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Menesis: Der Niedergang
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eBook325 Seiten4 Stunden

Menesis: Der Niedergang

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Über dieses E-Book

Ihr Leben hatte gerettet werden können, aber was war es, das Cassandras Existenz so wichtig gemacht hat? Nach ihrem Wiedererwachen führt die junge Frau ihr Weg zurück in eine wohlbekannte Berghütte. Diese dient, neu aufgebaut, nun aber nicht mehr dem Schutz, denn ehemalige Feinde sind zu Verbündeten geworden. Verbündete im Kampf um die Erinnerungen Cassandras, welche sich nicht an ihr Leben als Menesis erinnern kann und sich dadurch nicht darüber im Klaren ist, welche Rolle sie in dem Ringen um das Schicksal der Menschheit einnimmt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Nov. 2019
ISBN9783749759736
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    Buchvorschau

    Menesis - Joan Willy Tiedeks

    Kapitel 1

    Eigentlich war es einer der schönsten Parks der gesamten Stadt. Der Kaiserpark wurde ursprünglich von Imperatoren der Menschen zu ihrer eigenen Lobpreisung angelegt. Im Größenwahn ihrer Nachfolger war er immer weiter ausgebaut worden, um schließlich zu einem Ort dekadenter Arroganz zu werden, der in seinem Überschwang sich selbst durch seine Pracht so verblendete, dass es schon nicht mehr erträglich war. Auf gemeinsamem Boden der unterschiedlichen Spezies, eigentlich als Symbol der Freundschaft oder zumindest des politischen Friedens gedacht, letztlich zu einem Schlag ins Gesicht für alles, was nicht Mensch war, geworden. Dann, unter den Friedenskaisern, bekam er sein letztliches Antlitz als Ort der Begegnung, des Verständnisses der Spezies füreinander und als Ort des wahren Friedens und wurde zurückgebaut. Doch nach dem Tod der Kaiser, als die Republik ausgerufen wurde, ging eine kleine, erst nicht wahrnehmbare, dann sich aber regelrecht aufzwingende Veränderung mit dem Park vor sich, der ihm dem Beinamen „Park der Geister" einbrachte. Ein Name, der erst einmal mystischer klang, als es gemeint war; denn im Grunde wussten alle, die regelmäßig dort hinkamen, was dort vor sich ging. Wenn scheinbar aus dem Nichts Steinchen auf einen flogen, wenn Bäume unvermittelt haufenweise Blätter auf Passanten entluden, wenn sich Unbelebtes bewegte und einem einen Schrecken einjagte, der einen leicht das Gleichgewicht verlieren ließ. Wenn Dinge geschahen, die man als mal mehr, mal weniger grobe Streiche hatte bezeichnen können. Doch dann kam der eine Tag, der nicht ganz so ablief, wie all die anderen vor ihm. Natürlich. Nicht jeder Passant nahm die Streiche, die ihnen gespielt wurden, gleich gelassen auf. Aber bisher gingen für den Störer der örtlichen Ruhe nie irgendwelche Konsequenzen, die über Beschimpfungen hinausgingen, aus diesen Handlungen hervor. An jenem Tag begann alles wie immer. Steinchen, die aus dem Nichts zu kommen schienen und zielsicher trafen. Als das Ziel nur mit missbilligendem Knurren reagierte, fühlte sich der Urheber angespornt und aus den Steinchen wurden Steine. Schließlich knurrte der Getroffene laut auf. Mit wütender Grimasse wandte sich der Epheoried in die Richtung, aus welcher er gepeinigt worden war. Vom Schrecken darüber in seinem Versteck zurückprallend, sah der Schütze, als er über den ersten Schrecken hinweg war, zu, das Weite zu suchen. Doch zu spät. Der Epheoried war schnell heran und hatte den Störenfried mit einem gezielten Griff in das Gebüsch schon am Genick gepackt, um ihn sich selber vors Gesicht zuhalten.

    „Mag sein, dass du es nicht auf mich abgesehen hattest, weil ich Epheoried bin. Es mag auch sein, dass meinesgleichen angehalten ist, mit euch Menschen im Besonderen rücksichtsvoll umzugehen. Ich bin mir auch im Klaren darüber, dass du noch ein kleines Kind bist, aber was genug ist, ist genug. Es wird Zeit, dass du deine eigene Medizin zu spüren bekommst!"

