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Die Reaper (Der Neuro Buch 3): LitRPG-Serie
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eBook385 Seiten4 Stunden

Die Reaper (Der Neuro Buch 3): LitRPG-Serie

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Über dieses E-Book

Alex und Enea sind zurück in der Kristallsphäre und müssen feststellen, dass es dort zu einer Katastrophe gekommen ist. Die Reaper haben die Kontrolle über die virtuelle Realität übernommen. Diese hybriden Identitäten, die sich aus hochleveligen NPCs entwickelt haben, töten menschliche Spieler und verschlingen deren Neurogramme.

Ihre Gier nach Neurogrammen ist unersättlich. Niemand ist vor den Reapern sicher, alle kämpfen ums Überleben.

Unter ihrer Herrschaft ist der Traum zum Albtraum geworden. Ein Heer von Reapern marschiert auf Agrion zu, um es zu erobern. Burg Rion ist in diesem ungleichen Kampf zur letzten Zuflucht und Hoffnung für die Spieler geworden.
SpracheDeutsch
HerausgeberMagic Dome Books
Erscheinungsdatum30. Nov. 2022
ISBN9788076198562
Die Reaper (Der Neuro Buch 3): LitRPG-Serie

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    Buchvorschau

    Die Reaper (Der Neuro Buch 3) - Andrei Livadny

    Kapitel 1

    DER MARKTPLATZ VON AGRION war ziemlich leer. Es waren nicht viele Spieler online. Lediglich die NPCs gingen ihrem computergenerierten Tagesgeschäft nach.

    Die Händler priesen ihre Waren an, eine ältere Dame schlurfte an den Ständen der Schmiede vorbei. Sie stützte sich auf ihren Gehstock und murmelte vor sich hin, während sie aufmerksame Blicke um sich warf. Vermutlich suchte sie nach Newbies, denen sie eine Quest geben konnte, für die es Almosen gäbe.

    Eine Windböe wirbelte den Straßenstaub auf und zupfte ein paar herbstgelbe Blätter von einem einsamen Baum. Das Laub schwebte zu Boden und tanzte einen fröhlichen Reigen auf dem Kopfsteinpflaster.

    Alles lief seinen gewohnten Gang, und doch spürte ich eine Kälte in meiner Brust. Lag es an den hochleveligen Reitern, die gerade vor der Taverne von ihren Pferden stiegen?

    Die Stadtwache beäugte das Geschehen misstrauisch. Der Kommandant und zwei Lanzenreiter kamen näher und beäugten die schwitzenden Pferde und die offensichtlich müden Reiter. Der Gastwirt eilte aus der Tür, um die neuen Kunden zu begrüßen.

    Beim Anführer der Reitergruppe handelte es sich um Eneas Vater, Friedrich White. Was mir auffiel, war die schmucklose Ausrüstung. Normalerweise verzierten Kämpfer auf diesem Level ihre Waffen, Schilde und Rüstungen mit unzähligen Ornamenten, um sich aus der Masse abzuheben und ihren Erfolg zur Schau zu stellen. Natürlich ging es auch um eine Demonstration ihrer Macht und Kraft. Wer 500 Pfund verschnörkeltes Metall mit sich herumschleppen konnte, musste die entsprechenden Attributwerte aufweisen.

    Doch die Rüstungen und Panzer dieser Leute waren minimalistisch und praktisch. Auf ihre Art waren sie damit ebenso auffällig. Die kurzen Überhemden aus Stoff, die dafür sorgten, dass sich die Rüstungen nicht zu stark aufheizten, und zudem Schutz vor Staub und Regen boten, hingen in Fetzen über dem Metall. Allem Anschein nach hatte sich die Gruppe ihren Weg freikämpfen müssen.

    Ein Teilchen griff ins andere und bestätigte die Wahrheit dessen, was White mir soeben eröffnet hatte. Die minimalistische Praktikabilität der Ausrüstung hatte bestimmt etwas mit den Besonderheiten des Neuroimplantats zu tun.

    Es war also doch kein Albtraum gewesen! Enea und ich hatten den Zellkern der Experimente der Infosystems Corporation besucht. Unser Verstand war unter der Unmenge an Informationen kollabiert.

