Angst bewältigen - aus spiritueller Sicht
Von Anton Weiß
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Buchvorschau
Angst bewältigen - aus spiritueller Sicht - Anton Weiß
Hinführung
Wenn Sie zu diesem Buch greifen, haben Sie Erfahrung mit Ängsten und wollen etwas darüber wissen, wie man mit der Angst umgehen und sie vielleicht sogar besiegen kann. Dabei stellt sich als erstes die Frage, ob alle Ängste auf eine Grundangst reduziert werden können oder ob es viele verschiedene Ängste gibt, die auch jeweils verschieden angegangen werden müssen. Lassen Sie sich von mir auf einem Weg führen, den ich selbst gegangen bin, denken Sie kritisch mit und vergleichen Sie mit Ihren Erfahrungen und überlegen Sie, inwieweit meine Darlegungen auch für Sie gelten können. Wir Menschen sind sehr verschieden, so dass das, was für den einen richtig, für den anderen falsch sein kann. Andererseits sind wir aber alle Menschen und haben damit eine Grundstruktur und gerade in Hinblick auf die Angst kann man wohl sagen, dass es zu der Grundstruktur des Menschen gehört, Angst zu haben. Es gibt ein wichtiges Buch von Fritz Riemann: Grundformen der Angst, das ich jedem empfehlen möchte.
Was mich zum Schreiben dieser Abhandlung veranlasst hat und warum ich glaube, zu den vielen Büchern über Angst noch eines hinzufügen zu müssen, ist mein persönliches Erleben der Angst und die Weise, wie mir die Bewältigung gelang. Diese Weise, denke ich, ist ungewöhnlich und könnte für andere Menschen eine Anregung sein, sich mit dieser Weise auseinander zu setzen. Es mag verschiedene Wege geben, Angst zu bewältigen, aber mein Weg war eben so.
I. Persönliches
Wenn ich mich an meine Jugendzeit zurück erinnere, dann ist mir im Gedächtnis geblieben, dass ich als junger Mensch Angst eigentlich nicht kannte. Die einzige Form war eine Kellerangst. So wie andere eine Spinnenangst oder Mäuseangst haben, so hatte ich eben Kellerangst, was mich aber nicht sonderlich beunruhigte. Die wichtigen Ängste wie die Angst zu versagen oder die Angst, ins Leben zu treten, wie ich sie an anderen erlebte, lernte ich kaum kennen. Natürlich kannte ich das mulmige Gefühl vor Schulaufgaben, ob ich genügend vorbereitet wäre und bei der Herausgabe, was meine Note wäre. Aber diese Ängste erlebte ich nicht als bedrohlich, sondern sie gehörten für mich zum Leben. Ich hatte wenig Verständnis für Menschen, die sich mit Ängsten der verschiedensten Art herumschlugen, auch noch, als ich Religionslehrer geworden war. Ich lernte die Angst, das Leben nicht zu bewältigen oder auch die Angst zu versagen nicht kennen. Erst durch die Behandlung dieses Themas im Religionsunterricht – es war Lehrstoff in der 11. Klasse des Gymnasiums - merkte ich, wie wichtig für die jungen Menschen dieses Thema war. Ich besprach die vier Grundformen der Angst, die Fritz Riemann am Beispiel der Gestirne Sonne und Erde verdeutlicht: Den vier Grundkräften – der Rotation der Erde um sich selbst, der Revolution als der Drehung der Erde um die Sonne, und der Schwerkraft und Fliehkraft – entsprechen nach Riemann im menschlichen Leben jeweils vier Forderungen, die immer als Gegenstück die entsprechenden Ängste hervorrufen: Die Angst vor der Selbsthingabe, die als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt wird, die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt, die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt und die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt. Mir hatte das alles sehr eingeleuchtet, aber es blieb doch nur eine intellektuelle Auseinandersetzung, der die Betroffenheit von diesen Ängsten fehlte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es Menschen gibt, für die diese Ängste lebendige Wirklichkeit waren, aber mir selbst fehlte der Bezug dazu.
Ich glaubte, alle Ängste auf eine Grundangst zurückführen zu können, auf die Angst vor dem Tod. Es ist eine allgemein bestätigte Tatsache, dass in unserer westlichen Gesellschaft der Tod verdrängt wird. Unser Leben ist darauf ausgerichtet, die Zeit voll auszunützen, um möglichst viel erleben zu können. Da wir Gott und den Glauben an ein jenseitiges Weiterleben nach dem Tod aus unserem Bewusstsein verbannt haben, bleibt uns nur diese eine Lebenszeit, die man bis ins letzte auskosten muss. Das erklärt die Hektik unserer Zeit, die Jagd nach Vergnügen und die Weigerung, Schmerz, Leid und Tod als etwas Positives sehen zu können. Der Tod vernichtet alles, was uns das Leben wert macht. Durch den Verlust der Religion, die den Menschen an ein jenseitiges Leben glauben ließ, hat er nur noch ein einziges Leben. Und dieses eine Leben muss ihm alles bieten, er muss es bis ins Letzte auskosten. „Sie leben nur einmal, da sollten Sie sich an Genuss gönnen, was Sie nur kriegen können" lautet ein Werbespruch (Lasch S. 23). Er trifft den Lebensnerv des modernen Menschen.
