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Hotelgeschichten aus Tunesien: Erzählungen
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Hotelgeschichten aus Tunesien: Erzählungen
eBook131 Seiten1 Stunde

Hotelgeschichten aus Tunesien: Erzählungen

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Über dieses E-Book

In diesen Erzählungen lässt uns der Autor an Momenten der Freude und des Glücks ebenso teilhaben wie an Augenblicken der Enttäuschung, Verstörtheit und des Abschiednehmens. Mit halluzinatorischer Schärfe blickt er in die menschlichen Abgründe, die der soziale Mikrokosmos Hotel bereithält und entführt uns in die Welt der Freundschaft, des Betrugs, der Süchte und Begierden. Christian Thomas Wolff hält uns den Spiegel vor, unsere Phantasie wird in Gang gesetzt und wir werden zum Nachdenken eingeladen.

Ganz nebenbei erhält der Leser tiefe Einblicke in die tunesische Mentalität und Kultur.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. März 2022
ISBN9783347455054
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    Buchvorschau

    Hotelgeschichten aus Tunesien - Christian Thomas Wolff

    Das ungleiche Paar

    Das Hotel in Mahdia bot eigentlich gute Voraussetzungen für einen entspannten Urlaub – einen Urlaub, bei der auch alleinstehende Gäste, zumindest zeitweise, ihren Aufenthalt durch Urlaubsbekanntschaften bereichern könnten.

    Sie fiel ihm schon seit einigen Tagen auf: eine Frau etwa mittleren Alters, mit ihren pechschwarzen, leicht struppigen Haaren und ihren schwerfälligen, behäbig wirkenden, Bewegungen. Meist saß sie irgendwo in der Hotellobby in einer jener Sitzgruppen, welche vor der Lobbybar angeordnet sind. Es war eines Abends, das Abendessen hatte er bereits eingenommen, als Jochen, ein gut aussehender Mann von Anfang vierzig mit kurzen, mittelblonden Haaren, sie auf dem Weg zur Bar erneut erblickte. Gedankenverloren beschäftigte sie sich mit ihrem Smartphone. Mit einem Glas Mineralwasser in der Hand sprach er sie an: „Entschuldigen Sie, darf ich mich zu Ihnen setzen? Ihre stechend hellblauen Augen starrten ihn an, bevor sie in langsamer Sprache freudig einwilligte. Es war offensichtlich, dass ein gewisser Alkoholkonsum ihren Sprechfluss beeinträchtigte. Jochen verwies auf die gleiche Sprache, der sie sich bedienten und welche er bereits am Vortag bei ihr bemerkt habe. Freudig erregt über die freundliche Bekanntschaft, stellte sie sich ihm vor. Sabine bediente sich eines fränkischen Dialekts, den sie recht laut und für die umliegenden Gäste gut hörbar vortrug. Er sprach eher leise, in einem nahezu dialektfreien Deutsch und hörte ihren Ausführungen aufmerksam zu. „Darf ich dich mit etwas belasten? Jochen reagierte gleichgültig zustimmend. „Ich habe heute fast den ganzen Tag geweint! „Warum denn das? Langatmig schilderte sie die, aus der Schwangerschaft ihrer dreißigjährigen Tochter resultierenden Probleme, welche sie auf ihre Mutter abzuladen versuche. Der Mann ihrer Tochter sei ein farbiger Amerikaner und die Tatsache, dass es nun ein Mädchen werde, das unter ihrem Aussehen zu leiden haben würde, bringe ihre Tochter an den Rand der Verzweiflung. Jochen hörte ihr geduldig zu, fragte nach. Ihre Tochter würde sie mit permanenten Nachrichten überhäufen. Er verwies auf das Alter ihrer Tochter und auf die Notwendigkeit, dass sie versuchen müsse, ihr eigenes Leben zu meistern.

