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Die spirituelle Hintertreppe. Eine Geschichte der Spiritualität. Band eins: Altertum
Die spirituelle Hintertreppe. Eine Geschichte der Spiritualität. Band eins: Altertum
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eBook412 Seiten5 Stunden

Die spirituelle Hintertreppe. Eine Geschichte der Spiritualität. Band eins: Altertum

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Über dieses E-Book

Eine "Geschichte der Spiritualität" zu schreiben ist kein Leichtes, weil es - anders als für Poesie, für "Belletristik", für "säkulare" Betrachtungsgegenstände der Geschichtswissenschaft oder für Philosophie - bisher kulturgeschichtlich keine eigene Literaturform, kein wirklich separates literarisches Genre der "Spiritualität" gibt; die Schwierigkeit des Unterfangens beginnt daher schon mit der Frage, in welchen Arten von Quellen sich die "Geschichte der Spiritualität" eigentlich überhaupt dokumentiert findet. Angesichts dieser Schwierigkeit meidet der Verfasser wohlweislich die Ambition, über die Geschichte der Spiritualität ein Werk schreiben zu wollen, das den Kriterien eines herkömmlichen "Wissenschafts"-Verständnisses standhält - ein solches wäre ihm auch zu langweilig. Gleichzeitig aber bietet er trotzdem alle ihm zur Verfügung stehenden Künste einer "wissenschaftsartigen" Analyse historischer Materialien zur Spiritualität auf. Was er mit Hilfe dieser Künste gefunden hat, ist hier in einen ebenso unterhaltsamen wie erhellenden (wenn nicht gar erleuchtenden) Text gefasst. - Der erste Teil des zweibändigen Werkes behandelt die Spiritualität im Altertum.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Nov. 2023
ISBN9798223282259
Die spirituelle Hintertreppe. Eine Geschichte der Spiritualität. Band eins: Altertum
Autor

Joachim Elschner-Sedivy

Joachim Elschner-Sedivy, Lic. Theol., hat einen römisch-katholischen biographischen Hintergrund. Er wurde 1975 geboren. Seine Heimatstadt ist München.

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    Buchvorschau

    Die spirituelle Hintertreppe. Eine Geschichte der Spiritualität. Band eins - Joachim Elschner-Sedivy

    Proöm

    Wer römisch-katholische Theologie studieren will - ich weiß tatsächlich nicht genau, wie es diesbezüglich in anderen christlichen Konfessionen ist -, der muss zunächst ein gewisses bescheidenes Grundstudium der Philosophie absolvieren. Ich wollte, als ich zwanzig Jahre alt war, römisch-katholische Theologie studieren, und ich bin für das besagte Reglement dankbar, denn anders wäre ich auf diese Idee nie gekommen. Ich weiß nicht warum, aber ich hielt von Philosophie noch nie sonderlich viel - und das obwohl stets alle um mich herum beteuerten, dass ich ein „typischer Philosoph sei. (Mein Griechischlehrer meinte während unserer Abiturfahrt - wohin wohl - einmal, ich säße dort im klassischen Griechenland auf den Säulenstümpfen wie der Denker von Rodin). Um die Philosophie zu kapieren, in die sich, um mir eine Formulierung Martin Luthers zu eigen zu machen (die dieser auf die Apokalypse münzte), „mein Geist nicht schicken will, griff ich, wie so viele andere in ähnlicher Lage auch, zu Wilhelm Weischedels „Philosophischer Hintertreppe - und mir ward geholfen. Ein Vierteljahrhundert später, und der Philosophie im Herzen immer noch nicht näher gekommen, verfiel ich auf die Idee, eine „Spirituelle Hintertreppe zu schreiben.

    ***

    1966 veröffentlichte der deutsche Philosophieprofessor Wilhelm Weischedel das Buch „Die philosophische Hintertreppe, das den durchschnittlichen Buchmarkterfolg philosophischer Veröffentlichungen bei weitem übertraf. Er nahm sich darin vor, das Denken großer Philosophen der Geschichte anhand ihrer persönlichen Lebensbezüge verständlich werden zu lassen. Wie so vielen Interessierten, bei denen jedoch von vornherein klar ist, dass sie niemals einen Philosophielehrstuhl besetzen werden, hat auch mir Weischedels Buch beträchtlich geholfen, einen Zugang zur andernfalls mäandrisch verwickelt wirkenden Philosophiegeschichte zu finden. Aus entsprechender Dankbarkeit des Zaungastes entstand in mir die Idee, eine „spirituelle Hintertreppe zu schreiben, weil ich mit Verwunderung beobachtet hatte, dass viele Menschen sich mit dem Verständnis dessen, wovon spirituelle Lehrer sprechen, genauso schwer tun wie mit dem Begreifen von Philosophie - obwohl Spiritualität doch eigentlich viel einfacher ist, weil man dabei nicht mühsam denken muss. Vielen Menschen erscheint also offenkundig das Nicht-Denken mindestens ebenso rätselhaft wie das „richtige" Denken. Wenn wir das Denken einsparen sollen, so fragen sie befremdet, muss doch irgendeine andere geistige Leitplanke an seine Stelle treten? Gewiss - aber diese scheint vielen Menschen heute seltsam ungeläufig zu sein. Ähnlich wie bei den Philosophen ist vielleicht auch im Fall der Spiritualität ein Blick auf die lebensgeschichtlichen Umstände und Zusammenhänge der sich zu diesem Thema einschlägig äußernden einflussreichen Persönlichkeiten der Vergangenheit für das bessere Verständnis ihrer Äußerungen hilfreich.

