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Max Kruse: Zocker
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eBook279 Seiten3 Stunden

Max Kruse: Zocker

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Über dieses E-Book

Der Fußballspieler Max Kruse erscheint wie die Antithese zum modernen Fußballasketen. Eine schillernde Persönlichkeit, die schnelle Autos, lange Nächte und Lieferdienste genauso mag, wie das Zocken an Videokonsole und am Pokertisch. Dafür lieben ihn seine Fans. Und sie lieben den 33-jährigen Profi, weil er trotz seines Lifestyles auf dem Platz immer liefert. Kruse ist einer dieser Unterschiedsspieler, mit dem Ball macht er Dinge, die kein anderer macht. Warum so einer nur läppische 14 Länderspiele vorzuweisen hat? "Ich bin einfach irgendwie ein schräger Vogel!" Sagt Kruse und grinst sich einen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Juli 2022
ISBN9783730706183
Max Kruse: Zocker
Autor

David Joram

David Joram, Jahrgang 1989, arbeitet nach einem Volontariat bei der taz nun als Redakteur bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung. „Max Kruse“ ist Jorams erstes Buch.

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    Buchvorschau

    Max Kruse - David Joram

    1.0

    REINBEK, KIRCHWERDER

    1.1Nur der HSV

    13. September 2000. Im Hamburger Volksparkstadion fiebern 48.500 Menschen auf ein Fußballfest hin. Der Hamburger SV empfängt Juventus Turin, damals wie heute italienischer Fußballadel. Die Gäste bieten unter anderem Welt- und Europameister Zinédine Zidane auf, an dem alles königlich ist, sogar seine Halbglatze. Dem weltbesten Fußballer assistieren die trickreichen Offensivstars Filippo Inzaghi und Alessandro Del Piero, im defensiven Mittelfeld räumt Edgar Davids auf, ein dynamischer Typ, der auch ohne Sonnenbrille ziemlich fancy aussieht, und hinten im Kasten steht Edwin van der Sar, eine 1,97 Meter lange Krake von Torwart. Willkommen in der Champions League.

    HSV-Trainer Frank Pagelsdorf blickt vor dem Anpfiff so mürrisch drein, als erwarte er ein Debakel an diesem ersten Spieltag der Gruppenphase. Gelassener nimmt es Juves Trainer Carlo Ancelotti, der auch während des Spiels genüsslich an seinen Kippen zieht und feine Rauchwölkchen in die Hamburger Nacht entlässt. Ancelotti wirkt wie aus einem Quentin-Tarantino-Streifen geschnitten, und natürlich hätten sie ihm dort guten Gewissens die Hauptrolle anvertraut.

    Nach 52 Minuten führen die Turiner 3:1, alles spricht für die Weltauswahl, nichts für den HSV. Dann treffen nacheinander Mehdi Mahdavikia, Torwart Hans-Jörg Butt per Elfmeter und Niko Kovac. Acht Minuten vor dem Ende führt der HSV, das kühle Hamburger Herz klopft wild. Seit dem Sieg im Europapokal-Finale der Landesmeister 1983, als Felix Magath mit einem Traumtor gegen Juventus den größten Triumph in der Vereinsgeschichte sicherstellte, waren die Hamburger dem europäischen Fußballadel ferngeblieben. 17 Jahre muss die Stadt auf die Rückkehr in den wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb warten, der seit 1992 Champions League heißt – und dann so ein Auftakt, wieder gegen Juventus, die alte und nobelste Dame des italienischen Fußballs. „Das ist ja ein Jahrhundertspiel hier, ruft Kommentator Jörg Wontorra nach dem 4:3, „das glaubt man ja gar nicht, wenn man es nicht gesehen hat. Kurz vor Schluss fällt das 4:4, nüchtern bleiben nur die Fußballasketen des Sportfachmagazins „Kicker, die notieren: „Gerechtes Unentschieden in einem Spiel, das keinen Verlierer verdient hatte.

    Ein Sieger des Abends heißt Max Kruse. Er sieht das vielleicht größte Spiel der Hamburger in diesem Jahrtausend vor Ort. Zwölf Jahre ist Kruse alt, als er an diesem Champions-League-Abend seinen Platz im Volksparkstadion einnimmt, bangt und hofft, jubelt und verzweifelt, leidet und schreit – nur für den HSV. Und für sein großes Idol Roy Präger, der nach 68 Minuten anstelle des erschöpften Spielmachers Rodolfo Esteban Cardoso den Rasen betritt. „Immer, wenn ich beim HSV im Stadion war damals, ist er mir ins Auge gefallen", sagt Max Kruse ein paar Jahre später über Präger, als er seine Traumelf zusammenstellen muss.

