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Hallo Gott, ich hab da mal ne Frage
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eBook288 Seiten4 Stunden

Hallo Gott, ich hab da mal ne Frage

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Über dieses E-Book

Jaden Button, ein Krankenpfleger aus New York, begibt sich nach einem Nervenzusammenbruch, während der Coronapandemie, auf den Jakobsweg. Dort trifft er Gott und darf ihm jeden Tag, auf dem Pilgerpfad, eine Frage stellen. Eine Diskussion folgt der nächsten. Mehrfach passieren Jaden auf dem Weg merkwürdige, skurile, aber auch gefährliche Dinge, die unmittelbar mit seinem göttlichen Begleiter zu tun haben, der, wie er selbst sagt, in seiner Verkleidung immer menschlicher wird. Zwischen den beiden Pilger entsteht eine tiefe Verbundenheit. Am Ende des Pilgerweges muss Jaden entscheiden, wie es mit der Welt und ihren Bewohnern weitergeht.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Juni 2021
ISBN9783347337428
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    Buchvorschau

    Hallo Gott, ich hab da mal ne Frage - Ralf Göring

    Vorwort:

    Als ich mich entschlossen habe, diese Buch zu schreiben, war die Pandemie noch in den Kinderschuhen. Ich hatte vor einigen Monaten die köstlichen Papstromane von dem Münchner Autorenpaar Johanna Alba und Jan Chorin gelesen. Ich wollte auch so etwas Humoriges schreiben, aber dem ganzen einen ernsteren Hintergrund geben. Also fing ich einfach an. Als ich dann, als pflichtbewusster Autor, begann ein bisschen zu recherchieren war ich zuerst betroffen, etwas später zornig, dann wütend und zum Schluss traurig. Wenn man das Wirken der Menschen auf diesem Planeten immer nur häppchenweise präsentiert bekommt, dann verdrängt man so einiges. Aber im Laufe dieser Recherche bekam ich alles geballt vor die Augen. Nicht nur der Klimawandel oder die Abholzung der Regenwälder zogen an mir vorbei, sondern viel mehr unser respektloser Umgang mit allen Lebewesen dieser Welt. Seit der Industrialisierung haben wir nicht mehr aufgehört unsere Umwelt zu misshandeln und uns die Basis für ein Weiterleben auf dieser so wunderschönen Erde zu entziehen. Ich bin mir leider mittlerweile absolut sicher, dass wir das nicht mehr selbst regeln können. So brutal es klingen mag, wird nur eine globale Katastrophe in der Lage sein, uns klarzumachen, dass wir nur ein unbedeutender Faktor sind und es uns nicht schaden würde, mit Demut und Respekt auf diese Welt zu blicken. Ich will nicht richten, weil mir das nicht zusteht. Ich bin mit der gleichen Ignoranz durch die Zeiten getaumelt, ohne zu registrieren, welche großartige Macht für all das verantwortlich ist und was uns damit anvertraut wurde. Also ehrlich, ich würde mir nichts mehr übergeben was so wertvoll ist wie der Planet, auf dem wir leben. Macht die Augen auf, seid demütig und voller Respekt.

    1.

    Langsam öffnete er seine Augen und flackernd drang das künstliche Licht in sein Bewusstsein. Sein Schädel pochte dröhnend und er wollte sich impulsiv an den Kopf fassen. Das war aber nicht möglich, weil seine Arme eng an seinen Körper gepresst waren. Panisch blickte Jaden an sich hinab und sah, dass er in einer Zwangsjacke steckte.

    Sein Atem floh stoßweise aus seinem Hals und sein Puls schnellte nach oben. Kurz bevor er hyperventilierte, öffnete sich die Türe des komplett gepolsterten Raumes, und eine Frau, mit einer Maske vor Nase und Mund, stand kurz im Rahmen und betrat dann den Raum.

    Er kniff die Augen zusammen, um die Person im diffusen Licht zu identifizieren. Jessy?, keuchte er, bist du das? Ja, Jaden, antwortete die Frau hinter der Maske, wie geht es dir?

    Wie es mir geht? Er warf den Kopf in den Nacken und schrie: Mir brummt der Schädel und ich liege gefesselt in einer Gummizelle. Wie meinst du, wie es mir da geht? Was ist denn eigentlich los? Verzweifelt warf er sich auf der Pritsche hin und her: Ich war doch zuhause. Ich saß im Wohnzimmer und sah fern. Mehr weiß ich nicht mehr. Jessy, eigentlich Jessika, Jadens Freundin und Seelenverwandte, sah ihn lange an, bevor sie antwortete: Ich kann dir auch nur sagen, was mir erzählt wurde.

