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Spuren des Terrors: Eine Chronik: Hintergründe, Attentate, Täter
Spuren des Terrors: Eine Chronik: Hintergründe, Attentate, Täter
Spuren des Terrors: Eine Chronik: Hintergründe, Attentate, Täter
eBook824 Seiten9 Stunden

Spuren des Terrors: Eine Chronik: Hintergründe, Attentate, Täter

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Über dieses E-Book

Das Buch ist eine Chronik, die die Terroranschläge seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges dokumentiert und die Hintergründe aufzeigt. Der erste Band beginnt 1946 in Jerusalem und endet in Aden im Jahr 2000 mit dem Anschlag auf die USS Cole.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum17. Aug. 2022
ISBN9783756245628
Spuren des Terrors: Eine Chronik: Hintergründe, Attentate, Täter
Autor

Matthias Plügge

Ich bin Matthias Plügge aus München, ein Journalist im Bereich der Sicherheitspolitik mit dem Schwerpunkt Terrorismus. Berichterstattung und Journalismus haben mich die letzten 50 Jahre stetig ge- und begleitet und ich habe mir eine immense Erfahrung beim Recherchieren mit hoher Differenzierungsfreudigkeit und großem Überblick erworben: nicht nur in Deutschland, sondern auch in Moskau und in Kiew, mit einer eigenen Nachrichtenagentur. Seit etwa 5 Jahren widme ich mich der schreibenden Arbeit und dies ist mein erstes Buch - Band 2 wird folgen.

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    Buchvorschau

    Spuren des Terrors - Matthias Plügge

    Kapitel 1

    Geschichtliche Entwicklung

    Terror, wie viele andere Worte auch, kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Angst und „Schrecken. Wann dieses Wort entstand, ist kaum zu ermitteln, aber es wurde im Zusammenhang mit der Seeräuberei oder Piraterie von den antiken Römern benutzt.

    Piraterie gab es seit dem 14. Jahrhundert v. Chr. im östlichen Mittelmeer. Die zahlreichen Inseln und die zerklüfteten Küsten mit ihren Buchten boten den Piraten eine Vielzahl von Zufluchtsmöglichkeiten. Zunächst waren es Küstenpiraten, die mit Ruderbooten die Küstenorte erreichten und dort plünderten. Erst im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde es möglich, durch die Entwicklung der Triere auch auf hoher See Piraterie zu betreiben; denn diese von zahlreichen Ruderern angetriebenen Schiffe waren so schnell, dass der Gegner kaum eine Chance hatte zu entkommen.

    Im 3. Jahrhundert v. Chr. stießen die Römer im Zuge der Ausweitung ihres Herrschaftsbereiches auf die Piraten und ihre Raubzüge. Da sich die Feinde Roms mit den Piraten verbündeten, wurden diese im Laufe der folgenden beiden Jahrhunderte ein immer größeres Problem, vor allem, weil sich durch die Piratenangriffe in Rom die Versorgung mit Getreide aus Ägypten verschlechterte. Im Jahr 67 v. Chr. überfielen die Piraten auch mehrere italienische Hafenstädte; in Ostia, der römischen Hafenstadt, zerstörten sie Teile der römische Flotte. Mit allen Vollmachten ausgestattet, ließ der römische Feldherr Gnaeus Pompeius aufrüsten: Es wurde eine neue Flotte von 500 Schiffen gebaut und 20 Legionen mit jeweils 6.000 Mann wurden aufgestellt. Pompeius hatte eine Strategie entwickelt: Von der Flotte ließ er die Häfen, die sich in der Hand der Piraten befanden, blockieren, und gleichzeitig griffen die Legionen von Land heran und zerstörten die Häfen. In dieser Zeit des römischen Seeräuberkrieges wurde vermutlich der lateinische Begriff Terror geprägt.

    Zeloten und Sikarier (6 bis 73 n. Chr.)

    Die Verbindung zwischen Religion und Terrorismus ist nichts Neues: Bereits vor 2.000 Jahren wurden von religiösen Fanatikern Anschläge durchgeführt, die man heute als terroristische Akte bezeichnen würde. Einige Begriffe, die heute genutzt werden, um Terrorismus zu beschreiben, leiten sich von den Namen jüdischer, hinduistischer und muslimischer Gruppen ab, die vor langer Zeit terroristisch aktiv waren. Eines der Beispiele sind die Sikarier, eine Splittergruppe unter den Zeloten in Judäa. Die Zeloten waren eine jüdische Sekte, die von der Endzeiterwartung geprägt war. Außerdem erkannten sie keine staatliche Autorität an; nur Gott allein dürfe man sich beugen und fügen. Der Begriff Zelot stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Eiferer. Der schon erwähnte Gnaeus Pompeius hatte 63 v. Chr. Judäa besetzt und zu einer römischen Provinz gemacht. Es waren die Zeloten, die einen gewaltsamen Aufstand gegen Rom anstrebten, wobei die Gruppe der Sikarier einen rücksichtslosen Feldzug gegen die Römer und jüdische Kollaborateure begannen. Sikarier bedeutet „Dolchträger oder „Messerstecher, nach dem lateinischen sica („Dolch). Diese Männer tauchten aus der Anonymität eines belebten Marktplatzes auf und schnitten, für alle Anwesenden sichtbar, ihrem Opfer die Kehle durch. Auch Geiselnahme und Gefangenenmord zählten zu ihren grausamen Praktiken. Sie scheuten dabei weder die heiligen Stätten noch die heiligen Tage: Gezielt legten sie ihre Attentate auf einen Sabbat oder einen Feiertag. Diese öffentlichen Morde zielten – wie auch die Anschläge der heutigen Terroristen – auf eine psychologische Wirkung ab, die weit über den Kreis der Opfer und der Zeugen hinausging. Es war eine eindeutige Botschaft an die römischen Besatzer und die jüdischen Kollaborateure.

    Das Drama von Masada

    Zu Beginn des Jüdischen Krieges im Jahr 66 nahmen die Sikarier Jerusalem ein; sie zerstörten die Nahrungsmittelvorräte, um die Bevölkerung zum Kampf gegen die römische Besetzung zu zwingen. Erst im Herbst 70 konnten die Römer die Belagerung von Jerusalem beenden und die Stadt erobern, wobei sie den Jerusalemer Tempel in Brand steckten. Die Stadt selber war so zerstört, dass sie in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar war. Inzwischen, im Jahr 66, hatten die Sikarier auch die Festung Masada erstürmt und die dort stationierten 700 römischen Legionäre abgeschlachtet, obwohl sie den Soldaten freien waffenlosen Abzug zugesichert hatten. Bis 73 konnten die Sikarier Masada gegen die römische Belagerung halten. Doch als sie keinen Ausweg mehr sahen, begingen sie – rund 1.000 Juden mit Frauen und Kindern – gemeinsam Selbstmord, um nicht von den Römern gefangen genommen zu werden.

    Die Assassinen (1000 bis 1250)

    Rund 1.000 Jahre später: Die Assassinen, auch Haschaschinen genannt, waren ein radikaler Zweig der muslimisch-schiitischen Ismaeliten-Sekte, die zwischen dem Ende des 11. Jahrhunderts und der Mitte des 13. Jahrhunderts in Persien und Syrien ansässig waren. Sie waren bekannt für ihre Mordattentate – mit dem Dolch und durch Gift –, mit denen sie politische Widersacher wie auch Andersgläubige ausschalteten und dadurch Angst und Schrecken verbreiteten. Das Wort Assassin kommt aus dem Arabischen und bedeutet „Haschischesser. Die Attentäter wurden als „Opferbereite bezeichnet, weil sie bei den Attentaten meistens den Tod fanden.

