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Physik und Bewusstsein: Ein Ansatz zur subjektiven Erkenntnis der Wirklichkeit
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eBook292 Seiten7 Stunden

Physik und Bewusstsein: Ein Ansatz zur subjektiven Erkenntnis der Wirklichkeit

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Über dieses E-Book

Die Zahl der weitsichtigen Denker und Forscher, die über den Rand ihrer Fachdisziplin hinaus denken, nimmt unaufhaltsam zu. Ihnen allen ist die Überzeugung gemeinsam, dass wir in einer "Übergangszeit" leben, in der es um eine Erweiterung, eine Transzendierung des bisher bekannten Weltbildes geht.
Allan B. Wallace, ein persönlicher Schüler des Dalai Lama, zeichnet in seinem faszinierenden Buch konkrete Wege auf, wie diese "Bewusstseinserweiterung" und "Grenzüberschreitung" aussehen könnte und warum sie mehr ist als nur eine "Bewusstseinsveränderung". Es geht nicht um eine Verknüpfung bestehender Denk-Strukturen, sondern um den Einbruch einer völlig anderen Wirklichkeit!
Die Beschreibung einer neuen, bereits am Horizont aufscheinenden Bewusstseinskultur. Die Umrisse jener Welt, in welcher die Menschheit in Zukunft leben wird!

SpracheDeutsch
HerausgeberCrotona Verlag
Erscheinungsdatum25. Juni 2020
ISBN9783861912071
Physik und Bewusstsein: Ein Ansatz zur subjektiven Erkenntnis der Wirklichkeit

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    Buchvorschau

    Physik und Bewusstsein - Alan B. Wallace

    Vorwort und Danksagungen

    In den letzten 400 Jahren haben die physikalischen Wissenschaften zwei große Revolutionen erlebt. Die erste begann mit Kopernikus, und die zweite setzte an der Wende zum 20. Jahrhundert mit der Entwicklung der Quantenmechanik- und der Relativitäts-Theorien ein. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts befinden sich die Biowissenschaften durch eine große Revolution, die Charles Darwin angestoßen hat, im Wandel. Im Gegensatz zu diesen beiden Feldern objektiver Wissenschaft muss die Bewusstseinsforschung, die erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Erscheinung trat, eine Revolution erst noch hervorbringen. Man könnte sagen, dass die Kopernikanische Wende, grob gerechnet, 150 Jahre brauchte, bis sie in den von Isaac Newton formulierten Gesetzen der klassischen Physik zur Vollendung kam, und die Darwinsche Revolution etwa ebenso lange benötigte, bis sie im Human Genome Project zu Beginn des 21. Jahrhunderts Früchte trug.

    Die zweite Revolution in der Physik ist allerdings noch nicht abgeschlossen; denn bisher ist es noch niemandem gelungen, die großartigen Erkenntnisse der Quantenphysik und die Allgemeine Relativitätstheorie miteinander in Einklang zu bringen. Grundlegende Fragen sind nach wie vor offen. Zu den zentralen ungelösten Rätseln gehört das Messproblem, welches mit Beschaffenheit und Bedeutung der Messung eines Quantensystems zu tun hat. Bevor eine solche Messung – oder Beobachtung – vorgenommen wird, wird ein Quantensystem in Form abstrakter Wellenfunktionen oder Wahrscheinlichkeitswellen beschrieben. Teilchen wie etwa Elektronen und Photonen haben keinen bestimmten Ort, ja sie existieren nicht einmal als eigenständige Entitäten, wenn und solange sie nicht gemessen werden – bis dahin sind sie lediglich eine mathematische Abstraktion. Doch irgendwie werden diese nebulösen Entitäten mit technischen Instrumenten gemessen, mit denen sie ursächlich in Wechselwirkung treten. Dann verwandeln sich diese unfassbaren Quantenphänomene in die objektiv realen Grundbausteine des physikalischen Universums. Bisher weiß noch niemand, wie dieser Übergang von der mathematischen Abstraktion zur konkreten Realität vor sich geht, doch in gewisser Weise spielt der Beobachter – derjenige, der Experimente entwirft und durchführt – eine ausschlaggebende Rolle, damit die Quantenwelt zum Leben erwacht.

