Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die verlorene Republik
Die verlorene Republik
Die verlorene Republik
eBook408 Seiten5 Stunden

Die verlorene Republik

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Numantia, zentrale iberische Festung, soll fallen. 134 v. Chr. entsendet der römische Senat Scipio, den legendären Feldherrn. Julia, Angehörige eines geheimnisvollen Ordens, soll dafür sorgen, dass Scipio den Befehlen gehorcht. Doch der ruft seine alten Verbündeten, die Numider, zu Hilfe. Die unsterbliche Priesterin Abbala spürt: Erneut manipulieren fremde Wesen das Schicksal der Menschheit.
-Der junge Gaius Marius vor seiner schwierigsten Mission
-Der numidische Prinz Jugurtha mit ehrgeizigen Plänen
-Der Bona-Dea-Orden, dessen Gesandte sich ausgerechnet jetzt verliebt
-Und eine unsterbliche Priesterin, die das Ende kommen sieht
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum14. Juni 2021
ISBN9783347008625
Die verlorene Republik
Autor

Richard F. Conrad

Richard F. Conrad wurde im März 1986 in der Nähe von Luzern in der Schweiz geboren. Nach erfolgreichen Jahren als Börsenmakler in den USA lebt er inzwischen mit seiner Frau und drei Kindern in Cape Coral/Florida. Er veröffentlichte einige Fachbücher, bis er sich mehr und mehr literarisch mit dem Genre der Fantasy befasste. Mit Turn of Eras (Zeitenwenden) plant er eine mehrbändige Romanreihe, die in besonderen historischen Epochen der Menschheitsgeschichte spielt. Nach dem ersten Band (Hamilkars Rache) und dem zweiten Teil (Die letzten Barkiden) sowie Teil 3 (Die verlorene Republik), Teil 4 (Kampf um Numantia) und Teil 5 (Das Imperium erwacht) befindet sich der 6. Teil (Das Schwert Roms) in Vorbereitung.

Ähnlich wie Die verlorene Republik

Titel in dieser Serie (5)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die verlorene Republik

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die verlorene Republik - Richard F. Conrad

    Iberien – um 134 v. Christus

    1. Gaius Marius

    In der Nähe von Numantia, im Frühjahr 134 v. Chr.

    Am schlimmsten war diese Kälte. Gaius Marius hatte den Winter nie gemocht. Winter bedeutete für ihn Dunkelheit, Nässe, Frieren. Und dann noch hier. In Iberien. So weit weg von zu Hause.

    Das Gelände war nun nicht mehr so schroff und gebirgig, nicht mehr so dicht bewaldet, es wellte sich jetzt wie eine runzelige Haut. Kleine Bäche und gut gefüllte Flussbetten versuchten immer wieder vergeblich, den römischen Vormarsch zu stören.

    Krähenschwärme begleiteten sie seit einiger Zeit. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn die Krähen kamen. Sie wussten, wann es sich lohnte, sich zu sammeln. Sie schrien laut ihre Vorfreude hinaus, wie eine höhnische Vorwarnung. „Wir kriegen euch. Wir kriegen euch alle. Kräh. Alle. Kräh. Kräh." Gaius Marius hatte auch Krähen nie gemocht.

    „Tausende Römer haben in dieser von allen Göttern verlassenen Gegend ihr Leben gelassen. Jetzt sind wir also an der Reihe." Sixtus Selentius kam aus Arpinum, südöstlich Roms, wie Gaius Marius auch, er hatte allerdings eine noch deutlich pessimistischere Lebenseinstellung. Der traurige Sixtus. Schmaler und länger als Marius, jedoch bei Weitem nicht so viel Vitalität wie dieser ausstrahlend. Er wirkte mehr wie ein Priester, der ständig mit Bestattungszeremonien zu tun hatte. Trotzdem schätzte Marius ihn sehr, war mit ihm seit Kindertagen befreundet und ritt oft an Sixtus’ Seite. Anscheinend habe nicht nur ich düstere Vorahnungen. Aber bei Sixtus wäre alles andere ja auch ungewöhnlich.

