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Ich, Katharina: Träume aus dem Jenseits
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Ich, Katharina: Träume aus dem Jenseits
eBook290 Seiten4 Stunden

Ich, Katharina: Träume aus dem Jenseits

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Über dieses E-Book

Ist der Tod das Ende von allem? Oder nur ein Übergang? Was kommt danach? Und was war davor, wo kommen wir her? Vor allem aber: Wozu sind wir da, in diesem Leben? Worum geht es, was zählt im Hier und Jetzt, weshalb leiden wir immer wieder – an unserem Dasein im Allgemeinen und dem eigenen Sosein im Besonderen?
Die existenziellen Fragen beschäftigen Anja Mattern, seit sie als Kind erstmals mit dem Tod in Berührung kam. Die Faszination für das Sterben, diese extremste aller menschlichen Grenzerfahrungen, ließ sie seitdem nicht mehr los. Von ihrem Beruf als Altenpflegerin, die Betagte auf ihrem letzten Lebensabschnitt begleitet, fand sie zu ihrer Berufung als Rückführungsleiterin, die Menschen über vergangenes Sterben hinaus in frühere Leben zurück begleitet.
Ihre größte Inspiration aber findet die Autorin weder bei den Lebenden noch den Sterbenden, sondern in jener Zwischenwelt, dem Traum; diesem nicht mehr ganz hier-, aber auch noch nicht dort-Sein. Während ihrer Traumreisen erwachen Tote zum Leben und stellen sich die grundlegende Frage "Wer bin ich?" neu. Das Jenseits hält überraschende Antworten bereit und ein erschütterndes Familiengeheimnis wird endlich gelüftet.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Juni 2012
ISBN9783844834895
Ich, Katharina: Träume aus dem Jenseits

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    Buchvorschau

    Ich, Katharina - Anja Mattern

    2011

    1. Kapitel:

    Hexenhaus

    Weiß man, wie oft ein Herz brechen kann?

    Wie viele Sinne hat der Wahn?

    Lohnen sich Gefühle?

    Wie viele Tränen passen in einen Kanal?

    Leben wir noch mal?

    Warum wacht man auf?

    Was heilt die Zeit?

    Ich hörte dieses Lied von Herbert Grönemeyer gerade auf Radio Siegen. Ich summte den wundervollen Song mit, versuchte mitzusingen, wo ich den Text noch wusste. Einige Jahre waren vergangen seit jener Zeit, als ich ihn das erste Mal gehört hatte. Ich erinnerte mich daran, dass Grönemeyer diesen und viele andere Songs im Jahr 2002 auf seinem Album Mensch veröffentlicht hatte. Es schlug im deutschsprachigen Raum ein wie eine Bombe – entgegen allen Kritiken, die schon früh verlauten ließen, dass die Deutschen noch nicht reif seien für diese Art von Musik und Text. Doch die Deutschen waren reif, sie kauften diese CD, die Radiosender spielten alle Songs monatelang rauf und runter. Es war und ist ein gigantischer Erfolg für Herbert Grönemeyer. Auch er machte sich damals Gedanken darüber, was außerhalb unseres so kurzen Lebens zu finden sein mag, welcher Sinn sich dahinter verbirgt und warum die Dinge im Leben manchmal so unveränderbar erscheinen. Seine Frau war gerade einem Krebsleiden erlegen und er versuchte seine Trauer mit der Komposition und Produktion eines wahren deutschen Jahrhundertwerks aufzuarbeiten.

    Jahre waren seitdem vergangen, gar wunderschöne Jahre, manchmal mit Schmerz und Kummer versehen, doch das gehört zum Leben dazu. Vieles durfte ich dazulernen und so manches davon machte mich erst zu dem, was ich heute bin. Erinnerungen wurden wach in mir, ich dachte an Menschen, die mein Leben nur gestreift hatten, an jene, die mir erhalten geblieben waren, und an solche, die schon immer da gewesen waren. Wenige hatten den Weg in mein Herz geschafft und noch weniger von ihnen waren dort geblieben.

