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Goethes Verhältnis zur Musik: Nichts kapiert und alles verstanden
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eBook255 Seiten3 Stunden

Goethes Verhältnis zur Musik: Nichts kapiert und alles verstanden

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Über dieses E-Book

Goethe mochte Schubert nicht? Er ließ sich von Musikfreund Zelter zu
viel sagen? Eigentlich stimmt das nicht. Aber Goethes Verständnis von
Musik wurde gerne unterschätzt.
Schuberts Komposition des "Erlkönig" begeisterte Goethe, und viele
musikalische Fragen durchschaute er tiefer als Fachmann Zelter.
Allerdings blieb der Dichter, auf vielen Fachgebieten ein Profi, durch und
durch ein "Augenmensch": Bei Konzerten studierte er gerne das Outfit
der Musiker oder fühlte sich gar durch ihre Bewegungen gestört. Als alter
Mann kannte er sich mit Musik aber besser aus als mancher Profi, und
für gute Musik besaß er einen Instinkt. Beharrlich vertrat er die Ansicht,
dass das Tongeschlecht Moll auf natürliche Weise entstanden sei - und
das gegen die zementierte Meinung der damaligen Fachwelt. Heute
wissen wir, dass Goethe recht hatte, und nicht die Komponisten - wie
etwa Rameau.

Unterhaltsam zeichnet Küpper die spannende Entwicklung Goethes
zum fundierten Musikkenner nach. Irrtümer werden klar benannt, und
nicht - wie oft geschehen - aus vorauseilender Ehrfurcht uminterpretiert.

"Mir haben bei der Lektüre besonders zwei Dinge sehr gefallen: zum einen eine stets verständliche Sprache... zum anderen ist das Buch auch weder rückhaltloser Lobpreis noch Rettungsversuch dort, wo sich Goethe ... entweder irrte oder aber wo die Grenzen seines Verständnisses für diese Form der Kunst(ausübung) lagen." (Dr. Johannes John, Bayerische Akademie der Wissenschaften)
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Sept. 2019
ISBN9783749731640
Goethes Verhältnis zur Musik: Nichts kapiert und alles verstanden

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    Buchvorschau

    Goethes Verhältnis zur Musik - Dietlinde Küpper

    Einleitung

    Ende August 1763, kurz vor seinem 14. Geburtstag, saß der verwöhnte und an allen möglichen Dingen interessierte Johann Wolfgang Goethe mit Schwester Cornelia und den Eltern wieder einmal im Konzert. Die Ratsfamilie gehörte zur obersten Schicht der Stadt Frankfurt und hatte zu zeigen, dass man auch kulturell auf sich hielt. Dieses Konzert war ein ganz besonderes, das man unter keinen Umständen verpassen durfte. Zwei ungewöhnliche Kinder waren angesagt: Die zwölfjährige Maria Anna, die Klavier spielte wie eine erwachsene Virtuosin, und ihr siebenjähriger Bruder Wolfgang, der atemberaubende Musik ganz unvorbereitet aus dem Ärmel schüttelte, so dass Zuhörer Angst um ihren Verstand bekamen. „Ich sehe es wahrlich noch kommen, dass dieses Kind mir den Kopf verdreht, wenn ich es noch oft höre; es macht mich begreifen, daß es schwierig ist, sich gegen den Wahnsinn zu schützen, wenn man Wunder sieht…" schrieb der Korrespondent Friedrich Melchior von Grimm aus der französischen Hauptstadt. Mozart hießen die Kinder, von ihren Eltern auf einer Konzertreise durch Europa begleitet. Goethe, der damals schon ein halbes Jahr gründlichen Klavierunterricht hinter sich hatte, schien weit davon entfernt, angesichts des kleinen Genies die Fassung zu verlieren. Zwar erinnerte er sich noch als alter Mann an dieses Ereignis, haften geblieben waren aber weniger musikalische Aspekte, sondern in aller Deutlichkeit die schicke Frisur und der Degen, den der in Schale geworfene kleine Künstler an der Seite trug.

