Wer ist der Beobachter?: Zitate von Niklas Luhmann
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Buchvorschau
Wer ist der Beobachter? - Books on Demand
Wer ist der Beobachter?
Einführung in die Systemtheorie, S. 258.
Vorwort
Nach einem ersten Band mit Zitaten von Niklas Luhmann, der unter dem Titel »Guter Geist trocken«¹ erschienen ist, kann umstandslos ein zweiter folgen. Noch ist kein Mangel an sowohl lehrreichen als auch unterhaltsamen Formulierungen aus dem umfangreichen Œuvre des Bielefelder Soziologen zu verzeichnen. Stattdessen wird eindrücklich deutlich, dass aus jeder Zeile Luhmanns sowohl eine kreative Kenntnis als auch eine elaborierte Erkenntnis sinnhafter Weltzusammenhänge spricht, die weit über den von ihm selbst gesteckten Rahmen hinausgehen.
Die Zitate sind erneut in alphabetischer Abfolge der Stichworte angeordnet, die den Texten selbst entnommen sind. Dabei handelt es sich teils um direkte thematische Aufnahmen, teils um Bezüge auf anschauliche Beispiele. Entsprechend reicht das Register von »Abführmittel« über »Meteoriteneinschlag« bis »Zukunft«. In jedem Zitat – zu welcher Thematik auch immer – erstaunt und erfreut die Einheit der Unterscheidung von Genauigkeit und Gefälligkeit, die als Markenzeichen der Texte Luhmanns gelten kann.
Der Titel dieses Bandes »Wer ist der Beobachter?« tritt im Rahmen der System/Umwelt-Theorie als allgegenwärtige heuristische Begleitformel auf. Sie findet ihre Antwort in der Kommunikation. »Wer ist der Beobachter? Die Metaphysik – das ist der Beobachter. Der real operierende Beobachter. Also der zu beobachtende Beobachter. Also der Beobachter beobachtende Beobachter. Also das rekursive Netzwerk des Beobachtens des Beobachtens. Also Kommunikation, und zwar tatsächlich stattfindende, wirkliche Kommunikation.«²
In diesem Sinne gebe ich die hier versammelten Beobachtungen an die geneigten Beobachter und mithin an die Kommunikation weiter, für die auch in diesem Falle gilt: »Kommunikationen bilden, wenn autopoietisch durch Rekursionen reproduziert, eine emergente Realität sui generis. Nicht der Mensch kann kommunizieren, nur die Kommunikation kann kommunizieren.«³
¹ Blanke, Eberhard (Hg.) (2018): »Guter Geist ist trocken«. Zitate von Niklas Luhmann. Norderstedt.
² Luhmann, Niklas (2018): „Was ist der Fall? und „Was steckt dahinter?
. Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie. Hg. v. Eberhard Blanke. 1.Auflage. Norderstedt, S. 38.
³ Luhmann, Niklas (2009): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M., S. 105.
Stichwortregister
Abführmittel
Alltag
Amour passion
Ampel
Aspirin
Atomkraftwerke
Ausreden
Autarkie
Babysitter
Bauern
Befolgung
Beförderung
Beobachter
Beobachtung zweiter Ordnung
Berliner Mauer
Bewusstsein
Blutkreislauf
Buchdruck
Coquettes
Dampfmaschine
Dante
Destruktion
Ehe
Eidechsen
Eifersucht
Eigenwerte
Empirie
Espresso-Bar
Ethik
Evolution
Fegefeuer
Form
Formulare
Frauen
Frauenforschung
Freiheit
Fristen
Funktion
Gardinen
Gastritis
Gedächtnis
Gedankenlosigkeit
Gefängnis
Geld
Gerechtigkeit
Germanen
Geschichte
Geschirrspülmaschine
Geschwindigkeitsbegrenzung
Gesellschaft
Gleichzeitig
Gott
Granit
Hasen
Hautcreme
Held
Herrscher
Hexenschuss
Hotelbett
Ich
Identität
Idiosynkrasien
Individuum
Inkompatibilitäten
Jenseits
Karriere
Kirchen
Klassiker
Klima
Kommunikation
Kommunikationsprozeß
Konferenz
Konflikte
König
Konsens
Kontingenz
Körper
Korrosion
Kreuzworträtsel
Kritik
Kuh
Kultur
Latenz
Leser
Liebe
Marx
Maschine
Massenmedien
Medizin
Meinung
Mensch
Meteoriteneinschlag
Mißtrauen
Mitteilung
Mittelmäßigkeit
Moral
Mülleimer
Münchhausen
Mut
Nachdenken
Neues
Nichtkommunikation
Normen
Objektiv
Organisationen
Paradoxie
Perserkriege
Politiker
Pose
Postmoderne
Publizieren
Rationalität
Recht
Reformation
Religion
Reproduktion
Reputation
Romantiker
Säkularisierung
Sauerteig
Schachspiel
Schemata
Schulklassen
Schwarzarbeit
Selbstfindung
Sexualität
Sinn
Sonntag
Souveränität
Sozial
Soziologie
Spazierengehen
Sprache
Stabilität
Steuerung
Sündenfall
Symbole
Systemrationalität
Taxifahrt
Technik
Telefon
Terminierung
Terminstrategien
Terminwelle
Theorie
Titanic
Toleranz
Typisierungen
Unzufrieden
Vasenmalerei
Vernunft
Verstehen
Vertrauen
Vierfruchtmarmelade
Wahrnehmung
Wein
Weisheit
Welt
Weltgericht
Werte
Wildnis
Wissenschaft
Wolken
Zeitdruck
Zelebritäten
Zentralperspektive
Zitierkausalität
Zufall
Zukunft
Abführmittel
Ist die Systemtheorie erhaben? – Nein! Ich versuche das durch Ironie herauszukriegen. Es gibt eine schöne Beschreibung der Kategorie des Erhabenen bei August Wilhelm von Schlegel, in der er das Erhabene als vornehmes Abführmittel bezeichnet. Bei Verstopfung müßte man demzufolge Erhabenheit einführen. Schlegels Bemerkung bezieht sich natürlich auf die Diskussion des 18. Jahrhunderts und vielleicht auch auf Kant. So wie jedoch Lyotard das Erhabene gebraucht einerseits als Kategorie der Grenzüberschreitung der schönen Formen und der gut proportionierten Darstellung durch Schreckliches, andererseits aber auch als Hinweis auf Transzendenz durch Indikatoren wie Tod, Endlichkeit und Unzulänglichkeit – müßte es in die Theorie erst eingearbeitet werden.
