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Dreisbach-Lesebuch 2
Dreisbach-Lesebuch 2
Dreisbach-Lesebuch 2
eBook403 Seiten5 Stunden

Dreisbach-Lesebuch 2

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Über dieses E-Book

Elisabeth Dreisbach ist eine der bekanntesten und herausragendsten christlichen Erzählerinnen unserer Zeit.
Seit vielen Jahren schreibt sie Geschichten für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen. Viele Leser und Leserinnen haben durch ihre Bücher Lebenshilfe und Glaubensstärkung erfahren.

Aufgrund des großen Erfolgs des Dreisbach-Lesebuchs 1 legt der Verlag ein weiteres vor, das ebenfalls gehaltvolle Erzählungen aus älterer und jüngerer Zeit vereinigt.

Elisabeth Dreisbach (1904 - 1996) zählt zu den beliebtesten christlichen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre zahlreichen Romane und Erzählungen erreichten ein Millionenpublikum. Sie schrieb spannende, glaubensfördernde und ermutigende Geschichten für alle Altersstufen. Unzählig Leserinnen und Leser bezeugen wie sehr sie die Bücher bewegt und im Glauben gestärkt haben.
SpracheDeutsch
HerausgeberFolgen Verlag
Erscheinungsdatum5. Okt. 2017
ISBN9783958931565
Dreisbach-Lesebuch 2
Autor

Elisabeth Dreisbach

Elisabeth Dreisbach (auch: Elisabeth Sauter-Dreisbach; * 20. April 1904 in Hamburg; † 14. Juni 1996 in Bad Überkingen) war eine deutsche Erzieherin, Missionarin und Schriftstellerin. Elisabeth Dreisbach absolvierte – unterbrochen von einer schweren Erkrankung – eine Ausbildung zur Erzieherin in Königsberg und Berlin. Sie war anschließend auf dem Gebiet der Sozialarbeit tätig. Später besuchte sie die Ausbildungsschule der Heilsarmee – der ihre Eltern angehört hatten – wechselte dann aber zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg, für die sie in den Bereichen Innere Mission und Evangelisation wirkte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründete Dreisbach in Geislingen an der Steige ein Heim für Flüchtlingskinder, in dem im Laufe der Jahre 1500 Kinder betreut wurden. Dreisbach lebte zuletzt in Bad Überkingen. Elisabeth Dreisbach war neben ihrer sozialen und missionarischen Tätigkeit Verfasserin zahlreicher Romane und Erzählungen – teilweise für Kinder und Jugendliche – die geprägt waren vom sozialen Engagement und vom christlichen Glauben der Autorin.

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    Buchvorschau

    Dreisbach-Lesebuch 2 - Elisabeth Dreisbach

    Dreisbach-Lesebuch 2

    Elisabeth Dreisbach

    Impressum

    © 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

    Autor: Elisabeth Dreisbach

    Cover: Caspar Kaufmann

    ISBN: 978-3-95893-156-5

    Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

    Kontakt: info@folgenverlag.de

    Shop: www.ceBooks.de

    Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

    Inhalt

    Titelblatt

    Impressum

    Vorwort

    Und so was nennt sich Ferien!

    Das Reiseandenken

    Annegret kommt in die Fremde

    Brigitte und das Kind

    Die Schuldkiste

    Alles geht schief!

    Einer Liebe Opferweg

    Unsere Empfehlungen

    Vorwort

    Elisabeth Dreisbach, 1904 in Hamburg geboren, ist durch ein gläubiges Elternhaus entscheidend geprägt worden. Hier wurden auch die Grundlagen für ihren schriftstellerisch-missionarischen Auftrag gelegt. Die Autorin eröff- nete nach dem Krieg ein Heim für heimatlose Kinder. Mit ihrem Mann lebte sie bis zu ihrem Tode im Jahr 1996 im Berghaus St. Michael in Oberböhringen, einem christlichen Gästehaus und Kinderheim.

    Aufgrund des großen und anhaltenden Erfolgs des Dreisbach-Lesebuchs zum neunzigsten Geburtstag der Autorin hat der Verlag sich entschieden, ein weiteres Dreisbach- Lesebuch 2 mit älteren, gehaltvollen christlichen Erzählungen zusammenzustellen. Der Band ist beste Lektüre für einen stillen Abend oder für die Ferienzeit. Er will unterhalten, geht aber auch geschickt auf Fragen und Probleme des Lebens ein.

    Die Gestalten der Erzählungen sind in dichterischer Freiheit entstanden, wiewohl manche tatsächlich gelebt haben: Menschen, die stolz und unbeugsam nur auf ihren eigenen Vorteil versessen waren und ihre Augen vor der Not der anderen verschlossen haben. Und auf der anderen Seite die Armen, die Mittellosen am Rande der Gesellschaft, deren Leid niemand unberührt lässt.

    Elisabeth Dreisbach will in ihren Erzählungen zeigen, dass jede und jeder zu Gott kommen und seine Barmherzigkeit erfahren kann. Ihnen wird auf eine Weise Hilfe zuteil, die oftmals überrascht, weil sie unerwartet kommt.