    Nein. Ich weigerte mich, das zu glauben. Agrion sah doch aus wie immer. Eneas Vater hatte sich seinen Levelaufstieg bestimmt erkauft. Die Anbieter dieser Dienstleistungen konnten jemanden in wenigen Tagen zu einem Platz in den Top 100 verhelfen.

    Doch wieso sollte er mich anlügen und behaupten, es seien mehrere Jahre vergangen? Er liebte seine Tochter. Gewiss hätte er nicht ihren Zorn auf so dumme Weise riskiert.

    Die Kälte in meiner Brust nahm zu. Ich benötigte eine klare Antwort. Ich brauchte unwiderlegbare Beweise.

    Der Hauptmann der Wache... Ich kannte ihn nicht. Wann war der bisherige Anführer ersetzt worden?

    Die alte Dame humpelte an den Wachen vorbei. Sie schenkte NPCs im Allgemeinen keine Beachtung, sondern interessierte sich nur für Newbies. Doch dieses Mal blieb sie stehen.

    Der Hauptmann schien damit gerechnet zu haben. Er reichte ihr ein kleines, in Stoff eingewickeltes Bündel und nickte in Richtung der Alchemisten.

    Wortlos drehte sie sich um und machte sich auf den Weg.

    Meines Wissens gab es dort nur einen Käufer, einen Schurken auf Level 92. Sein hochgradiger Schleier der Geheimhaltung verbarg seinen Spitznamen vor mir, aber der Avatar kam mir bekannt vor.

    Mal überlegen. Das musste Heilig sein. Ich war bereits zweimal mit diesem hinterhältigen Player-Killer aneinandergeraten.

    Das letzte Mal war vor ein paar Tagen gewesen. Da war er auf Level 35 gewesen.

    Ich ging raschen Schrittes an der alten Frau vorbei, um eher als sie bei ihm anzukommen.

    „Hallo. Suchst du nach neuen Tränken?", fragte ich, um seine Aufmerksamkeit zu wecken.

    Er lächelte mich schief an. „Alexatis. Du schuldest mir noch etwas. Bestimmt erinnerst du dich."

    Unser Levelunterschied war gewaltig. Das hier war vielleicht ein sicherer Bereich, aber er würde in seiner Rachsucht jede Chance nutzen.

    Ich spielte sein Spiel mit und stachelte seine Gier an. „Klar, du meinst das Cargonit, oder? Wie viel war das noch? 100 Kilogramm? Hast du es noch nicht gefunden?"

    Offenbar hatte ich seine Neugier geweckt, denn er unterdrückte seine Feindseligkeit mir gegenüber. „Sieh mal einer an. Du bist aber großzügig heute. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt? Die Burg geschlossen, der ganze Sektor abgeriegelt und abgeschaltet. Wieso? Der Mirror, der als Ersatz dienen sollte, ist einfach nur Bullshit. Und du warst nicht dort."

    „Was? Hast du mich etwa gesucht?"

    „Natürlich, was denkst du denn? Der Rabenclan war nicht gerade glücklich über dein Verhalten. Du hast mich ganz schön was gekostet. Außerdem haben die Admins mein Anmeldegebiet geändert."

    „Was du nicht sagst! Einfach so?"

    „Abgesehen von dem Brief. Du weißt schon: Aufgrund technischer Probleme sind wir gezwungen, den Agrion-Cluster vorübergehend zu schließen. Wir bedauern die Unannehmlichkeiten. Das übliche Bla-bla. Was ist mit deinem Clan passiert? Oder mit dem Rabenclan? Ihr seid einfach so von der Bildfläche verschwunden. Ziemlich seltsam, wenn du mich fragst."

    „So könnte man das sagen. Lass mich dir eine Gegenfrage stellen: Meldest du dich über dein Implantat an?"

    Er runzelte die Stirn und spuckte aus. „Wie sonst? Meine Güte, du bist manchmal schlimmer als ein Noob. Was für eine Frage..."

    Puh!

    Damit wäre das geklärt. Enea und ich lebten und befanden uns wieder in der Kristallsphäre. Alles andere war nebensächlich und konnte warten.

