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365 Tage: Full House
365 Tage: Full House
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eBook674 Seiten7 Stunden

365 Tage: Full House

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Über dieses E-Book

"365 Tage - Full House" ist die Fortsetzung von "365 Tage - Alles in allem". Ein weiteres turbulentes Jahr in der Grossfamilie. Das letzte Kind kommt zur Welt, und neue Projekte entstehen. Ein Balanceakt zwischen Glück und Überforderung. Witzig, dramatisch und absolut ehrlich. Ein authentisches Tagebuch.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Aug. 2014
ISBN9783849595777
365 Tage: Full House

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    Buchvorschau

    365 Tage - Chantal Schlatter

    www.tredition.de

    Das Erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das Letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das Kostbarste, was er im Leben besitzt, ist die Familie.

    Adolf Kolping

    Für meine Kinder

    Dr. pharm. Chantal Schlatter

    365 Tage

    Tagebuch einer Mutter

    Full House

    www.365tage.ch

    www.tredition.de

    © 2014 Chantal Schlatter

    Autorin: Dr. pharm. Chantal Schlatter

    Umschlaggestaltung: Dr. pharm. Chantal Schlatter

    Illustrationen: von den Kindern der Familie Schlatter

    Verlag: tredition GmbH, Hamburg

    ISBN: 978-3-8495-9575-3 (Paperback)

    ISBN: 978-3-8495-9576-0 (Hardcover)

    ISBN: 978-3-8495-9577-7 (e-Book)

    Printed in Germany

    Das Werk, einschliesslich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Vorwort

    Nachdem ich es geschafft hatte, ein ganzes Jahr lang Tagebuch zu schreiben („365 Tage – Alles in allem"), dachte ich nicht im Traum daran, dass ich ein derartiges Projekt nebst Job, Haus und sechs Kindern jemals wiederholen würde. Aber nach vier Monaten Pause habe ich das Tagebuchschreiben so sehr vermisst, dass ich wieder damit angefangen habe.

    Um den Aufwand zu reduzieren, erhielt ich den Rat, nur die wichtigsten Ereignisse aufzuschreiben. Aber dadurch entgeht mir das Wesentliche, nämlich der Weg, der zu diesen Ereignissen führt und die Gefühle, die damit verbunden sind. Das Leben entwickelt sich. Wenn man nur ein paar Tage im Jahr beschreibt, bekommt man diese Entwicklung nicht mit. Und ich glaube, dass es gerade die kleinen, alltäglichen Dinge sind, die einen Tag bemerkenswert und das Leben so lebenswert machen. Es gibt vielleicht nicht nur gute Tage, aber jeder einzelne ist einzigartig und besonders.

    Ich habe ausserdem festgestellt, dass ich im Nachhinein nicht immer alles nachvollziehen kann, was ich getan und empfunden habe. Aber es gehört zur Geschichte dazu. Deshalb schreibe ich es auf. Das Schöne und das Traurige. Das, was mir gelingt und das, was ich verhaue. Ich tue es für mich und für meine Kinder und für alle, die schon immer einmal einen Blick hinter die Kulissen erhaschen wollten.

    Einiges in diesem Buch ist vielleicht von allgemeinem Interesse. Familien mit kleinen Kindern werden sich darin wiederfinden und hie und da köstlich amüsieren. Anderes betrifft meinen ganz persönlichen Knorz und ist weder auf andere übertragbar, noch zur Nachahmung empfohlen. ☺

    Und so entfaltete sich ein weiteres, turbulentes Jahr voller Hochs und Tiefs, ein ständiger Balanceakt zwischen Glück, Überforderung und dem Schöpfen von neuem Mut. – Möge es auch andere inspirieren!

    Solidarische Grüsse,

    Chantal Schlatter

    Stammbaum der Famillie Schlatter

    Who is who

    Freitag, den 11. Januar 2013

    Heute um 10:15h habe ich einen Termin bei Dr. Herzog. Ich bin ziemlich nervös, weil ich die Kleinen alle mitnehmen muss. Aber der Arzt muss den Ersttrimestertest machen, und es hat sich kein anderes Datum finden lassen in dieser Woche. Der Test macht mich auch nervös, ich versuche mich jedes Mal mental auf eine schlechte Nachricht einzustellen. Natürlich hätte ich lieber ein gesundes Kind. Aber wir haben uns schon vor Jahren dafür entschieden – und bei jedem Versuch, schwanger zu werden aufs Neue – dass wir jedes Kind willkommen heissen werden.

    Während mir Frau Stocker Blut abnimmt, den Blutdruck misst und ich mit geschlossenen Augen auf der Waage stehe, spielen Jelena und Jonas im Wartezimmer mit dem Lego und der Eisenbahn. Zum Knabbern habe ich Ihnen ein paar Apfelschnitze auf den Tisch gestellt. Nur Janina ist bei mir. Ich will sie zwischen all diesen Geräten und sterilen Instrumenten nicht frei herumlaufen lassen. Sie rutscht auf meinem Rippen hin und her und Dr. Herzog beginnt mit dem Ultraschall: „Die Dicke der Nackenfalte ist völlig in Ordnung!", sagt er, und ich atme auf. Das ist keine Garantie für nichts, aber ein Anfang.

    Ich erinnere mich an die Nacht auf den 14. November 2012, wie ich 20 Minuten nach Mitternacht einen Schwangerschaftstest mache. Eigentlich ist es noch mindestens zwei Tage zu früh! Im Haus ist es dunkel und ruhig. Alle schlafen schon, nur ich sitze auf dem Klo und starre auf den Teststreifen. Besser gesagt auf zwei, denn als sich beim Herausnehmen aus der Packung die Membran des einen etwas gelöst hat, habe ich zur Sicherheit gleich noch einen zweiten aufgemacht. Ich habe noch nicht einmal das Ergebnis des ersten abgewartet.