    ***

    Rasch wurde mir freilich klar, dass ich den Gegenstand meiner „spirituellen Hintertreppe sehr weitgehend auf jene religionskulturelle Tradition begrenzen würde, die ich am besten kenne und aus welcher der Ausdruck „Spiritualität begriffsgeschichtlich auch erwachsen ist: die christliche.

    ***

    Eine „theologische Hintertreppe wäre jedoch, nota bene, ein anderes Buch. Theologie ist eine religiöse Reflexion. Ich möchte mich an der pragmatischen Unterscheidung orientieren, dass „Religion etwas mit „Glauben zu tun hat, wohingegen „Spiritualität entscheidend um die tiefste innerliche Erfahrung kreist, die ein Mensch macht, wenn er sein Leben auf ganz persönliche und individuelle Weise an einem spirituellen Impuls ausrichtet, der ursprünglich ein „eigentlich religiöser Impuls sein kann, und der dies gewiss auch sehr häufig, sicherlich in einer klar überwiegenden Zahl aller Fälle von echter Spiritualität, tatsächlich ist - wenngleich dies andererseits keineswegs immer der Fall ist, sondern man begegnet eben gelegentlich in diesem oder jenem Menschen auch einer ganz überzeugend echten Spiritualität, die aufgrund von gewissen spirituellen Impulsen entstanden zu sein scheint, welche man schwerlich sinnvoll im eigentlichen Sinne als „religiös einordnen kann, sondern die man eher als „dezidiert außer-religiöse spirituelle Impulse wird bezeichnen müssen. Das ist deshalb möglich, weil die „Erfahrung eines Menschen prinzipiell natürlich nichts ist, was dieser zu „glauben braucht, sondern die Richtigkeit und Wahrheit einer spirituellen Erfahrung erweist sich, etwas plump formuliert, ganz evident in einem „irgendwie positiveren Lebensgefühl, das aber auch kein „ekstatisches Strohfeuer bleibt, sondern sich in seiner tiefen Positivität, seinem Optimismus, seiner Haltungsstärke, seiner „Gemütsruhe und „stillen Heiterkeit, seinem „Ataraxie-Gleichmut, seiner im Innerlichsten gegründeten „Sprezzatura-Leichtigkeit, und nicht zuletzt in seiner freundlich zugewandten, empathisch-aufmerksamen karitativen Mitmenschlichkeit, die vom eigenen Ich und dessen „kleinen, „engen Ego-Bedürfnissen in auffallendem Umfang abzusehen vermag, als beharrlich, nachhaltig, tragfähig und resilient erweist. Außerdem ist „Glauben - anders, als viele zu meinen gewohnt sind - gar nicht wirklich das Gegenteil von „Wissen, sondern der Glaubende verhält sich seelisch genau wie ein Wissender, er geriert sich sozusagen als ein „Als-Ob-Wissender - und Wissende haben einen sehr großen Nachteil: Sie verlieren fast unvermeidlich den Sinn für die Notwendigkeit, Fremdheit zu empfinden, sehr aufmerksam zu sein und alles um sich her gänzlich urteilsfrei genauestens zu beobachten. Insofern ist der echte Spirituelle kennzeichnenderweise ein sein Nicht-Wissen Aushaltender. Das Nicht-Wissen gehört zur Beschaffenheit aller wahren Erfahrung - und zwar nicht nur als deren Voraussetzung; es löst sich durch die Erfahrung auch keineswegs etwa einfach auf. Nur Charaktere der letzteren Veranlagungs- und Neigungsart sind auch, ehrlich gesagt, überhaupt die geeigneten Besucher von „Hintertreppen" und erfahren auf diesen Ermutigung und Inspiration.