    Einigen von denen, die geblieben sind, widme ich dieses Buch. Denn es sind wahrhaftig jene Menschen, von denen ich sagen kann: »Du bist mein 7. Sinn …« Viele weitere Menschen werden hoffentlich noch in mein Leben treten und auch jenen widme ich dieses Buch. Denn wer auch immer du bist, warst oder sein wirst: Auch du bist mein 7. Sinn, das Prinzip Hoffnung, ein Leuchtstreifen in der Nacht.

    Weihnachten 2010.

    Ich hatte mir viel Mühe gegeben bei der Gestaltung der Räume meines »Hexenhauses«, einem wunderschönen, idyllisch gelegenen Fachwerkhaus. Noch einmal, wie schon zuvor in meinem anderen Haus, gestaltete ich jede einzelne Ecke, jede Tür, die Fenster, die Möbel. Die Dekoration ist das Wichtigste und Schönste bei der Gestaltung von Räumen. So manche Häuser bekommen nichts vom Charakter ihrer Bewohner zu spüren. Sie wirken leer, unbewohnt und ohne Inspiration, haben nur diese unpersönliche Möbelhausatmosphäre. Nicht alle Menschen haben eben Zugang zu ihren eigenen Ideen und ihrer Phantasie. Man sagt, es ist eine Gabe, Räume und Häuser so zu gestalten, dass ein jeder, der sie betritt, beeindruckt davon ist, sich wohl fühlt und mit bewundernden Blicken jede einzelne Nische des Gebäudes zu entdecken versucht.

    Wieder einmal war es mir gelungen, den Spagat zwischen nobler und einfacher Atmosphäre neu zu erfinden. Nicht nur ich fühlte mich wohl in diesem Haus. An diesem Heiligen Abend war ich voller Glück und ich wollte es teilen, mit all jenen Menschen, die ich liebte – wenn auch nicht alle Freunde und Familienangehörige, die ich gerne empfangen hätte, erreichbar gewesen waren. Doch so ist das Leben, man bekommt so gut wie nie das, was man sich gerade wünscht. Und so packte ich gegen 18 Uhr alle Geschenke zusammen und machte mich gemeinsam mit meinem Freund auf den Weg zu Mutter. Sie lebt nicht weit von meinem Hexenhaus, gerade mal ein paar hundert Meter entfernt. Ihr Haus ist anders als meines: modern, nüchtern und manchmal wirkt es ein wenig nichtssagend. Eben einer dieser typischen Betonklötze aus den 70er Jahren. Ganz ähnlich wirkte auch meine Mutter zu jener Zeit: nüchtern, stets schlecht gelaunt und unzufrieden, obgleich sie eigentlich alles, ja sogar mehr als das besaß. Sie hätte an diesem Weihnachtsfest eigentlich allen Grund dazu gehabt, optimistisch in die Zukunft zu schauen, das Leben anzunehmen.

    An jenem Abend nahm ich mir fest vor, mich nicht mitreißen zu lassen von ihren negativen Launen, sondern stattdessen einfach nur interessiert und neugierig zu beobachten, wie sich ein Mensch fühlt, der anderen die Stimmung und heute sogar das gesamte Weihnachtsfest verdirbt. Denn eines war so sicher wie das Amen in der Kirche: Sie würde uns allen den Abend verderben. So mancher meiner Freunde begreift wohl nie, warum ich dennoch immer den Weg dorthin suche. Nun, ganz einfach: Weil es meine Mutter ist! Und nicht zuletzt auch deshalb, weil ich sie liebe.

    Wer meine Mutter und mich kennt, wird bereits jetzt ahnen, dass mein Plan danebenging. Was ein wundervolles Weihnachtsfest hätte werden sollen, wurde mal wieder zu einem Fiasko. Vorbei war es mit meinen guten Vorsätzen! Nichts war gut genug, niemand war so, wie sie es gerne gehabt hätte, und überhaupt: Die ganze Welt war wieder einmal böse und gemein zu ihr. Doch ich denke, dass sie in den Tiefen ihrer Seele genau wusste, dass der Ursprung dieses Unmutes ganz alleine sie war.

