre dieses Buch nicht das Gleiche.

    Ein besonderer Dank gilt meinem Lektor Florian Don-Schauen, dem ich mit diesem Erstlingswerk einen Haufen Arbeit beschert habe, die er mit freundlicher Gelassenheit konterte.

    Nicht unerwähnt möchte ich die Autoren des Quellenbandes Patrizier & Diebesbanden lassen. Aufgrund ihrer Ausarbeitung der wundervollen Stadt Riva mit all ihren herrlich skurrilen Bewohnern konnte die Geschichte zu dem Buch werden, das die geneigte Leserschaft nun in ihren Händen hält.

    Widmen möchte ich dieses Buch meiner Gattin Weronika, die immer an mich geglaubt hat, mir viel Geduld entgegenbrachte und mich während des Schreibens von Riva Mortis sogar heiratete – az do konca swiata.

    »Die Menschenseele ist wie ein verpesteter Sumpf; wenn man nicht rasch darüber hinweggleitet, versinkt man darin.«

    —Stendhal

    Prolog

    Nördliches Aventurien, nahe des Flusses Kvill, ca. 5000 Jahre vor Bosparans Fall

    Sie zitterte am ganzen Leib.

    Immer wieder wurden ihre Muskeln von übermächtigen, aus Furcht geborenen Wellen erfasst. Die Poren ihrer hellen, zarten Haut waren weit geöffnet und förderten Unmengen Schweiß zutage. Mit einer Hand wischte sie die salzige Körperflüssigkeit aus ihrem Gesicht, während ihre andere den zwei Schritt langen Speer so fest umklammert hielt, dass ihre Finger bereits schmerzten. Ihr Atem ging stoßweise, und die Last der eleganten Plattenrüstung aus verzaubertem Mammuton drückte schwer auf ihren schmalen Schultern. Jedoch nicht annähernd so gewichtig wie das Schicksal ihrer Gefährten, die an diesem Tag den Tod gefunden hatten.

    In den letzten Stunden hatte die junge Frau mit ansehen müssen, wie jeder Einzelne ihrer fast einhundert Brüder und Schwestern einen grausamen Tod gefunden hatte. Auch jetzt noch sah sie die Verzweiflung in den Augen Allandirels, als er erkannt hatte, dass sein Lied für immer verklingen würde. Kurz bevor die namenlose Bestie seinen Körper in zwei Teile riss. Sie hörte noch die Schreie Enjallas, als sie von Dutzenden Scheusalen niedergetrampelt wurde. Sie war schlichtweg überrannt worden, ohne eine Chance auf den ehrenhaften Kampf, dem sie so entgegengefiebert hatte. Doch vor allem sah die junge Elfe vor ihrem geistigen Auge das alles verzehrende Feuer des leibhaftigen Drachen, der das Leben so vieler tapferer Elfen in einem Augenblick, nicht länger als ein kurzes Zwinkern, ausgelöscht hatte. Ihre anmutigen Körper waren in wenigen Momenten zu Asche vergangen und vom kühlen Nordwind fortgetragen worden. Noch immer hatte sie den beißenden Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase und sah die schweren Rauchwolken über den Bäumen des Waldes aufsteigen. Tränen rannen ihr über die Wangen.

    Sie war in den letzten Stunden gerannt wie nie zuvor in ihrem Leben. Nicht einen Moment hatte sie zurückgeschaut oder gar mit dem Gedanken gespielt, kehrtzumachen. Urtümliche, blanke und reine Angst hatte sie angetrieben auf ihrer kopflosen Flucht durch den dichten Wald. Leandra Sternenfänger wollte nur weg von all dem Tod und Leid.