    Noch seltsamer wird es, sobald die Quantenmechanik, die Theorie der subatomaren Welt, auf die Kosmologie angewandt wird. Gemäß den Gleichungen des neuen Wissenschaftsfeldes Quantenkosmologie ist das Universum als Ganzes ohne den Bezug zu einem Beobachter in Unbeweglichkeit erstarrt. Physiker versuchen, dieses sogenannte Zeitproblem durch eine Unterteilung der Welt in zwei Bereiche zu lösen: Einen subjektiven Beobachter mit seiner Uhr und anderen Messgeräten sowie das übrige objektive Universum. Allerdings stellt sich heraus, dass die quantenmechanische Wellenfunktion des übrigen Universums von der festgelegten Zeit des Beobachters abhängt. Darüber hinaus beinhaltet die Vorstellung von einem Beobachter notwendigerweise das Vorhandensein von Bewusstsein, ohne das eine Beobachtung niemals stattfindet.

    Die Quantenmechanik legt also nahe, dass Bewusstsein bei Entstehung und Entwicklung des uns bekannten Universums eine entscheidende Rolle spielen könnte. Doch in Psychologie und Hirnforschung betrachten die meisten Forscher das Bewusstsein lediglich als eine emergente Eigenschaft des Gehirns ohne jede Bedeutung für das Universum als Ganzes. Die Grundannahmen der modernen Wissenschaft über das Wesen des Geistes wurzeln weitgehend im mechanistischen Weltbild der klassischen Physik, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschte. Selbst heute wird von Studenten der Kognitionswissenschaften im Allgemeinen nicht verlangt, dass sie sich mit der Physik des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Die verbreitete und praktisch unangefochtene These dieser Fachrichtung lautet, dass weder Quantenmechanik noch Relativitätstheorie für die makroskopischen, langsam ablaufenden Phänomene im Gehirn gelten, die für den Geist von Bedeutung sind.

    Viele wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass geistige Phänomene – etwa subjektiv erlebte Wünsche, Gedanken, Gefühle und Erinnerungen – Hirnfunktion und Verhalten beeinflussen. Als Reaktion auf diese empirischen Belege kommen zunehmend mehr Kognitionswissenschaftler zu dem Schluss, dass geistige Erscheinungen real sind. Dabei bestehen sie aber weiterhin darauf, dass der Geist, um ursächlich mit dem Gehirn wechselwirken zu können, physikalisch sein muss. Allerdings fehlen subjektiv erlebten geistigen Phänomenen jegliche physikalischen Eigenschaften, und sie lassen sich auch mit keinerlei physikalisch-technischen Instrumenten messen, selbst wenn viele spezifische Hirnfunktionen entdeckt worden sind, die ursächlich zur Entstehung geistiger Prozesse beitragen. Manche Wissenschaftler und Bewusstseinstheoretiker stellen sich vor, dass Hirnfunktionen eine duale Identität haben, dass sie nämlich sowohl objektive physikalische Prozesse wie auch subjektive geistige Ereignisse sind. Keine Erklärung bieten sie allerdings dafür, was das Gehirn dazu befähigt, geistige Ereignisse zu erzeugen oder auch nur zu beeinflussen, geschweige denn, wodurch es möglich wird, dass bestimmte neuronale Prozesse diese duale Identität annehmen. Dies ist das sogenannte harte Problem, und es ist ungelöst, seit Wissenschaftler begonnen haben, sich mit Geist und Bewusstsein zu befassen. Geistige Phänomene bleiben für Kognitionswissenschaftler ebenso sehr ein Rätsel wie der Beobachter für moderne Physiker.