    Es ist wie eine Sucht, Monat für Monat diese Plastiktütchen zu öffnen (zur Schonung meines Budgets verwende ich nur günstige Massenware für den Laborbedarf) und auf das Feld zu starren mit der fetten, dicken, lila Linie rechts und dem weissen, leeren Raum daneben. Manchmal blicke ich so fest auf diese Fläche, dass mein Gehirn sich die fehlende Linie schon von selbst einbildet. Genau hier sollte sie erscheinen! Hier! Ist da nichts? Da ist doch was! Oder?

    Ich muss den Test dann kurz zur Seite legen und mir vorstellen, ich wäre die Praxisassistentin meines Gynäkologen, die den Test in unbetroffener Nüchternheit begutachtet. Und dann musste ich mir schon so oft eingestehen: „Chantal, da ist nichts! Weniger als nichts! Du bist so was von nicht schwanger, unschwangerer kann man gar nicht sein!" Und dann grabe ich ihn zwei Stunden später wieder aus dem Mülleimer aus, nur um sicher zu gehen, dass ich wirklich nichts übersehen habe.

    Doch heute ist da etwas! Eine alte Bekannte! Eine zarte, sehr zarte, zweite rosa Linie. Auf beiden Stäbchen. Ich lege sie weg und nehme sie noch einmal hoch – und sie sind immer noch da! Ich weiss nicht mehr genau, was mir in diesem Moment als Allererstes durch den Kopf gegangen ist: „Kann das wirklich sein? Wird Philipp sich freuen? Was werden die Kinder sagen? Was wird aus meinem Job? Mache ich weiter oder höre ich auf? Wie sagen wir es unseren Familien und Freunden, die vermutlich nicht mehr damit gerechnet haben? Wie sage ich es meiner Schwester Rahel, die selbst schon so lange darauf wartet? Ist das fair? Wird es bleiben? Es ist noch so früh."

    Ich starre auf die feine rosa Linie: „Hallo du!, sage ich zu ihr. „Du bist nur ein Strich, aber hinter dir verbirgt sich das ganze Leben eines Menschen. Junge oder Mädchen, blaue oder braune Augen, dunkel oder blond? Alles weisst du schon, aber für mich wird es noch lange ein Geheimnis bleiben.

    Aus der Linie ist ein zwölf Wochen alter Fötus geworden. – Bah, was heisst schon Fötus! Das ist eindeutig ein Baby! Ich sehe sein Köpfchen, sein Bäuchlein, seine Ärmchen und Beinchen. Es ist wirklich da! Da wächst wirklich ein Baby in mir! Das ist mein Kind, und ich habe es jetzt schon wahnsinnig lieb!

    Samstag, den 12. Januar 2013

    Heute schwebe ich den ganzen Tag auf Wolke sieben, obwohl Samstag ist und ich wie jedes Wochenende die Kontrolle über den Haushalt verliere. „Ich bin schwanger! Wir bekommen wirklich noch ein Baby!", denke ich immerzu und würde es am liebsten den Kindern erzählen. Aber das geht nicht. Zuerst möchte ich meine Familie und meine Chefs darüber informieren, bevor das ganze Dorf es weiss.

    Dabei geben wir uns ziemlich offen. Auf unserer Familienhomepage veröffentliche ich regelmässig den Menüplan für den Mittagstisch und neue Fotos und Berichte von unseren jüngsten Erlebnissen. Und durch unsere stellenweise verglaste Eingangsfront kann jeder buchstäblich durch uns hindurch blicken.

    Manchmal wünschte ich mir, die Spaziergänger würden am Wochenende etwas schneller mit ihren Hunden vorbeigehen. Um unser Buff¹ zu erkennen, reicht ein versehentlicher Blick zur Seite, dafür muss man nicht einmal stehen bleiben. Im Eingang liegen zig Schuhe und Jacken zwischen den eben besorgten Säcken mit Streusalz durcheinander, dahinter

    stehen tausend Tassen, Schälchen, Milch- und Safttüten auf einem verkleckerten und längst verlassenen Esszimmertisch. Die Stühle sehen im Zickzack, denn sie dienen als Rennstrecke für die Kidscars, eine besonders intelligente und vor allem leise Sorte von Rutschautos. Man erhascht von der Strasse aus quer durch das Haus hindurch sogar einen Blick auf unseren Garten, wo der Gartentisch gerade als Erweiterung das Kühlschrankes dient und sich die Katze auf dem überdimensionalen Überwinterungsschlag für Jareds Raupe streckt. Zum Glück, kann ich nur sagen, zum Glück bleibt wenigstens die Küche im Verborgenen.

    „Vielleicht sollten wir uns Vorhänge besorgen!", meint Philipp.

    „Dann hätten wir ja gleich Milchglas nehmen oder eine andere Türe aussuchen sollen", finde ich.

    Ich stehe zu unserer Transparenz. Peinlich ist sie mir nur hin und wieder. Ich brauche nichts vorzutäuschen. Ich habe es nicht immer im Griff, dafür ist aber das Gute ebenso echt.

    Sonntag, den 13. Januar 2013

    Heute steigt Julischka wie immer als Letzte ins Auto. Philipp regt sich jedes Mal fruchtbar darüber auf, aber ich weiss noch genau, wie ich als Teenager meine ganze Familie haben warten lassen, bis auch ich endlich parat war. Ich sehe es heute noch vor mir, wie meine Mutter in Make-up, Jacke und Lackschuhen mit vorwurfsvollem Blick im Flur steht. Sie ist mindestens schon seit zwei Stunden auf, wie immer, wenn sie einen besonderen Termin hat. Ich habe das nie verstanden und für völlig übertrieben gehalten. Und weil ich auch heute noch so knapp wie möglich plane (ganz besonders wenn ich am Morgen weg muss) und heute auch nur die Zweitletzte bin, sage ich jetzt lieber nichts.

