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Der Rest wird ganz anders: Roman über das Älterwerden, über Hoffnung und Enttäuschung in der Liebe und über die Freundschaft zwischen zwei sehr verschiedenen Frauen.
Der Rest wird ganz anders: Roman über das Älterwerden, über Hoffnung und Enttäuschung in der Liebe und über die Freundschaft zwischen zwei sehr verschiedenen Frauen.
Der Rest wird ganz anders: Roman über das Älterwerden, über Hoffnung und Enttäuschung in der Liebe und über die Freundschaft zwischen zwei sehr verschiedenen Frauen.
eBook388 Seiten5 Stunden

Der Rest wird ganz anders: Roman über das Älterwerden, über Hoffnung und Enttäuschung in der Liebe und über die Freundschaft zwischen zwei sehr verschiedenen Frauen.

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Über dieses E-Book

Henriette ist frisch gebackene Frührentnerin und hat sich vorgenommen, ihre Rentenzeit ganz anders zu gestalten als ihr bisheriges Leben. Sie begibt sich auf die Suche nach dem, was für sie wirklich wichtig ist. Der Versuch, ein neues, ganz anderes Leben zu beginnen, bringt jedoch allerhand Überraschungen mit sich. Sie muss feststellen, dass es nicht so leicht ist, alte Gewohnheiten und Vorurteile abzulegen. Und sie erkennt, wie sehr sie sich nach Liebe sehnt.
Bei ihren Versuchen, ihr neues Leben in die Hand zu nehmen, trifft Henriette auf Pia. Die junge Frau lebt auf der Straße und ist stolz darauf, ein freies, unkonventionelles Leben zu führen. Zwischen den beiden so verschiedenen Frauen entwickelt sich eine ungewöhnliche und schwierige Freundschaft.
Bei dem Buch handelt es sich um einen "Lebensroman". Der Roman erzählt erlebbar von den Anstrengungen, sich selbst zu finden und auch zu akzeptieren. Die Leserin und der Leser können zum Beispiel genau verfolgen, wie Henriette ihre Wünsche umsetzt, manchmal an ihrem Ehrgeiz und ihren Vorurteilen scheitert, sich aber immer wieder aufrappelt und neue Erkenntnisse über sich und die Welt gewinnt!

Neben der Altersthematik geht es um eine Reihe anderer Themen und um Probleme, mit denen Menschen auch in allen anderen Lebensphasen zu kämpfen haben: die Partnersuche (insbesondere im Internet), die Angst vor Erkrankungen, das Verhältnis zu den erwachsenen Kindern und den Enkeln, die Bedeutung von Sexualität auch im Alter, die unterschiedlichen Lebensbewältigungsstrategien von Männern und Frauen, die Erklärung gesellschaftlicher Missstände - und um Liebe und Freundschaft.
Durch Pia rücken außerdem die Themen Armut, Ausgrenzung und das Leben auf der Straße mit in den Blick.
Die zwischen den beiden so verschiedenen Frauen entstehende Freundschaft führt zu einer spannenden Konfrontation zweier Welten: alt und jung, finanziell sorglos und arm, etabliert und am Rande der Gesellschaft lebend.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Okt. 2022
ISBN9783347689442
Der Rest wird ganz anders: Roman über das Älterwerden, über Hoffnung und Enttäuschung in der Liebe und über die Freundschaft zwischen zwei sehr verschiedenen Frauen.

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    Buchvorschau

    Der Rest wird ganz anders - Mathilda Seithe

    Wo ist der Himmel schon so blau?

