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Kartographie des Inneren
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eBook117 Seiten1 Stunde

Kartographie des Inneren

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Über dieses E-Book

Kartographie des Inneren ist eine schreckenerregende, nach innen gewandte Geschichte von Stephen Graham Jones, die Paul Tremblay als »emotional roh, verstörend, gruselig und brillant« bezeichnet.
Blackfeet-Autor Stephen Graham Jones bietet seinen Lesern eine packende Horror-Geschichte über Amerikanische Ureinwohner.
Eines Nachts sieht ein Fünfzehnjähriger eine Gestalt. Sie erinnert ihn an seinen längst verstorbenen Vater, der auf mysteriöse Weise ums Leben kam, bevor seine Familie das Reservat verließ.
Als er der Gestalt durch das Haus folgt, entdeckt er, dass dieses größer ist, als ihm bewusst war. Es ist einer dieser Orte, in dem man sich verlieren kann und gleichzeitig Dinge findet, die man lieber nicht hätte finden sollen.
Im Laufe einiger Nächte versucht der Junge, sein Haus zu kartographieren, was seinen kleinen Bruder in Lebensgefahr bringt und ihn selbst gleichzeitig in die Lage, sie beide zu retten … zu einem schrecklichen Preis.
The New York Times: »Brillant.«
Richard Kadrey: »Stephen Graham Jones' schauriges Kartographie des Inneren ist wie eine verdrehte YA-Geschichte für Erwachsene, teils von S.E. Hinton, teils von Shirley Jackson. Es geht darum, jung und pleite zu sein, und um den Moment, in dem man sich zum ersten Mal fragt, wer seine Eltern wirklich sind. Die Antworten sind da draußen, aber sie werden dich für immer verfolgen.«
Paul Tremblay: »Stephen Graham Jones' Kartographie des Inneren ist ein Triumph. Emotional so roh, verstörend, gruselig und brillant. Sie werden nicht ungerührt sein. Sie werden nicht unberührt bleiben. Es ist eine Geistergeschichte im wahrsten, dunkelsten und melancholischsten Sinne. Stephen weiß, dass wir von unseren Eltern, unseren Familien und unserer gemeinsamen Vergangenheit ebenso heimgesucht werden wie von uns selbst; heimgesucht von dem, was wir waren, wer wir werden und wer wir hätten sein können.«
SpracheDeutsch
HerausgeberBuchheim Verlag
Erscheinungsdatum19. Dez. 2022
ISBN9783946330318
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    Buchvorschau

    Kartographie des Inneren - Stephen Graham Jones

    Ich war zwölf, als ich meinen toten Vater zum ersten Mal von der Küchentür in den Flur hinübergehen sah, der zur Waschküche führte.

    Soweit ich das später nachvollziehen konnte, war das um 2:49 Uhr morgens.

    Ich stand neben dem staubigen Vorhang, der vor das Wohnzimmerfenster gezogen war. Dass ich dort stand, war keine Absicht. Ich hatte nur meine Unterhose an. Es brannte kein Licht.

    Am ehesten würde ich vermuten, dass ich Augenblicke zuvor noch aus dem Vorderfenster in das Gestrüpp und das Nichts geschaut hatte, das sich vor unserem Haus ausbreitete. Der Grund dafür, dass ich das glaube, ist, dass ich den Geschmack von Staub im Rachen hatte und das Fenster mit einer feinen Staubschicht überzogen war. Wahrscheinlich. Ich hatte ihn durch die Nase eingeatmet, weil Schlafwandler zielorientiert sind, sich nicht mit Details oder Konsequenzen beschäftigen.

    Würden sich Schlafwandler um solche Sachen scheren, hätte ich wenigstens meine Turnhose angehabt und – hätte ich tatsächlich versucht, draußen etwas zu erkennen – sicher auch meine Brille getragen.

    Schlafwandeln heißt in Besitz genommen zu werden, ja, aber nicht so sehr von etwas Fremdem. Wovon du in Besitz genommen wirst, was deinen einen Fuß vor den anderen treibt, bist du selbst. Es ergibt keinen Sinn, aber ich glaube, dass es einem solchen Zwang letztendlich gar nicht unterliegt. Wenn überhaupt, sagt dir diese Inbesitznahme durch dich selbst, dass es da ein wahres Ich gibt, das sich tief in dir dreht und windet, den ganzen Tag versucht, an die Oberfläche zu kommen und hinauszuschauen. Aber das schafft es nur, wenn dein Widerstand geschwächt ist. Wenn du schläfst.

    Am nächsten Morgen – das war meine übliche Prozedur nach einer Nacht, in der ich völlig weggetreten herumgeschlurft war – fand ich mich draußen in der Sonne wieder, in das verkümmerte Gras und die festgestampfte Erde vertieft, fünfundzwanzig, dreißig Meter vom Vorderfenster entfernt. Mom war bei der Arbeit und mein kleiner Bruder Dino würde wie gebannt vor seinen Zeichentrickfilmen hocken, also war niemand da, der mich von der Veranda aus rief und mich fragte, was ich da eigentlich tat.

    Hätte ich eine Antwort darauf geben müssen, hätte ich gesagt, ich sei auf der Suche nach dem, was auch immer ich die ganze letzte Nacht gesucht hatte. Ich hoffte darauf, dass mein erwachendes Ich irgendeine regelmäßige Kontur in der verdichteten Erde entdeckte oder den Griff an einer vertrockneten alten Sperrholzklappe fand, die sich öffnen würde hin zu … was? Das war mir egal. Einfach irgendwas. Alles. Ein alter Vorrat Feuerwerkskörper, eine verscharrte Leiche, ein versiegelter Brunnen – es spielte keine Rolle.