    „Also, was ist? Begleichst du jetzt deine Schulden?", fragte er ungeduldig und siegesgewiss. Falls ich ihm das Cargonit nicht gab, könnte er mir eine Abreibung verpassen und sich dank seiner Verstohlenheit aus dem Staub machen. Darin hatte er bestimmt Übung.

    Doch bevor ich antworten konnte, hatte die alte Dame uns erreicht.

    „Guter Herr, habt ihr ein wenig Zeit für eine arme, alte Frau", bettelte sie Heilig an.

    „Hau bloß ab, du dumme Gans. Hältst du mich für einen Newbie? Ich habe kein Interesse an deinen dämlichen Quests."

    Die Frau war sichtlich verstimmt. Sie lehnte sich auf ihren Stock, als müsste sie sich erholen. „Niemand will mir helfen, beschwerte sie sich mit schwacher Stimme. „Habe ich dieses Leben denn wirklich verdient?

    Dann zog sie einen Dolch aus den Falten ihrer Kleidung hervor und rammte ihn Heilig gekonnt mit einem heftigen Stoß in die Kehle.

    * * *

    Was dann geschah, war surreal.

    Ein vertrauter, blauer Dunst aus Neurogrammen ergoss sich aus der aufgeschlitzten Kehle und bildete kleine Wölkchen, die zu der alten Dame, zum Alchemisten und einigen anderen NPCs in der Nähe schwebten.

    „Ein Reaper!", warnte einer von Whites Reitern und warf seine schwere Pike in Richtung der alten Frau.

    Mit einem schmatzenden Pochen nagelte er sie so am Verkaufsstand fest. Eine weitere Dunstwolke verbreitete sich. Die Neurogramme des entleibten Player-Killers griffen in mehreren Strängen nach den NPCs in der Nähe und fuhren in ihre Körper ein.

    Eine Schar Krähen erhob sich unter lautem Geschrei von der Stadtmauer. Hatte mir meine Vorstellungskraft einen Streich gespielt, oder hockten dort oben tatsächlich einige Armbrustschützen?

    Was als Schneeball kalter Vorahnung begonnen hatte, wurde rasant zu einer unaufhaltbaren Lawine.

    Panik brach auf dem Marktplatz aus. Händler, Käufer, Passanten und andere Gestalten rannten kopflos in alle Richtungen, stießen zusammen und rissen bei der heillosen Flucht die Verkaufsstände um. Wie ein unüberbrückbarer Strom trennten sie mich von Enea, die noch immer mit ihrem Vater auf der Treppe des Rathauses stand.

    Trotz seines Alters war Friedrich White topfit. Er gab den Schild an seine Tochter weiter und zog sein Schwert, mit dem er auf den Hauptmann der Wache zielte.

    „Ein Harvester!"

    Mittlerweile lösten sich die NPCs, die mit Heiligs Neurogrammen infiziert worden waren, aus ihrer Schockstarre. Heilig hatte, anders als sein Name vermuten ließ, nie zu den feinen und netten Leuten der Gesellschaft gehört. Es lag auf der Hand, welche Gedanken die Überreste des reuelosen Player-Killers in die Verhaltensmodelle der NPCs eingeimpft hatten.

    Agrion war der Startschauplatz für Spieler auf niedrigem Level. Selbst außerhalb der Stoßzeiten konnte man hier immer viele davon antreffen. Anders als die NPCs schenkten sie der um sich greifenden Panik keine Beachtung. Stattdessen sahen sie sich neugierig um. Vermutlich hielten sie die ganze Sache für einen Glitch.

    In diesem Moment wurde die grüne Namensmarkierung eines NPC-Gemüsehändlers durch ein blutrotes Schädelsymbol ersetzt.

    „Vorsicht!", rief ich.

    Der Händler riss einen mit Stacheln gespickten Streitkolben aus dem Stand eines Waffenschmieds und schlug ohne jede Vorwarnung auf eine unvorbereitete Magierin ein.

    Andere Spieler hatten noch weniger Glück. Hier und da stieg der blaue Dunst auf.

