Oeconomia non(?) olet: Duftspuren aus dem Inneren der Wirtschaftspolitik
Von Kurt Bayer
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Über dieses E-Book
In den hier versammelten kurzen Vignetten geht es aber nicht um die großen Linien der österreichischen und internationalen Wirtschaftspolitik, sondern um den »soft underbelly« der Politik und ihrer Macher und Macherinnen. Sie zeigen das allzu Menschliche einer oft ernsten Materie. Auch ein mächtiger Weltbankpräsident James D. Wolfensohn erscheint da als fast normaler Mensch mit Macken.
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Buchvorschau
Oeconomia non(?) olet - Kurt Bayer
Einleitung
In diesen Aufzeichnungen geht es nicht um die »harte« Wirtschaftspolitik (und meine nicht immer erfolgreichen Bemühungen dazu), sondern um persönliche Erlebnisse mit dieser: als Student, als Universitätsassistent, Vortragender und Wirtschafts(politik)forscher, als Bediensteter im Finanzministerium sowie als Aufsichtsrat internationaler Entwicklungsbanken und zuletzt als Publizist und Blogger.
Der Titel dieses Buches nimmt eine Anleihe bei einem dem römischen Kaiser Vespasian anlässlich der Erhebung einer Latrinensteuer zugeschriebenen Ausspruch: »Pecunia non olet!« (Geld stinkt nicht!) Hier bleibt die Frage offen, ob »die Ökonomie«, also Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik, sowie alles, was institutionell mit diesen und deren Akteuren zusammenhängt, »stinkt« oder nicht.
Meine persönlichen Erfahrungen sind durch Personen, Zeit und Ort geprägt und damit einzigartig, jedenfalls nicht zu verallgemeinern. Sie sind charakterisiert durch mein oft distanziertes, jedoch immer loyales Verhältnis zu meinem jeweiligen Arbeitgeber, durch den dadurch entstehenden Spagat zwischen der Notwendigkeit, den offiziellen Mainstream im Auge zu behalten und auch vertreten zu müssen, und der mich antreibenden Neigung, diesen zu kritisieren – eine Zerrissenheit zwischen Insiderwissen und dem Versuch, von außen neue Aspekte in die Diskussion zu bringen.
Die Tatsache, dass ich mich oft nicht hundertprozentig mit der jeweiligen Institution, für die ich tätig war, und deren Positionen identifizieren wollte, führte zwar manchmal zu einer leichten beruflichen »Schizophrenie«, hat mir jedoch eine gewisse Unabhängigkeit verschafft und letztlich auch Freude und Stolz bereitet. Mit einer solchen Haltung macht man sich jedoch nicht immer Freunde – ganz im Gegenteil! In einem Land wie Österreich, wo absolute Loyalität als das wichtigste Kriterium für Einbeziehung und Dazugehörigkeit gilt, wird diese »Verlässlichkeit« sowohl von Regierungen und Ministerien, als auch von Forschungsinstitutionen und den Sozialpartnern immer höher bewertet als das Fachwissen. Wer hier als Berater in Diskussionen gehört werden möchte, muss dem Gegenüber die Sicherheit vermitteln, dass auf gar keinen Fall die jeweils zu beratende Institution (oder Person) kritisiert wird. Wer die eigene Meinung allzu kritisch und selbstbewusst vorträgt oder zu Papier bringt und dadurch (scheinbar) die Eigeninteressen des Gegenübers verletzt, erlebt immer wieder Ausgrenzung. Dies führe ich auf die hierzulande immer noch vorhandene provinzielle Bunkermentalität zurück, auf die herzliche Abneigung gegenüber den jeweils anderen, die in – nur einige Male kurz unterbrochenen – 70 Jahren aus Großer Koalition, Proporz und Sozialpartnerschaft gewachsen ist. In einem solchen Klima wird jemand, der weder einer Partei noch einer »Partie« angehört, immer suspekt sein, da er als »nicht kontrollierbar« gilt. Diese Eigenständigkeit wird oft mit Misstrauen und Ausgrenzung »bestraft«, mit Nichtberücksichtigung bei der Einladung zu Diskussionskreisen oder bei Vergaben von verantwortungsvollen Ämtern, da »man« ja nicht weiß, wessen Interessen diese Person vertreten würde.