    Dem christlichen Leser, der Leserin eröffnen sich Lebens-Schicksale, die sie selber erlebt haben könnten. Viele werden sagen: Ja, so war es auch bei mir oder in meiner Verwandtschaft! Gott hat uns geholfen und aus einer schwierigen Situation herausgeführt.

    Elisabeth Dreisbachs Gestalten sind meist einfache Menschen: auf der einen Seite solche, die durch eigenes oder fremdes Handeln schuldig geworden sind; auf der anderen Seite ist es die aufopfernde Liebe anderer, die zur Umkehr treibt. Immer wird die helfende Hand Gottes – wenn auch zunächst verborgen – als zupackende, glaubensstärkende Hand erfahren. Sie vermag menschliches Elend in Hoffnung und Freude zu verwandeln. Das ist ihre bleibende Botschaft.

    Der Verlag

    Und so was nennt sich Ferien!

    »Endlich!« sagte Herr Burgholz und warf die Aktentasche auf den Schreibtisch. »Noch nie habe ich den Urlaub so nötig gehabt wie diesmal. Keinen Tag länger hätte ich arbeiten mögen. Sind die Koffer gepackt?«

    »Alles ist fertig, Vati. Ich glaube, Mutti ist nicht weniger erholungsbedürftig als du, schon allein nach all den notwendigen Reise Vorbereitungen, die sie treffen musste.« Maritta, die einzige Tochter des Bankdirektors Burgholz, war zu dem Sessel getreten, in den der Vater erschöpft gesunken war, und legte ihm, sich auf die Lehne setzend, den Arm um die Schultern. »Ich bin wirklich froh, dass es morgen früh losgeht. Du siehst in letzter Zeit so angegriffen aus.«

    »Das ist auch kein Wunder. Ich sage dir, Maritta, heirate nie im Leben einen Bankmann! Lieber bleib ledig!«

    »Du erwartest doch hoffentlich kein diesbezügliches Versprechen von mir?«

    Herr Burgholz schüttelte lachend den Kopf. »Nein, nein, das gewiss nicht, ich fürchte, es wird ohnehin viel zu früh sein, dass einer kommt und dich uns wegschnappt.«

    »Soll das eine Anspielung auf Peter sein, Vati?«

    »Nein, an ihn dachte ich nicht direkt –«

    »Deine Sorge wäre da auch unberechtigt, Peter ist …«

    In diesem Augenblick betrat Frau Burgholz das Zimmer. Sie hatte aus dem Nebenraum durch die offenstehende Türe das Gespräch mit angehört.

    »Was redet ihr denn da? Arno, Maritta ist knapp siebzehn Jahre alt. Sie ist doch noch ein Kind.«

    »Na, Mutti«, wehrte sich die Tochter, die die Mutter um Kopfeslänge überragte, »das ist nun auch wieder leicht übertrieben. Aber euch beiden zur Beruhigung, ich denke noch lange nicht ans Heiraten. Ich will doch zuerst einmal etwas von meinem Leben haben –«

    »Und vor allem zuerst etwas Rechtes lernen«, ergänzte die Mutter.

    »Auch das nebenbei«, lachte Maritta. »Aber du wolltest uns doch gewiss zum Abendessen rufen, nicht wahr? Hat Suse heute Nachmittag wieder frei?«

    »Ich habe sie bereits nach Hause geschickt. Sie kommt zwei Tage vor unserer Rückkehr wieder, um die Wohnung in Ordnung zu bringen. Aber du hast recht, das Essen steht bereit.«

    Da die Reisevorbereitungen alle getroffen waren – Frau Burgholz war eine praktisch veranlagte, tüchtige Hausfrau und hatte frühzeitig damit begonnen –, konnte man nach der Mahlzeit noch in Ruhe beisammensitzen. Die Vorfreude auf die morgige Abreise und die vor ihnen liegenden Ferien gaben dem Abend eine beschwingte Atmosphäre.

    »Ich freu' mich schrecklich, dass es wieder an den Bodensee geht«, sagte Maritta. »Hoffentlich haben wir gutes Wetter, so dass wir oft baden können!«

    »Aber dieses Mal lasse ich dich nicht in den See, bevor du nicht versprichst, nie mehr so weit hinauszuschwimmen wie das letzte Mal, wo es aussah, als seist du von einem vorüberfahrenden Dampfer in die Tiefe gerissen worden.«

    »Ach, so schlimm war es ja gar nicht. Wie ist es, Vati, fahren wir dieses Jahr wieder in die Schweiz? Unsere Pässe sind doch in Ordnung.«

    »Ich habe es nicht vor. Dieses ungeheure Menschengewimmel überall geht mir auf die Nerven. Es ist zwar wunderschön, dass die Schweiz uns Deutschen jetzt auch wieder offensteht. Jahrelang, während des Krieges und auch nachher, haben wir es ja entbehren müssen, – aber jetzt scheint es geradezu eine Modekrankheit zu werden. Wer in seinen Ferien nicht Italien oder die Schweiz bereist hat, bekommt Minderwertigkeitskomplexe. Als ob wir in unserem Land nicht ebenfalls herrliche Ferien-, Wander- und Ausflugsmöglichkeiten hätten! Meine Güte, wenn ich daran denke, was für Schulausflüge wir in meiner Kinderzeit machten! – Immer schön zu Fuß, Proviant im Rucksack. Fünfzig Pfennige im Höchstfall gab mir meine Mutter mit, und wir waren bestimmt ebenso glücklich oder noch glücklicher als die heutigen Kinder, die mit gummibereiften, teuren Rollern umhersausen und die Gegend unsicher machen.«