    „Natürlich werden wir alle sterben. Irgendwann", meinte Marius gleichmütig.

    Seit fünf Tagen näherte sich die vierte Legion Latium langsam ihrem Ziel, einer sehr gut befestigten iberischen Stadt, Numantia genannt, die seit vielen Jahren Zentrum des iberischen Widerstands war.

    Numantia. Der Schrecken vieler römischer Feldherrn. Vieler erfolgloser römischer Feldherrn.

    „Blödsinn. Jetzt wird alles anders. Mit Scipio Aemilianus als Feldherr können wir nicht verlieren. Er hat Karthago vernichtet, und er wird die aufständischen Iberer vernichten."

    Der junge Reiter hinter ihnen, Magnus Perperna, gab die neue Hoffnung des römischen Heeres wieder. Zwei römische Legionen mit jeweils fast fünftausend schweren Infanteristen sowie jeweils einer gut ausgebildeten Legionsreiterei mit deutlich über hundert Berittenen sollten doch in der Lage sein, Numantia zu erobern. Magnus Perperna war begeistert und träumte von unvergänglichem Ruhm. Magnus Ibericus? Vielleicht würde bald ein Ehrenname ihn schmücken. Oder Gold und Silber sein Leben versüßen.

    „Hat irgendjemand den Mann überhaupt schon gesehen? Wahrscheinlich befindet er sich noch in Rom und feiert seine früheren Siege. Ehemalige Siege. Siege vor sehr vielen Jahren. Sixtus Selentius spuckte aus und fügte hinzu: „Wenn er klug ist.

    „Scipio Aemilianus ist in diesem Jahr unser Konsul und oberster Befehlshaber. Der Senat hat ihn einstimmig entsandt, auch wenn sein erneutes Konsulat eigentlich rechtlich unmöglich ist. Ein weiterer Bruch der römischen Verfassung durch die Aristokratie. Die Patrizierfamilien glauben, der Staat gehöre ihnen. Jedenfalls muss Scipio nun die Legionen vor Numantia selbst anführen. Sonst entehrt er sich und seine Familie." Marcus Tullius war Stellvertreter von Gaius Marius, kam ebenfalls aus Arpinum und ritt auf seiner anderen Seite.

    Die aktuelle römische Politik interessierte den stämmigen Marcus Tullius sehr, er war schon oft in Rom gewesen und sympathisierte mit den Reformern, den Popularen, den Anhängern der Gracchen, was allerdings keinen seiner Kameraden interessierte.

    „Er ist ein Säufer und ein Hurenbock. Wie alle Senatoren." Sixtus ließ sich nicht für römische Politik begeistern, hatte jedoch eine klare Vorstellung von der herrschenden römischen Klasse.

    „Unser Centurio hat gesagt, er kennt Scipio noch von Karthago her und schätzt ihn sehr. Hilarius Vipsanius hat eine gute Menschenkenntnis. Scipio würde klug, umsichtig und pragmatisch handeln. Ich bin gespannt, wann er zu uns stößt. Dann werden wir sehen." Marius diente seit über fünf Jahren in der römischen Armee und war seit Beginn dieses Jahres bereits zum Decurio aufgestiegen, er führte als einer der fünf Decurionen der Legion einen Teil der Reiterei der vierten Legion Latium. Jeder Decurio befehligte etwa dreißig Berittene. Die fünf Decurionen standen unter dem Befehl von Hilarius Vipsanius, einem mit seinen fünfunddreißig Jahren schon sehr erfahrenen und lang gedienten römischen Centurio.

    „Wir haben hier doch überhaupt keine Chance, einen Sieg zu erringen. Wie viele iberische Stämme werden uns wohl diesmal von allen Seiten überfallen, wenn wir unser Lager vor Numantia errichten? Zehntausende von selbstmörderischen Wilden mit ihren unberechenbaren Magiern und ihren keifenden Weibern. Was soll unser weiser Scipio da ausrichten?, brummte Sixtus. „Ein einziger alter Mann. Vergreist und versoffen.