    Sie setze sich zu ihm aufs Bett. "Du hast einen verstorbenen Patienten zugedeckt, hast etwas von, so kann das nicht weitergehen, gemurmelt, und hast die Intensivstation vor Ende deiner Schicht verlassen. Nach zwei Stunden bist du rotzevoll zurückgekehrt. Sie unterbrach sich: Jaden, du hast doch noch nie getrunken. Was ist denn in dich gefahren? Jaden zuckte die Schultern, mehr konnte er auch nicht bewegen: Ich weiß es nicht, Jessy. Erzähl bitte weiter", bat er verzweifelt.

    "Du kamst also sturzbetrunken zurück und gingst in den Besprechungsraum. Im Fernseher lief gerade ein Interview mit Trump, dann bist du vollkommen ausgetickt. Du nanntest ihn einen narzisstischen, soziopathischen Massenmörder, dann hast du gebrüllt, Herrgott, wie kannst du diese Scheiße zulassen, danach hast du den Fernseher von der Wand gerissen und durch das geschlossene Fenster geworfen. Als du hinterherspringen wolltest, haben dich deine Kollegen überwältigt und hier auf die geschlossene Psychiatrie bringen lassen."

    Jaden sah sich um: Ich wusste gar nicht, dass wir eine Psychiatrie im Haus haben, geschweige denn eine Gummizelle. Er blickte nach oben: Die haben sogar die Decke gepolstert. Wie hoch meinen die, dass einer in der Zwangsjacke springen kann? Sie lachte: Für den nächsten Familienabend haben wir eine Menge Gesprächsstoff."

    Das ist nicht lustig, Jessy. Ich kann mich hier nie wieder blicken lassen. Jessy nickte ihm liebevoll zu: Ich bin leider noch nicht fertig. Du hast nicht nur Fenster und Fernseher zerstört. Das Gerät landete nämlich auf dem Parkplatz und durchbrach das Stoffverdeck eines Cabrios. Der gesamte Schaden beläuft sich auf über 3000 Dollar. Ach ja, noch was. Du bist natürlich fristlos gekündigt. Das heißt aber auch, dass du keinen deiner Kollegen mehr unter die Augen treten musst.

    Ja, das ist natürlich ein Riesenvorteil, antwortete er sarkastisch. Ich hoffe, es wurde niemand verletzt. Verzweifelt sah er Jessy an. Die schüttelte nur den Kopf. Nur Sachschaden, für den du aber einen Kredit brauchst.

    Sie sah ihm fest in die Augen. Jetzt sag mir endlich was los war. Er nickte und langsam setzte sich das Gedankenpuzzle vor ihm zusammen. Stevy war seit einer Woche auf unserer Station. Jessy, er war erst 15. Tränen traten jetzt in seine Augen und an seiner Stimme hörte man den dicken Klos in seinem Hals. Vor drei Tagen wurde seine Atmung schlechter und sein Fieber stieg über 40°. Heute früh starb er in meinen Armen. Jaden stockte kurz. Er war Nummer Hundert. Jessica sah in fragend an: Nummer Hundert?

    Ja Jessy, er war der Hundertste Patient, dem ich die Decke über den Kopf gezogen habe. Vorgestern haben wir noch gescherzt und ich war mir sicher, dass er es schafft.

    Sein Kopf sank ihm auf die Brust: Stell dir vor, Jessy, wenn ich allein hundert Patienten verloren habe, wie viele auf unserer kleinen Intensivstation insgesamt gestorben sind und die Scheiße hat gerade erst angefangen. Er unterbrach sich kurz, schluckte schwer und sprach weiter: Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich besorgte mir eine Flasche Whisky, aber ab da habe ich einen kompletten Filmriss.

    Unbemerkt von den beiden, stand eine große, hagere Gestalt im Türrahmen. Sie erschraken beide, als sie ihn bemerkten. Sie wussten nicht, wie lange er schon dastand, aber anscheinend hatte er alles mitgehört.

    Hallo Jaden, mein Name ist de Luca. ich werde dich jetzt aus deinem Gefängnis befreien, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass von dir ausschließlich Verzweiflung ausgeht und keine Gefahr.