    Maritta lachte. »Vati, lass an unserer Zeit auch noch einen guten Faden! Sie hat ihr eigenes Gesicht und ihre eigenen Rechte.«

    Nun schaltete sich auch Frau Burgholz in das Gespräch ein. »Es stimmt schon, was Vater sagt. Viele reisen auch nicht aus Freude am Reisen, oder um sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen, sondern einfach, weil es jetzt üblich ist, seinen eigenen Wagen zu haben und für ein paar Wochen an den Bodensee, in die Schweiz oder nach Bayern zu fahren. Erinnert ihr euch noch, wie wir letztes Jahr von Friedrichshafen nach Konstanz und am Abend auf dem Schiff wieder zurückfuhren? Wir saßen hinten auf dem Deck. Es war an diesem Abend ein unbeschreiblich schöner Sonnenuntergang. Die Türme von Konstanz hoben sich wie Silhouetten in den abendlichen Himmel, der im Westen ein dauernd wechselndes prachtvolles Bild bot.

    Rot, orangefarben, leuchtend gold war er ein märchenhaft wirkender Hintergrund, während der spiegelglatte See ebenfalls prächtigste Farben aufwies und schließlich wie eine einzige Perlmuttfläche schimmerte. – Wisst ihr noch, dass wir, wie gebannt, die Augen nicht abwenden konnten? In Meersburg stieg dann eine Reisegesellschaft zu. Die Leute schienen ausgiebig in einem Weinlokal gezecht zu haben. Laut und aufdringlich unterhielten sie sich über ihre Erlebnisse, besprachen die Speisekarte des Abendessens, das sie in Friedrichshafen einzunehmen gedachten, begannen Schlager zu singen und schließlich zu tanzen. Einer von ihnen hatte ein Kofferradio mit.« »Ja, ich erinnere mich noch gut«, stimmte Herr Burgholz zu. »Wir waren so empört, dass wir den Platz wechselten, um aus der Nähe dieser angetrunkenen Fahrgäste zu kommen.«

    »Ich glaube nicht einmal, dass sie angetrunken waren«, meinte Maritta. »Sie freuten sich eben auf andere Art als wir.«

    »Komm, hör mir auf!« sagte Frau Burgholz. »Ganz ungebildete, unerzogene Menschen waren es, sonst hätten sie selbst empfunden, wie unpassend und störend sie sich benahmen.«

    »Und du, Mutti, du hättest am liebsten bei diesem herrlichen, leuchtenden Himmel gesungen: Goldne Abendsonne, wie bist du so schön! Stimmt's nicht?«

    Frau Burgholz wandte sich ihrer Tochter zu, nachdem sie ihre feine Handarbeit, an der sie stichelte, für einen Augenblick vor sich auf den Tisch gelegt hatte. »Wenn ich nicht wüsste, wie sehr auch dein Herz und Gemüt für alles Schöne offen ist und wie du vor einer Frühlingsblume auf dem Waldboden, vor der Kraft der Schneeberge oder auch eben vor einem solch wunderschönen Sonnenuntergang still werden kannst, würde ich mich jetzt über dich ärgern, denn das, was du soeben gesagt hast, klingt reichlich ironisch. Warum sollte ich an jenem Abend beim Anblick der sinkenden Sonne nicht gerne gesungen haben: Goldne Abendsonne, wie bist du so schön! – Glaube mir, diese Lieder haben ihre volle Berechtigung! Unsere heutige Zeit ist viel gemütsärmer als die meiner Jugend. Ihr nennt das natürlich sentimental und schmalzig.«

    Maritta rückte ihren Sessel näher an den der Mutter heran. »Wie gut, dass du deine Tochter kennst! Ich wollte dich nicht kränken, Mutter, – aber ihr müsst auch Verständnis haben für uns Junge, die wir in eine raue und herbe Zeit hineingeboren sind. Glaube mir, Gemüt haben wir auch. Es ist nur manches völlig überholt. Wenn ich daran denke, wie du mir erzähltest, dass du es als Mädel in meinem Alter nicht wagen durftest, am Abend ohne Begleitung das Haus zu verlassen, nicht etwa, weil die Straßen oder Zeiten unsicherer gewesen wären, sondern einfach, weil es sich nicht schickte, oder dass ihr nie ohne Schürze daheim umhergehen durftet und ständig irgendeine Stickerei, Häkelei oder einen Strickstrumpf in Arbeit hattet! Brrrrr, grauenhaft, wenn ich mir das vor stelle! Du kannst es ja heute noch nicht, Muttchen: dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Ich möchte dich auch gar nicht anders haben, aber ich selbst? – Nein, ich bin wirklich froh, dass du so etwas nicht von mir verlangst.« Maritta zog die Mutter zu sich heran und gab ihr einen Kuss. »Du bist ja doch die Allerbeste!«

