Sitte, Ethik und Moral: eine Begründung
Von Peter Schlabach
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Buchvorschau
Sitte, Ethik und Moral - Peter Schlabach
Kapitel I
Die Begriffe Sitte, Ethik und Moral
Wenn ma´u sich einem solchen Thema auch nur in Ansätzen angemessen nähern will, muss ma´u sich zunächst um die derzeit übliche Bedeutung dieser Begriffe bemühen. Von Beginn an ist für diese, wie für alle folgenden Begriffe davon auszugehen, dass diese immer gemeinschaftlich mit dem was Castoriadis die gesellschaftlich-geschichtliche Imagination nennt hervorkamen, sich aber eben auch mit dieser je geschichtlichen Weiterentwicklung veränderten. Ja mehr noch, da sie ganz wesentliche Bereiche des allgemein menschlichen Lebens betreffen, gehören sie zu denjenigen, die eine solche sich permanent verändernde Imagination mit am besten aufzeigen, oder m.a.W. diese mit am deutlichsten benennen und damit verständlich machen. Um aber eine solche Aussage nachvollziehen zu können, müssen wir uns erst kurz den Begriff der Imagination näher anschauen, da dieser ja hier der Schlüsselbegriff ist, der ein wesentliches Verständnis von uns Menschen und unserem Denken zulässt. Dieser Begriff leitet sich zunächst von dem lateinischen „imago = „Bild
her, was aber in unserem Zusammenhang dann eher bedeutet „sich" in etwa eine Vorstellung von was auch immer machen zu können. Es meint aber manchmal auch sich etwas bildlich, ja vielleicht sogar phantasievoll und damit noch anschaulicher zu eigen zu machen. Wenn ma´u aber weiß, dass eh alles was wir im Kopf an Bildern haben, unsere je eigenen Schöpfungen sind, die wir ohne uns dessen bewusst zu sein permanent als die geschaute Wirklichkeit her- und/oder vor-stellen – hier völlig beabsichtigt im doppelten Wortsinne gemeint -, dann wird einem bewusst, wie entscheidend ein näheres Verständnis dieses Ausdruckes ist.
a1 Das Imaginäre
Dieser Begriff ist in der Bedeutung, wie er von Castoriadis entwickelt wurde, absolut grundlegend, um überhaupt unsere jeweilige gesellschaftliche Realität zu verstehen. Es ist daher unumgänglich diesen einigermaßen angemessen darzustellen. Das soll auf den folgenden Seiten geschehen. Um die ganze Tragweite der folgenden Überlegungen richtig einzuschätzen, ist es zuerst entscheidend sich des schon länger vermuteten Umstandes bewusst zu sein, was das ist, was wir da in unseren Köpfen bzw. Gehirnen mit uns herumtragen. Es ist aber keinesfalls das, was wir üblicherweise glauben, nämlich eine absolut mit der uns umgebenden Wirklichkeit identische „Abbildung derselben. Schon Hegel beschrieb diesen Umstand mit den etwas „dunklen
Worten: „Der Mensch (bzw. sein Gehirn) ist diese leere Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, einen Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt oder die nicht alle gegenwärtige sind. Das ist die Nacht, das Innre der (menschlichen) Natur, das hier existiert – reines Selbst"¹³. Was also ist hier eigentlich „Realität? Hier meint der Begriff der Realität etwas Doppeltes, sowohl das was wir wirklich in unserem Gehirn „vorfinden
, wenn wir denken, als auch das was wir glauben im Sinne der uns umgebenden „gesehenen Wirklichkeit dabei und damit wahr- zu nehmen. Beginnen wir mit dem in unserem Gehirn „Vorfindbaren
.