    Eine zentrale Hypothese dieses Buches lautet, dass das Messproblem in der Quantenmechanik, das Zeitproblem in der Quantenkosmologie und das harte Problem in der Hirnforschung grundlegend miteinander verwandt sind. Wenn dies zutrifft, bedeutet das, dass eine Lösung des einen auch eine Lösung der anderen beiden erfordert. Kapitel Eins stellt die These auf, dass es der Bewusstseinsforschung nicht gelungen ist, zum Punkt einer Revolution heranzureifen, weil sie eine grundlegende Strategie, die für den Erfolg der Physik und der Biologie ausschlaggebend war, nicht übernommen hat. Während Physiker und Biologen hochkomplexe Mittel zur direkten Beobachtung physikalischer Prozesse und lebender Organismen entwickelt haben, ist es Kognitionswissenschaftlern nicht gelungen, exakte Methoden zur direkten Beobachtung geistiger Phänomene zu entwickeln. Dieser Ausschluss, oder zumindest die Marginalisierung subjektiv erlebter geistiger Ereignisse von der objektiven Beobachtung, hat in der wissenschaftlichen Sicht der Wirklichkeit zu einem „blinden Fleck" geführt.

    Die Beharrlichkeit, mit der Wissenschaftler darauf bestehen, dass Bewusstsein und alle anderen geistigen Phänomene physikalisch sein müssen, wurzelt in einer naturalistischen metaphysischen Denkart, die behauptet, dass in der Natur nur physikalische Prozesse ursächlichen Einfluss ausüben. In Kapitel Zwei werden verschiedene Interpretationen des Naturalismus untersucht – mit der verblüffenden Schlussfolgerung, dass anscheinend keine wirklich weiß, was mit „physikalisch" gemeint ist! Neurowissenschaftler betrachten dies zwar im Allgemeinen als unproblematische Frage, doch je tiefer Physiker der Beschaffenheit von Masse-Energie und Raumzeit auf den Grund gehen, desto mehr entzieht sich ihnen das Konzept der Materie. Insbesondere in der Quantenphysik erscheint der Status der Welt als objektiv physikalisch und von jeglichem Messsystem unabhängig äußerst fraglich.

    Kapitel Drei entwickelt eine natürlichere Theorie des menschlichen Bewusstseins, basierend nicht auf den überholten Annahmen der klassischen Physik, sondern in Reaktion auf einige der kühnsten Erkenntnisse heutiger Physiker, darunter Freeman Dyson, John Wheeler, Paul C. W. Davies, Andrei Linde und Michael B. Mensky. Eine grundlegende Prämisse dieser Theorie lautet, dass die Quantenphysik, entgegen herkömmlicher gegenteiliger Behauptungen, große Bedeutung für das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Geist und Gehirn sowie die Rolle des Geistes im Universum hat.

    Während Astronomen das Teleskop entwickelt und verfeinert haben, um die Tiefen des Weltraums zu erkunden, und Biologen der Beschaffenheit von Zellen und Genen mit Mikroskopen auf den Grund gehen, müssen hochentwickelte Instrumente zur Erforschung des geistigen Raums und des gesamten Spektrums geistiger Phänomene in der Wissenschaft erst noch zum Einsatz kommen. Kapitel Vier stellt Methoden zur Entwicklung eines solchen „Teleskops des Geistes" vor, angefangen mit der meditativen Schärfung von Aufmerksamkeit und introspektivem Blick. Probleme und Lösungen hinsichtlich einer möglichen Aufnahme der Introspektion als integraler Bestandteil in wissenschaftliche Untersuchungen werden im Anschluss daran diskutiert.

    Kapitel Fünf präsentiert eine „spezielle ontologische Relativitätstheorie", die vorschlägt, dass geistige Phänomene nicht aus dem Gehirn hervorgehen, sondern dass vielmehr alle geistigen und physikalischen Prozesse aus einer anderen Dimension der Wirklichkeit heraus entstehen, die vor der Bifurkation, also der Verzweigung, in Geist und Materie existiert. Frühe Versionen dieser Hypothese werden bis zu Pythagoras und Platon zurückverfolgt, worauf die Besprechung einer entsprechenden Theorie des Physikers Wolfgang Pauli und seines Mitstreiters Carl Gustav Jung folgt. Auch andere, damit zusammenhängende Theorien von Physikern aus neuerer Zeit, unter anderem von David Bohm, Eugene Wigner, Bernard d’Espagnat, Leonard Susskind, Roger Penrose und George Ellis, werden besprochen.

