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Meiner ist 18 Meter: Die Tour seines Lebens
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Meiner ist 18 Meter: Die Tour seines Lebens
eBook341 Seiten4 Stunden

Meiner ist 18 Meter: Die Tour seines Lebens

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Über dieses E-Book

Witzig, provokant und doch realistisch – so schildert der Autor den normalen Alltag eines Truckers.
Werden Sie Zeuge einer denkwürdigen Begegnung mit der kroatischen Mafia, lernen Sie die Vogelspinne Paul kennen, fiebern Sie mit, bei dem Versuch eine Ehe zu retten und tauchen Sie ein in den Wahnsinn eines Speditionsbetriebes.
Es lohnt sich!
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum27. Juli 2022
ISBN9783987622472
Meiner ist 18 Meter: Die Tour seines Lebens

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    Buchvorschau

    Meiner ist 18 Meter - Udo Fröhlich

    1. