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Der Kreis der Unseligen
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eBook263 Seiten3 Stunden

Der Kreis der Unseligen

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Über dieses E-Book

Ein Mordsklescher in der Sonnwendnacht und Stunden später sieht sich das Landeskriminalamt Graz mit einem Fall konfrontiert, der Rätsel aufgibt, denn der betrunkene Brunner Luis wird mitten auf der Leitenbacher Kreisverkehrsinsel auf einer nackten Frauenleiche vorgefunden. Das Ermittlungsteam unter der Leitung von Chefinspektorin Spüringer sieht sich im Sumpf des Dorflebens mühevoll dahinwatend, bis der ansässige Pfarrer dienliche Hinweise gibt für die fast lückenlose Aufklärung. Auf der Alm, da gibt's keine Sünd', in der südoststeirischen Hügellandschaft hingegen schon.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. März 2022
ISBN9783347546738
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    Buchvorschau

    Der Kreis der Unseligen - Hannes Bachkönig

    2

    21. Juni 2021, 05:32. Die Sonne erhebt sich langsam über dem von sanften Hügeln umsäumten Leitenbach. Die Kirchturmspitze hell erleuchtet. Was gäbe es Schöneres für den Brunner Luis, als an so einem wundervollen Tag, dem längsten des Jahres, aufzuwachen. Er hat sich noch nie darüber Gedanken gemacht, dass diese Floskel ja in sich ein Widerspruch ist. Denn in allen Lehrbüchern stand schon immer geschrieben, dass der Tag stets, und nun auch wirklich stets gleich lang ist, wurscht ob Winter, Frühling, Herbst oder Sommer. Wieso soll nun gerade dieser heutige 21. Juni der längste Tag des Jahres sein. Aber den Brunner Luis juckt die Auflösung dieses Rätsels in diesem Augenblick nicht die Bohne. Er kommt langsam zu sich, vernimmt die Helligkeit des anbrechenden Tages durch die noch geschlossenen Augenlider und versucht seine Gedanken zu ordnen, ja gar seine ganze Seele, die sich heute seltsamerweise in Unordnung befindet.

    Der Brunner sollte die Situation zur Genüge kennen, das Aufwachen nach durchzechter Nacht, ein Brummen im Schädel und die Schwere auf den Augen. Er ist noch nie dem Alkohol abgeneigt gewesen. Manche seiner angeblich ja so guten Freunde behaupten, der Luis hätte schon seit Geburt getrunken. Obacht, getrunken wird er schon haben seit seiner Geburt, der Brunner Luis. Denn sonst wäre er nicht schon dreiundvierzig Jahre alt geworden. Aber halt, es gilt als allgemeines Gedankengut, dass, wenn von jemandem gesagt wird, der trinkt, dieser jemand eben keine Muttermilch, Wasser oder anderes derart grausliches in sich gießt, sondern eben Niedrig- oder Hochprozentiges. Und ein kleiner Korn Wahrheit wird schon stecken in der Behauptung von den ach so guten Freunden des Brunner Luis. Weit weg von der Stunde seiner Geburt wird’s nicht gewesen sein, als er angefangen hat zu trinken, also wirklich trinken. Er hat es ja nie leicht gehabt im Leben. Erinnern kann sich der Luis an seine Eltern nicht, denn der Vater bekam kalte Füße und ging stiften, als dieser die unfrohe Botschaft vernahm, dass dessen Freundin, dem Brunner Luis seine Mutter, von ihm schwanger war. So ist der Luis schon bei seiner Geburt praktisch Halbwaise geworden und wurde dann praktisch Vollwaise im Alter von drei Wochen, denn seiner Mutter waren es und er zu viel. Sie schaffte es nicht, aus der Geburtsdepression samt Kind rauszukommen und legte den Luis eingewickelt in ein schwarzes Tuch eines Nachts vor die Tür des Bezirkskrankenhauses. Sie warf ihm, dem kleinen Buben im Tuch nichts vor. Sie beklagte sich auch nicht bei ihm oder schob ihm gar die Schuld in die Schuhe, die er noch gar nie angehabt hatte, dass er ihr Leben versaute. Obwohl, gedacht hatte sie das schon des Öfteren und legte ihn daher vorsichtshalber vor das Krankenhaus, bevor noch Schlimmeres passieren sollte.