    Marco Polo berichtete, dass die jungen Männer vor den Attentaten mit Opium betäubt und in eine Gartenanlage gebracht wurden. Bei guter Bewirtung und Betreuung durch Frauen erging es ihnen wie im vom Propheten Mohammed versprochenen Paradies. Nur durch einen heldenhaften Tod konnten sie endgültig dorthin kommen. Die Gewalt stellte für die Assassinen eine Art sakrale Handlung dar, eine gottgegebene Pflicht, die in den religiösen Texten gefordert und von den geistlichen Führern befohlen wurde. In Persien endete die Herrschaft der Assassinen durch die Mongolen 1256, die viele Mitglieder der Sekte ermordeten. In Syrien war es der Mameluken-Sultan Baibars, der 1271 die Herrschaft der Assassinen beendete. Ihr Name jedoch lebt in vielen Sprachen fort, als Synonym für Auftragsmörder: Assassin, während ihr Ethos des Selbstopfers und des selbstmörderischen Martyriums heute auch bei vielen islamistischen terroristischen Organisationen zu finden ist.

    Propaganda der Tat (1850)

    Die Französische Revolution bewirkte und förderte in Europa eine antimonarchische Stimmung. Das „Gottesgnadentum, dass den Herrschern ihre Macht von Gott gegeben sei – und nicht vom Volk – wurde in wachsendem Maße in Frage gestellt. Und so entstand im 19. Jahrhundert eine neue Art des Terrorismus, die viele revolutionäre und staatsfeindliche Aspekte enthielt und teilweise heute noch wirksam ist. Einer der wichtigsten Köpfe dieser Entwicklung war der italienische Extremist Carlo Pisacane, der sich für die italienischen Einigungsbestrebungen und die Bildung einer Republik, das „Risorgimento, einsetzte und dafür kämpfte. Pisacane wird die Theorie der „Propaganda der Tat zugeschrieben. Er hatte erkannt, dass die „Zurückgebliebenheit der italienischen Arbeiter und Bauern und deren fehlendes politisches Bewusstsein ein Hindernis für die Errichtung einer Republik seien. In seinem „Politischen Testament schrieb er 1857: „Ideen gehen aus Taten hervor und nicht umgekehrt, und das Volk wird nicht frei durch Bildung, sondern gebildet in der Freiheit. Gewalttätigkeit ist nicht nur notwendig, um Aufmerksamkeit zu erregen oder öffentliches Interesse für ein Anliegen zu erwecken, sondern um zu informieren, zu bilden und schließlich die Massen für die Ziele der Revolution zusammenzuführen. Der lehrende Zweck der Gewalt kann niemals durch Kampfschriften, Plakate oder Veranstaltungen ersetzt werden. Der hohe Anteil von Analphabeten im 19. Jahrhundert setzte der traditionellen Propaganda enge Grenzen. Die Propaganda der Tat, so Paul Brousse 1877, „sei in der Lage, den müden und trägen Massen […] das, was sie nicht lesen können, zu zeigen. Sie lehrt sie den Sozialismus in der Praxis, macht ihn sichtbar, greifbar, konkret".

    Damit wird deutlich, dass die Attentate primär als eine Form der Kommunikation zu betrachten waren. Die Strategie der „Propaganda der Tat bedeutet ein gewisses Gleichgewicht der beiden Begriffe „Tat und „Propaganda. Durch die „Tat sollte eine generelle Botschaft – eine politische Zielsetzung oder eine ideologische Überzeugung – einem breiten Publikum nahegebracht werden. Die „Tat war oder ist die „Propaganda. An dieser Erkenntnis aus der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich bis heute nichts geändert, wenn man an die inszenierten Anschläge des sogenannten Islamischen Staates denkt. So ist es auch kein Zufall, dass der moderne Terrorismus fast gleichzeitig mit der modernen Massenpresse, aber auch mit der Erfindung des Dynamits, entstand. Zu den Ersten, die die potenzielle Wirkkraft dieser Mittel erkannten und systematisch für ihre Zwecke nutzten, zählten die Anarchisten.

    Tyrannenmord und Anarchisten

    Auch der Entwicklungsstrang über Tyrannenmord und Anarchismus führt zum Terrorismus. Nach Walter Laqueur wurde Terrorismus schon immer als Mittel des Widerstandes gegen die Gewaltherrschaft gerechtfertigt und ließe sich als solcher bis in die Antike zurückverfolgen. Schon in der Antike wurde philosophiert, ob der Tyrannenmord ein legitimes Mittel zur Befreiung der Bürger sei. Die Frage lautete: Was ist schwerer zu verantworten – Unterdrückung, Gewalt oder gar Tod durch den Tyrannen oder die Schuld eines Mordes durch ein Attentat auf den Tyrannen. Der erste bekannte Tyrannenmord ereignete sich 514 v. Chr. in Griechenland: Bei diesem Attentat auf die Tyrannenbrüder Hippias und Hipparchos wurde Hipparchos getötet. Den beiden Attentätern wurde von den Athenern ein Denkmal errichtet, denn dieser Anschlag gilt auch als Geburtsstunde der Demokratie in Athen. Der Tyrannenmord an Hipparchos soll Cicero zufolge bis zu dem an Julius Cäsar in aller Munde gewesen sein. In seiner Moralschrift „De officiis verteidigte Cicero den Tyrannenmord als politisch nützlich. Der Mord an Cäsar, dem Liquidator der römischen Republik am 15. März 44 v. Chr. ist wohl der bekannteste Tyrannenmord der Geschichte: „Auch Du, mein Sohn Brutus dürfte wohl einer der bekanntesten Sätze aus dieser Zeit sein. Das Neue Testament weist die alten Ideen, auf denen die staatsphilosophischen Thesen Platos und Ciceros beruhten, zurück. Der Tyrannenmord ist mit dem neutestamentlichen Konzept der „Feindesliebe" unvereinbar. Das frühe Christentum kannte statt des heldenhaften Tyrannenmörders nur den Märtyrer, denn jede Obrigkeit kam von Gott und war deshalb unantastbar. Erst die Französische Revolution beendete diese Sichtweise.

    Die „Philosophie der Bombe"

    Die politische Gewalt im traditionellen Sinn, vor allem der Attentate, änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dies betraf die Täter, die Opfer und die Art der Anschläge: Bei den Tätern begann eine Entwicklung von Einzelnen hin zu einer anonymen Verschwörergruppe oder -organisation. Auch das Spektrum der Opfer dehnte sich aus. Vor 1800 hatten sich politische Attentate vornehmlich gegen den jeweiligen Monarchen oder andere politische Schlüsselfiguren gerichtet. Die Anschläge richteten sich nun auch immer mehr gegen die Vertreter des jeweiligen Machtapparates, seien es Minister, Generäle oder Polizeipräsidenten. Und auch bei den Attentatsmitteln gab es gravierende Veränderungen. Der Dolch, die typische Waffe des Tyrannenmordes, wurde zunehmend durch die Bombe verdrängt. Auslöser war die Erfindung des Dynamits durch Alfred Nobel im Jahr 1867. Durch die „Propaganda der Tat wurde die anarchistische Bewegung im 19. Jahrhundert bekannt. Es war eine Kommunikationsstrategie, die besonders heute von den terroristischen Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat wieder genutzt wird. Der bayerische Anarchist Johann Most legte in den 1880er-Jahren in dem Traktat „Philosophie der Bombe seine Hauptthesen dar:

    Extreme Gewalt wird von der Fantasie der Öffentlichkeit Besitz ergreifen.

    So kann die Öffentlichkeit für politische Fragen sensibilisiert werden.

    Gewalt verleiht von sich aus Stärke und wirkt als eine „reinigende Kraft".