    Die Stadtwache dagegen ignorierte das Chaos. Mit Unterstützung des neuen Reapers warfen sie sich auf den Kämpfer, der seine Pike eingesetzt hatte.

    Passend zur Situation vor Ort, war seine Markierung feuerrot eingefärbt. Es war quasi die Pflicht der Wache, ihn zu töten, damit er um einige Level und teure Ausrüstung erleichtert zu seinem Respawn-Punkt zurückgeschickt wurde. Immerhin war der Marktplatz eine sichere Zone, und der Kerl hatte einen Quest-NPC angegriffen. Keine gute Idee! Ihre Absichten spielten für die Algorithmen keine Rolle.

    „Alex, weg da!", rief Eneas Vater mir zu, während er gleichzeitig gegen drei Wachen kämpfte, die ihm ebenbürtig waren.

    Sein Kampfgeschick zeigte deutlich, dass er sich jedes seiner Level selbst verdient hatte. Das Neuroimplantat sorgte für ganz neue Möglichkeiten im Kampf – das hatte ich selbst erlebt.

    White war ein großartiger Kämpfer. Er ließ den Schild fallen und fasste sein Schwert fest mit beiden Händen, um Wucht sowie Schaden zu erhöhen. Er verschwendete keine Zeit darauf, die Angriffe der Lanzenreiter mit seiner Waffe zu parieren, sondern wich den Stichen mit bemerkenswertem Geschick und Berechnung aus.

    Eine der Wachen verlor die Geduld und stürzte sich in einer vielfach geübten Combo direkt auf Eneas Vater. Ohne Erfolg. Friedrich White zerteilte den Speerschaft mit einem gezielten Streich und rammte den Gegner mit der Schulter nieder. Der verlor auf der breiten Treppe das Gleichgewicht und stürzte hinab.

    Die beiden anderen kauerten sich hinter ihre Schilde, doch mit einem weiteren Hieb zwang White sie, sich zu erheben.

    Ich hielt den Atem an. Gleich würde er von einem der beiden getroffen werden, doch im letzten Moment brachte er sich mit einem Sprung vor dem Gegenangriff in Sicherheit. Kraftlos schrammten die Speerspitzen über seine Rüstung. Sofort griff er mit einem mächtigen Schnitt an.

    Die Körper der Wachen rollten leblos die Stufen vor dem Rathaus hinunter.

    „Achtung, Armbrustschützen!", rief Enea.

    White reagierte instinktiv. Er griff nach dem Schild eines Lanzenreiters und ging in die Knie. Die Bolzen durchschlugen das derbe Leder und wurden erst von dem hölzernen Teil des Schildes aufgehalten.

    „Verschwinde, rief er seiner Tochter angestrengt zu. „Bring dich drinnen in Sicherheit.

    Mein Interface zeigte eine neue Nachricht an.

    Friedrich White hat dich in seine Gruppe eingeladen.

    Ich bestätigte die Anfrage, und der Kampf-Chat wurde angezeigt.

    Armbrustschützen auf der Mauer. Ein Harvester auf dem Platz. Erledige die Wachen und warte auf meine Befehle.

    Alex, los jetzt. Du musst sofort handeln.

    Da bemerkte ich die Veränderung, die der Hauptmann der Wache durchlaufen hatte. Ich erkannte ihn kaum wieder. Er war viel größer und kräftiger als vorhin. In seinen Augen brannte ein finsteres Feuer. Von seiner angelaufenen Rüstung lösten sich Rostschuppen, als sei er soeben einer unsichtbaren Schmiede entstiegen.

    Harvester, Level 200

    Der Marktplatz war nahezu menschenleer. Die Armbrustschützen feuerten unermüdlich. Ihr Ziel waren die NPCs, die unbeabsichtigt Neurogramme der getöteten Spieler aufgenommen hatten. Unbarmherzig und effizient machten die Schützen kurzen Prozess mit ihnen.

    Aber wieso?

    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der vertraute blaue Dunst waberte knapp über dem Boden. Der Harvester trat hinein. Wie ein lebendes Wesen zuckte der Nebel in seine Richtung, umhüllte den Körper und umkreiste ihn wie ein gemächlicher Wirbelsturm.

