Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Vermächtnis der Sünder Trilogie: Das Spiel der falschen Prophetin
Vermächtnis der Sünder Trilogie: Das Spiel der falschen Prophetin
Vermächtnis der Sünder Trilogie: Das Spiel der falschen Prophetin
eBook362 Seiten4 Stunden

Vermächtnis der Sünder Trilogie: Das Spiel der falschen Prophetin

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die San-Hüter nennen sie die Kinder des Einen. Die Anhänger Karmastes nennen diese schlicht und einfach den Feind. Und beide Seiten planen ihre Vernichtung. Gehütet von Lügen in den Schriften darf die Wahrheit nicht an das Tageslicht kommen.

Celena und Lutek beschreiten nach Antwort suchend einen Pfad, der von Finsternis umwebt ist. Verrat bahnt sich aus allen Richtungen an. Unerwartet treten Todgeglaubte ihnen in den Weg. Von Ungemach der Lebenden genährt, steigt derweil Karmaste mit ihren Bestien aus den Tiefen empor. Sie ist der wandelnde Albtraum aller Lebenden. Tod und Hass beflügelt ihre Macht. Mit Intrigen, Mord und Krieg beginnt sie ihr Spiel.
Gejagt von allen hetzen die Kinder ihrer Bestimmung entgegen. Einzig ihre Begleiter,Jungkönig Belothar, der Lustmolch Kelthran und das zwergische Bierfass namens Thorgrim bleiben ihnen trotz aller Widrigkeiten treu. Jene, die einst ihre Feinde waren und nun zu Freunde werden, gesellen sich zu der Gruppe. Doch ein politischer Sturm, der an Belothars Thron reißt, treibt sie gemeinsam zurück in die Hauptstadt. Dort aber wartet Karmastes Springer auf den entscheidenden Spielzug.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Juli 2014
ISBN9783847667995
Vermächtnis der Sünder Trilogie: Das Spiel der falschen Prophetin

Mehr von Angelika Merkel lesen

Ähnlich wie Vermächtnis der Sünder Trilogie

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Vermächtnis der Sünder Trilogie

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Vermächtnis der Sünder Trilogie - Angelika Merkel

    Zweiter Brief

    Der Preis, der einem jeden San-Hüter auferlegt wurde, war hoch. Sehr hoch. Jeder, ob Mann oder Frau, ob Zwerg oder Elf, der dem Orden beitrat, den erwarteten ein verkürztes Leben und die Leere der Einsamkeit. Denn es war ihnen von da ab nicht vergönnt, eine Familie zu gründen.

    Celena und meine Wenigkeit, der ich König Hadaimans bin, gehörten zu ihnen.

    Es war allein dieses Wissen ihrer Zukunft, die Celena von Lutek trennte. Und es war ihre Liebe und ihr Wissen über Luteks Antworten auf seine Fragen, die sie wieder zusammenführten. Vieles war seitdem geschehen. Neue Fragen tauchten auf, die einem undurchdringlichen Urwald gleich, sich vor uns, die wir ihre Gefährten waren, ausbreiteten. Gefährliches Wissen durchströmte uns, ohne dass wir es richtig verstanden. Und doch standen wir zu diesen und setzten es ein. Letzten Endes führte es uns unserer Bestimmung näher. Ein Schicksal, das zu wählen uns freistand. Weit mehr, als man anderen in dieser Zeit zubilligte.

    Was den Assassinenmeister Tacio betraf, war ich mir zu dieser Zeit weiterhin nicht sicher, welche Rolle er in der ganzen Geschichte spielen mochte. Es sollte für eine ganze Weile im Dunkel bleiben. Auf den Kern der Wahrheit stießen wir viel später. Die Reise hatte ja gerade erst begonnen.

    Celena behielt ihr Ziel stets vor Augen, so verworren manche Ereignisse auch sein mochten. Es mag alltäglich klingen, wenn ich sage, dass es ihr um Freiheit ging. An erster Stelle standen ihr die, die ihr am nächsten waren. Sie hatte nicht im Sinn, jene in Knechtschaft der Leibeigenschaft oder diejenigen, die in geistiger Unfreiheit lebten, zu befreien. Ihnen zu helfen war eher ein Nebenprodukt dessen, nach ihrer eigener Erlösung zu suchen, sagte sie einmal. Ich wollte von ihr daraufhin wissen, warum sie nicht an die Bevölkerung dachte. Ihre Antwort war für mich anfänglich unverständlich. Dann aber begriff ich, als sie mir eine Gegenfrage als Argument lieferte. »Wie sollte sie anderen helfen, wenn sie nicht zuerst an sich und derer dachte, die ihr am Nächsten waren?«

