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Verlust der Seele: Eine kulturkritische Studie zum Menschenbild der Gegenwart
Verlust der Seele: Eine kulturkritische Studie zum Menschenbild der Gegenwart
Verlust der Seele: Eine kulturkritische Studie zum Menschenbild der Gegenwart
eBook161 Seiten1 Stunde

Verlust der Seele: Eine kulturkritische Studie zum Menschenbild der Gegenwart

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Über dieses E-Book

Die Autorin greift in ihrer Schrift ein seit der Antike in der Philosophie immer wieder diskutiertes Thema auf, welches mit dem Begriff der „Seele“ ein wesentliches Moment des menschlichen Seins beschreibt. In der neueren Zeit hat dieses Thema Einzug gehalten in die Psychologie, Soziologie und besonders auch in die Neurologie. Immer geht es darum, das Wesen des Menschen, sein Denken und Handeln mit weiteren Begründungsversuchen zu verstehen.
In unserer Gegenwart werden die sogenannten zivilisierten Gesellschaften allerdings mit Fakten konfrontiert, die erhebliche Zweifel an der Wirkkraft einer Institution wie der Seele aufkommen lassen, der nicht nur Moralität, sondern sogar die ganze Persönlichkeitsentwicklung des Menschen attestiert wurde. Wie kann es also sein, daß Menschen ihr eigentliches Wesen und ihre seelische Entfaltung völlig negieren und Inhumanität ohne Skrupel in die Tat umsetzen? Wo liegen die Probleme einer solchen Entwicklung und gibt es überhaupt einen Weg zurück? Die Autorin versucht in einer gesellschaftskritischen Analyse sowohl die fatale kulturelle Situation unserer Zeit als auch die Bedeutung des Seelischen darzustellen und Anregungen zum Nachdenken auch der eigenen Lebenssituation zu bieten.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum26. März 2015
ISBN9783738660203
Verlust der Seele: Eine kulturkritische Studie zum Menschenbild der Gegenwart
Autor

Elenor Jain

Elenor Jain hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Philosophie publiziert, insbesondere zur Ethik, Anthropologie und Kulturkritik sowie zur philosophischen Ästhetik, Kunstwissenschaft und Pädagogik.

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    Buchvorschau

    Verlust der Seele - Elenor Jain

    7.

    Erster Teil

    ÜBER DIE SEELE

    I. Pero Psychés - Was die Seele wirklich ist

    Die Frage, was den Menschen kennzeichnet, was ihn unterscheidet von anderen Lebewesen, ist vermutlich der Ausgangspunkt der Reflexion über den Ort, in welchem jene Besonderheit gründet, die Denken, Fühlen und Handeln bestimmt. Dieser Ort – nennen wir ihn Bewußtsein, Seele, möglicherweise auch Herz oder Gehirn – ist zunächst in Bezug auf die Seele und das Bewußtsein undefinierbar. Herz und Gehirn hingegen sind materiell vorhanden, und ihre Funktionen sind grundsätzlich bekannt und kalkulierbar. Wie aber steht es mit der Seele? Ist ihre Annahme lediglich eine Spekulation oder Fiktion oder vielleicht doch eine Metapher für ungewisse geistige Abläufe, für das ganz Individuelle eines jeden Menschen?

    Vor diesem Hintergrund ist es unerläßlich, einmal auf den Stagiriten zurückzugreifen, dessen Gedanken über die Seele Aufschluß geben können über diesen immateriellen Ort, der das menschliche Sein so maßgeblich zu beeinflussen scheint.

    Aristoteles, der 384 v. Chr. in Stagira (Chalkidike) geborene griechische Philosoph, gehört mit Sokrates und Platon zu den bedeutendsten Denkern der Antike. Obwohl von der sokratischen und platonischen Philosophie zunächst beeinflußt, entwickelte er bereits früh seinen eigenen philosophischen Standpunkt. Allgemein wird er als der eigentliche Begründer der wissenschaftlichen Philosophie bezeichnet, hat er sich doch intensiv mit der Logik (die er Analytik nennt) seines sechs Schriften umfassenden „Organon" beschäftigt, um logische Grundgesetze von Begriff, Urteil, Schluß, von Definition, Beweis sowie methodischen Problemen niederzulegen.