    ***

    Eine „Hintertreppe will ein rudimentärer Zugang sein. Weischedel verknüpfte den Begriff mit einer historischen Methode. Wenn nun „Geschichte einen Prozess meint, dessen identifizierbare einzelne Schritte nicht nur chronologisch, sondern dabei auch irgendwie inhaltslogisch aufeinander aufbauen - und ein anderer Begriff von „Geschichte ist letztlich schwer vorstellbar (auch wenn genau dieser Umstand die herkömmliche Bedeutung jeglicher „Geschichte womöglich insgesamt sehr relativieren mag, weil der objektiv betrachtete Prozess des Universums letztlich vielleicht gar nicht in unserem menschlichen Sinne als „logisch und „aufbauend zu bezeichnen ist, aber lassen wir diesen letzteren Gedanken hier einmal beiseite) -, dann sollte das besagte Konzept-Konstrukt einer „historischen Hintertreppe zum Verständnis von was-auch-immer meines Erachtens per se notwendig implizieren, dass ein vorwiegendes Augenmerk dabei grundsätzlich der älteren, der frühen Geschichte der jeweiligen Sache, in die es auf diese Weise einzuführen gilt, gehört, weil alles Grundlegende immer bereits in und an den historischen Anfängen der betreffenden Sache auffindbar sein muss. Das erklärt, weshalb es für eine „historische Hintertreppe angemessen ist, in der Neuzeit der jeweiligen Fachgeschichte, mit der sie sich befasst, einfach irgendwo abzubrechen, beziehungsweise keinen Ehrgeiz mehr zu zeigen, auch die jüngste Geschichte des betreffenden Faches noch vollständig dokumentieren und abbilden zu wollen. - In diesem Sinne bildet das Jahr 1968 für mich ein gewisses markantes „Stichdatum. Der Begriff „Spiritualität gewann erst ab 1968 - wir wissen um die enormen gesellschaftlich-kulturellen Umwälzungen, die in jenem Jahr vor allem in den USA, in Frankreich und in Deutschland sowie nicht zuletzt vom „Prager Frühling ihren Ausgang nahmen - überhaupt erheblich an gesellschaftlicher Bedeutung; vorher war dieser Ausdruck im Grunde noch weitgehend ungebräuchlich gewesen. In den USA wurden 1968 Martin Luther King und Robert F. Kennedy von reaktionären Kräften ermordet, und gegen Ende jenes Jahre starben merkwürdigerweise am selben Tag, dem 10. Dezember, zwei spirituelle Lichtgestalten: der alte evangelische Ausnahme-Theologe Karl Barth und der erst 53-jährige amerikanische Trappistenmönch, Autor und publizistische Gerechtigkeits- und Friedens-Aktivist Thomas Merton. Neuere sehr gründliche und überzeugende Recherchen (dargestellt in „The Martyrdom of Thomas Merton von Hugh Turley und David Martin, 2018) zum „Unfall-Tod Mertons, dessen trotz haarsträubenden Fehlens einer Autopsie seitdem von vielen Seiten stets im Brustton behördlicher Überzeugung hartnäckig kolportierte skurrile offizielle Darstellung (die einen kaputten thailändischen Ventilator implizierte) ohnehin für jeden kritischen Menschen von Anfang an sozusagen schreiend laute Zweifelsfragen aufwarf, lassen es inzwischen als überaus wahrscheinlich erscheinen, dass Merton in Wirklichkeit neben den beiden bereits erwähnten das dritte prominente politische Mordopfer des ideologisch ungeheuer angespannten Jahres 1968 war, das dieselben politisch reaktionär interessierten Kreise in USA als Hintermänner auf dem Gewissen haben. Wie dem auch sei, 1968 war eine Zäsur. Mertons Name ziert den Titel meines letzten Kapitels. Auch danach und seitdem traten und treten freilich ganz zweifellos noch echte spirituelle Meister auf. (Ich persönlich halte beispielsweise Eckhart Tolle für einen der „zuverlässigsten darunter.) Aber für meine „spirituelle Hintertreppe wird es weder ratsam noch erforderlich sein, mich mit den nach 1968 erfolgten Entwicklungen der internationalen „spirituellen Szene auseinanderzusetzen (die ich gleichwohl lebhaft als Beobachter verfolgt habe und weiterhin verfolge), von denen uns bislang noch allzu wenig klärender historischer Abstand trennt, und die gewiss auch nichts mit sich gebracht haben, was in seiner innersten Essenz von derart neuartiger Beschaffenheit wäre, dass sich gewisse Fundamentalien des spirituellen Lebens ausschließlich an genau diesen neueren Phänomenen historisch gut aufzeigen ließen und es deshalb ganz unumgänglich notwendig wäre, sie hier aufzunehmen.

    ***

    Über eines ist in mir mit den Jahren freilich hinreichende Gewissheit entstanden: Die weniger guten unter den spirituellen Büchern geben Ratschläge für die spirituelle Praxis - die besseren erzählen stattdessen lieber von persönlichen Erfahrungen auf dem spirituellen Weg. Denn Spiritualität ist eigene Erfahrung, und die sinnvollen Möglichkeiten, einem anderen Menschen gute Ratschläge für dessen eigenes Erfahrung-Sammeln zu gebe, sind kategorisch sehr begrenzt, sie reichen nicht für ein ganzes Buch, nicht einmal für ein dünnes (und selbst das dünnste und mithin relativ beste dieser insgesamt nicht sehr vielversprechenden Textsorte ist bereits dutzendfach veröffentlicht worden).

    ***

    Um mal kurz sehr allgemein zu werden und mir sozusagen einen „Rundumschlag zu erlauben: Werden in den öffentlich-rechtlichen Medien Reportagen zum Thema „Spiritualität produziert, seit dieses Thema en vogue ist, gucken mit schöner Regelmäßigkeit zur besten Sendezeit japanophile Zen-Traditionalisten im TV pittoresk weiße Wände an und rühren in Klangschalen herum, werden Natur-Romantiker porträtiert, die Bäume umarmen und die Gefühle, die ihnen im Wald oder auf den Bergen kommen, mit Spiritualität verwechseln, wird, von Bildmächtigkeit verlockt, das Pilgertum präsentiert, dessen Reiselust freilich immer schon ein höchst zweifelhafter Ausdruck echter Spiritualität war, dürfen Philosophen salbadern, die diffus-spekulative Worthülsen verbreiten, wobei sie besonders gerne den Begriff „Quantenphysik ästhetisch einflechten, kommen tantrische Sex-Gurus zu Wort, die davon blubbern, die Welt wäre kriegfrei, wenn alle Menschen nur genug erotische Sättigung bekämen, treten klerikale Narzissten „zwo-null auf, die „charismatische christliche Gemeinschaften gegründet haben und nun in Fantasie-Kutten herumlaufen, oder raunen gar psychedelisch-halluzinogene Drogenprediger vom angeblich längst „wissenschaftlich bestätigten Menschheits-Erlösungspotenzial des Konsums von LSD, Psilocybin & Co.; von den allfälligen egomanischen bildenden und musikalischen Künstlern ganz zu schweigen, die „spirituelle Kunst zu machen meinen und die vom Kreativitätsschub plappern, den die „Spiritualität, „ihre Spiritualität, ihnen beschert habe. Leider hat nichts von alledem irgendetwas mit einem richtigen Verständnis von echter Spiritualität zu tun. Echte Spiritualität bedeutet im Unterschied dazu, im Alltag ein paar wenigen zentralen, entscheidenden Haltungsprinzipien zu folgen, deren Bedeutsamkeit sich nicht zuletzt an ihren echten, konkreten und oft auch schnell sichtbaren Konsequenzen für die menschheitliche Bewältigung der globalen Probleme erweist. Worin diese einfachen Prinzipien bestehen, dazu komme ich gleich. Vor allem aber will ich diese „Basics jeglicher echter Spiritualität im vorliegenden Buch aus den Lebenserfahrungen geschichtlicher (vorsichtiger gesagt „mehr oder weniger" geschichtlicher) Gestalten heraus auf anschauliche und unterhaltsame Weise deutlich werden lassen.

    ***

    Die bekannten historischen Personen (oder, in einigen Fällen, ikonischen literarischen Figuren), deren Namen die Kapitelüberschriften meiner „spirituellen Hintertreppe bilden, betrachte ich nicht unbedingt - beispielsweise nicht in allen Fällen oder nicht in jeder Hinsicht - als authentische exemplarische Groß-Heroen wahrer Spiritualität; ich habe sie vielmehr deshalb als Kapitel-Repräsentanten ausgewählt, weil sich an ihnen, ihrem Leben und ihren Mitteilungen für meine Zwecke besonders anschaulich etwas aufzeigen lässt. - Spiritualität ist etwas Universelles. Es gibt Menschen, die verwenden das Wort „Spiritualität überhaupt nicht, sind „der Sache aber brandheiß auf der Spur - und es gibt Menschen, die machen von dem Wort „Spiritualität einen redundanten Gebrauch, sind von einer echten Annäherung an „die Sache aber weit entfernt. Es gehört außerdem zum „branchenspezifischen Schicksal „spiritueller Lehrer, dass sie überhaupt nur äußerst selten eine relativ breite gesellschaftliche Zustimmung erfahren, weil sie über etwas sprechen, das im Prinzip jede und jeder Einzelne am allerbesten für sich selbst beurteilen und entscheiden zu können meint. Und es ist ja auch wahr, dass „in Wirklichkeit absolut jeder Mensch immer schon auf dem spirituellen Weg ist, ob er es weiß oder nicht - auch diese Feststellung, die allen echten, großen spirituellen Lehrern zum Anlass tiefer Demut gereicht, trägt nicht dazu bei, die breiten-öffentliche griffige Beurteilbarkeit der „fachlichen Qualität spiritueller Lehrer zu verbessern und mit transparenteren Kriterien zu versorgen. Deshalb kann es meines Erachtens kategorisch keine breite gesellschaftliche Einigung darüber geben, wer das beste Titelgesicht für Kapiteleinteilungen in einer „spirituellen Hintertreppe sein sollte. Also, man sollte in meine Titel besser nicht zu große Erwartungen setzen - manchmal erwartet einen hinter einer Kapitelüberschrift vielleicht etwas ganz anderes, als man erwartet.

    ***

    Noch etwas anderes war für mich ebenfalls sofort klar: Meine „spirituelle Hintertreppe sollte und konnte ihrer Anlage und ihrem Stil nach kein „Traktat werden. Erstens bin ich zwar ein an manchen Wissensgebieten interessierter Mensch, aber kein Wissenschaftler und kein „Gelehrter; zweitens würde ein „Traktat verlangen, dass ich mich an einem Paradigma der umfassenden Vollständigkeit der Stoffbehandlung ausrichte, in welchem Fall bei diesem Thema allerdings prospektiv fürs erste mindestens, dicke Bände vorausgesetzt, eine Dreibändigkeit meines Werkes zu avisieren wäre; und drittens will dieses Buch von einem möglichst breiten Publikum gelesen werden - und da hapert es bei wissenschaftlich geschriebenen Traktaten meiner Erfahrung nach öfters etwas.

    ***

    Dante hatte seinen Vergil, als er das Inferno und die übrigen interessanten Gegenden der „Anderswelt bereiste. Zwar fand ich die „Göttliche Komödie immer genauso langweilig wie die Philosophie; aber die Idee, dass man einen kompetenten oder zumindest unterhaltsamen Führer brauche auf einer größeren geistigen Reise, leuchtete mir ein. Für mich war der Fall in dieser Hinsicht sofort klar: Mich würde nur ein frommer Einsiedler beim Besteigen der „spirituellen Hintertreppe" begleiten und im besten Fall auch leiten können. Ich verschaffte mir behutsam und beharrlich entsprechende exklusive Kontaktadressen. Ihr werdet verstehen, dass ich, wie jeder gewiefte Reporter, meine Rechercheverläufe nicht offenlege. Jedenfalls fand ich mich eines Tages in einem dichten Wald wieder, auf dem Weg zur Klause eines mir für meine Zwecke überzeugend empfohlenen Eremiten.

    ***

    In der Nähe der Klause war jemand gerade mit Baumschnitt beschäftigt. Er bemerkte mich, ehe ich ganz herangekommen war.

    „Sind Sie Bruder Jakob?" fragte ich.

    „Wie kann ich dienen?" entgegnete der Mann, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

    „Ein Freund hat mich brieflich angekündigt."

    „Ah, Sie sind der Schriftsteller?"