    Nach allem, was wir wissen, war Goethe ein stark visuell veranlagter Mensch. Die Welt und ihre Erscheinungen erlebte er plastisch, in seinen Zeichnungen spürt man eine starke physische Präsenz der Dinge. Optische Eindrücke standen Goethe noch nach Jahrzehnten bis ins Detail vor Augen. Die Musik aber, eine Kunst, für die man das Sehen überhaupt nicht braucht, empfand er zeitlebens als seiner Natur fremd. – Trotzdem hat das Allroundgenie Goethe, Profi in so verschiedenen Fachgebieten wie Anatomie und Gesteinskunde, in Malerei und Bildhauerei, die Musik nicht links liegen gelassen. Immer wieder wandte er sich ihr zu, erforschte Musikstile vergangener Zeiten, ließ sich von ihr inspirieren und trösten. Sein schon in der Jugend gelegtes Fundament an musikalischem Wissen erweiterte er enorm, befreundete Musiker erklärten ihm neue Entwicklungen in der Komposition bis ins Detail.

    Goethe wurde 82 Jahre alt und erlebte eine spannende Periode der europäischen Musikgeschichte: Bei seiner Geburt 1749 lebte Händel noch zehn Jahre; Mozart, Beethoven und Schubert sollten noch geboren werden (und vor ihm sterben). Bei seinem Tod 1832 hatte Berlioz gerade die „Symphonie Phantastique" komponiert und Richard Wagner begann, von seiner großen Zukunft zu träumen.

    Länger als andere Künste und Wissenschaften brauchte die Musik, bis sie Goethe in ihren Bann zog, bis sie ihn innerlich packte und nicht mehr losließ. Noch im Alter beklagte er sich, dass er sich in ihr nicht heimisch fühle, bewies aber in musikalischen Fragen immer wieder großen Weitblick. In der Debatte um das Verhältnis zwischen Dur und Moll beharrte er auf einer Sichtweise, die seine musikalischen Zeitgenossen belächelten, die aber erst vor wenigen Jahren wissenschaftlich untermauert werden konnte. Wie er sich die Welt der Musik trotz der Widerstände seiner Natur nach und nach zu eigen machte, ist eine spannende Geschichte, die von vielen Widersprüchen gekennzeichnet ist.

    Jugend im Reichtum

    Am 28. August 1749 brachte die 18-jährige Catharina Elisabeth Goethe geb. Textor am Frankfurter Hirschgraben ihr erstes Kind, Johann Wolfgang, zur Welt. Ein Jahr zuvor hatte die lebenslustige junge Frau den 21 Jahre älteren, etwas pedantischen Rat Johann Caspar Goethe geheiratet: eine standesgemäße Ehe, und darauf kam es damals an. Immerhin war sie die Tochter des Kaiserlichen Rats und Bürgermeisters Johann Wolfgang Textor, und da war es mehr als angemessen, wenn auch der Ehemann den Ratstitel trug.

    Frankfurt am Main gehörte als Freie Reichsstadt zu den wichtigsten Städten in Deutschland. Die Freien Reichsstädte hatten – zumindest formell – im Staate viel zu sagen: Zusammen mit den Kurfürsten und den Fürsten gehörten sie zu den drei Entscheidungsgremien des Reichstags. Die stolze Stadt stand wegen der prächtig ausgerichteten Kaiserwahlen und –krönungen, und nicht zuletzt als Messe- und Bankenzentrum im Mittelpunkt des europäischen Interesses. Wenn der kleine Johann Wolfgang durch die Stadt schlenderte, gab es viel zu sehen: das Treiben am Markt, das An- und Ablegen der Marktschiffe am Main, die dunklen mittelalterlichen Gassen Frankfurts, belebt von verschiedenen Läden und Handwerksbetrieben; fremdartig gekleidete Besucher aus allen Landesteilen und aus dem Ausland.