    So faszinierend diese Theorien auch sind, keiner der oben genannten Philosophen und Wissenschaftler konnte empirische Methoden vorweisen, mit denen sich seine Hypothesen überprüfen ließen. Kapitel Sechs unternimmt den bisher noch nie gewagten Schritt, eine Abfolge von Bewusstseins-Experimenten vorzuschlagen, die zur Überprüfung wissenschaftlicher Hypothesen über eine archetypische Welt der reinen Ideen eingesetzt werden könnten. Diese Experimente basieren auf Möglichkeiten, den Geist in Übereinstimmung mit der Meditationstradition des frühen Theravāda-Buddhismus in Südostasien für eine empirische Erforschung der „Formenwelt" zu schulen. Das Kapitel schließt mit einer Besprechung der möglichen Schnittstelle zwischen einer derartigen kontemplativen Wissenschaft und der modernen Wissenschaft, wie sie sich im Westen entwickelt hat.

    Kapitel Sieben erweitert die bereits besprochene Relativitätstheorie zu einer allumfassenden relativistischen Hypothese über die partizipatorische Natur der Wirklichkeit. Es beginnt mit einer Besprechung verwandter Ideen moderner Philosophen wie Ludwig Wittgenstein, Willard Quine, Hilary Putnam und Bas van Fraassen und leitet dann über zu provokanten Hypothesen führender Physiker, darunter Stephen Hawking, Gerard t’Hooft, John Wheeler, Anton Zeilinger, Hugh Everett und Michael Mensky. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Auffassung vom partizipatorischen Universum als eigenerregtem Schaltkreis. Anschließend werden diese Ideen mit der buddhistischen ontologischen Relativitätstheorie verglichen, die unter der Bezeichnung „Philosophie des Mittleren Weges" bekannt ist und auf den indischen Mahāyāna-Buddhismus des 2. Jahrhunderts zurückgeht.

    So interessant diese philosophischen und wissenschaftlichen Theorien auch sind, Physiker geben zu, dass es ihnen nicht gelungen ist, sie empirisch zu überprüfen. Auch hier bietet die Meditationstradition des Buddhismus praktische Möglichkeiten, die Welt der ontologischen Relativität durch hochentwickelte kontemplative Praktiken zu erforschen. Diese werden in Kapitel Acht erklärt, gefolgt von einer wissenschaftlichen Beurteilung der Glaubwürdigkeit solcher Forschungsmethoden.

    Das letzte Kapitel dieses Buches beschäftigt sich mit dem Thema Symmetrie, das in der modernen Physik eine zentrale Rolle spielt. Insbesondere wenden wir uns noch einmal dem Gebiet der Quantenkosmologie und dem Problem der gefrorenen Zeit zu, in der die Rolle des Beobachters erneut grundlegend erscheint für das sich entwickelnde Universum. Beginnend mit einer wissenschaftlichen Besprechung dieser Theorie wenden wir uns sodann einer meditativen Tradition zu, die viele als den Höhepunkt buddhistischer Theorie und Praxis betrachten, nämlich der sogenannten Großen Vollkommenheit, die im Vajrayāna-Buddhismus Tibets stark betont wird. Dieses Kapitel untersucht die Parallelen zwischen der wissenschaftlichen Idee vom „geschmolzenen Vakuum" und der buddhistischen Theorie des absoluten Raums der Erscheinungen; es erörtert Theorie und Praxis der Großen Vollkommenheit und schließt mit einer Besprechung der Komplementarität zwischen Wissenschaft und Religion im Allgemein.

    Danken möchte ich Arthur Zajonc, meinem wichtigsten Mentor in Physik, sowie Victor Mansfield und Michael B. Mensky für ihre hilfreichen Anmerkungen zum Manuskript. Tiefen Dank schulde ich Wendy Lochner, der Programmplanerin für Religion und Philosophie bei Columbia University Press, für ihre unermüdliche Unterstützung meiner Arbeit, und besonders dankbar bin ich Cheflektorin Leslie Kriesel für ihre ausgezeichnete Redaktion meines Manuskripts. Danken möchte ich auch Nancy Lynn Kleban für ihre hervorragende Arbeit beim Korrekturlesen des gesamten Manuskripts. Zu guter Letzt möchte ich, wie immer, meiner tief empfundenen Dankbarkeit gegenüber allen meinen Lehrern im Osten und Westen und meiner Familie Ausdruck geben: Ich danke ihnen für ihre Anleitung, Liebe und Weisheit, die mein Leben in viel umfassenderer Hinsicht bereichert haben, als ich es auszudrücken vermag.