    Es gibt Studien, die besagen, dass Fußballprofis für Kinder und Jugendliche als Vorbilder wichtiger sind als die eigenen Eltern. Das könnte auch deshalb stimmen, weil Fußballer keine Verbotsmenschen sind, sondern Träume beflügeln. Im Hause Kruse hat der kleine Max Nintendo- und Playstation-Verbot. „Ist schlecht für die Augen, meint Papa Frank, der seinen Kindern einen Computer hinstellt. Ein paar Regeln, ein bisschen Ordnung, das muss schon sein, findet er. Demgegenüber stehen die stürmischen Fußballhelden der Neunziger, die von Anpassung so viel halten wie von Abseitspositionen, Unvernunft gilt als Tugend, ein gewisses Maß an Machohaftigkeit als erwünscht. An Selbstvertrauen mangelt es augenscheinlich den wenigsten Stars. Stefan Effenberg zeigt den ausgestreckten Mittelfinger, Andy Möller fabriziert die Schwalbe des Jahrhunderts und Oliver Kahn spielt sowieso in seiner ganz eigenen Kategorie; packt Mitspieler am Kragen, knabbert Gegenspielern an den Ohrläppchen. „Im Endeffekt sind Regeln dazu da, gebrochen zu werden, lautet ein viel zitierter Spruch von Roy Präger, der den fußballerischen Zeitgeist trifft. Auf die Idee, dass Fußballspieler als gesellschaftliche Vorbilder dienen sollen, wie es heute propagiert wird, kommen damals die Wenigsten. Und doch sind sie es, zumindest für die Jugendlichen. „Meine Eltern haben mir mein erstes Trikot geschenkt, als ich noch ein kleines Kind war", sagt Max Kruse in einem Interview mit dfb.de, „ganz genau kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich bin fast sicher, dass es ein HSV-Trikot von Roy Präger gewesen ist. Das Trikot hatte ich immer an, wenn wir auf dem Bolzplatz gekickt haben oder wenn ich ins Stadion gegangen bin, um den HSV zu sehen."

    Präger gilt als Geradeausmensch, als Kicker mit „Berliner Schnauze, der aus Brandenburg stammt und sagt, was er denkt. „Auffe Bank sitzen is scheiße, da tut dir der Arsch weh. Solche Sätze passen zum lauten Charakter eines Profis, der den 1.000. Platzverweis in der Bundesliga-Geschichte erhält. Eine weitere Präger-Weisheit von vielen: „Nach der Pause haben wir den Rhythmus verloren, den wir vorher nicht gefunden hatten."

    Ein launiges Präger-Interview folgt auf das nächste, aber auf dem Platz ist Schluss mit lustig. Bei den Vereinen, für die er spielt, kommt das gut an, auch bei den HSV-Fans wird er dank seiner Leidenschaft gepaart mit Bodenständigkeit verehrt. Wo Präger ist, geht’s zur Sache. „Seine Art zu spielen war klasse, er passte irgendwie zu dem Verein, zu dem ich zu der Zeit gestanden habe, verrät Max Kruse der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung etliche Jahre später.

    Der Verein, das ist der HSV, Lieblingsklub von Papa Frank. Der geht zwar viele Jahre nicht ins Stadion, lernt beim Tennisspielen aber den HSV-Präsidenten Ronald Wulff kennen, der im Hamburger Norden von November 1993 bis Oktober 1995 amtiert. Beim Tennis-Doppel vereinbaren die beiden auf Bestreben Wulffs eine Wette: Kruses Partner, ein Blumenhändler, verspricht dem Wulff-Doppel im Falle einer Niederlage je einen großen Strauß Rosen für die Partnerinnen der Spieler. „Und wenn ihr gewinnt, lade ich euch zum HSV ein!", sagt Wulff.

