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Dass im Herzen die Sonne wieder scheint: Milas Zeit der Trauer
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Dass im Herzen die Sonne wieder scheint: Milas Zeit der Trauer
eBook244 Seiten3 Stunden

Dass im Herzen die Sonne wieder scheint: Milas Zeit der Trauer

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Über dieses E-Book

Was wird aus dir, wenn am Horizont das Licht untergeht? Wenn deine Mutter stirbt, wie findest du zum Glück zurück? Woher schöpfst du bloß die Kraft?
Fragen, die sich Mila (16) stellen muss, als ihre Mutter den Kampf gegen Krebs verliert. Seitdem lernt sie, wie wichtig es ist, die Zuversicht, dass bessere Zeiten kommen werden, nie zu vergessen. Sie kämpft sich durch eine Zeit, in der alles zu schwer erscheint. Auch sammelt sie Erfahrungen, wie sie am besten mit dem Schicksalsschlag umgeht und was hilft, dass in ihrem Herzen eines Tages die Sonne wieder scheinen kann.

Über die Macht der Trauer und die Kraft weiterzuleben.
Emotional und ergreifend - Ein Buch, das von der wahren Geschichte der Autorin inspiriert ist und ehrlich von den ersten Trauermonaten einer Jugendlichen handelt!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Aug. 2021
ISBN9783347226623
Dass im Herzen die Sonne wieder scheint: Milas Zeit der Trauer

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    Buchvorschau

    Dass im Herzen die Sonne wieder scheint - Malie Griebe

    Kapitel 1

    Das Schloss fällt hinter mir in den Türrahmen, als ich mich von zu Hause entferne. Meine Beine tragen mich immer weiter fort. Immer tiefer in den Wald. Sonnenstrahlen blitzen vermehrt durch die Baumkronen. Vögel zwitschern und die ersten Blumen blühen. Es ist März. Der Frühling beginnt.

    Beim Spazierengehen erklingen zarte Klaviertöne über Kopfhörer in meinen Ohren. Es ist ein fließendes Auf und Ab voller beruhigender Klänge. Wie eine friedvolle Melodie, die mein Herz erhellt und mein Ohr bezirzt. Ich lasse meine Gedanken schweben und verliere mich im Tagträumen.

    Nach einiger Zeit haben mich meine Füße so weit getragen, dass ich mich vor einem riesigen Feld am Waldrand befinde. Hindurch bahnt sich ein schmaler Schotterweg, der bei meinem Lieblingsladen endet.

    Es ist ein kleiner okkulter Buchladen am Rande der Stadt. Weil ich viel und gerne lese, bin ich dementsprechend häufig bereits in diesem Geschäft gewesen. Mir gefällt es, dort hin und wieder nach neuen Romanen zu stöbern. Auch heute begebe ich mich dorthin, um mir als Ablenkung von den Alltagssorgen eine neue Lektüre zu kaufen.

    Die freundliche Ladenbesitzerin Frau Harper kennt mich mittlerweile sogar beim Namen. In einem Gespräch berichtete sie mir einmal, wie sie damals in jungen Jahren ihren Traum wahr werden ließ, indem sie ihre eigene Buchhandlung eröffnete.

    Ein paar Mal schon schlug sie mir Romane vor und überzeugte mich allein aus dem Grund zum Kauf, weil sie die präzisen – jedoch noch nicht zu viel verratenden – Inhaltsangaben dieser Lektüren überaus mitreißend schilderte. Frau Harper erzählte sie so, als wäre sie selbst ein Teil der Geschichte und hätte die Handlung eigenständig miterlebt. Und dies mit Eloquenz und Worten voller Bedacht. Bemerkenswert.

    Als ich den Laden betrete, weht mir ein herrlicher Duft der Bücher entgegen. Durch die Schaufenster strahlt die Sonne und erwärmt das bunte Geschäft. Die Atmosphäre zwischen den vielen kleineren Pflanzen, den ausgefallenen Dekorationen und den zahlreichen Büchern wirkt jedes Mal wieder gemütlich.

    Ich grüße Frau Harper und gehe zielstrebig zu den verschiedenen Abteilungen. Hier mache ich mich auf die Suche nach einem interessanten Roman.

    Gerade lese ich den Klappentext eines Romans aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts und bin überzeugt, mir diesen zu kaufen, während ich plötzlich bemerke, wie Frau Harper zu mir kommt.