    Die Tatsache war, man hatte ihr die Freiheit genommen zu entscheiden. Diese musste sie zunächst für sich zurückgewinnen. Allerdings blieb das Wie vorerst offen. Denn zu jenem Zeitpunkt war noch kein Weg als gangbar gefunden. Es benötigte Zeit. In das Geheimnis des dunkeln, hinter dem unser aller Schicksale lag, vorzudringen, hieß, die Gewissheiten, das sichere Leben und die Bequemlichkeit der Stabilität, die daraus folgte, zurückzulassen. Celena war es, die in ihrer Hartnäckigkeit genau diese Entscheidung traf. Der Entschluss, sich gegen die aufgezwungene Bestimmung als San-Hüter zu wenden, änderte alles. Sie hatte den Jahrhunderte andauernden Stillstand von Trägheit einen Schups gegeben und uns einen Weg zur Veränderung aufgezeigt. Selten ergab sich für uns die Gelegenheit, die Tatsachen zu verdauen, die sich von nun an offenbarten. Sie zu akzeptieren war schwer. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwarten würde.

    Die Geschichten, die wir bis dahin als selbstverständliche Wahrheiten gehalten haben, waren von nun ab Geschichten, die man Kindern vor dem Einschlafen erzählte. Denn die Wunder der alten Welt warteten geduldig auf uns, aber wir mussten um diese kämpfen. Die Gegner entpuppten sich als jene, welche wir für unsere Freunde gehalten hatten. Doch wir fanden Hilfe vonseiten derer, von denen wir es nicht erwarteten.

    Wer bist du? Was willst du? Wo gehst du hin? Dies hatte Tacio und Terzios ihr oft gestellt. Und es kam der Tag, da wir verstanden, weshalb sie gefragt hatten.

    Ein Fluch gegen einen Fluch einzutauschen, war nicht das, was wir erwartet hatten. Nun gewährte man uns im Gegensatz zum vorhergehenden kurzen Leben ein langes. War dies besser? War es schlechter? Ich bin mir noch heute nicht im Klaren, ob man sich darüber freuen soll. Die mir und Celenas zugestandene Zeit als San-Hüter war von nun ab Vergangenheit und wir erfreuten uns bester Gesundheit. Selbst die furchtbaren Träume, die jedem des Ordens um den Schlaf brachten, plagten uns nicht mehr. Nichts davon war mehr vorhanden. Dafür gewannen wir Jugend, Sorglosigkeit und Lebensfreude. Das Wahrhafte aber lag weiterhin verborgen im Dunkeln, zumindest ein Teil davon.

    Was würde sein, wenn wir erkennen müssen, dass niemand aus purem Zufall an dem Ort ist, an dem er sich befindet? Das Schicksal ist es, welches uns den Weg weist. Es drängt uns innerlich, das zu tun, wozu wir bedacht wurden und gelangen an die Orte, die uns zugedacht. Letztendlich ist es der freie Wille zu entscheiden auf was wir hören und welchen Weg wir einschlagen. Kurios nicht wahr? Schicksal und Freier Wille sind eng miteinander verbunden. Es ist wahrlich eine schwere Herausforderung, diese Verbindung zu finden und den richtigen Weg zu wählen.

    Selbst in mir kommt die Frage auf: Haben meine Freunde und ich richtig gewählt?

    Celena hatte sich für Lutek entschieden. Und sie beide waren, wie wir herausgefunden hatten, zwei der Kinder des Einen. Wer die anderen waren, sollte für uns noch zur großen Überraschung werden.

    König Belothar von Hadaiman

    Kapitel 2

    Deirdre schloss für einen kurzen Moment die Lider. Die Explosion ihrer kleinen Überraschung hatte sie geblendet. Neugierig, wie sich ihre Erfindung auswirkte, öffnete sie blinzelnd die Augen.

    Wie erhofft lag das Drachenwesen lang gestreckt im blutdurchtränkten Schnee. Nicht weit von diesem entfernt sah sie weitere tote graue Leiber von dessen Artgenossen. Ebenfalls vergangen durch ihr außerordentlich effektives Geschenk. Ihr stolzes Lächeln verflog schlagartig, als sie die leeren menschlichen Hüllen tapferer San-Hüter daneben erblickte.