    Als die Dämmerung langsam einsetzte, kauerte sie einsam und verlassen hinter einem Wacholderstrauch im Dickicht. Noch vor wenigen Tagen war sie voller Tatendrang und erfüllt von leidenschaftlicher Opferbereitschaft gewesen. Mit ihren Schwestern und Brüdern wollte sie ruhmreich in die Schlacht ziehen und Teil der Lieder ihres Volkes werden. Denn diese berichteten von einem Schrecken, der nicht sein durfte. Von dem essenziellen Bösen, das sich anscheinend unaufhaltsam über die bekannte Welt ausbreitete wie eine Seuche ungeahnten Ausmaßes. Die Gesänge hatten die Kunde von der größten Gefahr, die die Lebenswelt der aus dem Licht Geborenen bedrohte, weiter und weiter getragen, bis immer mehr Sippen sich ihrer Sache angeschlossen hatten. Sie hatten nicht länger tatenlos zusehen können, wie das dhaza die Eintracht der Welt ins Wanken brachte und in die tiefsten Abgründe zog, verdorben von der Disharmonie. Die Legendensänger hatten die größten Helden ihrer Zeit zusammengerufen, gewappnet mit Rüstungen, die übersät mit arkanen Zeichen waren, und mit magischen Klingen in den Händen, mit denen man selbst einen Drachen das Fürchten lehren konnte, so hatte Leandra einst gedacht. Sie hatten sich unbesiegbar gefühlt, als sie ausgezogen waren, um die Konfrontation mit dem dhaza zu suchen. Zu Hunderten hatten sie auf der Suche nach der verborgenen Zitadelle den Urwald durchstreift, um diese im Sturm zu nehmen. Es sollte eine Entscheidung herbeigeführt werden. Die Hochelfen hatten ein letztes Gewicht auf die Waagschale der Geschichte geworfen, um sie zugunsten des Friedens in der Welt zu neigen. Habgier, Bosheit und Niedertracht hatten auf ewig aus der Welt verbannt werden sollen. Doch alles, was Leandra Sternenfänger an diesem Tage gefunden hatte, waren namenloses Grauen, Verzweiflung und Tod.

    Sie fischte zum hundertsten Mal eine verschwitzte Haarsträhne aus ihrem Gesicht, während ihre Augen hektisch nach einer neuen Bedrohung suchten. Unaufmerksamkeit und Stillstand waren gleichbedeutend mit ihrem Untergang, daran hatte sie keinen Zweifel. Doch ihre Angst hielt sie an diesem Ort hinter den Büschen in trügerischer Sicherheit fest, als sei sie leibhaftig geworden. Die Furcht schien starke Arme zu haben, die Leandra an diesen Ort banden und ihr nur erlaubten, flach zu atmen. Ihr Verstand sandte allerdings gegensätzliche Signale. Eine innere Stimme schrie sie panisch an, sich erneut in Bewegung zu setzen, bevor eine dieser Bestien sie aufspürte oder gar der Drache zurückkehrte.

    Der innere Zwist hielt die junge Elfe mehrere Minuten an diesem Ort, und erst, als er sie zu zerreißen schien, sprang sie auf. Ihr Kopf ruckte von links nach rechts. Wohin konnte sie fliehen? Sie war umgeben von dem immer dunkler werdenden Grün der Blätter und Nadeln.

    Als sie in die Ferne lauschte, hörte sie von scheinbar überall her Kampfeslärm. Die Schreie der Sterbenden und dem Wahnsinn Anheimfallenden drang durch das Buschwerk, genau wie das Klirren von Stahl auf Stahl, das vom Wind zu ihr getragen wurde. Noch ehe sie sich für eine Richtung entscheiden konnte, bebte der Boden. Als wäre eine ganze Herde Mammutons im schnellen Galopp unterwegs, erzitterte der lockere Waldboden rhythmisch. Die Erschütterung erfasste ihren Körper und schüttelte ihn kräftig durch, sodass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Die Blätter der Bäume lösten sich von den Ästen und fielen, gemächliche Kreise drehend, zu Boden.

    Leandra verfolgte den Flug eines einzelnen Blattes, bis es sanft auf den Waldboden glitt. Fast verlor sie sich in der ruhigen Harmonie des Augenblicks, der ihr für einen Moment erlaubte, die Gräuel des vergangenen Tages zu verdrängen. Doch das Bersten junger Bäume riss sie zurück in die Wirklichkeit. Was auch immer dort durch den Wald brach – es kam direkt auf sie zu. Sie wollte erneut fliehen, es war der einzige Gedanke, der ihren strapazierten Geist erfüllte, doch dieser Wunsch erreichte einfach nicht ihre Beine. Wie angewurzelt verharrte sie auf der kleinen Lichtung zwischen den hohen Bäumen. Sie betete still zu zerza, der luchsköpfigen Kriegsgöttin, dass ihr Mut geschenkt würde, der Gefahr zu trotzen.