    »Oh, das ist aber selten, dich junge Dame in der Klassikabteilung vorzufinden!«, sagt sie lächelnd zu mir. Natürlich stets gefolgt mit ihrem Begleiter der Ironie, denn sie weiß, dass ich bereits einiges aus diesem Bereich gelesen habe. Daher lächle ich als Antwort etwas verlegen und schmunzle.

    Mit sowohl farbenfroher als auch eleganter Kleidung steht mir Frau Harper gegenüber. Wie gewöhnlich trägt sie einen einfachen Dutt, der ihre lieblichen Gesichtszüge schmückt. Auch verzieren Kreolen dieses Gesicht. Ihre Augen offenbaren eine magische Tiefe, aus der man Frau Harpers Warmherzigkeit lesen kann. Hinter ihrem schlanken Körper hält sie mit ihren Armen etwas versteckt. Dann fährt sie zögernd fort:

    »Mila, ich habe von dem Gesundheitszustand deiner Mutter erfahren. Es tut mir so leid! Mir ist etwas eingefallen, um wenigstens etwas in dieser schweren Zeit für dich tun zu können.«

    Sie zieht ihre Hand hervor und präsentiert mir ein grün verpacktes Geschenk mit Schleife. Ich kann meinen Augen kaum glauben, so positiv überrascht bin ich. Den Roman lege ich zur Seite, um Frau Harpers Geschenk entgegennehmen zu können. Im Anschluss beginne ich dieses zu öffnen und erblicke ein wunderschönes Notizbuch, auf dessen Cover zahlreiche Ginkgoblätter abgebildet sind. Zwischen all diesen steht in goldener Schrift Journal. Mein Gesicht verliert sich in einem Strahlen. Immer wieder bedanke ich mich und kann mein Glück kaum fassen.

    »Schreiben ist eine hilfreiche Methode, um sich zu erden, sich zu sortieren oder Erinnerungen zu konservieren. Es entlastet Herz und Hirn. Das hat mich auf die Idee gebracht, dir eine Möglichkeit dazu zu verschaffen!«, begründet sie.

    Ich allerdings weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll. Wenn sie nur wüsste, wie treffend sie bei mir mit dieser Geschenkidee liegt. Ihr Mitgefühl zu meiner privaten Situation rührt mich so sehr, dass ich sie schon jetzt immer mehr mag.

    Am Abend sitze ich auf meinem Bett und blicke sehnsüchtig nach draußen. Dort ist bereits alles dunkel. Nur noch die Sterne und meine kleine heranwachsende Kastanie auf dem Balkon sind durch das Mondlicht zu erkennen. Mir ist nicht nach schlafen. Stattdessen versinke ich immer weiter in meine Gedanken. Bald schlägt die Uhr Mitternacht und noch immer gebe ich mich der aufkeimenden Melancholie hin.

    Vor ein paar Tagen erst habe ich versucht, meine Freundin Jane in ihrem Kummer zu trösten. Um ihr Leid zu besänftigen, habe ich ihr spontan alles erzählt, was mir selber hilft, gedanklich nicht allzu sehr in dieses dunkle, ja tiefschwarze Loch zu fallen. Genauso wie ihr an jenem Abend ergeht es mir selbst noch viel öfter, als alle um mich herum zu denken vermögen. Keiner sieht das Leid, geschweige denn die Qualen. Tag täglich. Man ist zwar da, man existiert. Und das auch mit Freude, keine Zweifel daran, dass das Leben durchaus auch zu Schönem in der Lage ist. Aber, wieso ist das ausgerechnet so selten zu spüren? Denn hin und wieder, immer öfter überfallen mich Dämonen. Es sind Gedanken, die ich nur schwerlich stoppen kann und in mir schmerzende Gefühle auslösen.

    Wie sehr ich mich danach sehne, einmal alles loszulassen! Und das am besten ohne Druck und Zwang von außen, den man ständig verzweifelt versucht standzuhalten. Zu oft schon bin ich an dessen Last zusammengebrochen. Es ist einer meiner größten Wünsche, auf Dauer wieder glücklich fühlen zu können.

    Mein Bett ist gemütlich und so weich, dass sich die Matratze an meinen Körper anschmiegt. Sie ist perfekt, um darin zu versinken. Schnell wird mir bewusst, ich brauche laute und stimmungsaufhellende Musik, um meine erschreckend traurigen Gedanken zu übertönen und zu zügeln.