    »Ja, ja«, schaltete sich der Vater jetzt wieder ein. »Ihr meint, ihr Jungen, ihr seid uns Alten turmhoch überlegen mit euren verrückten Frisuren, dem Zigarettenstummel im Mundwinkel und den lächerlichen, modischen Hosen, die ihr Mädels anstelle eines anständigen Rocks jetzt tragt.«

    Maritta richtete sich auf und blitzte den Vater kampfeslustig an. »Du, – wenn du zum Angriff übergehst! Immer sprichst du von ›ihr‹. Wen meinst du eigentlich damit? Lächerliche Frisur? Für mich hast du noch keinen Pfennig für Dauerwellen ausgeben müssen.«

    »Weil du zufällig echte Locken hast.«

    »Und was das Zigarettenrauchen anbetrifft, so gehöre ich zu den drei oder vier meiner Klasse, die nicht rauchen, obgleich es mich auch hin und wieder reizen würde mitzumachen. Aber ich tue es nicht, weil ich weiß, ihr könnt es nicht leiden.«

    »Brave Tochter!« lobte der Vater und kniff ein Auge zu.

    »Fragst du nun noch Mutti, von wem ich meine Ironie geerbt habe? – Und was die dir so verabscheuungswürdig scheinenden Hosen anbelangt, so kommt es doch wohl darauf an, warum und bei welcher Gelegenheit man sie trägt. Beim Radfahren zum Beispiel –«

    Ein Pfiff von der Straße her unterbrach Marittas Satz und ließ diese aufhorchen. »Das ist Peter! Ich spring' schnell hinunter.« Herr Burgholz zog die Stirne kraus. Maritta, schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, wandte sich an der Türe noch einmal zurück. »Ihr erlaubt doch?«

    »Bleib aber nicht zu lange«, antwortete die Mutter. »Wir wollen zeitig zu Bett gehen. Du weißt, morgen geht es in aller Frühe los.«

    Herr Burgholz zündete sich in nervöser Hast eine Zigarre an. Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Ein Zeichen, dass ihm etwas nicht behagte. Und wirklich polterte er auch gleich los.

    »Also die Sache mit dem Peter gefällt mir schon längst nicht mehr. Es vergeht doch kein Tag, an dem man die beiden nicht zusammen sieht. Herrschaft nochmal, die tun ja gerade, als seien sie ein Liebespaar!«

    »Nein, Vater, das tun sie nicht. Da muss ich sie ganz bewusst verteidigen. Sie sind seit Jahren Freunde, besuchten dieselbe Schule, und dass sie nun beginnen, aus den Kinderschuhen herauszuwachsen, das ist doch schließlich etwas ganz Natürliches. Man kann ihnen aber doch deswegen nicht verbieten zusammenzukommen.«

    »Du wirst es erleben, dass es gar nicht lange dauert, dann kommt unser Fräulein Tochter an und stellt sich uns als Peters Braut vor. Sie hat es uns ja vorhin unumwunden klargemacht, dass die Jugend von heute andere Ansichten hat als wir einmal. Früher war es üblich …«

    Wieder legte Frau Burgholz die Arbeit aus der Hand. Sie trat zu ihrem Gatten und legte diesem die Hände auf die Schultern. Dabei musste sie sich aber beinahe auf die Zehen stellen. »Ja, ja, unser Vati hat es dringend nötig, Ferien zu machen. Er ist wieder mal ein richtiger Schwarzseher. Warte nur, wenn du morgen Nachmittag im Liegestuhl am Strand liegst, den Möwen Brotbrocken zuwirfst, den vorbeifahrenden Dampfern nachwinkst und deine Tochter mit kräftigen Stößen hinausschwimmen und sich im Wasser tummeln siehst, – wenn du für ein paar Wochen deinen ganzen Bankkram hinter dir lassen kannst, dann sieht das Leben schon wieder anders aus. – Im Grunde genommen haben wir mit unserem Mädel bisher doch nur Freude erlebt. Und dein Groll auf den armen Peter entspringt doch nur der Angst, du könntest deine Tochter eines Tages hergeben müssen.«

    »Ach was, dummes Zeug«, wehrte sich Herr Burgholz, lächelte aber bereits wieder. »Ich gäb' sie dem Lausebengel auch nicht so ohne weiteres, das kannst du mir glauben. Und übrigens kann ich ihn mit seinem »Kiss die Hand« und »Habe die Ehreee« nicht ausstehen.«

    »Du weißt doch ganz genau, dass er das nur sagt, weil ich so großen Spaß daran habe. Es erinnert mich an meine Zeit in Wien. Und Peters Mutter ist doch eine Wienerin.«

    »Ja, ja, verteidige ihn nur! Aber deswegen wird er doch nicht dein Schwiegersohn. Das sag' ich dir jetzt schon. – Nun etwas anderes. Du sagst, es sei alles vorbereitet zur morgigen Abreise?«

    »Ja, du kannst dich darauf verlassen. Ich habe gleich gestern früh angefangen, die Koffer zu packen, nachdem wir am Abend vorher aufgeschrieben hatten, was alles mitgenommen wird.«