    „Schau doch mal her, Henni!, rief Claudia entzückt aus. „Das ist doch wirklich wunderbar, einfach perfekt! Hier am Strand, gleich unterhalb des Palmenhains, laden uns Sitzgruppen zum Verweilen ein. Wie verführerisch: Vier breite Sessel aus dunklem Tropenholz mit hellen Polstern stehen jeweils um einen Tisch, der von Bambus-Schirmen beschattet wird. Und sieh mal hier: Unten am Wasser kann man es sich in diesen elegant geformten Liegen gemütlich machen und sich mit Haut und Haar der Sonne hingeben. Und dort, schon wenige Schritte von den Liegeplätzen entfernt schillert auf dem hellen Sand das heran- und wieder ablaufende Wasser in zarten Aquarelltönen von Hellblau bis Türkis und glitzert im Licht. Aber wenn man weiter schaut, auf das offene Meer hinaus, erscheint das Wasser dunkler, kräftig blau, intensiv türkis, fast schwarz. Mir kommt es fast so vor, als bewege sich die See, obwohl sie gleichzeitig in sich zu ruhen scheint. Kannst du dir das vorstellen: Zwischen Sandstrand und Himmelsblau strömen nicht enden wollende Wassermassen: Wasser, Wasser und immer nur Wasser! Aber sieh, ganz weit draußen grenzt sich die See dann doch als tintenblauer, scharf gezogener Strich vom Himmel ab. Und der strahlt in einem Blau, wie ich es in Berlin noch nie gesehen habe. Ich finde, es fühlt sich an, als ob man in diese blaue Unendlichkeit hinaufgezogen würde. Was für ein Anblick! So was Schönes!, schwärmte Claudia. Du könntest dein Geld als Texterin von Reiseprospekten verdienen!, lachte Henriette. Claudia hatte das Foto so plastisch beschrieben, dass ihre Freundin am liebsten gleich ins Wasser hineingesprungen wäre. Tatsächlich zog sich der Sandstrand - wie auf dem Foto zu erkennen - die ganze Inselküste entlang. Claudia und Henriette hatten ihn schon gestern Abend bewundert, als sie anreisten: Genau wie hier abgebildet begann der breite weiße Uferstreifen gleich hinter dem Palmenhain und reichte fast bis zum Hotel.

    Alles auf diesem Foto wirkte echt, lebendig und unglaublich schön. Selbst die prächtigen Palmwedel schienen sich sachte im warmen Wind zu bewegen, der vom Land herüberwehte.

    Ein bisschen zu schön, dachte Henriette bei sich, fast schon kitschig.

    „Komm Claudia, vertief' dich nicht in unseren Reiseprospekt! Wir sind jetzt doch wirklich hier! Du kannst gleich alles in der Realität bewundern."

    Claudia faltete den Prospekt zögernd zusammen, als fiele es ihr schwer, sich von dem Anblick zu trennen, den er ihr gerade geboten hatte.

    „Wir gehen jetzt zum Frühstück auf die Terrasse und schauen, ob der Prospekt auch alles richtig beschrieben und nicht übertrieben hat!" Henriette lächelte und fasste ihre Freundin am Arm.

    Sie betraten die Hotelterrasse und schauten sich um.

    „Genau wie im Prospekt!", jubelte Claudia verhalten und stieß ihre Freundin begeistert an.

    Tatsächlich: Die Sitzgruppen für die Frühstücksgäste glichen denen auf den Fotos aufs Haar. Man hatte sie mit hellgrünen Decken geschmückt, die dieses typisch maledivische Ornament zeigten, das den Frauen schon gestern bei ihrer Ankunft aufgefallen war.

    „Das ist ja ein Glück, dass alles genauso ist wie dort angekündigt, sonst wärst du jetzt sicher enttäuscht, meinte Henriette. Um ihren Mund huschte ein ironisches Lächeln. „Schau, selbst der Himmel ist genauso blau wie auf dem Foto! Aber schau, Henriette sah ihre Freundin schelmisch an, „den Strand kann man in Wirklichkeit von hier aus doch nicht sehen. Das wird dann wohl eine Fotomontage sein."

    „Ach, Henni, sei doch nicht so streng! Immer hast du was zu meckern! Und wenn man sich ein bisschen streckt, kann man ihn sehr wohl von hier aus sehen!" Claudia stellte sich auf die Zehenspitzen. Mit zitternden Fußgelenken versuchte sie, ihr Gleichgewicht zu halten und streckte ihren Körper so lang, wie es eben ging.

    „Ha! Jetzt sehe ich ihn!", rief sie triumphierend aus.

    „Komm, setz dich, Claudia! Es ist auch so schön hier, selbst wenn es nicht ganz mit dem Foto übereinstimmt", gab sich die Ältere versöhnlich.

    Kaum hatten sie sich einen Sitzplatz ausgesucht und ihre Stühle zurechtgerückt, trat ein junger Kellner diskret an ihren Tisch und fragte, was sie zum Frühstück trinken wollten.

    Er war kein Einheimischer, stellte Henriette interessiert fest. Er kam vermutlich aus einem der Nachbarländer, ein Inder vielleicht. Sie hatte gelesen, dass auf den Malediven im Tourismusbereich selten Einheimische arbeiteten. Die Arbeitskräfte aus den umliegenden Ländern waren weitaus billiger für die Hotelbesitzer.