Ich will aber nicht jammern: Meine Eigenständigkeit brachte zwar Probleme, Ausgrenzung, Nichtbeachtung und auch Missgunst mit sich, sie lässt mich jedoch nachträglich sehr stolz darauf sein, dass ich mich während meiner gesamten Berufslaufbahn (fast) nicht verbiegen musste und – im Rahmen des jeweils selbst gewählten Loyalitätsgrades – meine eigene Meinung bilden und vertreten konnte. Im Rückblick zählt dies als großes Plus.
Im Laufe meines Lebens hatte ich die Möglichkeit, viele verschiedene wirtschaftspolitische Institutionen und Kulturen zu »bevölkern« und kennenzulernen: bei meinen Studien in Graz, Bologna und den USA, durch Berufsabschnitte in der Forschung (WIFO), während Auslandsaufenthalten, im Finanzministerium nach dem Beitritt Österreichs zur EU, in der Weltbank in Washington, D. C. oder bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London sowie durch meine Mitarbeit in zivilgesellschaftlichen Ökonomie-Institutionen. Auf dem Weg durch diese vielen Stationen hat sich ein Schatz an Beobachtungen der nicht immer ernsthaften Art aufgebaut. Teile dieser Geschichten habe ich zweimal in Alphabet-Form (»from a to z. Kurt Bayer’s World Bank Alphabet«, Wien 2004; »from e to d, Kurt Bayer’s EBRD Alphabet«, Wien 2012) im Eigenverlag publiziert, sowie später auch in meinem Blog (www.kurtbayer.wordpress.com). Viele dieser Anekdoten sind nicht weitererzählbar, einige bringe ich jedoch hier zu Papier.
Die einzelnen Begegnungen, von denen ich im Weiteren berichte, haben wie beschrieben tatsächlich stattgefunden. Die handelnden Personen, vor allem jetzt noch lebende, sind jedoch oft nicht beim Namen genannt, um deren Persönlichkeitsrechte nicht allzu sehr zu verletzen. Der Leserin und dem Leser sollte klar sein, dass es sich bei diesen Erinnerungen um meine subjektive Sicht der Dinge handelt – und nicht um eine objektive Darstellung. Es gilt jedenfalls die Unschuldsvermutung!
In diesen kurzen Vignetten geht es also nicht um die großen Linien der österreichischen und internationalen Wirtschaftspolitik (gibt es solche überhaupt?), sondern um deren Kehrseite, um den »soft underbelly« der Politik und ihrer Macher und (wenigen) Macherinnen. Sie zeigen die leichte Seite, das oft allzu Menschliche einer durchaus ernsten Materie auf, wie sie von mir erlebt wurde. Es besteht natürlich die Gefahr, dass die Leserinnen und Leser aus diesen Aufzeichnungen gesamthaft auf die österreichische und internationale Wirtschaftspolitik schließen. Dies ist jedoch keineswegs meine Absicht, denn meine subjektiven Einblicke und Erlebnisse sind bestenfalls ein kleiner Teil der allgemeinen Wahrheit.
Die einzelnen Kapitel folgen keiner Zeitlogik, sondern stellen eher neun inhaltliche Gruppen dar. Wie bei jeder solchen Einteilung sind die Grenzen fließend.
Der Anfang
Gelebte Diversität à la 1949
Im zweiten Jahrgang der Grazer Albert-Muchar-Volksschule beschloss unsere Lehrerin, mit ihrer Bubenklasse das Märchen »Hänsel und Gretel« szenisch aufzuführen. Die Rollen waren bald vergeben, Schwierigkeiten bereitete nur die Besetzung der Gretel: Wo sollte man sie hernehmen?
Zu meinem Entsetzen meinte die Lehrerin, dass ich ja drei Schwestern hätte, die wohl alle Dirndlkleider besäßen, und dass ich daher die ideale Besetzung der Gretel wäre – noch dazu, weil ich einer der Kleinsten der Klasse war. Sie kontaktierte meine Mutter, und zum Gaudium meiner Schwestern musste ich die Dirndlkleider der beiden Älteren probieren. Dann wurde ein bisschen was zurecht gezupft, der eine Einnäher hier, der andere dort, ein Kopftuch auf – und fertig war ich als Gretel. Meine tränenreichen Beteuerungen, dass ich das alles nicht wolle, halfen nichts.