    Wir quetschen uns wie jeden Sonntag in den Fahrstuhl und halten unterwegs zur 4. Etage auch im 1. und 3. Stock an, weil unsere Popos (oder die Finger der Kinder) die behindertengerechten Stockwerktasten auf Hüfthöhe berührt haben. So gut wie pünktlich betreten wir die eingemieteten Räumlichkeiten, die unsere kleine Kirchgemeinde für ihre Gottesdienste und andere Aktivitäten unter der Woche nutzt.

    Die Kinder schwärmen aus, jedes in seine Klasse, heute darf Janina zum ersten Mal zu den Kindern in die PV (Primarvereinigung). So sitze ich also mit meinen Kindern zusammen auf den kleinen Stühlchen, lausche der Geschichte und übe mit ihnen das Lied „Ich bin ein Kind von Gott. Das Plakat, das die PV-Leiterin dafür zu Hilfe nimmt, stammt zu meiner Überraschung noch von mir, als ich vor einigen Jahren die ehrenamtliche Gesangsleiterin in der PV gewesen bin. Damals war Julischka noch in der PV, heute gehört sie in die Klasse der „Jungen Damen. Joana war etwa eineinhalb Jahre alt und Jared war gerade erst geboren.

    Nach der PV bin ich mit Janina und Jonas normalerweise im Kindergarten geblieben. Aber Jonas ist drei Jahre alt geworden und gehört neu zu den „Sonnenstrahlen". Statt mit Hot Wheels zu spielen, sitzt er nun auf einem Stuhl gegenüber seiner Lehrerin und hört zu, was sie ihm über Jesus erzählt. Meinetwegen hätte er gerne noch ein wenig länger Spielzeugautos vom Dach der Plastikgarage flitzen lassen können – wenn er sich denn geweigert hätte. Und damit habe ich fest gerechnet. Aber nun stapft er mit seinem Lightning McQueen Puzzle unter dem Arm fröhlich seiner Lehrerin entgegen.

    Dann bringe ich Janina samt Znüni¹ in den Kindergarten, sage „Tschüss" und bin für die nächste Stunde frei. Während andere Kinder zu heulen anfangen, sobald sich die Mutter auch nur einen Zentimeter bewegt, bleibt meine Kleine mit ihren eineinhalb Jahren schon ohne mich da. Ich weiss zwar nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, setze mich aber ganz eigennützig neben Philipp in der Sonntagsschule und geniesse den intellektuellen Austausch unter Erwachsenen.

    In der letzten Stunde treffen wir uns alle zur Abendmahlsversammlung wieder. Julischka steht vor der versammelten Gemeinde und dirigiert die Musik. Sie ist die hübscheste von allen jungen Frauen dort, wenn ich das sagen darf. Ich habe grosse Freude an ihr, und alle teenagerlichen Gefühlsausbrüche, Gehässigkeiten und Rebellionen ändern nichts an der guten Substanz! Eine Raupe muss sich auch zuerst verpuppen, bevor aus ihr ein Schmetterling wird.

    Montag, den 14. Januar 2013

    Heute passiert, was immer passieren kann, womit man aber nie rechnet: Jacqueline ist krank. Ich habe eine Sitzung bei einem Verlag um 10h und eine weitere Verabredung zum Mittagessen um 12h, und ausgerechnet heute meldet sich meine Kinderbetreuerin krank: Die Grippe hat sie erwischt.

    Eigentlich ist das ja letztes Jahr schon einmal passiert, und eigentlich war ich schon damals am Rotieren, und eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, genau für solche Fälle einen Plan B zu entwerfen, und trotzdem trifft es mich wieder völlig unvorbereitet. Julischka kann für sich selbst sorgen, aber für Joana und Jared brauche ich wenigstens ein Mittagessen, und auch für die beiden Mittagstischkinder muss jetzt eine andere Lösung her. Vor allem aber müssen die Kleinen von 8 bis 14h von jemandem betreut werden, den sie gut kennen, und das engt den Kreis der Möglichkeiten stark ein. Wenn ihr ehrlich bin, kommen dafür nur drei Personen spontan in den Sinn: Philipp, aber der hat heute Morgen wichtige Sitzungen. Erika, meine Putzfrau, die während ihrer Arbeit immer von meinen Kindern umzingelt und prächtig unterhalten wird, aber sie hat heute Morgen schon eine andere Verpflichtung. Und Rahel, meine Schwester. Sie ist mein Notfallplan, der mich schon letztes Jahr aus der Patsche geholfen hat. Auch heute sagt sie mir ohne eine Sekunde zu zögern zu: „Aber klar, bring sie nur her!"

    Leider wohnt sie nicht gerade um die Ecke, und ich beginne rückwärts zu rechnen. Die Kleinen so früh aus dem Bett reissen, parat machen und alles einpacken, was sie brauchen? Den Grossen einen Wecker stellen, damit sie nicht zu spät das Haus verlassen? Sie so kurzfristig jemandem zum Mittagessen aufladen?

    Plötzlich kommen mir meine Geschäftstermine gar nicht mehr so wichtig vor, und ich sage alles ab. Es wäre alles machbar gewesen, und früher hätte ich es auch getan. Aber heute denke ich, dass ein solcher Stress kaum im Verhältnis zum dem steht, was ich mit meinen Terminen erreicht hätte.

    Sicher ist mir meine kurzfristige Absage unangenehm. Aber spätestens als ich mit meinen Kinder auf der Matratze im Kinderzimmers sitze, Bauklötze staple und Barbiepuppen frisiere und alle Kinder zum Mittagessen empfangen kann, weiss ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

    Dienstag, den 15. Januar 2013

    Heute ist es kalt und grau, wie gestern, vorgestern und vorvorgestern, und – wie es scheint – für den Rest meines Lebens. Mir fällt die Decke auf den Kopf! Ich will hier raus! Ich will Sonne, ich will Wärme, ich will auf einer Picknickdecke sitzen und den Zucker von den Erdbeeren schlecken!