    Nach und nach vertieften wir unsere Bekanntschaft. Beim ersten Mal blieb ich nur rund zwei Stunden, aber bei meinem zweiten Besuch lud Bruder Jakob mich bereits ein, ein paar Tage bei ihm zu verweilen; woraufhin mein dritter Besuch dann schon ein ganzes Wochenende lang währte. Meine ein- oder mehrtägigen Besuche bei ihm wiederholten sich später noch mehrfach, ja nahmen eine Zeit lang geradezu Regelmäßigkeit an - woraus das vorliegende Buch entstand. Ihr werdet Bruder Jakob im folgenden noch gründlich genug kennenlernen; so dass es für den Augenblick keiner umschweifigeren einführenden Worte mehr bedarf. Jakob war jedenfalls, wie ihr sehen werdet, für mein Vorhaben genau der richtige Begleiter.

    ***

    Eine meiner ersten eingehenderen Fragen an Bruder Jakob war natürlich die „naive Frage, was denn „Spiritualität eigentlich überhaupt sei.

    „Ich möchte auf diese Frage im ersten Schritt zunächst einmal deskriptiv antworten, nicht normativ, das heißt schlicht beschreibend, nicht definierend, sagte Bruder Jakob. „Die Menschheit kennt seit jeher sieben besondere ‚Quellen‘ oder ‚Anlässe‘ der Spiritualität, sieben hauptsächliche ‚Phänomene‘ der Spiritualität und sieben gesellschaftliche Wirkungswege von Spiritualität. Die sieben vorrangigen ‚Quellen‘ oder ‚Anlässe‘ der Spiritualität sind folgende: Erstens, die Erfahrung des Todes und des Sterbens, der Endlichkeit und eines Abschieds, der scheinbar für immer ist; zweitens, die Erfahrung des Leidens; drittens, die Erfahrung der Liebe, und zwar von selbstloser, bedingungsloser Liebe, also von höchster Resonanz, wie man auch sagen könnte; viertens, die Erfahrung kognitiver Dissonanz, von schmerzhafter Ambiguität, Paradoxie, Dilemma und Aporie, insbesondere von Konflikten und Kriegen, die sich hartnäckig als nicht intellektuell auflösbar erweisen; fünftens, die Begegnung mit in der persönlich-zwischenmenschlichen Interaktion tief spirituell vorbildlich wirkenden anderen Menschen, welche Begegnung in seltenen Fällen auch rein literarisch vermittelt sein kann, welch letzteres Phänomen sich nach der Erfahrung aller Christen, aber auch vieler Nichtchristen, am ehesten in der Begegnung mit dem Jesus der Evangelien ereignet; sechstens, gewisse irritierende ‚ekstatische‘ Erlebnisse unmittelbarer Gotteserfahrung, die im Zen ‚Satori‘ genannt werden, die man auch ‚Damaskus-Erlebnisse‘, ‚prophetische Inspirationen‘ oder schlicht ‚unmittelbare Offenbarung‘ nennen kann, Erlebnisse, die den betroffenen Menschen üblicherweise ziemlich ‚aus der Bahn werfen‘. Und siebtens, die Begegnung mit den Phänomenen und gesellschaftlichen Wirkungsformen der sozusagen ‚real existierenden‘ Spiritualität, die wir in den nächsten beiden Schritten beschreiben werden. - Die sieben hauptsächlichen ‚Phänomene‘ der Spiritualität sind folgende: Erstens, spirituelle Praktiken aller Art, ob Rituale, Askese, oder was auch immer; zweitens, besondere spirituelle Orte, die von den Menschen als solche bezeichnet, umgrenzt, beschirmt und gepflegt werden; drittens, als sozusagen besondere spirituelle Zeiten, gewisse Versammlungs-Veranstaltungen mit einem ‚spirituellen Thema‘, die als soziale Manifestation der Spiritualität abgehalten werden, in den Religionen natürlich in erster Linie der regelmäßige ‚Gottesdienst‘; viertens, zwischenmenschliche Beziehungen mit einer besonderen spirituellen Qualität, die ‚spirituelle Gemeinschaft‘, die ‚spirituelle Gruppe‘, die ‚spirituelle Szene‘, das ‚spirituelle Milieu‘, die spirituell ausgerichtete ‚soziale Bewegung‘; fünftens, bestimmte Personen beziehungsweise soziale Rollen, die gemeinhin als besonders spirituell gelten, angesehen und behandelt werden, im traditionell-religiösen Horizont allen voran der ‚Priester‘; sechstens, (‚existenzielle‘) Situationen, in denen Spiritualität sich regelmäßig ‚zwischenmenschlich-atmosphärisch‘ (also nicht nur ‚subjektiv‘ wie bei den ‚Quellen‘ und ‚Anlässen‘ der Spiritualität) zu manifestieren pflegt, wie zum Beispiel beim sogenannten Sterben eines Menschen, bei einem größeren Abschied, bei der Geburt eines Menschen, bei