Sackgasse "Ich": Analyse der Ich-Struktur und der spirituelle Ausweg
Von Anton Weiß
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Buchvorschau
Sackgasse "Ich" - Anton Weiß
Vorwort
Eigentlich habe ich nie daran gedacht, einmal ein Buch zu schreiben, da ich der Überzeugung war, dass in diesem - dem spirituell-religiösen Bereich – schon alles gesagt ist. Wer sich dafür interessiert und diesen Weg gehen möchte, findet alles, was es darüber zu wissen gibt, in Abhandlungen seit der Antike: bei Heraklit, Sokrates, Platon genauso wie bei Buddha, Laotse oder Jesus; in den Schriften der Mystiker, die es in allen Religionen gibt, und ganz besonders im Zen-Buddhismus. Aber auch bei zeitgenössischen Autoren wie Karlfried Graf Dürckheim, Fritjof Capra, Paul Tillich, Paul Brunton, Krishnamurti, Goenka, Ken Wilber, Theo Fischer oder Salama-Inge Heinrichs geht es letztlich um das Gleiche.
Warum ich nun doch zu schreiben anfange und glaube, manchem Suchenden damit etwas zeigen zu können, hat einen ganz konkreten Anlass: Ein Vortrag von Richard de Martino über die Analyse des Egos im Ich-Bewusstsein, der in dem Suhrkamp-TB Nr.37: Zen-Buddhismus und Psychoanalyse
erschienen ist, hat mir dermaßen die Augen über die Struktur des Ichs im Ich-Bewusstsein geöffnet, dass ich in meiner Begeisterung allen mir nahestehenden Suchern diesen Aufsatz zu lesen gegeben habe. An der Reaktion merkte ich, dass eigentlich niemand etwas damit anfangen konnte und erst durch meine Erläuterungen ein wenig Verständnis zeigte. Auf einem Seminar an Ostern 2002 bei Theo Fischer, dem Autor des Bestsellers „Wu wei" und anderer Schriften, die den Taoismus zur Grundlage haben, erwähnte Fischer dieses Buch, in dem auch Vorträge von E. Fromm und D. T. Suzuki enthalten sind. Als ich ihn auf den Aufsatz von de Martino ansprach, merkte ich, dass auch er mit diesen Darlegungen nichts anfangen konnte. Daraufhin unternahm ich meinen ersten Versuch, die Situation des Egos im Ich-Bewusstsein auf 16 kleinen Seiten darzustellen. Als ich diese Gedanken Theo Fischer sandte, bescheinigte er mir durchaus, dass meine Darlegung zwar verständlicher ist, ließ aber erkennen, dass er es doch nur als Theoretisieren ansehen konnte. Darüber war ich sehr bestürzt, denn für mich ist das unmittelbar erlebbare Realität, lediglich der Versuch, ein geistiges und damit schwer fassbares Geschehen in Worte zu fassen, die letztlich immer irgendwo unzulänglich bleiben, aber andererseits doch versuchen, Wirklichkeit zu beschreiben.
Dies war also ein entscheidender Anlass, ausführlich die Gegebenheiten des Ichs darzulegen.
Ein anderer Anstoß ging von der Erkenntnis aus, dass in vielen Werken, z. B. bei Erika Chopich: Die Annahme des inneren Kindes
oder bei S.-I. Heinrichs durchaus vom Ego und seinen Eigenschaften die Rede ist, dass aber häufig vorausgesetzt wird, dass jeder weiß, was damit gemeint ist, - denn jeder weiß ja irgendwo, dass egoistisch sein nicht unbedingt richtig ist –, dass aber eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Ich im Ich-Bewusstsein – soweit ich es bei meinem bescheidenen Lesewissen beurteilen kann – nicht stattfindet.
Ein weiterer Grund liegt schon etwas länger zurück: Beim Lesen der Bücher Von der Zwiebel...
von Nadeen und Kollision mit der Unendlichkeit
von S. Segal wurde mir klar, dass doch jeder Weg eines Menschen einen einmaligen Aspekt der göttlichen Wirklichkeit darstellt, den es so noch nicht gegeben hat.
Vielleicht sind auch meine Einsichten in die Struktur des Ichs, die das Ergebnis eines 50-jährigen Ringens sind, für manchen erhellend.
Ich versuche in dieser Abhandlung die vielfältigen Aspekte des Egos im Ich-Bewusstsein und damit die Schwierigkeiten auf dem spirituellen Weg aufzuzeigen.