    „Du hast wohl recht." Seine ruhig vorgetragenen Worte mussten Eindruck auf sie gemacht haben, denn sie beabsichtigte spontan, die Nachrichten ihrer Tochter nicht mehr zu beantworten. Offenbar um Missverständnissen zu entgegnen, erklärte sie ihm die Herkunft ihrer Narben, welche deutlich an ihrer linken Schulter und ihrem Oberarm zu erkennen waren. Sie habe vor einigen Jahren einen Selbstmord- versuch unternommen und sich von einer Brücke gestürzt. Auf Jochens Gesicht setzte sich blankes Entsetzen. Er, ein optimistischer und lebensfroher Mensch, konnte nicht wirklich verstehen, warum sie dies unternommen hatte. Offenbar spielte Liebeskummer eine Rolle. Er bestand darauf, dass sie solche Aktionen nicht mehr unternehmen dürfe.

    Draußen vor der Lobby war Tanzmusik zu hören. Jochen, um rasche Ablenkung bemüht, entführte sie in Richtung Musik, welches ihr ausgesprochen leicht fiel. Ein leichter, lauer Wind strich durch die Anlage und wirbelte ihr Haar auf. Das Rascheln der Palmwedel erfüllte die Hotelanlage. Die Geräusche wurden nur übertönt durch die Klänge einer Hammondorgel, auf der ein Alleinunterhalter eifrig klimperte. Sabine behauptete, leidenschaftlich gerne zu tanzen. Ihr fehlendes Rhythmusgefühl sowie ihre unkoordinierten Bewegungen machten ein gemeinsames Tanzen zu einer, zumindest für ihn, anstrengenden Angelegenheit. Während er die Schrittfolgen sicher beherrschte, stampfte sie barfüßig ausgelassen auf dem Boden herum; ihre Augen leuchteten. Es war offensichtlich, dass ihm bald immer mehr die Lust aufs Tanzen mit ihr verging. Für ihn wurde es zusehends zur Qual; sie hingegen schien geradezu aufzublühen. Bald lehnte er weitere Aufforderungen von ihrer Seite zum Tanz freundlich ab. Da ihm ihre unbändige Freude am Tanzen keineswegs entgangen war, gab er den Animateuren entsprechende Signale, die sich dann in der Folgezeit ihrer annahmen. Sabine und Jochen schienen sich gut zu verstehen. Sie erzählten von ihren Berufen: sie, die selbstständige Fußpflegerin, welche ihre Kunden hauptsächlich in einer Einrichtung für Behinderte rekrutierte – er, der Verwaltungsbeamte. Bald setzten sie sich zu zwei Paaren, welche ebenfalls in ihrer Altersklasse angesiedelt waren. Da Sabine und Jochen für ein Paar gehalten wurden, sahen sie sich zu Erklärungen genötigt. „Oh nein, wir haben uns erst heute Abend kennengelernt." Noch immer fiel Jochen Sabines langsamen Reaktionen und behäbigen Bewegungen auf, für die er bald eine Erklärung bekam. Sabine nahm am Morgen regelmäßig stimmungsaufhellende und am Abend dämpfende Mittel ein. Für Sabine war es nun an der Zeit, zu Bett zu gehen.