    Du beobachtest eine Neurogramm-Absorption.

    Oha. Der Harvester nahm Identitätsfragmente der gestorbenen Spieler auf.

    Das Schreckliche war, dass dieser Tod im Spiel auch den Tod des Spielers in der Realität zur Folge hatte.

    Niemand konnte etwas dagegen tun. Wie der Vorgang funktionierte, verstand ich nicht. Nachdem der blaue Dunst den Mob vollständig eingehüllt hatte, sickerte er langsam in die Rüstung ein. Einen Gegner auf Level 200 würden wir selbst mit vereinter Kraft kaum aufhalten können.

    Das Klirren der Waffen war verstummt. Whites Kämpfer hatten die Wachen erledigt. Die lokalen NPCs hatten sich verkrochen. Nur der Gastwirt stand, zur Salzsäule erstarrt, in der Tür seiner Taverne. Mit großen Augen verfolgte er das Geschehen, die Finger um das hölzerne Geländer gekrampft.

    Es sah so aus, als ob ich die einzige Person auf dem Platz war. Ich schlich mich hinter die verwüsteten Marktstände und beobachtete den Harvester. Immer wieder warf ich einen kurzen Blick zu den Armbrustschützen auf der Stadtmauer.

    Ich zählte etwa zehn Mann. Ihr Verhalten war mehr als seltsam. Sie hatten das Feuer eingestellt und sahen mit gierigen, irren Augen zwischen den Zinnen hindurch nach unten. In ihren Markierungen wurde ein mir unbekannter Buff angezeigt.

    Der Harvester strahlte Wärme ab. Seine verkohlte Rüstung flackerte. Das Gesicht war verzerrt, die Lippen aufgeplatzt, das zu Asche verbrannte Haar rieselte auf den Boden.

    Nur noch wenige Schwaden des blauen Nebeldunstes klebten an ihm und umschwirrten seine düstere Gestalt. Rauch stieg von den Kisten und Karren in seiner Nähe auf, so viel Hitze strahlte er ab.

    Sein Körper zuckte wie bei einem epileptischen Anfall. Interferenzen liefen wellengleich von Kopf bis Fuß. Sein Level veränderte sich, sprang hin und her im Takt mit den Metamorphosen seines Erscheinungsbildes.

    Er war ein alter Mann. Dann eine junge Magierin. Gefolgt von einem Kämpfer in der Blüte seiner Jugend. Ein Gewürzhändler. Das Gesicht des Harvesters zerfloss wie Wachs, wechselte von einer grotesken Maske zur nächsten, zerschmolz und erneuerte sich wieder.

    „Jetzt!", befahl White.

    War er verrückt?

    Wie von einer gespannten Bogensehne schnellten die fünf Ritter auf den Harvester zu.

    Ein defekter, marodierender Mob. Das hatten die Leute der Corporation gesagt.

    Doch damit hatten sie Reaper beschrieben. Dieser Mob hier war sehr viel mächtiger als alle Reaper, denen ich bisher begegnet war. Ein Harvester? Was für ein kranker Mob war das bloß?

    Die Ritter waren ein eingespieltes Team. Sie waren nicht nur begnadete Kämpfer. Mit einem Kettenblitz griffen sie die Armbrustschützen an, während sie Giftpfeile auf den Harvester abschossen. Dessen Schadensanzeige rotierte wild. Raubranken erhoben sich aus dem Kopfsteinpflaster zu seinen Füßen und fesselten ihn in ihrem Griff. Im vollen Lauf wechselten die Ritter ihre Waffen und kreisten ihn ein.

    Die vielen Gestaltwechsel des Harvesters hatten dazu geführt, dass sein Level gefallen war. Er hatte die Identitäten von Spielern auf niedrigem Level aufgenommen und daher seine einzigartigen Fähigkeiten verloren. Mit jeder Sekunde war er schwächer und langsamer geworden. Der Algorithmus hatte seine Attribute neu berechnet. Anstelle der Fragezeichen wurde jetzt die Zahl 98 angezeigt. Sein Lebenspunktebalken schwand dahin.

    Doch die erfahrenen Kämpfer ließen sich nicht von der Hoffnung auf leichte Beute täuschen. Sie behielten ihre Taktik bei.