    Und so musste ich letztendlich einsehen, dass niemand, und sei es der Erzengel Michael höchstpersönlich, meiner Mutter in jener Zeit etwas hätte recht machen können. So zogen wir irgendwann am frühen Abend zurück in mein prachtvoll geschmücktes Hexenhaus. Deprimiert, nun ebenfalls schlecht gelaunt und kurz vor einem riesigen Krach verbrachten wir den restlichen Abend auf verschiedenen Etagen. Mein Freund im ersten Stock, ich im Erdgeschoss.

    Ich war traurig, sehr traurig an diesem Abend. Ich saß wohl mehrere Stunden alleine und ohne jegliche Geräuschkulisse im Wohnzimmer der Ferienwohnung, welche ich immer zwischen Weihnachten und Neujahr für eventuellen Besuch oder eben mich selbst frei halte. Das gesamte Jahr ist sie fast ausgebucht, obgleich unser Umland nicht gerade ein berühmtes oder beliebtes Ferienziel ist. Es kommen Unternehmensberater, Monteure, ab und an ein paar wirkliche Urlaubsgäste und manchmal auch Freunde und Bekannte.

    So alleine und traurig hatte ich es mir im Hexenhaus nicht vorgestellt. Ich beschloss, ein paar Übungen zu machen, um meine spirituellen und medialen Fähigkeiten etwas zu erweitern. Weihnachten hatte seinen Glanz mit den Lebenden für mich verloren, warum also nicht mal versuchen, bei den Toten anzuklopfen. Und so nahm ich ein Buch von Pascal Voggenhuber, dem bekannten Medium, zur Hand. Ich versprach mir nicht allzu viel davon, denn ich neige leider seit gewissen Erfahrungen dazu, solche Prominente nicht ernst zu nehmen. Vielleicht deshalb, weil sich tief in mir drinnen aus dem anfänglichen Samen eines Gedankens etwas manifestiert hatte, was ich so ausdrücken könnte: »Ein wahrer Meister, eine große Seele, ist bescheiden und lehrt auch ebenso.« Ob meine Gedanken dahingehend nun richtig sind oder nicht, wer vermag es zu beurteilen, für jenen Moment und jene Zeit? Jedenfalls machte ich mich an die Arbeit – zu ergründen, was Pascal Voggenhuber zu lehren hatte und ob es möglich war, diese Fähigkeiten ebenfalls zu erlernen.

    Ich hatte bereits viele Bücher zu ähnlichen Themen gelesen und auch enorme Fortschritte gemacht. Das Problem, dass ich nicht so recht weiterkam, waren nicht die Bücher oder die Lehrer. Das Problem war alleine ich. Unmengen an Beweisen hatte ich bereits geliefert bekommen. Doch mein Verstand, welcher nun einmal sehr wissen-schaftsorientiert ist, machte alles wieder zunichte. So fand ich immer wieder aufs Neue Ausreden und Gegenbeweise. Wenn man etwas nicht glauben will, tief in seinem Inneren, dann findet man immer Gegenargumente. Dennoch gab ich wie eine Ertrinkende niemals auf und durchlebte dabei sowohl Phasen der Depression, des Zurückziehens, als auch solche der Euphorie.

    Doch siehe da: An diesem Heiligen Abend hatte ich den allerersten Jenseitskontakt, welchen ich auch beweisen konnte. Und zwar vor mir selbst, dem schlimmsten Kritiker dieser Welt! Das eigene Selbst ist es nämlich, das immer wieder alles in Frage stellt und nach Beweisen nur so bettelt! Immer wieder geht es bei diesem »Spiel« um die Beweise. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die allzu gerne an das glauben, was eigentlich nicht vorhanden ist. Ja! Solche Menschen gibt es sogar sehr viele. Ich persönlich gehöre aber zu jenen der anderen Art. Ich brauche diese Beweise. Und zwar wirklich handfeste, eben solche, die auch nach stundenlangem Nachdenken, Bewerten und Kontrollieren noch überzeugen. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass gerade ich mich nicht mehr damit zufriedengab, über etwas zu lesen oder etwas zugetragen zu bekommen, für das mir einfach die Beweise fehlten.