Die jüngsten Ergebnisse der Gehirnforschung bestätigten umfassend die Erkenntnisse Jean Piaget`s, dass nämlich das Gehirn eines neugeborenen menschlichen Babys keine irgendwie gegebenen oder benennbaren Kenntnisse enthält, sondern nur die „Potentiale … (und) Möglichkeiten zur Entwicklung seiner Fähigkeiten¹⁴. Alle diese uns als Menschen ausmachenden Fähigkeiten, die die moderne Psychologie unter dem Begriff der Linien zusammenfasst – also z.B. die kognitive Linie oder Wahrnehmung dessen was ist, die moralische Linie oder Wahrnehmung dessen was sein sollte, die emotionale oder affektive Linie (das vollständige Spektrum der Emotionen), die zwischenmenschliche Linie (wie ich mich sozial auf andere beziehe), die Linie der Bedürfnisse (wie z.B. Maslows Hierarchie der Bedürfnisse), die Linie der eigenen Identität (oder „Wer bin ich
), die psychosexuelle Linie, im weitesten Sinne das gesamte Spektrum von Eros und die spirituelle Linie (oder die Frage nach dem Sinn und die Sehnsucht nach GEIST – Spirit - als eigene Entwicklungslinie), um nur einige der wichtigsten zu nennen – müssen von allen Menschen von der Geburt an erlernt werden. Manche ForscherInnen sind sogar der Überzeugung, dass dieser Lernprozess bereits im Mutterleib beginnt. Spätestens seit Piaget wissen wir aber auch, dass dieser Lernprozess ein überaus komplexer, insonderheit aber „von beiden Seiten abhängiger Vorgang ist. Was meint aber dieser Hinweis genau, von welchen „Seiten
wird hier gesprochen? Piaget drückt dieses bisher weitgehend missverstandene Problem folgendermaßen aus: „Danach (also nach bisheriger Meinung) scheint objektive Erkenntnis einfach das Ergebnis einer Gesamtheit von Registrierungsakten der (sinnlichen) Wahrnehmung, motorischen Assoziationen (die bewusste oder unbewusste Verknüpfung von Gedanken und Erfahrungen), sprachlichen Beschreibungen und Ähnlichem zu sein, die alle in der Herstellung einer Art figurativem oder funktionalem Abbild von Objekten und den Verbindungen zwischen ihnen beteiligt sind. Die einzige Aufgabe der Intelligenz bestehe darin, diese verschiedenen Informationsmengen systematisch einzuordnen, zu verknüpfen, zu korrigieren usw., je wirklichkeitsgetreuer die entscheidenden Abbilder in diesem Prozess seien, desto widerspruchsfreier werde das resultierende System (im Kopf) sein¹⁵. Seine Forschungen zeigten aber, selbst zu seinem eigenen großen Erstaunen, einen völlig anderen Vorgang auf. Der Bedeutung halber – bezogen auf ein Verständnis, was in unserem Kopf wirklich vor sich geht – muss ich hier ein etwas umfassenderes Zitat einfügen. So lesen wir a.a.O. auf S.43f folgendes: „Tatsächlich aber stehen alle Entwicklungsstufen, vor allem die sensomotorischen (also die durch Sinnesrückmeldungen erfolgende Steuerung und Kontrolle der Bewegungen) und vorsprachlichen Stufen der kognitiven (vom Denken gesteuerte) Adaptation (Anpassung an die Sinneseindrücke) und der Intelligenz, im Widerspruch zu diesem passiven Verständnis des Erkenntnisaktes. Um nämlich Objekte zu erkennen, muss das Subjekt (also zunächst das Kind) auf sie einwirken und infolgedessen transformieren (umwandeln, verändern). Es muss sie von der Stelle bewegen, verbinden, in Beziehung zueinander setzen, auseinandernehmen und wieder zusammenbauen
.
Zusammengefasst kann ma´u die dann folgende nähere Beschreibung all dieser lernenden, sprich erkenntnisgewinnenden Aktivitäten des Kindes, bzw. des Gehirns wie folgt verstehen: „in der Adaptation eines Organismus (also des heranwachsenden Menschen) an seine Umwelt im Verlauf seines Wachstums und in Verbindung mit den Interaktionen (also den eben erwähnten konkreten Handlungen) und Selbstregulationen, die die Entwicklung des
M.a.W. „objektive Erkenntnis (wenn es eine wirklich eigenerworbene im eben beschriebenen Sinne ist) bleibt immer bestimmten (absolut subjektiven) Handlungsstrukturen unterworfen, die das Ergebnis einer (in dem jeweils davon und dadurch ¹⁷. Oder noch anders; spätestens seit Piaget sollte bekannt sein, dass jede Form von Erkenntnis nicht vom Objekt her dem Subjekt zu-gefallen, von diesem her 1 zu 1 vor-gegeben ist, sondern durch handelnde Erfahrung mit diesem im je eigenen, absolut subjektiven Gehirn eigenkonstruiert ist. Natürlich erbringen mehrfach aufeinanderfolgende Erfahrungen mit einem Objekt und damit immer erneuten Konstruktionen (siehe das Thema Akkomodation bei Piaget, was ja nichts anderes meint als die Anpassung meiner Konstruktionen an neue Erfahrungen ) eine immer größere Annäherung im Sinne einer immer größeren „Objektivität
, bzw. einer immer näheren Übereinstimmung meiner konstruierten Vorstellungen in Bezug auf das betreffende Objekt. Es führt aber überhaupt kein Weg an dem Ergebnis dieser Forschungen vorbei, dass jede Form von menschlicher Erkenntnis immer die je eigene Konstruktion ist und bleibt und damit die Voraussetzung dessen ist, was wir als je ganz persönliche „Bilder im Kopf" mit uns herumtragen und was damit und dadurch die je eigene Persönlichkeit begründet und ausmacht.
Aus diesem Sachverhalt ergeben sich natürlich weitreichende Konsequenzen. Bevor wir uns jedoch diesen näher zuwenden können, noch eine aus diesen Darlegungen zwingend folgende Konsequenz in Bezug auf die „Einheit des Wirklichen (C.F. v. Weizsäcker), die uns umgibt, bzw. in die wir immer und für immer – zumindest solange wir Menschen auf dieser Entwicklungsstufe sind (s.u.) – hineingestellt sind. Es sollte aus dem oben Gesagten absolut offensichtlich sein, dass dieses um uns her existierende „Wirkliche
keineswegs dem entspricht, was wir in unseren Gehirnen mit uns herumtragen. Und das gilt sogar in einem doppelten Sinne; jeder einzelne Mensch hat mit diesem „Wirklichen seine je eigenen Erfahrungen gemacht, die in seinem Gehirn von seinen je eigenen Vorerfahrungen, die ihrerseits aus seiner je eigenen geistigen Ontogenese (die ganz persönliche geistige Entwicklung eines Einzelwesens) herkommen und unter Vorgabe dieser Bedingungen geformt und dann gespeichert werden, von diesen umfassend geprägt und damit immer je eigene sind. Aus dieser Überlegung ergibt sich zwingend, dass eben jederma´u seine je eigenen Bilder in Kopf über was auch immer mit sich herumträgt. Wir kommen auf diesen Umstand noch umfassend zurück. Aber wenn alle diese je eigenen Bilder im Kopf eh grundlegende Konstrukte sind, die damit natürlich nie mit dem erfahrenen Gegenstand oder Umstand identisch sind, sondern von meinen Vor-Gaben mitgeprägt sind, folgt daraus ebenso zwingend, dass diese uns umgebende „Einheit des Wirklichen
niemals mit diesen Bildern identisch sein können. M.a.W., die Welt in der wir leben, ist uns in einem wesentlich größeren Ausmaße un-bekannt, als uns dies bewusst ist. Und auch dieser Umstand gilt in einem doppelten Sinne.