„Unsere Zukunft hängt von Entscheidungen ab", S. 44-45.
Alltag
Die wichtigsten Gesichtspunkte liegen bereits in den vorangegangenen Überlegungen begründet und müssen nur noch herausgezogen und vorgestellt werden. Vor allem: Medien ordnen, bei aller Normalisierung ihres Gebrauchs (zum Beispiel im Umgang mit Geld) niemals das vollständige Alltagsverhalten. Liebe hat sich im Alltag, nicht als Alltag zu bewähren. Will man Kunst genießen, muß man erstmal wissen, wo sie zu finden ist. Der Machthaber braucht auch ein Zimmer, einen Schreibtisch, ein Telephon. Wenn Medien die Autopoiesis eines Systems organisieren, gibt es in diesen Systemen immer viel mehr Kommunikation als nur das autopoietische Minimum (so wie eine Zelle viel mehr chemische Moleküle enthält als nur die, welche die Autopoiesis im strengen Sinne durchführen). Gerade in dieser Zuordnung von Alltagsverhalten zu einem autopoietischen Prozeß besteht der »Mehrwert«, der durch Systembildung erreicht werden kann. Die Autopoiesis der Wirtschaft besteht in der Reproduktion von Zahlungen durch Zahlungen; aber natürlich gibt es kein Wirtschaftssystem, das nur dies und nichts anderes vorsieht.
Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 406.
Amour passion
Sie [die mittelalterliche Konzeption; EB] deutet Liebe als amour passion, als Leidenschaft. Vordem explizit ausgegrenzt und als menschliche Unvermeidlichkeit ohne gesellschaftliche Funktion behandelt, wird Passion nun zum führenden Merkmal. Mit ihr verbinden sich in der heute geläufigen, ja fast schon trivialisierten Vorstellung Sinnmomente wie: willenloses Ergriffensein und krankheitsähnliche Besessenheit, der man ausgeliefert ist, Zufälligkeit der Begegnung und schicksalhafte Bestimmung füreinander, unerwartbares (und doch sehnlichst erwartetes) Wunder, das einem irgendwann im Leben widerfährt, Unerklärlichkeit des Geschehens, Impulsivität und ewige Dauer, Zwangshaftigkeit und höchste Freiheit der Selbstverwirklichung – all dies Sinnbestimmungen, die eine positive oder negative Bewertung offenlassen, sich widersprechen können und für sehr verschiedenartige Situationen ein Deutungsschema bereithalten, die aber in einem Grundzug konvergieren: daß der Mensch sich in Angelegenheiten der Liebe von gesellschaftlicher und moralischer Verantwortung freizeichnet. »Passion« meint einen Zustand, in dem man sich passiv leidend, nicht aktiv wirkend vorfindet.
Liebe, S. 31-32.
Ampel
Bei der Darstellung der Abfolge von Veränderungen in der Geschichte der Semantik von Rationalität hatten wir einen Gesichtspunkt ausgeklammert und für die Zusammenfassung am Schluss aufbewahrt. Es handelt sich, schlicht gesagt, darum, daß man am Ende dieser langen, variantenreichen Entwicklung Rationalitätsfragen für letztlich unentscheidbar hält. Damit wird natürlich nicht bestritten, daß es Situationen gibt, in denen ein bestimmtes Verhalten zweifelsfrei besser ist als ein anderes – so wie das Abbremsen des Autos, wenn die Ampel auf rot schaltet. Gemeint ist aber, daß die Suche nach Begründungen auf Abschlußprobleme aufläuft, die im System selbst rational unentscheidbar bleiben. In der Logik beruft man sich dafür auf Gödel, in der Philosophie könnte man Derrida nennen.
Rationalität in der modernen Gesellschaft, S. 232.
Aspirin
Wahres Wissen und Recht sind