    Ja, ich war ein genialer Detektiv geworden. Stets auf der Suche nach Belegen für das Unergründliche und Mysteriöse. Ich hatte bereits viele Monate mit Meditationen und Yoga zugebracht. Oft jedoch verblieb am Ende eines Tages nur noch der Eindruck, dass ich mir selbst etwas vormachte. Ich war streckenweise nicht dazu in der Lage zu sortieren, was da an Eindrücken auf mich zukam. Es war einfach zu viel, und allzu oft war es verworren und undurchsichtig. Wenn man sich auf solche Experimente einlässt, welche mit Bewusstseinserweiterung beziehungsweise -Veränderung einhergehen, sollte man jedoch auf alles gefasst sein. Der Verstand ist nämlich so gut wie nie dazu in der Lage, einem die richtige Erklärung zu liefern, im Gegenteil. Der Eintritt in diese Welt des Unerklärlichen, Spirituellen fordert jeden, der sich damit befasst, dazu auf, den Verstand abzuschalten und nur noch »die Dinge fließen zu lassen«.

    Vor einigen Jahren besuchte ich einmal ein Seminar zum Thema Außerkörperliche Erfahrungen. Die beiden Seminarleiter waren Trutz Hardo und mein Lieblingsschriftsteller, Johannes von Buttlar. Ich ging damals zu diesem Seminar voller Freude, Neugierde und mit dem festen Willen, diese Fähigkeit zu erlangen. Doch mein Problem war nicht, dass dieses Seminar nicht gut war, im Gegenteil! Ich war einfach nur nicht fähig loszulassen, ich versuchte damals mit meinem Verstand, dieses Ablösen vom Körper zu erreichen. Das Übelste jedoch war, dass ich so konzentriert und so zielgerichtet war, dass ich mich von der Fliege an der Wand gestört fühlte.

    Bei den Entspannungsübungen kam es ab und an schon mal vor, dass jemand einfach so einschlief, der eine oder andere begann dann zu schnarchen. Das war dann jedes Mal der Moment, in dem ich sauer wurde, alles abbrach und einfach nur noch dalag. Mir war es unmöglich abzuschalten, ich war nicht einmal fähig, eine stinknormale Meditationsübung hinzubekommen. Es mag dich sicherlich nicht verwundern, dass ich keinen Erfolg bei dem Seminar hatte.

    Ich erinnere mich noch daran, wie Johannes immer sagte: »Aktiv passiv…. Ich weiß, das ist ein Widerspruch, aber so funktioniert das nun mal.« Es dauerte unglaublich lange, bis ich es endlich verinnerlicht hatte, sogar viele Jahre. Jetzt jedoch habe ich endlich begriffen, was Johannes mir sagen wollte.

    Die Schule der Spiritualität ist zeitaufwendig, hart und doch eigentlich so leicht. Viele Erkenntnisse erwachsen erst aus großem Leid, innerlichen Kämpfen und schließlich der Erkenntnis, dass alles im Fluss ist, man nichts erzwingen kann. Ich wusste, dass es funktionieren kann, jedoch traute ich es mir selbst niemals so richtig zu. Halt so eine Art Mangel an Selbstbewusstsein in diesem Bereich.

    So oft schon hatte ich davon gelesen, dass die »Toten« immer unter uns sind, eigentlich gar nicht weggegangen sind. Ich hatte sogar Beweise dafür geliefert bekommen, von einem genialen Medium. Jahrzehnte zuvor hatte ich mich bereits mit dem Sterben und dem Tod beschäftigt, eine Leidenschaft, die mich niemals losließ.

    Es begann schon früh in meinem Leben. Ich konnte und wollte mich niemals damit abfinden, dass eine Beerdigung das Ende sein soll. Als Kind bemerkte ich, dass Menschen vergänglich sind. Babys wurden geboren und alte Menschen gingen davon. Ich begriff damals nicht, wohin sie gingen. Und gab mich auch nicht mit dem zufrieden, was meine Eltern mir darüber zu erklären versuchten. Wie auch? Sie waren ja selbst nicht dazu in der Lage, es zu begreifen.