    Womit er dem Jungen mit der flachen Hand so hart in das Gesicht schlug, dass dieser mehrere Meter über den Kies schlitterte. Jedes Mal, wenn sich der Junge versuchte zu erheben, wiederholte sich das grausame Spiel auf ein Neues. Das am Boden liegende Kind mit einer höhnisch überlegenen Grimasse taxierend, war der Epheoried kurz abgelenkt durch ein Geräusch in einem gegenüberliegenden Gebüsch und hatte den Jungen schließlich aus den Augen verloren. Der Wutentbrannte knurrte kurz wütend auf, ehe er mit seinen überlegenen Sinnen die Spur aufnahm. Zielsicher strebte er das Gebüsch, in welchem der Junge verborgen war, an. Das Kind wähnte sich bereits in eine neuerliche Attacke verwickelt, als der Schatten, welcher ihn zuvor in Sicherheit gezogen hatte, an ihm vorbeihuschte und die volle Aufmerksamkeit des Epheorieden auf sich zog. Der Junge zitterte am ganzen Leib und war nicht fähig, sich aufzurichten, so dass er mit der in jener Situation größtmöglichen Erleichterung wahrnahm, wie sich die Geräuschkulisse, gebildet durch Zornes- und Kampfeslaute, immer weiter entfernte, bis nichts mehr als die Geräusche des Parks um ihn herum zu hören waren. So war es nicht weiter verwunderlich, als sich der Schatten in völliger Lautlosigkeit zu ihm zurückgesellt hatte und dem Jungen nun in sein Ohr flüsterte.

    „Schnell! Jetzt ist er abgelenkt. Aber versprich mir, so etwas nie wieder zu machen!"

    Noch immer regungslos vom neuerlichen Schrecken über die Rückkehr des Schattens, der sich als kleines Mädchen entpuppte, verharrend, zog sie dem Verängstigten am Arm, denn nun gingen kostbare Augenblicke verloren. Schließlich konnte auch der Epheoried jederzeit zu seinem Ausgangspunkt zurückkehren, um erneut Fährte aufzunehmen.

    „Schnell! Ehe er sich wieder für dich interessiert!"

    Womit der Junge sich unter ihrem Ziehen aufrichtete und immer noch völlig unter Schock stehend davonlief. Noch einen kurzen Blick über die Schulter nach seinem potentiellen Häscher Ausschau haltend, war weder von diesem noch von dem Mädchen etwas zu sehen. Doch als der Junge den Rand des Parks erreicht hatte und diesen schließlich verlassen konnte, drang das wütende Gebrüll eines Epheorieden, welcher sich um seine Beute betrogen sah, an seine Ohren, woraus der Junge schloss, dass auch das Mädchen entkommen war und er sich so um seine Genugtuung auf ganzer Linie betrogen sah.

    Etliche Jahre Später…

    Es war früher Morgen. Nebel lag in dichten Schwaden in den Straßen und Gassen der Stadt. Die Temperaturen waren nur knapp über dem Gefrierpunkt und der eigene Atem verwandelte sich in weiße Wölkchen, welche in der unbewegten Morgenluft schnurgerade Richtung Himmel aufstiegen.

    Einer von tausend Menschen. Das war die Wahrscheinlichkeit unter jenen zu sein, die jährlich für das Programm ausgewählt wurden. Etwa fünfzig neue Rekruten hatten sich vor dem Haupttor zum äußeren Regierungsbezirk an jenem frühen Morgen versammelt und warteten nun darauf, was als nächstes geschehen mochte. Zu den wenigen Auserwählten für die Ausbildung zum Mitglied der gemischten Friedensarmee von Menschen und Epheorieden zu gehören, war kein Garant, auch später ein Mitglied selbiger zu werden.

    „Renat?"

    Wie durch Watte drang der Name an die Ohren des mittelgroßen Mannes von drahtiger Statur, mit braunem Haar und stahlblauen Augen. War es nicht sein eigener?

    „Renat?!"

    „Ja! Was ist denn? Musst du das „a so betonen, Diego?

    Der Angesprochene hatte alten Erinnerungen nachgehangen. Nun war er aus seiner Starre erwacht und maulte sein Gegenüber an, der nicht wusste, ob er belustigt oder beleidigt sein sollte.