    Nun sah sie einen Schemen zwischen den Bäumen vor ihr. Eine riesige Gestalt bahnte sich unaufhaltsam einen Weg in ihre Richtung. Leandra konnte sehen, wie alte und starke Bäume zur Seite gebogen wurden, als wären es Blumen auf einer Frühlingswiese. Was auch immer dort kam, es war unglaublich massig und erschreckend schnell.

    Ihre Beine zitterten im Takt des vibrierenden Bodens, als sie den Jagdspieß fest mit beiden Händen umklammerte und abwehrend vor sich hielt. Ein gewaltiger Schatten fiel über sie, als die letzten Bäume von einer mehrere Schritt langen Keule zur Seite gefegt wurden. Leandra Sternenfängers Blick wanderte höher und höher, doch das Ungeheuer vor ihr wollte einfach kein Ende nehmen. Sicherlich vier Mannslängen ragte ein muskulöses, trollartiges Wesen vor ihr auf, dessen verfilzte Haare allein doppelt so lang waren, wie die Elfe an Körpergröße maß. Dann sah sie das hassverzerrte Gesicht des Riesen, in dessen Augen sich grenzenloser Wahnsinn widerspiegelte. Für einen kurzen Moment nahm er Notiz von der Existenz der angsterfüllten Leandra. Ihre Blicke begegneten sich, und die junge Elfe sah ihrem Tod ins Angesicht.

    Mit einem gewaltigen Schritt überbrückte der Riese die Lichtung und stand direkt vor der wie Espenlaub zitternden Frau. Noch immer hielt sie ihren Speer schützend vor sich, doch wirkte die Waffe eher wie ein kurzes Birkenreisig und erschien Leandra völlig nutzlos gegen ihren gigantischen Feind. Der meterdicke rechte Arm des Ungetüms reckte sich über die Baumwipfel der Umgebung in ungeahnte Höhe und schwang dabei die acht Schritt lange Keule in einem tödlichen Kreis. Leandra riss angsterfüllt die mandelförmigen Augen auf, als sie sich der zerschmetternden Gewalt bewusst wurde, die jeden Moment göttergleich auf sie niederfahren sollte.

    Noch immer konnte sie sich keinen Deut rühren. Erst als die mächtige Waffe auf sie niederschoss, erhob Leandra schützend den Speer über sich, um den gewaltigen Hieb damit abzuwehren. Sie erkannte in einem Moment voll endgültiger Traurigkeit, wie lächerlich ihr Versuch der Verteidigung gegenüber der alles zerquetschenden Keule war. Wäre sie doch nur zur Seite gehechtet, hätte sich mit einem gewagten Sprung in Sicherheit vor dem drohenden Tod gebracht! Doch noch immer stand die zitternde Elfe vor Furcht wie angewurzelt dort, gefangen in einer Lethargie, wie sie sie zuvor noch nicht gekannt hatte.

    Plötzlich schallte der Ruf einer unbekannten Stimme und riss ihren gefangenen Geist zurück in das Hier und Jetzt.

    Die Keule schlug mit einem dumpfen Dröhnen auf, das den Boden erneut zum Beben brachte.

    Kapitel 1

    Enqui, Frühsommer 1031 BF

    Zum wahrscheinlich hundertsten Mal versuchte Ancalita die Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenzusetzen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Irgendein garstiger und widerspenstiger, der Forscherin völlig unbekannter Fehler hatte sich eingeschlichen und verhinderte konsequent, dass die junge Frau ihre Arbeit beenden konnte. Die gesamte Nacht hatte die Horasierin bereits damit verbracht, die zerbrechlichen Tonstücke, von denen jedes ungefähr so groß war wie ihre Handfläche, zu einem Mosaik zusammenzufügen. Mehr als ein Dutzend der antiken, scharfkantigen Relikte lagen vor ihr auf dem Tisch verteilt. Unschlüssig kratzte sich Ancalita am Kopf. Was konnte dieses Ding nur gewesen sein?

