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Das Imperium erwacht
Das Imperium erwacht
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eBook394 Seiten4 Stunden

Das Imperium erwacht

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Über dieses E-Book

Zwei furchtbare Niederlagen verbreiten in Rom 104 v. Chr. Angst und Schrecken. Die großen Germanenstämme, Teutonen, Ambronen, Haruder und Kimbern, scheinen nicht mehr aufzuhalten zu sein. Steht Rom vor seiner endgültigen Vernichtung? Der Senat bittet Gaius Marius, den berühmten Feldherrn und früheren Konsul, um Hilfe. Wird er Rom beistehen? Oder verfolgt er andere Ziele? Die unsterbliche Priesterin Abbala spürt: Die römische Republik wird untergehen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Juni 2022
ISBN9783347676121
Das Imperium erwacht
Autor

Richard F. Conrad

Richard F. Conrad wurde im März 1986 in der Nähe von Luzern in der Schweiz geboren. Nach erfolgreichen Jahren als Börsenmakler in den USA lebt er inzwischen mit seiner Frau und drei Kindern in Cape Coral/Florida. Er veröffentlichte einige Fachbücher, bis er sich mehr und mehr literarisch mit dem Genre der Fantasy befasste. Mit Turn of Eras (Zeitenwenden) plant er eine mehrbändige Romanreihe, die in besonderen historischen Epochen der Menschheitsgeschichte spielt. Nach dem ersten Band (Hamilkars Rache) und dem zweiten Teil (Die letzten Barkiden) sowie Teil 3 (Die verlorene Republik), Teil 4 (Kampf um Numantia) und Teil 5 (Das Imperium erwacht) befindet sich der 6. Teil (Das Schwert Roms) in Vorbereitung.

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    Buchvorschau

    Das Imperium erwacht - Richard F. Conrad

    Verzeichnis wichtiger Orte

    Mediolanum Mailand, Metropole in der norditalienischen Lombardei – schon in der Antike ein Zentrum der Finanzindustrie, Ausgangspunkt des römischen Lösegelds für die gefangen genommenen Konsuln

    Arausio Orange, Stadt in Südfrankreich – ursprünglich nach einem ligurischkeltischen Wassergott benannt, durch die sprachliche Assoziation zur Frucht später umbenannt; Ergebnis einer Homophonie

    Nikomedia Hauptstadt des Königreichs Bithynien, heute Izmit in der türkischen Provinz Kocaeli – 264 v. Chr. von Nikomedes I. als Hauptstadt seines Reichs Bithynien begründet

    Sinope schon in der Bronzezeit besiedelt bedeutendes Kultur- und Handelszentrum am Schwarzen Meer – im 7. Jhdt. v. Chr. eine griechische Schwarzmeerkolonie der griechischen Stadt Milet, seit 183 v. Chr. Hauptstadt des Königreichs Pontus; heute Sinop in der gleichnamigen türkischen Provinz

    Ekehoe erstmals als Ekeho im 12. Jhdt. erwähnt, norddeutsche Siedlung – um 1000 n. Chr. wird eine Burg Echeho erwähnt, heute Itzehoe, Stadt im Norden Deutschlands

    Prolog

    Sevilla, im Oktober 2059

    Die ersten Anzeichen für ihre Erkrankung verdrängt Lucinda de Sortiento noch. Immer wieder ein stechender Schmerz im unteren Bauchbereich. Magenschmerzen. Übelkeit. Schnelle Ermüdung, die gar nicht zu ihr passt. Schließlich geht sie im Oktober doch zu ihrem Hausarzt am Plaza de Compostela, um herauszufinden, was da nicht stimmt.

    Nach zwei Tagen ruft der Arzt selbst bei ihr an. Nicht die Sprechstundenhilfe. Kein gutes Zeichen, das hat Lucinda sofort begriffen. Er spricht ruhig, aber eindringlich. Mit einem Onkologen hätte er einen Termin für morgen ausgemacht, im Infanta Luisa Hospital. Sie solle sich Zeit nehmen. Drei Tage.

    Schon nach zwei Tagen steht die Diagnose fest. Bauchspeicheldrüsenkrebs im dritten Stadium. Keine gute Prognose, heißt es vorsichtig formulierend. Lucinda übersetzt das für sich mit „aussichtslos". Der Krebs hat sich auf Lymphdrüsen und andere Organe ausgebreitet.