    Die werden sich schon um den Buben kümmern, wird sie gehofft haben. Und da hatte sie gar nicht so unrecht, zum Glück für den Brunner Luis. Aber der Start in sein Leben war nicht gerade kommod, obwohl er ja von all dem gar nichts mitbekommen hatte, der arme Fratz. Die Ärzte und Schwestern haben sich sogleich um das Kind gekümmert, nachdem sie das schwarze Bündel frühmorgens an einem seltsamerweise ebenfalls 21. Juni gefunden hatten. Er war pumperlg‘sund und gut genährt, da konnte man seiner Mutter nichts vorwerfen. Aber dass der Luis nun ohne sie dastand, besser gesagt dalag in seinen Tüchern, war nun doch ein hartes Los. Obwohl die Behörden alles in die Wege leiteten, um dem Buben gute Eltern zusprechen zu können, sei es durch Pflegschaft oder Adoption, war dem Brunner Luis sein frühester Lebensweg mehr beschwerlich als angenehm. Er wurde alsdann in ein Heim gesteckt, denn nicht ein Ehepaar hatte sich für die Elternschaft beworben. So blieb dem Kind nichts anderes übrig, als unter ständiger Aufsicht und Obacht aufzuwachsen. Und da kommt einem die Drohung in den Sinn, dass ein Kind in ein Heim gesteckt würde, wenn es denn nicht stante pede brav sein sollte. Hätte der Brunner Luis in den Jahren seiner Kindheit von diesem blöden Spruch gewusst, er früge sich wohl jeden Tag nach dem Aufwachen, was er denn angestellt hätte, um so elendig bestraft worden zu sein. So aber wuchs er mit allen Unzulänglichkeiten auf, die ein Leben im Heim mit sich bringen konnte, und musste schauen, wie er so halbwegs glimpflich durch die Jahre seiner Kindheit und Jugendzeit schlittern mochte.

    Dann kam das Trinken in sein Leben, das manche schon seit seiner Geburt beobachtet haben wollen. Und aus dem Trinken wurde ein Saufen und der Brunner Luis kam nicht mehr raus aus der Bredouille. Geendet hat all das schlussendlich in seiner Frühpension, die er meist im Gasthaus oder im Aixam verbracht hat bis zum heutigen Tag.

    Und weil wir schon am heutigen Tag angelangt sind: Der Brunner Luis hat noch immer nicht seine Augen aufmachen können, denn eine bedeutungsschwangere Schwere liegt auf ihnen. Langsam beginnen sich seine Körpersäfte zu sammeln und er verspürt Schmerz, einen eigenartigen, allgemeinen Leibes- und Gemütsschmerz, der ihn an den ersten Bewegungen an diesem heutigen Tag hindert. Seltsamerweise glaubt er Stimmen und fremdartige Töne zu vernehmen, die aber in seinem Bett gar unangebracht sind. Ein Raunen macht sich breit und hektisches Treiben von Menschen um ihn herum. Der Luis glaubt noch zu träumen, aber dafür scheint ihm das alles doch etwas zu real zu sein, zu spürbar und vor allem der Schmerz, der nun noch heftiger auf ihn einschlägt.

    „Bleiben’s liegen, wir kümmern uns um Sie!", glaubt der Brunner Luis jemanden zu hören.

    Geht das ihn an? Wer sind all die Leute hier in seinem Schlafzimmer?

    Endlich schafft er es, die Augen zu öffnen. Das Licht der Morgensonne blendet, aber er muss jetzt endlich sehen, was da um ihn herum vor sich geht. Großer Aufruhr scheint von der Situation Macht zu ergreifen. Seltsame, in rot-weiße Gewänder gesteckte Menschen huschen vor blau blinkenden Lichtern umher und verstreuen Hektik. Der Luis sieht plötzlich zwei Augenpaare unmittelbar vor seinem Gesicht auftauchen, die einander zwei Sekunden lang fragend anblicken und dann wieder auf ihn starren. Eine Taschenlampe taucht wie aus dem Nichts auf und leuchtet dem Luis jäh in die Pupillen.