    Zwei von ihnen waren mit schweren Schilden und langen Spießen mit Stahlschaft bewaffnet. Immer wieder stachen sie zu und erleichterten den Harvester so um die Hälfte seiner Lebenspunkte. Sofort danach gingen sie hinter den Schilden in Deckung, um Gegenangriffe abzuwehren.

    Von hinten griff ein Ritter mit einer raffinierten Zweihänder-Combo an. Der Harvester war wie gelähmt.

    Das wars. Zeit für den Todesstoß...

    In diesem Augenblick brüllte der Harvester, schüttelte die Starre ab und befreite sich aus dem Griff der Ranken.

    Der gerade noch leere Lebenspunktebalken füllte sich bis zum Anschlag. Sein Level sprang wieder auf 200. Ein schmetternder Rundumschlag ließ die Schilde der Ritter zerbersten. Die Kämpfer selbst wurden von den Füßen gerissen.

    Doch das war dem Mob nicht genug. Er hob seinen Zweihänder und ließ ihn in einem knappen Meter Höhe über den Boden hinwegfegen. Was immer im Weg stand, wurde von der gewaltigen Wucht zerteilt: Marktstände, Holzkisten und auch die Beine der Ritter.

    Rauch stieg von den Avataren der fünf Ritter auf, dann verschwanden sie.

    Er hatte sie mit nur zwei mächtigen Angriffen ausgeschaltet.

    Hätte ich doch bloß auf Eneas Vater gehört und mich ebenfalls in Sicherheit gebracht.

    Langsam drehte der Harvester sich herum. Sein Avatar war wieder stabil. Ätherisches Licht strahlte aus seinen Augen.

    Die Luft vor ihm wurde dicker und bildete einen durchscheinenden, feurigen Energievorhang. Ein leises Ploppen ertönte, und ein scharlachroter Nebel erschien.

    Der Harvester trat hinein und verschwand.

    * * *

    Die zermalmten Kisten schwelten noch immer. Der Marktplatz glich einem verlassenen Schlachtfeld. Entgegen den Regeln waren die meisten Spieler-Avatare zurückgeblieben. Von Armbrustbolzen durchlöchert lagen sie auf dem Kopfsteinpflaster zwischen den Überresten der Marktstände und Waren.

    Verängstigte Pferde wieherten leise vor der Taverne. Der Wind trug den Geruch nach verbranntem Fleisch mit sich. Die Armbrustschützen auf der Mauer waren von dem Kettenblitz getötet worden. Anschließend hatte er das Strohdach über der Brüstung in Brand gesetzt, das schließlich auf die Leichen der NPCs gestürzt war.

    White ließ den Blick über die Verheerungen schweifen. Er hob seinen Helm auf und setzte sich mit hängendem Kopf auf die Stufen.

    „Vater? Enea lief auf ihn zu. „Was ist hier los? Was machst du denn hier?

    „Ich habe nach dir gesucht."

    „Aber wir haben uns doch erst vor ein paar Tagen gesehen", entgegnete sie.

    „Du irrst dich. Es ist Jahre her."

    „Das ist nicht möglich."

    „Doch, Enea, es stimmt", sagte ich.

    Sie sah mich tadelnd an. „Alex, ich bitte dich. Wir waren gemeinsam in der Bibliothek. Es waren nur wenige Tage."

    „Lass es mich dir beweisen."

    „Gern. Ich bin gespannt."

    „Nicht hier. Wir müssen zurück in die Burg."

    „Er hat recht, sagte White grimmig, während er mit dem Fuß gegen die Kleiderbündel stieß, die seinen Rittern gehört hatten. „Hier ist es nicht sicher.

    „Was ist mit den Rittern? Kommen sie zurecht?"

    „Da war kein blauer Dunst. Ich glaube nicht, dass sie Neurogramme verloren haben. Sie sollten es schaffen."

    „Soll ich ihre Dinge mitnehmen?, bot ich an. „Oder sollen wir warten, bis sie respawnen? Wo befindet sich ihr Respawn-Punkt?