    Ich habe keine Ahnung, wie ich die Kinder hier drinnen noch länger unterhalten soll. Wie machen sie das bloss in Ländern, in denen das ganze Jahr aus Winter besteht?

    Ich durchforste meine Bastelkiste und finde Modelliermasse. Hoffentlich ist sie noch nicht ausgetrocknet! Für Jonas forme ich ein Flugzeug. Bei Jelena wird es eine ganze Entenfamilie, und für Janina mache ich eine Schnecke. Joana rümpft zuerst die Nase, setzt sich dann aber doch zu uns. Sie modelliert einen Marienkäfer, den sie dann jemandem zum Geburtstag schenken will.

    Und damit das Animationsprogramm nicht zu früh endet, beginnen wir mit dem Anmalen, sobald die Sachen ein wenig angetrocknet sind. Ich lasse Jonas die Farbe wählen. Er malt sein ganzes Flugzeug gelb, ringsherum. Dann gebe ich ihm noch einen Pinsel mit oranger Farbe, damit er ein paar farbliche Akzente setzen kann. Er nimmt den Pinsel und übermalt das gelbe Flugzeug komplett mit Orange. Und wehe, es schaut noch irgendwo ein Fleckchen gelb hervor! „Da unter dem Flügel hat es noch was, und hier unten am Bauch auch noch", reklamiert er in wilder Gestik, und ich bringe es in Ordnung für ihn.

    Heute Abend hat Philipp einmal ausnahmsweise nichts – keine Sitzung in der Kirche, keine Sitzung im Gemeinderat. Auch der Chor fällt aus. Dafür hat er ausreichend Zeit, um die bunten Flecken auf unserem Esszimmertisch zu bemerken. Wir haben zwar Unterlagen benutzt, aber da ist trotzdem so einiges daneben gegangen.

    „Keine Panik, beruhige ich ihn, „das kriege ich wieder raus! – Ich muss seine Fantasie ja nicht unbedingt mit dem Bild von Stahlwolle auf dem schönen Holz beflügeln. Aber damit warte ich sowieso noch ein zwei Tage. Ein bisschen Farbe tut mir im Moment einfach gut!

    Mittwoch, den 16. Januar 2013

    Heute ist die Wirkung der Farbkur von gestern schon wieder abgeflacht. Nachdem die Grösseren zur Schule sind und die Kleinen ihr Morgenessen gehabt habe, verlasse ich das Schlachtfeld und verkrieche ich mich einfach wieder ins Bett. Wie eine dicke Bärin im Winterschlaf liege ich bei heruntergelassenen Jalousien in meiner Höhle und will einfach nicht aufstehen. Wozu auch?

    „Ach Kinder, lasst mich doch bitte noch ein wenig hier so liegen. Biiiiitte! , bettle ich, aber Janina ist schon wieder aufs Bett geklettert, Jelena zieht mir die Decke weg und Jonas hüpft auf mir herum. „Ach zum Kuckuck, warum könnt ihr mich nicht einfach ein wenig in Ruhe lassen?, schimpfe ich und rapple mich hoch.

    Der Winterschlaf zieht sich durch alle Bereiche meine Lebens. Mir fehlt es an Motivation, und abends will ich einfach nur ins Bett. Immer häufiger lockt mich die Tür zu meiner Linken mit dem warmen Bett dahinter, wenn ich am Abend nach den Gute-Nacht-Küsschen der Kinder auf dem Weg nach unten ins Büro bin. Immer öfters lege ich mich erst „ein bisschen" hin, bevor ich mit Arbeiten anfange. Wenn ich Glück habe, wache ich noch am selben Tag wieder auf.

    Aber heute muss ich nicht arbeiten. Es ist Philipp und mein gemeinsamer Abend, unser Eheabend, wie wir ihn nennen. Die Kinder wissen langsam, dass wir an einem Mittwochabend nicht so viel Geduld haben für Extrakuschelrunden, leere Batterien im Musikgerät oder verlegte Wasserschoppen. Irgendwann einmal brauchen wir auch ein wenig Zeit für uns. Auch wenn wir es oft nicht viel weiter als bis vor den Fernseher schaffen.

    Oder direkt ins Bett.

    Donnerstag, den 17. Januar 2013

    Heute findet mein Elterngespräch mit der Klassenlehrerin von Joana und Jared statt. Weil es zu wenig schulpflichtige Kinder hat, werden die Erstund Zweitklässler von ein- und derselben Lehrerin im gleichen Klassenzimmer unterrichtet. Das ist an und für sich schon eine Herausforderung. Aber nachdem die junge Klassenlehrerin, welche die Klasse nach den Sommerferien letztes Jahr neu übernommen hat, nach wenigen Wochen aufgrund einer reaktiven Depression ausgefallen ist und die Kinder alle paar Wochen zwei bis drei neue Vertretungen gesehen haben, ist das Chaos ausgebrochen. Wenn selbst meine Kinder, die relativ unkompliziert und sich einigen Trubel gewöhnt sind, sich wiederholt über den Lärm in der Schule beklagen, muss es ziemlich übel sein. Erst die neue Ersatzlehrerin, die seit Januar die Klasse führt, hat die Zügel in die Hand genommen und versucht nun, etwas Ordnung reinzubringen.

    Die Leistungen von Joana und Jared bewertet sie durchgehend als „gut, ihr Sozialverhalten und ihre Selbstkompetenz auch, was mir fast noch wichtiger ist. Bevor ich gehe, muss ich noch etwas loswerden, denn auf nächsten Mittwoch ist der Elternabend angesetzt. „Die Stimmung bei den Eltern ist aufgeheizt, viele sind wütend über die herrschenden Umstände, lasse ich sie wissen. „Es wäre sehr gut, wenn der Schulleiter von Anfang bis Ende dabei sein würde. Die Emotionen könnten hochgehen und an ihr ausgelassen werden, obwohl sie nichts dafür könne", warne ich sie vor.