    „Also nüchtern ist der nicht", sagt einer der rot-weißen Leute.

    Wieso sind die alle in meinem Schlafzimmer, denkt sich der Brunner Luis und versucht den Kopf zu drehen, um mehr von dem Treiben mitzubekommen. Ein stechender Schmerz aber verurteilt den Versuch zum Scheitern.

    „Da kommt’s her mit der Bahre!", schreit einer der Leute.

    Jetzt wird’s dem Luis ein bisserl Angst und Bang, trotz seiner noch in den Adern fließenden Promille an Restalkohol. Oder vielleicht gerade wegen der Promille.

    Ein sich augenscheinlich als Polizist ausgebender Mann erscheint plötzlich in seinem Blickfeld und da sind noch zwei, drei Außerirdische, reingestülpt in Ganzkörper-kondome, wie sie der Luis aus Filmen kennt, wo es um Seuchenausbrüche geht. So, als ob er kontaminiert wäre mit irgendwas Hochansteckendem.

    „Könnt’s den bitte endlich mal wegschaffen? Der muss ins Spital und dann zur Vernehmung."

    Ein halbwegs vernünftig gekleideter Mann beugt sich runter zum Brunner Luis, blickt ihm einige Sekunden ins Gesicht und wird von einer Frau mit ernster Miene zur Seite geschoben.

    „Gehen’s mal weg und behindern’s nicht die Tatortgeschehnisse. Die Spurensicherung muss ihren Job machen."

    Na, die forsche Dame fährt aber ein Programm, denkt sich der Luis noch, bevor ihm wieder der Schmerz mit 9 in der Skala zwischen 1 und 10 reinfährt. Er beginnt zu stöhnen und zu schreien, will sich aufrichten, wird aber von den Rot-Weißen nach unten gedrückt.

    „Bleiben’s liegen, ist zu Ihrem Besten."

    Während des Runterdrückens spürt der Luis etwas Weiches, Sanftes, ja direkt Gemütliches unter ihm, so als ob er sich auf eine oberflächenbehandelte Luftmatratze legen würde. Er will sich aufstützen und bemerkt plötzlich, dass seine Hände voller Blut sind und auch voller Erde und Gras. Wie kommt denn das Zeug in sein Bett, fragt er sich. Eine kleine Drehung nach rechts lässt ihn jäh erschrecken. Da liegt ein Körper unter ihm, nackte Haut, ebenfalls blutver-schmiert!

    Der Luis schreckt hoch, doch der Schmerz zieht ihn wieder in die Ausgangsstellung, sprich liegende Position auf dem nackten Körper. Noch hat er nicht erkannt, wer sich da unter ihn hineingeschwindelt hat, aber all den Rummel um ihn herum berücksichtigend muss es ein Körper von hoher Priorität sein, denn wegen ihm verwahrlosten Frührentner werden sie nicht so ein Aufheben machen, denkt sich der Luis noch kurz, bevor er von den Rot-Weißen hochgehoben und auf eine Bahre gelegt wird.

    Ein Rettungswagen schiebt rückwärts in seine Richtung. Der Luis will gerade aufschreien, um nicht Gefahr zu laufen überrollt zu werden, da bremst sich der Wagen ein. Die Bahre samt Brunner Luis, Schläuchen und Infusionsflaschen wird von hinten in den Wagen geschoben und die Klappe geht zu. Der halbwegs vernünftig gekleidete Mann pocht zweimal auf die Heckscheibe und schon geht’s los mit Getöse und Traritrara. Dem Brunner Luis wird’s schlecht von der Fahrt, aber eher doch von den noch stärker werdenden Schmerzen und dem sinkenden Blutdruck. Er kann nur noch das blaue Hinweisschild am Straßenrand sehen, dass den Weg zum Krankenhaus weist.