    „Sehr weit weg, gab White zurück. Er stützte sich schwer auf sein Schwert und stand auf. „In einem anderen Cluster. Sie werden eine ganze Weile brauchen, bis sie hier sind. Lass die Bündel hier. Sie enthalten nichts von wert. Die wichtige Ausrüstung besteht aus No-Drop-Items. Wir haben sie auch mit Zaubern gegen Diebstahl belegt. Wir lassen nichts zurück. Diese Lektion haben wir gelernt. Es ist unglaublich schwierig, Gegenstände mit solchen Attributen zu beschaffen.

    Der Ausdruck auf Eneas Gesicht war schwer zu beschreiben. Ich hätte jede Wette gehalten, dass sie noch nie Gamer-Slang aus dem Mund ihres Vaters gehört hatte.

    „Dann sollten wir los, beschloss ich. „Am besten teleportieren wir zur Burg. Dann reden wir über alles.

    „Können wir zur Taverne gehen?, bat White. „Ich würde die Pferde ungern zurücklassen. Außerdem gibt es ein paar nützliche Dinge in den Satteltaschen.

    „Wenn wir ein Portal auf dem Marktplatz öffnen, ist das wie ein Leuchtfeuer für die Stadtwache."

    „Wie wäre es mit Dimians altem Laden?, schlug Enea vor. „Ich habe einen Schlüssel zum Hof.

    * * *

    In der Auferstehungshalle von Burg Rion herrschte gespenstische Stille.

    Ich führte zwei der Pferde am Zügel und sah mich um. Es war mir in Fleisch und Blut übergegangen, nach der Ankunft meine Umgebung zu scannen.

    Unbeweglich und wortlos standen NPCs auf hohem Level am Portal Wache.

    Fackeln warfen unscharfe Schatten an die Mauern. Das kalte, grüne Leuchten der Respawn-Zone wurde von den Edelsteinen reflektiert, mit denen die uralten Wandreliefs verziert waren.

    Ich fühlte mich sofort zu Hause.

    Sarah, der Luchs, den Enea und ich aus dem Azurgebirge mitgebracht hatten, trat samtpfotig aus den tanzenden Schatten. In ihren grünen Augen stand eine starke Hoffnung geschrieben. Das frauchenlose Haustier war häufig in der Nähe des Portals zu finden, wo es darauf wartete, dass seine hübsche Dunkelelbin-Besitzerin eines Tages auftauchen würde.

    Doch niemand wusste, was mit Liori und Kimberly geschehen war. Sie waren zusammen mit Meister Jurg auf geheimnisvolle Weise verschwunden.

    Mochte Sarah auch eine neue Heimat in der Burg gefunden haben – sie machte keine Anstalten, eine Bindung zu einer anderen Person aufzubauen. Sie war ihr eigener Herr und tat, was sie wollte. Noch nicht einmal der Blutelf Lethmiel, unser Majordomus, vermochte zu erklären, wie es dem Luchs gelang, die unzähligen magischen Barrieren in dem alten Gemäuer zu überwinden.

    Auch das Tier war einige Level aufgestiegen. Das war wenig überraschend, denn sie durchstreifte in der Nacht die Moore und kam jeden Morgen mit Beute zurück. Hin und wieder waren verstörte Goblins darunter. Das sorgte für Verschärfungen in der ohnehin angespannten Lage zwischen uns und den Stämmen.

    „Hallo, Sarah", sagte Enea und strich ihr über den Rücken.

    Der Luchs knurrte nervös, beschnupperte White gründlich, stupste mir zur Begrüßung mit der Stirn ans Knie und legte sich dann schließlich platt auf den Boden.

    Die magischen Schutzzauber leuchteten auf. Die großen Türen der Halle öffneten sich, und Tageslicht strömte hinein.

    Die von mir angestellten Diener beeilten sich, die Pferde zu den Ställen zu führen. Dann eilte Lethmiel zu uns.

    Verhaltene Neugier trat in seinen Blick. Lethmiel erinnerte sich noch gut an White: Auch für ihn waren nur wenige Tage vergangen, seit Eneas Vater uns in der Burg besucht hatte.

    „Gibt es Neuigkeiten?", fragte ich.