    Schon seit mehreren Tagen versuchte sie verbissen herauszufinden, welchem Zweck die uralte Tonplatte wohl gedient hatte, doch noch wollte sich kein tieferer Sinn herausstellen. Die verzierten Bruchstücke waren eindeutig elfischer Machart, was dem speziellen Forschungsgebiet der dunkelhaarigen Frau mit den nicht zu bändigenden Locken entsprach und somit ihr Interesse weckte. Vor wenigen Wochen hatte sie das erste Teil in den Brinasker Marschen westlich von Enqui gefunden. Das als »die Seenlandschaft der Drei Klageweiber« bekannte Gebiet war nur spärlich besiedelt und durchsetzt von sumpfigen Seen, die von Zeit zu Zeit verlorene Dinge der Vergangenheit preisgaben, welche Jahrhunderte, manchmal gar Jahrtausende im tiefen Matsch auf ihre Entdeckung gewartet hatten. Nach kurzer Suche hatte sie immer mehr von den Bruchstücken gefunden, die aufgrund ihres gleichverlaufenden Rankenmusters eindeutig zueinandergehörten.

    Verzweifelt rieb sie sich die Schläfen. Sie hatte die letzte Nacht damit verbracht, die Relikte anzustarren und mit Unterstützung von unterschiedlichen Lupen übersehene Details herauszufinden. Stechender Kopfschmerz war das Einzige, was sie gefunden hatte. Zumindest war es ihr vergönnt gewesen, ungestört zu arbeiten, da sie für ihre langwierigen, analytischen Untersuchungen meist die Nächte wählte. Sie genoss die Einsamkeit ihrer Forschungen.

    Auf ihren wochenlangen Expeditionen in diesen finsteren Landstrichen rund um die Hafenstadt Enqui begegneten ihr nur selten andere Menschen. Und dies war ihr auch sehr recht so, denn Ancalita Lutecia Balliguri war sicherlich sehr gebildet, hatte eine Ausbildung an einer der bedeutendsten Akademien im Horasreich genossen, doch was definitiv nicht zu ihren Stärken gehörte, war Weltgewandtheit.

    Im Umgang mit anderen Menschen fühlte sie sich meist unsicher und tollpatschig. Ganz unbegründet war ihr Selbstbild wahrlich nicht, passierten ihr doch in unschöner Regelmäßigkeit überaus peinliche Missgeschicke. Ihr Vater hatte ihr schon früh beigebracht, dass sie ein zwischenmenschlicher Tölpel war und lieber ihre Nase in Bücher vergraben sollte, anstatt Gesellschaft zu suchen. Ancalita beherzigte diesen Rat seit vielen Jahren und fand darin eine angenehme Zufriedenheit, die sie aus ihrer Jugend nicht kannte.

    Damals, es mochte ein halbes Leben her sein, hatte sie sich noch um die Anerkennung ihrer sogenannten Freundinnen aus den besseren Kreisen Kusliks bemüht, und um die Aufmerksamkeit der jungen Signori, denen sie schöne Augen zu machen versucht hatte.

    Eben diese Aufmerksamkeit hatte sie zu ihrem Leidwesen recht häufig errungen, nur nicht in der Art und Weise, wie sie sich immer erhofft hatte. Vielmehr war sie berühmt gewesen für vergossenen Traubensaft auf dem Schoß ihres momentan Angebeteten, waghalsige Stürze die meisten Treppen Kusliks hinab oder, und dies war selbst für sie etwas Besonderes, einen ausgewachsenen Großbrand bei ihrem ersten Rendezvous, als es ihr gelungen war, einen ganzen Olivenhain niederzubrennen.

    Nein, bei Rahja und ihren elf göttlichen Geschwistern, der gesellschaftliche Umgang gehörte nicht zu ihren Stärken, und so genoss sie die ausgedehnten Forschungsarbeiten mit äußerst wenigen menschlichen Kontakten. Wenn sie jemanden in den Brinasker Marschen traf, waren es meist Glücksritter auf der Suche nach dem geheimnisumwobenen Orakel der drei Klageweiber.

    Die Sage erzählte, dass die drei alten Hexen in einem Baumstamm lebten, versteckt in den Wäldern nahe Enqui. Einst sollte dort die stolze Stadt Svellt gestanden haben, die durch eine mächtige Flutwelle ausgelöscht worden war, sodass nicht ein Stein mehr auf dem anderen geblieben war. Die Legende berichtete weiter, dass die drei Hexen in einer Vision bereits zuvor von dem drohenden Unglück erfahren hatten, jedoch in ihrem Gram niemanden rechtzeitig vor der Katastrophe warnten, sodass die Stadt mitsamt allen dort lebenden Menschen untergegangen war. Verflucht zum ewigen Leben, so erzählte man sich, harrten die drei Frauen seit diesem Tage aus und beantworteten jedem Fragenden ein Anliegen. Die Kunst bestand nur darin, den mystischen Baumstamm ausfindig zu machen, was nicht vielen Suchenden gelang.

