Meine Berufung: Ein Priester über Gott und die Kirche
Von Wolfgang Sauer
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Für wen die Kirche da sein sollte
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Buchvorschau
Meine Berufung - Wolfgang Sauer
„Auf der Spur des Ewigen"
Die Frage nach Gott
Es dürfte in meinem Abiturjahr (1966) gewesen sein. Da ich musikalisch nicht uninteressiert bin, und im Rastatter Studienheim diesbezüglich eine durchaus förderliche Atmosphäre herrschte, hatte ich während meiner Gymnasialzeit in meinem außerschulischen Stundenplan auch den Orgelunterricht. Mein Lehrer, der unlängst in hohem Alter verstorbene Richard Götz, hatte sicher früh erkannt, dass ich nicht sein begabtester Schüler war und keine solistische Karriere machen würde – umso mehr war er daran interessiert, welche anderen beruflichen Ziele ich im Sinn hatte. Da er mich diskreterweise nicht direkt mit seiner Neugier konfrontieren wollte, erkundigte er sich bei einem anderen Orgelschüler, ob denn schon bekannt sei, was ich nach dem Abitur vorhätte. Wahrheitsgemäß erteilte der ihm die Auskunft, „dass der Sauer eventuell Pfarrer werden wollte. Was den Orgellehrer zu der spontanen Reaktion verleitete: „Wenn der so ein Pfarrer wird, wie er Orgel spielt, soll er’s lieber gleich bleiben lassen!
Da mein Mitschüler mir postwendend von diesem deprimierenden Kommentar berichtete, wusste ich zumindest hinsichtlich meiner Zukunft als Organist endgültig Bescheid.
Wenn ich mir im Rückblick darüber Gedanken mache, was mich zum Theologiestudium motiviert hatte, muss ich einerseits bekennen, dass es nicht der Religionsunterricht war – womit ich den entsprechenden Lehrern kein Unrecht tun will. Nein, es war der Physik- und Mathematikunterricht, der in mir die Suche nach den bleibenden Wahrheiten weckte, und ich bin unserem Lehrer Ernst Hiller bis heute dankbar, dass er dieses mein Interesse erkannte und förderte. Der Buchpreis, der mir am Ende der 12. Klasse (Unterprima) zuerkannt wurde, war eine Publikation des Hamburger Physikers Pascal Jordan „Der Naturwissenschaftler vor der religiösen Frage. Diese literarische Kost korrespondierte mit meinem seit den Tagen der Kindheit lebendigen Interesse an Astronomie. „Diesterwegs populäre Himmelkunde
war ein Werk im Bücherschrank meines Vaters, das ich regelrecht verschlang, ohne freilich den Inhalt im Detail zu verstehen. Als dann zu Beginn des Studiums in Freiburg der Repetitor Rudolf Mosis uns die „Pensées von Blaise Pascal nahebrachte, war ich endgültig „Auf der Spur des Ewigen
angelangt – um auf einen Buchtitel des von mir hochgeschätzten Freiburger Religionsphilosophen Bernhard Welte zu verweisen. Als in den Vorlesungen Thomas von Aquin mit seinem Werk „De ente et essentia auf dem Studienplan stand, hatte ich einen Zugang zur Gottesfrage erschlossen, der mich bis heute nicht mehr loslässt. Mehr und mehr durfte ich damals entdecken, dass es der besagte „göttliche Aquinat
war, der wir mit seiner Aristotelesrezeption und dem Rekurs auf die arabische Philosophie eines Averroes die „Quinque viae, die fünf Wege des Gotteserweises, erschloss und zu einer intellektuellen Freiheit des Denkens beitrug, die mir einen verantwortbaren und redlichen Umgang mit der Gottesfrage eröffnete. Bernhard Welte war es auch, der in nüchterner Kühnheit vom „Wesen und Unwesen der Religion
sprach und auf die gefährliche Vereinnahmung des Glaubens durch politische Strategien aufmerksam machte. Mit Recht schütteln viele den Kopf, wenn der Patriarch von Moskau in ungebremster Linientreue die kriegerische Aggression gegen Russlands westlichen Nachbarn verteidigt. Auch die raffinierte Propaganda Hitlers machte sich das Argument einer göttlichen Vorsehung und Legitimierung seiner hemmungslosen Diktatur zu eigen. Es ist eine nüchterne historische Feststellung, dass er damit eine deutsche Nationalkirche anstrebte und die Macht des Religiösen auf sein Konto buchen wollte. Daran zu erinnern ist kein beleidigender Nazi-Vergleich.
Es ist hier nicht der Ort, mein Theologiestudium zu rekapitulieren. Aber das „fides quaerens intellectum, also ein vor dem lauteren Nachdenken und der kritischen Vernunft verantworteter Glaube, ist und bleibt ein Prägemahl meiner beruflichen und spirituellen Existenz. „Prinzipiell
gibt es keinen Glaubensinhalt, kein theologisches Dogma, die sich vor der Freiheit des Denkens abschotten müssten, um ihren Bestand zu retten. Die bisweilen ins Feld geführte Formel „Glaube beginnt da, wo das Wissen aufhört ist als unmenschlich und wenig intelligent zu entlarven. Der Glaube ist vernünftig, er besitzt jene „potentia oboedientialis
, Gottesahnung, von der Karl Rahner in seinem grundlegenden Werk „Hörer des Wortes" berichtet.
Ich bin in meinem beruflichen Leben zu dem Schluss gekommen, dass es eher die kurzdenkenden Geister sind, die von der Wirklichkeit Gottes („Existenz" wäre ein falscher Begriff) nichts wissen wollen. Wirklich große Denker und Wissenschaftler haben das Staunen neu entdeckt und scheuen sich nicht, auch das Meta-Physische als Wahrheit zu konstatieren. So gesehen ist es kein Fortschritt in der Evolution des Homo sapiens, dass die Frage nach Gott und die sich daraus ergebenden Konsequenzen verdunsten und ein praktischer, auf Wellnessformat reduzierter Atheismus unseren aus der Aufklärung hervorgegangenen Kulturkreis bestimmt.
Dieser Sachverhalt dürfte die eigentliche Krise des Christentums in unseren Breiten ausmachen. Als Reaktion macht es keinen Sinn, sich Unglücke herbeizuwünschen („Not lehrt beten!) oder aber in einem falsch verstandenen Aggiornamento den gängigen gesellschaftlichen Standards nachzulaufen, um eine „zeitgemäße Kirche
zu sein. Selbstverständlich gibt es vielfältigen Reformbedarf in der Kirche, aber es werden nicht die teuer eingekauften externen Berater sein, die das „System Kirche auf Kurs bringen. Bei der ersten Audienz nach seiner Papstwahl dankte Franziskus den anwesenden Journalistinnen und Journalisten für ihre Berichterstattung und ausdrücklich für die ganz besondere Leistung angesichts der speziellen Herausforderung, die Kirche als menschliche Institution mit göttlichem Ursprung zu begreifen. Dass manche Vorgänge im aktuellen Kirchenbetrieb unter der Maßgabe „etsi Deus non daretur
, als ob es Gott nicht gäbe, „funktionieren", dürfte eher auf die noch vorhandenen ökonomischen Ressourcen zurückzuführen sein. Wenn nicht alles trügt, neigt sich diese Epoche kirchlicher Sozialgestalt definitiv dem Ende entgegen.
Ich rede übrigens ein Stück weit gegen mich selbst, in meiner Freude am digitalen Planen und Organisieren, wenn ich zu dem Schluss komme, dass nicht hochtechnisierte virtuelle Welten, sondern nur die persönliche Begegnung und