Vernunft und Logos: Benedikts Reden an Wissenschaft und Politik
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Buchvorschau
Vernunft und Logos - Books on Demand
In memoriam
Monsignore Karl Katzenmüller (1922-2012)
+ Carissimo amico in amicitiam aeternam +
INHALTSVERZEICHNIS
0. Vorwort
I. Die Regensburger Rede
II. Die Bundestagsrede
III. Anmerkungen zur Regensburger Rede
IV. Anmerkungen zur Bundestagsrede
„Im Anfang war der Logos" (Joh 1.1)
Die Frage aller Fragen: Was ist wirklich wirklich?
Quid est veritas? – Was ist Wahrheit?
Diese Frage, in der es wie nirgends sonst ums Ganze geht: um alles oder nichts, taucht in einem entscheidenden Kontext des Johannesevangeliums auf (Joh 18,37-38). Kein Geringerer als Pontius Pilatus hat sie gestellt, jener bekannte Statthalter Roms, der Vertreter des damals mächtigsten Reichs der Erde.
Sein Gegenüber ist Jesus aus Nazareth, ein jüdischer Wanderprediger, von dem er offenbar noch wenig gehört hat. In mehreren Anläufen hatte er versucht, etwas über ihn und die Vorwürfe herauszufinden, die ihm zur Last gelegt werden. Schließlich skizziert Jesus seinen Auftrag, nämlich „Zeugnis für die Wahrheit" abzulegen.
„Was ist Wahrheit?" – Diese Antwort des Pilatus überliefert uns Johannes, und lässt dabei offen, wie viel Skepsis, Zurückweisung oder Interesse darin enthalten waren. Was aber ist Wahrheit? Uns selbst begegnet diese Frage heute nicht anders als damals.
In der Philosophie geht es um die Erkenntnis der Wirklichkeit, um die Beschaffenheit der Welt und die Rolle des Menschen in ihr, und damit um alle großen und kleinen Einzelfragen, die für unser Verständnis davon wichtig sind. Der altgriechische Ausdruck ἀλήθεια (alētheia), der sich hier bei Johannes findet, den aber auch die sokratische Philosophie kannte, bedeutet Wahrheit und Wirklichkeit zugleich und geht so in seinem Umfang über die bloße Klassifikation einer Sache als „richtig oder „falsch
hinaus.
In der religiösen Perspektive findet sich der weiteste Begriff von Wahrheit. Er findet seine Anwendung auf Tatsachen – im philosophischen Sinn – genauso wie auf Personen, auf eine Botschaft oder eine innere Haltung. Die so vermittelte Wirklichkeit wird auch nicht lediglich erkannt und anerkannt, sie wird gespürt und geglaubt: die Wahrheit wird gelebt.
Solch metaphorischer Verwendung entgegengesetzt ist der sehr viel engere, wissenschaftstheoretische Wahrheitsbegriff, der im Zuge der neuzeitlichen Forschung aufgekommen ist und der in vielen Bereichen Einzug gehalten hat. Er bezieht sich nur mehr auf Aussagen und deren Richtigkeit: Ein Satz ist wahr genau dann, wenn es sich tatsächlich so verhält, wie er es ausdrückt. So lautet die gängige Definition. Sie bringt die Logik für die Beschreibung eines Experiments zum Ausdruck, wie man es in den empirischen Wissenschaften findet.
Was aber ist nun wirklich Wahrheit, ist wahre Wirklichkeit?
Obgleich die unterschiedlichen Bedeutungen von Wahrheit in ihren jeweiligen Bereichen ihre Berechtigung haben, so hat sich seit dem Beginn der Aufklärung nach und nach ein verändertes Bewusstsein von dem gebildet, was allgemein als wahr und wirklich gelten kann.
Zunächst ist die religiöse Perspektive in die Kritik geraten. Sie gilt vielen als veraltet, mythisch überladen und im Grunde längst überwunden. Eine Wahrheit in diesem Sinn gibt es demnach nur noch für den einzelnen Gläubigen, gültig nur in dessen Bewusstsein und Gefühlswelt, aber ohne Bezug zur Realität. Ähnlich ist es auch der philosophischen Suche nach Wissen und Erkenntnis ergangen. Im Zuge des naturwissenschaftlichen Fortschritts sind ihre Argumente und Schlüsse in den Hintergrund gedrängt worden. Religion und Philosophie gelten nur mehr als Vorstufen für ein wissenschaftliches Weltbild, welches das gesamte Universum aus den Gesetzmäßigkeiten der Physik