    Gewalt kann den Staat bedrohen und ihn zu unrechtmäßigen Reaktionen verleiten.

    Diesem „Leitfaden" entsprechend erfolgte ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine steigende Attentatsserie gegen führende Vertreter der europäischen Herrschaftshäuser. Die Mehrzahl der teils erfolgreichen, teils fehlgeschlagenen Anschläge blieb zunächst das Werk von Einzeltätern, obwohl es bereits zahlreiche Geheimgesellschaften gab. Es begann 1861 mit einem fehlgeschlagenen Anschlag auf den König Wilhelm I. von Preußen, 1878 folgten zwei Attentate auf den deutschen Kaiser Wilhelm I. in Berlin, außerdem Mordversuche am spanischen König Alfons XII. in Madrid und auch am italienischen König Umberto I. in Neapel. 1881 wurde Zar Alexander II. von Russland ermordet, 1894 der französische Staatspräsident Carnot in Lyon und 1897 der spanische Premierminister del Castillo in den Kuranlagen von Mondragon. Ein Jahr später fiel Kaiserin Elisabeth von Österreich einem Attentat zum Opfer, 1900 in Italien der König Umberto I und 1901 der Präsident der USA, William McKinley. Auf den ersten Blick erschienen die Ereignisse als eine große Verschwörung, die darauf gerichtet war, die bestehende Ordnung zu vernichten. Dabei waren diese Ereignisse eine Aneinanderreihung von Einzelattentaten, die nicht miteinander verbunden waren.

    Narodnaja Wolja (1878)

    Die erste Organisation, die das Prinzip der „Propaganda der Tat umzusetzen versuchte, war die russische Narodnaja Wolja („Volkswille oder „Volksfreiheit"), die 1878 gegründet wurde. Das war eine sozialrevolutionäre Vereinigung, die mit Mitteln des Terrors für demokratische Ziele in Russland kämpfte. Ihre Ziele waren der Sturz des Zaren, freie und allgemeine Wahlen sowie Meinungs-Presse- und Gewissensfreiheit. Wegen der Apathie der russischen Massen sahen die Mitglieder der Narodnaja Wolja kaum eine andere Möglichkeit, als mit wagemutigen Gewaltaktionen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu erreichen. So ergriffen sie eine extreme Maßnahme und planten die Ermordung Zar Alexanders II. Acht Versuche schlugen fehl. Deshalb setzte man beim neunten Versuch vier Attentäter mit vier Bomben in zwei Gruppen ein. Am 1. März 1881 kamen sie dann zum Ziel. Nachdem der erste Attentäter gescheitert war, tötete der zweite den Zaren und sich selbst.

    Trotzdem zeigte die Narodnaja Wolja für eine terroristische Organisation ein zwiespältiges Verhältnis zu der Gewalt, die sie ausübte. Sie definierte „Propaganda der Tat als eine Selektion von Persönlichkeiten des autokratischen Unterdrückerstaates. Aus diesem Grund wurden ihre Opfer – der Zar, führende Angehörige der kaiserlichen Familie und hohe Regierungsbeamte – nach ihrer symbolischen Bedeutung für das System ausgewählt. Bei der Verfolgung dieser Ziele sollte kein fremdes Blut vergossen werden; das war allgemeiner Konsens in der Organisation. Aufgrund dieses Verhaltens bildete sich in der Öffentlichkeit der Mythos von „tugendhaften Mördern. Die Bereitschaft der Attentäter, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen – die Gefangennahme und Hinrichtung waren ihnen sicher –, führte in der Bevölkerung zu einer Mischung aus Faszination, Bewunderung und Entsetzen: so wie ein Jahrhundert später, als die ersten Selbstmordattentäter auftauchten.

    Nach dem Mord am Zaren verhaftete die Geheimpolizei die meisten Verschwörer. Es wurde ihnen der Prozess gemacht und sie wurden gehängt. 1883 – zwei Jahre nach dem Attentat – wurde auch das letzte Mitglied des Exekutivkomitees verhaftet. Damit war die erste Generation der Terroristen der Narodnaja Wolja tot oder im Gefängnis. Die Auswirkungen des Attentats auf die Zarenherrschaft waren zu jener Zeit sicherlich nicht absehbar, doch es war der Beginn ihres Endes.

    Krise der russischen Gesellschaft

    Die Anschläge der Narodnaja Wolja unterschieden sich wesentlich von den Attentaten in anderen Teilen Europas, die von isolierten Einzelpersonen mit teilweise obskuren Idealen durchgeführt wurden. Der russische Terrorismus war ein Aspekt der im Entstehen begriffenen sozialistischen Bewegung wie auch Symptom einer allgemeinen Krise der russischen Gesellschaft. Doch erst Ende 1901 wurde schließlich eine sozialrevolutionäre Partei aus linken Gruppierungen gebildet – darunter waren auch ehemalige Mitglieder der Narodnaja Wolja. Die Ermordung des russischen Innenministers Sipjagin im Jahr 1902 bildete den Auftakt zu einer neuen Terrorwelle. Die Partei vertrat die Ansicht, dass Terrorismus notwendig sei. Der Kampf der Massen sollte dadurch ergänzt werden. Systematischer Terror, Hand in Hand mit anderen Formen des offenen Kampfes, wie Arbeiterunruhen, Bauernaufstände und Demonstrationen, sollten zur Desorganisation des Feindes führen.

    Marx und Engels hatten den Begriff Terror oft gleichgesetzt mit Macht oder Gewalt im Allgemeinen. Marx ging anscheinend von dieser Vorstellung aus, als er sagte, revolutionärer Terrorismus sei die einzige Möglichkeit, den Todeskampf der alten Gesellschaft und die Geburtswehen der neuen zu verkürzen. Lenin war sehr viel vorsichtiger und lieferte eine Definition des Terrorismus als Einzelkampf im Gegensatz zur Massenaktion. Er bezeichnete terroristische Kampagnen als unsinnig, weil solche individuellen Gewaltakte nichts mit der Masse des Volkes zu tun hätten.

    Hingegen lieferte die anarchistische Bewegung in Europa die Strategie der „Propaganda der Tat", wie sie die Narodnaja Wolja praktiziert hatte. Das war eine Vorlage, die als äußerst nachahmenswert galt. Vier Monate nach dem Zarenmord fand in London ein Anarchistenkongress statt, auf dem das Attentat öffentlich bejubelt und der Tyrannenmord als Mittel des revolutionären Wandels gepriesen wurde. Doch letztendlich hatte der Anarchismus – trotz einer bemerkenswerten Serie von Morden und Bombenanschlägen auf Staatsoberhäupter – kaum merkliche Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitik der betroffenen Länder.

    Clan na Gael (1873)

    Neben dem Prinzip „Propaganda der Tat begann in den USA eine Entwicklung, die großen Einfluss auf die zukünftige Strategie und Taktik von Terroristen haben sollte. Die britische Herrschaft über Irland hatte eine lange Geschichte des Widerstandes und der Rebellion gezeitigt, und Mitte des 19. Jahrhunderts dehnten sich die revolutionären Aktionen von Irland auf die USA aus. In den irischen Organisationen in den USA entwickelte sich ein irisches Nationalbewusstsein, das durch die großen Einwandererzahlen noch gesteigert wurde. Nachdem 1858 die Irish Republican Brotherhood (IRB) in Dublin gegründet worden war, entstand in New York eine Schwesterorganisation: die Fenian Brotherhood, die für die Radikalisierung der irischen Einwanderer verantwortlich war. Sie glaubten an die Fähigkeit einer kleinen bewaffneten Vorhut, die das Volk in Irland aufrütteln und zu einem Aufstand führen könnte. Beide Organisationen waren entschlossen, aber ebenso ungeduldig wie unfähig. Sie forderten: „Revolution jetzt oder nie. Dem entsprachen ihre unausgereiften Pläne: Entführung des Prinzen von Wales, Eroberung Kanadas und Ausrufung eines Volksaufstands in Irland. 1865 wurde die IRB in Dublin von der Polizei aufgelöst, die Fenians gerieten in Vergessenheit.