    Was hätte Ancalita dafür gegeben, diesen sagenumwobenen Baum zu finden! Es hätte ihre Forschungen um Jahre nach vorne gebracht. Mehr als einmal hatte sie sich ertappt, wie sie einen alten Baumstumpf untersuchte, in der Hoffnung auf nandusgefälliges Wissen. Doch viel mehr als dieses Dutzend Relikte, die vor ihr auf dem Tisch lagen, hatte sie während ihrer Arbeit in den Marschen nicht aufspüren können. Mehr als einen Götterlauf hatte sie bereits damit verbracht, das morastige Gelände zu durchkämmen, um Anzeichen für die Existenz einer untergegangenen hochelfischen Siedlung zu belegen, dem eigentlichen Kern ihrer Forschung. Während ihres Aufenthaltes vor drei Jahren in Donnerbach, dem Studium alter Schriften und der Konversation mit den dort ansässigen Auelfen, war sie zu dem Schluss gekommen, dass es eine Ansiedlung der vergangenen Elfenkultur nördlich von Simyala geben müsse. Die spärlichen Hinweise wiesen auf die Region rund um die Hafenstadt Enqui hin. Umgehend hatte sie entsprechende Fördergelder beantragt und sich bald darauf auf den Weg zu dem svelltschen Flussdelta am Golf von Riva gemacht.

    Anfangs hatte ihre Suche, so hatte sie geglaubt, unter dem Segen Phexens gestanden, denn rasch konnte sie einzelnen Hinweisen folgen, die sie zu uralten Monolithen geführt hatten. Die als Türme des Schweigens bezeichneten und über drei Schritt großen Quader östlich von Enqui trugen Inschriften in Asdharia, der untergegangenen Sprache der Hochelfen. So hatte Ancalita eine erste Spur verloren geglaubter Kultur der Hochelfen in dieser Region gefunden. Immer mehr von diesen steinernen Relikten hatte sie entdeckt, verstreut auf einem Gebiet von mehreren Meilen. Allen waren die Größe und die verwaschenen Inschriften gemein, die sich ringartig in zwei Schritt Höhe um die Steine schlangen. Moos und anderer Bewuchs schien vor den Monolithen haltzumachen, wuchsen sie doch nicht weiter als über den ebenerdigen Sockel.

    Akribisch hatte die Forscherin begonnen, die Inschriften zu kopieren und zu katalogisieren, doch dann war ihren Bemühungen ein jähes Ende bereitet worden. Ein ganzer Trupp muskelbepackter Männer und Frauen mit langen Zöpfen und finsterem Blick hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass der Hetmann es alles andere als schätzte, wenn man die hochelfischen Relikte untersuchte. Natürlich hatte sich Ancalita davon nicht abhalten lassen und forschte weiter, was ihr einen ganzen Mond im Kerker Enquis eingebracht hatte. Die thorwalschen Besatzer schienen keinen Spaß zu verstehen, und so hatte sie ihre Expeditionen in den westlichen Teil der Brinasker Marschen verlegen müssen.

    Nach monatelanger vergeblicher Suche hatte ihr Herz höher geschlagen, als sie die Bruchstücke im Schlamm entdeckt hatte. Der Fund der Tonscherben könnte ihr Durchbruch werden, hatte sie anfangs gedacht. Sie hatte sich selbst bereits in den renommiertesten Akademien über die Lebensweise der Hochelfen referieren gesehen und schon das anerkennende Schulterklopfen der studierten Fachwelt verspürt. Doch in der weiteren erfolglosen Suche hatte sich mehr und mehr der Gedanke aufgedrängt, dass sie im Begriff war, nicht mehr als einen wertlosen elfischen Teller zusammenzusetzen, den ein Reisender auf seinem Ritt durch die Brinasker Marschen verloren hatte.

    Vielleicht war es wirklich nichts weiter als billiger Tinnef. Ganz gewiss war es nicht der archäologische Durchbruch, auf den sie seit Jahren hoffte. Es ließen sich keinerlei weitere Spuren auf die Existenz einer untergegangenen hochelfischen Kultur in diesem Gebiet finden. Zweifel machten sich zunehmend breit. Sie gingen einher mit dem zutiefst frustrierenden Gefühl, ihre Zeit an diesem Ort zu vergeuden, während ihre akademischen Kollegen signifikante Durchbrüche auf ihren jeweiligen Forschungsgebieten feierten.