    „Wenn du nicht reagierst, habe ich wohl kaum eine andere Wahl oder?"

    „Was wolltest du denn?"

    „Ein wenig Smalltalk halten, nett plaudern, um die Wartezeit zu überbrücken!"

    „Ernsthaft? Du weißt aber schon, dass der Morgen nicht unbedingt mein Freund ist?"

    „Ach komm schon! Ich meine, solltest du wenigstens nicht heute Morgen etwas besser gelaunt sein? Unser halbes Leben lang haben wir auf diesen Tag hingearbeitet, und nun schau uns an, wir haben es endlich geschafft und stehen hier. Jetzt kann es nur noch voran gehen!"

    „Wie du meinst."

    Wenig Interesse an dem begonnenen Gespräch zeigend machte sich ein eher gelangweilter bis genervter Ausdruck im Gesicht des Angesprochen breit. Wieder driftete Renat in seine eigenen Gedanken ab. Ja, es stimmte, obwohl auch nicht. Bei ihm war es sogar die längste Zeit seines Lebens, die er auf diesen Tag hingearbeitet hatte. Vielleicht hätte er sich wirklich mehr freuen sollen, aber er empfand einfach nichts. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er nüchtern genug war, um zu erkennen, dass dies im Grunde eigentlich nur der erste Schritt einer langen Reise war, die er nun beginnen würde, an deren Ende, wenn es zu seinen eigenen Gunsten ausfiele, nichts weiter als Genugtuung und Gerechtigkeit auf ihn warteten, oder vielmehr, das, was er selber dafür hielt. Dem jungen Mann war durchaus bewusst, dass es unter objektiven Gesichtspunkten durchaus andere Auslegungen seiner angestrebten Ziele gab, aber das alles hatte für ihn keinerlei Bedeutung mehr. Hatte es denn je für ihn eine Bedeutung gehabt? Wenn er ehrlich mit sich selber war, so konnte er dies nicht wirklich beantworten. Nun war aber all dies egal geworden. Ihn hatte man schließlich auch nicht gefragt, was er von den Ergebnissen der erstrebten Ziele anderer hielt, und wie ihm die Auswirkungen auf sein eigenes Leben geschmeckt hatten. Für Renat gab es nur noch eine Richtung: Vorwärts, Richtung Ziel.

    Einsehend, dass jedweder neuerliche Versuch ein Gespräch beginnen zu wollen auf dasselbe Ergebnis hinausliefe, beließ es dann der Kamerad des Brünetten auch dabei und ließ ihm seine Ruhe.

    Es verging noch einige Zeit. Und obwohl der Nebel eher noch einmal an Dichte hinzu zu gewinnen schien und die Welt jenseits einer Sichtweite von fünfzig Metern in ein substanzloses, watteartiges Nichts tauchte, wurde es beständig heller. Schließlich wurden die Tore, vor welchen sie gewartet hatten, geöffnet und ein Epheoried, offensichtlich vom Volk der Luchse und ebenso offensichtlich von einem in Kämpfe verwickelten Leben gezeichnet, trat mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor die Gruppe. Er warf einen bedächtigen und musternden Blick in die Runde, welcher keinen Zweifel über seine Souveränität zuließ. Schließlich hob er mit einer kräftigen Stimme zu seiner Begrüßung an.

