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Dreisbach-Lesebuch 3
Dreisbach-Lesebuch 3
Dreisbach-Lesebuch 3
eBook335 Seiten4 Stunden

Dreisbach-Lesebuch 3

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Über dieses E-Book

Elisabeth Dreisbach (1904 - 1996) zählt zu den beliebtesten christlichen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre zahlreichen Romane und Erzählungen erreichten ein Millionenpublikum. Sie schrieb spannende, glaubensfördernde und ermutigende Geschichten für alle Altersstufen.

Unzählige Leser bezeugen, wie sehr sie die Bücher bewegt und im Glauben gestärkt haben. Wegen der großen Nachfrage der ersten beiden Lesebücher legt der Verlag ein weiteres vor, das ebenfalls gehaltvolle Erzählungen aus früherer Zeit vereinigt.
SpracheDeutsch
HerausgeberFolgen Verlag
Erscheinungsdatum5. Okt. 2017
ISBN9783958931572
Dreisbach-Lesebuch 3
Autor

Elisabeth Dreisbach

Elisabeth Dreisbach (auch: Elisabeth Sauter-Dreisbach; * 20. April 1904 in Hamburg; † 14. Juni 1996 in Bad Überkingen) war eine deutsche Erzieherin, Missionarin und Schriftstellerin. Elisabeth Dreisbach absolvierte – unterbrochen von einer schweren Erkrankung – eine Ausbildung zur Erzieherin in Königsberg und Berlin. Sie war anschließend auf dem Gebiet der Sozialarbeit tätig. Später besuchte sie die Ausbildungsschule der Heilsarmee – der ihre Eltern angehört hatten – wechselte dann aber zur Evangelischen Landeskirche in Württemberg, für die sie in den Bereichen Innere Mission und Evangelisation wirkte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründete Dreisbach in Geislingen an der Steige ein Heim für Flüchtlingskinder, in dem im Laufe der Jahre 1500 Kinder betreut wurden. Dreisbach lebte zuletzt in Bad Überkingen. Elisabeth Dreisbach war neben ihrer sozialen und missionarischen Tätigkeit Verfasserin zahlreicher Romane und Erzählungen – teilweise für Kinder und Jugendliche – die geprägt waren vom sozialen Engagement und vom christlichen Glauben der Autorin.

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    Buchvorschau

    Dreisbach-Lesebuch 3 - Elisabeth Dreisbach

    Dreisbach-Lesebuch 3

    Elisabeth Dreisbach

    Impressum

    © 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

    Autor: Elisabeth Dreisbach

    Cover: Caspar Kaufmann

    ISBN: 978-3-95893-157-2

    Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

    Kontakt: info@folgenverlag.de

    Shop: www.ceBooks.de

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    Inhalt

    Titelblatt

    Impressum

    Vorwort

    Ein heilsamer Sturz

    Onkel Fridolin

    Schnabel

    Veronikas Auftrag

    Jockeli, der Ausreißer

    Unsere Empfehlungen

    Vorwort

    Wegen der großen und anhaltenden Nachfrage nach Büchern von Elisabeth Dreisbach hat der Verlag sich entschlossen, ein drittes Dreisbach-Lesebuch mit gehaltvollen christlichen Erzählungen aus früherer Zeit zusammenzustellen. Der Band bietet beste Unterhaltung. Aber nicht nur das! Die Autorin vermittelt in ihren Christus-bezogenen Geschichten, dass bei Gott niemand vergessen ist und dass er sich gerade der Armen und Ausgegrenzten annimmt, die kaum Chancen im Leben hätten, wären sie nur auf Menschen angewiesen. Sie müssen oft viele Tiefschläge verkraften, die das Leben mit sich bringt, ehe sie durch ein reiches Gebetsleben und ihre aufopferungsvolle Nächstenliebe zum Glück durchdringen, das sie bei Gott finden.

    Die Autorin versteht es, existentielle Fragen und Probleme in Ehe, Beruf und Gesellschaft unterhaltsam mit einzubeziehen. Dem christlichen Leser, der christlichen Leserin werden Schicksale vor Augen geführt, die jeden angehen, weil sie überall anzutreffen sind.