    Sich bei einem wildfremden Mann auszuweinen, das hätte Lucinda niemals für möglich gehalten. So war sie nie. Es dauert einige Minuten, bis sie ihr Schluchzen in den Griff bekommt. So ist es immer gewesen. Als ihre Großmutter gestorben war. Als ihre beiden Töchter verschwunden waren. Irgendwann hat sie aufgehört zu weinen und versucht, ihren Alltag zu meistern.

    „Wie lange habe ich noch?"

    „Bei einer aggressiven Behandlung der Krankheit mit Chemotherapie und Bestrahlung vielleicht ein halbes Jahr. Ohne die Behandlung etwa drei Monate", ist die ernüchternde Antwort.

    „Ich will keine Behandlung."

    „Sie sind verheiratet?"

    „Ja."

    „Möchten Sie sich nicht erst mit Ihrem Mann besprechen? „Nein.

    „Oder mit Ihrer Familie?"

    „Nein."

    „Wir können Ihr Leben mit Schmerzmitteln und Opiaten erträglich gestalten. Aber Ihre Lebensqualität … wird abnehmen."

    „Kann ich noch Weihnachten mit meiner Familie feiern?"

    „Wahrscheinlich ja. Das ist gut möglich. Haben Sie noch andere Familienmitglieder?"

    „Meine Tochter Kimmi. Sie arbeitet hier im Krankenhaus als Arzthelferin. Sie darf nichts erfahren."

    „Wenn Sie das nicht möchten, verspreche ich es Ihnen. Mein Rat ist allerdings: Informieren Sie Ihre Familie rechtzeitig. Sie werden diese Erkrankung nicht verstecken können."

    „Das werde ich tun. Wenn ich so weit bin. Ich habe noch eine Schwester und einen Bruder."

    „Sie sollten sie informieren."

    Die Wochen ziehen sich hin. Langsam und doch intensiv. Lucinda nimmt Abschied, von ihrem Leben und ihren Lieben, niemand bemerkt ihren Zustand zunächst. Sie wird schwächer, isst kaum noch etwas und ihr wird oft übel. Ihr Mann Pablo arbeitet als Zugbegleiter bei der iberischen Eisenbahn, macht oft Überstunden, ist nur selten zu Hause, und wenn er kommt, dann beschäftigte er sich mehr mit seinen Erlebnissen als mit seiner Familie. Nachdem zwei ihrer drei Töchter vor drei Jahren von einem Tag auf den anderen plötzlich wie vom Erdboden verschwunden waren, verarbeitete jeder in der Familie den Schock auf seine Weise. Lucindas Ehemann hat sich für eine Verdrängungsstrategie entschieden.

    Im November ruft Lucinda ihre Schwester Corazon in Barcelona an. Ihre große Schwester. Die Älteste. Sie hat noch einen jüngeren Bruder, Javier, einen Ingenieur, der nur für seine Arbeit lebt und ihr sicher nicht helfen kann. Zehn Stunden später klingelt Corazon an ihrer Haustür. Die Schwestern liegen sich in den Armen.

    „Niemand weiß es?", fragt Corazon ungläubig, nachdem sie sich wieder gefangen hat.

    „Niemand", antwortet Lucinda leise.

    „Niemand merkt etwas? Du bist fast bis auf die Knochen abgemagert."

    „Ich kleide und schminke mich gut." Lucinda wischt sich die Tränen aus den Augen und versucht, ein schmales Lächeln zustande zu bringen.

    „Auch nicht Pablo?"

    „Er ist … sehr beschäftigt."

    „Womit?"

    „Mit der iberischen Staatsbahn."

    „Nicht zu fassen. Dieser …"

    „Seitdem Zaide und Rana verschwunden sind, ist er nicht mehr der Gleiche. Zaide war immer sein Liebling und er macht sich Vorwürfe …" Lucinda keucht vor Schmerz auf.

    „Du legst dich sofort hin."

    Für den Rest des Tages liegt Lucinda erstmals seit ihrer Erkrankung im Bett, mit krankem Körper und kranker Seele. Sie kann es nicht länger verheimlichen, ist nur noch müde und hält die Schmerzen fast nicht mehr aus. Corazon telefoniert den halben Nachmittag mit dem Krankenhaus, um eine bessere Schmerzversorgung zu erreichen.

    Lucinda ist zum ersten Mal froh, dass sie bald sterben darf.

    Am nächsten Tag soll Pablo zurückkommen.

    „Du musst es ihm sagen", wiederholt Corazon zum dritten Mal am Abend ihre Aufforderung.