    Was die Magierin weitaus mehr irritierte, waren die verbliebenen fliegenden Ungeheuer, die abgelenkt wirkten. Ihre knöchernen Schädel richteten sich zu einem Flecken, der vermutlich außerhalb des Zentrums des Ortes lag. Wie gepeinigt neigten sie in diesem Moment die Köpfe.

    Einzig die drachenartigen Wesen hörten etwas, das sie dazu veranlasste sich von ihnen abzuwenden. Und dann gewahr Deirdre donnerndes Getrappel, das selbst weit entfernte Äste von Tannen zum Erzittern brachte. Celena, die Tochter der Tousards stürmte auf ihrem Rappen in ihre Richtung. Hinter ihr folgte eine Rotte von tobenden und schnaufenden Derkoys. Mit einem Blick erfasste die Magierin die Lage.

    Sebyll lag weiterhin bewusstlos unter dem Baum und konnte ihr nicht beistehen. Der Hund, der zu einem riesigen weißen Schattenwolf mutierte, verstrickte sich in einem verbitterten Kampf mit zwei der Drachenwesen. Und die verbliebenen lebenden San-Hüter verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen.

    Sie durfte nicht mehr zögern. Jedes weitere Zaudern konnte tödlich verlaufen, auch wenn das Gezücht weiterhin abgelenkt schien. Sie nahm ein paar ihrer explosiven Wurfgeschosse und ließ sie in die Taschen ihres Umhangs verschwinden.

    Ihre rechte Hand reckte sich dem am nächsten stehenden Derkoy entgegen. Eine feurige Säule stob dem fliegenden Ungeheuer entgegen. Es schreckte das verdorbene Tier mehr ab, als dass das Feuer seine graulederne Haut anschmorte. Es genügte jedoch, der heran preschenten Reiterin ein Signal zu geben.

    Knapp unter den fauchenden Schlägen und zischenden Peitschenhieben der Drachenschwänze wegduckend, stürmte die junge Kriegerin längsseits zu Deirdre. Ihre Hand fuhr hinab. Sie packte den Arm der Zauberin und schwang sie mit aller Kraft hinter sich auf das Flammenross.

    Während des hektischen Ritts machte Deirdre die Verfolger aus, die zunächst nur zu zweit, dann zu dritt und schließlich gar zu fünft ihnen hinter jagten. Mit steifen Fingern und ungelenkt aufgrund der Erschütterungen des hastigen Galopps, fischte die Magierin nach einen ihren neuartigen Explosivgeschosse.

    »Das ist es«, sprach sie bestimmt.

    »Was immer ihr vorhabt, handelt rasch«, bellte Celena vor ihr, worauf sich die Zauberin zu einem feinen Lächeln durchrang. Das Lächeln erstarb augenblicklich, als sie des grünlich schimmernden Schwertes ansichtig wurde. Jenem Schwert, geschmiedet aus dem Stein eines gefallenen Sterns. Ein Zaudern erfasste sie, dass wie ein Bann auf ihr lag und sie nicht mehr losließ. »Das Schwert aus Stein«, wisperte sie.

    »Was?« keuchte Celena, während das Flammenpferd tiefer in den Wald hinein galoppierte.

    Ungebremst in seiner Geschwindigkeit sprintete Feuerwind zwischen den mächtigen, rindenbewehrten Riesen der Pflanzenwelt hindurch. Sicher sprang das Tier über Stock und Stein, umgestürzter Bäume und Vertiefungen des Bodens.

    Wie eine vielhäuptige, sündige Schlange, bestehend aus unseligen Abkömmlingen einstmals stolzer Wesen, schlängelten sich die Derkoys durch den Forst hinter das schnelle Pferd her. Sie zermalmten im Wege stehende Bäume, fegten Äste hinfort und zerrieben Steine unter ihren Klauen zu Staub.

    Aus dem Bann des Schwertes befreit, warf Deirdre endlich eine ihrer neuen Zauberkugeln hinter sich und harrte dessen Wirkung.

    Es ließ nicht lange auf sich warten. Die Detonation zersplitterte jahrhundertlang gewachsenes Holz und zeriss die Hydragleiche Meute. Drei von den Verfolgern überlebten die Explosion. Verletzt durch die ins Fleisch getriebenen Holzsplitter, hielt es sie nicht davon ab, umso zorniger hinter ihrer Beute herzujagen. Rasend vor unbändiger Wut teilten sich die übrig gebliebenen Bestien auf und flankierten Feuerwind.