    Der Verlag

    Ein heilsamer Sturz

    Elin ohrenbetäubender Lärm schallte aus dem Klassenzimmer. Kopfschüttelnd ging der Hausmeister vorüber. »Die soll man nun mit ›Sie‹ anreden – das wollen angehende Damen sein. Schöne Damen! Denen wollte ich schon den Meister zeigen, wenn ich der Lehrer wäre. – Na, mich geht's nichts an.« Er nahm den neuen Anschlagzettel und heftete ihn an das Schwarze Brett. Dabei konnte er es aber nicht lassen, unverständliche Worte in seinen grauen Bart zu brummen. Er war sehr verärgert über die Zügellosigkeit der heutigen Jugend und behauptete, in den zwanzig Jahren seiner Hausmeisterlaufbahn sei es noch nie so schlimm gewesen wie jetzt.

    Herr Boldt, der Klassenlehrer, öffnete die Tür des Schulzimmers. In demselben Augenblick wurde ihm mit voller Wucht der klatschnasse Tafelschwamm mitten ins Gesicht geworfen, so dass er buchstäblich triefte und zuerst kaum aus den Augen sehen konnte. Nun hatte diese nasse Begrüßung in Wirklichkeit nicht dem Lehrer gegolten, sondern einer Mitschülerin, die mit den Klassenkameradinnen durch den Schulraum getollt war und soeben an der Tür Aufstellung genommen hatte. Zum Unglück kam gerade jetzt der Lehrer herein.

    Im ersten Augenblick war die ganze Klasse wie erstarrt vor Schreck. Wie würde Herr Boldt diesen Streich auffassen? Als er aber ruhig sein Taschentuch hervorzog und sich das triefende Gesicht und den Anzug abtrocknete, da brach die ganze übermütige Gesellschaft in ein nicht enden wollendes Gelächter aus. Es war aber auch ein zu drolliger Anblick gewesen. Herr Boldt war einer von den verständigen Lehrern, die Scherz und jugendlichen Übermut nicht mit boshaften Handlungen verwechseln. Er fand es auch jetzt richtiger, die feuchte Angelegenheit von der humorvollen Seite zu betrachten, als den gestrengen, hoheitsvollen Pädagogen herauszukehren.

    »'s ist euer Glück, dass ich nicht wasserscheu bin«, sagte er, als er die letzten Tropfen abwischte. »Wer hat denn überhaupt den Meisterschuss getan?« – Verlegenes Schweigen in der Klasse. Dann meldete sich endlich ein kleines, schwarzäugiges Ding. »Du, Marietta? Warum wolltest du eigentlich ein solches Attentat begehen?«

    Marietta Brunner stand wie mit Blut übergossen da. »Ich wollte Sie ja gar nicht treffen.«

    »Also jemand anders?« fragte der Lehrer. »Na, erzähl mir doch einmal den Hergang.«

    Vor Verlegenheit stotternd, erzählte die Schülerin von ihrem Tollen und Toben in der Pause.

    »Auf jeden Fall scheinst du großes Interesse für unseren Tafelschwamm zu haben. Damit du nächstes Mal ein wenig vorsichtiger damit umgehst, bekommst du eine kleine Strafarbeit zudiktiert. Du wirst bis morgen einen Aufsatz über die Herkunft des Tafelschwammes schreiben.« Marietta Brunner setzte sich. Die Strafe war gelinde. Ein anderer Lehrer hätte den Streich übler aufgenommen. Die Deutschstunde nahm ihren Verlauf.

    Auf dem Nachhauseweg sammelten sich gewöhnlich die Mädchen in kleinen Trüppchen, je nachdem, welche Richtung sie einschlagen mussten. Die Schwammgeschichte beschäftigte die Gemüter noch immer.

    »Ich könnte mich noch jetzt totlachen, wenn ich mir vorstelle, wie der Boldt aussah, als ihm der nasse Schwamm ins Gesicht flog«, sagte Hanna Minke und bekam mitten auf der Straße beinahe einen Lachkrampf. Die andern stimmten mit ein.

    Nur eine schien Grund zur Empörung zu haben. »Ich finde es direkt kleinlich von dem Boldt, so ein Theater daraus zu machen. Ausgerechnet heute am Mittwochnachmittag bei herrlichem Wetter gibt er der Marietta einen solch blöden, langweiligen Aufsatz auf. Ha – ich würde ihn einfach nicht machen. Wir sind doch schließlich keine kleinen Kinder mehr.« Hella Brinkmann machte ihrer Entrüstung stets kräftig Luft, und sie war sehr oft entrüstet.

    »Na, das Toben heute in der Pause war schon mehr als kindisch«, versuchte Grete Becker, die sich gewöhnlich nicht in die Streiche der andern hineinziehen ließ, zu überzeugen.

    »Ja natürlich, du Tugendspiegel. Du bist ja schon die ausgefranste alte Jungfer«, spottete Hella. »Ich finde den Boldt auf jeden Fall unausstehlich.« Bei diesen Worten war sie an ihrem Elternhaus angelangt. Mit kurzem Gruß verließ sie die andern und stieg die Treppe zu ihrer elterlichen Wohnung hinauf. Herr Brinkmann war Beamter und lebte mit seiner Familie in guten und geordneten Verhältnissen. Die vier Kinder waren nicht unbegabt und versprachen durch Fleiß und Lerneifer einmal ihren Platz im Leben auszufüllen. Nur Hella, die Zweitälteste, jetzt fünfzehnjährige Tochter, machte der Mutter Sorgen. Nicht dass sie weniger tüchtig wie die anderen gewesen wäre: im Gegenteil, sie lernte fast spielend. Je älter sie aber wurde, desto mehr zeigte sich eine hässliche Eigenschaft in ihrem Wesen. Sie wurde entsetzlich eingebildet. Die Mutter, eine prächtige Frau, nahm mit großer Sorge wahr, wie ihre Tochter sich erhaben und von sich selbst eingenommen über ihre Geschwister stellte und über alle Menschen, mit denen sie zusammenkam, wegwerfend und kritisierend sprach. Sie versuchte in Güte und in Strenge Hella zu lenken, musste aber feststellen, wie sich diese hässlichen Neigungen immer mehr ausbreiteten. »Ich fürchte, Gott wird dich noch sehr ernste Wege führen müssen«, hatte sie kürzlich gesagt, aber Hella hatte nur spöttisch die Achseln gezuckt.

    Magdalene Harfner gehörte zu den Schülerinnen, die es nicht ganz leicht hatten, mit den anderen Schritt zu halten. Mädchen wie Hella Brinkmann nannten sie faul und unbegabt. Eigentümlich aber war es, dass der Klassenlehrer eine besondere Vorliebe für sie hatte.

    »Er zieht sie direkt vor«, behauptete Hella. »Unbegreiflich, was er an der Hervorragendes und Anziehendes findet! – Aber wer weiß!«

    Die letzten Worte kamen in so herausfordernd vielsagendem Ton, dass ihre Klassenkameradinnen sie neugierig umringten. »Was weißt du von Magdalene?« Statt einer Antwort hob Hella wieder vielsagend die Schultern. Diese Art, eine Sache totzuschweigen oder zu umgehen, ärgerte die andern unsagbar, aber Hella war eine der Tonangebenden in der Klasse, und man wollte sich nicht gerne mit ihr verfeinden. Wen sie nicht leiden konnte, den schikanierte sie in geradezu empörender Art. Magdalene Harfner hatte ihr nie etwas getan, sie war viel zu schüchtern, um sich an sie heranzuwagen, aber es schien, dass das stille Mädchen im verwaschenen und ausgewachsenen Kleid der Hochmütigen ein Dorn im Auge war.

    Es war an einem lauen Sommerabend. In einer schlichten Dachwohnung lag eine blasse, müde Frau im Krankenbett. Auf dem Fußboden der Kammer kniete ein vierzehnjähriges Mädchen und mühte sich, ihn blank zu scheuern.

    »O Mutter«, seufzte sie, »die Jungens tragen doch immer einen Haufen Schmutz in die Wohnung. Ich bring' den Boden heute fast nicht sauber.«

    Die Kranke lächelte. »Ja, ja, die Buben – und doch, Leni, sind wir beide so froh, dass sie gesund sind. Wenn ich an Nachbars Friedchen denke, die durch die Kinderlähmung nun schon drei Jahre lang hilflos darniederliegt, dann bin ich immer dankbar, wenn ich unsere beiden gesunden kleinen Bengel die Treppe heraufpoltern höre. Schlafen sie eigentlich schon?«

    Das junge Mädchen erhob sich und ging in die nebenliegende Kammer. Sie beugte sich über das große Holzbett an der Wand, wo die sechsjährigen Zwillinge schon in tiefem Schlaf lagen.

    »Ihr seid ja doch die goldigsten Kerle, die es gibt«, flüsterte Magdalene und konnte es nicht unterlassen, die roten Backen der Brüder zu küssen. Hans öffnete verschlafen die Augen und wehrte der Liebkosung seiner Schwester: »Geh, lass die Schmuserei!« Magdalene lachte laut auf und überbrachte der Mutter den Ausspruch des kleinen Rebellen.

    Diese schüttelte den Kopf. »Nein, so ein Bengel – seit er zur Schule geht, bringt er alle möglichen Redensarten mit heim.«

    Magdalene hatte den Boden fertiggescheuert. Sie wusch sich die Hände in der winzigen Küche, strich die Haare glatt und setzte sich an den Tisch im Zimmer der Mutter.

    »Hast du viele Aufgaben heute?« fragte diese. »Du bist doch gewiss müde.«

    »Ach, mit der Müdigkeit geht es«, antwortete das junge Mädchen, »aber weißt du, Mutter, ich bin doch recht froh, wenn ich aus der Schule komme.«

    »Nanu, warum denn? Du hattest doch bisher so große Freude am Lernen.«

    »Das ist auch heute noch so, Mutter.«

    »Aber? Kind, was ist eigentlich los? Ich merke es schon seit Tagen, dich drückt etwas. Komm einmal her zu mir auf den Bettrand. Seit wann vertraust du dich deiner Mutter nicht mehr an?«

    Bei den liebevollen Worten der Mutter liefen Tränen über Magdalenes schmale Wangen.

    »Ich wollte dir das Herz nicht schwer machen, Mutter, und es ist ja auch dumm von mir, mich darüber zu grämen.«

    Magdalene war zum Bett der Kranken getreten und setzte sich jetzt nahe zu ihr. »Es ist nur, Mutter – weißt du, sie können mich nicht leiden in der Klasse – ich weiß nicht warum' – ich habe mit niemand Streit gehabt – und dann – ich weiß es selbst – das Lernen fällt mir schwer. Früher war das nicht so schlimm, als Vater noch lebte, aber jetzt, wo wir die schweren französischen Diktate haben und gar diese komplizierten Rechenaufgaben … Ich habe so Mühe mitzukommen, und das lassen mich manche so fühlen, und da kommt oft in der Schule solch ein Gefühl der Einsamkeit über mich, dass ich gar nicht mehr hingehen möchte.«

    Schluchzend hatte Magdalene gesprochen. Die Mutter hatte ihr still zugehört und leise und beruhigend immer wieder das Haar ihres Kindes gestreichelt.

    »Als Vater noch lebte« – ach, wie oft rief sie sich selbst diese unvergessliche Zeit ins Gedächtnis! Nie im Leben hatte sie gedacht, dass sie noch einmal solche Tiefen der Einsamkeit und Not durchschreiten müsse. Wie glücklich war ihr Familien- und Eheleben gewesen, bis vor sechs Jahren ihr Mann ganz plötzlich erkrankt und gestorben war. Sie war mit den Kindern allein zurückgeblieben. Die wenigen Spargroschen waren nur zu schnell verbraucht, aber sie hatte sich nicht entmutigen lassen. Noch nie war es eine Schande gewesen zu arbeiten. Frau Harfner hatte Handarbeiten angefertigt und verkauft. Als sie sah, dass diese mühseligen Arbeiten nur wenig Geld einbrachten, hatte sie sich auch nicht gescheut, Wasch- und Putzstellen anzunehmen. Während sie zur Arbeit ging, hatte Magdalene daheim die kleinen Brüder versorgt. Viel zu früh hatte das Kind die schweren Lasten mit der Mutter getragen. Kaum hatte sie Zeit gefunden, mit anderen Kindern im heiteren Spiel zu verkehren. Wohl hatte Frau Harfner versucht, ihren Kindern das Glück einer frohen Kindheit zu geben und zu bewahren – die Zwillinge lebten auch in echt kindlicher Sorglosigkeit in den Tag hinein –, aber mit Leni war es doch anders. So jung sie noch schien, war sie doch schon die Vertraute ihrer Mutter geworden. Seit einem Jahr lag diese nun mit einer schmerzhaften Gichterkrankung darnieder, und die kleine Familie lebte von einer Rente. Es reichte gerade zum Nötigsten, und man musste sehr sparen, um durchzukommen. Vielleicht hätten gutgestellte Verwandte gerne einmal helfend eingegriffen, aber sie waren alle der Meinung, es gehe der Witwe mit ihren Kindern verhältnismäßig gut. Frau Harfner ließ sie auch in diesem Glauben; sie war zu stolz, um Almosen zu erbitten. Seit sie krank war, machte Magdalene neben ihrer Schulzeit sämtliche Hausarbeit, kochte und besorgte die Wäsche. Frau Harfner wusste wohl, warum es ihr seit einiger Zeit schwerfiel, in der Schule mitzukommen. Viel zu große Lasten lagen auf ihren jungen Schultern. Ihre Kräfte reichten einfach nicht aus. Für die Schularbeiten fand sie nicht Zeit, bevor sie den Haushalt besorgt und die wilden Brüder zu Bett gebracht hatte, und bei aller Arbeit war sie immer tapfer und mutig und klagte nie. Nur heute hatte es sie wohl übermannt.