    Noch nie habe ich einen Elternabend mit so viel Ungeduld und Spannung erwartet wie diesen hier.

    Freitag, den 18. Januar 2013

    Heute muss Peter meinen Brief bekommen haben, in dem ich ihm meine Schwangerschaft beichte. Zum Anrufen war ich zu feige. Ich hasse das, dieses Schuldgefühl, das ich jedes Mal habe, wenn ich es einem Vorgesetzten sage. Zum Glück war das erst dreimal nötig: während meiner Doktorarbeit, als Redaktorin bei der Medical Tribune und jetzt als Chefredaktorin von astrea APOTHEKE. Bei den übrigen Schwangerschaften war ich selbstständig erwerbstätig und niemandem Rechenschaft schuldig

    Warum fühlt sich das immer so an, als müssen man der Firma ein Vergehen beichten, einen Schaden, den man ihr zufügt? Warum hat man das Gefühl, sich permanent für die Unannehmlichkeiten entschuldigen zu müssen?

    Entschuldigt sich irgendein Mann für seinen Militärdienst?

    Sollten uns die Chefs nicht viel lieber gratulieren statt lange Gesichter zu ziehen?

    Auch Peter antwortet nicht. Den ganzen Tag checke ich meine Mails und behalte das Telefon in meiner Nähe. Nichts. Und dann ist Wochenende und am Montag schon werde ich ihm ins Gesicht sehen müssen.

    Samstag, den 19. Januar 2013

    Heute werde ich den ganzen Tag in der Küche stehen. Die ganze Woche schon bin ich am Vorbereiten für den morgigen Tag. Am Montag habe ich einen Monstereinkauf gemacht mit allen Zutaten für die Kuchen, Kekse und Canapés, das Tischtuch, die Servietten und das Partygeschirr für Joanas Taufe morgen. Jeden Tag habe ich mir einen anderen Kuchen vorgenommen: Am Dienstag den Tirolercake (der hält sich am längsten im Tiefkühler), am Mittwoch die Linzertorte, am Donnerstag die Rüeblitorte, am Freitag die Brownies und die Chocolate Chip Cookies und für heute eben den Rest.

    Ich beginne mit der Himbeer-Schwarzwälder-Torte (mit Himbeeren statt Kirschen und ein wenig Sirup statt Kirsch), einem Geheimrezept von Rahel. Das ist ziemlich „Dubelisicher" und gelingt immer. Der Kuchen ist ein bisschen gemogelt, weil ich dafür gekauften Biskuitboden verwende.

    Bei meiner Schoggimousse-Torte mit Marzipandecke (davon steht zwar nichts im Rezept, aber Joana hat sie sich ausdrücklich gewünscht) ist auch der Boden echt, bloss will der heute partout nicht aufgehen. Ich stelle ihn den Kindern zum Znüni hin und beginne noch einmal von vorne. Ich blicke alle paar Sekunden in den Ofen, dann auf die Uhr und dann auf meine Schoggimousse-Füllung, die ich dummerweise schon fertig gestellt habe. Was mache ich, wenn die Füllung in der Schüssel fest wird, bevor ich sie auf den Biskuit giessen kann?

    Der zweite Ansatz gelingt, die Füllung ist noch streichfähig und die mit Zuckerblümchen dekorierte Marzipandecke wird ein echter Hingucker! Voller Stolz stelle ich sie in den Kühlschrank. Dann mache ich noch das Thonmousse und die Eierfüllung für die Canapés, die morgen noch belegt werden müssen. Und irgendwann dazwischen habe ich Mittagessen gekocht.

    Ich weiss noch, dass ich ziemlich lange mit dem Aufräumen der Küche beschäftigt gewesen bin. Mehr Erinnerung an diesen Tag habe ich nicht.

    Himbeer-Schwarzwälder-Torte

    •     1 Pack Schokoladenbiskuit- Tortenboden (Fertigprodukt, sollte aus 3 Teilen bestehen)

    •     1-2 Pack Schokoladenspäne

    •     1 Pack tiefgefrorene oder frische Himbeeren (ca. 250g)

    •     1-1,2 Liter Rahm¹

    •     5-6 Päckchen Rahmfestiger (oder je nachdem, was auf dem Päckchen bei der Anleitung steht)

    •     Himbeersirup

    Rahm mit Rahmfestiger nach Anleitung steif schlagen. Die erste Lage Schokoladenbiskuit mit ein paar Esslöffeln Himbeersirup beträufeln. Dann eine ca. 1cm dicke Rahmschicht auf dem Tortenboden verteilen. Die Hälfte der nur leicht angetauten Himbeeren darauf verteilen, etwas in den Rahm hineindrücken und noch einmal mit etwas Rahm zudecken. Dann den nächsten Tortenboden darauf legen. Wieder mit etwas Himbeersirup beträufeln, mit Rahm bedecken, Himbeeren darauf verteilen und noch einmal ein wenig Rahm darauf geben. Dann den letzten Tortenboden oben darauf legen. Auch diesen mit etwas Sirup beträufeln. Den restlichen Rahm zuoberst auf der Torte und seitlich um die Torte herum verteilen. Dann die Schokoladenspäne oben und auf die Seite der Torte streuen. Erst kurz vor dem Servieren mit Rahm und frischen Himbeeren dekorieren. Fertig.

    Sonntag, den 20. Januar 2013

    Heute findet Joanas Taufe statt. Normalerweise taufen wird die Kinder um den 8. Geburtstag herum, aber vor Weihnachten wollten wir das weder uns noch den anderen antun. Heute ist auch ein guter Tag dafür.