    Kruse und der Blumenhändler verlieren, schicken Rosen – und erhalten im Gegenzug trotz verlorener Wette Karten für den HSV. Die Plätze sind fein, und mit Wulff kommt Vater Kruse bestens aus. Die Besuche häufen sich, und eines Tages nimmt der Papa auch den Sohn mit in den Volkspark. Die Hamburger Jungs um Präger spielen eine Zeit lang schwungvollen Fußball, die Fans sind begeistert, auch Max Kruse. „Das war früher immer sein Traum: für den HSV spielen, sagt Vater Frank. „Ich hatte immer die Hoffnung, dass Max eines Tages mal für den HSV spielt. Einmal das Wappen mit der schwarz-weißblauen Raute tragen, davon träumen in der magischen Europapokal-Nacht vom 13. September 2000 viele Hamburger Jungs. Auch Max Kruse, der in HSV-Bettwäsche schläft und gerne eine Karriere wie Roy Präger hinlegen würde.

    1.2Reinbeker Jung

    Im Osten von Hamburg, gerade noch zum schleswig-holsteinischen Landkreis Stormarn zählend, liegt Reinbek. Umgeben vom Krähenwald am Stadtrand, ragen entlang gepflegter Pfade dicke Baumstämme empor. Die Menschen aus Reinbek kommen gerne hierher, mehrheitlich gutbürgerliche. Reinbek liegt im Hamburger Speckgürtel, 28.000 Menschen leben in der Stadt, die meisten gut. Der Beiname „Stadt im Grünen" könnte auch zu den Bilanzen passen, die alljährlich ausgegeben werden. Im Jahr 2020 lag die Kaufkraft pro Haushalt rund 10.000 Euro höher als im Landesschnitt. Niedrige Arbeitslosenquote, wachsendes Gewerbe, überdurchschnittliche Kaufkraft sind Kennzeichnen einer Wachstumsregion, die von der Nähe zur Hafen- und Handelsstadt Hamburg profitiert und dabei alle Vorteile der Vorstadt genießt. Das kleine Stadtzentrum hat alles, was zu einer annehmlichen Infrastruktur zählt: Eine Bäckerei, mehrere Restaurants und zwei Sparkassen – eine für Hamburg, eine für Schleswig-Holstein. Die S-Bahn-Linie 21 hält am zweigleisigen Reinbeker Bahnhof und bringt jene, die wollen, in knapp über einer halben Stunde zur Elbphilharmonie, dem Volksparkstadion oder zum Flughafen. In Reinbek verschwimmen die Grenzen zwischen Großstadt und Provinz.

    In der Straße am Krähenwald stehen Eigenheime, bevorzugt aus Backsteinen. Richtung Wald ziehen sich lange Gärten, auch jener des Kleingartenvereins. Am Ende der Straße liegt der Spielplatz „Schaumanns Kamp Kehre". An einem sonnigen Samstagnachmittag im Februar 2022 toben Kinder auf Rutsche, Schaukel und Klettergerüst, vergnügt hüpfen sie über den Sand, springen auf dem Trampolin. Nur der Bolzplatz, ein klassischer Käfig, begrenzt von grünen Zäunen, hinter dem sich das weite Hamburger Umland erstreckt, bleibt leer. Aber es wird sie wohl geben müssen, die Spielplatzfußballer, die so werden wollen wie Max Kruse, der am Krähenwald in Reinbek-Hinschendorf aufgewachsen ist. Auf dem Gummiplatz war der kleine Max Stammgast und nur dann nicht präsent, wenn das Grün im Garten des wenige Schritte entfernt liegenden Elternhauses als Fußballplatz herhalten musste.

    Die vier Wände, in denen Max Kruse nach seinen vielen, erschöpfenden Fußballabenden einschlief, stehen nicht mehr. Der Vater hat an selber Stelle neu gebaut.

    Gern hätte der Vater mich zu Hause empfangen, aber die Familie hat das Coronavirus erwischt und unkalkulierbare Risiken vermeidet der zur Corona-Risikogruppe zählende 65-Jährige lieber. Stattdessen treffen wir uns im Hotel Sachsenwald, seinem pandemiebedingten Rückzugsort.

    Im mit Palmen und Heizstrahlern ausgestatteten Innenhof sitzt Frank Kruse rauchend an einem schlichten Holztisch. Zwei Zigaretten hat der Aschenbecher schon geschluckt, ein kalkulierbares Risiko. Die eckige Brille mit schwarzem Rand steckt lässig im kurz geschnittenen Haar, der aufmerksame Blick aus wachen Augen verengt sich, als ein kurzes Lächeln das Gesicht durchläuft.