    »Armes Kind!« Frau Harfner zog ihre tapfere Tochter an sich. »Ich weiß, es ist nicht leicht, und ich wünschte, ich könnte dir ein wenig mehr Freude verschaffen. Hast du denn in der ganzen Klasse keine Freundin?«

    »Ach Mutti, du bist doch meine Freundin.« Magdalene schmiegte sich zärtlich an die Mutter.

    »Aber dein Lehrer, Herr Boldt, ist doch freundlich zu dir?«

    »Ja, Mutter, besonders seitdem er kürzlich dazukam, als ich gerade große Wäsche hatte. Ich glaube, er drückt manchmal ein Auge zu, wenn ich mich recht ungeschickt anstelle in der Schule.« Magdalenes Augen strahlten. Sie hing an ihrem Lehrer und verehrte ihn. Wie geschickt wusste er die heranwachsenden jungen Mädchen zu behandeln!

    Magdalene gewahrte auf dem Gesicht ihrer Mutter einen Schatten. »Mutti, du wirst dir doch keine Gedanken machen wegen meiner dummen Schulsorgen. – Komm, ich erzähle dir etwas Lustiges.« Und sie erzählte der kranken Mutter die Schwammgeschichte und war glücklich, als sie ein Lächeln auf ihrem Gesicht sah.

    Dann aber sprang sie auf. »Da sitze ich nun, als ob ich nichts zu tun hätte, dabei muss ich noch eine langweilige französische Übersetzung machen.« Sie begab sich an die Arbeit. Die Kranke schaute ihr von ihrem Bett aus zu. Sie sah wohl, dass dem Kind fast die Augen zufielen, und sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Noch lange dachte sie über Magdalenes Schulerlebnisse nach. Endlich hatte das junge Mädchen seine Schularbeit beendet. Es klappte das Heft zu und ging, um der Mutter den Gutenachtkuss zu geben.

    »Jetzt lege dich aber schnell hin, Kind«, sagte die Mutter sorgenvoll, »du siehst erschreckend blass aus. Und noch eins, Leni, wenn deine Mitschülerinnen auch unfreundlich zu dir sind, versuche dennoch Kameradschaft zu pflegen, bringe ihnen Liebe entgegen!«

    »Das ist schwer, Mutter.«

    »Ich weiß es, mein Kind – das kann man auch nicht aus eigener Kraft. Glaube mir, ich habe so manches lernen müssen, von dem ich meinte, dass es unmöglich sei, aber es gibt eine geheimnisvolle Kraftquelle, das ist die Verbindung mit Gott. Ich wollte, dass auch du lerntest, sie in Anspruch zu nehmen.«

    Magdalene ging gleich zu Bett. Sie war todmüde, und kaum lag sie, fielen ihr die Augen schon zu. Frau Harfner aber fand noch lange keine Ruhe. Die Sorge um das Wohl ihrer Kinder erfüllte ihr Mutterherz. »Ich kann's nur dir übergeben, o Gott, denn ich bin hilflos«, betete sie, bis dann endlich auch sie in einen leichten Schlaf fiel.

    Beim Mittagstisch der Familie Brinkmann ging es heute lebhaft zu. Besonders Hella war ganz erfüllt von einem Schulereignis. Eine neue Schülerin war in die Klasse eingetreten.