    Sie wischte den Gedanken fort und widmete ihre Aufmerksamkeit der Gestalt des Kellners. Der Mann hatte auffallend ebenmäßige Züge und eine bronzefarbene Haut. Sein wohlgeformter Körper wirkte stark und gleichzeitig geschmeidig. Er hatte sie schon gestern beim Abendessen bedient und war beiden als besonders charmant aufgefallen. Sofort unkte Claudia, sie hätte nichts gegen einen kleinen Urlaubsflirt mit diesem hinreißend schönen Mann einzuwenden. Später sahen sie dann, wie er an einem der Nebentische bei zwei alten Damen den gleichen Charme versprühte. Es war wohl sein Job, jeder der Damen hier das Gefühl zu geben, er hätte nur Augen für sie. Und wahrscheinlich war sein Charme umso sprühender, je höher das ihm zugesteckte Trinkgeld ausfiel. Sie bestellten und schauten sich noch einmal erfreut um.

    „Gib schon zu: Das war eine tolle Idee, den Beginn deiner Rente mit dieser Reise einzuläuten. Die Malediven sind genau das, was du jetzt brauchst, um Abstand und Ruhe zu gewinnen, stimmt’s?"

    „Du hast völlig recht. Von so was träumt der Mensch, wenn er Tag ein Tag aus hinter seinem Schreibtisch sitzt oder am Telefon hängt", gab Henriette zu.

    „Es ist nur zu kurz, meinte jetzt Claudia. „Wenn ich mir vorstelle, ich muss Montag in zwei Wochen zurück in die alte Tretmühle … Das macht mich echt traurig. Aber du ja nicht – du bist jetzt ein freier Mensch, fügte sie hinzu und schaute Henriette mit gespieltem Neid an. „Hast du eigentlich schon konkrete Pläne?", wollte sie wissen.

    Henriette kannte Claudia seit vielen Jahren. Claudia war das für sie, was man die beste Freundin nennt. Sie sahen sich einmal in der Woche mit anderen Frauen zum Rommé, gingen zusammen in die neusten Filme, zum Shoppen, trafen sich auf einen Kaffee in Kreuzberg oder auf ein Glas Wein auf dem Kudamm. So ging das seit Jahren.

    Claudia war glücklich verheiratet, wie sie versicherte. Sie und ihr Mann verbrachten nicht sehr viel Zeit miteinander. Er war oft geschäftlich unterwegs und außer Landes, aber Claudia war nicht böse darum. Sie hatte ja Henni und ihre Enkel – die zwei Kinder ihres ältesten Sohnes.

    Seit die Enkel auf der Welt waren, hatte sie sich als Obermutter der Familie entdeckt und ging mit Begeisterung in dieser Rolle auf. Sie hielt die Familie zusammen, ließ keine Gelegenheit zum Feiern aus und übernahm nicht selten die Betreuung der Kinder. Claudia musste noch einige Jahre in ihrem Beruf als Buchhalterin arbeiten, doch sie freute sich schon auf den Tag, an dem sie aufhören durfte, denn dann würde sie sich noch intensiver um ihre Enkel kümmern können.

    Vor einigen Monaten hatte sie Henni angeboten, mit ihr eine große Reise zu machen – direkt nach deren Berentung, sozusagen als krönenden Abschluss der langen Arbeitszeit - aber ebenso als Paukenschlag für Hennis neues Leben. Ein Traumurlaub sollte das werden: weit weg von der Heimat, in einer fremden, märchenhaften Natur, irgendwo, wo es nur schön war und wo keine Verpflichtungen, Sorgen oder Anstrengungen auf sie warteten. Claudia schlug die Malediven vor. Das Bild auf jenem Prospekt überzeugte auch Henriette. Und Claudias Angebot, mit ihr zusammen zu reisen, fand sie rührend. Sie hatte das Angebot ohne zu zögern angenommen.

    Und jetzt saßen sie wirklich hier, genau auf jener Terrasse, die im Prospekt abgebildet war.

    „Und? Hast du nun schon konkrete Pläne?", wiederholte Claudia ihre Frage, weil Henriette nicht reagierte und gedankenverloren in die Ferne starrte. Henriette griff nach ihrer schneeweißen Tasse und schlürfte den kalt gewordenen letzten Schluck ihres Cappuccinos.

    „Ja, große Pläne, ehrlich gesagt", antwortete sie jetzt und sah auf.

    Claudia wunderte sich über den entschlossenen Ausdruck in ihrem Gesicht.

    „Eine richtige Weltreise?"

    „Das nicht. Vielleicht viele kleine Reisen, vielleicht reicht mir auch mein Balkon."