    Am Morgen gehen wir zuerst ganz normal zur Kirche. Um zwölf will ich rasch nach Hause, denn es gibt noch viel zu tun. Philipp füttert die Kinder, und ich übernehme die Canapés. Zum Glück stellen sich Larisa (Julischkas Freundin) und Mischa (der älteste Cousin der Kinder) spontan zur Verfügung. Zu viert schmieren wir über 60 Scheiben Toastbrot und belegen sie mit Schinken, Salami, Käse, Thonmousse und Eiermasse. Keine Ahnung, wie Philipp alle diese Kuchen, Torten und Bleche voller belegter Brote ins Auto kriegen will ohne dass daraus Sandwiches werden, aber er schafft es. Den ganzen Weg fahre ich wie auf rohen Eiern.

    Während mein Gehirn vor Nervosität endgültig den Geist aufgibt, finden sich zahlreiche Helfer, die beim Aufbau des Buffets behilflich sind. Und dann fängt der Taufgottesdienst auch schon an. Und ich breche in Tränen aus. Rahel und Aline singen ein Lied, „Gebet eines Kindes", und es dringt allen tief ins Herz hinein.

    Es ist nicht nur das Lied, es ist auch die Bescheidenheit und Demut, mit der das geschieht. Aline ist nur ein Jahr älter als Joana und ihre liebste Cousine. Sie stottert so stark, das man sie beim Sprechen kaum versteht, aber beim Singen kein bisschen. Voller Mut stellt sich dieses Mädchen vor die versammelte Gemeinde und singt die erste Strophe solo. Ihre Mutter singt sie zweite und legt dabei die Hände auf Alines Schultern, die dritte singen sie gemeinsam und zweistimmig. Es ist wunderschön!

    Joana hat das Bild auf der Einladung zu ihrer Taufe selbst gemalt.

    Lange Zeit wollte sie gar niemanden aus ihrem Freundeskreis einladen, aber in der letzten Woche hat sie dann wie verrückt mit dem Verteilen der Einladungen begonnen. Manche haben es sich dann so kurzfristig leider nicht mehr einrichten können.

    Nun steht Joana mit ihrem Vater im Taufbecken. Beide ganz in weiss. Philipp hebt seinen rechten Arm und sagt schlicht: „Beauftragt von Jesus Christus taufe ich dich im Namen, Jesu Christi, Amen."

    Bei uns in der Kirche dürfen alle würdigen Männer das Priestertum tragen, deshalb kann Joana von ihrem eigenen Vater getauft werden. Dann kommt Joana aus dem Wasser hervor – und lacht!

    Beim Apéro haben wir die Gelegenheit, mit unseren Gästen zu sprechen. So viele sind gekommen! So viele, die gar nicht bei uns in der Kirche sind, haben uns mit ihrer Anwesenheit beehrt: Urgrossmamme Claire, Tante Ursula, Erika mit ihrer Familie, sogar eine Freundin aus Joanas Klasse, Soraya mit ihrem Vater. Auch meine ganze Familie war da, um diesen herrlichen Tag mit uns zu feiern.

    Montag, den 21. Januar 2013

    Heute morgen gehe ich zur Umbruchsitzung für die März-Ausgabe. Gleich beim Händedruck dankt mir Peter für die Post und gratuliert mir. Nach der Sitzung reden wir unter vier Augen, dann gehen wir gemeinsam zu Ruedi, dem Geschäftsführer. Ruedi hat sich ganz schön erschreckt, als ich ihn um einen Termin gebeten hatte. Ich glaube, ich hätte im sonst was sagen können, solange ich nur nicht kündige!

    Darüber sind beide sehr froh. Ich versichere ihnen nicht nur, dass ich bleiben werde, sonder auch, dass ich keinen Mutterschaftsurlaub machen werde. Der Aufwand, jemand anderes für vier Monate einzuarbeiten, ist viel zu gross. Ausserdem will ich das Heft nicht aus der Hand geben! Und weil ich bis auf die zwei obligatorischen Sitzungen im Monat alles von zu Hause aus arbeiten kann, gibt es für mich keinerlei Anlass, meine Arbeit niederzulegen oder gar zu unterbrechen.

    „Wenn ich nicht für das Heft arbeite in den vier Monaten Mutterschaftsurlaub, mache ich garantiert etwas anderes, ihr kennt mich!", sage ich. Peter nickt und findet, dass ich dann schon lieber für ihn arbeiten soll.

    Wir sind uns also alle einig. Da gäbe es nur noch die rechtliche Seite zu klären: Von Gesetzes wegen darf ich die ersten acht Wochen nach der Geburt nicht berufstätig sein, es ist mir strikte verboten. Dafür bekomme ich auch noch 20 % weniger Lohn!

    Man darf das nicht falsch verstehen. Ich bin sehr froh, dass es den Mutterschaftsurlaub gibt. Das ist in der Schweiz ja eine relativ junge Errungenschaft, und man sollte ihn dankend annehmen. Aber ich will meinem Arbeitgeber keine Umstände machen und auch nicht auf mein volles Gehalt verzichten, wo ich in der glücklichen Lage bin, meine Arbeit unbehindert weiterzuführen. Was bei der Mehrzahl der Mütter zum Schutz der Mutter-Kind-Beziehung absolut notwendig ist, macht in meinem Fall einfach keinen Sinn. Ich bin nach jeder Geburt innerhalb von zwei, drei Tagen wieder zur Tagesordnung übergegangen: Es schreit kein Hahn danach, wenn ich von morgens früh bis spät hart arbeite, um meine Kinder zu versorgen und den Haushalt zu erledigen. Aber abends in aller Ruhe vor dem Computer sitzen und einen Artikel schreiben – das darf ich nicht? Das geht mir nicht in den Kopf!

    Ich bitte Ruedi, ihren Anwalt zu konsultieren, ob es anstelle meiner Kampfeslust nicht vielleicht doch eine friedliche Lösung gibt.

