Szenen mit Töchtern: Erzählungen
Von Roland E. Ruf und Inge Reuter-Eck
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Über dieses E-Book
Um den Alltag mit seinen beiden Töchtern Anna und Franziska, das Bemühen um Vertrauen und Verlässlichkeit, geht es Roland E. Ruf in diesen Erzählungen.
Einfühlsam und authentisch nimmt er uns mit auf die Reise im Auto mit der kleinen Anna, in Diskussionen mit Franziska, in kritische und komische Situationen bis weit in beider Erwachsenenalter hinein.
Szenen mit Töchtern - ein anschauliches Plädoyer für die Bedeutung gegenseitiger Wertschätzung von Generation zu Generation. -Lesenswert!
Roland E. Ruf
Der Autor, geb. 1939, ist in Karlsruhe aufgewachsen, lebt in Freiburg und schreibt seit 2010 unter dem Pseudonym Roland E. Ruf. Als Lehrer in Baden-Württemberg war er an verschiedenen Orten tätig, u.a. im Raum Bruchsal, im Rhein-Neckar-Gebiet und in Südwürttemberg. Der geografische Bezug in seinen Texten ist nicht zu übersehen (Kurzgeschichten, Erzählungen und ein Roman), ebenso wenig sein zeitgeschichtliches Interesse - beides bildet den Rahmen seines Erzählens, in dessen Mittelpunkt die Entfaltung von Persönlichkeit steht. Was er wahrnimmt, gibt er als Autor im Fluss erzählender Handlungen an den Leser weiter – verdichtet im Erleben seiner Protagonisten, ob in Ich-Form oder aus der Distanz des Beobachters. Präzise und einfühlsam, oft ironisch-kritisch mit einer Prise Humor. Dabei gilt sein Augenmerk dem wenig Spektakulären, dem scheinbar Alltäglichen. Die Protagonisten sind insoweit real, als ihre Lebensumstände, Wesenszüge und Erlebnisse collageartig der Wirklichkeit entnommen sind. Das gilt auch für den Erzähler Roland.
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Buchvorschau
Szenen mit Töchtern - Roland E. Ruf
SZENE 1
Rückfahrt
1974
Es war etliche Kilometer nach Troyes, als wir endlich an die Stelle kamen, wo die Straße zum Lac de la Forêt de l’Orient von der N 19 abzweigte. Anrührend, wie Anna mit angewinkelten Beinen auf der Rückbank schlief. Die letzten hundert Kilometer in der Dämmerung waren quälend gewesen, trotz mehrfachen Wechsels am Steuer, und wir zu müde, um uns nach einem Restaurant für eine Pause umzusehen. Strapaziös, dieser erste Rückreisetag.
Was hatten wir uns nur zugemutet - vor allem dem Kind! Das ‚große weite Meer‘ sollte es erleben, wir Landschaften und Orte wenigstens streifen, die wir aus Büchern und Filmen kannten und die unsere Frankreich-Romantik angestoßen hatten. Zu einer Art Bummeln sollte die Reise zum Atlantik werden, das Zelt dort aufgeschlagen, wo wir auf in inneren Bildern gespeicherte Sehnsüchte zu treffen meinten.
Doch bitte alles ohne ‚Kulturzwang‘, sich nur vom Auge führen lassen. Unsere kleine Tochter würde schon zu ihren Erlebnissen kommen, wenn wir sie mitnähmen, mit ihr in Kathedralen im Licht der bunten Fenster über deren Höhe und Weite staunen, in Schlössern an der Loire die Ausstattung aus glanzvollen Zeiten bewundern und in Schlossgärten über Terrassen mit kunstvoll beschnittenen Sträuchern, vorbei an Blumenrabatten zu Brunnenbecken gelangen.
Durch enge Gassen in alten Städten wollten wir schlendern, innehalten vor für sie und uns seltsamen Geschäften. Auf Märkten lebende Seefische und Krabben in Bottichen betrachten, uns vom Schwall der Gerüche zu bunten Gewürzständen locken lassen. Die kleinen Köstlichkeiten der Pâtisserien im Salon de thé probieren, anschließend auf dem Platz vor dem Hôtel de Ville bei Straßenmusikanten verweilen, während sich die Tochter am Kinderkarussell im Schatten der Platanen erfreut, von Königskutsche bis zum Feuerwehrauto mit Glocke. Danach würden wir erschöpft und hungrig ein Restaurant im historischen Zentrum der Stadt aufsuchen. Der Kellner in der Dreiviertelschürze würfe im Vorübergehen die Speisekarte auf den Tisch, die in rätselhaften Wortkombinationen Überraschendes verspricht.
Alles kalter Kaffee - es kam anders!
An der Atlantikküste regnete es schier ununterbrochen. Auch nach einer Woche keine Aussicht auf Wetterwechsel. Es gab nur eins: Am Morgen in der Nässe das Zelt abbauen, abreisen! Anna, sechs, hatte am Vortag erhöhte Temperatur, und wir schnupften und husteten. Doch offen gesagt, das Wetter war nicht der ein-zige Grund, eher Anlass, dass Rita und ich uns immer wieder fragten, wie es Franziska gehen mag. Die dreijährige Schwester war bei den Großeltern geblieben. Das erste Mal ohne uns, und wir mit zunehmend schlechtem Gewissen unterwegs. Das kam hinzu - und war doch eigentlich zu ahnen. Die Hoffnung, nach ‚Kinderjahren‘ nun endlich reisen zu dürfen, war stärker - und zerfloss nun in den Regenströmen eines ortsfesten Tiefs.