    Der große, schlanke Arzt betrat das Zimmer, ging zum Bett und löste die Zwangsjacke von Jadens Körper. Er reichte ihm eine Maske, die Jaden fraglos anlegte. So, und jetzt kommt ihr beide mit in mein Büro.

    Sie gingen einen langen trostlosen Gang entlang und hörten ab und zu ein unmenschliches Geheul aus einem der vergitterten Räume. De Luca nickte, als hätte ihn jemand gefragt: "Ja, wir haben hier auch wirklich Verrückte."

    Am Ende des Ganges sperrte er eine Zwischentüre auf und sie gingen jetzt einen bedeutend schöneren Gang entlang. Bunte Wände, Blumen an den Seiten und freundlich blickende Menschen waren ein krasser Kontrast zu den Räumlichkeiten hinter ihnen. Nach wenigen Metern öffnete der Arzt die Türe seines Büros und Jaden konnte das Türschild lesen: Dr. Manuel de Luca. Leitender Oberarzt.

    Oje, dachte Jaden, den kann ich mir nicht leisten. Er zählte noch einmal ein paar hundert Dollar zu dem Schaden, den er schon angerichtet hatte und hoffte, dass er eine Bank finden würde, die Tollwut subventioniert.

    De Luca setzte sich hinter den Schreibtisch und deutete einladend auf zwei Stühle, die davorstanden. Er beugte sich nach vorne, legte lässig die Unterarme auf den Schreibtisch und faltete die Hände als wollte er beten: Ich war zufällig Zeuge deiner Beichte und kann das somit schon mal sehr gut einordnen.

    Er hob den Blick und sah Jaden direkt an. Wie lange arbeitest du schon auf der Intensivstation?

    Jaden dachte kurz nach: Seit acht Jahren hier im Haus, davor in einer kleinen Klinik in Ohio, wo ich herkomme. De Luca nickte: Vom beschaulichen Ohio ins brodelnde Fass New York. Das nenne ich mal eine Herausforderung. Jaden erwiderte leidenschaftlich: "Ich habe die Arbeit hier geliebt. Bis vor zwei Monaten war es ein ganz normaler Job auf einer Intensivstation. Es wurde gestorben und es wurde überlebt. Alles wie immer. Wer in diesem Job arbeitet, muss damit klarkommen, dass man Menschen verliert. Wir haben aber die meisten Kämpfe gewonnen und das machte diese Arbeit so wertvoll für mich. Als aber dann die Pandemie begann, wurden wir überrollt.

    Sterbende Patienten in den Zimmern, auf den Gängen, weinende Angehörige und verzweifelte Kollegen. Da waren Ärzte, die entscheiden mussten, welcher von zehn Erkrankten an das letzte Beatmungsgerät angeschlossen wird. Ihm liefen jetzt die Tränen über die Wangen und Jessy streichelte zärtlich seine Hand. Wütende Angehörige, die uns Mörder und Versager nannten. Wenn ich in den Fernseher sah, wurden die Menschen aufgefordert für Ärzte und Pflegekräfte zu applaudieren. Das war so pervers, wenn man eine Stunde zuvor, vielleicht sogar von den gleichen Menschen, als Mörder beschimpft wurde. Hinter dem Krankenhaus stehen Kühlcontainer für die Leichen. Alle paar Stunden wird ein voller gegen einen leeren getauscht."

    Jaden hörte auf zu reden. Er konnte nicht mehr.

    De Luca legte den Kopf etwas schief und sagte: "Dein Nervenzusammenbruch, und das war es ohne Zweifel, ist vollkommen nachvollziehbar. Mich wundert es schon einige Zeit, dass nicht mehr von euch verzweifeln. Ich vermute, dass viele Pflegkräfte und Ärzte das tief in sich einschließen und es später zu einer dramatischen Eskalation kommt.

    Die Selbstmordrate in eurer Berufsgruppe steigt momentan dramatisch an. Jessy zog hörbar die Luft ein: Ist Jaden gefährdet? Der Arzt schüttelte den Kopf: Nein, weil sein Gehirn die Reißleine gezogen hat. Seine Kollegen haben mir berichtet, dass er am Fenster stand und zögerte, trotz Vollrausch. Hätte er springen wollen, hätte er es geschafft. Er bleibt jetzt ein paar Tage hier und erholt sich. Danach sehen wir weiter. Dankbar nickte sie und nahm Jadens Hand in die ihre. Jaden, ich gehe jetzt. Ich komme dich jeden Tag besuchen. Ich muss auch deine Eltern anrufen, und zwinkernd fügte sie hinzu, die müssen ja auch wissen, dass du nicht mehr in der Gummizelle bist."