    Der Kaiserliche Rat, dem sowohl Goethes Großvater als auch sein Vater angehörten, bildete die oberste gesellschaftliche Klasse. Die Sozialstruktur der Reichsstadt war streng hierarchisch und rigide, wobei die oberen Schichten mehr oder weniger hochnäsig auf die anderen Schichten herunterblickten: auf die Bürger ohne politischen Einfluss, die Kaufleute ohne Bürgerrecht, die Juden, die im Getto leben mussten, oder gar die fast rechtlosen Bauern und Leibeigenen. Der im August 1749 geborene Bub hatte also großes Glück: Seine Familie war hoch angesehen und vermögend, die Mutter intelligent, liebevoll und meist gut gelaunt, und der Vater scheute keine Kosten für seinen Nachwuchs. Vom Kaiser hatte Johann Caspar sich zwar seinen hohen Titel erkauft. Als der Kaiser aber bald darauf starb, blieb Goethe zwar das Ansehen eines Kaiserlichen Rats, aber keine damit verbundene Tätigkeit. Johann Caspar Goethe hatte glücklicherweise ein großes Vermögen geerbt, und auch ohne Arbeit war genügend Geld da, um der Familie ein wohlhabendes Leben zu garantieren. Aber auch Rat Goethe brauchte - wie jeder Mensch - eine Aufgabe. Er fand sie im Einsatz für die Bildung seiner Kinder, ihr widmete er sich mit Leib und Seele. Der gestrenge Vater Goethe unterrichtete selbst (wie das damals noch oft üblich war), schickte den Nachwuchs zeitweilig in eine Schule für Kleinkinder, vor allem aber engagierte er zahlreiche Hauslehrer. Wolfgang und die um ein Jahr jüngere Cornelia, eine Weile auch der kleine Jacob (Herrmann Jacob starb 1759 mit sieben Jahren, auch vier weitere Geschwister starben früh: Catharina Elisabeth 1754-56 / ein totgeborener Sohn 1756 / Johanna Maria 1757–59 und Georg Adolf 1760-61), wuchsen unter strengen Argusaugen auf. Das hätte für die Kinder leicht zur Qual werden können, doch Cornelia und Wolfgang waren außergewöhnlich intelligent und wissbegierig, und das Ganze ging gut. Schon mit drei Jahren lernten sie lesen und schreiben, mit sechs Italienisch und mit sieben Latein, später dann Griechisch, Hebräisch, Französisch, Mathematik und Geographie, Reiten, Fechten und Tanzen. Wolfgang reichte auch das noch nicht: Gerne strich er durch die Stadt (was seine Schwester als Mädchen nicht durfte), schaute sich in den geschäftigen Gassen die Augen aus dem Kopf, freundete sich mit Apothekern oder Malern an und ließ sich von ihnen komplizierte Sachen erklären.

    Musik spielte in Frankfurt eine wichtige Rolle. Jahrhundertelange höfische Repräsentation hatte bedeutende Musiker in die Stadt geführt, wie Orlando die Lasso oder Georg Philipp Telemann. Während seiner Amtszeit Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Telemann eine eigene Konzertgesellschaft gegründet und den Frankfurtern musikalische Abende schmackhaft gemacht. Wer in vornehmen Bürgerhäusern auf sich hielt, besuchte Konzerte und musizierte möglichst selbst. Auch Vater Caspar Goethe hatte eine Laute zuhause stehen, allerdings stimmte er das Instrument „länger als er darauf spielte, wie der Sohn in seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit (Die dreiteilige Autobiografie gab er zwischen 1811 und 1813 heraus; nicht ganz im Sinne des Titels bemühte er sich um genaue Erinnerung des lange Zurückliegenden) vielsagend schreibt. Auch die junge Mutter blieb vom Bildungsdrang ihres Mannes nicht verschont: Johann Caspar erwartete, dass sie regelmäßig sang und sich auf dem Klavier übte. Eines ihrer Lieder auf einen Text des berühmten Opernlibrettisten Metastasio, „Solitario bosco ombroso", konnte Sohn Wolfgang auswendig.

    Nicht nur in Konzerten zeigte die Ratsfamilie Goethe Präsenz. Regelmäßig ließ man sich auch bei den Opernaufführungen des Theaterdirektors Theobald Marchand sehen, der in Frankfurt volkstümliche Opern aus dem französischen Nachbarland aufführte. Das war leichtere Musik, einfach im Aufbau und unterhaltsam im Geschehen – und nicht zuletzt der „neueste Schrei. Denn Oper hatte bis zur Mitte des 18. Jh eigentlich vor allem die große italienische „Opera Seria bedeutet – mit schweren Koloraturarien, aufgeführt bei repräsentativen Festen des Adels oder der Herrschaftshäuser.

    Die Oper entstand um 1600 in Italien und trat bald darauf einen Siegeszug durch Europa an. Im 17. und 18. Jahrhundert war sie immer noch von Italien dominiert; in Deutschland, England und Frankreich (Frankreich pflegte neben der italienischen auch eine eigene große Oper, die „Tragédie lyrique") sang man Opern auf italienisch, importierte Sänger und Komponisten; Künstler wie Händel, Hasse und noch der jugendliche Mozart fuhren in den Süden, um Opernschreiben direkt an der Quelle zu lernen.