    Eins: Die unnatürliche Geschichte der Naturwissenschaft

    Unnatürliche Ursprünge

    In den vierhundert Jahren seit der wissenschaftlichen Revolution haben Naturwissenschaftler die objektive physikalische Welt empirisch erforscht. Philosophen haben in ihrem Streben, die subjektive geistige Welt und ihre Beziehung zur objektiven Welt zu verstehen, in erster Linie auf die Vernunft zurückgegriffen, abgesichert durch empirische naturwissenschaftliche Forschung. Theologen haben ihr Verständnis der transzendenten Welt göttlicher Offenbarung – einschließlich Engeln, Himmel und Hölle sowie des Wesens der Dreifaltigkeit – auf ihren Glauben an Gott und an die Wahrhaftigkeit seines Wortes, wie es durch die Bibel offenbart wird, gestützt.

    In diesen formativen Jahrhunderten der Moderne haben Wissenschaftler ständig weitere effektive Methoden zur Beobachtung physikalischer Phänomene entwickelt, die für ihre außergewöhnlichen Fortschritte bei der Mehrung des konsensuellen Wissens über Materie, Energie, Raum und Zeit ausschlaggebend waren. Philosophen haben bei der Entwicklung effektiver Methoden zur Beobachtung geistiger Phänomene keinen vergleichbaren Erfolg erzielt, und dies ist einer der Gründe, warum es ihnen nicht gelungen ist, einen ähnlichen Bestand konsensuellen Wissens aufzubauen. Ebenso wenig haben Theologen empirische Methoden zur Überprüfung ihrer Glaubensartikel geschaffen, und unter dem Ansturm wissenschaftlicher Entdeckungen ist die Glaubwürdigkeit religiöser Inhalte zusehends geschrumpft.

    In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kamen eine wachsende Anzahl von Naturwissenschaftlern und anderen Intellektuellen zu dem Schluss, dass nur physikalische Phänomene – also diejenigen, die durch die Wissenschaft erfolgreich beobachtet und verstanden werden können – real sind. Genau an diesem Punkt setzte historisch die wissenschaftliche Erforschung des Geistes ein – ganze 300 Jahre nach der wissenschaftlichen Revolution. Da es Philosophen und Theologen nicht gelungen war, das Wesen von Geist und Psyche des Menschen zu ergründen, waren die Naturwissenschaftler bereit einzuspringen und ihr Verständnis der natürlichen Welt dadurch zu vervollständigten, dass sie den subjektiven Geist, der das gesamte objektive wissenschaftliche Wissen ja hervorgebracht hatte, in ihre Forschungen aufnahmen.

    Die Wissenschaftsgeschichte ist gekennzeichnet durch widerstreitende Ansichten darüber, welche historischen Personen und Traditionen zum Wesen der Wirklichkeit und zur Unterscheidung zwischen Anschein und Wirklichkeit etwas zu sagen haben. Diese beiden Fragen sind seit jeher eng miteinander verknüpft. Im Spätmittelalter galt in Europa weithin die Bibel (bei Androhung der Todesstrafe) als unfehlbare Autorität in Fragen der Wirklichkeit als Ganzes. Aristoteles galt als unfehlbar in Sachen Natur, und Euklid hinsichtlich der Axiome und Lehrsätze der Geometrie. Trotz der vielen Unvereinbarkeiten zwischen christlichem und wissenschaftlichem Weltbild verband Thomas von Aquin beide im 13. Jahrhundert auf geniale Weise zu einer einzigen, in sich schlüssigen Perspektive, die das europäische Denken in der gesamten Renaissance beherrschte.

