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Flirt am Sonntag
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eBook391 Seiten5 Stunden

Flirt am Sonntag

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Über dieses E-Book

Die wahren Geschichten schreibt das Leben.

Johanna träumt von einer Karriere als Journalistin in der
Hauptstadt. Für ein Praktikum bei N24 macht sich die
18-jährige Abiturientin auf den Weg nach Berlin.
Womit sie nicht rechnet ist, dass sie auf ihrer Reise
einem Mann begegnet, der ihr Herz berührt und sich
mit einem intensiven Blick und einer Zeitung in ihr Leben
schleicht.
Auf der Suche nach sich selbst und ihrer beruflichen
Bestimmung muss sie sich somit nicht nur mit den
Konflikten rund um ihre Zukunftsplanung rumschlagen,
sondern sich auch ihren Ängsten hinsichtlich ihrer
Gefühle stellen. Denn ihr Verstand ist stärker als ihr Herz
und erinnert sie immer wieder daran, dass nicht nur
fünfhundert Kilometer Distanz zwischen ihr und dem
unbekannten Mann aus dem Flugzeug liegen, sondern
auch achtzehn Jahre Altersunterschied.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Okt. 2021
ISBN9783347384507
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    Buchvorschau

    Flirt am Sonntag - Alina Wunderlich

    1. KAPITEL

    «Es sind nicht in allen Muscheln Perlen, aber man muss sie alle durchsuchen.»

    – Unbekannt –

    «Ich bitte euch. Er ist einunddreißig und seine längste Beziehung hat ganze drei Monate gedauert. Irgendwas kann doch mit dem Typen nicht stimmen.»

    Ich kann es immer noch nicht richtig glauben, was ich heute über meinen aktuellen Schwarm erfahren habe. Während ich meinen Freundinnen von den neusten Ereignissen erzähle, denke ich darüber nach, wie ich diesen Typen wieder loswerden soll.

    «Aber dafür war es besonders intensiv. Ist doch auch was.», greift Rosa mit einem ironischen Unterton auf.

    Die längste Beziehung dieses einunddreißigjährigen Mannes hat nur ein paar Monate gehalten. Was sagt das über diesen Menschen aus? Beziehungsunfähig? Über längere Zeit nicht auszuhalten?

    «Es wäre ja schon Stress genug, wenn ich mich auf diesen Mann einlassen würde. Ich will mir gar nicht vorstellen, was meine Eltern für einen Aufstand machen würden. Ich bin achtzehn und er dreizehn Jahre älter als ich. Aber in dem Fall hätte ich ja noch nicht mal was davon, dass er älter ist, wenn er nicht viel erfahrener ist als ich. Dann such ich mir lieber direkt einen in meinem Alter und spar mir den Ärger zu Hause.»

    In den letzten Wochen habe ich mir oft Gedanken darüber gemacht, ob es wirklich sinnvoll wäre, wenn mein erster Freund die dreißig schon geknackt hätte. Da sind so viele Erfahrungen und Lebensjahre, die zwischen uns liegen würden, die mir sicher früher oder später einmal fehlen würden. In zehn Jahren begegnet man vielen Menschen. Man hat die ein oder andere Beziehung geführt, war verliebt, hat mit Sicherheit auch viele schlechte Erfahrungen gesammelt, sich dadurch verändert. Man ist getrennt durch ein ganzes Jahrzehnt, welches man niemals aufholen kann. Es bringt nichts, schneller zu laufen, denn die Zeit ist nicht zu überwinden. Dennoch glaube ich fest daran, dass das Alter einfach nur eine Zahl ist. Es sagt nichts über eine Person aus und davon ist auch nicht abhängig, ob eine Beziehung funktionieren kann oder nicht. Egal welche Art von Beziehung. Ob Liebe oder Freundschaft.

    Deswegen ist für mich das Alter kein Grund, eine Beziehung auszuschließen. Ich denke, dass es in diesem Fall an dem Menschen liegt und nicht an den Jahren, die uns trennen.

    Emily und Rosa schauen mich an und verkneifen sich ein Lachen.

    Emily legt mir die Hand auf die Schulter.

    «Einen Gleichaltrigen? Damit die Leute denken du gehst Hand in Hand mit deinem Bruder spazieren?»

    «Dann musst du noch aufpassen, dass du dir keinen Ärger einfängst.» Rosa prustet los. Emily und ich lassen uns anstecken.

    «Einer in deinem Alter kommt für dich mal gar nicht infrage. Das kann ich mir echt nicht vorstellen.», wirft Emily ein.

    «Ich mir irgendwie auch nicht. Eigentlich erwartet man bei dir auch nichts anderes. Alles, was unter fünfundzwanzig ist, passt einfach nicht zu dir. Stell dir mal kurz vor, du und Elias wärt ein Paar.», fügt sie noch hinzu. Wir schweigen kurz.

    Elias ist mein bester Freund. Wir kennen uns seit Ewigkeiten, wissen alles übereinander und eigentlich ersetzen wir den Schatten des anderen.

    Die meisten unserer Mitschüler dachten anfangs, als wir in den neuen Jahrgang gekommen sind, wir seien ein Paar. Sogar die Lehrer sind davon ausgegangen. Ich will nicht wissen, wie viel Geld im Lehrerzimmer schon darauf verwettet wurde, dass wir uns eines Tages vor dem Traualtar wieder treffen. Dabei kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen.

    Ich halte gerne daran fest, das beste Beispiel dafür zu sein, dass man mit dem anderen Geschlecht einfach nur befreundet sein kann. Vielleicht könnte man es platonische Liebe nennen.

    Wir stehen uns wirklich sehr nah. Es gibt keinen Menschen, noch nicht einmal meine besten Freundinnen, der mich so gut kennt wie Elias. Es gibt niemanden, mit dem ich besser über meine Gedanken oder Gefühle sprechen könnte als mit ihm und niemanden, der mich so gut versteht wie er.

    Es gibt so viele Dinge, die das Leben betreffen, die wir aus denselben Augen sehen. Diese besondere Freundschaft zu haben bedeutet mir sehr viel.

    «Wie willst du ihn jetzt wieder loswerden?», reißt Rosa mich aus meinen Gedanken.

    «Wenn ich das wüsste. Ich glaube, ich überlebe den Abend nicht.»

    Marc versteht sich prächtig mit Rosas Bruder und dessen Freund, sodass wir die Gelegenheit genutzt haben, uns in Rosas Zimmer zurückzuziehen, um die Neuigkeiten des Tages auszutauschen.

    «Irgendwie tut er mir total leid, das hat er wirklich nicht verdient. Er ist echt nett und ich mein, am Anfang war ich ja auch Feuer und Flamme. Aber mir ist das jetzt schon viel zu ernst und so richtig begeistert bin ich nicht. Schon gar nicht nach heute. Und besser wird es mit dem Küssen ja auch nicht.»

    «Ach ja, das kommt ja auch noch dazu. Ist es immer noch nicht besser geworden?», fragt Emily.

    «Naja schlimmer geht ja nicht. Ich hab schon alles gegeben, hab versucht es ihm zu zeigen, aber auf Dauer ist das anstrengend. Der Kerl hat seine Zunge einfach nicht unter Kontrolle. Null Sinnlichkeit.»

    Die Mädels fangen zeitgleich an zu lachen. Ich find das nicht lustig. Ich verstehe einfach nicht, was ich immer falsch mache. Es kann doch nicht sein, dass ich immer nur so komische Typen treffe. Wo bleibt der Prinz auf seinem Scheiß Gaul?

    Marc habe ich im Internet kennengelernt. Ich könnte so unglaublich viele Gründe nennen, warum ich Online-Dating nicht gut finde. Wo bleibt die Geschichte? Der Moment, in dem man zum ersten Mal aufeinander aufmerksam wird? Die Art und Weise, wie man ins Gespräch kommt, dieses aufregende Gefühl im Bauch. Da fehlt doch was, wenn man auf seinem Handy wie im Katalog einen Typen aussucht und ohne Überwindung oder Mut in Kontakt treten kann. Für mich ist es frustrierend zu sehen, wie das Angebot da draußen aussieht. Das sollen die Single-Männer von heute sein? Ungepflegt, nicht schön anzusehen, wenig sympathisch. Wie ein Haufen von übrig gebliebenen Männer-Resten.

    Marc war ein kleiner Lichtblick neben all diesen Nieten, die ich schon gezogen habe. Ich war positiv überrascht, als ich auf seinem Profil gelandet bin. Er sah ganz nett aus, kantiges Gesicht, blau-grüne Augen, blond, groß und breite Schultern. Beuteschema passte. Nach nur wenigen Tagen haben wir uns seitenlange Nachrichten geschrieben. Ich hatte ja nichts zu verlieren, deswegen habe ich mich schließlich dazu hinreißen lassen, mich mit ihm zu treffen.