    „Ich freue mich, auch in diesem Jahr eine so zahlreiche Schar von Rekruten begrüßen zu dürfen. Ganz gleich, was ihr erleben werdet und wie das Ergebnis eures Herkommens ausfallen wird. Betrachtet bereits den Umstand, dass ihr hierher eingeladen wurdet und heute Morgen hier stehen dürft, als Ehre. Ach ja, und noch etwas für diejenigen unter euch, denen diese Gepflogenheit unbekannt ist. Hier herrschen die für Epheorieden üblichen Umgangsformen. Wenn ihr diese nicht kennt, solltet ihr aufmerksam euer Umfeld beobachten und schnell lernen, um Irritationen zu vermeiden. Aber um euch eine Starthilfe zu geben. Eine dieser Besonderheiten ist, dass wir direkteren und persönlicheren Umgang pflegen. So wie ich euch nur beim Vornamen rufen werde, so bin ich auch für euch einfach nur Lynx! An der rotweißen Farbe meiner Uniform erkennt ihr mich als Ausbilder speziell für Menschen. An meinem weißen Umhang meinen Offiziersstatus. Die rotweiße Farbe wird als ehrende Erinnerung an den Friedenskaiser und die Friedenskaiserin getragen. Sie nicht zu ehren bedeutet das Vermächtnis der Friedenskaiser in den Dreck zu ziehen und wird als Verbrechen der Stufe drei geahndet. Alle Verbrechen der Stufen drei bis eins haben eine sofortige unehrenhafte Entlassung aus der Armee zur Folge sowie der Tat entsprechende weitere Strafen. Aber genug der lästigen Vorreden. Wenn ich jetzt alle hier Versammelten bitten darf, mir zu folgen!"

    Womit sich der Luchs wieder umwandte. Mit dem sich langsam in Bewegung setzende Grüppchen neuer Rekruten im Schlepptau machte er sich auf den Weg zu ihrem nächsten Bestimmungsort. Der all gegenwärtige Nebel ließ nicht zu, dass mehr als ein paar schemenhafte Gebäude sowie Büsche und Bäume wahrgenommen werden konnten. Dennoch hatten diese diffusen Schemen zumindest einen Rest an Orientierung gewährt. Bald schon aber war das watteartige Nichts allgegenwärtig und schien die gesamte Welt verschlungen zu haben. Der Weg, den sie zurückgelegt hatten, war nicht einmal besonders lang, aber ohne Orientierung an einem fremden Ort, ohne zu wissen, wie lange und wohin man ging, ließ jeden Weg bedeutend länger erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Letztlich kamen sie irgendwo an. Die Hinteren bemerkten dies jedoch nur, da die Vorderen stehen blieben, so dass es ihnen alle Nachfolgenden gleichtaten. Eine andere Wahl blieb auch keinem. Nunmehr war kaum irgendetwas zu sehen und der Nebel hatte eine Qualität erreicht, die es erschienen ließ, als schluckte er sogar einiges von den Geräuschen der Umgebung. Schließlich waren irgendwo weiter vorne Schritte wie auf Holz zu hören. Einige unverständliche Worte wurden in der gleichen Richtung ausgetauscht. Dann vergingen einige Augenblicke, in denen nichts als Tritte im diffusen Nichts zur Rechten der kleinen Menschengruppe vernehmbar waren und selbst, wenn jedem unter rationalem Bedenken klar war, das keinerlei Bedrohung vorliegen konnte, so reichte das Szenario aus, um unter den Menschen nervöses Flüstern auszulösen. Dies zog sich bald als Anspannung durch die gesamte Gruppe. Der Höhepunkt des Szenarios wurde erreicht, als völlig ohne Vorwarnung die Schläge riesiger Flügel vernehmbar wurden und ein starker Wind aufzog. Ungewissheit und Orientierungslosigkeit nicht mehr aushaltend verlor schließlich der Erste der Neulinge die Nerven, fing an am ganzen Körper zu zittern und sank in die Knie zusammen. Von dem Anblick entsetzt, brachten die unmittelbare Nebenstehend nichts weiter zustande, als entgeistert zu dem Zusammengebrochenen zu starren und von diesem wieder weg in höchster Anspannung in die Umgebung zu blicken. Die Lage wurde sondiert und es wurde wieder zu dem Häufchen Elend zurückgeblickt. Nichts konnte sie dazu bewegen, sich zu rühren. Die Umherstehenden blieben wie festgewurzelt an ihren Plätzen. Letztlich war es Renat, der sich unbeeindruckt vom Szenario von seinem Standort löste. Alle sich in seinem Weg befindlichen schob er mit einer Leichtigkeit beiseite, welche man jemandem von seiner Statur nicht zugetraut hätte, und erbarmte sich dem auf die Knie Gesunkenen.

    „Hej, alles okay? Ist dir nicht gut? Kann ich dir helfen?"