    Oder ich greife zu Stift und Papier. Neben dem Musikhören ist es das Schreiben, das ich für mich als Methode gegen seelischen Schmerz entdeckt habe. Es hilft mir, alles besser zu verarbeiten, dies in Worte zu schmücken und noch dazu, einige entzückende Details aus meiner Vorstellungskraft hinzuzudichten. Ich genieße es, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen und mich der schriftstellerischen Freiheit hinzugeben. Insbesondere beim Tagebuchschreiben reflektiert man sowohl das Verhalten anderer als auch sein eigenes. Oft lernt man sich auf diese Weise noch ein bisschen besser selbst kennen, wie man eigentlich genau denkt. Man lernt, was einem im Unterbewusstsein wirklich beschäftigt.

    Plötzlich fällt mein durchs Zimmer streifender Blick auf ein verziertes Büchlein. Mein neues Tagebuch. Genau das hat Frau Harper unter all den Notizbüchern aus ihrem Buchladen ausgewählt und mir geschenkt.

    Eifrig überfällt mich die Energie, aufzustehen und mit diesem Buch und einem Kugelschreiber in der Hand ins Bett zurückzukehren. Das Geschenk soll schließlich nicht außer Acht gelassen werden, sondern seinen Zweck erfüllen. Daher fasse ich den Entschluss, mit dem Tagebuchschreiben zu beginnen. Ich wünsche mir so sehr, dass es als Hilfe dient. Es soll mir eine seelische Stütze sein, indem ich in Zukunft all das, was ich erlebe, was mich berührt oder verletzt, aufschreiben und verarbeiten werde.

    Kurz rücke ich mich in meinem Bett zurecht und schreibe los. Ich bin motiviert. Mein Ehrgeiz ist entfacht. Mit einer anfangs noch zögerlichen Hand bewege ich den Stift übers Papier und schreibe die ersten Zeilen.

    Der Beginn einer langen Reise.

    19.03.2019

    Liebes Tagebuch,

    wie fange ich bloß an, gewisse Dinge niederzuschreiben? Es ist schier unmöglich, meine exakten Empfindungen auszudrücken und niederzulegen, ja für immer abzulegen. Aber ganz einfach, ich fasse mich kurz: Mein Leben dreht sich zu schnell und ich sitze drin und werde nahezu hinausgeschleudert. Doch lass mich von vorne beginnen: Ich bin Mila, 15 Jahre alt und ich erlebe zurzeit die letzten gemeinsamen Wochen mit meiner Mutter.

    Außerdem bin ich der Meinung, dass wir Menschen uns häufiger fragen sollten, ob wir wirklich wissen, wie es den anderen um uns geht. Alles scheint auf den ersten Blick so lieblich, harmonisch und naja, so gut wie perfekt. Aber sind wir ehrlich. Was ist schon perfekt? Oft erwägen wir erst gar keine Zweifel, dass das Meiste nur Fassade sein könnte. Doch, wenn einem schließlich Einblick ins tiefe Innere gewährleistet wird, bemerkt man, dass es eben doch einige gibt, die zu häufig zu viele besorgte, angsterfüllte oder auch traurige Gedankenschleifen besitzen. Ich kenne es selbst zu gut von mir. Man lächelt durch den Schmerz. Ganz ohne Acht, ob dies einem überhaupt guttut. Daher ist es auch so wichtig, mit anderen freundlich umzugehen und sie nicht zu verurteilen. Schließlich wissen wir nicht, was gerade wirklich in ihnen vorgeht, welches Päckchen sie zu tragen haben. Nur selten kennen wir die wahre und vor allem vollständige Geschichte.

    Mein Lieblingszitat lautet:

    »Dass uns eine Sache fehlt, sollte uns nicht davon abhalten, alles andere zu genießen.«

    Dieses exquisite Zitat von Jane Austen soll in meinem Tagebuch nicht fehlen, denn es erinnert mich daran, dass man sich für all die Dinge, die einem gegeben sind, immer dankbar und glücklich schätzen sollte. Auch wenn uns etwas fehlt, sollten wir den Moment genießen, weil uns dafür so viel Weiteres umgibt, das keine Selbstverständlichkeit ist.

    Lerne das zu lieben, was du hast. Konzentriere dich nicht auf das, was du nicht hast. Wirf einen Blick auf all die Dinge, die du sonst genießen kannst. Glücklichsein ist so viel mehr, als sich über das zu erfreuen, was man sich aktiv wünscht.

    Sei dankbar für all das Schöne, das dich umgibt. Sei dankbar auch für Kleinigkeiten. Begegne diesen kleinen Momenten mit Achtsamkeit, denn oftmals sind sie es, die dir am liebsten in Erinnerung bleiben und mit denen du am meisten verbindest. Es sind die Augenblicke, die du vor allem vermissen wirst, wenn es heißt, dass es nie wieder möglich sein wird.