    Das erste Date war tatsächlich ganz schön. Wir haben uns im zoologischen Garten in Köln getroffen. Es war ein warmer Sommertag, der Himmel war strahlend blau. Ich war ganz schön aufgeregt. Schließlich trifft man jemanden den man gar nicht wirklich kennt. Es gibt nur Vorstellungen und die müssen am besten irgendwie erfüllt werden. Und zu neunundneunzig Prozent kann man davon ausgehen, dass man gnadenlos enttäuscht wird.

    Am Anfang musste ich mich an Marcs sehr tiefe Stimme gewöhnen. Sie passte nicht zu dem Mann, den ich mir vorgestellt habe. Sein Gesicht sah ähnlich aus wie auf dem Foto, jedoch viel gezeichneter. Er hat viele Narben. Wahrscheinlich Überreste von früherer Akne. Aber es hätte mich schlimmer treffen können. Was mir gefallen hat, war, dass wir uns auch im wahren Leben sehr viel zu erzählen hatten. Ich war nicht in den ersten zwei Minuten total entgeistert. Somit hat Marc mich dazu gebracht, meine Einstellung zum Online-Dating noch mal zu überdenken. Nachdem wir einige Runden durch den Park spaziert sind, haben wir uns für ein Abendessen am Mediapark entschieden

    Und da, nach einer großen Portion Pasta, hat Marc es innerhalb weniger Sekunden geschafft, den guten Eindruck und das positive Gefühl unseres ersten Dates komplett zu ruinieren.

    Sehr überraschend und total unpassend – ich habe meine Nudeln noch nicht richtig runterschlucken können – küsste er mich.

    Nicht, dass ich es nicht sehr anziehend an einem Mann finde, wenn er weiß, was er will und die Initiative ergreift, mich zu küssen. Nur sollte er auch das Gefühl für den richtigen Moment beweisen. Und das war er definitiv nicht.

    Ich liebe es zu knutschen. Es ist meine pure Leidenschaft. Den Teil an Lebensgefühl und Lebensenergie, den man durch einen anderen Menschen aufnehmen kann, nehme ich wie die Luft zum Atmen durch das Küssen auf. Das macht mich aus. Und das kann ich richtig gut. Es sind inzwischen zahlreiche Frösche, die ich geküsst habe. Der eine hatte es mehr, der andere weniger drauf. Bei dem einen habe ich ein Kribbeln gespürt, bei dem anderen war es gut, dass ich betrunken war. Noch nie jedoch habe ich aus reiner Liebe geküsst.

    Aber für Marc fehlten mir in diesem Augenblick die Worte. Während unseres sehr kurzen Kusses habe ich nicht eine Sekunde lang die Möglichkeit gehabt, seine Lippen auf meinen zu spüren. Er ist sofort mit der Zunge durchgestartet und ich weiß bis heute nicht, was er in meinem Hals gesucht hat. Es war grausam. Ich hätte am liebsten augenblicklich angefangen zu weinen. Wie kann man nur so schlecht küssen? Ausgerechnet das.

    In der naiven Hoffnung, dass wir das mit dem Küssen noch hinkriegen, habe ich mich weiter mit ihm getroffen. Ich glaube, es war der Versuch, mich selbst dazu zu bringen, nicht so wählerisch zu sein. Mich daran zu erinnern, dass mein erster Freund ja nicht unbedingt der perfekte Mann zum Heiraten sein muss.

    Er hat noch vier weitere Dates bekommen. Kino, Stadtfest, Kochen bei ihm und heute das Grillen mit meinen besten Freundinnen. Es bringt nichts, es fühlt sich einfach nicht gut an.

    Bevor wir uns auf den Weg zu Rosa gemacht haben, war ich bei ihm in der Wohnung. Wir lagen zusammen auf seinem Sofa und haben das Knutschen noch ein bisschen geübt. Ich bilde mir ein, dass es schon ein bisschen besser geworden ist. Dann haben wir uns langsam ausgezogen, bis wir nackt aufeinander lagen. Marc wollte mit mir schlafen. Ich aber nicht mit ihm.

    Man könnte mir einen Mann nackt um den Bauch binden. Wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es das Richtige ist, dann mache ich es auch nicht. Da bin ich knallhart und sehr konsequent.

    Vielleicht bin ich auch einfach nur der größte Angsthase auf diesem Planeten, der versucht, mit Händen und Füßen seine Jungfräulichkeit zu verteidigen.