    »Etwas Besonderes«, schwärmte sie.

    »Woran hast du denn das gemerkt?« fragte der Vater.

    »Na, an der Kleidung!«

    »So, an der Kleidung?«

    Hella war so von ihren Gedanken eingenommen, dass sie gar nicht merkte, dass in Vaters Worten ein versteckter Spott zu hören war. »Stellt euch nur vor, ein Taftkleid für die Schule! Dazu trug sie eine tolle Perlenkette.«

    »Denk nur mal, Taftkleid und Perlenkette«, wiederholte spöttisch der ältere Bruder.

    »Sag, war die neue Schülerin etwa auch geschminkt?

    Und welche Art von Lippenstift benutzt sie?«

    »Du brauchst mich gar nicht zu necken, du dummer Bengel«, grollte Hella, »auf jeden Fall ist sie ein bildhübsches Mädchen. Aber wenn du mich auslachst, sage ich überhaupt nichts mehr!«

    »Es ist auch besser, wenn du jetzt davon schweigst.« Der Vater sah seine Tochter sehr ernst an. »Wenn du die Menschen, die dir begegnen, immer nur nach ihrem Äußeren einschätzt, dann wirst du noch viele Enttäuschungen erleben. Hinter manch einem eleganten Kleid verbirgt sich eine herzlose Gesinnung, und manches hübsche Gesicht ist nur eine Maske.«

    Hella schmollte. – Was verstanden sie alle davon? Eines war sicher: dieses elegante Mädchen musste ihre Freundin werden! Sie gönnte keiner ihrer Klassenkameradinnen den Vorrang. Schade, die Neue war erst in der letzten Schulstunde gekommen, so konnte man gar nicht näher mit ihr bekannt werden. Aber sie wollte sich gleich morgen dieser – dieser – wie hieß sie doch gleich – ach ja, richtig – Elvira May hatte der Lehrer sie genannt – vorstellen. Dieser klangvolle Name passte ganz zu ihr.

    Die Neue saß am nächsten Morgen bereits auf ihrem Platz, als Hella Brinkmann das Schulzimmer betrat. Sie machte ihr liebenswürdigstes Gesicht, ging auf die neue Schülerin zu und sagte, indem sie ihr die Hand reichte: »Guten Morgen, Elvira, ich hoffe, dass du dich in unserer Klasse gut einlebst.«

    So, der Anfang war gemacht, alles andere würde sich finden. Kaum gab die Glocke das Pausenzeichen, als Hella auch schon bei der neuen Schülerin stand.

    »Wollen wir miteinander auf den Schulhof gehen?« Diese hatte nichts einzuwenden – und schon hatte Hella ihren Arm genommen und zog triumphierend mit der neuen Freundin los. In den kurzen Pausen durften die Mädchen auf dem Schulhof nicht frei herumspringen, sondern gingen je zwei und zwei auf dem Schulplatz herum, während sie ihr Frühstücksbrot aßen. Ein diensttuender Lehrer achtete auf Ordnung. Hella Brinkmann begann sofort ein lebhaftes Gespräch. »Wie gefällt es dir hier? Wo habt ihr früher gewohnt? Was hältst du von unserem Lehrer? Ich kann dir nur sagen, hüte dich vor ihm, er ist ein ungerechter Mensch.«

    Elvira hatte anscheinend gar nicht hingehört, denn plötzlich blieb sie stehen und deutete auf ein Mädchen in ihrem Alter, die ganz allein und, wie es schien, recht bedrückt hinter den anderen herging.

    »Gehört das Mädchen nicht auch zu unserer Klasse?« fragte sie.

    »Doch, aber komm, was willst du von ihr?« Hella konnte ihren Unwillen kaum verbergen.

    »Warum geht sie denn so verlassen hinter euch her?«

    »Warum? Weil wir sie alle nicht leiden können. Sieh doch nur, wie unsauber sie aussieht!«

    »Unsauber? Davon sehe ich nichts. Einfach, ja, aber furchtbar traurig kommt sie mir vor.«

    »Sie hat auch allen Grund, traurig zu sein«, fuhr Hella lieblos fort, »du wirst ja gehört haben, wie sie sich in der Rechenstunde blamiert hat. Die einfachsten Brüche begreift sie nicht.«

    »Sie tut mir leid«, sagte Elvira einfach, und ohne sich um die Empörung Hellas zu kümmern, wandte sie sich zu Magdalene Harfner und sprach sie an. »Du gehörst doch auch zu unserer Klasse, warum gehst du so allein? Komm, wir können hier gut zu dritt laufen.« Und ehe sich die schüchterne Magdalene noch recht besinnen konnte, hatte die vornehme Neue sie schon untergefasst und zog sie mit sich fort.