Es ist nun aber ja nicht so, als wenn uns dieser Umstand zumindest in den Sprachwissenschaften und damit natürlich auch der Semiotik, also der Wissenschaft von den Zeichen, unbekannt wäre. Ma´u muss sich dazu nur die Forschungsarbeit von de Saussure anschauen, um dies zu erkennen. Danach ist Sprache (Langage) zunächst mal die menschliche Sprache als solche, das biologische Vermögen des Menschen zu sprechen. Darüber hinaus ist dann aber die Sprache (Langue) eine Sprache im Sinne einer bestimmten Einzelsprache wie Französisch oder Deutsch. Eine solche Sprache ist dann ein abstraktes System von Regeln, aber auch ein innersprachliches System, wie z.B. eine Lautsprache, oder eine Gebärdensprache. Sie ist drittens aber auch das Sprechen (Parole) im Sinne des konkreten Sprachgebrauches. Nebenbei bemerkt kommt hier in diesen Sätzen auch ein weiterer wichtiger Umstand zum Vorschein, der mit den verschiedenen Sprachen zusammenhängt, die wir Menschen benutzen. Es ist der Umstand gemeint, dass wir in solchen verschiedenen Sprachen oft für einen Sinngebrauch in einer Sprache, in einer anderen Sprache dafür eventuell mehrerer Worte kennen – siehe die eben benutzen Worte Language, Langue und Parole für Sprache, bzw. das Sprechen -. Noch interessanter ist hier der Unterschied im Deutschen und Englischen für den deutschen Begriff Geist, der ja im Englischen bis zu fünf andere Begriffe kennt. Darüber hinaus gibt es in manchen Sprachen Begriffe, die es in anderen Sprachen gar nicht gibt, wie z.B. den deutschen Begriff Heimat, aber auch andere. In unserem hier bezogenen Zusammenhang aber ist ein anderer Aspekt noch wichtiger. In der allgemeinen wissenschaftlichen Interpretation de Saussures, bzw. seiner Lehrmeinung – dieser etwas kompliziert ausgedrückt Hinweis ist dem Umstand geschuldet, dass das wichtigste Werk über die Lehren de Saussure`s (Cours de linguistique générale) nicht von ihm selbst, sondern von zweien seiner Nachfolger auf der Grundlage von Mitschriften aus Vorlesungen stammt, die scheinbar nicht immer mit seiner wirklichen Sichtweise übereinstimmte - in Bezug auf das, was ein Mensch in seinem Kopf hat – also sein Konstrukt -. So bezeichnet er die mentale und lautliche Seite der von einem Sprecher benutzten sprachlichen Zeichen als Signifikat, also das Bezeichnete, oder den Zeicheninhalt. Das aber dann beim Hörer/der Hörerin Ankommende und „Verstandene – aber eben immer nur das von ihm/ihr in seinem/ihren Gehirn konstruierte - als Signifikant, also das, was bezeichnet wurde, bzw. die Bezeichnung, die jetzt in dem Gehirn des/der HörerIn das „hervorruft
, was sich diese/r darunter vorstellt, was diese/r konstruiert hat. Aber all dies hat dann nichts mit dem wirklich Gemeinten in dem Sinne zu tun, dass dies jetzt eine eins-zu-eins Übereinstimmung mit dem sprachlich bezeichneten Sachverhalt oder Gegenstand bedeutete (s.o.). Anzumerken ist aber noch in jedem Falle, dass unsere Gehirnkonstrukte im Laufe der Zeit ihrer permanenten sprachlichen Verwendung immer mehr von dem überformt und /oder dem allgemeinen Sprachgebrauch angepasst werden, was ja Castoriadis das gesellschaftlich-geschichtliche Imaginäre nennt. M.a.W., unsere Begriffe sind und bleiben zwar immer unsere Konstrukte, aber natürlich „bewegen" sie sich im Laufe der Zeit immer mehr in Richtung der hierfür existenten gesellschaftlichen Vorgaben (siehe oben, wo ich diesen Prozess ja schon deutlich beschrieb).
Zu diesem Umstand kommt dann aber noch hinzu, dass uns unsere Sinne in vielfältiger Weise „belügen (s.o.). Da ist z.B. der vielen Menschen aus der Physik bekannte Umstand, dass es in der Natur keine Farben gibt. Stellen Sie sich vor, Sie würden die Sie umgebende Natur gerade so sehen, wie in einem Schwarzweißfilm und Sie können nachvollziehen was ich hier meine. Bekanntlich ist das, was wir als Farben erleben, bzw. das was unser Gehirn als Farben interpretiert nichts anderes, als der von der Oberfläche der Objekte reflektierte Anteil des Sonnenlichtspektrums – wobei die restlichen Anteile „verschluckt
werden -, also eine bestimmte Wellenlänge desselben, die dann unser Gehirn als Farbe interpretiert, bzw. wir diese als diese je eigene Farbe er-leben. Aber dieser Umstand geht noch viel tiefer. Durch unseren handelnden Umgang mit dem uns Begegnenden – also nicht nur seine Farben, sondern auch das Gefühl des Anfassens – „erfahren wir dieses Begegnende als etwas Festes, Widerständiges, eventuell auch Bedrohendes. Die Atomphysik hat uns aber gezeigt, dass sich diese unsere Vorstellung eines Objekts auf der Größenebene der Atome völlig auflöst, sich in wirbelnden Bewegungen zeigt. Noch wichtiger ist zu beachten, dass Atome eigentlich innerhalb ihres „Wirkungs