    Ich bin achtzehn Jahre alt und habe immer noch keinen Sex gehabt. Auch wenn ich es nicht bewusst mache, setze ich mich deswegen gerne selber unter Druck. Anfangs bin ich stolz darauf gewesen, nicht mit dem Erstbesten in die Kiste gesprungen zu sein und mein erstes Mal wohl bewusster erleben zu können, als wenn ich es mit vierzehn gemacht hätte. Doch inzwischen bin ich der Meinung, dass mal jemand kommen könnte, der mich erlöst.

    Wenn man so lange wartet, kommt man irgendwann in die Situation, dass man gerne mit dem nächstbesten Typen Sex hätte, es jedoch nicht unbedacht an jemanden verschwenden möchte. Und so wird das erste Mal immer größer. Vor allem wenn man so verkopft ist wie ich.

    Marc konnte verstehen, dass ich nichts überstürzen möchte. Er hat mich einfach nur in den Arm genommen. So lagen wir noch eine Weile da. Ich habe mich gefragt, ob das jetzt schon das letzte Treffen war. Oder ob ich mich wohl noch mal auf ein weiteres Treffen einlassen werde. Bis er mir erzählt hat, dass seine längste Beziehung ganze drei Monate gedauert hat. Jegliche übrige Attraktivität hat sich mit dieser Information in Luft aufgelöst.

    Ich sitze auf Rosas Bett. Meine Freundinnen schauen mich erwartungsvoll an. Ich überlege, was ich tun soll. Mir ist klar geworden, dass es keinen Sinn macht, die Sache mit Marc zu erzwingen. Es wäre so schön gewesen, wenn es geklappt hätte, aber es fühlt sich einfach nicht gut an.

    «Ich bringe es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass das mit uns nichts wird. Wenn er heute geht, dann sehen wir uns halt nicht wieder. Ich denke, ich werde es ihm einfach schreiben.», überlege ich mit dem Wissen, dass das die unfairste Lösung ist.

    «Nicht persönlich? Was ist denn mit dir los?», fragt Emily.

    «Ich kann das irgendwie nicht. Oh Gott, ich bin so schlecht darin, Körbe zu verteilen. Aber immerhin beende ich das dann so, wie es angefangen hat. Unpersönlich via Chat.»

    Emily zuckt mit den Schultern. Rosa steht auf und animiert uns, wieder zu den Jungs zu gehen. Wir gehen die Treppen runter. Die Küche sowie das Wohnzimmer sind durch eine Wand vom Eingang und vom Treppenhaus getrennt. Durch die offene Küche kommt man direkt ins Wohnzimmer, welches durch eine Schiebetür in den Garten führt. Auf der Terrasse sitzen Marc, Rosas Bruder, dessen bester Freund sowie Rosas Freund Fred.

    Eigentlich waren wir immer das unzerstörbare Single-Jungfrauen -Trio. Bis Rosa Fred getroffen und Emily und mich unseren Schicksalen überlassen hat.

    Der Valentinstag musste nur auf Karneval fallen, um Rosa ihr Liebesglück zu bescheren. Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass Rosa und ich an Karneval zusammen in der Stadthalle gefeiert haben. Fred war mit ein paar Kumpels da. Den gesamten Abend galt seine Aufmerksamkeit Rosa.

    Rosa war eigentlich gar nicht begeistert von ihm. Sie hat versucht ihn loszuwerden. Ihre Blicke haben mich angefleht, etwas zu tun. Ich musste mich sogar kurzzeitig mit ihr auf der Toilette verstecken. Leider – oder auch zum Glück – war das einer der wenigen Situationen, in denen ich nicht hinter meiner Freundin stehen konnte. Den Typ fand ich nett. Er sah gut aus und machte einen sympathischen Eindruck. Ich wusste keinen Grund, warum sie nicht mit ihm tanzen und ins Gespräch kommen sollte.

    Schnell hat Fred geschnallt, dass ich Rosas beste Freundin bin, sodass er wusste, zu wem er nett sein sollte. Er bat mich mit vielsagenden Blicken um Hilfe. Ich habe Rosa an der Hand gepackt, sie neben den Cowboy gesetzt und sie ermahnt, sitzen zu bleiben. Mit dem Kopf deutete Fred mir dann an, dass ich jetzt verschwinden könnte. Gern geschehen.

    Ein paar Wochen haben die beiden sich getroffen. Nach meinem 18. Geburtstag – Fred war Rosas Begleitung auf meiner Party – kamen sie dann offiziell zusammen. Meine Güte, wie einfach das gewesen ist. Ich feiere mein hundertdreißigstes Date und hab schon wieder in die Scheiße gegriffen. Was ist das nur mit mir und den Männern?