Noch einen Grund gibt es, diese Gedanken über das Ich und den Weg zur Erleuchtung darzulegen: Mir scheint, in unserer aufgeklärten und von rund 100 Jahren psychologischer Forschung geprägten Zeit wird geglaubt, dass psychologische Probleme des Menschen lösbar sind, weil sie häufig durch frühkindliche Erlebnisse verursacht wurden. Ich möchte zeigen, dass das Grundproblem des Menschen kein psychologisches, sondern ein spirituelles Problem ist. Nicht ungelöste (frühkindliche) Konflikte sind das Problem, sondern die Tatsache des Daseins im Ich-Bewusstsein. Das werde ich zu zeigen versuchen.
Die Lektüre von E. Fromm „Die Seele des Menschen" zeigte mir, dass sehr wohl in der Psychologie ein Verständnis für die Situation des Menschen im Narzissmus vorliegt. Diese Abhandlung hat mir in meinen schwersten Stunden sehr geholfen. Was ich mir noch gewünscht hätte, wären klare Hinweise zu bestimmten Zuständen gewesen. Diese kann ich jetzt geben und ich hoffe, dass dies Menschen in einer ähnlichen Situation eine echte Hilfe sein kann.
Vorwort zum Neudruck von Sackgasse „Ich" im August 2012
Es ist nun fast sieben Jahre her, dass ich mein erstes Buch „Sackgasse ‚Ich’ geschrieben habe. Inzwischen sind ja weitere 15 Büchlein hinzugekommen. Anlässlich eines Neudrucks habe ich es nun wieder einmal durchgelesen, was sehr spannend war. Ich hatte es damals unter dem unmittelbaren Eindruck meiner tiefgreifenden Erlebnisse im Jahr 2005 – die ich dann ausführlich in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit
beschrieben habe - geschrieben. Da ich keinen Verlag gefunden habe, entschloss ich mich 2008, es selber zu drucken und auf Amazon anzubieten. Die erste Käuferin hat mich auf McKenna aufmerksam gemacht, durch den eine Lawine ins Rollen kam. Von ihm ausgehend arbeitete ich mich in die wichtigsten Werke der spirituellen Literatur ein. Wie erstaunt war ich nun, dass ich viele Kerngedanken der spirituellen Literatur in dieser meiner ersten Schrift ohne es zu ahnen berührt habe. Obwohl mein Erleben eher in der Schizophrenie anzusiedeln war, brachte es mir die wesentlichen Erkenntnisse der Spiritualität nahe.
Ich kann heute mit einem gewissen Abstand zurückblicken und stelle fest, dass das, was damals eher tastende Überlegungen und Einsichten waren, sich voll bestätigt haben. Ich bin heute überzeugt, dass Menschsein ganz grundsätzlich darauf abzielt, das Ich zu transzendieren. Die Tragik besteht darin, dass dies keine Möglichkeit des Ichs ist, sondern ein Prozess, in dem sich der eine aus unerfindlichen Gründen mehr und ein anderer weniger befindet. Warum das so ist, haben wir einfach hinzunehmen.
Ich sehe heute, dass manches nur kurz, vielleicht zu kurz angedeutet ist, so dass das Mitdenken des Lesers mehr als wünschenswert gefordert ist. Aber breitere Ausführungen hätten das Büchlein nur umfangreicher gemacht, ohne dass Wesentliches hinzugekommen wäre. Ich denke, dass der Kern dessen, worum es mir geht und wie ich den Menschen im Ich sehe, sichtbar wird.