-bereichs – also den Raumbereich, den ein Atom, genauer seine Kräfte als „seinen ab-grenzen -, praktisch leer ist. Die Abstände zwischen dem „Kern
und den diesen umgebenden Elektronen – laut Quantenphysik „nur Wahrscheinlichkeitswellen (???) - verhalten sich im Verhältnis zu ihrer „Größe
in etwa wie die zwischen Sonnen und Planeten. Die hier nun ständig angewandten Anführungszeichen sollen aber darauf verweisen, dass die Quantenphysik erkannte, dass selbst diese Benennungen als von einer bestimmten materiellen Sicht her geprägt unzutreffend sind. Selbst diese sog. „Teilchen lösen sich unter dem Blickwinkel, bzw. Erkenntnis der Quantenphysik praktisch als immaterielle auf. In seinem Buch „Es gibt keine Materie
stellt das langjährige Mitglied im Direktorium des Max-Planck-Instituts von München Hans Peter Dürr lapidar fest, dass der „Stoff aus dem letztlich alles entsteht, immer nur Leben und Liebe sei. Wenn wir also wirklich verstehen wollen wer oder was wir selbst wirklich sind, und „wo
wir wirklich leben, müssen wir uns dringend neu umsehen. Dieses Buch will dazu – vor allem weiter unten – noch einen Beitrag liefern. Diese bisher hier niedergeschriebenen Sätze sollten aber zumindest eines deutlich gemacht haben; wir wissen gerade mal in Ansätzen auf diese Fragen eine Antwort. Aber das, was uns unser Gehirn sowohl als Ergebnis unserer Evolution, als auch durch unsere Ontogenese „vor"-gibt, hat mit dem was wir bisher unter Wirklichkeit oder gar Realität als Zustand absoluter Wirklichkeit – hier jetzt im Sinne von immer und überall anzutreffender Wahrheit gemeint - zu verstehen glaubten, wenig bis gar nichts zu tun.
Was ist also das, was wir in unseren Köpfen wirklich vorfinden und noch wichtiger, wie kommt es dort hinein? Und in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Frage stellt sich sofort die nächste Frage; wie kommt es zu einer solchen „Nicht-Übereinstimmung unserer Bilder im Kopf mit dem uns umgebenden Wirklichen und wie konnten und können wir damit so verhältnismäßig „gut
überleben? Beginnen wir zunächst bei der zweiten Frage. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft – weiter unten werde ich meine eigene Version darstellen – entstammen wir Menschen einer etwa 13,8 Mia Jahre dauernden Evolution, die sich auf dieser Erde – vor ca. 5 Mia Jahren entstanden - seit einigen Hundert-Mio Jahren auch in der Evolution biologischer Formen äußerte, die dann bei uns Menschen eine geistige „Wendung nahm. Diese biologische Evolution bestand vor allem darin, dass sich zunächst im warmen Wasser einiger Meeresteile in der Nähe von Unterwasservulkanen – eine Variante der Erklärung - einige Moleküle in immer größeren „Klumpen
vereinigten, die dann zunächst eine dünne „Schutzhülle um sich „organisierten
, die durchlässig für „Energieträger waren. Noch wichtiger ist aber, dass dann ein bisher völlig unverstandener Prozess begann, nämlich das, was wir Leben nennen. M.a.W., sie begannen sich unter Einsatz bzw. „Verbrennen
von Energie zu bewegen und dann sich zu teilen, also zu vermehren, indem sie das was sie bisher waren, ausmachte, als „Erinnerung (DNS) „mitnahmen
und damit zwei „neue Kopien von sich her-stellten. Sie wurden damit und dadurch zu offenen Systemen, die auf eine permanente Energiezufuhr entweder aus der unmittelbaren Umgebung, und etwas später von der Sonne oder „Pflanzen
angewiesen waren, um ihr inneres Energiegleichgewicht und damit ihren „Lebens-zustand aufrechterhalten zu können. Ich muss hier mit diesen vielen Anführungsstrichen arbeiten, da alle diese „Übergänge
aus den früheren Zuständen heraus zu den neuen Möglichkeiten der sich daraus entwickelnden Lebensformen noch weitgehend ungeklärt sind. Bekanntlich teilte sich diese Evolution dann in die beiden – wenn ma´u die Pilze mal außen vor lässt - weitgehend getrennten Bereiche Pflanzen und Tiere. Wichtig ist hier zu beachten, dass die Pflanzen seither ihre „Energie" mit Hilfe des Chlorophylls direkt von der Sonne beziehen, während die Tiere diese dann entweder von den Pflanzen, oder der Jagd pflanzenfressender Tiere bekommen. Es gibt hier natürlich sehr viele Übergangs- und Zwischenformen, aber darauf einzugehen würde hier erstens viel zu weit abführen, vor allem aber liegt unsere Absicht ja in einer ganz anderen Richtung.
