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Abdankung: Ein Bericht
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eBook150 Seiten1 Stunde

Abdankung: Ein Bericht

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Über dieses E-Book

Der Tod des Steinhauers. Die letzten Monate, das Leben im Altersheim, Zimmerkameraden, Ärger mit dem Verwalter, dem Arzt, Besuche des Sohnes, der sich schwertut mit seinem Beruf als Schriftsetzer, der Schwiegertochter, die emanzipiert ist, eine Affäre mit dem Chef hat, die Gänge ins Spital, das Sterben.

Erhard von Büren hält sich an die sichtbaren Handlungen, er registriert die Gespräche, die Wortkargheit bei wichtigen Vorkommnissen und die sarkastischen Tiraden anlässlich alltäglicher Misslichkeiten.

Sein lakonischer Bericht, aus der Sicht des Sohnes geschrieben, distanziert, gelegentlich hart, wird zur Hommage an den Vater. Im Sterben des alten Mannes zeigt sich verdichtet dessen ganzes Leben: Zärtlichkeit und Schwäche, Hingabe, Rabatz und Zartheit. Man stirbt, wie man gelebt hat. Trotzig, gelassen, mit sardonischem Humor. «Wichtig ist, dass man gelebt hat.»

«Ein Ich-Erzähler, arbeitsloser Schriftsetzer, berichtet vom letzten Lebensjahr seines Vaters, der im Altersheim lebt, an Hautkrebs erkrankt, stirbt. Von Bürens Sprache ist schnörkellos-realistisch, voll präziser Beobachtungen, einfach, geradlinig, witzig.» (Fredi Lerch, WoZ)
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum3. Juni 2020
ISBN9783347084391
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    Buchvorschau

    Abdankung - Erhard von Büren

    1

    Februar dieses Jahres:

    Erbschaft

    Die Sommerjacke, die er im Frühling gekauft, den handgestrickten Pullover und das Portemonnaie haben wir Naef gegeben. Das Portemonnaie roch noch nach neuem Leder.

    Die fünf Flaschen Wein und die zwei Flaschen Schnaps gaben wir Naef und Schertenleib. Auch die Hemden und Socken und Taschentücher liessen wir dort; sollen die Leute im Altersheim damit machen, was sie wollen. Die übrige Wäsche, die übrigen Kleider haben wir in Plastiksäcke gestopft; das meiste davon war schmutzig, abgetragen.

    Der Rest hat Platz in zwei Kartonschachteln. Die Schachteln stehen im Keller: rechts hinten im Lattenverschlag auf dem Taburett. Die Fotos und Ansichtskarten riechen stark nach Zigarettenrauch.

    Als wir ins Breitmoos hinausfuhren, um den Schrank in seinem Zimmer zu räumen, schneite es. Samstagnachmittag. Der Schnee war nass, fiel in grossen Flocken. Schon die ganze Woche hatten Schnee und Regen einander abgelöst.

    Naef sagte uns, wo der Vater seine Sachen verstaut gehabt. Vom Korbsessel aus neben der Tür schaute er uns zu, wie wir die Tablare räumten. Unterhosen, Leibchen, ausgelatschte Schuhe, ein fleckiger Regenmantel, Kittel, Mützen; viele Socken, Hemden, Taschentücher.

    Im Zimmer brannte das Licht. Schertenleib sass, den Rücken uns zugekehrt, auf seinem Bett. Draussen die weissliche Dämmerung. Der leere Stuhl beim Fenster.

    Wir beeilten uns. Ich wusste nicht, was mit der Wäsche und den Kleidern anzufangen war. Ich genierte mich, alles im Heim zu lassen; ich genierte mich, alles mitzunehmen. Sophie sortierte. Die gebügelten Hemden und Taschentücher, die Socken stapelte sie auf den Tisch. Das Unterzeug tat sie in einen der mitgebrachten Säcke.

    Naef freute sich über den Pullover. «Haller hat ihn noch nie getragen», sagte er. «Eine Frau aus Riederen hat ihn gebracht. Zur Nikolausfeier.» Er probierte sich den Pullover an, einen dunkelgrünen Pullover, vorne mit einem roten Dreiecksmuster darin. Das Portemonnaie legte Naef neben sich auf die Bettdecke. «Schade, dass Haller selber es nicht mehr hat benützen können.»

    Das alte Portemonnaie liegt in einer der Schachteln, bei den Fotos und Ansichtskarten. Bereits im letzten Frühling hatte der Vater gesagt, er werde sich nächstens ein neues Portemonnaie kaufen müssen, das alte habe an zwei Stellen ein Loch. Das Geld klimpere ihm immer im Hosensack rum – und falls auch im Hosensack einmal ein Loch sei, verliere er alles.

    Der Verwalter war nicht im Haus. Eine junge Angestellte zeigte uns, wo wir die vollen Abfallsäcke hinstellen konnten. Sie dankte für das Aufräumen.