    Als meine Oma väterlicherseits nach einem langen Krebsleiden im Sterben lag, durfte ich diese mir fast unbekannte Frau noch einmal sehen. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Tag. Ich war etwa sieben Jahre alt und meine Großeltern lebten 30km von meinem Elternhaus entfernt. Es waren Ferien, und meine Eltern wussten einfach nicht wohin mit mir an diesem Tag. Also fuhr ich mit ihnen, ans Sterbebett meiner Oma.

    Onkel und Tanten versammelten sich in ihrem Haus, ebenso wie Cousins, Cousinen und andere Anverwandte. Doch niemand von ihnen war so jung wie ich. Ich war die Jüngste der unglaublich vielen Enkel und sogar Urenkel meiner Oma. Ich traf Cousinen, die nahezu 25 Jahre älter als ich selbst waren und deren Kinder mir bereits über den Kopf gewachsen waren. Mein Vater hatte als jüngster Sohn seiner Eltern eine wirklich unglaublich große Familie. Er selbst war 22 Jahre jünger als sein ältester Bruder und somit ebenso wie ich das Nesthäkchen der Familie.

    Mein Vater war an diesem Tag sehr bemüht, mich nicht zu meiner Oma zu lassen. Er meinte, ich sei zu jung, um das zu sehen. Der Tod, so bemerkte er, würde mich noch schnell genug einholen. Doch es kam anders, als mein Vater es geplant hatte.

    Zuerst ging ich nach nebenan, zu meinem Onkel und dessen Frau. Meine Eltern und alle anderen Mitglieder der Familie besuchten an diesem Morgen das letzte Mal meine Oma. Irgendwann schlich ich mich weg. Zu sehr langweilte ich mich und hatte natürlich bemerkt, dass der Fernseher im Wohnzimmer lief. Also machte ich es mir auf dem Sofa bequem. Direkt neben dem Wohnzimmer befand sich das Krankenzimmer meiner Großmutter. Es war niemand mehr in ihrem Zimmer und ich hörte eine Art Schnarchen aus dem Raum. Die Neugierde ließ mich zu ihr hineingehen.

    Was ich dort sah, erschütterte mein gesamtes kindliches Weltbild. Ein »Stück« Mensch, ein Irgendetwas, welches mich nicht im Geringsten an meine Oma erinnerte, lag dort in weißer Damastbettwäsche zwischen riesigen, gestärkten Paradekissen – so jedenfalls habe ich es lange Jahre in Erinnerung gehabt. Es waren Knochen, welche von dünner Haut überzogen zu sein schienen. Ich ging näher heran. Irgendetwas in mir, heute denke ich, dass es ein Urinstinkt war, bewegte mich dazu, ihre Hand zu fassen. Einen Moment lang erschrak ich, als ich fühlte, dass ihr Körper eiskalt war. »Das Leben geht gerade«, sagte ich dann laut und erschrak über meine eigenen Worte. Meine Oma schaute mich ein letztes Mal an und sagte: »Mein Kind …«, mehr vermochte ich nicht mehr zu verstehen. Dann schloss sie wieder ihre Augen. Und ich schlich mich total verstört und bis aufs Mark geschockt zurück in die Wohnung meines Onkels.

    An diesem Tag sagte ich nicht mehr viel. Ich war nachdenklich geworden und hatte lernen müssen, dass der Tod durch nichts aufzuhalten ist und dass er jeden von uns erreichen wird, den einen früher, den anderen etwas später. Es war die Stunde Null. Es war der Tag, an dem ich begann, erwachsen zu werden, denn ich hatte dem Tod ins Gesicht gesehen.

    Viele Jahre später erlebte ich das Sterben meines Vaters. Fast wäre ich daran zerbrochen. Doch in jener Zeit, in welcher ich trauerte und mir Vorwürfe machte, gab es immer jemanden, der mir zur Seite stand. Es war die Stimme in mir, mit der ich auch oftmals im Zwiespalt war. War diese innere Stimme einfach mein Verstand, der da sprach, oder gehörte sie eher meinem Schutzengel? Damals hatte ich keine Ahnung, es interessierte mich auch nicht. Ich wusste nur, dass es keine andere Stimme gab, die mich so verstand wie diese. Mittlerweile ist diese Stimme zur Gewissheit geworden. Es ist die meines Geistführers, der zu jeder Sekunde meines Lebens über mich wacht und mich berät.