Bad Aibling, den 2. August 2012
Einleitung
Meine Abhandlung richtet sich an Menschen, denen es darum geht, das Problem der menschlichen Existenz zu lösen. Es dürften in der Regel Menschen sein, die schon verschiedenste Wege eingeschlagen haben: traditionell-religiöse, esoterische, tiefenpsychologische oder spirituelle wie Yoga, Zen-Buddhismus, Mystik u.v.a.. Aber auch Menschen, die vielleicht schon aufgegeben haben, je eine Antwort zu finden und solche, die in gefährliche Grenzsituationen geraten sind, wie ich. Denn das Problem der menschlichen Existenz ist ein Problem des Narzissmus, des grundlegenden Zustands des Menschen im Ich-Bewusstsein. Psychologisch ist leicht nachzuvollziehen, dass der Mensch beim Eintritt in das Leben zunächst nur um seine Existenzsicherung kreist, d. h. um Nahrungsaufnahme und sein körperliches Wohlbefinden. Die Sorge um sich selbst ist primär, aber bleibt sie es das ganze Leben lang? Im weiteren Lebensverlauf tritt allmählich das Du der Mutter, anderer Menschen und die Welt insgesamt in das Bewusstsein, aber eben in das Bewusstsein des Ichs, nicht ins Bewusstsein des Menschen als solchem. Das Ich lässt - mehr oder weniger - anderes in sein Bewusstsein; dadurch verändert es sich, wird wissender, ängstlicher, weltoffener oder weltablehnender, je nach den Eindrücken, die auf es einwirken – aber es bleibt immer Ich. Dieses grundlegende Ich-Verhaftetsein wird religiös-christlich interpretiert als Sündenfall verstanden, und weil es universal jeden Menschen betrifft, als Erbsünde. Es ist damit nichts anderes gemeint als die Grundgegebenheit des Menschseins in seinem Dasein als Ich. Sündenfall ist das Fallen aus der Einheit mit dem göttlichen Ursprung, was unabdingbar mit dem Eintritt in die menschliche Existenz vollzogen wird. Narzissmus ist keine Krankheit, wie neuere psychotherapeutische Arbeiten nahe legen wollen, sondern eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins. Die Ichverhaftetheit ist damit auch relativ unabhängig von Erziehung und Umwelteinflüssen. Natürlich wirken Erziehung und Umwelt verstärkend oder abschwächend, so wie eine Rose bei liebevoller Pflege viel besser gedeiht als wenn sie vernachlässigt wird. Aber an der Struktur der Rose ändert sich dadurch nichts. Genauso ist es beim Ich: Es blüht auf, wenn es gefördert wird und stellt sich übertrieben in den Mittelpunkt oder es wird ängstlich, unsicher, wenn es vernachlässigt wird; aber es bleibt immer Ich. Und so stellt sich die Frage: Gibt es ein Entkommen aus dieser Existenz im Ich-Bewusstsein, gibt es ein Zurückfinden zu dem ursprünglichen Einssein? Offensichtlich haben manche Menschen ein Empfinden, ein Wissen, einen inneren Antrieb, diesen Ich-Zustand zu überwinden. So weit ich sehe, wird der radikalste Versuch zur Überwindung des Ichs im Zen-Buddhismus unternommen; das Christentum bietet Erlösung durch den Glauben an Jesus-Christus an; bei S. Freud scheint es kein Entrinnen aus dem Narzissmus zu geben.
Seit frühester Jugend habe ich geahnt, geglaubt, gehofft, dieser – damals noch nicht klar gesehenen - Ich-Verhaftetheit zu entrinnen. Aber es war immer der Versuch, vom Ich her das Ich zu überwinden, und das ist notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Das Ich kann sich nicht, wie Münchhausen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Darin liegt die große Tragik: Ich bin bemüht, die Ichhaftigkeit zu überwinden und bleibe doch immer im Ich gefangen. Ausweglos! Es ist wie in F. Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz", wo ein Mensch lebenslang Einlass begehrt, ihm der Zugang aber verwehrt wird und ihm am Ende des Lebens gesagt wird, dass diese Türe nur für ihn gedacht war. Das Ich hat nicht die Möglichkeit, das Ich zu überwinden. Die Verzweiflung darüber, - ganz gleich, wie viel Wissen über diese Zusammenhänge vorhanden ist -, scheint mir die Ursache vielen Leids zu sein, das Menschen über sich und andere bringen.
Tragisch ist die Unfähigkeit der meisten Menschen, - ob gebildet oder nicht -, die wahren Ursachen dessen, was ihr Leben bestimmt, zu erkennen. Im Grunde will jeder Mensch glücklich sein. Er geht in dem guten Glauben an das Leben heran: Wenn er recht handelt, sich bemüht, ein einigermaßen angenehmer Mitmensch zu sein, im Leben tüchtig ist und es zu etwas bringt, dann stellt sich das Glück schon ein. Wobei ich glaube, dass diese Haltung eher für meine Generation gegolten hat und heute sich zunehmend die Auffassung breit macht: Glücklichsein gibt’s sowieso nicht, einen Sinn im Leben gibt’s auch nicht, es geht sowieso alles den Bach hinunter, also schaue ich, dass ich zu möglichst großem materiellem Reichtum komme, dann lässt sich der verzweifelte Zustand wenigstens angenehmer aushalten. Diese Haltung ist angesichts der politischen Situation durchaus verständlich: Wie kann eine jährliche Neuverschuldung um Milliarden, die gerade mal die horrenden Zinsen der Gesamtverschuldung deckt, woanders hinführen als in den Zusammenbruch? Wie kann Wachstumsideologie, die von allen als Heilrezept gegen Arbeitslosigkeit angesehen wird, woanders hinführen als in die Vernichtung aller Ressourcen; man braucht nur den Taschenrechner zur Hand nehmen! Oder glauben wir alle sowieso nicht, dass die Erde in 200 Jahren noch bewohnbar sein wird?
Was dem heutigen Menschen abhanden gekommen ist, ist das bohrende