    „Wenn er Karthago erobert hat, wird es ja wohl für Numantia auch reichen", wehrte sich der junge Magnus Perperna hinter ihnen.

    „Ja, das haben die konsularischen Feldherren vor ihm auch immer gesagt. Ich habe die Gallier geschlagen. Ich habe die Germanen geschlagen. Ich habe die Hopliten Makedoniens geschlagen. Immer die gleiche Leier, meinte Sixtus schlecht gelaunt wie immer. „Und seit Jahren haben alle in Iberien versagt. Die geschlagenen Feldherren begeben sich danach zu ihrem Ruhesitz am Mittelmeer, die Legionäre in die Unterwelt des Pluto, nachdem sie ordnungsgemäß massakriert und abgeschlachtet wurden. Und wofür das Ganze? In diesem abgelegenen, weit von Rom entfernten, fremden Land? Wo wir wahrscheinlich so in der Minderheit sind wie die Parther in Rom!

    „Schlachten werden nicht immer von denen gewonnen, die in der Überzahl sind", brummte Marius genervt. Allerdings sehr oft. Die ständigen Zweifel des Sixtus Selentius wurden selbst ihm manchmal zu viel, auch wenn er dessen Sorgen gut nachvollziehen konnte. Er ist bestimmt nicht der Einzige, der Zweifel hegt. Aber keiner spricht dauernd darüber, bei Jupiter! „Rom wird auch hier in Iberien herrschen. Wir sind von den Göttern dazu ausgewählt. Wir sind die vierte Legion Latium. Wir werden Numantia vernichten!" Marius sprach lauter, damit auch seine eigenen Gedanken übertönt wurden.

    „Zu Befehl, Decurio!" Sixtus spürte, dass er nun schweigen sollte. Wenn die Götter ins Spiel kamen, duldete kaum noch jemand Widerspruch. Doch er wusste genau, dass er mit seinen Zweifeln nicht allein war.

    Numantia. Allein der Name der iberischen Stadt löste in Rom Wut und Erschrecken aus. Je nach römischem Temperament und römischer Stimmungslage.

    Schlimmer noch: Es wuchsen Zweifel an der eigenen Ausgewähltheit, an der eigenen Größe, an der eigenen Bedeutung.

    Religiöse Zweifel: Waren die Götter wirklich auf der Seite Roms?

    Strategische Zweifel: War Rom überhaupt in der Lage, die Welt zu beherrschen?

    Zweifel am Sinn: Was soll Rom in diesen fernen, gottverlassenen Ländern? Wem nutzte das?

    Und vor allem politische Zweifel: Wussten die herrschenden römischen Patrizierfamilien eigentlich noch, was sie taten? Konnten sich die römischen Bürger auf den Senat, die Konsuln, die Prätoren, die Feldherren verlassen? Was waren das eigentlich für Anführer? Die sollten Rom in die richtige Richtung lenken? Ausgerechnet die, die hier in Iberien so oft versagt hatten?

    Numantia. Wiederholte Niederlagen. Tausende Tote. Drohender Machtverlust im Westen. Das Ende Roms? Das Ende der Senatoren?

    Gab es Antworten der römischen Aristokratie? Natürlich. Die üblichen Antworten. Patriotismus. Appelle an die Ehre. Mahnungen. Zukunftsvisionen. Durchhalteparolen. Noch mehr Steuern. Noch mehr Truppenaushebungen. Mehr Geld für die Armee. Prophezeiungen. Götterbefehle.

    Mehr Freiwillige für die Armee gewinnen. Mit Sesterzen locken. Gutes Land nach zwanzig Jahren Kriegsdienst versprechen. Auch weniger Vermögende anlocken. Das Heer wurde proletarischer, plebejischer. Viele lehnten die Veränderungen ab, vor allem die Konservativen. Die Mehrzahl begrüßte (noch) die Maßnahmen. Was waren die Alternativen, wenn man ein Imperium errichten wollte? Wie sollte der Stadtstaat Rom sonst die Welt beherrschen?