    „Wieso das denn?"

    „Weißt du, ich habe ganz was anderes vor, als schöne Reisen zu unternehmen. Ich will mein Leben neu sortieren."

    „Du kannst dir jetzt ‘ne schönere Wohnung leisten, bei der Abfindung, die sie dir gegeben haben. Irgendwo im Grünen?"

    „Vielleicht auch das. Ich möchte mir genau überlegen, was ich nun noch tun soll auf dieser Welt. Und ich möchte vor allem nur noch das tun, was ich will, was mir gefällt und was einen Sinn hat."

    Claudia lachte.

    „Am besten suchst du dir dann einen Guru in Indien."

    „Brauch ich nicht, antwortete Henriette, ohne auf Claudias Scherz zu reagieren. „Ich möchte mir endlich Zeit nehmen, nachzudenken: über mein Leben, mein bisheriges und mein zukünftiges. Und vielleicht probiere ich noch was ganz Neues aus, etwas, das ich noch nie getan habe …

    „Oh, là, là! Klingt ja spannend! Ich tippe mal: Du meldest dich bei einem Sexclub an."

    „Quatsch!"

    „Wie wär‘s mit einem neuen Mann? Ich finde, du warst lange genug solo."

    „Nee, eigentlich nicht. Ich hatte drei davon und weiß, wenn ich mich auf so was einlasse, ist es aus mit den Plänen, mein eigenes Leben zu leben. Nein danke, Claudia." Henriette schüttelte energisch den Kopf.

    „Weißt du eigentlich, dass dein Chef sich jetzt hat scheiden lassen?"

    „Wolfgang? Kein Interesse. Mit dem bin ich seit Langem durch. Das war einmal."

    „So, so." Claudia sah lachend auf.

    Henriette schwieg.

    „Aber weißt du was?, wechselte Claudia das Thema. „Ich wüsste, was ich an deiner Stelle täte.

    „Und was?"

    „Einfach ab und weg! Irgendwo hin, wo es schön ist, wo die Sonne immer scheint…"

    Henriette zwinkerte ihrer Freundin zu. „Und deine Enkel?", gab sie zu bedenken.

    „Verdammt! Ach, na ja, die nehme ich einfach mit."

    Nach dem üppigen Frühstück gingen die beiden auf ihr Zimmer, um die Strandsachen zu holen. Überall in ihrem geräumigen Raum lagen die nur halb ausgepackten Koffer und Taschen herum. Aber das war ihnen gleich. Sie hatten schließlich Urlaub. Jetzt wollten sie den Strand erobern! Die Strandtaschen standen schon gepackt neben den Betten.

    Vom Palmenhain waren es tatsächlich nur wenige Schritte bis zum Strand. Schon bald konnten sie durch die Baumstämme hindurch das Leuchten des Sandes und das Glitzern des Wassers sehen. Nach wenigen Minuten streiften sie sich die Sandalen von den Füßen und liefen barfuß durch den weichen, noch nicht heißen Untergrund bis zum Flut Saum. Dort tauchten sie mit größtem Vergnügen die sandigen Füße in das kühle Wasser.

    In der Hitze der Mittagszeit saßen sie nach dem Essen oft auf der Terrasse im Schatten oder lagen auf ihren Betten und lasen. Manchmal spielten sie eines der mitgebrachten Gesellschaftsspiele. Aber eigentlich waren sie dazu viel zu faul. Ein, zwei Mal liefen sie ins Innere der Insel, um etwas von Land und Leuten zu sehen.

    Erst in den etwas erträglicheren Nachmittagsstunden lagen sie am Strand am Wasser auf einer der eleganten Liegen, ein Getränk neben sich, die Augen geschlossen. Später liefen sie ins Meer hinaus und schwammen. Das Wasser war fast zu warm dafür. Wenn sie wieder zurück waren, cremten sie sich gegenseitig den Rücken neu ein. Ab und an spielten sie Badminton mit einem Spiel, das man im Hotel leihen konnte.

    Die Urlaubstage plätscherten dahin. Sie versuchten, die Tage nicht zu zählen.

    Urlaubsplaudereien

    Claudia ging öfter ins Wasser als Henriette und kam manchmal lange nicht zurück. Der machte das nichts aus. Sie lag am liebsten einfach da und dachte nach oder versuchte, sich mit dem Reiseführer schlau zu machen. Einfach immer nur am Strand liegen und nichts erfahren über die Gegend und das Land, in dem man sich befand, das war nichts für sie.