    Im Jahr 1873 übernahm in den USA eine neugegründete Organisation namens Clan na Gael („Vereinigte Iren) die Aufgaben der Fenian Brotherhood. Treibende Kraft der neuen Organisation war Jeremiah O‘Donovan Rossa, der von den Briten ausgewiesen worden war. Unterstützung fand O‘Donovan bei Patrick Ford, dem Herausgeber der Zeitschrift Irish World. Die beiden entwickelten eine neue Strategie für die irische republikanische Bewegung. Für einen Aufstand sei es zu früh, doch ständige Scharmützel seien für die irische Sache sehr nützlich. Eine kleine Gruppe von Männern solle deshalb einen Guerillakrieg gegen die Briten beginnen. Als Skirmishers („Scharmützler) sollten die Männer als unsichtbare Wesen bald in Irland, bald in Indien, bald in England zuschlagen.

    O‘Donovan Rossa und Ford bewiesen ein ungewöhnliches Gespür für die Dynamik des Terrors: Beide erkannten, dass die Durchführung einer Terrorkampagne einer soliden finanziellen Grundlage bedürfe, um Erfolg zu haben. Bald erschienen denn auch Anzeigen, die um Spenden für einen „Skirmisher Fond" warben. Rund ein Jahr später belief sich das Spendenaufkommen auf über 23.000 US-Dollar – nach heutigem Wert rund eine halbe Million Dollar.

    Die Skirmishers

    Die Skirmishers begannen am 14. Januar 1881 mit einem Bombenanschlag auf die Salford Infantry Barracks in Manchester. Bei diesem Anschlag wurde ein Kind getötet, drei Personen wurden verletzt. Es war nicht die Absicht der Skirmishers, unschuldige Menschen zu töten oder zu verletzen, aber die Iren nahmen es in Kauf, um ihr Ziel, der britischen Wirtschaft zu schaden, zu erreichen. Die sogenannte Dynamitkampagne – wie sie damals genannt wurde – traf London, Liverpool und Glasgow. Sie begann 1881, dauerte bis 1885 und war eine Art asymmetrischer Krieg, der sich gegen die britische Infrastruktur richtete. Es wurden nicht nur Bombenanschläge auf Regierungsgebäude, Kasernen oder Polizeistationen durchgeführt, sondern zum ersten Mal auch auf das Londoner U-Bahnnetz. Am 30. Oktober 1883 explodierten in den Stationen Paddington und Westminster Bridge jeweils Bomben, die insgesamt 70 Personen verletzten.

    Die irischen Terroristen hatten erkannt, dass man eine Basis im Ausland haben muss, um sich dem Zugriff des Gegners zu entziehen. Eine ausländische Basis erleichterte und sicherte außerdem die Planung, die Logistik, die Propaganda und nicht zuletzt die Beschaffung finanzieller Mittel.

    Sarajevo 1914: Ein Attentat, das die Welt veränderte

    Die Ereignisse in Bosnien, die zum Ersten Weltkrieg führten, sind bekannt und aufgeklärt. Der terroristische Nationalismus hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts in Europa entwickelt, wobei das Osmanische Reich und die Habsburger Doppelmonarchie besonders betroffen waren. Der Grundsatz der nationalen Selbstbestimmung, die Vorstellung, dass Nationen politisch souverän sein sollen, um ihre kulturellen Eigenarten zu verwirklichen, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Dieses Ziel der Nationalisten, sei es nun die Befreiung oder die Einigung einer Nation, ist nicht einfacher zu verwirklichen als ein revolutionärer Traum. Doch diese Idee hat die moderne Politik nachhaltig geprägt, wie auch das folgenreiche Attentat von Sarajevo im Jahr 1914 zeigt.

    Das Zentrum von Sarajevo mit der Fahrtroute des Konvois und dem Ort des Anschlags

    Staatsterrorismus

    Wie schon erwähnt, kommt der Begriff „Terror aus dem Lateinischen und bedeutet „Furcht, Angst, Schrecken. Das heißt, der Begriff bezieht sich weniger auf die Gewaltanwendung selbst als eher auf die psychische Wirkung. Im 18. Jahrhundert findet der Begriff „Terror dann Eingang in die Umgangssprache und in den deutschen Sprachgebrauch. Damit bezeichnete man ganz konkret die Terrorherrschaft der Jakobiner in Frankreich. Diese Schreckensherrschaft, Régime de la Terreur oder kurz La Terreur genannt, war eine Periode der Französischen Revolution von Juni 1793 bis Ende Juli 1794. Um die konterrevolutionären Aufstände und Aktivitäten im Lande zu unterbinden, beschloss der Konvent am 5. September 1793 Terrormaßnahmen. Die Terrorherrschaft wurde vom sogenannten Wohlfahrtsausschuss geleitet, einem Gremium von zwölf Männern, geführt zunächst von Georges Danton und danach zunehmend von Maximilien de Robespierre. Dieser rechtfertigte den Terror, indem er dem Ziel diene, „das Volk durch Vernunft zu leiten und die Feinde des Volkes durch Terror zu beherrschen. Vor dem Nationalkonvent erklärte er am 5. Februar 1794: „Der Terror ist nichts Anderes als unmittelbare, strenge, unbeugsame Gerechtigkeit; er ist also Ausfluss der Tugend; er ist weniger ein besonderes Prinzip als die Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie in seiner Anwendung auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes."

    La Terreur forderte 35.000 bis 40.000 Todesopfer, die zumeist durch die Guillotine hingerichtet wurden. Nachdem Robespierre den Rückhalt in der Pariser Bevölkerung verloren hatte, wurde er verhaftet und am 27. Juli 1794 selbst hingerichtet. Damit endete in dieser Phase der Französischen Revolution auch die Terrorherrschaft. Ursprünglich hing der Terror also scheinbar mit den Idealen der Tugend und der Demokratie zusammen. Doch die politische Realität machte ihn zu einem Begriff, der mit dem Missbrauch von Macht eng verknüpft war.

    Das faschistische Italien

    Nach dem Ersten Weltkrieg war in Europa die Hinwendung zu einem autoritären Regierungssystem nichts Außergewöhnliches, denn während der sozialen Umbrüche der Nachkriegszeit sehnten sich die Bürger vieler Staaten nach einer starken Führungspersönlichkeit.

    Die Faschisten in Italien verdanken ihren Aufstieg vorwiegend dem Terror der sogenannten Schwarzhemden, den faschistischen Kampfverbänden, die auch als Squadristi bekannt sind. Ziel ihrer Angriffe waren zunächst vornehmlich Sozialisten, die verprügelt oder auch erschlagen wurden; später besetzten die Schwarzhemden im Rahmen von Strafaktionen ganze Ortschaften. Der italienische Faschismus setzte ganz offen auf Gewalt, um das parlamentarische System zu stürzen und die Macht im Staat zu ergreifen – und zu sichern. Doch die Faschisten stritten ab, dass diese Gewalt Terrorismus sei. Sergio Panunzio, der führende italienische Ideologe, der nach 1922 wichtige Teile der faschistischen Staatslehre formuliert hatte, unterschied sorgfältig zwischen erlaubter und nicht erlaubter Gewalt: Erlaubt war die Gewalt, die für die Durchsetzung revolutionärer Ziele notwendig war. Entsprechend wurde Gewalt nur gegen Feinde des Faschismus eingesetzt. Die potenziellen Opfer konnten der Gewalt ausweichen, indem sie ihre politische Haltung änderten: Gewalt sollte einschüchtern und nicht erdrücken. Panunzio definierte Terrorismus als Gewalt, die sich gegen Unschuldige richtet, und solch eine willkürliche Gewaltanwendung sei nicht gestattet. Denn die Opfer hätten keine Möglichkeit, ihr Verhalten zu ändern, um der Gewalt zu entgehen. Diese Definition wurde nach der Machtübernahme der italienischen Faschisten im Großen und Ganzen auch eingehalten.