    Lucinda antwortet nicht, starrt an die Decke und scheint sie nicht wahrzunehmen. Sind die neuen Schmerzpflaster zu stark?

    „Sonst werde ich es ihm sagen." So schnell gibt Corazon nicht auf. Sie ist immer die engste Freundin ihrer Schwester gewesen, sie haben über alles gesprochen – Männer, Kinder, Familienmitglieder. Das wird sich auch jetzt nicht ändern, da ist sich Corazon sicher. Sie ist immer die Stärkere gewesen und das muss sie auch jetzt sein.

    „Gut. Mach du es." Nur der Hauch einer Stimme.

    Roch das Zimmer schon nach Arznei und Tod? Corazon drängt den Eindruck zurück. „Bist du dir sicher? Ich? Ausgerechnet ich soll es ihm sagen?"

    „Ja." Leise. Kaum noch hörbar.

    Am nächsten Vormittag dröhnt ein lautes „Hallo, Schatz. Ich bin zurück!" von der Eingangstür der Wohnung in der Rosa-Luxemburg-Straße.

    Doch nicht Lucinda, sondern Corazon begrüßt den müden Heimkehrer. Mit einem Kopfnicken. Sie haben sich nie gemocht.

    „Was ist mit Lucinda? Geht es ihr nicht gut?" Pablo versucht, an Corazon vorbeizukommen, doch sie tritt ihm in den Weg.

    „Nein, es geht ihr nicht gut."

    „Liegt sie im Bett?"

    „Ja."

    Pablo sagt nichts, legt seine Reisetasche achtlos ab und setzt sich ächzend in einen Sessel des Wohnzimmers. Mit seiner Körperfülle nimmt er den ganzen Sessel ein. Ist er noch korpulenter geworden? Corazon setzt sich in den anderen Sessel und sieht ihn prüfend an. „Hast du wirklich nichts gemerkt? Das kann ich nicht glauben."

    „Was ist mit Lucinda?", flüstert Pablo. Seine rechte Hand zittert, als er sich durch das ungepflegte Haar fährt.

    „Sie wird sterben." Eigentlich wollte Corazon es ihm schonender beibringen. Doch ihr Schwager hat sie schon immer abgestoßen. Ein Faulpelz, ein Feigling, ein Nichtsnutz. Sie hat nie verstanden, was ihre früher wunderschöne Schwester ausgerechnet an diesem Mann gefunden hat. Lucinda hätte jeden Mann haben können. Dann ist sie tatsächlich bei diesem Pablo geblieben. Corazon hat das nie verstanden.

    Der Satz trifft Pablo bis ins Mark. Er sieht Corazon an wie ein tödlich verwundetes Tier. „Sterben?, wiederholt er langsam. „Oh, Gott. Sterben? Die arme Lucinda. Nein. Wirr, aber verständlich. „Warum?"

    Der Zorn über seine Begriffsstutzigkeit überdeckt das Mitleid, das Corazon gerade mit ihm empfindet. „Sie hat Krebs. Es wird nicht mehr lange dauern. Du kommst etwas spät mit deinem Mitgefühl."

    Pablo verdeckt langsam mit seinen zitternden beiden Händen sein Gesicht und beugt sich vor. Corazon befürchtet schon, viel zu hart mit ihm umgegangen zu sein, doch er fragt nur mit seiner tiefen, leisen Stimme: „Wie viel Zeit bleibt ihr noch?"

    „Nicht mehr lange. Vielleicht Weihnachten. Das weiß niemand."

    Pablo fühlt sich wie betäubt und schweigt. Dann nimmt er seine Hände von seinem Gesicht und sieht Corazon an. „Es tut mir so leid."

    „Das solltest du deiner Frau sagen und nicht mir."

    „Das kann ich nicht."

    „Bitte?"

    „Ich kann nicht mehr."

    War es dieses Bekenntnis? Die Wut von Corazon schmilzt wie Schnee in der Sonne. Sie steht auf, kniet sich vor ihn hin und nimmt ihn in den Arm, fängt an zu weinen und schluchzt: „Wir bewältigen das zusammen. Ich verspreche es dir." Sie umarmt ihn noch fester und spürt, wie auch er anfängt zu schluchzen. Er fällt ebenfalls auf seine Knie und kann nicht mehr aufhören, seine neue Trauer ausbrechen zu lassen.

    Nach einer langen Zeit meint er leise: „Ich dachte, ich hätte schon das Schlimmste erlebt. Ich habe mich geirrt."