    Wenn ihre Freundin vom Schwimmen zurück war und sich neben sie in die Sonne legte, ließ Henriette Claudia an ihren neusten Erkenntnissen teilhaben.

    „Weißt du schon, dass die Malediven aus über eintausend Inseln bestehen, von denen nur 220 von Einheimischen bewohnt werden?"

    Claudia hörte interessiert zu, sagte aber nichts.

    „Hier wird es nachts fast nie kälter als 25 Grad, setzte Henriette nach einer Pause wieder an. „Die beste Reisezeit ist übrigens die von November bis April. Sonst ist es zu heiß oder regnet ständig.

    „Da haben wir es ja richtig gemacht", ließ sich Claudia vernehmen. Sie bearbeitete gerade mit Energie ihre Fingernägel.

    „Ach, und noch was Interessantes: Die Malediven gehören zu den ärmsten Ländern der Welt."

    „Echt? Hier sieht alles aber so nobel aus, findest du nicht auch?"

    „Es gibt hier durch den Tourismus inzwischen auch jede Menge Millionäre. Aber das Geld fließt an der einheimischen Bevölkerung vorbei."

    Claudia schwieg.

    „Die haben hier eine unglaublich hohe Arbeitslosenquote und 40 Prozent der Stellen werden von Ausländern besetzt."

    „Wie unser schöner Inder."

    „Genau. Ich finde es, ehrlich gesagt, irgendwie unangenehm, dass wir hier sitzen und uns pflegen und es uns gut gehen lassen, während die Bevölkerung nichts davon hat."

    „Fang nicht wieder an, dir solche Gedanken zu machen, Henni!"

    „Aber es stört mich, dass es das gibt. Die einen genießen ihr Leben und die anderen wissen vielleicht nicht, wie sie sich und ihre Kids satt kriegen sollen."

    „Ach Henni, nun hör doch wenigstens im Urlaub auf, an allem was Negatives zu finden."

    „Tu ich das? Ich kann nur nicht wegsehen, wenn ich auf Ungerechtigkeiten stoße. Ich kann mir auch nichts vormachen und mir alles schönreden."

    „Ich sage dir, Henni, mach dich nicht immer verrückt! Wir können da sowieso nichts dran drehen. Es nutzt doch nichts, diese Menschen zu bedauern. Man muss sehen, dass man selbst nicht zu kurz kommt. Das ist alles, was zählt."

    „Ich weiß nicht, Claudia. Ich finde das zu einfach. Und manchmal denke ich, es ist vielleicht auch gefährlich, sich nicht um so was zu kümmern."

    „Ach, ich seh' schon, du wirst deine Rentenzeit dazu verschwenden, bei irgendeiner Partei mitzumachen", spottete Claudia.

    „Nee, aber vielleicht geh ich zu …" Henriette überlegte und sagte dann einfach „Greenpeace", weil ihr gerade nichts anderes einfiel.

    „In deinem Alter? Die nehmen dich bestimmt nicht."

    „Was hat denn das Alter damit zu tun?"

    „Du wirst sehen, alles hat mit dem Alter zu tun. Als Frau wird man ab 50 nicht mehr wahrgenommen. Kennst du die Geschichte von dem Straßenbahn-Test nicht? War 'ne richtige Untersuchung von Sozialwissenschaftlern."

    Henriette schüttelte den Kopf.

    „In einer voll besetzten Straßenbahn stiegen zu: ein Mann im Alter von 30, ein alter Mann um die 70, ein junges Paar, zwei Schulkinder, eine ältere Frau um die 55 und ein junges Mädchen. Später wurden die Mitfahrenden gefragt, an wen sie sich erinnern konnten. Alle erinnerten sich an das Paar und den jungen Mann. Die meisten konnten sich auch an die Schulkinder, das Mädchen und den alten Mann erinnern. Niemand erinnerte sich an die ältere Frau."

    „Toll! Henriette lachte. „Das sind ja fantastische Aussichten. Ich habe mir schon als kleines Mädchen gewünscht, unsichtbar sein zu können.

    „Mach dir nichts vor, das ist kein Spiel und kein Witz. Wenn du als Frau ein gewisses Alter erreicht hast, brauchst du ein verdammt gutes Selbstbewusstsein, um das zu ertragen. Ich merke das jetzt schon, Henni!"