    Römer konnten sehr hartnäckig sein. So beschrieben Römer ihre Tugend. Manche meinten auch, sie seien einfach nur stur. Feinde beschrieben sie als borniert, starrköpfig und verstockt.

    Endlich wurden die Tage wieder wärmer. Die richtige Zeit für große Schlachten war gekommen, so hieß es. Marius wusste nicht, ob es jemals richtige Zeiten für große Schlachten gab, aber er wusste, was ein römischer Legionär zu tun hatte. Und die ganze vierte Legion Latium, etwa fünftausend Mann, unter dem Befehl des Legaten Quintus Sertorius, wusste es auch.

    Die Hauptaufgabe eines römischen Legionärs war es, zu marschieren, in einer disziplinierten, immer wieder geübten Formation – schnell und ausdauernd.

    Mit breiten Transportschiffen war die Legion nach Tarraco gebracht worden, der römischen Hauptstadt in der Provinz Hispania citerior. Dann ging es nordwestlich weiter. Viel weiter. Marschieren. Immer weitermarschieren.

    Marius genoss es, von dieser Pflicht entbunden zu sein. Als Decurio, als Anführer einer Turma mit dreiunddreißig Reitern, folgte er mit seiner Einheit den Führungsoffizieren um den Legaten und seine Leibwache, die wiederum den römischen Kundschaftern folgten.

    In der Nähe der Spitze der Legion fühlte er sich wohl. Es tat seinem Ehrgeiz gut, vorn dabei zu sein. Alles zu sehen, was dort ablief. Die Offiziere zu grüßen. Bekannt zu sein. Er spürte, das könnte wichtig sein für die künftige Karriere. Gaius Marius gehörte keiner aristokratischen römischen Familie an. Er stammte von einem Landgut, das eine Tagesreise südöstlich Roms lag. Eine weitere Laufbahn als römischer Offizier würde nicht einfach für ihn. Wenn nicht sogar unmöglich. Er besaß weder umfangreiche Kontakte zur römischen Oberschicht noch sehr viel Geld, um die üblichen Bestechungszahlungen zu leisten. Doch er war ein sehr guter Reiter, etwas länger gewachsen als die anderen Römer, ein ordentlicher Kämpfer mit dem Schwert und nunmehr auch ein passabler Anführer, wie er hoffte. Wer weiß, was die Götter mit mir vorhaben? Zumindest Marius selbst hatte noch viel vor.

    Die vierte Legion Latium. Marius neue Heimat. Er dachte oft über die früheren Legionen nach. Von der ersten Legion Latium weiß niemand mehr etwas. Ihre Feldzeichen im Marstempel sind so unkenntlich vermodert, dass sie kaum noch als Standarten erkennbar sind. Der silberne römische Adler ist nur noch ein Holzklumpen. Die zweite Legion Latium scheint im Krieg gegen Pyrrhos und seine verbündeten Diadochennachfolger vor über 150 Jahren untergegangen zu sein. Von ihr fehlen Feldzeichen, aber eine Tafel erinnert im Marstempel an ihren tapferen Kampf. Die dritte Legion wurde von der karthagischen Armee unter Hannibal bei Cannae vor fast hundert Jahren vernichtet. Hannibal hatte die Feldzeichen in poliertem Zustand Rom übersandt. Eine Provokation? Oder eine Ehrerbietigkeit? Was hätte ich gemacht, wenn ich 16 römische Legionen in einer Schlacht vernichtet hätte? Und was wird aus der Standarte unserer vierten Legion Latium werden? Wird unsere Standarte immer im Feld stehen? Oder auch irgendwann nach einer verlorenen Schlacht im Tempel des Mars aufbewahrt werden? Womöglich schon nach einer Niederlage vor Numantia?