Wenn wir nun zunächst bei dieser ersten Version von Evolution bleiben, müssen wir uns zunächst anschauen, warum insonderheit die Tiere Möglichkeiten von Informationsempfang aus ihrer unmittelbaren Umgebung brauchten, darum solche entwickelten und wie sie diese nutzten. Vorweg ist es wichtig auf einen fundamentalen Umstand zu verweisen, der bis heute und bis zu uns Menschen gilt; diese „Informationen – also zunächst mal das „Erkennen
von für den Energieausgleich wichtiger, vor allem aber „richtiger Moleküle – also z.B. solcher, die nicht wie ein Gift hätten wirken können - an der Membran, dann der Unterschied zwischen hell und dunkel etc. – waren nie dazu „gedacht
mit Hilfe dieser Informationen den diese nutzenden Tieren eine absolute „Wahrheit über was auch immer zu vermitteln, sondern ausschließlich nur solche, die das Überleben und damit das Leben des diese Informationen nutzenden Tieres ermöglichen sollten. Die Menge und „Richtigkeit
– im Sinne einer „richtigen, sprich erfolgreich anwendbaren Nutzung – dieser Informationen vermehrte sich zwar mit der fortschreitenden Entwicklung der diese Informationen „übertragenden
Sinne – also eine dieser „Erfindungen -, aber der Sinn und Zweck dieses Informationsangebotes blieb immer der Gleiche; das Überleben des jeweiligen Individuums oder der Gruppe der entsprechenden Spezies möglichst optimal zu sichern. Da diese mögliche, bzw. „erwünschte
Nutzung dieser Informationen immer komplexer wurde, reichte dann schon bald die rein chemische „Erkennungsmöglichkeit nicht mehr aus und immer mehr Tiere entwickelten dann zunächst „physikalische
„Leitungen, die Nerven, die dann ihrerseits die Voraussetzung eines zentralen „Schaltzentrums
einer neuartigen inneren Kombination dieser Informationen, dem Gehirn, wurden. Mit zunehmender Komplexität sowohl dieses neuen Zentrums, vor allem aber der durch die Beweglichkeit permanent wechselnden Lebensumwelt, „erfanden immer mehr Tierarten „angeborene
Reaktionen, die Instinkte, mit deren Hilfe die „richtige" Reaktion auf neu ankommende Informationen, also das, was ma´u dann später in diesem Zusammenhang Reize nennen wird, zur möglichst schnellen, ja eigentlich sofortigen Nutzung vorgegeben wurde.