    Henriette sah ihre Freundin zweifelnd an. Mit ihrem flotten Kurzhaarschnitt, der schlanken Figur und dem noch fast faltenfreien Gesicht wirkte sie deutlich jünger, als sie war. Henriette wusste allerdings auch, dass sie eine Menge Zeit und Geld für ihr Aussehen aufbrachte. Noch sahen ihr die Männer hinterher, zumindest wenn sie zwei zusammen waren. Sie, Henriette, schaute keiner mehr an. Machte ihr das was aus? Sie war sich nicht sicher.

    „Es gab da mal ein Buch, als ich um die 30 war, das hat mir mal 'ne Freundin gegeben. Ich glaube es hieß: „Die Scham ist vorbei. Die Autorin war Holländerin, eine Aktivistin der Frauenbewegung, damals in den 70er Jahren. Ich fand es reichlich schamlos, muss ich gestehen. Aber so hieß es schließlich auch. Aber eines daraus habe ich mir gemerkt, und das fällt mir jetzt ein: Wie sehr wir Frauen uns immer noch über die Männer definieren. Die Protagonistin in dem Buch stellt einmal fest: „Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad. Verstehst du, was das bedeuten soll?"

    Claudia sah sie verständnislos an.

    „Das heißt doch wohl: Eine Frau ist ohne Mann genauso eine Frau. Sie braucht ihn nicht zu ihrer Identität. Ich habe da schon oft drüber nachgedacht. Und wenn ich dich so höre, denke ich, wir sind heute immer noch weit von solchen Vorstellungen entfernt, was meinst du?"

    „Ich finde das blöd, ehrlich gesagt. Natürlich brauchen wir Frauen die Männer."

    „Aber brauchen uns die Männer genauso? Ist ein Mann weniger ein Mann, wenn er ohne Frau dasteht? Eine Frau ist doch auch jetzt immer noch die Frau von dem und dem, oder?"

    „Ach ich finde, du übertreibst. Guck doch mal die amerikanischen Präsidenten an. Die treten immer mit ihren Frauen in die Öffentlichkeit."

    „Stimmt schon, vielleicht ist es auch nicht mehr so, wie zu der Zeit, als die Autorin dieses Buch schrieb. Aber irgendwie reizt mich dieser Spruch heute noch, gerade jetzt, wo ich mein Leben neu sortieren möchte."

    Abends, wenn sich die Sonne mit einem verschwenderischen Aufwand an Farben und Glanz anschickte, im Meer zu versinken, setzten sich die beiden Freundinnen oft auf die Hotelterrasse, tranken ihr maledivisches Kokosnuss-Wasser- Getränk und aßen eines der typischen maledivischen Gerichte. Besonders lecker fanden sie die frittierten Bananen. Diese Abende waren genau die richtigen Situationen für Erinnerungen.

    „Weißt du noch, fragte Claudia, „auf meinem 30. Geburtstag haben wir uns zum ersten Mal gesehen. Du warst da gerade mit deinem Sexprotz Hans zugange.

    „Über Tote spottet man nicht. Henriette lächelte nachsichtig. „Dieser Sexprotz wurde später immerhin mein zweiter Ehegatte.

    „Wir fanden euch damals unmöglich. Er hat die Finger nicht von dir gelassen."

    „Na und? So war er halt. Und ich war damals genauso scharf auf ihn wie er auf mich. Das hat sich allerdings irgendwann gelegt."

    „Ich kann mich noch erinnern, wie deine Töchter ausgerastet sind, als du ihnen gesagt hast, dass du wieder heiraten willst – und vor allem wen."

    „Ach meine Töchter! Wie können Kinder sich anmaßen, so in das Leben ihrer Mutter einzugreifen! Klar, sie wollten ihren Vater zurück, aber er war ja nicht völlig aus ihrem Leben verschwunden. Sie hingen damals ständig bei Jens und seiner Freundin 'rum und haben das Baby angehimmelt … Trotzdem haben sie es nicht lassen können, alles daran zu setzen, mir mein Glück zu vermiesen. Ja, wahrhaftig, ich erinnere mich."

    Henriette stöhnte. Sie konnte den alten Ärger noch immer fühlen.

    „Du hast dich aber durchgesetzt damals. Schließlich hast du ihn geheiratet."

    „Ach, ich weiß nicht. Hans hat sich durchgesetzt. Er hat mir einfach verboten, mich von dem Gejammer der Mädchen beeindrucken zu lassen. Wen ich heiraten will, das ginge sie nichts an. Ich sollte tun, was ich will, sagte er. Aber letztlich habe ich getan, was er wollte. So war das bisher immer bei mir, Claudia."