    »Gut, dann gehe ich jetzt noch für eine halbe Stunde an meinen Schreibtisch, um einiges Notwendige zu ordnen.«

    Herr Burgholz war noch nicht in seinem Zimmer verschwunden, als Maritta die Treppen heraufgestürmt kam: »Vati! Mutti! Ein Eilbrief! Wenn ich recht sehe, von Onkel Benno aus dem Schwarzwald!«

    »Nanu? – Zeig her!« Frau Burgholz griff nach dem Brief. »Es wird doch hoffentlich nichts passiert sein!«

    »Wieso soll was passiert sein?« Ihr Mann war herzugetreten. »Als ob ein Eilbrief immer nur eine Trauerbotschaft bringen könnte!«

    »Du weißt doch, Veronika erwartet ihr sechstes Kindchen.«

    »Ja, leider!«

    »Aber Arno, was redest du da?«

    »Na, wäre es etwa nicht genug an den Fünfen gewesen? So ein armer Dorfschulmeister ist bestimmt nicht mit irdischen Gütern gesegnet. Du weißt ja, wie sparsam es immer bei ihnen zugeht. Willst du vielleicht noch ein paarmal Patenschaft übernehmen?«

    »Ich habe es auch diesmal Veronika versprochen, das heißt, Maritta und ich waren uns eins, dass sie …«

    »Ach, schau mal an, und das ganz hinter meinem Rücken. Aber davon reden wir nachher. Wenn du jetzt endlich den Brief geöffnet hast, können wir vielleicht doch mit der Zeit erfahren, was sein Inhalt ist.«

    Frau Burgholz wechselte mit ihrer Tochter einen Blick. Dann las die Mutter vor:

    »18. Juli –

    Liebe Marieluise! Lieber Arno!

    In großer Sorge um Veronika wende ich mich an Euch. Ihr wisst, dass sie in Kürze unser Sechstes erwartet. Nun hat sie gestern eine große Wäsche waschen wollen, ist gestürzt und scheint sich Schaden getan zu haben. Der Arzt ist sehr besorgt um sie und wollte sie sofort ins Krankenhaus nach Karlsruhe schicken. Aber sie weigerte sich. Sie ist ja immer so heiter und tapfer. ›Hier kann ich wenigstens vom Bett aus meine Anordnungen treffen, sagte sie. Aber wem, um alles in der Welt, soll sie ihre Anordnungen geben? Guido mit seinen neun Jahren kann doch noch keinen Haushalt führen, Bianca hilft für ihr Alter schon erstaunlich. Guiseppe und Alfons haben nichts als dumme Streiche im Kopf, Sabinchen ist noch ein kleines dummes Schaf. Einmal in der Woche kommt wohl eine Frau und hilft Veronika, aber sie kann sich auch nicht öfters frei machen. Wenn ich auch zwischen den Schulstunden hinauflaufe und nach dem Rechten sehe, so ist das doch nicht ausreichend. Ihr wisst ja, dass wir auf dem Lande zu anderen Zeiten Ferien haben. Das richtet sich bei uns nach der Heu- und Fruchternte, nach den Kartoffeln usw. – In meiner Not wende ich mich an Euch. Wäre es nicht möglich, dass Du, liebe Marieluise, für ein paar Wochen zu uns kämest?«

    Nur zögernd wagte Frau Burgholz weiterzulesen. Sie ahnte bereits, dass ihr Mann lospoltern würde.

    »In der Stadt beginnen doch gerade jetzt die Ferien. Ihr könntet diese doch bei uns verbringen. –«

    »Der ist total verrückt!« fuhr Herr Burgholz jetzt wie eine losgegangene Rakete hoch. »Bei sechs Kindern!«

    »Wir haben doch ein Gastzimmer unter dem Dach«, las Frau Burgholz stockend weiter, und wurde im nächsten Moment von ihrem Mann angefaucht: »Du hast auch schon besser gestottert als jetzt. Gib mal den Wisch her, nicht, dass du mir noch einige der geistvollen Vorschläge meines Herrn Schwager unterschlägst. Ich will genau wissen, was für hirnverrückte Ideen er hat. Also weiter!« Er murmelte, mit dem Zeigefinger die Zeilen nachfahrend, vor sich hin. »Ah so, hier waren wir stehengeblieben, – unterm Dach, – richtig, – unterm Dach, – gar nicht schlecht.«

    »Wenn es Dir, lieber Arno, aber nicht Zusagen sollte« – »du hast's erfasst, mein Teurer, das sagt mir nicht im geringsten zu, – also Zusagen sollte«, – »dann ist nicht weit von uns entfernt das große, modern eingerichtete Schwarzwaldhotel. Vielleicht könntest Du mit Maritta dort wohnen, oder meinetwegen auch Marieluise des Nachts, und tagsüber würde sie gewiss gerne nach ihrer Schwester schauen. – Ich weiß doch, wie die beiden, Marieluise und meine Frau, aneinander hängen. Am Abend bin ich ja frei und kann mich um Veronika kümmern. – Ich bitte Euch, lasst Euch die Sache durch den Kopf gehen, aber kommt so schnell wie möglich! Ich habe Angst um unsere Mutti.