    Das Ross des Feuers wieherte verängstigt auf. Es ahnte wohl, das es als einen kleinen Happen im Magen der Bestien enden könnte, nachdem die Zauberin mit ihren beiden letzten Wurfgeschossen ihr Ziel verfehlte.

    Als Celena die Himmelsschneide zog, wisperte Deirdre kurzerhand drei Worte der Schneide entgegen. Unmerklich blitzte die Klinge auf, bevor sie von der Hand der Kriegerin geführt, klaffende Wunden in dem nebenherlaufenden Ungetüm schlug. Die wütenden Hiebe Celenas brachten eines der Drachenwesen zu Fall.

    »Nehmt die Zügel«, kreischte die Kriegerin hinter sich, bevor sie während des rasenden Galopps von dem Pferd auf das zweite Drachengezücht hinübersprang. Die Spitze ihrer scharfen Schneide versank in den Nacken des Ungetüms, sobald Celena auf dessen Rücken aufkam. Schmerz aufbrüllend verlangsamte es seinen Lauf, stolperte und stürzte mitsamt seiner unfreiwilligen Last zu Boden.

    Deirdre befahl dem Feuerross, einige Schritte weiter stehen zu bleiben. Mit Entsetzen in den Augen sah sie gerade, wie Celena sich das Blut des Derkoys vom Mund abwischte, welches sich über sie ergossen hatte.

    * * *

    Belothar wich all sein Witz und sämtliche dumme Sprüche, die in seinem Hirn lagerten, als er Lutek bewegungslos im Schnee liegen sah. Sein Schild entglitt ihm aus der Armschlaufe und fiel zu Boden, indes seine Klinge matt in der rechten Hand hing.

    Er fühlte sich in diesem Moment wahrlich nicht als Sieger. Es war eher, als habe man ihm einen Dolch zwischen seine Rippen gebohrt. Sieg konnte man es nicht nennen, mehr eine schlappe Niederlage, die er sobald nicht verkraften konnte.

    Mit einem leisen Aufschrei stürzte er zu dem am Boden liegenden hin. Er kniete sich nieder und drehte den fuchsrot behaarten um.

    Panik machte sich in ihm breit, als er das kalkweiße Gesicht gewahrte. In flachen Stößen drohte Lutek sein Leben auszuhauchen.

    »Nein! … nein!«, brüllte der Jungkönig und blickte Hilfe suchend zu den Näherkommenden.

    Lutek durfte nicht sterben. Er war für ihn nicht mehr als ein Kampfgefährte, doch er war der Geliebte der Frau, welcher sein Herz gehörte. Er durfte nicht einfach dahingehen. Nicht weil er der Sohn des göttlichen Schöpfers selbst war, sondern weil er ebenso für Celena wichtig war.

    »Verdammt! Kann denn niemand etwas tun? Er stirbt!«

    Belothar blickte zu den anderen auf. Bestürzung darüber konnte man in ihrer aller Gesichter erkennen. Einzig Jeamy schüttelte ihre Starre ab. Das Grauen flackerte in ihren Augen, als sie sich neben Belothar hinkniete.

    Sie schüttelte ihr Haupt und ihre Stimme schwankte.

    »Es geht mit ihm zu Ende, wenn …« Sie sprang hoch und wirbelte zu Terzios herum, dessen bärtiges Antlitz eine ungewöhnliche Härte aufwies. Furcht und Sorge um das Leben seines Sohnes zerfurchten seine Stirn. Er ließ sich schweigend zu ihm nieder und legte seine Hände auf die Brust des jungen Mannes.

    »Ich kann das Unvermeidliche nur hinauszögern«, krächzte er mit einem zögerlichen Kopfschütteln.

    »Ihr müsst … ihr müsst es versuchen!«, erwiderte Jeamy.

    Die rechte Hand weiterhin auf den Körper seines Sohnes liegend, strich sich Terzios mit der anderen müde über sein Gesicht. In seinen trüben Augen flackerten erschütternde Erkenntnis und verbitterte Verzweiflung, während er murmelnd Worte von sich gab. Er schloss seine Lider. Nach einiger Zeit der Stille und Ungewissheit stand er ruckartig auf.