    Daten, Flirten und Knutschen sind Dinge, die man bei mir beinahe schon als Hobby bezeichnen könnte. Ich genieße es, unterschiedliche Typen zu treffen, kennenzulernen, wild zu knutschen, interessante Männer anzusprechen und natürlich angesprochen zu werden. Flirten ist etwas so Großartiges. Das hat einfach was von Freiheit. Dieses Gefühl, begehrt zu werden ist wie Strom, der alle Batterien auflädt.

    Der Beginn der Volljährigkeit ist ein so fabelhaftes Alter, um nach draußen zu gehen und einfach zu machen. Es hat was von Freiheit. Meine Oma beneidet mich immer wieder darum. Sagt mir, dass ich die Zeit genießen müsste, sie sei schnell genug wieder vorbei. Das Einzige, was meine Freiheit einschränkt, ist die Tatsache, dass ich noch Jungfrau bin. Denn wäre ich es nicht, könnte ich mich eine Weile austoben, um mich dann auf etwas Richtiges einzulassen. Denn auch wenn die Freiheit in mir schreit, vermisse ich es, dass jemand neben mir liegt. Jemand, der da auch noch am nächsten und übernächsten Morgen liegt. Jemand, der sich an mich heran kuschelt. Nicht einmal oder zweimal, dann wieder jemand anderes. Nein. Ich will jemanden der immer da ist. Aber das muss ja nicht unbedingt der Typ sein, mit dem ich das erste Mal Sex habe.

    Ich öffne meine Weinflasche und fülle mein leeres Glas wieder auf. Inzwischen ist es schon ganz normal, dass ich in meinem Freundeskreis meine eigene Weinflasche habe. Ich liebe Wein. Eine Eigenschaft, die meine Freunde nicht mit mir teilen. Elias habe ich inzwischen erfolgreich zum Weintrinker gebogen. Bei den Mädels gebe ich die Hoffnung auf. In unseren Kreisen ist das Wein trinken noch etwas sehr Spießiges. Aber das ist mir egal. Dann riskiere ich eben schiefe Blicke, wenn ich die Einzige im Irish Pub bin, die sich einen Wein bestellt. Wein macht die Stimmung. Ob an einem warmen Sommerabend im Garten unter freiem Himmel oder im Winter vor dem Kamin. Es gibt keine schöneren Unterhaltungen als die, die von einem vollmundigen Glas Wein begleitet werden. Und er kann fast so gut trösten wie Schokolade.

    «Möchtest du noch ein Brötchen?«, fragt Marc und beugt sich zu mir. Er streckt seinen Mund zu mir aus und erwartet einen Kuss. Ich bemerke einen Brotkrümel in seinem Mundwinkel. Seine blauen, schmalen Augen sind noch schmaler als sonst. Das Bedürfnis, sein Verlangen zu erwidern, liegt bei minus hundert. Außerdem ist es mir unangenehm, ihn vor Rosas Bruder und den anderen Jungs zu küssen. Marc passt einfach nicht hier rein in eine Runde von Zwanzigjährigen. Bevor er mir mit seinem Mund nur einen Zentimeter näherkommen kann, springe ich auf und flüchte zum Grill. Auch wenn ich mich schon jetzt vor dem rauchigen Geruch meiner Haare heute Nacht ekle, drehe ich lieber ein paar Würstchen, als mich zurück in diese furchtbar unangenehme Situation zu begeben. Marc macht sich wirklich ernsthafte Hoffnungen. Für ihn scheint die Sache klar zu sein. Ein Blick über meine Schulter zeigt mir, dass Marc sich in meinem Freundeskreis ziemlich wohl fühlt. Er lächelt mir breit zu. Schnell widme ich mich wieder dem Grill.

    Emily und Rosa haben inzwischen verstanden, wo mein plötzliches Interesse am Grillen herkommt. Emily steht auf und steuert mit ihrem Teller auf mich zu.

    «Alles ok? Soll ich ein bisschen hierbleiben?», flüstert sie. Eigentlich wäre es nicht nötig, leise zu reden. Der Tisch ist weit genug weg, um ungehört sprechen zu können.

    «Ich musste da einfach kurz weg», antworte ich.

    «Mir ist das irgendwie zu viel. Das fühlt sich nicht gut an.»

    Nun steht auch Rosa auf. Sie kippt den letzten Schluck Wein in mein fast leeres Weinglas und gesellt sich zu uns.