    Herzliche Grüße, Euer Schwager Benno!«

    Herr Burgholz warf den Brief auf den Tisch und ließ sich in seinen Sessel fallen.

    »Schön, was?« fauchte er Frau und Tochter an. »Er ist noch immer derselbe Phantast wie früher. Das sieht man schon an den blödsinnigen Namen, die er seinen Kindern gegeben hat, nur, weil seine Mutter eine Italienerin war. – Aber diesmal hat er sich in den Finger geschnitten. –

    Marieluise, mach ja kein so nachdenkliches Gesicht! Es kommt nicht in Frage, dass wir tanzen, wie unser geliebter Schwager pfeift. Es langt, wenn seine Frau das tut. Wozu gibt es Diakonissen, Gemeindeschwestern, Krankenpflegevereine und derartiges? Du fährst mit Maritta und mir morgen an den Bodensee und nicht in den Schwarzwald. Meinetwegen kann er von mir einen Hundertmarkschein haben, um so eine Krankenschwester für ein paar Tage zu mieten, aber du fährst mir nicht. Das wär' gelacht!«

    »Du weißt, dass sie kein Geld von uns annehmen«, wagte Frau Burgholz zu erwidern.

    »Das ist mir egal, was sie dann damit machen. Dann sehen sie wenigstens unseren guten Willen. Wir fahren jedenfalls zusammen an den Bodensee. Glaubt der gute Mann etwa, weil ich Bankdirektor bin, ich könne meine Ferien ganz nach Belieben von einem Tag oder einer Woche zur anderen verlegen? Der Kerl hat doch in Wirklichkeit keine Ahnung von dem, was unsereins zu leisten hat. – Und ist meine Gallensache vielleicht nichts? Ich weiß auf jeden Fall, dass ich keinen Tag länger warten kann. Ich muss jetzt auf Urlaub, und zwar an den Bodensee, wo ich mich immer am besten erhole. Im Grunde genommen ist es einfach eine Unverschämtheit, einfach …«

    »Aber Arno, warum regst du dich denn so auf? Ich hab' doch noch mit keinem Ton gesagt, dass ich fahren will.«

    »Als ob ich das deinen Augen nicht längst angesehen hätte! Die laufen ja bereits über vor lauter Mitgefühl mit deiner Zwillingsschwester. Hätte die Veronika nur nie diesen Schwärmer geheiratet! Sie war mal ein so vernünftiges Mädel. – Haben die Telefon? – Natürlich nicht. So'n armer Dorfschulmeister! Also werden wir ein Telegramm senden: ›Kommen gänzlich ausgeschlossen. Selbst erholungsbedürftige«

    »Arno!« – »Bitte?« –

    »So geht das nicht! Kann ich nicht wenigstens …«

    »Siehst du, was habe ich gesagt? Au!« Herr Burgholz hielt die Hand auf die Magengegend. »Jetzt geht es wieder los. Diese verflixten Gallenschmerzen!«

    »Vati, bitte, reg dich jetzt nicht unnötig auf! Ich fahre natürlich mit dir. Wir – wir werden einen Weg finden.«

    Herr Burgholz wankte stöhnend in sein Schlafzimmer. Der Gallenanfall, von der ganzen Familie gefürchtet, war da. »Keine Aufregung!« befahl der Arzt immer wieder. »Keine Aufregung!« Aber wer konnte eine solche immer verhüten?

    Frau Burgholz ging, um ihrem Mann beizustehen. »Schnell ganz heißes Wasser für die Umschläge!« rief sie ihrer Tochter zu. Dass sie auch Suse weggeschickt hatte! – Als der heftigste Schmerzsturm abgeebbt war und Herr Burgholz erschöpft in seinen Kissen lag, nahm Maritta die Mutter beiseite. »Ich werde zu Tante Veronika fahren. Wir können sie unmöglich im Stich lassen.«

    »Das wird Vati nie und nimmer erlauben.«

    »Lass mich nur machen!«

    »Und du kannst das auch nicht leisten, was dort von dir gefordert wird.«

    »Das lass nur meine Sorge sein! Kann ich auch nicht alles, so doch etwas. Kartoffeln braten und Brei kochen wird schon klappen. Und dann hast du ja gehört, dass Tante Veronika vom Bett aus Anordnungen trifft. Glaube nur nicht, dass es mir leicht fällt zu verzichten, Mutti! Du weißt, wie sehr ich mich auf die Ferien mit euch, auf das Schwimmen und Bootfahren gefreut habe. Aber eine von uns beiden muss doch schließlich gehen. Sie haben doch außer uns keine Verwandten. Wenn sie vielleicht schon ein paar Jahre im Schwarzwald wären, aber in den wenigen Monaten ihres Dortseins sind sie doch noch nicht heimisch geworden.« –

    Und so kam es, dass Maritta Burgholz am nächsten Vormittag, anstatt mit den Eltern an den Bodensee zu fahren, von Peter auf den Bahnhof begleitet wurde und mit dem Schnellzug Stuttgart-Karlsruhe und von dort mit der Albtalbahn in den Schwarzwald fuhr.