    Weit hat er’s gebracht, denkt sich der Luis und fällt zufleiß geradewegs in Richtung Ohnmacht.

    3

    21. Juni 2021, 07:10. Während der Brunner Luis mit der Bahre in einen Untersuchungsraum des Bezirkskrankenhauses gebracht wird, findet die Hektik dort, wo er auf dem nackten Körper einer blonden Frau entdeckt wurde, kein Ende. Obwohl noch unchristlich frühe Tageszeit, haben sich einige Schaulustige mittlerweile um den Kreisverkehr des Dorfes versammelt, wo Sanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten und Leute vom Landeskriminalamt wie ziel- und planlos umherrennen.

    Der Kreisverkehr, auf dem sich das bunte Treiben in Allerherrgottsfrühe abspielt, ist der große Stolz des ansässigen Bürgermeisters Vinzenz Allmer, ja fast des ganzen Dorfes. Bis vor zwei Jahren waren sie nur ein kleines, unscheinbares Nest in der Südoststeiermark, hilflos verloren in einer moorigen Senke und umrahmt von zarten, unbewaldeten Hügelreihen. Schier von der Öffentlichkeit vergessen kamen sich die Leitenbacher vor, bis zu jenem Tag, da dem Bürgermeister die glorreiche Idee kam, einen Kreisverkehr am südlichen Ortsrand bauen zu lassen. Schließlich läge man damit voll im Trend und so ein Kreisverkehr gäbe ja auch was her, fand der Vinzenz. Nicht einfach war die Planung, denn wozu einen Kreisverkehr am Ortsrand bauen, wenn nur eine einzige Straße durch das Dorf führt? Den Stramec Klaus, hiesiger Standesbeamte und braver Gefolgsmann vom Allmer, hatte schlussendlich die Muse geküsst und er schlug seinem Chef vor, eine Querstraße zu bauen, von der Mülldeponie des Nachbarorts im Westen bis zur zehn Kilometer entfernten Kläranlage im Osten. Nur falls jemand fragen sollte, wieso Leitenbach denn einen Kreisverkehr bräuchte. Somit stand dem Bauvorhaben nichts mehr im Wege und es sollte ein großer Kreisverkehr werden, ein riesiger, der größte im Umkreis von hundert Kilometern, fast vergleichbar mit jenem am Pariser Triumphbogen. Na ja, fast, annähernd, so träumte jedenfalls der Allmer davon.

    Bei einem geheimen Treffen zwischen ihm, dem Pfarrer Mösenrichter, dem Stramec Klaus, Volksschuldirektor Dr. Schoiswohl und dem Pfunzner Franz, der die Greisslerei mit inkludierter Trafik in Leitenbach führt, wurden bahnbrechende Entscheidungen gefällt. Da dieses Treffen im Hinterzimmer des einzigen Dorfgasthauses stattfand, konnte der Häusler Gerhard, beliebter Wirt und Gasthausbesitzer in vierter Generation, nicht außen vorgelassen werden. Auch er hatte Mitspracherecht, schließlich musste der Allmer vermeiden, dass nicht für die Ohren der Leitenbacher Ungeeignetes nach draußen dringen konnte. Er wusste, wie er Leute ins Boot nehmen musste, um seine Vorhaben durchzusetzen.

    So wurde der Plan des Kreisverkehrs auf einem DIN A3-Blatt mit Bleistift zwischen ein und fünf Uhr morgens im vernebelten und alkoholdunstdurchfluteten Hinterzimmer des Kirchenwirts zu Papier gebracht. Alles war besiegelt, der Allmer hat dann noch Stillschweigen von den Beteiligten gefordert, damit kein Außenstehender reinreden konnte. Der Pfarrer gab den Segen, sprühte Weihwein aus der Kellerei eines ortsansässigen Winzers in die Gesichter der anderen und gelobte sein Schweigen. Alles kein Problem, denn offiziell wurde dieses Treffen von der Kirche als Beichte tituliert. Und da hatte Pfarrer Mösenrichter die von Gott und dem Papst auferlegte Schweigepflicht, denn die Sünden seiner Schäfchen waren nur für seine beiden Chefs zugänglich, Anwesende natürlich ausgenommen. Als der schon etwas beschwipste Pfarrer dann auch noch den Weihwein auf das Blatt Papier mit dem Bauplan verspritzen wollte, reichte es dem Allmer.