    Corazon schüttelt den Kopf und nimmt sein Gesicht in ihre Hände. „Du musst jetzt stark sein. Für euch beide. Lucinda braucht dich jetzt, ich weiß das."

    Mühsam steht er auf, kommt kaum hoch. „Ich gehe jetzt zu ihr", meint er mehr zu sich selbst als zu Corazon. Er schlurft zur Schlafzimmertür – ein alter Mann, gebrochen, vernichtet. Corazon hört ihn im Schlafzimmer lauter weinen als Lucinda.

    Am Abend fragt sie ihre Schwester: „Was ist mit Kimmi?"

    „Sie will nichts mehr mit uns zu tun haben."

    „Sie macht euch immer noch für das Verschwinden von Zaide und Rana verantwortlich?"

    „Sie … spricht nicht mehr mit uns."

    „Ihr müsst miteinander ins Reine kommen."

    „Es ist zu spät. Ich bin zu schwach."

    „Ich nicht. Arbeitet Kimmi noch in diesem Krankenhaus?"

    Lucinda nickt langsam und schließt erschöpft ihre Augen. Es ist zu spät. Die Worte klingen in Lucinda nach. Sie hat keine Tränen mehr. Corazon tut es in der Seele weh, sie so daliegen zu sehen. Resigniert. Apathisch. Es macht Corazon Angst, ihre Schwester so zu sehen. Wie lange wird sie noch durchhalten?

    Als Corazon ihre Nichte im Krankenhaus erreicht, bricht ihre Wut wieder durch. Sie lässt Kimmi erst gar nicht ausreden. „Wenn du deine Familie hasst, ist das deine Sache. Wenn du die Liebe deiner Eltern in den Abfall wirfst, bist und bleibst du einfach eine Närrin. Aber wenn du deine Mutter jetzt, wo sie stirbt, allein lässt, dann brichst du ihr das Herz. Mit der Schuld wirst du leben müssen. Für immer. Rückfragen lässt Corazon erst gar nicht zu. „Und du kannst gleich einen Arzt mitbringen. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Die Schmerzpflaster helfen auch in dieser höchsten Dosierung überhaupt nicht. Dann dreht sie sich um, lässt Kimmi stehen und kehrt so schnell sie kann zu Lucinda zurück.

    Eine Stunde später klingelt Kimmi zusammen mit einer älteren Frau in der elterlichen Wohnung an. „Wie geht es ihr?", fragt sie ihre Tante mit verweinten Augen.

    „Sag du es mir", faucht Corazon sie an.

    Die Frau geht an ihnen vorbei ins Schlafzimmer, untersucht Lucinda und verabreicht ihr eine Spritze. Lucinda wacht nicht mehr auf.

    Corazon sieht die Frau an, die ihr bedeutet, aus dem Raum zu kommen. Pablo steht von seinem Stuhl auf und nimmt Kimmi in den Arm, beide weinen im Elternschlafzimmer.

    Vor der Tür sagt die Ärztin leise zu Corazon: „Ich bin froh, dass Sie mich gerufen haben. Ich glaube, die Zeit ist gekommen. Sie müssen Abschied nehmen."

    „Jetzt? So schnell? Es hieß …", protestiert Corazon.

    „Es ist eine Wende eingetreten. Ich habe die Krankenakte eingesehen. Manchmal schreitet das Organversagen schneller fort. Es tut mir sehr leid. Bleiben Sie bei Ihrer Schwester." Sie packt ihren Arztkoffer zusammen und verabschiedet sich leise.

    Corazons Kehle brennt, schnürt sich zusammen. Sie muss jetzt stark sein, redet sie sich ein. Sie geht ins Schlafzimmer, Kimmi und Pablo liegen sich immer noch schluchzend in den Armen. Beide schauen Corazon an, die langsam den Kopf schüttelt. Beide nehmen sich wieder in den Arm und weinen noch mehr.

    „Kommt in die Küche, ich habe einen Kaffee gekocht, wir sollten Lucinda jetzt nicht stören. Wir wechseln uns ab. Ich bleibe jetzt bei ihr." Kimmi und Pablo gehen stumm aus dem Schlafzimmer.

    Sie wechseln sich weiter ab. Immer wieder ist einer von ihnen bei Lucinda. Unter der Bettdecke, die so unbeteiligt über Lucinda ausgebreitet ist, wirkt sie geschrumpft und verloren. Die Knochen in ihrem Gesicht treten immer mehr heraus. Auf dem Nachttisch neben ihr türmen sich Tablettenschachteln und Fläschchen, inzwischen Lucindas einzige verbliebene Nahrungsmittel.