    Der Wind frischte auf, der Regen hatte aufgehört, und manchmal ließ das helle Licht der Sonne die bewaldete, hügelige Landschaft freundlicher erscheinen. Trotzdem war es noch kalt, und der Frühling hatte den Winter noch nicht vertrieben. In den Morgenstunden war der Atem der Pferde gut zu sehen, wenn der Dampf aus ihren Nüstern strömte. Alle Reiter trugen ihre Wollumhänge über der Rüstung, viele immer noch ihre Lederhandschuhe.

    Die weit abschweifenden Gedanken von Marius wurden jäh unterbrochen.

    „Es kommt jemand auf uns zugeritten. Ein Ordonnanzoffizier des Legaten, wenn ich es richtig erkenne", warnte Marcus Tullius leise seinen Decurio.

    „Vielleicht schicken sie Sixtus wegen Wehrkraftzersetzung nach Hause", knurrte Marius immer noch gereizt.

    „Sollen sie doch. Ich werde deine Eltern herzlich grüßen, wenn ich endlich wieder daheim bin", meinte Sixtus ungerührt, der gut wusste, was die bäuerliche Familie des Gaius Marius von dessen weiter andauernden militärischen Aktivitäten hielt.

    Marius beachtete ihn nicht mehr und hob seinen rechten Arm hoch, der Befehl zum Halten an seine Decurie. Der Ordonnanzoffizier kam heran, grüßte formal mit einem Schlag auf die Brust und seinem dann weit ausgestreckten rechten Arm, Marius nickte ihm freundlich zu und erwiderte den Gruß.

    „Decurio Gaius Marius, der Legat befiehlt Euer Erscheinen. Ich werde Euch zu ihm begleiten."

    Fast hätte Marius gefragt, ob wirklich er gemeint sei oder worum es gehe, doch dann nickte er nur und sah zu Marcus Tullius neben ihm. „Du hast das Kommando. Du kennst unsere Befehle."

    Auch Marcus Tullius lagen einige Fragen auf der Zunge. Befehle in der Armee wurden allerdings nicht mit Fragen beantwortet, so sehr es ihm widerstrebte, einfach zu schweigen. Deshalb brüllte er nur, so laut er konnte: „Jawohl, Decurio!" Keiner soll einen Argwohn gegenüber der Disziplin unserer Decurie entwickeln. Trotz Sixtus Selentius und dessen Unkenrufen. Oder meiner eigenen Rechtsauffassungen.

    Der schnelle Ritt zum Legaten war nach kurzer Zeit beendet. Weder Marius noch der Ordonnanzoffizier wechselten unterwegs ein Wort. Befehlsdisziplin. Oder schlechte Vorahnungen? Marius verscheuchte seine Grübelei und konzentrierte sich auf die vor ihm auftauchende Personengruppe.

    Die Führungsoffiziere standen um den Legaten herum in einer kleinen Lichtung, die von der Hochebene aus einen guten Blick auf das gebirgige, schroffe und nur teilweise dunkelgrün bewachsene Umland ermöglichte. Ein erster Hauch von Frühling, von Blütenduft neben dem üblichen Geruch nach frischen Tannennadeln lag in der Luft. Die Wolkendecke riss gelegentlich auf, und das tiefe Blau des Himmels erinnerte an bessere Tage.

    Marius saß ab und folgte dem Ordonnanzoffizier, der vor dem Legaten salutierte und überflüssigerweise auf ihn hinwies. „Der Decurio Gaius Marius, Legat, wie Ihr befohlen habt."