    Jessy?

    Ja, Jaden?

    Verschwinde!

    2

    Fünf Tage blieb er in der Klinik. Gespräche mit Therapeuten oder in der Gruppe zeigten ihm, dass er nicht der Einzige war, der während der Pandemie die Nerven verloren hatte.

    Er sprach sehr häufig mit de Luka. Irgendwie verstand der ihn am besten. Am letzten Tag seines Aufenthaltes trafen sie sich nochmal in seinem Büro. Er sah ihn lange und intensiv in die Augen und sagte abschließend: „Jaden, du musst jetzt dasselbe mit dir machen, wie mit einem hängenden Computerprogramm. Drücke auf die Resett-Taste und zieh dein physisches und psychisches System neu hoch. Gehe für ein paar Wochen in dich und finde dich wieder. Stelle alles in Frage, deine Beziehung, deinen Glauben, einfach alles. Dann bewerte es, teile es in wichtig und unwichtig. Danach wirfst du alles über Bord, das im Feld unwichtig landet. Leere deinen Mülleimer und fange wieder von vorne an. Das ist alles was ich dir raten kann."

    Jaden sah in zweifelnd an: „Das wird nicht einfach. Da sind viele Dinge die ich eigentlich gar nicht hinterfragen möchte, weil sie einfach bisher zu meinem Leben gehörten. Meine Beziehung zu Jessy, mein Beruf, mich selbst. Was meinen Glauben betrifft, da hätte ich ein paar Fragen, aber die kann ich meinem Herrgott nur persönlich stellen. Ich muss also warten, bis ich Antworten bekomme."

    De Luka lächelte: „Wenn man etwas hinterfragt, heißt das noch lange nicht, dass es schlecht ist. Ich bin mir sicher, dass deine Freundin diese Prüfung übersteht, er reichte Jaden die Hand, missachtete somit alle Corona Vorschriften, öffnete die Bürotür und sagte zum Abschluss: „Und wenn du wirklich ein paar Fragen an Gott hast, flieg nach Europa, genauer gesagt nach Spanien und begib dich auf den Jakobsweg. Der ist ideal, um Verlorenes wieder zu finden und vielleicht triffst du auch Gott. Viele behaupten ihn auf dem Weg gefunden zu haben. Ich muss es wissen, ich komme aus diesem Land. Mit einem Augenzwinkern entließ er Jaden.

    Seine Freundin stand vor der Klinik und strahlte ihm entgegen. Jaden dachte bei sich: „Nein, diese Beziehung werde ich wirklich nicht hinterfragen. Er drückte Jessy lange und innig an sich. „Danke, dass du für mich da warst. Nach einer kurzen Pause sagte er: Jetzt stellt sich nur eine Frage. Wie geht’s jetzt weiter? Fragend sah er seine langjährige Partnerin an: Arbeitslos und pleite. Ich bin keine gute Partie mehr für dich.

    Oh guter Gott, du Dramatiker!, Jessy verdrehte die Augen. So eine gute Partie warst du vorher ja auch nicht. Ich arbeite mit Computern und verdiene auch ohne Schichtarbeit fast das Doppelte. Zudem hat de Luca mit deinem Boss telefoniert und deine Kollegen haben auch interveniert. Du bist für acht Wochen suspendiert und dann geht‘s wieder weiter, wenn du das willst. Du brauchst übrigens auch keinen Kredit. Im Krankenhaus hat sich dein Dilemma rumgesprochen. Das komplette Personal, inklusive der Bosse, hat zusammengelegt. Du bleibst auf zwanzig Dollar sitzen und die habe ich ins Glas geworfen. Dein Arsch gehört jetzt komplett mir, Süßer. Jaden war total geflusht und bekam keinen Ton heraus. Das hätte er nach seinem Auftritt nicht erwartet.