    Der Tag, an dem ich etwas fand, würde bedeuten, dass meine nächtlichen Wanderungen einem Zweck dienten.

    Andernfalls hatte ich einfach einen Dachschaden, richtig? Andernfalls war ich bloß ein Spielzeug, das in der Nacht erwachte und gegen Wände knallte.

    An diesem nächsten Morgen förderten meine forschenden Finger allerdings nichts zutage, was irgendwie von Bedeutung gewesen wäre. Nur den üblichen Müll – kleine Glasfläschchen, ein paar Schrauben mit am Gewinde festgerosteten Muttern und Unterlegscheiben, ein Stück von einem Hundehalsband, außerdem das halb versunkene Rad eines Autos, das längst verschwunden war, oder das noch befestigte Rad eines Autos, das kopfüber vergraben war.

    Natürlich wünschte ich mir Letzteres, aber um diese Möglichkeit zuzulassen, musste ich dagegen ankämpfen, um die Ränder jenes Rades herum zu graben.

    Als ich mich zum Vorderfenster unseres Fertighauses umschaute, rechnete ich halb damit, wieder die Gestalt meines toten Vaters am Fenster stehen zu sehen. Wie er mich beobachtete.

    Doch das Fenster war bloß das Fenster und der Vorhang zugezogen, um die Hitze draußen zu halten, wie Mom sagte.

    Ich behielt es trotzdem im Auge.

    Dass ich aus einer Hauslänge Entfernung gewusst hätte, dass er es war, lag nicht daran, dass ich sein Gesicht oder seine Statur wiedererkannt hätte. Er war gestorben, als ich vier war und selbst fast an einer Lungenentzündung verreckt wäre; als Dino ein Jahr alt war und bei einer Tante wohnte, damit er sich nicht auch eine Lungenentzündung einfing, als Mom noch bloß eine Schicht arbeitete. So ziemlich alles, woran ich mich im Zusammenhang mit seinem Aussehen halten konnte, waren Schnappschüsse und ein, zwei verschwommene Erinnerungen.

    Nein, woran ich ihn in der Nacht zuvor erkannt hatte, als er von der Küchentür nach hinten zur Waschküche ging, das war seine Silhouette. Aus seinem Kreuz ragten Stacheln, die Oberseiten seiner Waden wölbten sich unnatürlich weit vor, und sein Kopf war überproportional groß und pendelte irgendwie hin und her, sodass er sich würde ducken müssen, um es in die Waschküche zu schaffen.

    Aber – trotz all dem, was er anhatte, machte er nicht das geringste Geräusch. Null Geraschel, wie man es normalerweise bei einem Fancy Dancer hört, wenn er drauf und dran ist loszulegen oder seinen Tanz gerade beendet hat.

    Der springende Punkt? Mein Vater hat nie getanzt. Er ging nicht zu den Powwows, um um Geld zu wetteifern. Eins der wenigen Dinge über ihn, an die ich mich erinnere, ist, dass er die Traditionalisten unten an der Wasserpumpe oder dem IGA-Supermarkt nicht »Ewiggestrige« nannte, wie einige behaupteten. Ihm gerieten die Worte im Mund immer durcheinander – Dino hat das auch –, sodass bei ihm »Rückzügler« herauskam.

    Mein Vater war weder ein Ewiggestriger noch ein Rückzügler. Er sprach die Sprache nicht, kannte die Legenden nicht und scherte sich nicht darum, dass er es nicht tat. Ein-, zweimal im Jahr meldete er sich freiwillig, um irgendeinen Brand zu löschen, der sich gerade abspielte, aber nicht um irgendwelches Land seiner Vorfahren zu beschützen. Es lag daran, dass sie einen mit diesen grünen Wollhosen ausrüsteten, wenn man sich meldete. Die verkaufte er im Herbst an die Jäger. Mom erzählte mir, dass er normalerweise einmal im Jahr in seinen Boxershorts nach Hause kam, einen klein gefalteten Zwanziger in der Hand, damit ihn ihm keiner von den Reservatshunden stibitzen konnte.

    Das ist mein Dad, so wie ich ihn kenne.

    Aber ein oder zwei Jahre nachdem er entweder ertrunken oder ertränkt worden war – es gibt Geschichten über beides, und jede ist schlüssig –, als wir noch im Reservat wohnten. Als seine Schwestern noch an manchen Tagen auf uns aufpassten, erzählten sie uns von Dad, wie er in unserem Alter gewesen war und seine Augen noch groß und voller Träume.

    Er habe sich total für Pfeil und Bogen und Stirnbänder begeistert, sagten sie, die Spielsachen aus dem Handelsposten. Ich stelle mir vor, dass man auf Sättel, Stiefel und Seile abfährt, wenn man in einem Cowboygebiet aufwächst. Wenn du im Indianerland aufwächst, sagt dir das Fernsehen, wie du ein Indianer wirst. Und das fängt mit Pfeil und Bogen und Stirnbändern an. Sie sind der aufregende Teil deines Erbes. Außerdem kannst du das Zeug jederzeit im Geschenkeladen finden.

    Damals saß Dad bei den Powwows immer auf der Tribüne, erzählten mir seine Schwestern – na ja, mir und Dino, aber Dino war ein, zwei Jahre alt, daher glaube ich, dass die Geschichten so ziemlich an ihm vorbeigegangen sind.

    Was mich angeht, hatte ich ihn sozusagen direkt vor Augen, meinen Dad, wie er jene Tänzer voller Aufmerksamkeit beobachtete, das Stirnband

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