Wie alle diese jeweiligen neuen „Ebenen der Entwicklungen erwies sich auch diese Neuheit mit zunehmender Komplexität sowohl der sich neu entwickelnden Tierarten, als auch der Umgebung – insbesondere nach dem „Auszug
aus dem Wasser aufs Land – als Begrenzung, die nun ihrerseits durch neue „Erfindungen überwunden werden musste. Da wäre zunächst die Prägung zu nennen. Unter einer solchen verstehen wir „in der Verhaltensbiologie eine irreversible Form des Lernens durch Umweltreize in einer sensiblen Phase
(Wik). Das meint ganz konkret, dass ein höher entwickeltes Tier – hier sind auch wir zumindest noch in manchen Umständen unserer Entwicklung gemeint, die wir aber, wenn sie uns bewusst werden, durch Übung bis zu einem gewissen Grade überwinden können – in einer bestimmten Phase seines Heranwachsens, manchmal schon direkt nach der Geburt – siehe die Graugänze bei Lorenz – oder auch einer etwas späteren Phase der Reifung – hier sind praktisch alle höherentwickelte Säugetiere gemeint -, eine Sinnesfähigkeit oder Verhaltensweise erlernen, bzw. sich unveränderlich einprägen, die sie für ihr Überleben dringend brauchen. Aber auch dieser Vorgang erwies sich in vielen sich schnell verändernden Lebensumständen als behindernd, so dass insonderheit bei den schon angesprochenen Säugetieren eine solche Lernphase zeitlich „gedehnt und durch probierendes Spielen ersetzt und/oder ergänzt wurde. Und genau dieser Umstand wurde nun bei uns Menschen in dem Sinne noch „erweitert
, dass wir im Grunde nur noch mit den schon mit Bauer erwähnten „Potentialen und Möglichkeiten" des Lernens – neben den dieses ermöglichenden Sinnen natürlich - geboren werden. Bleiben wir in der eben entwickelten Sichtweise dieser Abläufe können wir sagen, dass sich die Fähigkeit spielend zu lernen auf unser gesamtes Leben ausdehnte – siehe nochmals Piaget.
Und genau hier an diesem Zusammenhang kommt auch das zum Vorschein, was wir oben gefragt haben. In unseren Köpfen ist praktisch nichts unverrückbar vorgegeben sondern hier muss alles erst mit Hilfe des oben breiter mit Piaget dargestellten Lernprozesses erlernt werden, was aber immer und von Beginn an bei jedem einzelnen Menschen sein je eigenes und umfassend persönliches Lernergebnis hervorbringt. Oder anders formuliert; da jedes „Spiel ein je eigenes ist – aus den je eigenen Bedingungen der Umgebung, der Erlaubnis überhaupt selbständig zu spielen (s.u.), und des Vorwissens heraus -, sind die dadurch hervorgebrachten Ergebnisse eben auch je eigene. Diese grundlegende ganz persönliche Lernvoraussetzung alles dessen was wir als diese je einzelnen Individuen wissen und können, war von Beginn an ein wunderbares Geschenk der „Evolution
für uns Menschen. Aber gerade hier zeigt es sich in seinen Folgen besonders deutlich, dass ein solches „Geschenk" für uns Menschen umfassend positive wie negative Folgen haben kann. Alles das was wir lernen und mit den Folgen dieses Lernens manchmal auch – mit zunehmender Zeit immer mehr – Neues erfinden und damit hervorbringen können, dieses immer und ab dann für immer – zumindest solange wir als Menschen auf dieser Entwicklungsebene leben und über-leben (näher Begründung dieses Satzes s.u.) – sowohl positive wie negative Folgen für uns und unsere Umgebung hat. Der Grund liegt darin, dass all dies die Folge eines neuen Ent-Bergens (siehe Heidegger) ist, das dann als dieses jeweils Neue und Neuartige ein eigenes Sein hat, bzw. ein Holon ist. In diesem Begriff des Holons liegt aber gerade diese Möglichkeit von positiven oder negativen Anwendungsmöglichkeiten begründet. Wir müssen ihn uns daher genauer anschauen.