    Das nationalsozialistische Deutschland

    Auch Hitlers Machtübernahme wurde – wie in Italien – von Straßenkämpfen durch Schlägertrupps befördert. In Deutschland waren es die Braunhemden, wie man die Sturmabteilung (SA) der nationalsozialistischen Partei nannte. Von anderen diktatorischen Systemen unterschieden sich die Nationalsozialisten durch die Vehemenz und die Brutalität, mit der sie ihren Machtanspruch durchsetzen. In kurzer Zeit gelang es ihnen, durch das Zusammenspiel von Terror und Propaganda die angestrebte Diktatur zu errichten. Politisch Andersdenkende wie auch Personen, die dem sogenannten „Rasseideal nicht entsprachen, wurden verfolgt, gefoltert und in die ab März 1933 gegründeten Konzentrationslager geschickt. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand wurde eine Notverordnung in Kraft gesetzt, die die Grundrechte aussetzten und eine unbegrenzte „Schutzhaft legalisierte. Von staatlicher Seite wurde ein System der Furcht und des Zwanges geschaffen: Krawalle, Straßenkämpfe, die Verfolgung von Kommunisten, Juden und anderen Menschen, die man zu Staatsfeinden erklärt hatte, waren die Mittel, mit denen man eine vollständige Unterwerfung unter die Ideologie erreichen wollte.

    Trotzdem ist es fraglich, ob die Aktionen der Nationalsozialisten gegen die Juden als terroristisch bezeichnet werden können, obwohl sich dies mit dem Argument eingebürgert hat, Hitler habe die Juden terrorisiert, um sie zu unterwerfen. Doch das Problem eines jüdischen Widerstandes gab es für Hitler gar nicht, und aufgrund der NS-Gesetze hatten die Juden auch keine Möglichkeit, sich dem System anzupassen. Den Nationalsozialisten ging es nicht um eine politische, religiöse oder ideologische Konformität, sondern um das NS-Rassenideal, die „Reinheit der Arischen Rasse". Diesem Ideal zu entsprechen war den Juden aus biologischen Gründen verwehrt. Deshalb war das Ziel der Nationalsozialisten ihre Vernichtung.

    Die Sowjetunion unter Stalin

    Der von Stalin inszenierte Große Terror erreichte 1937/38 seinen Höhepunkt: Mehr als 1,5 Millionen Menschen wurden verhaftet, 750.000 von ihnen hingerichtet. Wohl von Hitler inspiriert, formte er in ähnlicher Weise die von ihm geführte Partei in ein Instrument nach seinem Willen um: Staatspolizei und Sicherheitsapparat wurden folgsame Organe der Zwangsherrschaft und der Unterdrückung. Der Terror gegen Andersdenkende hatte aber schon bald nach der russischen Revolution 1917 begonnen. Lenin empfahl in seinem berüchtigten Dekret „Über den Terror" vom 5. September 1918 systematische Terrormaßnahmen gegen den Klassenfeind. Konzentrations- und Straflager für politisch Andersdenkende, die rücksichtslos verfolgt, verhaftet, gefoltert und getötet wurden, richtete man schon zu Lebzeiten Lenins ein.

    Es war dann Stalin, der den Terrorapparat in einen Vernichtungsapparat umwandelte. Als „Säuberungsmaßnahmen" bezeichneten die Stalinisten die Verfolgung und Liquidierung von Bauern, unbotmäßigen und renitenten Parteikadern, Teilen der Roten Armee und ethnischen Minderheiten. Der Terror hatte Stalin zum unumschränkten Alleinherrscher über Russland gemacht. Seine Säuberungen wurden nicht in einer Krisenzeit, einer Revolution oder während eines Krieges eingeleitet, sondern in einer für die Sowjetunion relativ ruhigen Periode. Das ist der Unterschied zum Staatsterrorismus des Terreur während der Französischen Revolution. Die Terrormaßnahmen Stalins dienten zur Sicherung der totalen Macht; dies führte für Millionen zur Gefangenschaft, zur Zwangsarbeit, zum Exil und zum Tod. Diese Repression oder Unterdrückung gilt als der Höhepunkt in einer Kette von stalinistischen Säuberungsaktionen.

    Quellen: Geschichtliche Entwicklung

    A: Bücher

    Hoffman, Bruce, Terrorismus, der unerklärte Krieg, Frankfurt a. M. 2001

    Laqueur, Walter, The Age of Terrorism, Boston, Mass. 1982

    Townshend, Charles, Terrorismus, Stuttgart 2005

    Waldmann, Peter, Terrorismus, Provokation der Macht, Hamburg 2011

    B: Zeitungen, Zeitschriften

    http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/147468/benito-mussolini-kommt-an-die-macht-30-10-2012 [Abruf 17.02.2022]

    http://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime [Abruf 17.02.2022]

    http://www.planet-wissen.de/geschichte/diktatoren/stalin_der_rote_diktator/pwiedergrosseterror100.html [Abruf 17.02.2022]

    Kapitel 2

    Nationalismus und Freiheitskriege

    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff Terrorismus weltweit vornehmlich für gewaltsame Aufstände benutzt, die von einheimischen nationalistischen oder antikolonialistischen Gruppen initiiert wurden. Diese Aufstände zogen sich – vor allem in den 1940er- und 1950er-Jahren – vom Nahen Osten über Afrika bis nach Asien und richteten sich gegen die europäischen Kolonialmächte, in der Hauptsache gegen Großbritannien und Frankreich. Die unterschiedlichsten Länder, wie etwa Israel, Zypern oder Algerien, verdanken ihre Unabhängigkeit zumindest teilweise nationalistischen politischen Bewegungen, die den Terrorismus gegen die Kolonialmächte einsetzten.

    Viele der Aufstände entwickelten sich zu Befreiungskriegen. Terroristen wurden die Aufständischen allgemein nicht genannt: Als politisch korrekte Bezeichnung setzte sich der Begriff Freiheitskämpfer für solche Gruppen durch. „Der Unterschied zwischen dem Revolutionär und dem Terroristen, so Jassir Arafat, der Präsident der PLO vor der UN-Vollversammlung im November 1974, „liegt in dem Grund, warum er kämpft. Denn wer immer sich für eine gerechte Sache und für die Befreiung seines Landes von Eindringlingen, von Siedlern und Kolonisten einsetzt, kann unmöglich als Terrorist bezeichnet werden […] (Hoffman, Terrorismus, der unerklärte Krieg, S. 44)

    Israel (1931 bis 1948): Kampf um eine nationale Heimstätte

    Im Jahr 1920 erhielt Großbritannien ein Völkerbundmandat über die Palästina genannte Region, die es im Ersten Weltkrieg dem untergehenden Osmanischen Reich abgenommen hatte. Die internationale Organisation der Zionisten wie auch die Mehrheit der damals in Palästina lebenden jüdischen Gemeinschaften verließ sich auf Großbritannien, das 1917 in der Balfour-Deklaration zugesichert hatte, sich für die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden in Palästina einzusetzen. In letzter Konsequenz waren sich die Briten wohl weder des Ausmaßes der damit verbundenen Folgen noch der bevorstehenden Schwierigkeiten bewusst.