    De Luca sagte, ich soll nach Spanien fliegen und auf den Jakobsweg gehen. Was hältst du davon? Jessy war begeistert: Kannst du dich an Mona erinnern? Jaden lächelte herablassend: Die heilige Mona, die nach ihrem Europatrip jetzt als Wanderpredigerin arbeitet? Jessy reagierte sauer: Sei kein Arschloch, Jaden. Sie war in Spanien und ist diesen Jakobsweg gelaufen. Die kompletten 800 Kilometer und sie predigt nicht, sondern ist einfach begeistert davon. Wieviele Kilometer? 800?, Jaden starrte sie entgeistert an: „Du und De Luca habt definitiv das falsche Kraut geraucht. Da würde ich Wochen brauchen."

    Schalte dein Hirn ein, Jaden. Du hast sogar acht Wochen Zeit dafür. Du gehst, und zwar alleine. Ich werde als treue Freundin zuhause sitzen und auf dich warten. Sie klimperte mit ihren Wimpern und lächelte unschuldig.

    3

    Zwei Wochen später.

    Leise fluchend schnürte er seine neuen Wanderstiefel, die ihm Jessy geschenkt hatte. Zusammen mit einem Ausweis, dem sogenannten „Credencial del Peregrino", mit dem er zum Pilger geworden war.

    Ich und ein Pilger, dachte er, das ist ja schon paradox. Am Vortag war er in Saint Jean Pied de Port angekommen und in einer Herberge oder auch „Alberge", wie man das hier nannte, untergekommen. Beim Spaziergang durch das wunderschöne Dörfchen hatte er sich auch noch einen Wanderstab besorgt. Diesen Tipp hatte er von Mona, einer Freundin von Jessy, bekommen, die diesen Weg vor einem Jahr gegangen war. Die war Jaden deutlich zu esoterisch und mit ihrer überschwänglichen Begeisterung konnte er nicht umgehen. Trotzdem nahm er ihre Vorschläge dankbar an und machte vor Ort einen Vorzeigeheiligen aus sich.

    Zugegeben, er war schon in gewisser Weise gläubig, aber es gab keine Glaubensrichtung, der er sich mit vollem Herzen anschließen konnte. Auch er übernahm in seinen Gesprächen den Namen Gott, weil ihm keine bessere Alternative einfiel, aber die Grundsätze der Kirchen fand er teilweise abstoßend. Alleine wenn er das Wort Erbsünde hörte, wurde er aggressiv, weil er keinen Gott wollte, der kleinen Kindern die Last ihrer Ahnen aufladen würde. Er wünschte sich einen sanften Gott. Sein Allmächtiger war ein gütiger, alter Mann mit einem langen, weißen Bart, der eine Hand schützend über die Menschen hielt und sich die andere vor die Augen hob, um die Scheiße nicht zu sehen, die hier geschah. Er war sehr gespannt, was dieser Weg bei ihm bewirken würde.

    Um halb sechs sprang er, mit Rucksack und Wanderstab bewaffnet, aus der Herberge, auf eine kleine Gasse in Saint Jean Pied de Port und machte sich auf den, mit gelben Pfeilen gespickten, Weg aus dem Ort hinaus.

    Als er durch das kleine Portal schritt und die Brücke betrat, die sich über das Flüsschen Nive spannte, drehte er sich einmal um die eigene Achse um zu sehen dass er alleine war und schrie dann laut: „So, Gott, ich, Jaden Button aus New York, bin jetzt hier. Vielleicht hast du ja ein paar Minuten für mich". Während er das rief, ging die Sonne auf, als würde sie nachsehen, was für ein Verrückter sich da auf den Weg machte. Nach dem Verlassen des schmucken Dorfes, stieg der Weg kurz steil an und Jaden merkte bald, dass er seinen Körper zu lange vernachlässigt hatte. Er war jetzt gerade mal 35 Jahre alt und hatte nur kleine Fettpölsterchen, aber er kam relativ schnell aus der Puste als er den Anstieg auf die Pyrenäen begann. Er schaltete sofort einen Gang runter und quälte sich langsam auf die Ortschaft Hunto zu.

    Nach etwas mehr als zwei Stunden war er dort angekommen. Hier standen nur ein paar Häuser und eine einsame Herberge, die noch nicht geöffnet hatte. Er war mutterseelenallein unterwegs, da es erst seit kurzem wieder möglich war, zu pilgern. Jaden genoss diese Einsamkeit, weil er momentan keine Lust auf Menschen hatte. Er hoffte, dass dieses Gefühl wieder verschwand, weil er eigentlich ein sehr geselliger Typ war. Er liebte seine Arbeit als Krankenpfleger und hatte seine Berufswahl nie in Frage gestellt. Die letzten Monate aber hatten seine Entscheidung dahingehend in Frage gestellt.

