Geh mir weg mit deiner Lösung: Vom Umgang mit depressiven Menschen
Von Yvonne Reip
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Über dieses E-Book
Mit meinem Buch möchte ich Angehörigen von Depressiven Anregungen für den Umgang miteinander an die Hand geben. Da ich selbst depressiv bin und mit einem Ehepartner zusammenlebe, kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Außerdem möchte ich mit Vorurteilen gegenüber der psychischen Krankheit Depression aufräumen und für sie sensibilisieren. Das Buch richtet sich also auch an andere Menschen, die in irgendeiner Form mit dem Thema Depression zu tun haben oder sich einfach nur dafür interessieren.
Yvonne Reip
Yvonne Reip wurde 1978 in Belgien nahe der deutschen Grenze geboren. Sie studierte Sozialarbeit und bildete sich später zur Gestalt-Psychotherapeutin weiter. Mit Anfang 30 erhielt sie die Diagnose Depression.
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Buchvorschau
Geh mir weg mit deiner Lösung - Yvonne Reip
Geh mir weg mit deiner Lösung
Impressum
Prolog
Und plötzlich geht nichts mehr
Was machst du denn jetzt?
Stigmatisierungen, Vorurteile und Fehlinterpretationen
Du hast doch gar keinen Grund, depressiv zu sein!
Reiß dich mal zusammen! Und andere hilflose Ratschläge
Eine ungelöste Vergangenheit ist nicht vorbei
Geh mir weg mit deiner Lösung
Niemals Druck ausüben
Helfen hält klein
Miteinander reden und der Umgang mit Angehörigen
Suizidgedanken
Professionelle Hilfe für Angehörige
Früher konntest du doch auch
Bürokratiewahnsinn für Fortgeschrittene
Der Umgang mit depressiven Menschen im Überblick
Epilog
Impressum
© 2017 Yvonne Reip
Alle Rechte ausdrücklich vorbehalten.
Foto und Covergestaltung: © Yvonne Reip
Verlag:
Yvonne Reip
Aachener Straße 19
4728 Hergenrath, Belgien
Prolog
Dies wird kein Buch über meinen erfolgreichen Weg, mit der Depression zu leben geschweige denn, sie zu überwinden. Es wird ebenso wenig eine Autobiographie, auch wenn ich hier und da etwas von mir erzähle und aus eigenen Erfahrungen spreche. Woher sollte ich sonst meine Schlüsse und Empfehlungen ziehen wenn nicht aus eigenen Erfahrungen? Das macht dieses Buch natürlich recht subjektiv. Es gibt leider keine allgemeingültigen Patentrezepte für den Umgang mit depressiven Menschen. Ich kann nur aus meinem Leben berichten, was mir geholfen hat und was nicht. Manchmal höre oder lese ich von anderen Betroffenen, dass es ihnen ähnlich ergeht und sie mir beipflichten. Andere wiederum brauchen andere Dinge. Es wäre also ein utopisches Ziel, einen Ratgeber zu schreiben, der allen Betroffenen und deren Angehörigen gerecht werden kann. Aber einen Versuch ist es wert. Ratgeber ist auch nicht die Bezeichnung, die ich mir für mein Buch wünschen würde. Ideensammlung oder Orientierungshilfe vielleicht. Oder Anregung.
Ich bin jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, 38 Jahre alt, und eigentlich immer schon depressiv gewesen. Als Kind wahrscheinlich nicht unbedingt, aber spätestens seit Einsetzen der Pubertät. Für mich gehörte das zu meiner Persönlichkeit. Und für meine Mitmenschen wohl ebenfalls. Niemand hat sich je die Frage gestellt, ob das wirklich so soll. Ich wurde eher dazu angehalten, doch etwas fröhlicher zu sein, mal mitzumachen, nicht immer so träge zu sein, mich nicht so ernst zu nehmen, nicht so überempfindlich zu sein – kurz einfach so zu sein, wie alle anderen auch. Was immer das bedeuten mag. Das erschließt sich mir bis heute nicht. Zeit meines Lebens fühlte ich mich anders. Das liegt allerdings auch daran, dass ich hochsensibel bin. Darum wird es in diesem Buch aber nicht gehen. Das ist ein Thema für sich. Auch wenn es für mich eine große Erleichterung war, dies festzustellen, weil es so viel erklärt und mein Sosein rechtfertigt. Und es macht anfällig für Depressionen.
Toleranz und Respekt. Zwei Haltungen, die mich oft beschäftigen. Ich fühle mich anders, weil andere mir das Gefühl geben, nicht normal zu sein. Ich finde sie tatsächlich genauso komisch und kann ihre Interessen und Ansichten nicht nachvollziehen. Aber ich lasse sie so. Die muss es auch geben. Ist doch schön, diese unendliche Vielfalt. Warum kann man mich nicht so lassen? Und warum muss man sich zu allem Überfluss auch noch darüber lustig machen? Oder mir sagen, was ich alles anders machen soll, um „richtig" zu sein. Bin ich denn falsch?
Ich mache das nicht mit Absicht. Ich mache das nicht mit der Absicht, aufzufallen, besonders zu sein oder jemanden zu ärgern. Ich bin wie ich bin. So wie du bist wie du bist. Ich wünsche mir einen freundlich toleranten und respektvollen Kontakt. Ansonsten bleibe ich lieber allein.