    1920 begannen arabische Angriffe auf jüdische Siedlungen, die dazu führten, dass eine Verteidigungsarmee aufgestellt wurde, die Haganah. Die Alternative hieß: Entweder das

    Das britische Mandatsgebiet Palästina 1920

    Projekt einer nationalen Heimat aufgeben oder es mit Gewalt verwirklichen. Die britische Politik, trotz der Ermordung von Millionen europäischer Juden nur eine begrenzte Einreise in das Mandatsgebiet zuzulassen, führte bei der Mehrheit der Zionisten zu der Auffassung, man müsse sich für die Option „Gewalt" entscheiden.

    Aufstände gegen die Briten

    In Palästina brachen Aufstände gegen die britische Mandatsmacht aus. Zunächst war es einer von arabischer Seite, der von September 1937 bis Januar 1939 andauerte. Während dieses Aufstandes hängten die Briten über 100 Araber und sprengten deren Häuser. Weitere Aktionen wurden von einer Gruppe Zionisten organisiert, die die Haganah mehr als britische Hilfspolizei sah und sich daher 1931 abgespalten hatte und als Irgun Z‘vai Leumi („Nationale Militärorganisation) Operationen gegen Araber und Briten durchführte. 1940 spaltete sich eine Gruppe von der Irgun ab, die Lochamei Cherut Israel („Kämpfer für die Freiheit), kurz Lechi. Die Lechi, nach ihrem Gründer Avraham Stern auch Stern-Gang genannt, führten nur Anschläge gegen die britische Mandatsverwaltung durch. Die Taten der Irgun und der Lechi gelten als Beispiele für wirkungsvollen Terrorismus, d. h. für einen Terrorismus, der seine politischen Ziele erreicht.

    Die Bezeichnung Terrorist wurde von den Lechi akzeptiert. Sie erklärten, dass Terror Teil der aktuellen Kriegführung sei, obwohl man sich der Möglichkeiten und der Grenzen bewusst war. In ihrer Untergrundzeitschrift HeChazit war 1943 zu lesen: „Falls die Frage lautet: Kann Terror die Befreiung bringen? So heißt die Antwort: Nein! Falls die Frage lautet: Bringen uns diese Aktionen der Befreiung näher? So heißt die Antwort: Ja! Auch die Funktion des Terrors wird erläutert: „Er richtet sich nicht gegen Individuen, sondern gegen Repräsentanten, und bezieht daraus seine Wirkung. Und wenn er außerdem noch die Bevölkerung aus ihrer Selbstzufriedenheit aufrüttelt, dann umso besser. [Townshend, Eine kurze Einführung, S. 123 f.]

    Der Anschlag auf das King David Hotel

    Im Dezember 1943 übernahm Menachem Begin – er wurde 1977 Ministerpräsident Israels – die Untergrundorganisation Irgun und beschloss, den Aufstand gegen die Briten fortzusetzen. Nach der britischen Kriegserklärung vom 3. September 1939 an Deutschland stellte die Irgun alle Aktionen gegen britische Ziele ein. Erst im Februar 1944 begann sie wieder mit Angriffen auf Regierungs- und Verwaltungseinrichtungen, die die britische Herrschaft über Palästina symbolisierten. In den drei Städten Jerusalem, Tel Aviv und Haifa erfolgten gleichzeitig Bombenanschläge auf die Einwanderungsbehörden. Die nächsten Bombenanschläge richteten sich gegen die Grundbuchämter und anschließend gegen die Finanzämter. Anlass für diese konzertierte Aktion war das im Mai 1939 veröffentlichte britische Weißbuch, gemäß dem nur noch 15.000 Juden jährlich in den folgenden fünf Jahren einreisen dürften. Außerdem sei die illegale Einwanderung zu verhindern und der Landverkauf zu verbieten. Die Bombenattentate sollten die im Weißbuch geforderten Maßnahmen unterlaufen. Am 6. November 1944 ermordeten zwei Mitglieder der Lechi in Kairo den britischen Militärgouverneur Lord Moyne. Die Täter wurden 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1946 erfolgte dann der wohl spektakulärste Anschlag der Irgun auf das King David Hotel in Jerusalem.

    Anders als bei vielen terroristischen Gruppen der Gegenwart zählte es nicht zu den strategischen Zielen der Irgun, bewusst auf Zivilisten zu zielen und diesen Schaden zuzufügen. Gleichzeitig jedoch können die Behauptungen von Begin und anderen Mitstreitern, es seien Warnungen ergangen, die dazu aufforderten, das Hotel vor der Sprengung zu räumen, weder die Gruppe noch den Kommandeur von der Verantwortung für den Tod von 91 Menschen und 45 Verwundeten freisprechen: Männer und Frauen, Araber, Juden und Briten gleichermaßen. Welche nichttödlichen Absichten die Irgun auch gehabt haben mag, es bleibt eine Tatsache, dass sich im King David Hotel eine Tragödie von beinahe einzigartigem Umfang ereignete, sodass dieser Bombenanschlag bis heute in dem zweifelhaften Ruf steht, einer der verheerendsten Einzelanschläge von Terroristen im 20. Jahrhundert gewesen zu sein.

    Die Briten reagierten drastisch: Für Jerusalem verhängten sie den Ausnahmezustand, und während der viertägigen Razzien wurden etwa 800 Juden verhaftet; doch keiner gehörte der Irgun an oder war an dem Attentat beteiligt. Zwischen der Irgun und der Haganah kam es zum Bruch: Die Haganah stoppte alle Angriffe auf die Briten und konzentrierte sich auf die Organisation der (illegalen) Einwanderung von Juden nach Palästina. Die Irgun dagegen verübte weiterhin Terroranschläge auf die Briten, aber auch auf Araber. So kam es am 9. April 1948 in dem arabischen Dorf Deir Yasin unweit von Jerusalem zu einem Massaker.

    Angriff auf Deir Yasin

    Der Angriff auf die Ortschaft Deir Yasin, bei dem Mitglieder der Irgun und der Lechi die einheimische Bevölkerung niedermetzelten, muss im Zusammenhang mit dem israelisch-arabischen Bürgerkrieg gesehen werden. Am 29. November 1947 hatte die UN-Vollversammlung mit Zweidrittelmehrheit die Teilung des britischen Mandatsgebiets beschlossen: Es sollte in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufgeteilt werden. Den 1,3 Millionen Arabern wurden etwa 43 Prozent und den etwa 600.000 Juden gut 56 Prozent des Landes zugeteilt. Die jüdische Bevölkerung nahm den Plan an, die im Mandatsgebiet ansässigen Araber und die arabischen Staaten lehnten ihn ab.

    Verbände der Haganah starteten am 5. April 1948 die Operation Nachschon, mit der die arabische Blockade Jerusalems beendet werden sollte. Deir Yasin war zwar durch seine Nähe zu Jerusalem und seine erhöhte Lage ein strategisch günstiger Ort, spielte aber für den Kampf um Jerusalem keine Rolle. Der Angriff auf das Dorf erfolgte denn auch nicht durch die Haganah, sondern durch etwa 120 militärisch ungeschulte und schlecht bewaffnete Kämpfer der Irgun und der Lechi. Die Bevölkerung wurde gewarnt, ein Fluchtkorridor offengelassen; doch nur 200 der 600 Bewohner nutzten diese Möglichkeit. Aus den Häusern wurde das Feuer auf die vordringenden jüdischen Untergrundkämpfer eröffnet, und diese warfen Handgranaten durch die Fenster. Die Aktion dauerte mehrere Stunden. Es sollen 254 Dorfbewohner getötet worden sein; die genaue Anzahl konnte nicht ermittelt werden. Israelische wie auch palästinensische Historiker gehen heute von 100 bis 120 toten Dorfbewohnern aus. Nachdem es zuvor schon in Kissas und Sassa zu Gräueltaten gekommen war, liegt die Vermutung nahe, dass diese Angriffe eine Zwangsumsiedlung auslösen sollten. Heute wird auch von jüdischen Autoren der Standpunkt vertreten, dass der jüdisch-arabische Bürgerkrieg durchaus mit der systematischen Vertreibung der arabischen Bevölkerung verbunden war.