    Die Stoffe der Bühnenwerke stammten aus Mythologie und Antike; auf der Bühne litten, stritten und siegten hochgestellte Personen. Die Oper lebte vom Starkult: Im Zentrum stand die große Da-Capo-Arie, die den Anfangsteil am Schluss identisch wiederholte: Für psychologische Entwicklung der Figuren blieb wenig Raum, umso mehr war sie gespickt mit akrobatischen Stimmübungen für die Stars. Eine besondere Verehrung genossen die Kastraten: Männer, die man zu Eunuchen gemacht hatte, damit sie so hoch wie Frauen singen konnten, mit einem ganz eigenen Timbre, das die Massen manchmal bis zur Fassungslosigkeit hinriss.

    Trotz der Explosion modernster, schwieriger Musik in den Arien wurde die Handlung der großen Oper mehr in den ausgedehnten Teilen mit Sprechgesang abgewickelt. Die Arien waren bestimmt von der ausgiebigen musikalischen Zeichnung der Gefühlslagen, während ihrer Darbietung passierte auf der Bühne nicht viel. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts empfand man die Opera Seria als zu steif und zu weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der einfachen Leute. Aus dem Bedürfnis nach einer lebensnäheren Darstellung entstand die „Opera Buffa. Pergolesis „La Serva Padrona – 1733 als Pausenfüller für eine große Oper komponiert – machte Furore und wurde zum Vorbild. Die Hauptpersonen stammten jetzt aus dem einfachen Volk, die Handlung beschrieb ihr Alltagsleben. Die italienische Buffa wurde im Lauf des 18. Jahrhunderts neben der Seria immer wichtiger. Statt dem Wechsel zwischen Soloarien und Sprechgesängen gab es nun auch gesungene Ensembles, in denen sich die Handlung weiterentwickelte.

    Zur gleichen Zeit entstanden auch im Ausland neue, einfachere Opernformen. In der französischen „Opéra Comique und der englischen „Ballad opera wechselten normal gesprochene Texte mit Liedern und Gruppengesängen. Mit dem Bedürfnis nach mehr Natürlichkeit, Einfachheit und freiem Gefühlsausdruck, mit ihrem Interesse an den Leiden und Freuden der einfachen Menschen entsprachen sie den modernen Ideen der Zeit. Die Opéra comique hatte – in Übersetzungen – im deutschen Nachbarland schnell Erfolg. Einige dieser Werke hat der junge Goethe mit seiner Familie in Frankfurt gesehen, so auch Rousseaus Singspiel „Le devin du village („Der Dorfwahrsager), damals ein großer Renner auf den Bühnen. Wie schon im Konzert der Kinder Mozart scheinen auch hier die optischen Aspekte den jugendlichen Goethe mehr als die Musik beeindruckt zu haben. Jahrzehnte später erinnerte er sich noch an Einzelheiten: „Ich kann mir die bebänderten Buben und Mädchen und ihre Bewegungen noch jetzt zurückrufen, schreibt er in „Dichtung und Wahrheit.

    Die Kinder sollten nicht nur die neueste Musik hören, auch auf praktische Erfahrungen legte Vater Caspar Wert. Anfang 1763, als Wolfgang dreizehn war und Cornelia zwölf, hielt Vater Goethe nach einem Klavierlehrer Ausschau. Der Sohn kannte da schon jemanden: Einmal war er beim Unterricht des Johann Andreas Bismann, Kantor am städtischen Gymnasium, dabeigewesen. „Für jeden Finger der rechten und linken Hand hat er einen Spitznamen, womit er ihn aufs lustigste bezeichnet, wenn er gebraucht werden soll. Die schwarzen und weißen Tasten werden gleichfalls bildlich benannt, ja die Töne selbst erscheinen unter figürlichen Namen. Eine solche bunte Gesellschaft arbeitet nun ganz vergnüglich durcheinander, heißt es in „Dichtung und Wahrheit.

    Nachdem Wolfgang seiner Schwester Cornelia alle die Namen wie Deuterling oder Goldfinger, Gikchen und Gakchen feinsäuberlich mitgeteilt hatte, ließ auch sie beim Vater nicht mehr locker: Solch einen spaßigen Unterricht wollte auch sie haben und keinen anderen. Als der Unterricht dann begann, war die Enttäuschung groß: Die lustigen Namen waren verschwunden, die Noten blieben Noten und die Tasten schwarz und weiß. Schwester Cornelia war böse und fühlte sich vom Bruder an der Nase herumgeführt. Aber das Rätsel löste sich – denn plötzlich benutzte der findige Klaviermeister sie wieder einmal, denn er verfolgte mit ihnen ein ganz bestimmtes Ziel:

    Musikzimmer Goethes.

    © Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Foto: Jürgen M. Pietsch

    „Einer meiner Gespielen trat herein, mitten in der Stunde, und auf einmal eröffneten sich die sämtlichen Röhren des humoristischen Springbrunnens; die Däumerlinge und Deuterlinge, die Krabler und Zabler, wie er die Finger zu bezeichnen pflegte, die Fakchen und Gakchen, wie er z.B. die Noten f und g, die Fiekchen und Giekchen, wie er fis und gis benannte, waren auf einmal wieder vorhanden und machten die wundersamsten Männerchen. Mein junger Freund kam nicht aus dem Lachen, und freute sich, dass man auf eine so lustige Weise so viel lernen könne. Er schwur, daß er seinen Eltern keine Ruhe lassen würde, bis sie ihm einen solchen vortrefflichen Mann zum Lehrer gegeben."

    Trotz der Enttäuschung eines eintönigen Unterrichts haben die Goethekinder von Bismann profitiert. Cornelia war Jahre später im Bekanntenkreis als hervorragende Virtuosin geschätzt. Johann Wolfgang lernte zwar nur zwei Jahre lang bei Bismann, denn schon 1765 verließ er Frankfurt, um an einer auswärtigen Universität zu studieren. Aber auch er scheint sich nicht dumm angestellt zu haben. Ein zufälliger Zuhörer, der Jenaer Student David Veit, schrieb später über den 46-Jährigen an Rahel Levin-Vernhagen: „Goethe spielt Klavier, und gar nicht schlecht".

    Zwei Jahre Klavierunterricht sind nicht allzuviel – doch gestaltete sich dieser zu Goethes Zeiten kreativer als heute üblich. Man lernte nicht nur das Notensystem und übte Musikstücke, sondern hatte auch im Generalbassspiel fit zu werden: zu einer Melodie selbstständig die richtigen Akkorde zu greifen. Das ging natürlich nicht ohne ein gründliches Studium der Harmonielehre. So hat sich schon der jugendliche Goethe, auch wenn er nicht gerade leidenschaftlich Klavier spielte, eine fundierte Basis des harmonischen Aufbaus von Musik angeeignet. Als Erwachsener spielte Goethe nur noch selten: Zwar hatte er sich 1820 einen Flügel angeschafft – der war aber mehr für die durch Weimar reisenden Virtuosen gedacht, die er so in sein Haus locken konnte. Auf die solide Basis des gründlichen Klavierunterrichts konnte er zurückgreifen, als er sich Jahre später eingehender mit Musik und ihrem Aufbau beschäftigte.

    Von dem leidenschaftlichen Interesse für Musik des alten Goethe konnte bei dem Heranwachsenden noch keine Rede sein: Das Kind und den Jugendlichen faszinierten vor allem Dinge wie das Zeichnen, das Sezieren von Blumen oder die Bücher der Bibliothek des Vaters. Nach allem, was wir wissen, war Goethe nicht musikantisch veranlagt, Musik lag ihm nicht im Blut. Er musste erst erwachsen werden und noch einige Erfahrungen sammeln, bis auch diese Kunst ihn packte und er sogar ohne Musik nicht mehr leben wollte.

    1765 waren die beiden Goethekinder 16 und 15 Jahre alt, umfassend gebildet und belesen: Es war Zeit, an die Zukunft zu denken. Cornelias Weg war vorgezeichnet: Als Frau konnte sie ihre außergewöhnlich breite Bildung kaum in ihre Zukunft investieren. Sie musste sehen, dass sich ein passender Mann für sie interessierte: Heiraten und Kinder bekommen, darin bestand das festgelegte Lebensziel der Töchter der höheren Gesellschaft. Cornelia, die heutzutage wohl eine akademische Karriere gemacht hätte, quälte sich, heiratete relativ spät, bekam Depressionen und starb kurz nach der Geburt ihrer zweiten Tochter mit 26 Jahren. Ein ähnliches Schicksal wartete auf Mozarts hochbegabte Schwester. Ihre Zukunft einer europaweit berühmten Pianistin scheiterte an Vater Leopold, der sie nach dem Eintreten der Pubertät ans häusliche Umfeld fesselte. Für Johann Wolfgang Goethe, Mutters „Hätschelhans, galt es, ein angemessenes Studium ins Auge zu fassen. Der Vater bestand auf „Juristerei, und zwar in Leipzig, wo er selbst einmal studiert hatte. Die Rechtskunde reizte den Sohn weniger, lieber hätte er sich in Göttingen den alten Sprachen und der Geschichte gewidmet. Mit einer dickgespickten Geldbörse Vaterhaus und Vaterstadt zu verlassen,

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