    Es ist kurz vor Mitternacht. Pablo beugt sich über Lucinda und streichelt ihr sanft über den Kopf. Lucinda öffnet ihre Augen nicht, lächelt aber.

    „Bist du wach, meine Schönste?", flüstert Pablo.

    „Ist schon Weihnachten?", fragt Lucinda leise und öffnet nun doch mühsam ihre Augen.

    „Ja, lügt Pablo, „frohe Weihnachten!

    Lucinda nickt ihm zu, liebevoll, antwortet aber nicht.

    „Ich hole Kimmi und Corazon. Sie wollen dir auch frohe Weihnachten wünschen", stammelt Pablo.

    „Kimmi?" Jetzt antwortet sie doch.

    Pablo sagt nichts und läuft schneller, als er je gelaufen ist, zur Küche. Kimmi setzt sich aufs Bett und lehnt sich über ihre Mutter. „Ich bin da, Mama. Ich bin da."

    Lucinda runzelt leicht die Stirn, erkennt sie dann und lächelt.

    „Du musst mir etwas versprechen, Kimmi."

    „Ja?"

    „Gib deinen Vater nicht auf. Hilf ihm."

    Kimmi will nicht weinen und tut es trotzdem. „Ich verspreche es, Mama."

    „Danke. Lucinda blickt zur Decke, hinter Kimmi scheint sie etwas zu erkennen. „Zaide? Rana? Alle drei sehen sich um, können aber nichts sehen.

    Lucinda lächelt, drückt kurz die Hand, die Pablo kniend vor ihrem Bett hält. Dann lockert sich ihr Griff. Die Augen schließen sich, ihr Gesicht fällt nach rechts.

    Weinend legt Pablo seinen Kopf auf ihre Brust.

    1. Gaius Marius

    In Rom, im Januar 104 v. Chr.

    Die römischen Götter schauten besorgt auf ihre Hauptstadt. Der inzwischen mächtigste Stadtstaat der Welt, Rom, befand sich wirklich in einem bemitleidenswerten Zustand.

    Die ganze Stadt?

    Nein, aber fast alle ihre Einwohner.

    Eine Krankheit? Ein Feind?

    Nein. Nahezu alle Römer und Römerinnen waren verkatert. Symptome wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Übelkeit, Magen- und Muskelschmerzen oder depressive Verstimmungen quälten die ganze Bevölkerung. Die römischen Heiler hatten viel zu tun, die wenigen griechischen Ärzte der römischen Oberschicht waren noch mehr beschäftigt. Der Reichtum der Nobilität forderte seinen Tribut. Orgien konnten auch anstrengend sein.

    Was war mit Rom geschehen?

    Gestern noch war die Stadt in Hochform gewesen. Gestern, am ersten Tag des Jahres, war Gaius Marius, dem Bauernsohn aus Arpinum, der Triumphzug vom römischen Senat gewährt worden. Ein umjubelter Empfang. „Das Schwert Roms" – der Ehrentitel war ihm vom römischen Senat verliehen worden.

    Ganz Rom war auf den Beinen gewesen, in allen Straßen und Gassen hatte die Bevölkerung gefeiert. Ein Umzug mit allen Truppenteilen der siegreichen Legionen, mit Musik, vor allem mit dem Wagen des Feldherrn und Triumphators, der den gefesselten König Jugurtha von Numidien hinter sich herzog – wie eine Ziege an einem Seil befestigt. Für jeden Römer ein erhebender Anblick. Der Staatsfeind Nummer eins – hilflos, besiegt und gefesselt.

    Und das Ausmaß der Beute aus Nordafrika, die der Feldherr Gaius Marius dem Senat übergeben hatte, war unglaublich. Gold, Silber, Münzen in einem Ausmaß, das Rom nicht für möglich gehalten hatte.

    Irgendwo waren Gold und Silber mühsam ausgegraben worden, jetzt wurde beides mühsam in Rom wieder eingelagert. Für außerirdische Betrachter sicherlich ein recht obskures Verfahren.

    Mehr als sieben Jahre hatte der Krieg in Afrika gedauert. Eine weitere Belastungsprobe für den mächtigsten Stadtstaat der Welt. Ein weiteres Beispiel dafür, wie die römische Nobilität mehr und mehr versagte. Korruption, Unfähigkeit, Desinteresse am Wohl des Staates waren noch offensichtlicher geworden. Dem in einer purpurnen Toga gekleideten Feldherrn und Sieger von Afrika galt daher die Dankbarkeit Roms. Ein Mann des Volkes ohne besondere Bildung, Erziehung oder Familienvermögen hatte die Stadt gerettet. Das war eine Geschichte, die das Volk von Rom liebte.