    Der Vater war keineswegs damit einverstanden gewesen, aber einmal hatte er durch seine Gallenschmerzen genug mit sich selbst zu tun – zumal der Arzt, der in der Nacht noch gerufen wurde, die Abreise erst für den übernächsten Tag erlaubte –, und dann hatte Maritta es verstanden, ihm klarzumachen, dass man Tante Veronika nicht im Stich lassen könne. »Ich muss wenigstens nach ihr sehen«, hatte sie gesagt. »Selbstverständlich bleibt Mutti bei dir, und ich komme in ein paar Tagen nach.«

    Sie glaubte fest daran. Vier, fünf Tage, höchstens eine Woche würde sie schließlich bei den Verwandten bleiben. Es blieben ihr immerhin dann noch drei ganze Wochen Ferien. Die Eltern trauten ihr zwar nicht zu, dass sie bei Tante Veronika viel leisten könnte, aber sie würde schon den Beweis liefern, dass man sie gebrauchen konnte. Es war vielleicht ganz gut so, dann würden Vater und Mutter erkennen, dass sie doch nicht mehr das kleine Mädchen war, für das sie gehalten wurde. Zu Hause hatte sie ja so gut wie gar keine Gelegenheit, zu beweisen, dass sie in praktischen Dingen Fähigkeiten besaß. Die meiste Zeit beanspruchten Schule und Hausaufgaben. Dann war Mutti sehr tüchtig im Haushalt, und außerdem waren Suse, die Hausgehilfin, und die Aufwarte- und Waschfrau da. – Es wäre ja noch schöner, wenn sie nicht beweisen könnte, dass sie Tante Veronika eine Hilfe sein würde. Ein bisschen komisch war es ihr zwar zumute, denn sie kannte die Verwandten nur wenig. Die Tante war Mutters Zwillingsschwester. Beide waren in Süddeutschland aufgewachsen. Der Großvater war Architekt gewesen. Mutti hatte sehr früh geheiratet. Vater war damals auf der Bank der Kreisstadt, in der die Großeltern lebten, angestellt gewesen. Als Mutter einundzwanzig Jahre alt war, wurde Maritta geboren. Tante Veronika war noch einige Jahre im Elternhaus gewesen. Dann starben Vater und Mutter rasch hintereinander. Maritta erinnerte sich noch gut daran, wie schmerzlich ihr der Tod der Großeltern, an denen sie sehr hing, gewesen war. Tante Veronika hatte, ebenso wie Mutti, eine sehr gute Ausbildung genossen. Sie war nach dem Tode ihrer Eltern einige Jahre in Ostpreußen auf dem Gut einer Gräfin als Hausdame tätig gewesen. Der Neffe der alten Dame hätte sie gerne geheiratet, obgleich sie nicht adelig war. Aber sie hatte ja in jener Zeit bereits ihren jetzigen Mann kennengelernt, der als einfacher Dorfschulmeister am Ort war. Der Krieg trennte die beiden. Die Gräfin musste, wie alle übrigen des Dorfes, ihr Hab und Gut verlassen und flüchten. Veronika teilte ihr Los und blieb durch alle Schrecknisse der Flucht an ihrer Seite. Monatelang lebten die beiden zusammen in einem Flüchtlingslager. Niemand hätte in jener Zeit in der alten, weißhaarigen Frau, die wie alle anderen auf einer Pritsche schlief und in geschenktem Kleid und Kopftuch herumlief, eine Gräfin vermutet. Veronika verließ sie auch nicht, als sie sterbenskrank wurde.

    »Sie sind mir lieb geworden wie eine Tochter«, sagte die Gräfin damals. »Wenn ich jetzt nicht ebenso arm wäre wie alle anderen Flüchtlinge auch, würde ich Ihnen einen Teil meines Vermögens vermachen, damit Sie sich eine neue Existenz aufbauen könnten. Sie sind noch jung, das Leben liegt vor Ihnen. Aber ich bin, wie Sie wissen, arm und völlig mittellos. Jedoch will ich Gottes Segen auf Sie herabflehen bis zu meinem letzten Atemzug. Er möge es Ihnen lohnen, dass Sie in solcher Treue bis zuletzt bei mir ausgehalten haben!«

    Nach dem Tode der Gräfin zog Veronika allein weiter, versuchte da und dort Arbeit zu bekommen und gab die Hoffnung nicht auf, eines Tages doch ihren Dorfschulmeister Benno Fröhlich wieder zu finden. Lange Zeit wusste ihre Schwester, Frau Burgholz, nichts von ihr. Endlich kam ein Brief, in dem Veronika berichtete, dass sie sich mit Benno verheiratet habe, nachdem dieser aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt sei. Durch den Suchdienst des Roten Kreuzes hatten sie sich gefunden. An verschiedenen Plätzen hatte ihr Mann aushilfsweise Beschäftigung bekommen. Endlich wurde er auch wieder als Lehrer eingesetzt. Kümmerlich mussten sie sich einrichten. Die Kinder wurden geboren. Sie hatten kaum genügend Platz, um die Betten für sie zu stellen. Vor einem halben Jahr hatte Benno endlich eine Stelle als Lehrer in Hochdorf im Schwarzwald bekommen. Kurz vor ihrer Übersiedlung dorthin hatten sie einen Besuch im Hause des Bankdirektors Burgholz gemacht. Damals hatte Maritta zum ersten Mal ihre kleinen Vettern und die Base gesehen, ebenso den Onkel. An die Tante, die sie als kleines Mädchen natürlich gekannt hatte, vermochte sie sich kaum noch zu erinnern. Frau Burgholz hatte sich damals sehr über den Besuch ihrer Schwester und deren Familie gefreut. Ihrem Manne jedoch war die Unruhe bald zu viel gewesen, und er war froh, als der Lehrer mit den Seinen wieder abzog. Geärgert hatte es ihn jedoch mächtig, dass dieser den schönen Geldbetrag, den er ihm zum Neuanfang im Schwarzwald geben wollte, höflich dankend ablehnte. »Es ist freundlich von dir, Arno, aber ich glaube, wir kommen auch ohne dein Geschenk zurecht. Veronika und ich haben vom ersten Tag unserer Ehe sehr sparen müssen und finden, dass es unseren Kindern ebenfalls nichts schadet, wenn sie von klein auf bescheiden leben müssen. Sie sollen erst gar keinen Luxus kennenlernen.«