    Ungeduldig und wütend über die scheinbare Sinnlosigkeit ihrer Arbeit schob sie die Bruchstücke grob von sich fort und seufzte schwer, während sie die müden Muskeln ihrer Arme streckte.

    Wenn sie doch nur den Fehler in der Zusammensetzung der Splitter finden würde! So könnte sie ihren Geldgebern zumindest einen ersten Erfolg vermelden, ehe die Geduld der Horaskaiserlich Privilegierten Nordmeer-Compagnie überstrapaziert war. Denn dies war gleichbedeutend mit dem Ende des Dukatenflusses und somit auch ihrer Forschungsarbeit auf dem Gebiet der hochelfischen Kulturen. Die Nordmeer-Compagnie, ein Zusammenschluss von bedeutenden horasischen Handelsfamilien, hatte das exklusive Privileg, nördlich der nostrischen Stadt Salza Handel zu treiben, aber auch Expeditionen in diesen Gegenden zu fördern, wie etwa die ihre.

    Natürlich hatte sich Ancalita bereits vor einer Handvoll Götterläufen dazu verpflichtet, ihre Forschungsergebnisse und Relikte ausschließlich der HPNC zukommen zu lassen, damit diese sie zu barer Münze machen konnte. Bis zum heutigen Tage lag der Vorteil dieser Vereinbarung jedoch auf Seiten Ancalitas, da sich der durch ihre Arbeit erwirtschaftete Profit in sehr überschaubaren Grenzen hielt. Berechnete man ihre gesonderten Ausgaben für die ausgedehnten Studienreisen, Kost und Logis sowie entsprechende Fachliteratur und einen bescheidenen Lohn für sie selbst mit, waren die Zahlen in den Rechnungsbüchern der Nordmeer-Compagnie mit roter Tinte geschrieben anstatt in einem freundlichen Schwarz. Lange würden sich die Auftraggeber nicht mehr mit ihrer erfolglosen Arbeit zufriedengeben.

    Schon seit Wochen befürchtete Ancalita bei jedem Einlaufen eines Schiffes in den Hafen von Enqui, dass ein Gesandter der HPNC an Bord sein würde, der ihr eine Strafexpedition in die Nebelzinnen, die Gorische Wüste oder nach Maraskan aufbürden würde.

    Die Brinasker Marschen im Allgemeinen und Enqui im Besonderen standen sicherlich nicht sehr weit oben auf ihrer ganz persönlichen Liste von angenehmen Orten auf dieser Welt, doch könnte es immer noch schlimmer kommen. Natürlich sehnte sie sich nach den gelehrten Hallen Kusliks und Vinsalts zurück oder nach einer Anstellung im klimatisch traumhaften Belhanka, doch konnte sie aufgrund ihrer erfolglosen Forschungsarbeit kaum mit einer Beförderung rechnen.

    Ausgiebig rieb sie sich die müden Augen und gähnte genüsslich, bis ihr Kiefer schmerzte. Ein Blick aus der schmalen Luke ihres gemieteten Hausbootes verriet, dass der Morgen bereits dämmerte.

    Mit einem letzten Blick auf die vor ihr liegenden Bruchstücke beschloss sie, die Arbeit vorerst ruhen zu lassen, da sie in ihrem übermüdeten Zustand nicht mehr in der Lage war, hesindegefällig zu denken. Darüber hinaus meldete sich ihr Magen mit einem mächtigen Grollen, das sie über den Zeitpunkt ihrer letzten Mahlzeit nachdenken ließ. Da sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, wann das gewesen war, beschloss sie, sich etwas zu essen zu besorgen, ehe sie sich für ein paar Stunden in ihrer Kajüte schlafen legen würde.

    Es war für sie ein recht gewöhnlicher Rhythmus, in der Nacht zu arbeiten, am Morgen warm zu speisen und sich dann zur Ruhe zu begeben. Bevor sie aufbrach, spritzte sie sich ein paar Handvoll kühles Wasser ins Gesicht, was zumindest die ärgste Müdigkeit vertrieb.

    Wie immer, wenn sie zu Tisch ging, klemmte sie sich einen Stapel Bücher unter den Arm, denn sie wusste nie, wann ihr ein verfolgenswerter Gedanke kam und sie das eine oder andere nachschlagen musste. Um kein größeres Risiko einzugehen, nahm sie lieber mehr Bücher mit als zu wenige – man konnte ja nie wissen.