    »Der Geist Wilnas ist ein wertvoller Gefährte. Er kann jedoch nur die Glut eines Lebensfunken anhauchen und den Glauben an das Leben zurückgeben. Doch Leben schenken vermag er nicht und es liegt auch nicht in meiner Macht.« In Terzios Augen glomm Traurigkeit, ja gar Resignation auf. »Einzig und allein … einzig eine Formel kann helfen. Die Formel der Schöpfung.«

    »Formel von was? Was soll das heißen?« Belothars Stimme schien sich überschlagen zu wollen. »Hier liegt euer Sohn im Sterben und ihr könnt nichts dagegen unternehmen?«

    »Majestät, manchmal ist der offensichtliche Weg nicht unbedingt der Förderlichste.«

    Weise Worte, die ihm in diesem Moment nicht nützten, dachte sich der Jungkönig. Er schaute auf Lutek, den er in seinen Armen hielt. Der Rothaarige schien von Augenblick zu Augenblick kraftloser.

    * * *

    Wie Feuer brannte das warme Blut, welches ihr in den Mund gespritzt war, auf der Zunge. Sich in Erinnerung rufend, was dem jungen Soldaten in den unterirdischen Gängen des Tempels widerfuhr, wischte sich Celena erschrocken mit dem Handrücken über den Mund. Das brennende Gefühl verschwand einen Lidschlag später. Dafür schmeckte sie fahlen metallischen Geschmack des verdorbenen Blutes. Wie erstarrt stand sie und wartete auf das unsagbar schmerzliche Ende ihres Lebens. Nichts geschah. Das Derkoyblut hatte keine Wirkung bei ihr. Sich darüber bewusst werdend, streckte sie entschlossen die blitzende Klinge dem einzig verbliebenen Flugwesen entgegen, das sie wütend angrunzte.

    Ihr dunkles langes Haar flatterte im Wind, der durch die entstandene Schneise hindurch wehte. Eine verirrte Schneeflocke landete auf dem Schwert aus Sternenerz.

    Der Koloss, dem sie rittlings ihr Schwert in den Nacken getrieben hatte, hauchte mit einem gurgelnden Laut aus seiner Kehle endgültig seinen letzten Atemzug aus. Kurz schielte sie auf das nun leblose Tier neben sich, während sie ihre beinahe ebenmäßigen Lippen zu einem Strich zusammenpresste. »Was bist du?«, knurrte sie dem lebenden Flugtier zu. Vor ihr, getrennt von einem halb geborstenen Stamm einer eben noch himmelshohen Tanne fauchte das letzte Ungeheuer als Antwort erneut auf. Es stampfte hin und her, als wollte es eine Schwachstelle seiner Gegnerin ausmachen.

    Celena blickte entlang der gleißenden Schneide dem Feind entgegen, welcher plötzlich aufzuglimmen begann. Sein Leuchten tauchte den umgebenden Wald in einen grünbräunlichen Farbton. Die Kriegerin erinnerte sich an die Worte Luteks, die dieser in den Tunneln des Tempels ausgerufen hatte. »Ich stehe hier als die rechte Hand der Vergeltung.« Das hatte er laut ausgesprochen. Gleich darauf überkam ihr die Erkenntnis dieser Worte. Es war das kurze Aufflackern uralten Wissens aus längst vergangener Zeit.

    All die Wege, die durch die Dunkelheit und Schatten glitten. All die Pfade, die tiefer und tiefer in das Herz von verderbter Finsternis hinab stießen. All das konnte ebenso in das Licht des Tages hinein führen.

    Die Sonne hatte sie niemals wirklich gesehen. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihre warmen Strahlen tatsächlich auf ihrer Haut genossen. Denn diese verbarg sich hinter dickflüssigem Nebel des Verfalls.

    Die Sterne aber leuchteten. Wie jetzt, da sie sich schimmernd auf der Schneide des Schwertes widerspiegelten.

    Laut lachte die junge Tousard auf. Sie begriff.

    Er war niemals weg gewesen. Der Höchste der Götter hatte seine Augen stets besorgt auf die Seinen gerichtet. Die Sterne. Und jener Himmel über ihr war voller Sterne. Doch wenn die Sonne von den trüben Schlieren des Wahnsinns verhüllt war, wieso leuchteten die Sterne weiterhin? Er. Er hatte den Vorhang des Verfalls geöffnet, um seine Botschaft zu senden. Aber niemand hörte ihm zu oder sah hinauf. Mit Ausnahme von Lutek. Er hatte zu Estrellia und Afalach, dem Stern und seinen Soldaten hinaufgeblickt.