    „Mösenrichter, spinnst Du? Du kannst auf das Papier ja keinen Wein schütten. Hör auf!"

    Er riss den Weihbemstl, oder wie man das Ding schon nennt, dem Pfarrer aus der Hand und schlug diesem damit auf den Kopf. Alle lachten sich krumm, selbst der Pfarrer verbog sich, dass seine Stirn fast am Tisch aufschlug.

    A b‘soffene G’schicht quasi, an die sich nicht alle der Anwesenden Tage später mehr erinnern konnten.

    Es dauerte keine drei Monate, da war der Kreisverkehr auch schon in die Gegend gepflastert. Ohne Ansuchen beim Landesstraßenbauamt und mit gemeindeeigener Finanzierung aus dunkler Quelle versteht sich. Man wollte sich selbst ja keine Prügel vor die Füße werfen.

    Zur feierlichen Eröffnung waren die oberen Zehn des Dorfes geladen. Der Allmer Vinzenz hatte die ehrenvolle Aufgabe, das Band durchzuschneiden und der Öffentlichkeit den Kreisverkehr zur gefälligen Benützung zu übergeben. Es floss wieder mal viel Alkohol, die fiktive Kapelle spielte ein paar Ständchen – der Volksschuldirektor Schoiswohl hatte sicherheitshalber einen Lautsprecher mitgenommen und fand auf YouTube dem Anlass genehme Lieder – und nach einer siebenstündigen Stehveranstaltung torkelten alle, inklusive Pfarrer, zurück in ihre Ämter und Behausungen.

    Die meisten Leitenbacher fanden im Bau des Kreisverkehrs eine wohlfeile Option des Aufputzes ihrer bemitleidenswerten Ortschaft. Einzig das Fehlen der beiden Querstraßen, die erst später gebaut wurden, schürte so manchen Unmut. Schließlich sah man dem Kreisverkehr an, dass er sich ohne diese etwas deplatziert vorkam.

    Und just an diesem Kreisverkehr geht’s gerade weiter lustig zu. Die Feuerwehr muss den Aixam bergen, der auf dem Dach liegend die Verkehrsinsel inkommodiert. Eine Scheibe des Wagens war zu Bruch gegangen beim Anprall an der übergroßen Hinweistafel mit dem Text ‚Das Dorf, eine Insel der Seligen‘. Und durch eben diese Scheibe wurde der Brunner Luis aus dem Wagen geschleudert und blieb mitten in der Inselbotanik verletzt liegen, und das partout auf der nackten Leiche einer jungen Frau. Insel der Unseligen würde wohl besser passen zu den Gegebenheiten des heutigen Tages.

    Der Feuerwehrkran hievt gerade den ‚Porsche für Arme‘, so nennt der Brunner seinen Aixam immer liebevoll, auf die Ladefläche eines Lastwagens, als Inspektor Dulmitz seiner Chefin Spüringer tief und fragend in die Augen blickt und sie daraufhin schroff ein ‚Ach lassen’s mich doch mit ihren Anbiederungen in Frieden‘ von sich gibt.

    Die Spüringer und der Dulmitz arbeiten nun schon seit zwei Monaten zusammen, aber das Paar, von dem sich die oberste Etage des LKA Graz so viel versprochen hat, kommt nicht in die Gänge. Der Dulmitz ist ganz angetan von der geschmeidigen Schönheit der Spüringer und ja, er hätte es wohl riskiert, ihr auf seine plumpe Weise den Hof zu machen und eine MeToo-Affäre vom Zaun zu brechen, wäre er bloß eine Stufe höher in der Hierarchie gestanden. So aber muss er nun schon seit zwei Monaten ihre Sticheleien ertragen und das ewige Heraushängenlassen ihrer ultrafeministischen Einstellung, die zu dem Dulmitz seinen Himmel stinkt. Heutzutage hat man’s als Mann nicht leicht, nicht zu vergleichen mit jener Zeit, als ein Kerl noch ein Kerl war. Lange ist’s her.