    Der Jubel der Bevölkerung war echt, die Dankbarkeit wurde tatsächlich tief empfunden.

    Die römische Aristokratie war nicht ganz so begeistert. Doch die von Gaius Marius dem Senat überbrachte Beute, die riesigen Mengen an Gold und Silber, viele Wagenladungen voll, versöhnte die Senatoren. Zumindest den größten Teil von ihnen. Gaius Marius hatte nur vergleichsweise wenig für sich behalten, und dann nur, um seine Legionäre fürstlich zu entlohnen. Er war schon vorher einer der reichsten Bürger Roms geworden, weil er viele Besitztümer, vor allem ergiebige Minen, in Iberien besaß. Langjähriger Militärdienst in höchsten Positionen zahlte sich aus.

    Rom war mit sich zufrieden – endlich wieder.

    Für die Bürger der Stadt bedeutete der Triumph neben dem festlichen Umzug noch viel mehr: freier Alkoholausschank, freie Speisen, freier Eintritt in die Thermen und Bäder, in die Theater und Tempel und … freie Bordellbesuche. Vor allem der ausgiebige Genuss der vielfältigen alkoholischen Getränke und die Vergnügungen mit den inzwischen unzähligen Dirnen aus aller Welt hatten ihre Folgen.

    Für Gaius Marius bedeutete der Triumph den Abschluss seiner Karriere. Sieben Jahre Kriegsführung, sieben Jahre Herumärgern mit korrupten oder völlig unfähigen Senatoren, noch mehr Jahre Konflikte mit der römischen Nobilität, das genügte für seinen Geschmack. Er war fertig mit Rom, mit dem römischen Senat und der römischen Politik. Er hatte es vor drei Jahren bis zum Konsul gebracht, mehr Karriere war nicht möglich.

    Gaius Marius fühlte sich frei, frei wie ein Vogel. So bald wie möglich wollte er nach Iberien zurückkehren, nach Oleastrum, nicht weit von der römischen Provinzhauptstadt Tarraco entfernt, wo er große Ländereien besaß.

    Doch war er glücklich?

    Vielleicht war Gaius Marius zumindest am Tag nach dem Triumph der einzige Römer gewesen, der nüchtern geblieben war. Er hatte am Vortag nicht einmal viel gegessen und keinen Alkohol zu sich genommen. Trotz des Lärms aus der Stadt war er in seiner Villa oben auf dem Aventin, neben dem Tempel der Mondgöttin Luna, schon bald in tiefen Schlaf gefallen. Es war ein anstrengender Tag gewesen.

    Sein langjähriger Adjutant, Sixtus Selentius, hatte ihn wie immer vor Sonnenaufgang geweckt. Eigentlich wurde Gaius Marius regelmäßig von selbst wach, wenn das erste Licht am Himmel auftauchte, doch jetzt, im Winter und in einer Zeit ohne besondere Herausforderungen, konnte er durchaus schon einmal verschlafen. Er war jetzt über fünfzig Jahre alt, vielleicht brauchte er langsam seine Ruhe.

    „Es ist kalt und windig, Herr. Schlechtes Wetter."

    Gaius Marius kannte Sixtus Selentius von Kindheit an. Ein Kind von einem seit Generationen befreundeten Nachbarbauernhof in Arpinum. Stets skeptisch, stets schlecht gelaunt, stets überzeugter Pessimist. Vielleicht schätzte Gaius Marius ihn deshalb so sehr. Pessimisten wie Sixtus Selentius warnten stets vor dem Untergang der Welt. Optimisten führten ihn herbei.

    „Ich höre das Rauschen in den Bäumen gern, Sixtus."

    „Wahrscheinlich zieht ein Sturm auf, Herr. Hoffentlich halten die Ziegel."

    „Ich möchte trotzdem draußen frühstücken. Den Blick hinunter auf Rom genießen."

    „Und dann zu König Jugurtha, wie geplant, Herr?"

    „Ja, lass Hilarius Bescheid geben." Der Legat Hilarius Vipsanius, Kommandant der vierten Legion Latium, hatte für seine ausgezeichneten Dienste die Ehre der Bewachung des Erzfeinds Roms aufgetragen bekommen. Auch ihn kannte Gaius Marius schon sein halbes Leben lang und hatte ihm seine beste Legion im Krieg gegen Jugurtha anvertraut.