einer überwältigenden ‚Natur‘-Erfahrung (‚Natur‘ existiert nämlich in Wirklichkeit überhaupt immer nur als ‚Situation‘), bei einem Unfall, bei einer Krankheit, bei Armut, Hunger, Gefangenschaft, Katastrophenlage, Flucht und Vertreibung, Kriegserfahrung; und siebtens, ‚Medienträger‘, die sich explizit dem Thema Spiritualität widmen, im traditionell-religiösen Horizont natürlich allen voran die anerkannten ‚heiligen Schriften‘. - Die sieben gesellschaftlichen Wirkungswege der Spiritualität sind folgende: Erstens, jemand kann im organisational-sozialfunktionalen Bereich mit integrativen und repräsentativen Aufgaben befasst sein im Dienst einer effektiv spirituell ausgerichteten Interessenbewegung, das heißt in einer Mehrheit der Fälle de facto entweder in einer religionsinstitutionell-‚amtlich‘ ‚bestallten‘ Position oder im Management von ‚system-karitativen‘ Angeboten mit entsprechendem spirituellem weltanschaulichem Hintergrund, oder er kann sonstwie im weitesten Sinne mit spiritueller Ausrichtung ‚politisch‘ tätig sein, man könnte auch sagen ‚quasi-lobbyistisch‘ für die Spiritualität aktiv, zum Beispiel in Form von thematisch einschlägiger ‚journalistischer‘ Medienarbeit; zweitens, jemand kann ‚pastoral‘, das heißt ‚seelsorgerisch‘ wirksam sein, worunter bei einem katholischen Priester auch - und sogar in erster Linie - das Spenden der ‚Sakramente‘ und alles ‚Liturgische‘ verstanden wird, ansonsten aber vor allem die ‚Individualseelsorge‘ als geistlich gegründete nicht-direktive existenzielle Beratung und Begleitung sowie als seelische ‚Krisenintervention‘ zu verstehen ist; drittens, jemand kann Spiritualität auf ‚testimoniale‘, das heißt auf ‚zeugnishafte‘ Weise gesellschaftlich präsent machen, was nicht nur wortwörtlich im griechischen Begriff des ‚Märtyrers‘ steckt, sondern auch auf ganz andere Weisen geschehen kann, etwa durch ostentative eremitisch-asketische (monastische) Lebensform oder auch durch ein glaubwürdiges Bekenntnis zum persönlich-existenziellen Primat der Spiritualität beim Einnehmen und Ausfüllen einer an sich rein säkularen Prominentenrolle beispielsweise als Politiker, Fernsehmoderator, Schauspieler, Unterhaltungsmusiker oder Spitzensportler; viertens, jemand kann Spiritualität auf dem Wege seiner forschenden und lehrenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fächern wie Theologie, Philosophie, Religionswissenschaft oder Kulturgeschichte manifestieren, vielleicht auch in Fächern wie Physik, Biologie, Medizin oder Psychologie (letzteres kann ich nicht kompetent genug beurteilen); fünftens, jemand kann, indem er sein musisch-künstlerisches Wirken (im Sinne ‚sinnlich schön gestaltender und schöpferisch ausdrückend deutender Kunst‘) in den expliziten Dienst der Spiritualität stellt, letzterer gesellschaftlich Vorschub leisten; sechstens, jemand kann durch bewusst gepflegte ganz alltägliche Verhaltensweisen auf eine ‚vordergründig unauffällige‘ Art zugunsten einer Ausbreitung und eines Aufblühens echt-spirituellen Bewusstseins in der Gesellschaft wirken, indem er oder sie sich als empathisch erweist, Zeit für andere Menschen hat, diesen wirklich zuhört, wer immer sie sind, ihnen solidarisch hilft, wer immer sie sind, mit konzentriertester Absicht beharrlich im Kleinen ‚Politik mit dem Einkaufskorb‘ macht, bei demokratischen Abstimmungen die richtige gemäßigte Partei wählt, sich nicht ideologisieren lässt, sich nicht an Hetze beteiligt und einer solchen stets geduldig widerspricht, und dergleichen mehr; und siebtens, jemand kann sich auch allein durch seine oder ihre kontemplativ realisierte Teilhabe an einem größer gewordenen, gewachsenen, erweiterten, geöffneten kosmischen Bewusstsein der Menschheit bereits als spirituell hinreichend ‚selbst‘-wirksam erkennen und erfahren, ohne dass dazu ‚empirisch registrierbare‘ Handlungen vonnöten sind, eine Einstellung, wie sie traditionell etwa kontemplative Mönchen und Nonnen im Hinblick auf ihr intensives ‚Gebetsleben‘ einnehmen. - Das also wäre zunächst einmal eine sozusagen ‚materiale‘ Beschreibung dessen, was Spiritualität ist.