    In unserem Zusammenhang interessiert vor allem die Auffassung des Aristoteles zur Ethik, die im Blick auf seine Ausführungen zum Wesen des Menschen (bzw. seine „Seelenlehre) eine besondere Prägnanz und Tiefe erhält. So liefert seine Schrift De anima nicht nur zeitübergreifende und wertvolle Erkenntnisse in psychologischer, sondern auch – obwohl nur marginal - in philosophischer und pädagogischer Hinsicht, insofern sie gerade in jenen Bereichen Geltung beanspruchen dürfte, die in der heutigen Zeit beachtliche Probleme aufweisen (vgl. hierzu den zweiten Teil).

    Im Gegensatz zu seinem Lehrer Platon konzediert man Aristoteles einen „nüchternen Wirklichkeitssinn und die „schärfste Ausprägung des griechischen Intellektualismus, welche ihn dazu angeregt haben müssen, die Realität empirisch zu untersuchen.⁸ Sehr eindrucksvoll kommt dieser Unterschied der beiden Philosophen Platon und Aristoteles in dem Fresko Raphaels mit dem Titel ´Die Schule von Athen´ (1510-11) zum Ausdruck, auf dem Platon mit der Hand gen Himmel weist, während Aristoteles zur Erde zeigt und bezeichnenderweise ein Buch mit der Aufschrift „ETICA" in der Hand hält. Er wendet sich der Wirklichkeit, dem Menschen und seinen Belangen zu, will die Hintergründe menschlichen Denkens und Handelns ergründen und nicht zuletzt auch Wege zu einem gelingenden und sinnvollen Leben aufzeigen. Platons Blick hingegen richtet sich auf das allumfassende Sein als Quelle höherer Inspiration, welches seinen Philosophiebegriff und sein Denken fundamental bestimmt.⁹

    Welche ungeheure Bedeutung die aristotelische Grundlegung einer wissenschaftlichen Fundierung philosophischer Überlegungen für das abendländische Denken besitzt, zeigt sich jedoch nicht nur im Bereich der Philosophie, sondern auch in allen anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich dem geistigen und dem naturwissenschaftlichtechnologischen Fortschritt widmen. Die stringente aristotelische Durchdringung wissenschaftlicher Prinzipien könnte man daher als Spezifikum und Impuls und als das Typische des abendländischen Denkens bezeichnen.

    Eine weitere Grundlage des philosophischen Denkens ist für Aristoteles ferner die Metaphysik, die er in vielen seiner Schriften mit der Logik verbindet (etwa in der Kategorienlehre). In seiner Unterteilung der Philosophie nach inhaltlichen Problemen nimmt denn auch die Metaphysik (als „erste Philosophie" und zugleich als theoretische) eine besondere Stellung ein (einschließlich im übrigen der Mathematik, Physik und Psychologie). Der theoretischen Philosophie folgen die praktische (Ethik, Politik, Ökonomik) und schließlich die poietische (Technik, Ästhetik und Rhetorik).

    Bemerkenswert an dem breiten Spektrum der aristotelischen Philosophie ist nicht zuletzt seine Beschäftigung mit dem Menschen und seinen Eigenschaften, z.B. der Seele, dem Bewußtsein, der Vernunft usw., deren Erkenntnisse die gesamte kulturelle Entwicklung des Abendlandes bis in die Gegenwart hinein beeinflussen.

    Um die Aktualität des aristotelischen Denkens vor allem im Blick auf sein Menschenbild in den Blick zu rücken, konzentrieren sich die folgenden Überlegungen vor allem auf die Ethik, die ja in der Gegenwart aufgrund der brisanten Weltlage wieder ins Zentrum des philosophischen Diskurses gerückt ist. Folgende Fragen beschäftigen uns daher in Bezug auf die aristotelische Ethik besonders:

    Welches Menschenbild bestimmt die aristotelische Ethik im Blick auf die Definition der Seele?

    Welche Forderungen stellt Aristoteles an den Menschen?