    Kurz lege ich das Buch zur Seite und beschließe, noch etwas über das Geschriebene nachzudenken. Wie oft habe ich mir dieses Zitat schon ins Gedächtnis gerufen? Zu oft, um es noch zählen zu können.

    Als ich nach draußen spähe, sehe ich nicht viel mehr als die nahezu pechschwarze Dunkelheit. Der Himmel? Gesprenkelt voller Sterne. Mir fällt ein, was ich als nächstes schreiben könnte:

    Ich liebe den mit glänzenden Sternen besäten Nachthimmel. Es ist ein so zärtlicher Anblick, dass man seine Augen gar nicht mehr abwenden möchte. Die Sterne sehen in der Dunkelheit wunderschön aus. Alles fühlt sich besonders an. Dieser Blick gen Himmel lässt mich in eine Träumerei versinken. Ich denke über all die positiven und fernen Emotionen aus der Vergangenheit nach. Manchmal verliere ich mich so sehr in diesen schwärmenden und vermissenden Gedanken, dass mir mit der Zeit die erste Träne meine Wange entlang kullert. Auch die folgenden kann ich nicht aufhalten. Um ehrlich zu sein, möchte ich es auch gar nicht. Fließende Tränen befreien und sorgen dafür, dass ich mich von dem Schmerz ein wenig loslösen kann. Als würde jede Träne für eine schmerzende Sorge stehen und mit dem Zerfließen ihre verbundene Last und Schwere verlieren.

    Wieder blicke ich vom Tagebuch hoch. Dabei sehe ich aus dem Fenster deutlich den grauweiß leuchtenden Mond.

    Die Schönheit des Mondes lässt mich dahinschmelzen. Sie regt mich oft zum Nachdenken an. Zumal der Mond vor allem in der Nacht sichtbar ist und man in dieser Zeit sowieso philosophischer denkt. Oder ist das nur bei mir so? Es gibt so vieles, das mir plötzlich durch den Kopf geht, wenn ich den Mond betrachte. Zuallererst denke ich jedoch an eine bestimmte Person. Nämlich an die, die mir folgenden Satz anvertraute:

    »Denk immer dran, wir sehen denselben Mond!«

    Es ist ein einfacher, mir dennoch bedeutungsvoller Satz meiner Freundin Grace für den Fall, dass ich sie vermisse oder mich einsam fühle.

    Ja, wir sehen denselben Mond. Gerade schaue ich in den Himmel und erblicke ihn. Du auch?

    Kapitel 2

    Warme Sonnenstrahlen fallen auf meine Haut. Gemächlich schlage ich meine Augen auf und blicke in ein hell erleuchtetes Zimmer. Ich fühle mich wohl. Mein Schlaf war tief und ich hatte einiges geträumt. Am Ende der Bettkante entdecke ich mein noch aufgeschlagenes Tagebuch und am Boden den Stift, der über Nacht runtergefallen sein musste. Als erstes spiele ich mir eine Audio über pure Motivation für den Tag ab. Vielleicht hilft es ja. Erst danach raffe ich mich langsam auf, ziehe mich an und gehe ins Bad.

    An diesem Tag erwartet mich jemand, der mir helfen soll, mich von meinen mentalen Schmerzen zu befreien. Sie zumindest zu mildern. Eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.

    Ich fahre mit meinem Vater zu ihr. Die Autofahrt verläuft ohne viele Worte. Wir bevorzugen es, stumm der aus dem Radio ertönenden Musik zuzuhören. Jeder ist beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken.

    Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt sind wir angekommen. Ich sitze im Wartezimmer. Nichts Bedeutendes geht mir durch den Kopf, völlige Leere. Lediglich lausche ich der ruhigen Melodie, die von meinen Kopfhörern im Ohr erklingt.

    Plötzlich vernehme ich die Stimme meines Vaters, der mich aus dem Dahinvegetieren weckt. Es hätte wohl nicht mehr viel Zeit in Anspruch genommen und ich hätte mich völlig meiner Melancholie hingegeben.

    Papa befindet sich neben mir und wartet gemeinsam auf den Moment, an dem mich die Psychotherapeutin aufruft. Mit ihr soll ich ein Gespräch bezüglich meines Empfindens führen. Ich bin zugegebenermaßen ein wenig aufgeregt, denn ich habe Sorge, dass ich vor ihr in Tränen ausbrechen werde. Aus irgendeinem Grund will ich ihr nämlich zeigen, dass ich stark bin. Vielleicht drunter leide, aber die Schwäche nicht zulasse. Warum? Weil ich es bisher nicht gewohnt bin, Trauer zu offenbaren und noch nicht verstehe, dass genau das, nämlich alle seine Gefühle zuzulassen, die Stärke ist!