    Immer montagabends, seit über 40 Jahren, spielt Frank Kruse in gleicher Runde Skat, Tennis nur noch gelegentlich. Im Fernsehen schaut er St. Pauli, HSV (lieber) und die Spiele seines Sohnes, wenn es passt, auch gerne vor Ort. Ein stabiles Umfeld, klare Strukturen und geregelte Abläufe schätzt Frank Kruse. Er passt nach Reinbek, er mag es überschaubar, auch beruflich. Eine Handvoll Mitarbeiter führt der Chef eines Paletten-Handels. Vom schnellen Geschäft hält er nichts, außer bei Autos – wie der Vater so der Sohn.

    Wenn man so will, dann beginnt der gemeinsame Traum der Kruses im Januar 1957, als Vater Frank geboren wird. Man hört ihm gerne zu, wenn er im norddeutschen Schnack von seinem Leben und dem seiner Nächsten erzählt, begleitet vom gelegentlichen Klicken des Feuerzeugs, wenn er sich die nächste Zigarette in den Mundwinkel schiebt. „Ich hab’s auch einmal geschafft, aufzuhören – sechs Wochen lang, sagt Kruse. Über das Rauchen kann er Geschichten aus drei Generationen erzählen. Dabei wird zu Hause nicht viel erzählt, sowieso nicht von den Kriegen. Im beschaulichen Dassendorf, nur wenige Kilometer östlich von Hamburg gelegen, wächst Frank Kruse heran, ein Nachzügler, dessen Vater in beide Weltkriege ziehen musste. Im Zweiten, so viel ist bekannt, macht der alte Kruse eine Wollstrickerei auf, Sohnemann Frank erzieht er später zur Selbstständigkeit. Der Wollstrickerei-Kruse sei ein Genussraucher gewesen, dessen Handelsgold-Zigarren am Wochenende das Wohnzimmer vernebelt hätten. Frank Kruse selbst kaufte sich in jungen Jahren seine ersten HB „für ’ne Mark.

    Als Frank Kruse 14 Jahre alt ist, hat er seinen ersten Abschluss in der Tasche. Was an der Volksschule beginnt, endet im Hier und Jetzt als Chef einer selbst gegründeten Firma, die sich auf den Handel von Holzpaletten spezialisiert hat. Nach der Volksschule beginnt er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. Im geteilten Berlin wird eine Zusatzausbildung für sogenannte „Einzelhandelsführungskräfte angeboten, und so zieht Kruse 1974 nach West-Berlin, um bis 1977 bei den „Einkaufsgenossenschaften deutscher Kolonialwaren- und Lebensmittel-Einzelhändler weiter die Karriereleiter hochzuklettern. Abgekürzt heißt die Genossenschaft „EdK", etwas länger abgekürzt: Edeka.

    Dass der Standort Berlin einige Vorteile bietet, wird dem Edeka-Mitarbeiter erst nach der Entscheidung bewusst: Kruse muss nicht zur Bundeswehr („da war ich auch nicht böse drum) und erhält eine Berlin-Zulage „von ein paar D-Mark, wie er sagt.

    Anders als in viel späteren Jahren sein Sohn, wäre Kruse senior gerne länger Berliner geblieben. Wie den Sohn lockt allerdings auch den Vater ein gutes Angebot weg, nach Hannover, wo ihm die Edeka bald eine Filiale in die schaffenden Hände legt. „Bei so einem Angebot hat man zugeschlagen, logisch. Es ist ein flotter Aufstieg, den er aber nicht überbewerten mag. „Wer da nicht ganz doof war, hat nach der Ausbildung gleich einen guten Job bekommen, sagt er stattdessen. Mit 19 Jahren ist er einer der jüngsten Filialleiter Deutschlands. Mit dem Handel von Lebensmitteln verdient Kruse gutes Geld, aber irgendwann wird ihm der Job zu zeitintensiv. Er wechselt die Branche, macht zunächst Marketing für einen Hamburger Bananen-Händler und steigt schließlich ins Tauschgeschäft mit dem Ostblock ein. Wenn die Staaten des Warschauer Pakts Güter aus dem Westen beziehen, wird Ware mit Ware verrechnet. „Tauschgeschäfte waren gang und gäbe, weiß Kruse. „Die brauchten ja Waren und haben mit allem Möglichen bezahlt: Mal kam Marmelade aus Russland oder LKW-weise Petersilie aus Ungarn. Kruse arbeitet im Auftrag eines finnischen Konzerns, der gut mit den russischen Partnern vernetzt ist. Was die Finnen an Ware aus dem Ostblock reinbekommen, muss Kruse im Westen zu Geld machen. „Irgendwann kam dann ein Anruf aus Finnland: ‚Nächste Woche kommen fünf LKW-Ladungen voll Paletten, verkauf die mal.‘"