Die Aufführung war ein voller Erfolg, die zuschauende Elternschar war besonders vom Darsteller der Gretel begeistert: »So a liabe Gretel, der Bua – a richtig’s klanes Madl«, oder so ähnlich lauteten die mich in Scham versinken lassenden Kommentare. Mein Standing bei den Klassenkameraden war dahin, und das Trauma wurde ich bis heute nicht los. Meine Ablehnung von Dirndlkleidern (und Steireranzügen) geht neben ihrer Blut-und-Boden-Affinität wahrscheinlich auf dieses unrühmliche Schauspiel-Debüt zurück.
Human Capacity Building: Grashalmzupfen beim Bundesheer
Da ich bei meinem Matura-Abschluss relativ zu jung und mein Jahrgang (1943) sehr geburtenstark war, wurde mir bei der Musterung bedeutet, dass ich nur dann sofort im September 1961 einrücken könne, wenn ich mich zu zusätzlichen drei Monaten Dienst mit Ausbildung zum Reserveoffizier verpflichten würde. Da mir ein älterer Freund mitgeteilt hatte, dass man sich bis drei Monate nach dem Einrückungstermin wieder zurück auf die damals allgemein vorgeschriebenen neun Monate melden könne, sagte ich zu.
Nach der Grundausbildung in Graz kam ich als Funker in die »Trostkaserne« in Wien zu einer sogenannten »Maturanten-Kompanie«. Dort stellte sich heraus, dass eine ganze Reihe von Kollegen denselben Plan hatte, nämlich zum letztmöglichen Termin einen Rapport beim KompanieKommandanten zu beantragen, um auf die zusätzlichen drei Monate Wehrdienst zu »verzichten«. Da diese Vorgangsweise bei den Oberen des Bundesheeres nicht besonders gern gesehen war, wollten wir bis zum letztmöglichen Termin (Ende November) warten, um möglichen Schikanen zu entgehen.
Wir waren daher einigermaßen überrascht, als am vorletzten Novembertag plötzlich spät abends eine mehrtägige Alarmübung ausgerufen wurde und wir um Mitternacht mit Marschgepäck auf Lastwagen Platz nehmen mussten. Nach einigen Kilometern schlaftrunkenen Sitzens sagte ein Kollege: »Ihr wisst eh, dass mit dieser Übung unser Plan obsolet ist und wir den nächsten Sommer beim Heer verbringen. Bei Gefechtsübungen finden keine Rapporte statt, und bis wir wieder zurückkommen, ist unsere Drei-Monats-Frist abgelaufen.« Heulen und Zähneknirschen war die Reaktion, das Bundesheer hatte uns ausgetrickst.
Diese letzten drei Monate im Hochsommer 1962 verbrachte ich wieder in meiner Grazer Stammkaserne, wo man mit mir, dem Reserveoffizier in spe, nichts anzufangen wusste. Die meiste Zeit waren ich und ein ähnlich ausgebildeter Kollege eingeteilt, die Aschenbahn des Sportplatzes von Unkraut und Grashalmen zu befreien. Hatten wir eine 360-Grad-Runde mühsam absolviert, war wieder neues Gras nachgewachsen.
Meine Stimmung gegenüber dem Bundesheer war dem entsprechend, umso mehr, als meine Freunde in diesen letzten Monaten vor dem Studium nach Schweden oder Deutschland zur Ferialarbeit fuhren und gutes Geld verdienten, oder irgendwo im Süden Urlaub machten. Ich besorgte mir jedoch ein Skriptum der Jus-Einführungsvorlesung und studierte es neben den Grashalmen am Sportplatz. Dadurch konnte ich die Eingangsprüfung bereits vor Weihnachten ablegen und gewann zumindest ein Semester.
Studieren:
Curiosus venter…
Archaisches Universitätswesen in Österreich
Als ich 1961 in Graz Rechtswissenschaften zu studieren begann, gab es in Österreich kein separates Ökonomiestudium. Erst 1967 wurde mit der Errichtung der neuen Universität in Linz ein Studienlehrgang in Volkswirtschaftslehre plus