Das Netz der französischen Autobahnen Richtung Osten wies noch große Lücken auf. Über Paris wäre es zwar möglich gewesen, auf der Autobahn zu bleiben, doch die Orientierung im Verkehr einer Millionen-Metropole schreckte uns ab. - Und dann in einem bepackten Kleinwagen auf der Autobahn? Wir wären kaum über 90 km/h gekommen, eingeklemmt zwischen Lastkraftwagen im Gestank ihrer Abgase. Also zurück Richtung Rheinebene auf möglichst direkter Linie über rote Routes Nationales und weiße Regionalstraßen auf den Michelin-Karten.
Das war Ende Juli 1974. In einem NSU-Prinz waren wir unterwegs, nicht so eng wie vormals Ritas alter Käfer und flotter als der betagte Benz-Diesel, den uns vor sechs Jahren ihre Eltern überlassen hatten. Der schlich den Lkws hinterher, schaffte an Steigungen das Überholen nur mit Anlauf. Leider erwies sich auch das Fahrverhalten des erst kürzlich erstandenen Jahreswagens auf langer Strecke als nicht so aristokratisch, wie seine Typenbezeichnung suggerierte. Den ‚Prinz‘ bei Seitenwind und in engen Kurven auf der Fahrbahn zu halten, das verlangte Aufmerksamkeit und geschicktes Wechseln vom Gas- zum Bremspedal. Mit seinem Heckmotor war er vorne einfach zu leicht.
Schließlich der Schock: Beim Start heute früh hing nach dem Anlassen das Gaspedal durch. Unter Vollgas heulte der Motor im Leerlauf. Was tun im Dauerregen? Rita, kreidebleich aber autoerfahrener als ich, meinte: „Mit Gefühl die Kupplung kommen lassen, Fahrt aufnehmen, wieder auskuppeln, wenn der Wagen rollt, dann das Spiel von Neuem beginnen. So schaffen wir die fünf Kilometer zum nächsten Ort. Dort wird man uns hoffentlich helfen."
Wir stellten das Warndreieck ins Rückfenster und hoppelten in Schüben zur Tankstelle im Nachbarort. Ein uns verblüfft entgegen schauender Tankwart öffnete hinten die Motorhaube. Sein Kopf verschwand, die Hand wackelte an Kabeln und Schläuchen. Dann erhob er sich aus der gebückten Haltung, schwenkte nachdenklich den Kopf: „Tout va bien!", meinte er ratlos. Motor probeweise anlassen - gleiches Resultat. Rita fragte nach einem réparateur. Eifriger Wortschwall, zwei Hände wiesen die Straße hinauf, formten so etwas wie ein Firmenschild. Ich verstand nur garage und atelier agricole.
Geduldig hörte sich der Fachmann für Landmaschinen und Motorfahrzeuge aller Art an, was Rita ihm auf Französisch erzählte. Würde sie sich verständlich machen können? Technische Begriffe vermeidet sie sie bereits in der eigenen Sprache, umschrieb daher wortreich das malheur. Ich versuchte es mit Zeichensprache. Wortlos öffnete der Mann die Motorhaube, suchte und fand sogleich den Fehler: Voilà, le ressort spiral! Er hängte eine erschlaffte Spiralfeder aus und hielt sie uns hin: cassé!
„Ressort muss Feder heißen, habe ich noch nie gehört, raunte Rita. Der Mann, etwa sechzig, schaute sie zunächst erstaunt an und meinte dann gelassen: „Alors, sprechen wir deutsch!
„Ich habe diese Art ressort nicht. Nur für - er suchte nach einem Wort - „tondeuses à gazon.
- „Vermutlich Rasenmäher mit Benzinmotor, flüsterte Rita. - „In Frankreich pas de chance, peut-être in Paris. Werde jetzt versuchen, drehen le truc.
Daraufhin verschwand er in der Werkstatt, kam nach etwa 20 Minuten mit einer Spiralfeder zurück, die dem gebrochenen Teil glich und setzte sie ein. „Starten Sie le moteur! Der lief nun im Standgas einwandfrei. Der Mann zog den Kipphebel des Vergasers, an dem er sie eingehängt hatte, - der Motor heulte auf. „Bien, ça marche!
meinte er, schloss die Motorhaube und rieb zufrieden die Hände an einem Tuch ab. „Nehmen Sie éventuellement Route über Schweiz. Dort hat man auch diese Enn-Esse-Üü, ist mehr sicher."
Er klopfte auf die Motorhaube und meinte selbstbewusst: „Aber ich meine, ce truc hält!"
Nachdem ich die Geldbörse aus dem Handschuhfach geangelt hatte, wehrte er sofort ab. Dann erzählte er: Als junger Soldat sei er in deutsche Gefangenschaft geraten und kam auf einen Bauernhof im Allgäu. Er zuckte mit den Achseln. „Keine Männer da. Alle im Krieg, Madame! Und an mich gerichtet: „Monsieur, dort bin ich gewesen fünf Jahre der Bauer. Nicht leicht, aber besser als Lager. Er lachte verlegen. „Zeit, lernen die Sprache. Aber jetzt ich spreche fast nix deutsch. Immer weniger Wörter im Kopf - keine occasion.
Er