    Bis zum Staatsgefängnis, dem Tullianum, auf dem Forum Romanum war es nicht weit. Trotzdem würde Hilarius eine Eskorte entsenden. Rom war nicht mehr sicher in diesen Tagen. Fast dreihunderttausend Menschen wohnten in der Stadt oder in der Nähe von Rom. Die Konflikte zwischen den Popularen, den Vertretern der (gehobenen) Mittelschicht, und den Optimaten, den Anhängern des konservativen Adels, waren in den vergangenen Jahren bereits in Gewalt ausgeartet. Rom war beileibe keine friedliche Idylle.

    Als Gaius Marius endlich die vielen Treppen des Gefängnisses zurückgelegt hatte und das unterste Verlies des Staatsgefängnisses betrat, kam ihm bereits der Geruch des Todes entgegen. Fackeln brannten, Jugurtha war mit beiden Füßen an die Wand gekettet, ein halbes Ohr fehlte ihm. Als die römischen Henkersknechte ihm den Schmuck geraubt hatten, den er noch während des Triumphzugs hatte tragen dürfen, waren sie anscheinend nicht sehr rücksichtsvoll mit ihm umgegangen. Gaius Marius konnte das gut nachvollziehen.

    „Ah, der große Sieger kommt noch einmal selbst vorbei. ‚Das Schwert Roms persönlich. Welch’ eine Ehre, murmelte der vormalige stolze numidische König, stand mühsam auf und blinzelte in die Fackel, die Gaius Marius in seiner rechten Hand hielt.

    „Ich hätte auf diese Ehre gern verzichtet. Aber Ihr habt gestern um eine letzte Unterredung gebeten und einem Sterbenden verweigere ich nicht seinen letzten Wunsch. Was wollt Ihr von mir?"

    „Ihr macht gar keinen so glücklichen Eindruck, großer Sieger!" Jugurtha musste husten, stand aber aufrecht, mit diesem typischen spöttischen Blick, der nur von seinen verquollenen Augen verschleiert wurde. Der früher so schlanke Mann war inzwischen deutlich übergewichtig geworden. Seine helle Haut hing fahl herunter. Sein Schmerbauch war nicht mehr prall gefüllt.

    „Nach meinem Eindruck geht es mir im Vergleich zu Euch recht gut, mein König", brummte Gaius Marius. Anders als Jugurtha war Gaius Marius durchtrainiert, verbrachte jeden Tag mit Schwertkampfübungen, mit Übungsläufen und langen Ausritten.

    Ein gehustetes Lachen war die Antwort. „Ich werde nicht mehr lange leben, nicht wahr? Vielleicht wird es dann ja wieder besser."

    „Ich bin nicht der richtige Gesprächspartner, um über das Leben nach dem Tod zu diskutieren. Aber ich kann einen Priester holen lassen."

    Jugurtha ging nicht darauf ein. Er sah Gaius Marius weiter eindringlich an. „Ja, das ist des Menschen Los. Eines Tages verliert man immer das, was man so sehr liebt. Ich habe mein Leben geliebt."

    „Gut. Gaius Marius wandte sich zum Gehen um. „Dann hat es sich ja für Euch gelohnt.

    „Und hat es das für Euch? War es das Leben, was Ihr Euch gewünscht habt? Was habt Ihr geliebt?"

    Gaius Marius blieb stehen.

    „Oder sollte ich besser fragen: Wen habt Ihr geliebt?"

    Gaius Marius sah ihn nicht an, stand aber immer noch vor der Treppe, die in die oberen Stockwerke führte. „Was soll der Unsinn?"

    „Ihr würdet mich nicht freilassen, wenn ich Euch weiteres Gold anbieten würde, nicht wahr?"

    Jetzt drehte sich Gaius Marius zu ihm um und betrachtete Jugurtha wieder genauer. „Ihr glaubt wirklich, Ihr könntet freigelassen werden? Nach dem Massaker in Cirta, das Ihr veranlasst habt? Nach Euren Bestechungen amtierender römischer Konsuln und Legaten? Nach sieben Jahren Krieg mit Rom?"

    „Vielleicht um der alten Zeiten willen. Wir haben vor Numantia zusammen gekämpft. Ohne mich hätte Rom die Iberer nicht geschlagen."

    „Ohne Scipio hätte Rom die Iberer nicht geschlagen. Schon damals haben uns Numider verraten."