Ist es da ein Wunder, wenn wir den Tod fürchten, Angst vor ihm haben und diese Angst verdrängen, weil sie uns am Auskosten des Lebens hindern und lähmen würde?
In der existenzialistischen Psychotherapie – ich beziehe mich dabei auf Irvin Yalom – wird der Tod als die letzte Wurzel aller Ängste verstanden. Ich bin heute nicht mehr so überzeugt, dass die Angst vor dem Tod wirklich die Angst ist, die hinter allen anderen Ängsten steht.
Dennoch bin auch ich überzeugt, dass es eine allen Ängsten zugrunde liegende Urangst gibt.
Wie gesagt, ich lernte Angst eigentlich nicht kennen, litt aber zunehmend unter Kreuzschmerzen. Da ich von der psychischen Ursache vieler körperlicher Beschwerden überzeugt bin, beobachtete ich mich genau, um der Ursache für die Kreuzschmerzen auf den Grund zu kommen. Zunehmend wurde mir klar, dass sie die Folge einer Verkrampfung, einer Abschnürung waren.
Irgendwann entdeckte ich, dass ich nicht Angst hatte, sondern Angst war. Mein ganzes Sein bestand aus Angst. Jeder Lebensvollzug war von Angst begleitet. Ich war immer in Hab-Acht-Stellung, etwas nicht richtig gemacht, mich falsch verhalten, etwas Falsches gesagt zu haben .So wie der Fisch, hätte er Bewusstsein, sicher nicht erkennen könnte, dass er im Wasser schwimmt, da er gar nichts anderes kennt, so lebte ich die Angst, ohne mir dessen bewusst zu sein. Ich spürte aber die dadurch hervorgerufene Abschnürung in der Körpermitte und eine unglaubliche Verkrampfung, die mir oft das Durchatmen schwer machte. Dieses Gefühl des sich Abschnürens begriff ich als den Versuch, mich nicht zu verlieren. Ich hatte Angst, mich zu verlieren, meinen Halt zu verlieren. Es gelang mir schon in meiner Jugend nicht, mich flach mit dem Rücken aufs Bett zu legen und mich völlig zu entspannen, mich fallen zu lassen. Ich merkte, dass ich unfähig war, loszulassen. Es war immer eine Anspannung vorhanden. Ich brachte es damals aber nicht mit Angst in Zusammenhang. Jetzt begriff ich, dass es die Angst war, ins Bodenlose zu fallen. Wenn ich mich nicht halte, nicht festhalte, dann falle ich ins Leere. Diese Angst, ins Leere zu fallen, schnürte mich in der Körpermitte dermaßen ab, dass ich glaubte, auseinanderbrechen zu müssen. Wie wenn eine übergroße Faust mich in der Mitte fest umklammert hielt. Angst hängt ja mit eng zusammen. Diese Umklammerung erfuhr ich als Verengung, die mich vom Strom des Lebens abgeschnürte. Die Lebensenergie konnte durch diese Verengung nicht mehr zu mir durchkommen. Meine intensive Beschäftigung mit dem Werk von C. G. Jung machte mir allmählich klar, dass ich mich durch mein einseitiges Stehen im Ich-Bewusstsein von der unbewussten Energie abschottete.
Und dann die Erkenntnis: Das, was mich abschnürt, bin ich selbst. Ich bin es, der mich mit eiserner Faust vom Strom des Lebens abschnürt, und zwar in einer Tiefe, in die ich überhaupt nicht vordringen kann. Das zu erleben, treibt einen in die absolute Panik, in die Angst hoch 1000. Das führte mich ja zu der Erkenntnis, dass ich mich selbst gar nicht aus mir befreien kann, dass ich dieser Abschnürung nicht beikommen und rückgängig machen kann. Aber wenn ich es bin und ich es doch nicht kann, wer kann es dann, wer kann in diese Tiefe vordringen? Wenn es eine Möglichkeit gibt, dann muss es so sein, dass ich in meinem Menschsein mehr bin als in meinem Ich-Sein, dass mein Menschsein fähig ist, mein Ich-Sein zu transzendieren. Ich bin es selbst, aber in einer Tiefe, die mehr ist als ich, die die Tiefe meines Ichs noch übersteigt und dahinter liegt. Diesen Glauben muss man haben. Ob es ein religiöser Glaube sein muss oder ein Glaube an den Sinn des Menschseins, an den Sinn des Lebens, der Natur oder wie auch immer, vermag ich nicht zu sagen. Bei mir war es der religiöse Glaube, der Glaube, dass diese andere Seite meines Menschseins Gott ist. Es gibt im indischen Denken Formulierungen wie: Ich bin er, was ausdrückt, dass ich und Gott identisch sind. Als Christ