Dieser Begriff „Holon wurde von Arthur Koestler geprägt und bedeutet ein Ganzes, das Teil eines anderen Ganzen ist. Es wird auch als
Ganzes/Teil umschrieben. So ist zum Beispiel eine Zelle für sich ein Ganzes, jedoch Teil eines umfassenderen Ganzen, eines Organs, das wiederum Teil des Körpers ist. Eine so entstehende Hierarchie von Holons nennt ma´u auch inzwischen eine Holarchie. Dieser Begriff überwand den alten Streit der Philosophie in Bezug auf den Zustand des Wirklichen, der sich ja immer zwischen den beiden Polen der Dinge oder Gegenstände und dem eines allem und jedem zugrundeliegenden Prozesses abspielte. Ab jetzt kann mit der Vorstellung in Bezug auf das Wirkliche, dass alles Existierende sowohl ein Ganzes, also Ding, ist, als auch Teil eines anderen Ganzen, also Teil eines Prozesses ist, dieser Streit überwunden werden. Dies gilt insonderheit dann, wenn ma´u die von Ken Wilber vorgeschlagene Erweiterung dieses Begriffes im Sinne seiner
vier Triebe eines jeden Holons miteinbezieht. Wilber unterteilt diese vier „Triebe
- oder Tendenzen
– nochmals in zwei horizontale „Vermögen, nämlich erstens seine Ganzheit mit Hilfe seines „Überlebenstriebes
, seine Agenz
und zweitens seine Teilheit oder Teilhabe an dem „anderen Ganzen mit Hilfe umfassender
Kommunion – im späteren Verlauf der Evolution vor allem Kommunikation - zu bewahren. Dazu kommt dann ein ebenfalls zweigeteiltes
vertikales Vermögen, nämlich eines zur
Selbstranszendenz – darunter versteht er die durch die eigenständige Evolution dieses Holons hervorkommende Bildung höherer Einheiten - und dann eines zur
Selbstauflösung, also einem Zerfall in seine Bestandteile, wobei dieser aber ganz dem Verlauf seiner erworbenen „Teilheit
im Sinne der evolutiven Bildung höherer Einheiten folgt (teils Wik). Ma´u beachte hier z.B. den Verfall von Molekülen. Allerdings ist seine aus dem hinduistischen Denken kommende Begründung der vertikalen Komponente – also Schildkröten auf Schildkröten bis ins Unendliche – abzulehnen und durch den eben kurz angedeuteten Evolutionsverlauf zu ersetzen.
Dieser kurze Einschub zur Erläuterung dieses Begriffs des Holon war hier deshalb erforderlich, um damit erstens die eigene Wesenheit, das Sein (Heidegger) eines neu entstandenen Seienden zu betonen, denn dessen von Beginn an existentes umfassendes Kämpfen um sein Überleben, auf der einen Seite, also seine Agenz, und zweitens sein dann sofort auch einsetzendes Bemühen um seine eigenständige Evolution, also seine ihm zugrundeliegende Selbsttranszendenz sind nur von hier aus zu verstehen. Es ist genau dieser Umstand einer immer existierenden Selbstheit aller Existenz, den wir immer noch weitgehend übersehen und der uns daher immer umfassendere Probleme bereitet. Der Grund für diese Aussage liegt darin, dass diese Evolution zunächst mit weiterer Hilfe von uns Menschen als seinem „Schöpfer erfolgen muss. Dabei ist es dem eigentlichen „Geschöpf
völlig egal, ob seine Anwendung für uns positive oder negative Folgen hat. Als Beispiele seien hier Werkzeuge – siehe einen Steinkeil, den ma´u zum Trennen von was auch immer nutzen kann, oder zum Erschlagen eines Menschen -, die Technik¹⁸ und die Marktwirtschaft erwähnt, die ja dabei sind uns Menschen immer umfassender zu beherrschen, bzw. unsere gesellschaftlich-geschichtliche Imagination in ihrem Sinne und Interesse zu prägen. Ich komme auf diesen Zusammenhang weiter unten nochmals zurück. Aber es ist eminent wichtig, dass wir diesen Zusammenhang ab jetzt ständig präsent haben, denn ohne diesen zu verstehen ist es uns unmöglich uns selbst zu verstehen. Wir sind eben die durch das Geschenk der geistigen Fähigkeiten und deren Evolution diejenige Spezies auf diesem Planeten, die einerseits dadurch und damit in der Lage sind völlig neue Hilfsmittel zur Verbesserung unserer Lebensumstände hervorzubringen, die teilweise völlig neue Seinsweisen sind – ob zu unserem Vor- oder Nachteil liegt völlig in unserer eigenen Hand -, aber eben auch mit Hilfe deren weiterer Evolution über diesen derzeitigen Zustand hinauszuwachsen. Auch auf diese Aussage muss ich noch ausführlich zurückkommen.
Noch wichtiger ist es aber auch zu beachten, dass sich diese grundlegende Offenheit eines je eigenständigen Lernprozesses auch direkt gegen uns selbst richten kann, bzw. immer umfassender in einem solchen Sinne genutzt wird. Zum Verständnis dieser ja schon fast abenteuerlichen Aussage ist es unabdingbar sich bewusst zu sein, dass neugeborene Kinder völlig von ihrer Umgebung abhängig sind, in die sie hineingeboren werden. Da diese umfassende Offenheit allem neu Begegnenden gegenüber so wichtig für uns Menschen ist, konnte