    „Ich hatte mit meinen Kindern eigentlich nie solche Auseinandersetzungen. Nur damals, als Kevin darauf bestanden hat, vom Gymnasium abzugehen, haben wir mal hart durchgegriffen. Er ist mir dafür heute dankbar."

    „Gott sei Dank leben meine beiden Töchter inzwischen ihr eigenes Leben und bedrängen mich nicht mehr", meinte Henriette.

    „Findest du das gut? Ich finde, ich sehe Kevin viel zu selten."

    Henriette sah Claudia nachdenklich an. Über Kinder und Enkel konnte man mit ihr nicht reden. Da waren sie beide einfach zu verschieden. Claudia war eine leidenschaftliche Oma. Und sie, Henriette, war der Meinung, dass sie immerhin 20 Jahre ihres Lebens in erster Linie ihren beiden Kindern gewidmet hatte. Sie fand, dass das reichte.

    „Da, schau mal, gleich ist die Sonne weg. Ich könnte das immer wieder sehen!", lenkte sie vom Thema ab.

    Die Insulanerin

    An einem besonders hellen und heißen Tag suchten sie im Innern der kleinen Insel Schatten und Kühle. Sie schlenderten durch die gepflegten Anlagen und gingen dann auf der einzigen Straße bis zu dem großen Gebäude in der Mitte der Insel. Vermutlich war auch das ein Hotel. Als sie näherkamen, sahen sie, wie eine alte Frau am Lieferanteneingang stand und mit jemandem sprach.

    Die Frau wirkte fremd und ärmlich in dieser noblen Umgebung. Claudia und Henriette vermuteten sofort, dass es eine Einheimische war. Eigentlich kam es ihnen indiskret vor, aber die Neugierde trieb sie dazu, noch näher an die Szene heranzutreten. Nun konnten sie hören, dass die Frau etwas mit weinerlicher Stimme sagte, und der Mann an der Pforte mit lauten, barschen Worten antwortete. Sie schien um etwas zu bitten. Das wiederholte sich einige Male. Die Stimme der Frau wurde schrill. Plötzlich fasste der Mann sie am Oberarm und schubste sie mit einer heftigen Bewegung fort. Die Frau stürzte zu Boden. Er brüllte noch etwas und schloss blitzschnell die Tür hinter sich.

    Claudia und Henriette starrten auf die Frau, die aufgeschrien hatte und sich jetzt mit Mühe wieder vom Boden erhob. Sie jammerte und schimpfte vor sich hin, glättete ihren Wickelrock und wischte sich Tränen aus den Augen. Jetzt sahen sie, dass sie gar nicht alt war, sondern vielleicht um die 30.

    Ohne miteinander ein Wort zu wechseln; blickten sich Claudia und Henriette an und folgten dann ihrem Impuls. Sie gingen auf die Frau zu und fragten, ob sie ihr irgendwie helfen könnten. Die sah auf, nahm die beiden offenbar erst jetzt wahr und erschrak. Und ehe Claudia der Frau die zwei Euro, die sie immer in ihrer Hosentasche trug, hinhalten konnte, richtete die sich auf und rannte davon. Ihr Schimpfen war noch einige Zeit zu hören.

    Claudia steckte das Geldstück wieder weg.

    „Wer nicht will, der hat schon!", sagte sie verärgert.

    Henriette schüttelte den Kopf.

    „Das ist Unsinn. Sie hatte Angst vor uns. Vielleicht ist es hier streng verboten, zu betteln – und das auch noch vor Touristen."

    Sie gingen schweigend den Weg zu ihrem Strandhotel zurück. Ihre gute Laune hatte einen Knick bekommen. Aber als sie von Weitem ihren jungen Kellner sahen, der ihnen zuwinkte, war das Ereignis erst einmal vergessen.

    Später zogen sie sich auf ihr Zimmer zurück in der Hoffnung, schlafen zu können. Hier war es fast genauso warm wie an der Luft draußen.

    „Ich muss immer noch an diese Frau vorhin im Dorf denken. Ich fand die Szene erniedrigend für die Bettlerin. Ich kann so was schlecht ertragen", sagte Henriette.

    „Ach, weißt du, ich glaube, die sind daran gewöhnt, so behandelt zu werden. Du glaubst gar nicht, woran sich der Mensch alles gewöhnen kann. Sie leben hier eben so. Man könnte sagen, das ist ihre Kultur. Ich finde es jedenfalls völlig sinnlos, sich Gedanken darüber zu machen. Das macht es doch auch nicht besser."