    Quintus Sertorius hatte seinen Helm mit dem hellen, roten Federbusch abgelegt. Ein schon silberhaariger, untersetzter, eher kleiner Mann mit scharfen Augen, frisch rasiert, wie es seit den heroischen Erzählungen über Alexander den Großen auch in Rom Mode geworden war. Der jetzige Legat der vierten Legion Latium hatte vor Jahren bereits einige erfolgreiche Feldzüge gegen die Korinther und Thraker kommandiert. Nur auf ausdrückliche Bitte des Senats von Rom ließ er sich zu einem neuen Kommando bewegen. Seine Kenntnisse betrafen eigentlich den Osten des Reichs und nicht den Westen. Zudem lockte ihn schon lange seine moderne Villa bei Misenum mit Blick auf das Mittelmeer und dem fantastischen Rotwein der Umgebung. Trotzdem: Der Ruf des römischen Senats überwog schließlich alles. Er hatte seinem Vaterland viel zu verdanken. Die Aussicht auf weitere Kriegsbeute war auch nicht zu verachten. Die Iberer besaßen Gold- und Silberminen. Quintus Sertorius mochte Gold und Silber. Auf das Altenteil konnte er sich auch später noch freuen.

    Der Legat sah den deutlich längeren und jüngeren Marius müde von unten an. „Decurio, wir haben einen Auftrag für Euch."

    „Herr?"

    „Habt Ihr Neues von unserem Feldherrn Scipio Aemilianus gehört?"

    „Nein, Herr."

    „Wir auch nicht. Quintus grinste missvergnügt. „Immerhin sind seine beiden Begleiter zu uns gekommen. Er nickte zwei Gestalten zu, die Umhänge und weite, hochgezogene Kapuzen trugen. Eine der beiden Personen trat vor, klein und schmal unter ihrem Umhang erscheinend.

    „Wir sind mit Scipio Aemilianus im Auftrag unseres Ordens bis Tarraco gekommen. Unter nicht einfachen Umständen. Dort ist er trotz unserer Wache in der ersten Nacht entkommen. Durch ein, hm, nennen wir es einmal … geschicktes Ablenkungsmanöver. Nachdem wir die ganze Stadt durchsucht hatten, dachten wir, er habe sich allein auf den Weg zu seinen Truppen gemacht."

    Nach einer kurzen Pause klang die Stimme leicht resigniert, als sie fortfuhr: „Wir haben falsch gedacht."

    Eine hohe Stimme, die Marius irgendwie irritierte.

    Quintus Sertorius nutzte die Pause. „Ihr wisst, Decurio, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus ist eine Legende. Der erste Bürger Roms, unser Konsul und unser Held. Der Bezwinger Karthagos. Doch er ist auch, nun, sagen wir … ein schwieriger Mann. Mit eigenem Kopf. Sehr eigenem Kopf."

    „Ein sehr schwieriger Mann", wiederholte die hohe Stimme. Marius schwieg und wartete ab. Falls dies eine weiterführende Information sein soll, verstehe ich sie nicht. Wie Quintus Sertorius war er glatt rasiert, trug kurz geschnittene Haare, besaß eine sehr gerade Stirn, was ihm ein etwas strenges Aussehen verlieh. Das eher schmale, asketische Gesicht und die schlanke, hochgewachsene Figur verstärkten den Eindruck von Disziplin und Bestimmtheit. Auffällig waren seine grünen Augen, wach und forschend blickend.

    „Im Auftrag welchen Ordens seid Ihr unterwegs, Herr?", unterbrach Marius die Stille und versuchte, mehr von dem Gesicht unter der Kapuze der kleinen Gestalt zu erkennen.

    Die Gestalt nahm ihre Kapuze herunter. „Ich bin im Auftrag des Bona-Dea-Ordens hier. Auf Befehl der Virgo Vestalis Maxima. Meine Begleiterin und ich sind Vestalinnen." Sie fuhr sich trotzig durch ihre kurz geschnittenen, gelockten schwarzen Haare. Leicht erhobenes Kinn. Provozierender Blick. Selbstbewusst. Markantes Gesicht. Sinnliche Lippen. Hübsch. Eine Frau. Zweifelsohne. Marius starrte sie an. Und was für eine Frau. Er musste sich zusammenreißen.

    Eine Frau? Priesterinnen? Der geheimnisvolle Kriegerorden des römischen Senats? Der Orden existiert tatsächlich? Jetzt hier vor Numantia?

    „Ich dachte, der Orden sei nur in Rom ansässig."