    Sophie hatte von Frau Köppel das Auto erhalten. Ein Koffer hätte gereicht, das Auto wäre nicht nötig gewesen.

    Bevor wir in die Stadt zurückfuhren, gingen wir im «Löwen» drüben einen Kaffee trinken. Die Wirtin reichte uns über den Tisch hinweg die Hand. Sie habe leider nicht an die Kremation kommen können.

    2

    Februar, März, April des vorigen Jahres:

    Zahneisen

    Sein Brief: «Meine Lieben! Der Doktor hat jetzt am Rücken operieren müssen. Es ist noch nicht ganz gut. Aber es wird sich schon bessern. Ich brauche ein paar neue Leibchen, drei oder vier, kann sie mir im Moment nicht selber besorgen. Bitte schicken, mittlere Grösse. Mit freundlichen Grüssen …»

    Der Brief kam an einem Freitag. Am Sonntag fuhren wir ins Breitmoos hinaus.

    Die beiden anderen Männer waren auch im Zimmer. Der Vater führte uns in den Aufenthaltsraum im Neubau drüben. Eine Frau kochte sich in der Ecke einen Tee; sonst war niemand da. Wir setzten uns an einen der Tische vorne bei den Fenstern. Ein grauer Tag.

    Ja, sagte er, auf unseren Rat hin habe er sich den Rücken verbinden lassen. Mit dem Verbandzeug, das sie, Sophie, ihm vor drei Wochen in der Apotheke gekauft und mitgegeben. Einige Tage hätten sie ihm die Sache verbunden. Ihn habe gedünkt, es heile allmählich. Gejuckt jedenfalls habe es weniger. Die Salbe sei wohl die richtige gewesen. Aber dann hätte einmal Frau Christen, die bisweilen zur Aushilfe hier, den Verband machen sollen: sie habe ihn nicht gemacht, sie habe sich geweigert. Da müsse ein Doktor her, habe sie gesagt, so etwas verbinde sie nicht, ohne dass es ein Doktor gesehen. Die Frau des Verwalters habe ihn darauf noch am gleichen Tag zu Lätt in die Sprechstunde gebracht.

    «Und dort hab’ ich mich auf die Liege gelegt bäuchlings, und der Lätt hat’s rausgeschnitten. Ob er den kleinen Knoten daneben auch herausschneiden solle, hat er gefragt. Nur los, raus damit, das geht grad zusammen, hab’ ich gesagt. – Und jetzt muss ich halt jeden zweiten Tag hingehen. Er will die Wunde selber verbinden, tupft sie aus und verbindet sie neu. Manchmal gibt er mir für die Leute im Heim, die krank sind, Medikamente mit. Damit er nicht extra herfahren muss.»

    Sophie fragte, was es nach Meinung des Arztes denn sei.

    Ach, der wisse das doch nicht. Zuerst habe er was von Hautkrebs gesagt. Er habe sich den Rücken angesehen und ein seltsames Gesicht gemacht. Aber dann habe er gesagt, wahrscheinlich sei die Sache weiter nicht schlimm, daran sterbe er, Haller, noch lange nicht, er sei ja ein Zäher. Nein, habe er gesagt, Krebs werd’s wohl nicht sein, Gürtelrose vielleicht oder etwas dergleichen. Andererseits spreche doch etliches dagegen. – Dieser Lätt sei ein Schwafler, sagte der Vater; er selber wisse nämlich genau, woher das Geschwür komme. Das sei an der Stelle gekommen, wo ihn immer der Gürtel gedrückt, der Ledergürtel, den ihm der Schuhmacher voriges Jahr geflickt und zusammengenietet. Präzis bei den vier Nieten habe es den Eiss gegeben: die Hose sei ihm, wenn er sich gebückt – und bei seiner Arbeit müsse er sich eben häufig bücken –, hinten immer ein wenig nach unten gezogen worden, der Gürtel mit den vier Nieten jeweils oben geblieben, direkt auf der Haut: genau so sei es gewesen, das wisse er. Nichts als eine Art Eiss, und den habe er sich immerzu aufs neue aufgekratzt. Und schliesslich habe auch Doktor Lätt zugegeben, daran könne es liegen, die Nieten des Gürtels hätten das aufgeschürft, das sei wohl möglich; das oder was anderes, habe Lätt gesagt.

    «Ich will mich nicht beklagen. Er hat das ganz gut herausoperiert. Hat eine Spritze gegeben, ich hab’ kaum was gespürt. So kleine Operationen, darauf versteht er sich, schnippeln tut er gern. Und jetzt kümmert er sich darum. Ich muss jeden zweiten Tag hin, und er verbindet es eigenhändig. Er gibt sich alle erdenkliche Mühe mit diesem bisschen Blessur.»

    Sophie fragte, ob er, ausser den Leibchen, sonst noch was nötig habe.