    In diesem Moment wusste Celena, dass sie das Richtige tat.

    »Ich bin der Spross des Schöpfers«, brüllte sie dem Flugmonster entgegen. »Ich bin dein Untergang. Deine Vernichtung!«

    Kein Schritt wollte sie weichen. Keinen Fingerbreit Boden wollte sie diesen Unseligen überlassen. Denn dies war das Land ihrer Väter. Jene Urahnen, die das Grauen über sie brachten, als sie das Nest dieser Wesen aufstöberten. Daher musste dieses Ding vor ihr durch ihre Hand ausgelöscht werden.

    Der Derkoy schien ihre Gedanken zu erraten. Augenblicklich sprang das noch junge Tier, welches sie um ein zweifaches überragte, auf sie zu. Celena wich einige Schritte zurück, während die Himmelschneide das Monstrum streifte. Dem geifernden Maul entkam sie um Haaresbreite. Rasch wandte sie sich dem Drachenwesen wieder zu.

    Alle vier Beine versteift, versuchte es seinen Lauf abzubremsen und schlitterte durch den tiefen Schnee. Nicht weit von ihr entfernt kam es zum Stillstand. Aus der tiefen Einritzung seiner Flanke quollen dicke Blutstropfen in den weißen Untergrund. Fauchend drehte es sich zu ihr um. Heißer Atem brodelte der jungen Kriegerin entgegen.

    Während sie versuchte, der Hitze auszuweichen, hatte das halbwüchsige Wesen den Abstand verringert. Das einsetzende Schnappen, des mit scharfen Zähnen besetzten Maules konnte sie mit dem Schwert abwehren. Mit einem weiteren Streich der Klinge bescherte sie dem Wesen einen zweiten tiefen Schnitt in das graue Fleisch. Der Derkoy schwang wutentbrannt seinen Kopf zu ihr herum. Diesmal war es ihr nicht möglich, auszuweichen. Der harte Schädel rammte gegen ihren Brustkorb, sodass der jungen Frau augenblicklich die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Celena taumelte nach Atem schnappend gegen den Stamm hinter sich. Erneut schmeckte sie Blut. Es war ihr Eigenes, welches ihr Mund füllte. Gleichzeitig fühlte sie Schwäche. Nicht die Wucht des Schlages war es, die sie kraftlos wirken ließ. Etwas anderes griff nach ihrer Stärke.

    Benommen schüttelte sie den Kopf.

    Es durfte nicht sein. Sie hatte den Erzgott, einen jenen der alten Urgötter, die sich dem Bösen verschrieben hatten, erschlagen. Dieser niedere Abkömmling sollte nicht ihr Tod sein. Schon gar nicht als Kind des Schöpfergottes. Nicht hier und nicht jetzt.

    Mit äußerster Willenskraft erhob sich die Adelstochter. Zittrig in den Knien stand sie schwächelnd auf den Beinen, die Himmelsschneide in ihrer Rechten. Aus ihrem Mundwinkel tröpfelte Blut. Entschlossen zu siegen, spuckte sie den roten Lebenssaft aus und zog endgültig ihr zweites Schwert. Ihre Muskeln drohten zu versagen, als sie beide Klingen keuchend anhob.

    »Mit Zorn erhebe ich die Hand, denn mein ist die Macht, die vernichtet«, murmelte sie.

    Kaum beendete sie ihre Worte, griff das Drachenwesen erneut an.

    Deirdre, die in sicherer Entfernung auf Feuerwind saß, stockte der Atem. Nicht wie erwartet wich Celena dem Untier aus. Im Gegenteil, sie stemmte ihren Fuß gegen den Stamm hinter sich und stieß sich mit all ihr verbliebener Kraft ab.

    Der faulig riechende Atem des Monsters, welcher es siegesgewiss aufriss, stieg der Kriegerin in die Nase. Ihre beiden Schwerter von sich gestreckt schoss sie auf den Derkoy zu. Sie verfehlte die Kehle, doch schaffte sie es, in ihrer Entschlossenheit einer der Vorderklauen abzutrennen. Aufbrüllend vor Schmerz suchte das junge Gezücht humpelnd den sicheren Abstand.