    «Hier.» Sie drückt mir das Glas in die Hand. Ich nehme einen großen Schluck.

    «Er ist doch ganz nett. Aber ich kann dich verstehen», sagt Rosa. «Mein Fall wär das auch nicht.»

    «Vielleicht bin ich einfach der bessere Single.»

    «Vielleicht solltest du anfangen, Kompromisse einzugehen», schlägt Emily vor.

    «Das sagt die Richtige», antworte ich provokant.

    «Gerade du, die seit zwei Jahren einem Fußballer hinterher träumt und keine Augen für irgendeinen erreichbaren Typen aus dem wahren Leben hat. So sehr ich es dir wünschen würde, er wird nicht an deiner Tür klopfen.»

    «Lass mich doch. Mir reicht das, wenn ich mir regelmäßig seine tollen Bilder auf Facebook und Instagram angucken kann. Der postet immer so schöne Fotos.» Emily verfällt ins Schwärmen.

    «Er sieht so perfekt aus. Sein kantiges Gesicht, seine dunklen Augen und ich liebe seinen Style. Warum kann er nicht hier sein?»

    «Ich nehme mal an, er hockt gerade auf irgendeiner angesagten Party und hat gerade mindestens fünf Models um sich herumsitzen», antwortet Rosa.

    «Egal. Die Vorstellung daran reicht mir schon», erwidert Emily.

    Das Schlimme daran ist, dass sie es tatsächlich ernst meint. Es macht sie voll und ganz glücklich, wenn ihr Leon Goretzka mal ein neues Foto postet. Inzwischen besteht mein Handy-Speicher fast ausschließlich aus Screenshots von diesem Leon. Im Trikot auf dem Platz, beim Bälle einsammeln, mit irgendwelchen Hunden und Kindern im Arm oder auf der Hängematte, während er gerade fürs Abi lernt. Es ist wirklich amüsant und ich freue mich immer über die Bilder, denn ich weiß, wie sehr Emily sich darüber freut. Sie ist total hin und weg von diesem Typen. Ich würde ihr so sehr wünschen, dass sie ihn eines Tages mal treffen kann. Träumen kostet ja nichts.

    Eine Stunde später sitzen wir zusammen auf dem Sofa. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden und die Sommerluft kühler. Im Fernsehen läuft irgendeine langweilige Castingshow, die eigentlich keiner beachtet. Sehr verkrampft sitze ich neben Marc, der mit einem dauerhaften Grinsen im Gesicht immer wieder zu mir sieht und dabei sein Bier genießt. Langsam merke ich, wie der Wein Wirkung zeigt. Marc legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich an sich heran. Ich lasse es einfach zu. Ich greife zu meinem Glas, in dem noch ein letzter Schluck Wein darauf wartet, getrunken zu werden. Ich bin total müde. Aber trotzdem nicht müde genug, um schlafen zu gehen. Marc macht keine Anstalten, den Heimweg einzuschlagen. Er weiß, dass ich bei Rosa schlafen werde. Es ist schon spät.

    «Ich werde jetzt gleich schlafen gehen», sage ich ihm. Es ist die beste Möglichkeit, ihm zu deuten, dass er sich nun auf den Weg nach Hause machen kann.

    «Ok.»

    Mehr antwortet er nicht. Einfach nur ok? Entspannt sitzt er noch auf derselben Stelle wie zuvor und zeigt keine Regung.

    Ich warte einen Augenblick. Dann stehe ich auf.

    «Ich gehe jetzt schlafen», sage ich mit ernstem Ton.

    «Schlaf gut», erwidert Marc lächelnd. Er versteht es nicht. Rosa fängt an zu lachen. Ich schüttle den Kopf. Langsam schleiche ich aus dem Wohnzimmer. Es stört Marc absolut nicht. Rosa kommt mir hinterhergelaufen.

    «Der bleibt wohl hier.», warne ich Rosa.

    «Ist doch toll. Kann er sich noch mit meinem Bruder unterhalten», lacht sie.

    2. KAPITEL

    «Als ich dich sah, verliebte ich mich, und Du hast gelächelt, weil Du es wusstest.»

    - William Shakespeare –

    Ich stopfe meine Sonnenbrille in den kleinen Handgepäck-Koffer und ziehe den Reißverschluss zu. Das Taxi steht bereits vor der Tür und mein Vater verfrachtet die Taschen im Kofferraum. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben. Nur noch ein paar Stunden und die Hauptstadt hat mich wieder. Berlin, ich bin auf dem Weg!