    Denn, wie fühlt es sich schon an, einen Menschen, der einem seit seiner Geburt immer nahestand, geliebt, umsorgt und geprägt hat, auf einmal zu verlieren? Es ist die Person, zu der man eine so enge Bindung besitzt, dass es unerträglich scheint, wenn diese für immer von dir geht. Würde es überhaupt einen Trost für solch einen Schicksalsschlag geben?

    Es ist meine Mutter, die ich zu verlieren drohe. Damals war ich zwölf Jahre alt, als alles begann. Meine Mutter erhielt die Diagnose Darmkrebs. Es war ein kaum aushaltbarer Schock, der meine Eltern, meine Geschwister und mich noch alle prägen sollte. Doch wir versicherten ihr, dass wir immer an ihrer Seite bleiben werden und sie – so viel wir können – unterstützen werden. Komme, was wolle, wir werden für dich da sein, Mama!

    Als ich von ihrer Diagnose erfuhr, setzte ich mich noch am selben Abend an den Laptop. Ich wollte mich über Darmkrebs informieren. Zu dieser Zeit ging ich erst in die siebte Klasse. Mir war nicht einmal genau bewusst, was Krebs für eine Krankheit ist. Erst beim Recherchieren verstand ich zunehmend, wie es meiner Mutter wohl gehe und was sie jetzt in den nächsten Monaten, ja sogar Jahren durchleiden müsse. Damals ahnte ich allerdings nichts von der langen Zeit, über die sich die Krankheit strecken sollte. Ich dachte, nach höchstens ein paar Wochen ist alles wieder vorbei. Hinzu kam, dass meine Mutter bevorzugte, ihre tatsächlichen Schmerzen und Sorgen vor uns Kindern nicht jedes Mal auszusprechen.

    Vielleicht war mir deshalb das Ausmaß der Krankheit lange Zeit nicht sehr bewusst gewesen. Besonders am Anfang hatte ich eigentlich keine Zweifel, dass sie wieder gesund werden würde. Denn jung und noch recht unerfahren, wie ich war, dachte ich mir nicht besonders viel dabei. Wie konnte ich denn auch? Genau genommen kann man sich gar nicht richtig in die Schmerzen, die ein anderer Mensch erleiden muss, einfühlen, sofern man sie selbst noch nie erlebt hat. Ich konnte gar nicht wissen, wie schlimm es tatsächlich war. Zudem gilt Darmkrebs als eine heutzutage im Vergleich zu anderen relativ gut heilbare Krebserkrankung. So gesehen verspürte ich Hoffnung auf Besserung, ja auf Heilung.

    Nach eineinhalb Jahren Kampf schaffte es meine Mutter sogar auch. Es folgte ein halbes Jahr, in dem sie ein letztes Mal gesund das Leben genießen durfte. Dann kehrte der Krebs jedoch zurück. Sie bekam erneut Darmkrebs diagnostiziert. Doch nun ist es fürchterlicherweise ein bösartiger Darmtumor, der in die Lunge gestreut hat. Heute befinden sich daher immer mehr Metastasen in ihrem Körper verteilt. Es ist kaum zu übersehen, dass meine Mutter erheblich leidet. Keiner der Ärzte kann sagen, wie viel Zeit ihr noch bleibt.

    Die Hoffnung auf Mamas Heilung verweilt in mir allerdings noch immer. Ablenkung von dem Thema bezüglich ihres Todes hilft mir, meine traurigen Gefühle zu überspielen. Dadurch muss ich nicht allzu sehr an die Last denken, die diese elendige Krankheit mit sich bringt.

    Aus diesem Grund fühlt es sich für mich merkwürdig an, am heutigen Tag über ihren bevorstehenden Tod zu sprechen. Auf diese Weise wird mein Wunsch, auf das Beste zu hoffen, viel zu sehr infrage gestellt oder bleibt gar unbeachtet. Doch ausgerechnet jetzt soll ich geradewegs mit diesem Thema konfrontiert werden?! Es ist nicht leicht, dabei unberührt zu bleiben.

    Auf einmal höre ich, wie man die Tür des Gesprächszimmers öffnet und ich in diesen Raum gebeten werde. In ihm befinden sich ein Schreibtisch und

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