    Der Angesprochene hörte augenblicklich zu zittern auf, verharrte einen Moment und hob schließlich lächelnd den Kopf. Beifallendes Klatschen wurde darauf in der Ferne laut, so dass Renat erst in die Richtung der neuerlichen Geräusche und dann wieder zu dem Mann vor sich sah. Zum Erstaunen des Brünetten lächelte ihn nun ein Epheoried vom Stamm der Raben an und die Stimme des Luchses wurde in der Ferne laut, während die gewaltigen Flügelschläge der Epheorieden unterschiedlicher Vogelstämme den Nebel vertrieben und sich alle in völlig freier Sicht wiederfanden. Hinter den dichten Schwaden war der Tag bereits sichtlich vorangekommen, so dass sich die Augen der Versammlung an die plötzliche Helligkeit gewöhnen mussten und einige ihre Sicht mit den Händen abschirmten.

    „Alle anwesenden neuen Rekruten können sich bei unserem Freund hier bedanken, dass sie den ersten Test bestanden haben!"

    Währenddessen hatte sich der Rabe gemeinsam mit Renat aufgerichtet und schüttelte diesem anerkennend die Hände.

    Das hast du wirklich gut gemacht!

    Seinerseits sah der junge Mann nur irritiert von seinem Gegenüber zum Luchs und wieder zurück. Schließlich aber stellte er genau die Frage, welche allen aus der Gruppe der Neulinge auf der Zunge brannte.

    „Was soll das heißen? Was hat das zu bedeuten?"

    Die Antwort kam auch prompt von dem Luchs an die ganze Gruppe gerichtet.

    „Dies war euer erster Test auf dem langen Weg eurer Ausbildung. Ein recht simpler, zugegeben. Dennoch an der Fehlerquote kein zu unterschätzender. Ihr alle wart an einem fremden Ort einer unklaren Situation ausgesetzt, und wenngleich ihr hattet annehmen können, dass für euch keinerlei Gefahr besteht, so kommt es doch vor, dass einige die Nerven in einer solchen Lage verlieren, wenn sie mutmaßen, dass einer ihrer Kameraden bereits unter der Situation eingeknickt ist. Unser Freund hier…"

    Womit Lynx auf Renat deutete.

    „… hat durch sein ruhiges, bestimmtes Handeln nicht nur die Stimmung in der Gruppe entspannt, er hat auch von sich gezeigt, dass er selber in der Lage ist, in einer Ausnahmesituation gelassen, sicher und kameradschaftlich zu handeln. Diese Art des Auftretens und Handelns solltet ihr euch alle aneignen, denn die Ausbildung kann nur bestehen, wer solche Eigenschaften vorweisen kann. Aber genug davon. Der Ort, an dem wir uns hier befinden, ist der Hauptexerzierplatz des äußeren Regierungsbezirkes. Ihr werdet häufig herkommen und wenn ihr euch einmal auf dem Gelände aus welchem Grund auch immer verlaufen solltet. Es ist ratsam hierher zu kommen, da ihr von hier aus am schnellsten zu allen euch hier zugänglichen Orten gelangen könnt. Nun aber genug der Vorrede. Die Frau, welche ihr gleich kennen lernen werdet, ist die oberste Befehlshaberin der Friedensarmee. Sie ist nicht Frau vieler Worte und ihr werdet sie in der ersten Zeit auch kaum zu Gesicht bekommen. Prägt sie euch also gut ein, damit es für euch nicht peinlich wird, wenn ihr ihr einmal zufällig über den Weg lauft."

    Womit der Luchs das Podium verließ. Nach Momenten der erwartungsvollen Stille trat ruhigen und festen Schrittes schließlich eine junge Frau, kaum älter, vielleicht sogar jünger als Renat oder irgendein anderer der Neulinge, auf das Podest. Lange dunkelblonde Haare, ruhige blaugraue Augen, ein ernster aber nicht unfreundlicher, vielleicht ein bisschen trauriger oder von den Erfahrungen eines nicht immer schönen Lebens gezeichneter Ausdruck lag auf ihren Zügen. Am für diesen Empfang aufgestellten Rednerpult angekommen, warf die junge Frau einen langen prüfenden Blick in die Runde, ehe sie schließlich die schon fast bedrohlich wirkende Stille durchbrach.