    Durch die Energie ihres Absprungs rollte Celena durch das rotgesprenkelte Weiß des Winters. Die eine Klingenspitze gegen das Flugtier gerichtet, federte sie mit dem anderen Schwert ihren Schwung ab. Hockend, ein Knie auf den gefrorenen Boden abgestützt, kam sie zum Stillstand. Verbissen beobachtete sie ihren Kontrahenten, der von Schmerz gepeinigt zornig einen neuen Angriff anstrebte.

    Ein schrilles Pfeifen hielt es davon ab. Unentschlossen blickte das Ungetüm zu Celena und dann in Richtung des Rufes. Ein zweites lang gezogenes Pfeifen brachte es zur Besinnung. Knurrend und fauchend zog sich der Derkoy humpelnd zurück.

    »Genau! Lauf schnell zu deinem Meister, bevor ich …«, keuchte sie Blut spuckend hinterher. Ein stechender Schmerz in Rippenhöhe ließ die Kriegerin aufstöhnen. Die eine Klinge fallen lassend, presste sie ihre Hand in die Seite. Entkräftet sackte die Adelige in sich zusammen.

    * * *

    Dünne Rauchfahnen stiegen von eingeäscherten Hausruinen in die frostige Luft empor. Das halbe Dorf lag unter verkohlten Balken, dazwischen verstümmelte, leblose Körper. Roter gefrorener Lebenssaft der getöteten vermengte sich mit dem Weiß des Schnees zu einem rosafarbenen aufgeweichten Untergrund. Nur das Blut der erschlagenen Derkoys wurde schwärzlich und hinterließ mattdunkle Flecken.

    Nervös tänzelnd schritt der Rappe mit seiner doppelten Last zwischen den qualmenden und blutigen Überresten in Richtung des Zentrums der Ortschaft. Sie steuerten direkt auf den Pulk von Überlebenden zu, in deren Mitte Deirdre den Jungkönig erblickte. Er saß am Boden und hielt einen Mann in seinen Armen.

    Kaum kam Feuerwind zum Stillstand, rutschte Celena mit verklärtem Gesicht und verschwommenen Blick zur Seite. Die von eisiger Luft steifen Finger der Zauberin fanden keinen Halt, den Sturz der Kriegerin abzufangen. Hart schlug Celena auf der eisverkrusteten Erde auf.

    Kräftige Männerhände schoben sich unter ihre Achseln und wuchteten die Frau in die Höhe. Sie fühlte den starken Griff, der sie aufrecht hielt. Ihr Blick schärfte sich zunehmend. Da erst sah sie, wen Belothar in seinen Armen hielt. Unfassbar richteten sich ihre Augen auf den am Boden liegenden und ihr Herz schien plötzlich im Gleichtakt mit Luteks Herz zu schlagen. Jeder weitere Schlag wurde kraftloser. Sie spürte, wie das Leben aus dem Körper ihres Geliebten entwich und mit ihm auch das ihre. Ihre plötzliche Schwäche beim Kampf mit dem Derkoy hatte mit dem zu tun, was hier vor sich ging. Langsam verstehend kroch die Erkenntnis durch den nebelumhangenen Verstand.

    Ein Schwächeanfall brachte ihren Leib zum Erzittern. Es verursachte einen pulsierende Pein, ausgelöst durch die gebrochenen Rippen. Schwer atmend, den Mund halb geöffnet, tropfte frisches hellrotes Blut heraus.

    Kaum ihres Verstandes mächtig wollte sie vorwärtsgehen. Doch anstatt voranzuschreiten, taumelte sie, obwohl von Händen gestützt, einen Schritt zurück. Im selben Moment, da sie sich entfernte, schwand ihre Kraft zunehmend.

    »Ihr müsst zu ihm! Geht zu ihm!« vernahm sie dumpf die Stimme der freien Magierin. »Er stirbt! Und ihr mit ihm, wenn ihr nicht zu ihm geht.«

    So sehr sie sich bemühte, dieser Stimme zu folgen, sie schaffte es nicht. Eine unsichtbare Macht drückte sie hinunter, ließ sie nicht mehr aufstehen. Das Gewicht ihrer Rüstung wurde schwerer und schwerer, zog sie unerbittlich hinab. Celena sank in die Knie.

    Irgendwo in der klirrenden Kälte vor ihr spürte sie flüchtig einen warmen Hauch, der sie anzog. Es war ein Sog, ein Zerren einer unsichtbaren Hand, welche sie bewog, nicht aufzugeben. Sie stierte ins Leere, dorthin wo sie die geisterhafte Hand sah und versuchte sich aufzurichten. Der Versuch misslang.