    Er dankte; er sei mit dem Nötigen versehen vorläufig. Es sei bloss lästig, jeden zweiten Tag nach Weiermatten zu fahren. Weit sei es zwar nicht, aber er verliere dabei meist doch einen ganzen Nachmittag, müsse, wenn er Pech habe, eine geschlagene Stunde warten, bis wieder ein Postauto komme. Er würde nichts sagen wollen, wenn’s in Weiermatten ein Wirtshaus gäbe: aber das geb’s in Weiermatten nicht. Er könne nicht verstehen, dass ein Doktor eine Praxis eröffne in einem Kaff, wo nicht mal eine Wirtschaft vorhanden sei.

    Inzwischen waren zwei Männer in den Aufenthaltsraum getreten und hatten sich in der Nähe hingesetzt. Die Füsse des einen reichten, wenn er sass, nicht auf den Boden. Der andere kaute an einer leeren Tabakspfeife.

    Als der Vater den Wirtshausmangel erwähnte, blickten beide herüber; der Kurzbeinige machte feixend eine Bemerkung, die ich nicht verstand.

    Der Vater fixierte ihn: «Hast etwa etwas dagegen?»

    Er hatte nichts dagegen.

    Sophie legte die Hand auf Vaters Arm. «Schon recht», beschwichtigte sie. Und Lippen vorstülpen; zusätzlich nicken.

    Und vom Wetter reden.

    «Neblig», bestätigte der Mann mit der Pfeife.

    Wir schauten alle zum Fenster hinaus.

    «Schön, jetzt an der Wärme zu sein», sagte der Kurzbeinige.

    «Quatsch», sagte der Vater, «langweilig ist’s.»

    Im Laufe der folgenden Wochen besuchte ich ihn hin und wieder im Breitmoos draussen. Oder ich telefonierte mit ihm. Seine Laune verschlechterte sich.

    Als ich an einem Sonntag gegen Abend beim Heim anrief, sagte die Angestellte, er sei nicht im Haus. An Sonntagnachmittagen halte er sich häufig im «Löwen» auf. Ich solle es dort versuchen.

    Budmiger, der Wirt, nahm das Telefon ab. Ja, Haller sei da. Ob er ihn rufen solle.

    Es dauerte eine Weile, bis der Vater am Apparat war. Ich hörte ihn den Gang entlangkommen. Er lärmte was in die Wirtsstube zurück, was wie Fluchen tönte.

    Ah – ich sei’s, sagte er. Doch, es gehe. Bloss der Lätt, dieser Lätt sei und bleibe ein Quacksalber. Das Auswaschen, Neuverbinden habe nun lange genug gedauert. Er habe keine Zeit für solchen Blödsinn, habe Gescheiteres zu tun. Er wolle endlich wieder arbeiten. Er brauche das. Und er frage sich, ob es überhaupt nötig gewesen sei, den Eiss herauszuschneiden. Die Sache wäre sicher auch so verheilt. Länger auf jeden Fall als mit diesem Rumdoktern hätte es sicher auch nicht gedauert. Im Gegenteil, jetzt jucke es wieder am ganzen Rücken, vor der Operation habe es nicht mehr gejuckt. Und immer diese Sauerei im Bett, fast jeden Tag müssten sie die Leintücher wechseln. Es nässe aus dem Verband heraus; da könne der Doktor pflastern, soviel er wolle. Überhaupt, dieser Herr Doktor solle ihm bitte mal vormachen, wie man sich mit einem solchen Pflasterverband ins Bett legen könne. Schluss und fertig damit; er müsse endlich mit der Arbeit am Brunnen beginnen; zweimal sei Estermann schon vorbeigekommen und habe gefragt, wann er anfange. Auch dem Adam habe er versprochen, und das bereits letzten Herbst, die Fenstersimse zu scharrieren, sobald’s wieder wärmer werde. Das müsse nun alles warten wegen dieses Rückenzeugs. Einfach rumhocken, das sei nichts für ihn. Jetzt sei März, jetzt müsse er hinaus. Ausserdem habe er Sackgeld nötig.

    Er hatte zuviel getrunken.

    Was dieser Lätt ihm sage, sei ohnehin alles Mist. Der sage bald das, bald jenes, wolle ihn in die Stadt zu Briner schicken, einem Hautarzt, rede handkehrum von Spital und Bestrahlen und wer weiss was allem. Und dann wieder: man müsse noch warten, bis die Wunde verheilt. Aber er, Haller, sage, jetzt sei genug gewartet, verdammt noch mal.

    Ob ich Lätt telefonieren solle, fragte ich.

    Das habe keinen Wert, sagte der Vater.

    Ob ich ihn das nächstemal in die Sprechstunde begleiten solle.

    Er könne sich selber wehren. Dem sage er’s noch, aber sicher. So einer sei doch kein Doktor, ein Depp sei das.

    Ich liess

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