    Welche Elemente dieser beiden Aspekte sind zeitübergreifend von Bedeutung.

    1

    Schon vor der Nikomachischen Ethik hat Aristoteles die Ethica Eudemica verfaßt, in der er sich mit Fragen eines geglückten Lebens beschäftigt und für dieses Voraussetzungen formuliert. So nennt er zunächst die philosophische Einsicht (phrónesis), sodann das ethische Handeln (areté) und schließlich die Lust (hedoné), wobei eine jede Haltung jeweils auf entsprechende Lebensformen bezogen ist: auf die philosophische, die politische und die auf den Genuß gerichtete.

    Walter Bröcker fragt in seinem Buch über Aristoteles, was dieser wohl unter Philosophie verstehe und meint, daß Philosophie nach Aristoteles zunächst durch die Liebe zur „tiefsten Einsicht bestimmt sei und daß sie sich damit zugleich als Prinzip des eigentlichen „Menschsein-Wollens auszeichne.¹⁰ Das Streben (órexis) des Menschen nach Einsicht sei seinem Wesen gemäß, wobei indes auch die Erfahrung neben dem theoretischen Wissen um einen Sachverhalt eine große Rolle spiele. Das „Mehr" an Erkenntnis ist mithin nicht nur ein quantitativer Zugewinn, sondern vielmehr ein Zugewinn an Tiefe der Erkenntnis, die auf Weisheit hinzielt und den Menschen in seinem Wesen entsprechend formt.¹¹ Worauf es also für den Menschen ankommt, ist das erstrebenswerte Gute, das „menschlich" Gute, welches für Aristoteles Leitgedanke der Ethik überhaupt ist und in seiner Nikomachischen Ethik zum zentralen Prinzip wird.

    Die Nikomachische Ethik, die vermutlich zwischen 335 und 323 v.Chr. entstanden ist, bietet nun dezidiert und erstmalig in der Geschichte der Philosophie eine philosophische Analyse des praktischen Lebens in der Polis, wobei sie zugleich eine klare Aussage über ein bestimmtes (natürlich zeitgemäßes) Menschenbild vermittelt. Insofern nach Aristoteles jeder Bürger ein Höchstmaß an Glückseligkeit anstrebt, ist einem jeden zur Verwirklichung dieses Zieles daran gelegen, tugendhaft zu handeln. Die Absicht, das „Gute" (agathon) zu erstreben, begründet Aristoteles folgendermaßen:

    „Jede Kunst und jede Lehre, desgleichen jede Handlung und jeder Entschluß, scheint ein Gut zu erstreben, weshalb man das Gute treffend als dasjenige bezeichnet hat, wonach alles strebt."¹²

    Obwohl Aristoteles das Erreichen des Guten als wesentliches und eigentliches Lebensziel des Menschen bezeichnet, wendet er doch kritisch ein, daß die tiefste Einsicht kein apriorischer und kein fester Besitz des Menschen ist. Vielmehr überantwortet er dem Menschen selbst die Aufgabe, mit eigener Kraft und Willen zur Einsicht und mithin zum Guten zu gelangen. Und so spricht er vom immerwährenden Streben und von der dem Menschen innewohnenden Liebe zur Einsicht, welche aus dem Staunen entspringen, wie er in seiner Metaphysik (983a) betont.¹³ Das Staunen fordert den Menschen heraus, entzieht seinem Blick das Alltägliche und Übliche, läßt dagegen den Menschen sich intensiv auf das Andere und Besondere einlassen und verändert ihn schließlich aufgrund des erschauten Ungewöhnlichen. So weckt das Staunen – wie Walter Bröcker ausführt – in der Philosophie „die Liebe zu einem Mehr an Einsicht und den Willen bis zum ´Am Meisten´, zur tiefsten Einsicht vorzudringen. Das Staunen stört den Menschen aus seiner Ruhe auf."¹⁴