Depressionen kann man nicht bekämpfen. Sie sind auch nicht vollständig heilbar. Man kann nur lernen, mit ihnen zu leben, was das Akzeptieren ihrer Anwesenheit voraussetzt. Das ist für einen Betroffenen ein hartes Stück Arbeit. Wenn dann noch Ablehnung von außen kommt, wird es doppelt schwer.
Denn es ist möglich, mit seiner Depression in Frieden zu leben und wieder Freude zu empfinden. Sie wird dann kleiner und vielleicht kaum noch wahrnehmbar. Aber sie wird niemals ganz weg sein. Ich für meinen Teil bin froh darüber. Denn sie meldet sich immer dann, wenn ich wieder nicht auf mich achte, keine Grenzen gesetzt habe oder nicht auf mein Herz höre. Ich freue mich zwar nicht wirklich über ihren Besuch, aber sie ist mein Alarmsignal, das mich daran erinnert, für mich zu sorgen. Manche Menschen sagen von sich, dass sie die Depression vollkommen hinter sich gelassen haben. Die haben mit Sicherheit auch Recht. Ich denke jedoch, dass man anfällig bleibt und in jedem Fall Strategien und Skills entwickeln muss, um nicht mehr haltlos abzurutschen. Und das Leben wird sich durch die Depression verändern. Zuerst negativ und dann hoffentlich positiv. Weil man mehr zu sich selbst findet. So ergeht es mir jedenfalls. Trotzdem ist sie immer noch da, die Depression.
Wenn einmal klar ist, dass man an Depressionen erkrankt ist, reagiert das Umfeld unterschiedlich. Manche wenden sich ab, weil sie nicht damit klarkommen. Andere wollen helfen. Einige tun so, als ob nichts wäre. Ganz Wenige verstehen, wie es einem geht, und sind notfalls einfach nur da. Die meisten halten sich irritiert zurück, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Und manche glauben einem nicht. Als Betroffener versteht man seine Situation selbst nicht. Und man weiß ebenso wenig, wie man mit all den Reaktionen umgehen soll. Helfer nerven und überfordern, Nichtgläubige verletzen und verstärken die Symptome, Ignoranten sind eigentlich noch ganz sympathisch, aber lassen einen einsam fühlen, Unsichere veranlassen zum Verbergen der wahren Befindlichkeit und zum Vortäuschen guter Laune, Ablehnende treten voll ins Herz. Bis man erkennt, dass man die auch nicht braucht und nie gebraucht hat. Am hilfreichsten sind die, die einfach nur da sind und hin und wieder fragen, ob sie etwas tun können; die sich dann mit einem „Nein, danke zufrieden geben und in der Umlaufbahn bleiben. Oder die offen und ehrlich sagen: „Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, und ich weiß nicht, wie es ist, depressiv zu sein.
Das ist authentisch. Und zum Authentisch-sein wird man ziemlich oft in der Therapie angehalten. Wenn es für Depressive gut ist, kann es für all die anderen nicht schlecht sein.
Und plötzlich geht nichts mehr
Depression ist, die Welt wie durch einen Schleier wahrzunehmen. Alles verliert seine Bedeutung. Ich fühle mich seltsam unbeteiligt. Dinge, die mir früher Spaß gemacht haben, stoßen auf gleichgültiges Desinteresse. Der therapeutische Rat, mir etwas Gutes zu tun, klingt wie Hohn. Ich weiß nicht mehr, wie das geht. Und es greift auch nicht mehr, hat seine positive Wirkung verloren. Mein ganzes Ich ist mit Blei gefüllt. Ich bin innerlich gelähmt. Die Gefühle haben sich in die hinterste Ecke meiner Seele zurückgezogen. Ich bin nicht traurig. Ich weine auch nicht. Ich fühle einfach gar nichts. Depression ist ein Nicht-Gefühl.
„Wie fühlst du dich? fragt meine Therapeutin. „Kann ich den Telefonjoker nutzen?
frage ich zurück. Wenn ich wütend oder traurig werde, weiß ich, dass es besser wird. Es geht mir zwar nicht gut, aber ich fühle mich wieder. Bis es um Lebensfreude geht. „Heute betrachten wir die vier Grundgefühle. Zu jedem nehmen Sie bitte eine Ihnen entsprechende Körperhaltung ein. Spüren Sie in die Gefühle hinein." Klinikalltag. Angst – ich ziehe die Schultern hoch, stelle das Atmen ein und verkrampfe mich. Wut – ich balle die Fäuste, presse die Kiefer zusammen und renne durch den Raum. Trauer – ich lasse Schultern und Kopf hängen und schleiche umher. Freude – nichts. Alles um mich herum fängt an zu hüpfen und zu lachen. Und ich zucke hilflos mit den Schultern. Da war doch was... Ach Mist, ich bin wohl doch depressiv! Die darauffolgenden Tage füllen sich wieder mit innerer Leere.
Der Beginn einer depressiven Episode fühlt sich an wie Fallen. Ins Nichts. Das emotionale Chaos im Innern verdichtet sich und implodiert. Zurück bleibt ein schwarzes Loch, das alles in sich aufsaugt. Ich bin nur noch müde, kann aber weder schlafen noch entspannen. Alles wird unglaublich anstrengend. Staubsaugen wird zu Sahara kehren. Entscheidungen ziehen sich zähflüssig hin. Die Aufgaben des Alltags wirken wie eine drohende Lawine. Ich