    Dienstag, den 22. Januar 2013

    Heute ist Jonas wieder früh aufgestanden. Noch bevor die anderen überhaupt aufwachen, hat er bereits gefrühstückt und ein Puzzle gemacht. Ich setze mich zu ihm und greife nach der Schachtel mit den neuen Puzzles, diejenigen, die eigentlich erst ab einem Alter von fünf Jahren und auch für mich noch ziemlich neu sind. Wir puzzlen so lange, bis ich mich vor lauter puzzlen nicht mehr konzentrieren kann.

    „Ich muss jetzt die anderen aufwecken", entschuldige ich mich. Und als ich wiederkomme, hat er das Puzzle fertig gelegt. Er ist drei Jahre alt und spricht kaum ein Wort, aber puzzlen, das kann er!

    Abends geht Jonas früh ins Bett. Er schiebt sich den letzten Bissen seines Honigbrotes in den Mund, nimmt einen Schluck Milch und zeigt dann mit dem Finger nach oben.

    „Möchtest du schlafen gehen?", frage ich.

    „Läh!"¹, sagt er, steigt von der Sitzbank herunter, geht mit der Hand an der Wand entlang die Treppe hoch und ward nicht mehr gesehen.

    Ich selbst gehe auch schon um zehn vor neun ins Bett, nur für zehn Minuten. Als ich wieder aufwache, ist es viertel vor zehn! Julischka steht zu meinen Füssen und rüttelt an meinen Beinen:

    „Aufstehen, Mami, aufstehen!"

    Ich selbst habe sie engagiert, weil der Wecker zu wenig penetrant ist, um mich abends aus dem warmen Bett zu holen.

    „Komm schon, Mami, jetzt mach schon! Ich will auch langsam ins Bett", jammert sie, als ich mich zehn Minuten später immer noch nicht bewegt habe. Das überzeugt dann doch selbst mich. Ich will nicht für eine unausgeschlafene Schülerin verantwortlich sein!

    Mittwoch, den 23. Januar 2013

    Heute husche ich als Zweitletzte ins Klassenzimmer, wo alle anderen Eltern sich bereits zum Krisengipfel eingefunden haben. Der Schulleiter hat schon die Türklinke in der Hand, nickt mir aber ganz freundlich zu. Ich könnte wetten, dass er einen Krisenmanager konsultiert hat, auf jeden Fall verhält er sich ganz nach Lehrbuch: Zuerst entschuldigt er sich in aller Form für das, was falsch gelaufen ist. Er gibt zu, selbst Fehler gemacht zu haben. Und damit hat er die Situation bereits entschärft. Vielleicht auch deswegen, weil sich selbst die ehemalige Kindergartenlehrerin auf unsere Seite schlägt:

    „Das sind tolle Kinder, sie wurden perfekt auf die Schule vorbereitet – was habt ihr bloss mit ihnen gemacht? Kinder in diesem Alter leben für die Lehrerin. Sie brauchen eine Bezugsperson, jemand, der sie gern hat und für sie da ist", sagt sie und ist sichtlich aufgewühlt.

    Tatsache ist, dass die neue Klassenlehrerin, die letzten August angefangen hatte, die Kinder von Anfang an nicht im Griff gehabt hat. Und seit sie krankgeschrieben ist, haben die Kinder mehr Vertretungen gesehen, als sie Fächer haben. Und auch die aktuelle Vertretung kann nicht bleiben, weil sie zurück an die Uni muss.

    Wir nehmen dem Schulleiter das Versprechen ab, nur noch jemanden einzustellen, der den Mumm hat, diese zerbröckelte Klasse wieder zusammenzufügen und die Courage, bei Bedarf auch etwas länger zu bleiben.

    Donnerstag, den 24. Januar 2013

    Heute soll ich den Toyota kurz vor dem Mittag zur Garage bringen. Nur kurz zum Schauen, ob sie für die Reperatur etwas bestellen müssen, ich könne gleich wieder gehen, versichert man mir. Aber das war nur ein Trick. Sobald ich dort mit unserem Toyota-Bus vorfahre, der seit ein paar Tagen wie ein Ferrari heult, behält man ihn gleich da.

    Ich muss sagen, ich bin nicht gerade begeistert. Ich brauche mindestens eine halbe Stunde, um mit den Kleinen den einen Kilometer bis nach Hause zurückzulegen, wir haben nur die dünnen Jäckchen dabei, und ich sollte schon seit fünf Minuten am Kochen sein. Also nehme ich das Angebot an, dass man uns nach Hause fährt.

    „Wir können Sie am Nachmittag auch gerne wieder zur Garage fahren, um das Auto zu holen", bietet Herr Stocker an.

    Ich überlege kurz, lehne das Angebot aber ab.

    „Die Kinder sollen ruhig merken, was es heisst, kein Auto zu haben. Wir kommen es zu Fuss holen", beschliesse ich.

    Nicht dass ich heute Nachmittag nichts anderes zu tun gehabt hätte. Philipp hat mir ans Herz gelegt, wir könnten doch schon einmal damit anfangen, die 960kg Holzbrikett vor dem Haus in den Keller zu tragen. Aber ich habe einen Plan: Wir bilden zwei Gruppen. Während die einen zu Fuss das Auto aus der Garage holen, räumen die anderen das Holz in den Keller.

    Denn wir müssen uns beeilen, ich habe den Kindern versprochen, dass wir heute noch alle zum Schuhe einkaufen in den Deichmann nach Bad Säckingen fahren. Nur ein paar kleinere Updates für die Wintergarderobe – wir werden dieses Jahr ja zum ersten Mal in die Winterferien fahren – und 250 Euro sind weg. Ich glaube, die Schuhe für die Kinder sind neben den Nahrungsmitteln mittlerweile mein grösster Budgetposten geworden.