    Bürgermeister Allmer, der vom Unfall vor fünfzehn Minuten erfahren hat, nähert sich gerade dem Kreisverkehr und stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass die große Werbetafel auf der Verkehrsinsel der Seligen kaum beschädigt ist, also nicht der Rede wert. Wäre ja noch schöner, wenn durch einen ang‘soffenen Trottel er auch noch in die Gemeindekasse greifen müsste. Er parkt sein Auto am Straßenrand, schüttelt den Kopf wegen der vielen Leute, die da teils emsig umherrennen und wichtigtun, teils einfach nur dastehen und sich am Anblick des tragischen Vorfalls mit ihren Handys in der Hand ergötzen. Dem Vinzenz, Bürgermeister und daher ein begehrter und oft angerufener Mann, sind diese neumodernen Smartphones ein Dorn im Auge. Diese ach so smarten Dinger machen einem Politiker das Leben meist schwieriger, als es ohnehin schon scheint. Er ist schon oft in prekäre Situationen geraten, wo irgend so ein Halblustiger glaubte, mit dem Handy mitfilmen zu müssen, als er, der Vinzenz, gerade für die Öffentlichkeit nicht geeignete Gespräche mit Entscheidungsträgern von Gemeinde, Bezirkshauptmannschaft oder Land führte. Von den SMS- oder Whatsapp-Nachrichten gar nicht zu reden. Die könnten ihm irgendwann mal zum Verhängnis werden, das ist sicher. Er wäre nicht der erste Politiker, dem Smartphones einen Strick gedreht haben.

    „Schleicht’s Euch! Draht’s daham an Film, wenn’s unbedingt müsst’s!"

    Die charmante Aufforderung geht an die Schaulustigen, die noch immer reihum am Kreisverkehrsrand stehen und jetzt verschreckt die Handys einstecken. Wenn der Bürgermeister zur Ordnung aufruft, reißen sich die meisten zusammen. Aber nicht jene von der anderen Fraktion, sprich den Linken, für die der Allmer sowieso noch nie was übrighatte. Links ist für ihn nur eine örtliche Richtungs- oder Lagebeschreibung. Sonst existiert links nicht für ihn, hat noch nie für ihn existiert. Und er hat ja verdammtes Glück, denn es gibt deren nicht viele in seiner Gemeinde. Zum Zählen dieser Gauner bräuchte er nur maximal fünf Hände, wenn alle Finger noch dranwären, selbstverständlich. Da ergeht es seinen Parteifreunden der Nachbargemeinden um einiges schlechter, die müssen sich jedes Mal auf Streitgespräche während der Gemeinderatssitzungen einstellen. Und die Linken, das sind ja die, die sowieso immer gegen alles von rechts Kommende sind. Kommunistenpack!

    Die Spüringer und der Dulmitz beugen sich über die noch immer auf der Verkehrsinsel liegende Frauenleiche.

    „Seltsam, wie sie daliegt", meint die Frau Chefinspektor.

    „So verdächtig auf die Seite gelegt und drapiert wie ein Stillleben."

    Der Dulmitz kann der Aussage seiner Chefin nicht folgen, fragt jedoch nicht nach, sondern seufzt nur leise. Die Spüringer deutet einem der Spusi-Leute herzukommen, der sogleich in seinem Ganzkörperkondom näherwatschelt.

    „Haben’s kontrolliert, ob etwas unter den Fingernägeln oder im Mund steckt?"

    „Ja, schon, wie immer halt. Nicht Spezielles, Erde und Gras eben, kommt vom Aufprall. Und im Mund ist nichts Verdächtiges", hallt es gedämpft aus dem Kondom.

    Die Spüringer wendet den Kopf zum Spusi-Mann.

    „Und Sie meinen, dass da nicht

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