    Gründung Israels

    Am Freitag, den 14. Mai 1948, endete um Mitternacht das britische Mandat über Palästina. Acht Stunden zuvor, um 16.00 Uhr, war der Jüdische Nationalrat zusammengetreten. David Ben-Gurion, Vorsitzender der Volksverwaltung und designierter erster Ministerpräsident, verkündete die Unabhängigkeit und Gründung des Staates Israel, kraft des natürlichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes auf dieses Land und aufgrund des Beschlusses der UN-Vollversammlung. Am folgenden Tag griffen Truppen aus dem Libanon, Ägypten, Jordanien, Syrien und dem Irak Israel an: Der erste israelisch-arabische Krieg, der Erste Palästinakrieg, hatte begonnen.

    Hat der Terror der Irgun unter Menachem Begin die Gründung des Staates Israel herbeigebombt? Wohl nicht in dieser Absolutheit, aber es war Begin gelungen, das Prestige der Briten in Palästina zu schwächen, und sein Kalkül, Großbritannien zu demoralisieren, ging auf. Seine Strategie erläuterte er folgendermaßen: „Bereits die bloße Existenz eines Untergrunds muss am Ende das Prestige einer Kolonialmacht unterminieren, das von der Legende seiner Allmacht lebt." [Hoffman, Terrorismus, der unerklärte Krieg, S. 91]

    Begin war der Meinung, der Irgun habe die Kampfmethoden der Städtischen Guerilla geschaffen und die Engländer aus dem Lande gejagt. Doch das Hauptmotiv für den britischen Rückzug aus Palästina wird aus offiziellen Dokumenten deutlich, die in den 1970er-Jahren in London veröffentlicht wurden. Der Rückzug, so das britische Außenministerium, sei erfolgt, um Englands strategische und politische Allianz mit den USA nicht zu gefährden – und Amerika wünschte nun einmal die Bildung eines unabhängigen jüdischen Staates. Das war eine innenpolitische Entscheidung der Amerikaner, und besonders Präsident Trumans. Im Herbst 1948 standen Präsidentschaftswahlen an, und Truman wollte wiedergewählt werden. Es ging einerseits darum, die 4,6 Millionen jüdischen Stimmen zu gewinnen, und andererseits die jüdische Einwanderung in die USA zu verringern, da es im Lande starke anti-jüdische Strömungen gab.

    Zypern (1951 bis 1960): Unabhängigkeit statt Vereinigung

    Der Terror der Irgun hatte ein Muster geschaffen, das bei späteren antikolonialen Aufständen erfolgreich genutzt werden konnte. Die erfolgreichsten Unabhängigkeitskämpfe oder -kriege der Nachkriegszeit folgten der Strategie von Begin – sicherlich nicht bewusst, sondern wohl eher intuitiv. Es gibt keine Hinweise, dass der zypriotische General Grivas oder auch der Algerier Ben Bella jemals Begins Buch The Revolt gelesen hatten. Ob nun EOKA, die Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer, in Zypern oder FLN, die Nationale Befreiungsfront in Algerien – beide Gruppierungen versuchten, die internationale Öffentlichkeit zu erreichen, um Aufmerksamkeit und auch Sympathien auf sich zu ziehen. Grivas wollte die „Augen der Welt auf Zypern lenken, und die FLN nannte als eines ihrer Hauptziele, die „Internationalisierung der algerischen Frage.

    Mit dieser Zielsetzung wandten sich beide Gruppen direkt an die UN. Doch bevor die Diplomaten etwas erreichen konnten, vergingen in beiden Fällen Jahre, und es mussten viele tausend Menschen sterben. Der Erfolg der EOKA und der FLN hingen letztendlich von ihrer Fähigkeit ab, die Aufmerksamkeit der Welt auf ihren Kampf zu lenken, was in beiden Fällen auch gelang.

    Der Termin war sorgfältig gewählt worden: Der 1. April 1955, und es war auch kein Aprilscherz, wie die Briten alsbald feststellten. Nach 77 Jahren Kolonialherrschaft, während derer die Zypern-Griechen immer wieder die Enosis – den Anschluss ans griechische Mutterland – verlangt hatten, begann der bewaffnete Aufstand. In jener Nacht wurden bei den sogenannten „1.-April-Angriffen" mehrere britische Einrichtungen auf der Insel gleichzeitig angegriffen, unter anderem:

    in Nikosia die Rundfunkstation der Regierung, das Sekretariat des Bildungsministeriums und Teile der Wolseley-Kaserne;

    in Larnaca die Polizeihauptwache, die Distriktsverwaltung, das Gerichtsgebäude sowie das Privathaus des Polizeichefs;

    in Limassol die Polizeihauptwache, die Polizeistation von Ayios Ioannis, sowie die Episkopi-Garnison;

    in Famagusta das Army-Depot an der Straße nach Larnaka und der Dieseltank des Elektrizitätswerkes der Dhekelia-Garnison.

    Bei diesen Anschlägen wurden Flugblätter der EOKA zurückgelassen, die die Verantwortung übernahmen und die Bevölkerung zur Teilnahme am Kampf gegen die Briten aufriefen. Die britische Kolonialregierung war absolut überrascht worden, denn der britische Geheimdienst MI5 hatte sein Augenmerk mehr auf die Kommunisten gelenkt und weniger auf die Nationalisten: Es gab 5.500 bekannte oder vermutete Kommunisten, aber nur 1.500 vermutete oder bekannte Nationalisten.

    In der Zypern-Konvention hatte das Britische Königreich 1878 die Insel Zypern vom Osmanischen Reich als Protektorat erhalten; als Gegenleistung hatten die Briten militärische Unterstützung gegen einen möglichen russischen Angriff zugesichert. Durch die britische Machtübernahme auf der Insel hatten sich die Zypern-Griechen, etwa 74 Prozent der Bevölkerung, erhofft, dass die Briten die Insel mit dem Griechischen Mutterland vereinen würden.

    Zypern als britische Kronkolonie

    Schon bald war die Bevölkerung desillusioniert: Die erhoffte wirtschaftliche Entwicklung blieb aus, und eine politische Mitbestimmung gab es nicht. Stattdessen erhöhten die Briten die Steuern, um die Pacht- oder Kompensationsgebühr an den Sultan zu zahlen. Nachdem sich das Osmanische Reich im November 1914 den Mittelmächten (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Italien) angeschlossen hatte, stellten die Briten die Insel unter Militärverwaltung. Während des Ersten Weltkriegs boten die Briten dem griechischen König die Vereinigung, die Enosis, an, wenn er Bulgarien angreifen würde; doch der König lehnte ab. Im Vertrag von Lausanne 1923 wurde dann die britische Besetzung Zyperns bestätigt und die Insel 1925 zur Kronkolonie erklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekräftigte König Paul von Griechenland 1948 den Vereinigungswunsch der Zypern-Griechen. Die Orthodoxe Kirche von Zypern legte 1950 ein Referendum vor, nach dem 97 Prozent der griechischen Zyprioten die Enosis wünschten. Die zypriotische Petition über die Enosis wurde von den Vereinten Nationen abgelehnt, da die türkische Bevölkerungsminderheit einen Anschluss an Griechenland nicht wollte.