    Einen Augenblick war Hella Brinkmann fast sprachlos. So etwas war noch nicht dagewesen! Nein, diese Neue sollte doch nicht denken, dass sie sich mit einer Magdalene Harfner auf die gleiche Stufe stellte. Nun war Elvira an der Reihe zu staunen, denn mit einem Ruck hatte Hella sich losgerissen und war hochmütig davongegangen. »Nanu – was soll denn das heißen?« fragte Elvira die vor Verlegenheit errötende Magdalene.

    »Es ist meinetwegen«, erwiderte diese, »sie kann mich nicht leiden«, und während ihr die Tränen in die Augen traten, versuchte sie ihren Arm aus dem der neuen Schülerin zu ziehen, so, als erwarte sie gar nichts anderes, als dass auch diese sich jetzt von ihr abwende.

    Elvira aber lachte und hielt die schüchterne Leni nur um so fester. »Nein, komm nur, wir gehen zusammen.«

    Auf dem Heimweg war das Hauptthema: die Neue. »Was haltet ihr von ihr?« fragte die kleine Marietta. »Ich glaube, sie kann ganz lustig sein.«

    »Vor allem ist sie klug und begabt. Sie hat die besten Antworten gegeben«, war die Meinung von Grete Becker.

    »Sie ist ein eingebildeter Affe.« Mit diesen Worten machte Hella Brinkmann ihrem Arger in gehässiger Weise Luft. Dabei hatte sie nicht bemerkt, dass ihr ältester Bruder schon eine ganze Weile hinter der Mädchengruppe hergegangen und Zeuge ihres Gesprächs geworden war.

    Die Mädchen fuhren erschreckt zusammen, als plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund ertönte: »Hella, Hella, was ist aus deinem Ideal mit dem Taftkleid und der Perlenkette geworden?« Auch Hella war zusammengefahren. Jetzt aber ärgerte sie sich fürchterlich, dass ihr Bruder etwas von ihren Schwärmereien am Familientisch verraten hatte, und rief ihm zu: »Das geht dich ja schließlich nichts an – und im übrigen hat Vater ganz recht gehabt, man kann sich schwer in einem Menschen täuschen.«

    Magdalene Harfner aber kam heute mit hochroten Wangen und strahlenden Augen heim. »Mutter, Mutter, ich habe eine Freundin gefunden.« Die Mutter freute sich von Herzen mit ihrem Kind. »Erzähle mir von ihr«, bat sie, »beschreibe sie mir doch etwas näher!« Magdalene aber wusste nicht viel mehr zu sagen, als dass sie strahlende, gute Augen habe.

    Die Mutter lächelte: »Die Augen, Leni, sind die Fenster der Seele. Bringe mir deine Freundin nur recht bald einmal mit, ich möchte sie kennenlernen.«

    Und Elvira May kam. Magdalene strahlte. Zuerst hatte sie ein wenig Angst gehabt, wie die neue Freundin die Bescheidenheit ihrer Dachwohnung aufnehmen würde. Aber Elvira schien eine besondere Begabung zu haben, nur das Schöne zu sehen.

    »Oh, diese wundervollen roten Geranien vor den Fenstern! – Sind das die Zwillinge?« Und sie zog die blondlockigen Jungen, die das vornehme Mädchen aus großen Frageaugen ansahen, an sich. Die aber fassten jauchzend die langen blonden Zöpfe Elviras und riefen begeistert aus: »Au du, damit kann man fein Pferdchen spielen!« Und als sie der Kranken die Hand reichte und sagte, dass es ihr furchtbar leid sei, dass sie so viele Schmerzen ertragen müsse, – da fühlte man, dass es nicht nur leere Worte waren, sondern das tiefe Empfinden ihres warmen Herzens.