    »Gebt nicht auf!«, flüsterte es in ihr. War es ihre eigene innere Stimme? Oder war es beginnende Halluzination?

    Rasender Schmerz holte sie aus ihren verschwommenen Gedanken. Stöhnend begann sie, zu kriechen. Ihre Finger krallten sich durch den Schnee in den harten Boden. Mit größter Kraftanstrengung zog sie sich vorwärts. Entrückt, ohne zu wissen warum, wehrte sie jegliche Hilfe der Umstehenden ab. Dabei hörte sie dumpf Deirdres Stimme, die irgendwelche uralten Worte summte. Vor ihren geistigen Augen stieg Nebel auf. Milchige Schwaden durchzogen von altvorderen Magie, beschrieben augenblicklich eine Gasse, die zu Lutek führte.

    Der schon zuvor unerträgliche Schmerz in ihrer Seite wurde heftiger. Doch er war anders. Es war nicht der Pein, der ein Entrücken aus der weltlichen Sphäre verursachte. Vielmehr schienen sich ihre gebrochenen Rippen eigenständig zu bewegen und sich selbst zu heilen. Mit jedem Stück Boden, den sie auf den Weg zu ihrem Gefährten eroberte, richtete sich ein weiterer Knochen in ihr. Das Pulsieren des Lebensmuskels wurde augenblicklich kräftiger. Ihre Sinne klärten sich und ihr Körper gehorchte ihren Befehlen. Sie stemmte sich auf die Knie. Das anfängliche Schwindelgefühl ignorierend taumelte sie auf die Füße.

    Mit ihrem ersten Schritt nach vorne vernahm sie vor sich einen lauten Seufzer. Lutek krümmte sich in den Armen Belothars. Gleichwohl formte sich ein Bild in Celenas Bewusstsein.

    Lutek lehnte im Türrahmen eines Hauses und lächelte ihr zu. Sie hauchte ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange, bevor sie die häusliche Wohnstatt betrat, in der ihr erwartungsvolles Lachen entgegenströmte.

    Ein befreiender Schrei holte sie aus dem Bildnis in das Hier und Jetzt zurück. Lutek hatte ihn ausgestoßen. Mit jedem weiteren Schritt, den sie auf ihren Liebsten zu trat, strömte ihre Stärke zurück. Und je näher sie ihm kam, umso kräftiger wurde auch ihr Gefährte. Atemlos blieb sie vor ihm stehen. Wie von tagelanger Anstrengung ermüdet, sackte sie neben ihm zu Boden. Ihre Augen hefteten sich in die Seinen, der sie blinzelnd anblickte. Unbeholfen schälte sich Lutek aus der Umarmung des Königs, setzte sich auf und rutsche nahe zu Celena hin.

    Von alldem erschöpft, fühlte sich die junge Frau plötzlich leer und schläfrig. Sie spürte, wie der Rotschopf unter ihre Schultern griff, sie ein wenig anhob und ihr Haupt in die Beuge seines Armes legte.

    Seine zärtlichen Worte hörte sie nicht mehr. Nur schwarze, traumlose Leere umhüllte sie. Mitten in der Dunkelheit aber leuchtete ein kleines Licht. Eine leuchtende Knospe, die sich die Finsternis gebar und sie hatte es dort gepflanzt.

    * * *

    Dieses Schachspiel vor ihr war nicht nur ein schwarz-weiß kariertes Brett. Es war mehr! Es war das Universum. Seine Ansammlung von Regeln, erzählten Geschichten. Man musste nur den Weg der Züge zurückverfolgen. Und stets sollte man auf die Erzählungen hören, denn nur ein Narr würde sie ignorieren.

    Unbeeindruckt stierte sie darauf.

    Ihr Bluthund leistete gute Arbeit, denn seine Verblendung war ein machtvoller Quell, der ihr zu Diensten war. Trotzdem mangelte es all diesen Figuren an Regeln und Zügen. Ja, es mangelte ihnen an der Gunst dessen, was man Schicksal zu nennen pflegte.

    Nicht die Figur hatte den Willen dazu, sondern der Spieler, der die Steine bewegte. Und auch dieser mochte hinter dem gigantischen Brett, welches die Welt darstellte, von Zeit zu Zeit wechseln. Mal bewegte der eine seine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1