    „Über die vielen Bettler bei uns zu Hause in Berlin und die Menschen, die leere Flaschen in Abfalleimern suchen, machst du dir sicher auch keine Gedanken, was?" Henriettes Stimme klang plötzlich gereizt.

    „Meine Güte, da hätte ich viel zu tun. Wir haben in Deutschland ein gutes Sozialhilfesystem. Bei uns muss keiner hungern. Schau dich mal in anderen Ländern um, auch in anderen europäischen Ländern. Die sollen einfach Hartz IV beantragen und dann geht das schon. Ich finde es lästig, wenn die mich ständig anmachen. Man sollte so was eigentlich verbieten."

    Henriette antwortete nicht.

    Minuten später hörte sie Claudias ruhige Atemzüge. Sie selbst lag noch lange wach.

    Nein, ich will mich nicht daran gewöhnen, dachte Henriette empört. Ich will mich nicht mehr einfach an alles gewöhnen, erst recht nicht, wenn es mir nicht gefällt. Das war einmal so. Jetzt will ich herausfinden, was mir an dieser Welt stinkt. Und mit Ungerechtigkeit und der Armut vieler Menschen will ich mich schon gar nicht abfinden. Oder mit der Wohnungsnot bei uns in Berlin.

    Der junge Mann fiel ihr wieder ein, mit dem sie sich auf dem Hinweg zum Flughafen in der S-Bahn unterhalten hatte. Er war Familienvater, hatte zwei Kinder und bezahlte für seine Drei- Zimmer-Wohnung zurzeit schon mehr als die Hälfte dessen, was er und seine Frau zusammen verdienten. Und jetzt hatte der Vermieter eine saftige Mieterhöhung angekündigt. Das würde die Familie nicht mehr aufbringen können, klagte er. Er war verzweifelt auf der Suche nach einer Wohnung, die wenigstens nicht teurer war als seine derzeitige. Henriette war schockiert. Wie konnte es sein, dass jemand mehr als die Hälfte seines Einkommens für die Miete bezahlen musste. Was blieb denn dann noch zum Leben?

    Im Flugzeug hatte sie die Geschichte dann vergessen. Jetzt fiel sie ihr wieder ein. Nein, sowas kann ich nicht einfach hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen! Claudia macht es sich verdammt leicht, überlegte Henriette. Sie starrte lange im Dunklen an die Zimmerdecke.

    Irgendwann schlief auch sie ein.

    Was kommt danach?

    Sie lagen an ihrer Lieblingsstelle in der Nähe des Wassersaumes und genossen das Licht und die Sonne. Der pure Sand unter ihnen war wunderbar warm. Er hüllte sie ein. Sie dämmerten vor sich hin. Keine der beiden sagte etwas. Henriette hing ihren Gedanken nach. Wie werden sich die Tage gestalten, wenn ich allein und tatsächlich frei sein werde?

    Henriettes Stimmung hatte sich seit dem Erlebnis mit der Insulanerin verändert. Sie gab sich zwar alle Mühe, Claudia nicht die Freude an diesem Urlaub zu verderben. Sie ging weiter mit zum Strand, lag in der Sonne, übte sich im Nichtstun, flirtete ein wenig mit dem netten Kellner … Aber eigentlich war sie mit ihren Gedanken woanders.

    Dieser Urlaub würde bald enden. In vier Tagen würden sie schon im Flieger sitzen. Die Zeit danach rückte ihr seit kurzem immer näher und beschäftigte sie.

    Mitten in das stille Zusammensein platzte Claudia mit der Ankündigung, sie wolle noch möglichst viel Sonne tanken, am besten für ein ganzes Jahr im Voraus, sonst hielte sie nicht durch.

    „Ich freu' mich inzwischen auch mal wieder auf einen richtigen Regen", antwortete Henriette. Es klang ein bisschen trotzig.

    Claudia schwieg überrascht.

    „Darf ich dich mal was fragen?", meinte sie nach einer Weile.

    „Klar! Frag schon!"

    „Warum hast du Kanada eigentlich ausgeschlagen? Warum hast du das Angebot nicht angenommen, mit der Firma nach Kanada zu wechseln? Ging es dir um die Abfindung?"

    „Du weißt es doch: Ich will endlich raus aus meinem alten Leben, das ist alles."

    „Aber hast du nicht gesagt, du willst dich verändern? Das wäre doch toll gewesen: neue Erfahrungen, neue Menschen um dich, ein neues Land, vielleicht bald eine neue Heimat! Und sind wir mal ehrlich: Du bist doch noch fit mit deinen 63

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