    Die Jahre vergingen, doch das Thema Tod ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder zog es mich an, brachte mich zu Plänen und schließlich zu Entscheidungen, welche mein gesamtes Leben beeinflussten.

    Meinen Eltern zuliebe lernte ich einen sogenannt anständigen Beruf. Doch vermag ich bis zum heutigen Tage nicht zu verstehen, was an einem Bürojob so überaus anständig sein soll, dass man sein eigenes Kind mit Gewalt dazu treiben muss. Mein Wunschberuf war ein ganz anderer. Ich wollte Altenpflegerin werden. Und das aus gutem Grund: Um diesen einsamen, alten Menschen noch einmal etwas Liebe und Geborgenheit zu geben, sie wissen zu lassen, dass sie noch immer wertvolle Menschen sind. Viele von ihnen werden abgeschoben, einfach so aussortiert. Ihr Tod ist oftmals nur eine Frage der Zeit. Auf diesem Weg wollte ich sie begleiten, so weit, wie es mir möglich war.

    Und der Tod, das Sterben faszinierten mich seit jeher. So mancher mag geschockt sein bei diesen Worten, doch es ist und war niemals so gemeint, wie es vielleicht klingen mag. Ich liebe Menschen, sorge gerne für sie und es erfüllt mich mit einem wirklich großen Glück, wenn ich sie gesund und munter sehe. Dennoch bleiben der Tod und das Sterben nun einmal ein Teil unseres Lebens, und diesen letzten Teil zu ergründen, machte ich zu meiner Aufgabe. Allerdings ging ich niemals so weit, in einem Sterbehospiz zu arbeiten, das erschien mir ein wenig zu viel. Ich glaube, das hätte selbst ich nicht verkraftet.

    Ich sah den Tod niemals so, wie es andere taten. Vielleicht bin ich auch hart auf eine gewisse Art und Weise. Jedenfalls verarbeite ich das Thema besser und gesünder als viele andere. So kann etwa meine Mutter bis zum heutigen Tag nicht über den Tod sprechen. Jegliche Versuche, über dieses Thema mit ihr zu reden, schlagen fehl. Sie winkt dann schnell ab oder redet über eine Marmelade, die sie gerade kocht – einfach so, ohne mich den Satz beenden zu lassen. Man spürt in diesen Momenten immer ganz deutlich, dass es ihr unangenehm ist, sich darüber Gedanken zu machen. Eine unglaubliche Angst muss in ihr stecken, eine enorme Hilflosigkeit im Umgang mit diesem Thema.

    Einige Jahre später ergriff ich meinen Wunschberuf. Zuerst bekam ich einen Job bei einer Diakoniestation. Ich war endlich dort angekommen, wo ich hingewollt hatte. Und das wurde mir bereits an meinem ersten Arbeitstag klar. Zum Glück hatte ich als 18-Jährige bereits eine Ausbildung zur Schwesternhelferin absolviert, schon damals war ich jenen Weg gegangen, auch gegen den Willen meiner Eltern. Über diese Schiene stieg ich schließlich in meinen Traumberuf ein. Zwei Jahre später entschloss ich mich dann endgültig, eine entsprechende Ausbildung zu machen. Doch der Widerstand, welchen ich zu spüren bekam, war größer, als ich dachte. Sowohl mein damaliger Chef als auch viele meiner Kollegen rieten mir ab. Niemand wollte, dass ich Altenpflegerin wurde. Stattdessen wollten sie alle eine Krankenschwester aus mir machen. Das wollte ich aber nicht! Ich hatte mir ganz bewusst diesen Beruf ausgewählt. Ich wollte keine Schwester sein, die irgendwo einen Job mit kranken Menschen erledigt, schon gar nicht in einem Haus voller Kranker. Ich wollte dort sein, wo ich als das gebraucht wurde, was meine Natur ausmacht. Ich wollte leben, was meine Berufung war und ist. Ich hatte zudem nicht das geringste Bedürfnis, eine Karriere zu machen. Zähneknirschend segnete mein damaliger Chef schließlich die Sache ab, wünschte mir viel Glück dabei und gab mir seinen Segen für diese – in seinen Augen minderwertigere – Ausbildung.