    Im Hinblick auf Himmelsphänomene – Sonne, Mond, Planeten und Sterne – standen die maßgeblichen gebildeten Persönlichkeiten der Scholastik vom 13. bis 16. Jahrhundert unerschütterlich hinter der ptolemäischen Astronomie, die auf aristotelischen Prinzipien wie der vollkommenen Unveränderbarkeit der Himmelskörper und ihrer Bewegung auf perfekten Kreisbahnen beruhte. Erscheinungen, die diesen Prinzipien entsprachen, etwa der scheinbare Umlauf der Sonne um die Erde, wurden kritiklos übernommen; damit unvereinbarte Erscheinungen, etwa die gelegentliche Rückläufigkeit von Planeten, wurden hingegen als irreführend betrachtet. Ihre wahre oder wesentliche Bewegung musste als vollkommene Kreisbahn verstanden werden, die durch Epizykeln und Exzentrizitäten zu erklären war.

    Als die empirischen Beobachtungen immer präziser wurden, musste man zusehends häufiger Epizykeln und Exzentrizitäten erfinden, um Abweichungen zwischen Erscheinung und aristotelischen Naturprinzipien zu erklären. Schließlich schlug Kopernikus, ohne selbst signifikante empirische Entdeckungen gemacht zu haben, eine andere Betrachtungsweise der Erscheinung der relativen Bewegungen von Sonne, Erde und Planeten vor. Er behauptete, der Anschein, dass die Sonne um die Erde kreise, sei eine Illusion, und entwickelte eine mathematische Theorie für eine heliozentrische Anordnung der Himmelsphänomene. Seine Theorie konnte die beobachteten Phänomene mindestens ebenso gut erklären wie die ptolemäische, hob aber den Unterschied zwischen Anschein und Wirklichkeit auf. Doch Kopernikus war ein frommer Christ und lebte in einer Zeit, in der seine Kirche Häretiker hinrichten ließ und zur ewigen Verdammnis verurteilte. Vor die Wahl gestellt, zu veröffentlichen oder zugrunde zu gehen, entschied er sich für eine Veröffentlichung nach seinem Ableben, umging damit die peinliche Befragung durch die Inquisition und sicherte sich zugleich die ewige Seligkeit im Jenseits.

    Kopernikus bot eine plausible Alternative zur ptolemäischen Theorie der Himmelsphänomene, welche dieselben Erscheinungen mathematisch ökonomischer und einfacher erklärte. Doch für viele Intellektuelle seiner Zeit war dies kein hinreichender Grund, die gesicherte scholastische Verquickung von biblischer und aristotelischer Autorität aufzugeben. Vor Kopernikus gab es eine auffällige Diskrepanz: Theorien über Himmelsphänomene wurden von hoch ausgebildeten Fachleuten entwickelt – darunter Mathematiker, Philosophen und Theologen – während die empirische Beobachtung von Himmelsphänomenen weitgehend Hobby-Himmelsbeobachtern überlassen blieb, die sich ohne alle Hilfsmittel auf ihre Sehkraft verlassen mussten. Selbst Tycho Brahes akribische Beobachtungen, die Johannes Kepler die empirischen Daten für die Formulierung seiner drei Gesetze der Planetenbewegungen lieferten, beruhten auf der Wahrnehmung mit bloßem Auge. Doch da man Erscheinungen für weitgehend irreführend hielt, bestand für eine Verfeinerung der Beobachtungsmethoden auch scheinbar keine Notwendigkeit. Selbst wenn präzisere Methoden entwickelt würden, wären die damit gewonnenen empirischen Daten doch immer noch illusionär, gerade so wie auch die genaue Befragung eines durchtriebenen, hartnäckigen Lügners einen der Wahrheit keinen Schritt näherbringt.

    Aber nicht jeder begnügte sich im 16. Jahrhundert damit, sich derart uneingeschränkt auf die anerkannte Weisheit früherer Autoritäten zu verlassen. Tycho Brahe entwickelte mehrere geniale Methoden zur professionellen Beobachtung der relativen Planetenbewegungen. Die gewonnenen Daten wurden von Kepler akribisch analysiert, der daraufhin von Kopernikus‘ heliozentrischer Theorie überzeugt sowie zu dem Schluss gezwungen war, dass sich die Planeten auf elliptischen und nicht kreisförmigen Bahnen um die Sonne bewegen. Schönheit und Eleganz der aristotelischen Physik wurden von den empirischen Daten infrage gestellt, und die theoretischen Konstrukte der ptolemäischen Epizykeln und Exzentrizitäten, welche im gesamten Mittelalter die uneingeschränkte Loyalität von Generationen von Astronomen gewonnen hatten, wurden als elegante Fiktionen verworfen.