    „Ich habe Euch damals gerettet. Aber wahrscheinlich habt Ihr alles vergessen. Es ist lange her. So viele Schlachten. Glücklich das römische Reich, das so viele Helden hat!"

    „Nein, glücklich das Reich, das keine Helden nötig hat!"

    Jugurtha lachte auf. „Ihr seid ein Philosoph geworden."

    „Nur einer, der zu lange gedient hat." Wieder wandte sich Gaius Marius um. Jugurtha hat recht. Es waren fast dreißig Jahre vergangen. Viel Zeit. Und er wollte gerade von dieser Zeit nichts mehr hören. Es tat weh. Immer noch. Er sah sie immer noch vor sich. Jeden Tag. Ihr Gesicht. Ihre Augen. Goldgesprenkelt. Er roch immer noch ihren herben Duft nach Limonen.

    „Ihr habt nie geheiratet, nicht wahr?"

    Gaius Marius lachte auf und sah noch einmal zurück. „Ihr wollt mir eine Frau anbieten?"

    „Mögt Ihr keine Frauen mehr?"

    Ein Kopfschütteln war die Antwort. Gaius Marius nahm bereits die erste Treppenstufe nach oben.

    „Was war mit Julia?"

    Gaius Marius blieb auf der Stufe stehen, erstarrte kurz. „Nehmt ihren Namen nicht in Euren dreckigen Mund. Was wisst Ihr von Julia?"

    „Ich weiß alles. Von Abbala."

    „Wie schön für Euch."

    „Was ist mein Wissen wert?"

    Du darfst mich nicht suchen – das war ihr letzter Wunsch gewesen, vor ihrem Tod. Sie würde wiedergeboren werden, das hatte sie ihm in der Zwischenwelt (oder in einem Traum?) versprochen. Aber er dürfe sie nie suchen. Die Götter würden sie wieder zusammenführen, aber nur die Götter. Nicht Gaius Marius. Er hatte sich stets daran gehalten, so schwer es ihm gefallen war. „Nichts." Er ging weiter.

    „Bitte, geht nicht! Ich brauche Wasser, etwas zu essen. Lasst mich hier nicht so zurück!"

    Jugurthas Schreie verhallten hinter Gaius Marius, der unbeeindruckt weiterging.

    „Ich weiß, wo Abbala ist!" Ein verzweifelter Schrei Jugurthas.

    „Lebt sie noch?" Gaius Marius blieb im Erdgeschoss des Gefängnisses stehen und rief nach unten.

    „Ihr wisst es nicht, großer Feldherr? Abbala ist unsterblich."

    „Blödsinn."

    „Schaut doch selbst nach. Sie lebt im Königreich Bithynien, nahe der Stadt Nicomedia … mit Nyssa, der Tochter von König Nikomedes. Als Erzieherin. Ich weiß es. Ihr werdet sie dort finden. Unverändert. Ich schwöre es."

    Abbala. Die junge karthagische Priesterin, die ihn in die Zwischenwelt geführt hatte, um ein letztes Mal Julia sehen zu können. Abbala. Er hatte sie fast vergessen. Abbala. Das wäre eine Möglichkeit. Ohne Julia direkt zu suchen.

    Gaius Marius wandte sich an Sixtus Selentius, der oben wartete. „Lass ihm Wasser und Brot bringen. Morgen wird er erdrosselt, wie es der Senat befohlen hat. Wir treffen uns bei Konsul Rufus Rutilius. Er besitzt die schnellsten Schiffe im Hafen in Ostia." Abbala. Jugurtha hat recht. Wenn mir jemand helfen kann, dann ist es Abbala. Diese eigenartige, verrückte Karthagerin. Vielleich lebt sie wirklich noch.

    2. Häuptling Boiorix

    Im Winterlager nahe Arausio, zur gleichen Zeit

    Die Schlacht gegen die Römer hatte mit einer vernichtenden Niederlage der römischen Streitkräfte geendet. Vier römische Legionen, unter dem Befehl eines amtierenden römischen Konsuls und eines römischen Prokonsuls waren niedergemacht worden, zusätzlich die gleiche Zahl von römischen Verbündeten aus Gallien und Illyrien.

    Die Beute war gewaltig. Der Tross der Römer war vollständig in Gefangenschaft geführt worden. Waffenschmiede, Pferdezüchter, Heiler, Frauen. Dazu Gold und Silber. Ein weiterer ungeheurer Sieg.

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