    Ich liebe diese Stadt. So sehr mein Herz ins Rheinland gehört, wenn ich in der Hauptstadt bin, umgeben von tausenden Menschen, Touristen, Leuten auf der Durchreise, fühle ich mich einfach wohl. Diese Anonymität. Und trotzdem diese Individualität. Jeder ist, was er ist und zeigt das auch, ohne sich zu verstecken. Es gibt so viele verschiedene bunte Menschen, die in dieser Stadt zusammenkommen. So viele Träume, Ziele, Aufgaben und persönliche Missionen. Unzählige Geschichten. Ich bin immer wieder angetan von all den Sehenswürdigkeiten. Das Brandenburger Tor, das rote Rathaus oder der Berliner Dom. Der Blick, wenn man am Ufer der Friedrichstraße steht und über die Spree blickt. Wunderbar.

    Dieses Berlin hat so viele Gesichter. Geschichte, Medien, Kunst und Kultur. Wichtige Menschen aus Politik und Wirtschaft, die unser Land regieren. Mode, Glamour. Wenn ich durch die Straßen schlendere, hab ich das Gefühl, mir selbst ein kleines Stückchen näher zu sein. Dieses Gefühl lässt mich von innen strahlen.

    Meinem Vater war es immer sehr wichtig, meiner Schwester Alice und mir so viel wie möglich von der Welt zu zeigen.

    Die Basics, wie er sagen würde. Und dazu gehörte vor Jahren, mit uns in die Hauptstadt zu fahren. Daraus ist dann eine Familientradition geworden. Jedes Jahr fahren wir über ein verlängertes Wochenende nach Berlin. Von der ersten Sekunde an hat mich diese Stadt um den Finger gewickelt. Sie hat meine Träume größer werden lassen, Jahr für Jahr. Nach zahlreichen FamilienTrips war ich im letzten Jahr das erste Mal «allein» in Berlin. Allein mit meinem gesamten Jahrgang. Diese Studienfahrt hat mir eine ganz neue Perspektive auf die Stadt gegeben. Ohne meine Eltern, stattdessen mit Leuten in meinem Alter, sind wir abends in Cocktailbars gegangen statt in Restaurants und Hotelbars. Wir sind durch die Straßen gezogen und hatten kein Ziel. Dabei entdeckt man immer wieder ganz neue Seiten. Dieses Mal bekomme ich eine Businesswoche in der Hauptstadt.

    Eine Erinnerung blinkt auf meinem Handydisplay auf. Vor kurzem habe ich mir aus Langeweile eine App heruntergeladen, die mir einmal in der Woche mein Horoskop verrät. Eigentlich wollte ich die App schon längst wieder deinstallieren. Weil meine Neugierde nun trotzdem geweckt ist, tippe ich es an.

    Eine unerwartete Begegnung wird Ihr Herz höher schlagen lassen. Ein Neuanfang? Für Singles kann sie zur Wende werden.

    Unberührt von diesen Worten wische ich das Horoskop weg, um zu schauen, wer mir eine neue Nachricht geschrieben hat. Marc. Nach dem Grillen am Freitagabend haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich habe ihm am nächsten Morgen eine lange Nachricht geschrieben und ihm damit erklärt, dass es mit uns beiden nicht weiter gehen wird. Auf die Frage, was er falsch gemacht hätte, habe ich ihm geschrieben, dass der Funke bei mir nicht übergesprungen ist. Ich mein, hätte ich ihm sagen sollen, dass er ein furchtbarer Küsser ist? Oder dass ihn seine «längste» Beziehung unattraktiv macht? Es ist mir nicht leichtgefallen, ihm diese Nachricht zu schreiben. Aber ich hatte das Gefühl, das noch vor der Berlin Reise erledigen zu müssen. Ich habe mich nun so lange auf diesen Trip gefreut, dass ich einfach nur frei sein möchte. Und so fühle ich mich nach diesem ehrlichen Austausch auch. Wieder frei.