    Nach einer Pause hob Bruder Jakob erneut an: „Als nächstes wäre über das Phänomen der ‚spirituellen Krise‘ zu sprechen. Die spirituelle Krise hat sieben verschiedene Aspekte, die individuell nicht immer notwendig in derselben biografischen Reihenfolge auftreten, aber auf dem spirituellen Weg sukzessive ‚abgearbeitet‘ werden müssen. Erstens, das Sterben der eigenen Eltern, das nicht unbedingt in erster Linie bereits ihr physisches Sterben sein muss, sondern oft schon lange vor ihrem physischen Ableben zunächst ein Sterben in ihrer Rolle als unanfechtbare Autoritäten im Leben ihres ‚Kindes‘ ist, eine Ereignis, das sich für das ‚Kind‘ später mit seinem verehrten spirituellen Lehrer, seinem ‚Guru‘, noch einmal wiederholen kann (oder sogar mit mehreren solchen Lehrmeistern nacheinander), und nicht selten mit dann sogar noch gesteigerter Schmerzhaftigkeit; zweitens, das Sterben der Sinnstiftungskraft einer rein säkularen Lebensvorstellung und Existenzbegründung (die normalerweise um die trivialen Zentren ‚Arbeit/Beruf‘ - und zwar vor allem als ‚persönlicher Platz in der allgemeinen Ordnung der Dinge‘ -, ‚Familie/Paarung‘, ‚körperliche Fitness und Attraktivität‘, ‚Besitz/Geld‘, ‚Ansehen/Anerkennung/Bestätigung‘, ‚Geltung/Einfluss/Autorität‘ und ‚Vergnügen/Genuss/Konsum‘ kreist), als Motiv dafür, überhaupt ‚auf einem spirituellen Weg unterwegs‘ zu sein; drittens, das Sterben der traditionell-religiös oder anderweitig weltanschaulich-ideologisch begründeten sozialen Zugehörigkeitsempfindung, Beheimatung und Geborgenheit in einem Kollektiv, einer gesellschaftlichen Struktur, einem ‚geistlichen‘ Institutionengefüge mit seinem Symbol- und Ritualsystem und einem sich von daher definierenden ‚Milieu‘ (welches Phänomen christlich-kulturell ‚Kirche‘ genannt wird); viertens, das Sterben der Zeit, das heißt das Sterben der Vergangenheit und der Zukunft, und damit das Sterben der Orientierung des menschlichen Daseins hin auf eine Hoffnung auf ‚künftigen Erfolg‘ und ‚endgültige‘ irdisch-immanente Erfüllung, die vermeintlich ‚jetzt‘ etwa noch nicht da, vermeintlich ‚jetzt‘ etwa noch nicht erreichbar wäre, gleich welcher Art; fünftens, das Sterben des traditionellen Gottesbildes; sechstens, das Sterben des Glaubens an das Denken, an die Logik, an die menschliche Vernunft, an menschliches Kalkül, an menschliche Gerechtigkeitsvorstellungen, an die simple Opposition von ‚Gut‘ und ‚Böse‘, an ‚lineare‘, ‚eindimensionale‘ Tun-Ergehen-Zusammenhänge im Leben, an die Möglichkeit von ‚Theodizee‘ - also einer überzeugenden Antwort auf die Frage nach der ‚Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt‘ -, und ganz generell an jene vordergründige Art von Erkenntnis, die alles, womit sie sich auseinandersetzt, fast unvermeidlich dualistisch strukturiert, weil sie neurobiologisch auf Unterscheiden und Vergleichen beruht, so dass im Denken kategorisch Antithesen zur Grundlage des Bewusstseins werden und damit die intuitive Wahrnehmung universeller Einheit verdrängen; und siebtens, das Sterben des Ichs, des Egos. Die von mir hiermit präsentierte Reihenfolge dieser sieben Aspekte ist freilich vermutlich deren relativ am häufigsten vorkommende Anordnung als biografische Schritte. Manchmal muss jemand allerdings, wie sich herausstellt, zu einem vermeintlich ‚schon erledigten‘ Schritt später noch einmal zurückkehren, um ‚übersehene Reste‘ zu klären. Der Versuch einer systematischen Darstellung von ‚Hindernissen auf dem spirituellen Weg‘ ist nicht sehr ergiebig, da diese Hindernisse außerordentlich individuell sein können; klar ist jedoch, dass zu den wesentlichen ‚Hindernissen auf dem spirituellen Weg‘ in erster Linie alles gehört, was in uns in besonderer Weise den genannten sieben Aspekten der spirituellen Krise entgegenarbeitet und diese zu verhindern versucht."