    So nimmt das Leben zwischen russischer Marmelade, ungarischer Petersilie und Holzpaletten seinen Lauf. 1986 baut Frank Kruse das Haus in Reinbek. 1987 macht er sich mit dem Verkauf von Paletten selbstständig. 1988 bringt seine damalige Frau einen Sohn zur Welt, der den Namen Max erhält. Max, das kommt vom Vater, der etwas Klassisches will. Mit Fritz oder Felix hätte Frank Kruse auch leben können, „aber eigentlich war der Arbeitstitel sofort Max." Nicht so bei Mama Kruse, die einen moderner klingenden Namen bevorzugt, darum der Zweitname: Bennet. Der Gesegnete.

    Der 19. März 1988, an dem Max Bennet Kruse erstmals Reinbeker Luft schnuppert und der Traum der Kruses zu reifen beginnt, ist ein Bundesliga-Samstag. Die ARD-Sportschau zeigt am Abend den Fußballfans in der Bundesrepublik ein packendes 3:3 zwischen dem Tabellenführer SV Werder Bremen und dem TSV Bayer 04 Leverkusen. Dass die Werderaner nur einen statt möglicher zwei Punkte holen, schadet ihnen kaum, weil Verfolger Bayern München bei der Frankfurter Eintracht ebenfalls nur einfach punktet (1:1).

    Zehn Spieltage später feiert Werder unter Trainer Otto Rehhagel die Deutsche Meisterschaft, Bayern wird Zweiter, der amtierende DFB-Pokalsieger Hamburger SV Sechster. Aufsteiger Karlsruher SC mit dem feurigen Coach Winnie Schäfer schafft am letzten Spieltag den Klassenerhalt, als Absteiger stehen der SV Waldhof Mannheim, der FC Homburg 08 und Schlusslicht FC Schalke 04 fest.

    Max Kruses Liebe zum Ball beginnt, bevor er eigenständig auf zwei Beinen stehen kann. Wenn er zu Hause im Sessel sitzt, eingeklemmt zwischen zwei Kissen, damit er nicht umfällt, wirft ihm Vater Frank Tennisbälle zu. Alle Bälle kann der Kleine noch nicht sicher fangen, aber schnurgerade zurückwerfen – das haut hin. „Sobald er dann laufen konnte, gab’s nur noch eine Sache: Ball, Ball, Ball, erzählt Frank Kruse. „Egal wann, egal wo. Ich glaube, es gab keinen Nachbarn, keinen Verwandten, der nicht mit ihm kicken musste. Mit dem Ball im Garten fühlt sich der kleine Max am wohlsten, bis er den 200 Meter entfernt liegenden Bolzplatz am Krähenwald entdeckt. „Da ist er definitiv groß geworden, sagt Frank Kruse und pustet hustend ein wenig Zigarettenrauch in die Luft. „Er hatte gerade erst das Laufen gelernt, da durfte er schon mit den Achtjährigen mitspielen. Körperlich ist er den älteren Reinbeker Kickern klar unterlegen, aber mit Ball am Fuß beweist er ein weit höheres, koordinatives Geschick als die anderen Kinder. Max Bennet Kruse ist mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet.

    Im Leben vieler Eltern kommt irgendwann der Tag, an dem sie beschließen, ihre Kleinen in einen Verein zu stecken. Die Motive sind unterschiedlich, manche Mütter und Väter wollen die Kreativität ihrer Kinder fördern, andere deren Bewegungsdrang stillen. Hinzu kommt, dass ein paar Stunden in der Woche ohne Nachwuchs für die allermeisten Menschen erholend wirken. Das Vereinsthema wird bei Kruses früh akut, den Eltern bleibt gar keine andere Wahl: „‚Ich will in die Mannschaft, ich will in die Mannschaft‘, das hat Max als Dreijähriger schon gesagt – für ihn gab’s nichts anderes als Ball und in erster Linie Fußball."