    „Was wisst Ihr von unserem Orden? Das geht Euch überhaupt nichts an", schnappte die andere Gestalt böse. Sie hatte ihre Kapuze nicht abgenommen, sodass Marius kein Gesicht erkennen konnte.

    Marius wandte sich beunruhigt zu dem Legaten Quintus Sertorius. „Herr, ich verstehe das nicht. Was soll meine Aufgabe sein?"

    „Wir vermuten, dass Scipio Aemilianus zu den Numidern geritten ist, Decurio. Die Vestalinnen sollten ihn unbedingt vorher zu uns bringen. Doch Scipio hatte wohl andere Pläne."

    „Das ist eine weite Reise, Herr. Numidien. Nordafrika. Was will er dort?"

    „So weit ist die Reise nicht, Decurio. Reitereinheiten der Numider sind bereits bei Carthago Nova in Iberien gelandet, Scipio hatte sie um Hilfe gebeten. Warum, wissen wir nicht. Seitdem sie sich mit Scipio vor der Eroberung Karthagos im dritten großen Krieg verbündet haben, pflegt der römische Senat sehr enge Beziehungen zu ihnen. König Micipsa zählt zu unseren treuesten Verbündeten."

    „Dann wird unser Feldherr sie für die Eroberung Numantias brauchen, Herr?"

    „Numidische Reiter? Für die Eroberung einer sehr stark befestigten Stadt wie Numantia? Das wäre eine völlig neue Taktik, Decurio. Mir ist sie unbekannt." Quintus Sertorius gefiel sich gern in der Rolle des überlegenen Heerführers.

    „Was kann ich dann für Euch tun, Herr?" Langsam wurde Marius unruhig. Wollen wir über Eroberungstaktik plaudern? Vor den Vestalinnen?

    „Es ist ein etwas heikler Auftrag, Decurio. Euer Centurio Hilarius Vipsanius hier wird ihn Euch genauer erklären. Ihr reitet mit ihm und den beiden Vestalinnen sofort los und sucht unseren Feldherrn. Ihr wart beide bereits früher in Hispalis stationiert, sprecht die iberische Sprache, und der Centurio kennt die Numider von früheren Missionen. Die vierte Legion Latium wird ihr befestigtes Lager vor Numantia aufschlagen und auf die Befehle unseres Feldherrn warten."

    Marius salutierte ordnungsgemäß mit einem Faustschlag auf seine Brust und neigte kurz seinen Kopf. „Wie Ihr befehlt, Herr."

    Der hochgewachsene, schlanke Hilarius Vipsanius trat aus der Gruppe der Führungsoffiziere zu ihm und grinste. „Ihr reitet doch so gern, Decurio. Jetzt könnt Ihr es zeigen. Die Vestalinnen hier sind … sehr ungeduldig."

    Quintus Sertorius legte seinen rechten Arm vertraulich um den deutlich höher gewachsenen Hilarius und zog seinen Kopf zu sich herunter. „Und seht zu, dass er nüchtern zu uns kommt. Scipio Aemilianus ist inzwischen entweder ständig betrunken oder völlig betrunken oder besinnungslos betrunken, heißt es, flüsterte er. „Darum auch diese Vestalinnen. Seine Aufpasser. Jetzt Eure Aufpasser.

    „Ein weiterer unangenehmer Grund dafür, momentan nüchtern zu bleiben, Herr", flüsterte Hilarius zurück.

    Beide mussten leise lachen. Sertorius schlug ihm vertraulich leicht auf den Rücken und gluckste leise vor sich hin, bevor er wieder ernst wurde.

    Dann ließ der Legat schnell den Centurio Hilarius los, trat zurück und verneigte sich charmant lächelnd vor der unverhüllten Vestalin. „Ehrwürdige Herrin Julia, habe ich damit Eurem Wunsch entsprochen? Sowohl Centurio Hilarius Vipsanius als auch Decurio Gaius Marius sind der einheimischen Sprache mächtig und kennen die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1