    Inzwischen sitzen wir mit unseren Koffern am Gate und warten darauf, dass die Schlange vor der Gangway kürzer wird. Ich kann die Leute nicht verstehen, die sich schon vor dem ersten Aufruf anstellen, um in den Flieger zu kommen. Früher werden die deswegen ja auch nicht ankommen. Ich beobachte die Leute, die sich inzwischen in der immer größer werdenden Schlange angestellt haben. Meine Aufmerksamkeit wird von einem schrägen Typen erregt, der trotz des dunklen Warteraums seine Pilotenbrille nicht abgesetzt hat. Bei der krassen Sonneneinstrahlung natürlich verständlich. Seine Sonnenbankbräune betont seine strohblonden Haare, die in alle Richtungen abstehen, als wäre er gerade erst aufgestanden. Seine Haltung verrät, für wie cool er sich hält. Beinahe schon amüsant, ihn da einfach nur stehen zu sehen. Ich merke, wie auch er mich beobachtet. Schnell richte ich meinen Blick in eine andere Richtung, damit bloß kein Missverständnis entsteht.

    Irgendwann stehen die letzten Passagiere vor dem Schalter und auch wir bewegen uns langsam. Ein paar Leute stehen noch in der Gangway, aber es geht ziemlich schnell voran. Der Surferboy – ich finde, das ist eine gute Beschreibung für diesen Typen – sitzt schräg hinter mir, sodass er mich durch den Spalt zwischen seinem Vordersitz beobachten kann. Das musste natürlich so kommen.

    «In der Mitte von Mama und Papa. Wie in alten Zeiten.»

    Betont meine Mama mit einem bewusst provokanten Unterton in der Stimme. Ich lache und strecke meiner Mutter ein aufgesetztes Grinsen ins Gesicht. Mein Papa schaut prüfend aus dem Fenster. Er hat einen so guten Orientierungssinn, dass er sofort merkt, wenn der Pilot eine andere Flugroute fliegt. Ein bisschen was von diesem Orientierungssinn habe ich glücklicherweise abbekommen.

    Aus meiner Handtasche ragt ein großer Briefumschlag. Ich habe ihn zwischendurch immer wieder extra so aufgestellt, dass jeder das dicke N24-Logo sehen kann. Ich ziehe den Umschlag aus der Tasche. Bisher habe ich mich noch nicht mit meinem Praktikumsvertrag auseinandergesetzt. Es ist das erste Mal, dass ich für ein Praktikum einen Vertrag unterschreiben muss. Der ganze Aufwand für die eine Woche. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich meine Kontakte nicht genutzt hätte. Denn normalerweise wollen große Medienhäuser wie Axel-Springer lieber Langzeitpraktikanten haben. Bisher habe ich all meine Praktika in Redaktionen gemacht. Umso interessanter ist es jetzt, einen anderen Bereich kennenzulernen.

    Ursprünglich habe ich geplant, in Köln zu bleiben und erneut ein Praktikum bei RTL zu machen. Leider haben die dort die Termine mit einer anderen Praktikantin vertauscht und mussten mir deswegen absagen.

    Bruno, mein ehemaliger Nebenjob-Chef, hat mir schon vor einer Ewigkeit angeboten, seine Kontakte spielen zu lassen. Es ist mir zwar unangenehm, solche Gefallen entgegenzunehmen, aber in diesem Fall musste ich mich einfach der Vitamin-B Spritze unterziehen. Ich hätte es nicht ausgehalten, sechs Wochen Ferien zu haben und nicht eine davon dafür zu nutzen, in irgendein cooles Unternehmen zu schnuppern. Neue Kontakte und zusätzliche Erfahrungen sammle ich am liebsten. Aktuell schreibe ich eine Biografie über einen alten Herrn, für welche ich in der Stadt noch ein Interview mit seinem Sohn führen muss. Daher kommt der Trip doppelt gelegen.

    Mittlerweile sitzen wir schon seit einer guten halben Stunde im Flieger. Die Flugbegleiterin hat uns Snacks und einen Kaffee gebracht. Etwas angewidert kaue ich auf der durchweichten Laugenstange herum. Normalerweise bin ich ein heimlicher Fan von den viel zu kalten, zermatschten Brötchen aus dem Flugzeug. Aber diesmal schmeckt es wirklich nicht. Die Remoulade – wenn ich etwas nicht mag, ist es eine fette Remouladenschicht auf Brötchen – trieft an den Seiten schon herunter. Dafür ist mein Hunger dann doch nicht groß genug.

    Ein Blick auf die Uhr und das Gefühl für die Flugstrecke verraten mir, dass es jeden Moment mit dem Landeanflug losgehen wird. Deswegen entschließe ich mich, vorher noch einmal zur Toilette zu gehen. Der komische Vogel hinter mir beobachtet mich intensiv, als ich über den Schoß meiner Mutter klettere, um aus der Reihe zu gelangen. Ich laufe aus der Mitte des

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