    An nächsten Nachmittag waren sie gemeinsam am Strand zu sehen. Es war ein nahezu wolkenloser Tag und die Sonne hatte noch immer jene Kraft, um die Luft angenehm zu erwärmen. Sie lagen dicht nebeneinander auf jenen obligatorischen Kunststoffliegen, wie man sie in tunesischen Strandhotels häufig antrifft. Die Auflagen wiesen bereits deutliche Gebrauchsspuren auf – doch sie waren für ein angenehmes Liegen unverzichtbar und so störten sie sich auch nicht groß daran. Während sie sich eng an ihn schmiegte, streichelte er sie zeitweise am Rücken und Po, was ihr ein wohliges Schnurren entlockte. „Nicht hier; es sind noch andere da, schien ihr die Situation unangenehm. Sabine stand auf und lief gemächlich zum Wasser. Es war, als sei sie einer ungewollten oder zumindest unangenehmen Situation entflohen. Bedächtig stieg sie immer weiter ins Meer, bis nur noch ihr Hals aus dem Wasser ragte. Sie tauchte kurz unter und schwamm einige Meter, bis sie an einer Stelle verweilte. Die erfrischende Abkühlung bereitete ihr sichtlich Genuss. Als sie zurückkam, überraschte Jochen sie mit einer Frage: „Wollen wir etwas am Strand spazieren gehen? „Ja, es ist wunderschön jetzt in der Abendsonne. Ich gehe gerne spazieren. Aber nicht weit, ja?, meinte sie ernst, ja beinahe besorgt. Der Strand war voller Leben. Urlauber schlenderten gemütlich am Wasser entlang, Einheimische, Familien mit Kindern, welche herumtobten oder im Sand spielten. Der Schein der goldenen Abendsonne hüllte alles ein in einen samtig schimmernden Glanz: die Gesichter der Menschen, der Sand, die Erde, die umliegenden Gebäude, die sanften Gebirgszüge im Hintergrund. Langsam schlenderten sie am Ufer entlang und wateten im warmen, seichten Wasser. Sie sprachen nicht viel miteinander. Als sie sich einige hundert Meter vom Hotelstrand entfernt hatten, meinte sie unvermittelt: „Kehren wir um? Er meinte eine innere Unruhe bei ihr gespürt zu haben und obwohl er gerne weitergegangen wäre, gab er ihrem Drängen nach. Noch am gleichen Abend saßen sie beim Abendessen gemeinsam an einem Tisch. Sie hatten sich für den folgenden Morgen an der Lobbybar verabredet und einen Strandaufenthalt ins Auge gefasst. Als Jochen ihr am folgenden Tag, kurz vor dem vereinbarten Zeitpunkt, auf dem Weg zur Bar begegnete, gab sie ihm kurz und knapp zu verstehen, dass sie nicht zum Strand gehen könne, da sie einen Massagetermin habe. Es folgten keine weiteren Erklärungen ihrerseits. Jochen war sichtlich verwirrt und auch enttäuscht - eine Unternehmung mit ihr, auf die er sich gefreut hatte. Er selbst, ein verlässlicher Zeit- genosse, konnte ihr Verhalten nicht wirklich verstehen und erklären. Sichtlich verärgert verbrachte er den Vormittag alleine am Strand.

    Sabine und Jochen waren nicht mehr gemeinsam zu sehen, bis es eines Abends im Restaurant am Buffet zu einer weiteren Begegnung kam. Sabine tippte Jochen von hinten mit dem Finger auf seinen Oberarm. Er drehte sich leicht erschrocken herum und fragte sie mit ernster Miene: „Was willst du? Sie blickten sich für einen kurzen Moment lauernd an, ehe sie sich lautlos von ihm abwandte. Spätabends trafen sie ein letztes Mal vor der Bar aufeinander. Sie saß in einer Sitzgruppe und er war auf dem Weg zur Bar, als sich ihre Blicke streiften. Er hielt an und fragte ernst: „Möchtest du mir etwas sagen? „Nein, erwiderte sie ruhig, „ich möchte dir nichts sagen.

    Er dachte einen kurzen Augenblick nach und ging dann weiter zur Bar.

    Mahdia, Juni 2016

    Herausgerissen aus einer heilen Welt

    Du bist dran!", rief ihre Mutter ruhig und auffordernd zugleich. Marie war leicht gedankenversunken, wie sie es oft war - aber trotzdem ein fröhliches Mädchen von elf Jahren. Sie spielte gerne Karten mit ihren Eltern, meistens UNO. Es waren die einfachen Regeln des Spiels, die ihr vertraut waren und einen unkomplizierten Zeitvertreib garantierten.

    Sie saßen in einer bequemen Sitzgruppe mit einem Tisch in der Mitte, welche leicht erhöht einen Blick auf die benachbarte Hauptbar des Hotels zuließ. Marie und ihre Eltern hatten sich bereits gut im Hotel eingelebt. Meistens verbrachten sie die Zeit gemeinsam mit Aufenthalten am Pool - Marie hatte sich dort schon mit einem Mädchen aus Deutschland angefreundet - oder unternahmen kleinere Ausflüge in die nahe gelegene Stadt.

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