    Soviel Leid und Trauer zu erleben tat ihm körperlich weh und er hatte das Gefühl, als würde ihm jemand einen Felsen auf die Schultern legen, um sich dann auch noch draufzusetzen.

    Das Zischen der Beatmungsgeräte, das Piepen der EKG Monitore, das leider viel zu oft in einen langgezogenen Pfeifton überging und den Tod lauthals in die kalten Gänge brüllte. Jeden Tag die weinenden Angehörigen, die kämpfenden Patienten und die überlasteten Ärzte und Pfleger zu sehen, drückte ihn immer tiefer in Depressionen, die er vorher nicht kannte.

    Er schob diese Gedanken zur Seite, weil er schon wieder traurig wurde.

    Langsam stieg er weiter den mäandernden Weg hinauf, dem Somportpass entgegen. Es war ein brütend heißer Tag und über sich sah er eine Schar Geier langsame Kreise ziehen. Jaden nahm diesen Anblick als Motivation und beschleunigte seine Schritte merklich, um denen da oben zu zeigen, wie vital er noch war und eine weitere Beobachtung keinen Sinn ergäbe.

    Kurz bevor er die Passhöhe erreichte, sah er auf der linken Seite eine kleine Felsformation, auf der eine kleine blauweiße Statue thronte. Neugierig geworden verließ er den Weg und wollte sich diesen Altar genauer ansehen.

    Ein skurriles Bild ließ ihn kurz innehalten, bevor er sich der Marienfigur näherte. Unterhalb der Felsen saß die seltsamste Gestalt, die er jemals gesehen hatte. Ein großer und hagerer Schwarzer, geschätzt so um die 25 Jahre alt, kauerte direkt unterhalb der kleinen wunderschönen Statue und hatte lässig seine Unterarme auf den Knien abgelegt. Das Kurioseste an dem Mann waren seine schulterlangen Haare, sein Vollbart und sogar die kräftigen Augenbrauen. Alles war schneeweiß und umfasste sein dunkles Gesicht, das ihm freundlich entgegenblickte.

    Jaden nickte ihm zu und sagte: „Hallo, alles klar? Der junge Mann lächelte ihn an und antwortete: „Alles klar. Ich habe auf dich gewartet.

    Eigentlich wollte Jaden nach dem Gruß zügig an dem Sitzenden vorbeiziehen, konnte aber keinen Schritt mehr weitergehen. „Bitte? Was haben sie gerade gesagt?", stotterte er verwirrt.

    „Dass ich auf dich gewartet habe, sagte ich", entgegnete der Fremde.

    Jaden stand nun vollends auf der Leitung: „Warum sollten sie auf mich warten? Jetzt setzte sein Gegenüber eine heitere Miene auf. „Du brülltest doch vor kurzem, du hättest ein paar Fragen an mich. Nun, hier bin ich, ich habe ein paar Minuten Zeit und werde dir gerne ein paar Antworten geben.

    Jaden blickte sich um, ob irgendwer in der Nähe war, er sah jedoch keine Menschenseele, außer der vor sich.

    „Wollen sie mich verscheißern? Woher wollen sie wissen, was ich gedacht habe? Verwirrt drehte sich Jaden um und wollte schnellstens zurück auf den Weg, als der junge Schwarze ihm hinterherrief: „Ich nehme dich ernst, Jaden Button aus New York. Du solltest die Chance nutzen, du kriegst sie nur einmal.

    Jaden war entsetzt und nahe dran, einfach davon zu laufen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Woher kennen sie meinen Namen und woher wissen sie, wo ich herkomme?"

    Er drehte sich im Kreis und suchte versteckte Kameras und kichernde Menschen. „Wir sind ganz allein und du bist nicht verrückt. Ich bin aber wirklich der Meinung, dass du dir ein paar Antworten verdient hast."

    Der Fremde war ihm immer noch freundlich zugewandt, aber Jadens Puls sprang über die 200er Marke.

    In seinen Ohren rauschte es, als wären die Niagarafälle verlegt worden und es wurde ihm leicht schwindlig. Er beugte sich nach vorne und stützte seine Arme auf die Knie. Daraufhin wollte ihn sein Rucksack überholen und er schwankte heftig nach vorne.

    Plötzlich spürte er eine Hand an

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