    „Guten Morgen. Ich begrüße alle hier Anwesenden und freue mich festzustellen, dass es, wenn meine Informationen stimmen, alle Neulinge dieses Jahres bis hier geschafft haben. Seit der Existenz der Friedensarmee ist dies erst das zweite Mal. Um nun aber die Unklarheit über meine Person beiseite zu schaffen: mein Name ist Destenia. Wie euch allen sicherlich bereits bekannt ist, gelten hier die Verhaltensnormen der Epheorieden. Der persönliche Umgang auch in so etwas scheinbar Banalem wie der Anrede ist besonders wichtig, da er die Kameradschaft stärkt. Wenn einer von euch sich dennoch unwohl dabei fühlt, einen Vorgesetzten mit Vornamen anzureden, so steht es euch frei, mich auch Kommandantin zu nennen. Wie ihr erkennen könnt, trage ich wie eure Ausbilder die rotweiße Paradeuniform unserer Armee. Der schwarze Umhang, welchen ich trage, weist mich darin aus, auch in einer leitenden Funktion in den Reihen der Epheorieden tätig zu sein. Wenn es zum jetzigen Zeitpunkt keine Fragen von eurer Seite gibt, dann verabschiede ich mich für den Moment und wünsche allen viel Erfolg in der Ausbildung."

    Noch einen schnellen Blick in die Runde werfend, wandte sich die Frau von der Gruppe ab und verließ den Platz auch schon wieder. Lynx, immer neben dem Podium stehend, richtete sich, ohne selbiges noch einmal zu besteigen, schließlich wieder an die Rekruten.

    „Wenn ihr mir dann folgen wollt. Wir werden euch nun registrieren, euch neu einkleiden und euch eure Unterkünfte zuweisen sowie euch mit dem Gelände vertraut machen."

    Womit er sich an die Spitze der kleinen Gruppe begab. Nun, bei freier Sicht und zu etwas vorgerückter Zeit, begann das Gelände um sie herum sich immer belebter zu präsentieren. Sowohl Lynx als auch Destenia hatten recht gehabt mit dem, was sie gesagt hatten. Nicht, dass es in Zweifel gestanden hätte, aber es war regelrecht spürbar. Nichts hier fühlte sich nach militärischer Einrichtung an. Nicht die Gebäude, nicht die Bepflanzungen, nicht der Umgang, der hier gepflegt wurde. Nichts. Man hatte eher den Eindruck, in einer eigenen kleinen Stadt zu sein. Selbst ihre Unterkünfte hatten keinerlei militärischen Charakter. Zweibettzimmer mit eigenem Badezimmer, kleinem Balkon, Wohnecke, Arbeitsecke und Kochnische. Bei dem Anblick wurde Renat schnell klar, warum es so begehrt war, Mitglied der Friedensarmee zu werden. Er hatte zwar schon zuvor einiges gehört, aber all das hatte ihn nicht interessiert. Nicht das privilegierte Leben, nicht die gute Bezahlung. Nichts von alledem hatte ihn gelockt. Er hatte seine eigenen persönlichen Gründe und auch darin war er wohl nicht der einzige. Jeder, der hierherkam, hatte seine eigene Geschichte.