    Dann sagte Bruder Jakob: „Der einzige abstrakte, theoretische, spekulative Allgemeinsatz, den man unserer Auffassung von einer ‚universellen Spiritualität‘ wirklich tragfähig zugrunde legen kann,  ist das Transzendenz-Prinzip: Es gibt eine transzendente Dimension. Das heißt: Spiritualität bedeutet die Annahme und das aktive konkrete alltägliche Leben mit der Annahme, dass es eine Ebene der Wirklichkeitsordnung gibt, die kategorisch tiefer liegt oder höher rangiert - je nachdem, wie man es betrachten will - als jene Wirklichkeitsordnung, die wir Menschen mittels unserer rationalen und empirischen Wissenschaften feststellen können. Diese höhere oder tiefere Wirklichkeitsordnung kann in ausgesprochen religiösen Begriffen und Vorstellungen beschrieben werden - wobei dann häufig der Terminus ‚Gott‘ zentral verwendet wird -, eine solche genuin religiöse Auffassungsweise von Spiritualität muss aber nicht zwingend der Fall sein, sondern es gibt auch vollständig ‚echte‘ Erscheinungsformen von Spiritualität, die von allem typisch und klassisch ‚Religiösen‘ weit entfernt scheinen. Nur ‚transzendenzbezogen‘ sind sie alle. Man kann sagen: ‚Ich bin spirituell, aber nicht religiös.‘ Man kann jedoch nicht sagen: ‚Ich bin spirituell, glaube aber nicht an etwas Transzendentes.‘ Der letztere Satz ergibt einfach keinen Sinn. Auch alle Rede von einer ‚säkularen‘ Spiritualität ergibt deshalb nur dann Sinn, wenn damit eine nicht-religiöse Spiritualität gemeint ist - eine ‚nicht-transzendente Spiritualität‘ gibt es nicht und kann es nicht geben. Der antireligiöse Philosoph Thomas Metzinger hat 2023 ganz ernsthaft als Mittel gegen die drohende global-ökologische Katastrophe das Mobilisieren der menschheitlichen aktiven planetaren Verantwortungsbereitschaft mittels einer ‚universalisierbaren‘ ‚Spiritualität‘ vorgeschlagen, zu deren Zwecken man ja notfalls ruhig auch Glaubens-‚Wahngebilde‘ instrumentalisieren könne, wie er explizit sagte. Nun, ich finde diesen Vorschlag prinzipiell gar nicht so grund-dumm, wie du jetzt vielleicht spontan glaubst. Nur: Er funktioniert leider nicht. Denn mit dem Stichwort ‚Wahngebilde‘ hat Metzinger offengelegt, dass er sich unter seinem Impuls ganz klar eine ‚nicht-transzendente Spiritualität‘ vorstellt - so etwas ist aber kategorisch nicht möglich. Wer nicht wenigstens auf sehr prinzipielle, sehr allgemeine Weise für die Annahme von etwas Transzendentem geöffnet ist, kann nicht in irgendeinem sinnvollen Sinne des Wortes ‚spirituell‘ sein. Punkt. Isso. Tut mir leid. Das also ist, wie gesagt, unsere einzige ‚hochtheoretische‘ Grundlage für eine ‚universelle Spiritualität‘. Über diese zwar gewiss äußerst wichtige, aber unter mancherlei irdisch-praktischen Gesichtspunkten eben doch auch wieder sehr schmale gemeinsame Basis hinaus gelangen wir bereits zu keinerlei weiteren intellektuell-definitorischen Einvernehmlichkeiten im Detail mehr darüber, was echte, wahre Spiritualität ist. Ich will dir nur ein Beispiel geben. Von östlichen Lehrern kann man hören, die natürliche menschliche Wahrnehmung sei fehlerhaft, wir erlägen von Natur aus zunächst alle einer Täuschung. Die christlichen spirituellen Meister antworten darauf: ‚Das mag sein oder mag auch nicht sein - aber es interessiert uns eigentlich nicht; denn diese Frage ist unseres Erachtens für den echten spirituellen Weg unerheblich. Mach einen Schritt in die richtige Richtung, und wenn dieser dich nur von einer größeren Täuschung hin zu einer kleineren Täuschung führt, so ist auch das schon gut genug. Denn auch deine Täuschung, falls da eine Täuschung sein sollte, kommt von Gott.‘ - Von östlichen Lehrern kann man hören, ‚nichts geschehe zufällig‘. Die christlichen spirituellen Meister antworten darauf: ‚Wir haben keine Theorie über den Zufall oder Nicht-Zufall; Gott mag würfeln oder nicht, aber auch wenn er würfelt, ist es immer noch Gott, der würfelt; verlässliche Tatsache, auf die wir uns gründen wollen, scheint uns lediglich zu sein, dass alles, was uns Menschen widerfährt, sich sozusagen als ‚Stoff‘ und ‚Futter‘ für unseren spirituellen Wachstumsweg eignet und in diesem Sinne von uns als ‚Gnade‘ genutzt werden kann und soll.‘ - Von östlichen Lehrern kann man hören, die von ihnen angenommene natürliche Täuschung sei es, die alles menschliche Leiden verursache. Die christlichen spirituellen Meister antworten darauf: ‚Wir sehen aber lauter Menschen, die genau deshalb leiden, weil sie sich nicht täuschen, oder die umgekehrt sich genau zu dem Zweck selber täuschen, nicht leiden zu müssen. Wir können deshalb nicht nachvollziehen, dass alles Leiden von der Täuschung kommen soll.‘ - Von östlichen Lehrern kann man hören, es gebe eine kosmische Gesetzmäßigkeit namens Karma. Die christlichen spirituellen Meister antworten darauf: ‚Wir glauben an die Gnade und halten das tiefe Bewusstsein der Gnade für ein zentrales Kennzeichen aller echten Spiritualität. Zwar sprechen auch die östlichen Lehrer von der Gnade, aber wie das mit irgendeiner Vorstellung fester kosmischer Gesetzmäßigkeiten wirklich zusammenpassen soll, leuchtet uns nicht so recht ein - und die Erklärungen, welche die östlichen Lehrer zum Aufweis dieser Vereinbarkeit bemühen, kommen uns intellektuell auffallend angestrengt vor, so dass sie uns allein deswegen schon skeptisch stimmen und wir an die Notwendigkeit solcher theologischer Denkmühen nicht zu glauben vermögen.‘ - Von östlichen Lehrern kann man hören, dass sie sich auf das Konzept der Wiedergeburt stützen. Die christlichen spirituellen Meister antworten darauf: ‚Wir glauben stattdessen an die Auferstehung. Das ist nun einmal etwas fundamental anderes, nämlich schon allein deshalb, weil Auferstandene keine Kinder sind. Und wir verstehen, wenn wir unsere rudimentäre philosophische Bildung zu Rate ziehen, auch nicht, wie sich das Konzept der Wiedergeburt nicht in ein äußerst kompliziertes philosophisches Identitätsproblem verstricken soll, so dass wir ganz gewiss keinen Nutzen darin erkennen können, uns mit diesem Konzept einzulassen.‘ - Du siehst also, die universelle Spiritualität auf der Ebene unserer Annahmen über die Welt und über die Wirklichkeit bestimmen zu wollen, ist ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Wir müssen uns folglich stattdessen darauf konzentrieren, die universelle Spiritualität auf der Ebene der typischen und grundlegenden echten spirituellen Praktiken zu definieren, die es im Alltag beharrlich zu üben gilt. Wenn man sagt, Spiritualität

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