    Keplers Erkenntnisse blieben umstritten: Selbst Galileo unterstützte ihn nicht. Doch in der darauffolgenden wissenschaftlichen Revolution spielten Galileos Verbesserungen des Teleskops und dessen erstmaliger Einsatz zur exakten Untersuchung von Himmelsphänomenen eine ausschlaggebende Rolle. Einige scholastische Philosophen weigerten sich, einen Blick durchs Teleskop zu werfen und dadurch etwa seine Erkenntnisse bestätigen zu müssen. Doch der Lauf der Geschichte richtete sich gegen sie. Nach und nach wurde der langjährige Glaube an Aristoteles und eine wörtliche Auslegung der Bibel durch Forscher widerlegt, die speziell zur Beobachtung himmlischer und irdischer Phänomene ausgebildet worden waren. Obwohl Erscheinungen in der Natur nach wie vor in vieler Hinsicht als illusionär und irreführend betrachtet wurden, baute der Fortschritt in der Wissenschaft doch auf die Zusammenarbeit zwischen fachkundigen Beobachtern und Experimentatoren sowie fachkundigen Theoretikern. Daraus entstand die erste wissenschaftliche Revolution, nämlich die in den physikalischen Wissenschaften – begonnen von Kopernikus und vollendet von Isaac Newton.

    Newton wollte die physikalischen Naturgesetze mit der absoluten Sicherheit der euklidischen Geometrie formulieren, doch diese Gesetze sind nur durch präzise und sorgfältige qualitative und quantitative Beobachtung und Messung physikalischer Phänomene zu entdecken. Mathematische Theorien allein können die Entstehung eines physikalischen Universums weder definieren noch vorhersagen oder erklären. In der Sprache der reinen Mathematik haben Begriffe wie „Masse, „Energie, „Raum und „Zeit keine Bedeutung. Bedeutung erlangen sie erst, wenn sie zur Beschreibung der Beobachtung physikalischer Phänomene verwendet werden.

    Charles Darwins sorgfältige Beobachtung biologischer Organismen bedeutete einen Umsturz für die wörtliche Bibel-Auslegung, wonach die Tierarten in der jüngeren Vergangenheit in einer relativ kurzen Zeitspanne durch göttliches Eingreifen erschaffen worden und seither unveränderlich sind. Für die gebildeten Menschen seiner Zeit, die zumeist fromme Christen und Juden waren und sich stets auf die biblische Autorität verlassen hatten, war diese zweite wissenschaftliche Revolution eine schmerzliche Erkenntnis. Man kann wohl sagen, dass diese erste und einzige Revolution in den Biowissenschaften im Moment mit der Komplettierung des Human Genome Project, das die bei der natürlichen Selektion wirkenden Mechanismen erklärt, ihren Abschluss findet.

    Zwar versuchen Biologen, biologische Naturgesetze mit der ganzen Glaubwürdigkeit der Physik zu formulieren, doch physikalische Gesetze allein können die Entstehung lebender Organismen im Universum weder definieren noch vorhersagen oder erklären. Darüber hinaus werden biologische Naturgesetze auf der Grundlage präziser und sorgfältiger qualitativer und quantitativer Beobachtungen und Messungen lebender Organismen entdeckt, nicht allein durch eine quantitative Untersuchung ihrer physikalischen Bestandteile. In der Sprache der Physik haben Begriffe wie „Leben, „Tod, „Gesundheit und „Krankheit keine Bedeutung. Bedeutung erlangen sie erst, wenn sie zur Beschreibung von Beobachtungen biologischer Phänomene verwendet werden.

    Die unnatürliche Entstehung der Bewusstseinsforschung

    In der Bewusstseinsforschung muss eine Revolution, die jenen in

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