    »Eingebildeter Pinsel!« hatte Herr Burgholz gemurmelt und den Geldbetrag wieder in seine Brieftasche geschoben. Laut und betont aber hatte er gesagt: »Gut, dann eben nicht. Man soll niemals seine Hilfe einem Menschen mit Gewalt auf zwingen.«

    »Ich weiß nicht, ob nicht einmal eine Situation kommt, in der ich dir von Herzen dankbar bin, wenn du einspringst«, hatte Benno Fröhlich damals geantwortet. »Man kann nie wissen, was man noch durchmachen muss, aber im Augenblick wäre es unrecht, etwas von dir anzunehmen. Ich bin gesund, kann arbeiten, habe, wenn auch kein Riesengehalt, so doch mein regelmäßiges Einkommen. Zu unserem Schulhaus im Schwarzwald gehört ein Garten, den Veronika freudig bepflanzen wird. Das Holz zur Feuerung werden die Kinder und ich gemeinsam aus dem Wald holen, der gleich hinter dem Schulhaus beginnt. Also vielen Dank, lieber Schwager!«

    Herr Burgholz hatte aufgeatmet, als sie wieder abgereist waren, die unruhigen Verwandten, und gab sich genießerisch der Ruhe und dem Frieden seines Familienlebens hin, die er ehrlich verdiente, wie er meinte, nachdem er auf der Bank manches an Ärger und Verdruss einzustecken hatte.

    Und nun war also seine Tochter auf dem Weg ins Schwarzwälder Schulhaus. Nachdem sie den Schnellzug verlassen hatte, fuhr sie mit einer Kleinbahn durch ein idyllisches Tal, das sie immer wieder in seiner malerischen Schönheit an Bilder von Hans Thoma erinnerte, dessen Sommerhaus ja ebenfalls in einem Schwarzwaldtal gelegen hatte. Hier war nichts zu merken von der Unruhe, wie die Stadt sie bot. Weitere Strecken fuhr man, ohne dass ein Mensch zu sehen war. An zwei Stellen traten Rehe aus dem Wald auf die sattgrünen Wiesen und setzten, das Bimmelbähnchen gewahrend, mit großen Sprüngen zurück in sein schützendes Dunkel. Dann wieder tauchten Gehöfte auf, Schwarzwaldhäuser mit ihren tief herabhängenden, weit ausladenden Dächern. Spielende Kinder winkten, schwerbeladene Holzfuhrwerke wurden von stämmigen Pferden vorbeigezogen, zu den Fenstern strömte köstliche Tannenwaldluft in den fahrenden Zug herein. Maritta atmete tief auf. Es war ihr, als öffne sich ein Tor, hinter dem allerlei Neues, vielleicht sogar Schweres, aber dennoch beglückendes Erleben auf sie wartete.

    Obgleich sie die Enttäuschung, nicht gleich mit den Eltern an den Bodensee fahren zu können, noch nicht ganz verwunden hatte, empfand sie doch etwas wie freudige Erwartung, als sie, nachdem sie nach dem Weg gefragt hatte, den Bahnhof verließ. Eilig durchquerte sie den Kurpark der kleinen Schwarzwaldstadt, um dann links abzubiegen und hinauf in den Nebenort zu gelangen, wo das Schulhaus stand, in dem ihr Onkel etwa vierzig bis fünfzig Kinder unterrichtete. Zum großen Teil gehörten sie Holzarbeitern, etliche waren auch Kinder von kleinen Landwirten, einige gehörten dem Bäckermeister, der den einzigen Laden dort oben besaß, in dem es nicht nur Brot und Gebäck, sondern ebenso Kolonialwaren, Wurst, Speck und Strickwolle sowie Küchenmesser, Rasierklingen und vieles andere gab. Auch der Gastwirt hatte zwei Kinder, die die Schule besuchten. – Aber von all dem wusste Maritta bis dahin noch nichts. Sie war voller Erwartung, was sie im Schulhaus antreffen würde, und voller Tatendrang, dort zu helfen. Man gelangte auf zwei verschiedenen Wegen ins Hochdorf. Einmal war da

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