    Die Griechisch-Orthodoxe Kirche auf Zypern war die führende Kraft der Enosis-Bewegung. Im Oktober 1950 wurde Michael Christodoulos Mouskos als Makarios III. zum Erzbischof von Zypern gewählt. Doch schon kurz darauf musste der neue Erzbischof erkennen, dass seine diplomatischen Versuche nichts bewirkten. 1952 gründete Makarios in Athen das Befreiungskomitee, dessen politischer Führer er wurde; die militärische Führung übernahm der pensionierte Oberst Georgios Grivas, ebenfalls ein Zypern-Grieche. Grivas baute den Militärischen Arm der Enosis-Bewegung auf, der dann als EOKA, als Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer, bekannt wurde. Grivas, Absolvent der Athener Militärakademie, hatte am Ende des Zweiten Weltkriegs eine geheime Guerilla-Organisation, die Organisation X, geführt, die für die Alliierten spionierte und gegen die Kommunisten in Athen kämpfte. Nach seinen Besuchen auf Zypern im Juli 1951 und dann zwischen Oktober 1952 und Februar 1953 konnte Grivas dem Befreiungskomitee einen Plan für einen bewaffneten Aufstand vorlegen. Vorgesehen waren Sabotage-Anschläge, die von Guerillagruppen in den Troodosbergen und im Kyreniagebirge unterstützt werden sollten. Makarios, der britische Sanktionen befürchtete und Blutvergießen vermeiden wollte, hoffte, dass die Briten nach einigen Sabotage-Anschlägen verhandlungsbereit sein würden. Grivas begann mit den Vorbereitungen: eine erste Waffenlieferung erreichte die Insel im März 1954, die zweite im Oktober. Da die griechische Regierung 1954 mit der Zypernfrage von der UNO erneut abgewiesen worden war, gab Makarios das Startsignal für einen bewaffneten Aufstand. Grivas begann mit der geheimen Rekrutierung und Ausbildung seiner Männer für die Sabotage-Anschläge.

    Grivas‘ Strategie

    In seinem Buch „Guerilla Warfare and Eoka‘s Struggle beschreibt Grivas sein strategisches Ziel folgendermaßen: „Durch ständige Angriffe auf die Briten in Zypern müssen wir zeigen, dass wir fest entschlossen sind nicht aufzugeben, egal unter welchen Opfern, dass wir im Gegenteil darauf vorbereitet sind, so lange fortzufahren, bis die internationale Diplomatie, vertreten durch die Vereinten Nationen und die Briten im Besonderen, gezwungen sind, das Zypernproblem zu prüfen und eine schnelle Vereinbarung zu erreichen, die den Bestrebungen der zypriotischen Bevölkerung und der ganzen griechischen Nation entsprechen. [S. →] Auch hatte Grivas die Notwendigkeit erkannt, die internationale Öffentlichkeit anzusprechen. „Die Aufklärung der internationalen öffentlichen Meinung sollte eine wichtige Rolle spielen, um allen Beteiligten die Forderungen des zypriotischen Volkes nach Selbstbestimmung deutlich zu machen. Es ist eine Tatsache, dass viele Ausländer und selbst Repräsentanten bei den Vereinten Nationen überhaupt nichts darüber wissen, warum wir unsere Freiheit verlangen." [S. →]

    Es war nicht Grivas‘ Ziel, die Briten militärisch zu schlagen. Er wollte und konnte auch keinen großangelegten Guerillakrieg führen, denn dafür waren seine Mittel zu begrenzt. Seine Strategie zielte auf zeitlich und dramaturgisch gut abgestimmte Gewaltakte, um die internationale Aufmerksamkeit auf die Lage in Zypern und auf das Verlangen der Zypern-Griechen nach Enosis zu konzentrieren. Damit folgte er der Strategie von Begin und dem Aufstand der Irgun, aber sicherlich ohne diese näher zu kennen. Es waren Nadelstiche, die er den Briten versetzen wollte, regelmäßige Sabotageakte, die Tötung von ausgewählten Opfern sowie eine gezielte Propaganda, die den passiven Widerstand der griechisch-zypriotischen Bevölkerung gegen die Briten verstärken sollte. Grivas suchte zwar die Unterstützung der Bevölkerung, vermied aber den Versuch, eine Massenbewegung ins Leben zu rufen. Er verfügte nur über etwa 250 Kämpfer, die er selbst geschult hatte, meist Jugendliche mit dem entsprechenden Idealismus. Die meisten Arbeiter wie auch die Kommunisten lehnten einen bewaffneten Aufstand ab und befürworteten stattdessen Massendemonstrationen oder passiven Widerstand. Es waren dann drei Gründe, die zu dem folgenden Guerillakrieg führten:

    Die Vereinten Nationen hatten es 1954 erneut abgelehnt, über die Zypernfrage zu debattieren.

    Die Briten hatten erklärt, dass Zypern nie unabhängig werden solle.

    Für London und Washington war Zypern während des Kalten Krieges unverzichtbar: Die Insel war ein Schlüssel für die militärische Funkaufklärung im östlichen Mittelmeer und für die psychologische Kriegsführung gegen die Araber.

    Im Dezember 1954 verlegten die Briten das Hauptquartier Middle East und das Middle East High Command vom Suezkanal nach Zypern: das Hauptquartier nach Nikosia, und das High Command nach Episkope in der Nähe von Limassol. Vier Funkabhöranlagen wurden auf den Gipfeln des Troodosgebirges errichtet – für das britische Militär gute Gründe, Zypern nicht freiwillig zu verlassen.

    Grivas hatte zunächst die Sabotagegruppen ausgebildet und aufgestellt, nicht mehr als 20, die in den Städten operierten. Ende Juli, Anfang August 1954 wurden einige Guerillagruppen für den Einsatz in den Bergen und auf dem freien Land gebildet, gefolgt von den sogenannten Shotgun Commando Groups, die im Griechischen als OKT bekannt wurden. Diese OKT waren mit Schrotflinten bewaffnet, die alle in einer Nacht auf der Insel gestohlen und von den OKT bei Hinterhalten eingesetzt wurden. Die Briten versuchten, durch Verhaftungen Einzelner wie auch durch Massenverhaftungen (2.100 Zypern-Griechen in einer Nacht), die EOKA zu schwächen und Informationen über deren Mitglieder zu erhalten, aber ohne Erfolg. Je schärfer die Briten gegen die EOKA vorgingen, desto mehr Griechen schlossen sich ihr an. So gelang es Grivas, in kurzer Zeit die Mehrheit der griechischen Inselbevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Die verbliebenen Gegner wurden entweder eingeschüchtert oder getötet.

    Im Mai 1955 wurde ein Bombenanschlag auf den Britischen Gouverneur Sir Robert Armitage verübt, dem er unverletzt entkam. Mitte Juni waren drei Polizeistationen Ziel der Bombenanschläge, bei denen ein Polizist getötet wurde. Im September konnten neun EOKA-Kämpfer aus dem Gefängnis in der Festung von Kyrenia fliehen, indem sie Bettlaken zu einem Seil zusammengeknotet hatten. Da Gouverneur Armitage kaum Erfolge in der Bekämpfung der EOKA vorzuweisen hatte, wurde er im September 1955 seines Amtes enthoben.

    Am 3. Oktober trat sein Nachfolger, Feldmarschall John Harding, sein Amt an. Harding hatte bereits in Malaysia Erfahrungen mit Unabhängigkeitsbewegungen gemacht. Er verhängte Ausgangssperren, schloss Schulen, errichtete Internierungslager für Verdächtige und führte die Todesstrafe ein. Schließlich verhängte Gouverneur Harding am 26. November 1955 den Notstand über die Insel. Gleichzeitig versuchte er, durch Verhandlungen mit den Zypern-Türken und den Zypern-Griechen die Lage zu

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