    Als aus dem Drei- ein Vierjähriger wird, packt ihn Papa Kruse in den Wagen und fährt die fünf Minuten zum Sportplatz der Turn- und Sportvereinigung Reinbek. Kurz darauf rennt der Sohn in grünen Gummistiefeln über den Sportplatz. Zu klein, zu jung, denkt sich Papa Kruse, als er seinen Max in der Gruppe sieht, die mehrheitlich aus Fünf- und Sechsjährigen besteht. Dem Trainer ist das egal. Sechs Jahre lang wird der Reinbeker Jung’ Max Kruse für die TSV Reinbek spielen, im Vereinsheim mit Vorliebe das Bauernfrühstück wählen und Tore am Fließband schießen, bevor er den ersten richtigen Entwicklungsschritt in seiner Karriere machen wird.

    Wenn Punktspiele mit der TSV anstehen, ist Max immer dabei. Gründe, ein Spiel abzusagen, kennt der Junge nicht, „da konnte sein, was wollte, sagt sein Vater. Das Team dankt es ihm, denn schnell wird klar: „Mit Max gewinnt die Mannschaft 5:0, ohne ihn vielleicht 1:0. Oder sie verliert auch mal, erzählt Frank Kruse. Sein Junge dribbelt so flink wie kein anderer, schießt Tore wie kein Zweiter und schlägt Haken wie ein alter Hase. In manchen Spielen verbietet ihm der Trainer sogar das Toreschießen. Max soll lernen, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Vater Frank erinnert sich: „Es gab dann Situationen, in denen er wie immer durchmarschiert ist bis vors Tor, hat den Ball auf der Linie abgelegt und gewartet, bis ein anderer kommt, um ihn rüberzuschieben." Denn Tore schießen, das sollen auch die anderen lernen.

    Als für Papa Frank die sechs rauchfreien Wochen beginnen, ist Söhnchen Max schon sechs Jahre alt. Er darf den Vater zum Autohändler begleiten, ein neuer Saab wird angeschafft. „So, Max, jetzt hör ich auf zu rauchen, hab ich zu ihm gesagt, erzählt Frank Kruse rückblickend. „Das fand er gut. Allerdings läuft Kruses in Polen aufgebaute Palettenproduktion nicht so planmäßig wie das selbst auferlegte Rauchverbot. „In meiner westlichen Überheblichkeit dachte ich, das kann man von hier aus lenken. Heute ginge das, aber vor 20, 25 Jahren war das schwierig. Also setzt Kruse sich ins Auto, macht auf dem Weg nach Polen an der Raststätte Stolpe Halt und kauft fünf Schachteln Marlboro. „Gegen den Stress, von da an hab ich wieder geraucht. Seither eine Schachtel täglich.

    Seinem Sohn, Kruse-Generation III, rät der Vater früh von Zigaretten ab: „Wenn du Profifußballer werden willst, musst du auf Alkohol und Zigaretten verzichten. Dass Max das schafft, habe er zwar nicht geglaubt, „aber er hat es durchgezogen. Keine Zigaretten, (fast) kein Alkohol, bis heute. „Das Rauchen hat er nie probiert, Alkohol einmal mit 14 oder 15. ‚Bäh‘, hat er gesagt – und dann war gut. Seither nie wieder, da bin ich ganz sicher."

    Max Kruse verlebt in weiten Teilen eine glückliche Kindheit. Am liebsten isst er Milchreis und Pfannkuchen, bevorzugt mit Zucker obendrauf. Die Energie steckt er über den Fußball hinaus in sämtliche Ballsportarten. Er schmettert Volleybälle übers Netz und wirft erfolgreich Basketbälle für die Schulmannschaft in den Korb. Tischtennis beherrscht er sehr gut und, weil er den Vater in den Klub begleiten darf, Tennis ebenfalls. Die gelben Filzbälle zaubert er locker übers Netz, es bleibt allerdings bei einem kurzen Intermezzo. „Mit Tennis hat er aufgehört, weil er keine Lust hatte, die Bälle einzusammeln. Das war nix für ihn", lacht Vater Frank.

    Auch Gesellschaftsspiele, die Geduld erfordern oder mit Niederlagen enden können, sind nichts für das Bewegungstalent. „Wenn seine Figuren zwei- oder dreimal rausflogen, flog das Mensch-ärgeredich-nicht-Brett mit", erinnert sich Frank Kruse. „Keine Chance bei ihm, verlieren ging nicht.

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