    Eine innige Freundschaft entspann sich zwischen den beiden jungen Mädchen. Es war, als ob Magdalene anfing, aufzuatmen. Wie lange schon hatte Frau Harfner das Kind nicht mehr so herzhaft lachen hören! Jetzt kam Elvira öfters in die Dachwohnung, und mit herzlicher Freude blickte Frau Harfner auf die beiden jungen Mädchen. Es kam Elvira gar nicht darauf an, sich eine große Schürze vorzubinden und ihrer Freundin beim Waschen und Putzen zu helfen. Ja, sie hatte sogar Freude an solchen Arbeiten. Zu Hause war sie das einzige Kind. Für die Arbeit war eine Hausangestellte da, aber Frau May hatte ihre Tochter schon früh dazu erzogen, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und nach Gelegenheiten zu spähen, sich nützlich zu machen. Seitdem sie mit Magdalene befreundet war, half sie ihr auch bei den Schulaufgaben. Und Magdalene, die keineswegs unbegabt war, hielt von dieser Zeit an wieder mit den anderen Schülerinnen Schritt. Sie konnte nicht viele Worte über ihre Empfindungen machen, aber die Mutter sah das stille Leuchten in den Augen ihrer Tochter und wusste, dass in ihrem Herzen ein helles Freudenlicht angezündet war.

    Wieder einmal war die Mädchenklasse außer Rand und Band. Diesmal saß der Lehrer selbst zwischen all den Lärmenden und Tobenden und lachte mit. Eine Reise wurde besprochen, und die Freude und Begeisterung der Mädchen kannte keine Grenzen. In die Sächsische Schweiz sollte es gehen, und drei Tage wollte man unterwegs bleiben. Es war ja nicht allzu weit von Dresden, und sie waren fast alle schon dort gewesen; aber drei ganze Tage fort sein und in der Jugendherberge übernachten, das war einfach ein Fest! Der Lehrer hatte soeben das Programm für diese drei Tage durchgesprochen. Nun forderte er die Schülerinnen auf, am nächsten Tag fünfzig Mark mitzubringen. Von diesem Geld sollten die Kosten für die Reise, Verpflegung und Übernachtung beglichen werden. Wie eine Schar Hummeln schwärmten die zweiunddreißig Mädchen los. Eine schrie lauter als die andere, und die Vorfreude war unbeschreiblich.

    Der alte Hausmeister schüttelte den Kopf. »Die Welt hat sich sehr verändert«, murmelte er. Lehrer Boldt, der gerade vorüberging und diese Worte eben noch gehört hatte, klopfte dem Alten auf die Schulter und sagte: »Guter Freund, haben wir vergessen, dass wir auch einmal jung waren?«

    Elvira May ging mit Magdalene Harfner ein Stück gemeinsam. Auch sie war begeistert über den Reiseplan der Klasse. »Leni«, schwärmte sie, »ich finde den Plan einfach großartig. Das wird ein Fest! Stell dir vor, wenn wir auf die Bastei klettern, und die Überfahrt auf der Elbe, und dann in der Jugendherberge übernachten! Ich freue mich riesig. – Aber warum sagst du denn nichts, Leni? Freust du dich denn gar nicht?«

    Magdalene hatte sich nicht an der allgemeinen Begeisterung beteiligt, aber niemand hatte darauf geachtet. Jetzt aber gewahrte Elvira einen Schatten auf dem Gesicht der Freundin. »Was ist mit dir, Leni?« forschte sie besorgt. »Warum freust du dich denn nicht mit?«

    Da antwortete die Freundin traurig: »Du denkst doch nicht, dass ich mitgehen kann? Woher sollte meine Mutter fünfzig Mark haben?«

    Elvira wurde nachdenklich. Sie hatte um ein paar Mark willen noch nie auf eine Freude verzichten müssen. Aber ehe sie noch weiter auf diese Gedanken eingehen und mit Magdalene darüber reden konnte, waren sie schon an der Gasse, die zu Lenis Haus führte, angelangt.

    Diese reichte der Freundin die Hand und versuchte ein freundliches Lächeln. »Auf Wiedersehen, Elvira, mach dir aber keine Gedanken darüber. Ich habe schon manchmal verzichten müssen.« Als sie die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufstieg, nahm sie sich vor, der Mutter gar nichts von der bevorstehenden Ferienreise zu sagen. Sie würde nur darunter leiden, dass ihr Kind wieder wie so oft zurückstehen musste.

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