    Minderwertig war diese Ausbildung keinesfalls. Sie zielte ziemlich genau auf die Bereiche, welche mir so wichtig waren. Ich genoss jeden Tag meiner Ausbildung und schien dafür ein so unglaubliches Talent zu haben, dass dies manch einem schlecht bekam, besonders meinen Mitschülern. Ich las etwas in einem Lehrbuch und begriff es sofort. Mehr noch, ich verinnerlichte es, um es dann irgendwann wieder zu hinterfragen und so letztendlich neue Konzepte zu entwickeln. Mein Staatsexamen war einfach. Ich lernte nicht eine Minute dafür und bestand es mit einer glatten Zwei. Eine Eins hätte es werden können, wenn da nicht Fächer wie Ernährungslehre und Soziologie gewesen wären, denn die lagen mir leider überhaupt nicht. Mit der Ernährungslehre hatte ich so meine inhaltlichen Schwierigkeiten, zum Beispiel mit der Doktrin, dass man sich ohne Fleisch angeblich nicht gesund ernähren könne, weil es lebensnotwendige Nährstoffe enthalte. Einen Vegetarier überzeugt das einfach nicht. Bei der Soziologie war das Problem höchstwahrscheinlich jenes, dass man sich als Einzelgänger nur ungern mit Gruppendynamiken und dergleichen beschäftigt.

    Doch insgesamt betrachtet war es auch unwichtig für das, was ich wollte. Ich hatte endlich meine Berufung gefunden – keinen Beruf, sondern eine Passion, für die ich auch noch bezahlt wurde. Man kann sich dies vielleicht nur schwer vorstellen, aber ich hatte jahrelang nicht einmal das Bedürfnis nach Urlaub. Dieser Job war die absolute Erfüllung für mich – jedenfalls für eine Weile. Bis zu jenem entscheidenden Tag, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Es war ein Erwachen, ein Aufwachen aus einer Welt, welche ich nicht mehr so hinnehmen konnte. Ich war ausgebrannt! Verletzt, schwach und nicht mehr fähig, meine Arbeit so zu erledigen, wie ich dies eigentlich hätte tun sollen.

    Eine Patientin gab schließlich den entscheidenden Anstoß, der letztendlich dazu führte, dass ich meinen Beruf fast an den Nagel hängte. Sie hieß Gertrud, war Anfang 60 und ich mochte sie vom ersten Moment an. Ich erinnere mich an den Tag, als ich sie das erste Mal sah: Ich wurde über unseren Pflegedienst zu ihr geschickt. Es war bereits Mittag und eigentlich war ich mit meiner Schülerin bereits auf dem Weg zurück zu unserem Büro. Solche Anrufe mag man nicht sonderlich, wenn man bereits an die 20 Patienten versorgt hat und nur noch nach Hause will. Doch leider kam so etwas oft vor. Es gehörte nun einmal zum Job dazu.

    Gertrud wohnte seit einigen Wochen in einem Haus für betreutes Wohnen und sie hatte eine Erkrankung, von der damals niemand wusste, um was genau es sich handelte. Als wir ankamen und an der Türe klingelten, hörten wir sie rufen. »Es dauert«, vernahm ich eine Frauenstimme durch die verschlossene Türe. Und es dauerte wirklich! Sieben Minuten lang blieb die Türe erst mal verschlossen. Das ist unglaublich lange, wenn man untätig dasteht und daran denkt, was man in dieser Zeit tun könnte, dass die Zeit zum Beispiel reichen würde, um einem anderen Patienten eine Injektion zu verpassen. Ja, so denkt man, wenn man in einem Pflegedienst arbeitet. Jede Minute ist kostbar, oder wie mein Chef es immer sagte: »Zeit ist Geld.« Doch eigentlich bin ich ein geduldiger Mensch im Umgang mit anderen und kann natürlich verstehen, wenn ein Mensch einfach körperlich nicht mehr imstande ist, etwas zu tun, was mir als gesunde Person vielleicht leichtfällt.

    Jedenfalls – da stand sie nun vor uns,

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