    Die Rufe der tiefkreisenden Möwen begrüßten sie, als sie über das Deck der kleinen Nussschale schwankte, die ihr im vergangenen Götterlauf als Heim gedient hatte. Der salzige Geruch der sanften Meeresbrise lag gemeinsam mit dem Duft nach geräuchertem Fisch in der Luft und weckte vertraute Gefühle. Sie hatte ihr ganzes Leben am Meer verbracht und fühlte sich an den Küsten Aventuriens heimisch. Sie mochte die ungezügelte Naturgewalt der sich brechenden Wellen. Die Brandung hatte für sie schon immer eine romantische Wildheit inne, die Ancalita sich nicht bis ins Letzte erklären konnte und wollte. Auch für sie gab es Bereiche auf Dere, die existieren durften, ganz ohne wissenschaftliche Herleitungen und Analysen. Das sich an den Küsten des Alten Reiches aufbäumende Meer der Sieben Winde gehörte zu solchen natürlichen Phänomenen.

    Mit vorsichtigen Schritten überquerte sie die schmale Planke, die ihr Hausboot mit dem Hauptsteg verband. Der Wind wehte ihr durchs lockige Haar und vertrieb die Schmerzen aus ihrem Kopf.

    Ihr momentanes Zuhause lag inmitten eines unübersichtlichen Labyrinths aus weiteren Booten unterschiedlichster Machart und Größe vertäut. In diesem heillosen Chaos aus Planken, Stegen, Booten und Segeltuchplanen war es ihr auch nach dieser langen Zeit, die sie bereits in Enqui verweilte, unmöglich, alle Wege zu kennen. Immer wieder verlief sie sich in dem Gewirr aus kleinen Schiffen, Beibooten und Flößen. Manchmal vermutete sie, dass die Segler und Ruderboote absichtlich ihre Position tauschten, nur um sie zu verwirren. Vergangene Woche hatte sie eine geschlagene Stunde gebraucht, um ihr Hausboot wiederzufinden. Seitdem versuchte sie, sich an den breiteren Hauptstegen zu orientieren und tunlichst die kleineren Planken zu meiden. Diese Bereiche waren darüber hinaus nicht ganz ungefährlich, und man sollte sie gerade zur nächtlichen Stunde umgehen, wie sie schmerzhaft hatte feststellen müssen. Im vergangenen Jahr war sie ganze fünf Mal ausgeraubt worden, als sie zu später Stunde heimkehren wollte.

    Sie konnte es sich nicht leisten, in den Stadtteil Svellttor zu ziehen, sondern musste weiterhin im Viertel Fischerstadt verweilen, da ihre knappe Geldkatze nicht mehr zuließ. Aber sie war vorsichtiger geworden und machte inzwischen einen großen Bogen um die dunklen Ecken der Pfahlbauten und Seilbrücken, die sich über den Svellt spannten. Sie hatte mehrmals bei den thorwalschen Herrschern vorgesprochen und sich über die mangelnde Sicherheit in der Stadt beschwert, geändert jedoch hatte sich nichts.

    In den frühen Morgenstunden des Wassertages oder auch Hjaldisdags, wie die thorwalschen Besatzer Enquis sagten, waren nur wenige Einwohner auf den Straßen der Hafenstadt zu sehen. Ancalita wandte ihre Schritte Richtung Efferd den Irrlichterhügel hinauf, denn dort im ehemaligen Fürstenpalast gab es in der Taverne Rettungsanker den besten Prembutt ganz Enquis. Häufig suchte sie das raue Etablissement auf, um dort zu speisen. Doch auch nach dem wahrscheinlich hundertsten Besuch fand sie das Gefühl befremdlich, in eine Schänke einzukehren, die einst Teil des herrschaftlichen Palastes gewesen war.

    Der Rettungsanker war in einem Flügel der ehemaligen Festung der vergangenen Herrscher der Stadt untergebracht. Vor zwanzig Jahren hatten die Thorwaler unter Führung der Hetfrau Ingibjara Hjaldasdottir diese Hochburg des Walfangs überfallen, um die in ihren Augen gotteslästerlichen Taten zu stoppen. Walfang war in ganz Thorwal unter schwerster Strafe

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