    Aristoteles´ Interesse an dem „Inneren des Menschen zeigt sich insbesondere in seinen Ausführungen über die Seele, die er als Sitz des Bewußtseins, des Verhaltens und auch des grundsätzlichen Strebens nach einem geglückten Leben zu verstehen scheint. Weil das erstrebenswerte Gute (und mit ihm die „Glückseligkeit) nun aber rein subjektiv und mithin unterschiedlich verstanden werden kann (NE 1095a, 17-20), nimmt Aristoteles eine sehr bedeutsame Eingrenzung des Guten vor.¹⁵ Nicht das Zweckhafte (Nützliche) und insbesondere dem alltäglichen Leben Dienende bezeichnet er als das wahrhaft Gute, sondern einen „letzten Zweck („to aristón als bestes und oberstes Gutes), welchen der Mensch um dieses Zweckes selbst willen erstrebt. Die moralische Frage lautet folglich: Welches ist der Zweck, auf den es letztlich wirklich ankommt? Lust, Ehre und Reichtum sind nach Aristoteles nicht Ziel des Strebens nach dem Guten (NE 1095a, 1096a). Vielmehr geht es ihm um das wahre, sich entfaltende Wesen des Menschen als Ziel allen Strebens. Ziel und Zweck ist also das „Menschsein als Vollendetes, welches „Glückseligkeit (eudaimonia) verspricht (NE 1097b), ein mit dem „Emporstreben" des Menschen bei Nietzsche durchaus vergleichbarer Gedanke.

    Dieses Ziel zu erreichen, obliegt nach Aristoteles allein dem einzelnen Menschen. Sein Handeln und Denken als Tätigkeit der Seele führt gemäß der eigenen Tugend zum Erreichen dieses Zieles. Allerdings betont Aristoteles dabei, daß eine Handlung nur dann ethisch wertvoll sei, wenn sie auf Freiwilligkeit und auf einer verantwortungsbewußten Entscheidung beruht. Diese aus heutiger Sicht sehr modernen Gedanken in Bezug auf sein Menschenbild und zur Bedeutung der Individualität legt Aristoteles insbesondere im dritten Buch der Nikomachischen Ethik folgendermaßen dar:

    „Unfreiheit scheint alles zu sein, was aus Zwang und Unwissenheit geschieht. Erzwungen oder gewaltsam ist dasjenige, dessen Prinzip außen liegt, und wo der Handelnde oder der Gewalt Leidende nichts dazutut…" (NE 1110a).

    Der freiwillig Handelnde hingegen steht in der Verantwortung für sein Handeln, muß es rechtfertigen und kann sich niemals auf äußere Umstände (Zwänge, die Vernunft einschränkende Regeln usw.) berufen. Freiheit des Denkens und Handelns sind neben der Forderung nach Selbstverantwortung mithin die grundlegenden Momente des von Aristoteles vertretenen Menschenbildes.

    Mit dem Bezug auf den Menschen und die alles bestimmende Kraft seiner Seele versteht Aristoteles den Menschen als frei entscheidendes Wesen, welches sowohl im Staatsgebilde als auch im persönlichen Bereich bewußt zu handeln in der Lage ist und nach dem Guten strebt. Indem er zu realisierende Normen und Werte auf die konkrete Wirklichkeit bezieht, entwickelt er zugleich seine Vorstellungen eines gelingenden Lebens.

    Indem er die Seele als herausragenden Forschungsgegenstand der Wissenschaft bezeichnet, insofern ihre Kenntnis zum Verstehen des gesamten Seins („am meisten zum Blick in die Natur) beizutragen in der Lage sei, rückt Aristoteles erstmals in der Philosophie die Bedeutung der menschlichen Existenz (der Seele) ins Zentrum philosophischer Überlegungen. Denn die Seele sei gewissermaßen der Grund (arché) der Lebewesen (402a). Der Schwierigkeiten einer Beschreibung und Definition seines Gegenstandes ist sich Aristoteles durchaus bewußt, wie er im folgenden zu bedenken gibt. Erkenntnisleitend sind nun für den Philosophen eine Reihe von Kriterien, von denen hier die wichtigsten benannt werden: Bestimmung der Gattung der Seele, ihr Sein (tí estí), ihr spezifisches „Etwas (tóde ti), ihre Wesenheit (ousía) sowie Qualität und Quantität. Darüber hinaus fragt Aristoteles, ob

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