    „Keine guten, fürchte ich. Die Elfen, die Ihr zu ihren Familien geschickt habt, sind zurückgekehrt. Ihre Heimatsiedlungen wurden gebrandschatzt. In den Wäldern gibt es keine Spur von Leben mehr."

    „Kennst du den Grund?"

    „Nein. Sie hatten einige Flüchtlinge bei sich, aber ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen."

    „Kümmere dich gut um sie. Was ist mit den Wächtern des Zwielichts?"

    „Sie konnten keine Spur ihres Volkes finden. Lediglich ein paar schon lange Zeit verlassene Lager."

    „Ich werde später mit ihnen reden. Sonst noch etwas?"

    „Ein Überfallkommando des Rabenclans nähert sich den Mooren. Die Späher berichten von mindestens 200 Mann."

    „Sind sie bereits im Moorland?"

    „Noch nicht. Sie haben ein Lager etwa einen Tagesmarsch vor dem Buchfinkbach aufgeschlagen."

    „Verdoppele die Wachen auf den Mauern. Archie soll Späher aussenden. Sorge dafür, dass alles genauso geschieht. Ich rufe dich, wenn wir dich brauchen."

    „Gewiss, Sir."

    Ich sah White an. „Möchtest du ein wenig ausruhen?"

    Er schüttelte den Kopf. Das Gehörte gefiel ihm gar nicht. „Wir müssen umgehend handeln. Wir dürfen keine Zeit verlieren."

    * * *

    Die Zukunft.

    Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht. Würde sie unversehens eintreffen? Oder würde sie an der unsichtbaren Grenze schlummern, die uns von neuen Entdeckungen trennte, die das Leben von Milliarden von Menschen verändern könnten?

    Zu spät. Jetzt war sie hier.

    Und wo standen wir? Digitalisierte Phantome, deren wie in Totenstarre aufgebahrte Körper in In-Modus-Pods lagen und allein von den Lebenserhaltungssystemen versorgt wurden.

    Enea und ich sahen uns an. Ich brachte kein Wort heraus. Könnte ich es ihr je sagen?

    Ihr Blick wanderte von mir zu ihrem Vater. „Bitte. Nehmt keine Rücksicht auf meine Gefühle." Sie setzte sich in einen Sessel.

    Sie war jung, wunderschön und clever. Aber auch blass und angespannt. Nie zuvor hatte ich sie so gesehen.

    „Ich muss wissen, was los ist. Raus damit. Die ganze Wahrheit. Ich bin bereit dafür."

    „Bist du sicher?", fragte ihr Vater liebevoll.

    Ich bewunderte ihn für seine Entschlossenheit. Wenn es darauf ankam, würde kein Wort über seine Lippen dringen.

    „Vater, sieh dich um. Die Kristallsphäre ist mein Traum von einer Welt. Es gibt nur zwei Menschen, die ich mehr als alles in dieser Welt liebe, dich und Alex. Ihr seid bei mir. Darauf kommt es an. Alles andere können wir schaffen. Oder zweifelt ihr daran?"

    White setzte sich ebenfalls. Er legte die Panzerhandschuhe in sein Inventar, verschränkte die Finger und saß eine Weile still da.

    „Du willst also wirklich die Wahrheit hören? Nun gut. Er sah ihr fest in die Augen und fuhr fort. „Die Kristallsphäre hat sich verändert. Sehr. Doch das ist nicht alles. Die Realität existiert nicht mehr.

    „Soll das ein Witz sein?", fragte Enea mechanisch.

    „Du und Alex, ihr beide seid vor drei Jahren verschwunden. Danach haben die Admins den Agrion-Cluster abgeriegelt. Niemand konnte an diesen Ort gelangen."

    „Stopp! Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Was soll das heißen, wir sind verschwunden?

    „Wir hatten einen Deal. Ihr wolltet euch nach einer Woche abmelden und zum Essen kommen. Erinnerst du dich noch?"

    „Natürlich. Wieso?"

    „Du hast nicht mehr auf meine Nachrichten reagiert. Dein Onlinestatus wurde als unspezifiziert angegeben. Am Abend des gemeinsamen Essens bin ich zu deiner

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