    Kapitel 2

    So viel anders als Menschen waren Epheorieden eigentlich nicht, die Feststellung machte Renat jedenfalls für sich in der Zeit der Grundausbildung. So gut ihr Leben auch in der Zeit außerhalb des Dienstes war, so hart war die Zeit im Dienst. Grundsätzlich hatten sie aber unerwartet viel freie Zeit. Wer jedoch nicht schnell begriffen hatte, dass es das Klügste war, diese in das Eigenstudium von relevanten Informationen und dem Training des eigenen Körpers zu investieren, der schied schnell aus der Truppe aus. Zwischen Gewaltmärschen durch unwirkliche Landstriche bei Tag und Nacht war es nicht nur der Schlafentzug, die Belastung ihrer Körper und die stetige Ungewissheit, wann was als nächstes geschah. Auch, wenn es für jedes vernünftige Individuum logisch sein musste und es sich jeder von vornherein hatte denken können, so machte es die Erkenntnis, irgendwann als Mensch auf ein Kampfniveau kommen zu müssen, das sich mit Epheorieden messen kann, nicht leichter. Aber was hatten sie auch erwartet. Alles hat seinen Preis und natürlich auch ein Leben mit Vorzugstatus. Eine andere Sehensweise half auch nicht wirklich: Eigentlich, wenn man es ehrlich und objektiv besah, brauchten die Epheorieden keine Menschen. Egal von welchem Standpunkt aus man die Angelegenheit auch betrachtete. Es gab nichts, was irgendein Mensch der Friedensarmee beisteuern konnte, das nicht von Epheorieden erfüllt werden konnte. Bestenfalls die Menschenquote zu erfüllen, wenn man denn eine solche erwähnen wollte. Natürlich, ohne dass es diese wirklich gab. Überhaupt. Eine Armee Friedensarmee zu nennen. Was für eine fast absurde Entscheidung. Alles in Allem wirkte es, nein, musste es auf jeden nüchternen Beobachter einfach wie eine Farce wirken. Aber letztlich ging es auch hierbei wie bei im Grunde allem wieder einmal nur um Politik. Um Menschen und Epheorieden einander annähern zu können, bedurfte es nun einmal beider beteiligten Seiten. Aber was kümmerte es Renat. Es kümmerte ihn gar nichts. Es war für ihn und seine Ziele belanglos, wenn nicht sogar bedeutungslos. Er lachte bei diesen Gedanken in sich hinein. Wie war es mit ihm so weit gekommen? Hatte es so weit kommen können? Auch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es war alles so, wie es war.

    Gut dreiviertel ihres Jahrgangs hatten die Grundausbildung gemeistert und waren jetzt Teil einer Armee, deren Feind der Streit zweier Spezies war, … im Wesentlichen, denn die meisten Kreaturen mischten sich einfach nicht ein. Eine der Parteien hätte mit Sicherheit in nur einem Tag und einer Nacht die Angelegenheit für sich entscheiden können. Jedem war dies klar. Laut an- oder es gar auszusprechen aber wagte niemand. Kein Wunder. Es war keine tolerierte Option und stand zu dem Zeitpunkt nicht zur Debatte. Ein Umstand, der für immer mehr Unmut sorgte. Fühlte sich die unterlegene Seite schließlich mehr und mehr nicht ernst genommen und sogar verhöhnt. So war es auch eines der angestrebten Ziele, Differenzen zu überbrücken und einen Frieden herzustellen, welcher praktisch schon nicht einmal mehr von den größten Optimisten beider Seiten erwartet wurde. Eine im Grunde aussichtslose Mission und mehr ein Wunschtraum, dessen Erfüllung eher in ferner Zukunft lag, als in greifbarer Nähe. Aber selbst das kümmerte Renat nicht in dem Maße, in welchem man es hätte annehmen sollen. Ebenso erging es Diego, der, seiner eigenen Aussage nach, dieses Leben nur gewählt hatte, um seinem Freund auf dessen Weg beizustehen. Zumindest war es das, was er immer wieder bekräftigte. Beide teilten sich ein Zimmer, hatten gemeinsam ihr altes Leben hinter sich gelassen. Nun waren sie ebenfalls gemeinsam Mitglieder von etwas, dessen Zweck zum größten Teil aus einem ambitionierten guten Willen bestand, der nicht viel mehr als ein Wunsch, geboren aus den Geschehnissen der Vergangenheit und dem Vermächtnis Verstorbener war.

    Der Tag der endgültigen Aufnahme in die gemischte Armee kam. Wer Neuling und damit nur Rekrut war, besaß nicht viele Bewegungsfreiräume. Nicht einmal das Gelände des äußeren Regierungsbezirkes durfte ohne Ausbilder verlassen werden. Tatsächlich gab es nichts anderes zu erledigen, als sich auf die Grundausbildung zu konzentrieren. Und doch war dies für alle, die es bis zu diesem Punkt geschafft hatten, ein besonderer Tag. Die Sonne stand hoch. Jetzt am späten Vormittag herrschte eine angenehme Wärme, aber in nur wenigen Stunden konnte es so hieß werden, dass selbst schattige Orte nicht hinreichend Kühle für eine angenehme Erfrischung spenden konnten.

    „Und? Aufgeregt, Renat?"

    „Was soll die Frage, Diego?"

    „Naja, ich dachte nur! Immerhin werden wir heute in den Soldatenstatus übernommen. Heute ändert sich wieder einiges für uns."

    Renat lächelte seinen Freund erst nur schräg

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