    Philipp freut sich, dass das Holz schon fast alles drin ist und trägt in fünf Minuten den Rest rein, wofür die Kinder sich 45 Minuten abgerackert haben. Und dass der Toyota wieder nach Toyota klingt.

    Joana geht zu Robin übernachten, Jared hat leider kein Opfer gefunden, ich vertröste ihn auf morgen. Jonas kommt nach dem Essen ganz lange auf meinen Schoss zum Kuscheln und Jelena zieht endlich ihr Meerjungfrau-Kostüm aus. Ende gut, alles gut.

    Freitag, den 25. Januar 2013

    Heute bringen die Kinder ihre Zeugnisse mit nach Hause. Julischka hat einen glatten Fünfer-Schnitt und alle Selbst- und Sozialkompetenzen auf sehr gut! Schon das zweite Mal in Folge! Ich finde sie super! Das hätte ich nie geschafft, hätte es damals schon solche Bewertungen gegeben.

    Joana und Jareds Noten sind auch gut, die Kinder sind auf jeden Fall sehr zufrieden damit. Die Bewertung der Kompetenzen war im Kindergarten besser, aber nach diesem chaotischen Semester gebe ich auf solche Bewertungen, ehrlich gesagt, nicht allzu viel. Die Lehrerin, die das entschieden hat, ist gerade einmal sechs Wochen da.

    Am Nachmittag beobachte ich, wie Jared und Janina nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Janina hält das Büchlein mit den Bauernhoftieren und ihren Babys auf dem Schoss. Verkehrt herum. Mit ihrem Fingerchen zeigt sie auf die Bilder und schreit bei jedem Tier laut „Uuuh! für „Muuh, sei es nun Hund, Katz oder Vogel. Endlich kommt die Kuh. Jared lächelt und hilft ihr beim Blättern.

    „Janina ist so süss!", sagt er zu mir.

    „Und du hast dich so süss um sie gekümmert!", sage ich.

    Das ist der Junge, auf den ich stolz bin.

    Samstag, den 26. Januar 2013

    Heute findet das alljährliche Bernoulli-Treffen statt. Nach über zehn Jahren Ehe weiss ich immer noch nicht, wie Philipp mit dieser altangesehenen Basler-Familie verwandt ist. Ist ja auch egal, man freut sich auf jeden Fall immer, wenn wir kommen.

    Für mich ist das nicht so einfach. Ich fühle mich unter Leuten nicht wohl. Ich weiss nicht, was ich sagen soll, ich weiss nicht, was ich tun soll, und die Zeit scheint ewig nicht zu vergehen. Es liegt nicht an den anderen, sondern an mir, und mit den Jahren habe ich gelernt, ein wenig lockerer zu werden.

    Auf jeden Fall stinkt es mir dieses Mal nicht ganz so sehr wie auch schon. Fast schon freue ich mich ein wenig. Doch dann überrumpelt mich Philipp mit dem Beschluss, dass wir dieses Mal nicht beeinander sitzen würden, sondern uns stattdessen unter die Leute mischen sollten.

    Und weg ist er.

    Joana, Jared und Jelena schwärmen ebenfalls aus, nur meine Älteste und meine Jüngste bleiben mir treu. Während ich mit Janina zu meiner Linken kämpfe, die andauernd aus ihrem Hochstuhl aussteigen will, versuche ich mit Julischka eine Konversation vorzutäuschen, damit nicht allzu sehr auffällt, dass ich unseren Tischnachbarn nichts zu sagen habe und vor lauter Nervosität andauernd auf das Tischtuch oder mein Kleid kleckere.

    Ich blicke zu Philipp herüber, der sich unterhält und lacht und kichert und sich prächtig amüsiert. Zwischen Daniel und Ruth, die er das ganze Jahr hindurch immer mal wieder sieht. Ich fühle mich verraten und bin wütend auf ihn, statt mich für ihn zu freuen.

    Wie gut, dass die Kinder – egal wo – natürlich nicht lange sitzen bleiben, den Raum verlassen und ich ihnen folgen muss. Im Untergeschoss befindet sich ein Billard-Tisch und ein Töggeli-Kasten (Tischfussball). Von Billard habe ich keine Ahnung, vom Töggeln eigentlich auch nicht, aber das scheint mir weniger formell zu sein. Ich soll mitspielen, wünscht sich Jared, und ich tue es. Und ich gebe alles! Ich schreie und quietsche und lache, weil das so aufregend ist, und ich andauernd verliere. Die Kinder vom Billardtisch nebenan schauen zu mir herüber, vermutlich haben sie noch nie eine erwachsene Person gesehen, die sich derart gehen lässt. Aber wenn es Spass macht? Auf jeden Fall war das das Highlight des ganzen Tages!

    Robin, ein Nachbarsjunge aus der zweiten Klasse, schreibt Jared diesen lieben Brief.

    Sonntag, den 27. Januar 2013

    Heute ist Sonntag, und sonntags machen wir den „Familienheimabend". Die meisten Familien in unserer Kirche machen ihn am Montag, aber dafür sind wir montags immer viel zu kaputt. Den Famililenheimand dürfen alle mitgestalten. Jemand ist zuständig für die Musik, ein anderer für das Gebet, für das Thema und die Geschichte, für das Dessert (sehr beliebt!) oder die Aktivität (auch sehr beliebt).

    Jared hat sich als Aktivität „UNO-Spielen" gewünscht. Schon seit längerem zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie wir das Spielen von Brett- und Kartenspielen in unserer Familie optimieren können. Denn der Tisch ist zu gross, als dass alle von ihren Plätzen aus den Kartenstapel erreichen könnten. Wir könnten wie bisher auf dem Boden sitzen, aber dort haben auch die Kleinen uneingeschränkten Zugriff.

    Nun, den verschaffen sie sich sowieso. Während ich hinter der Spüle stehe, die

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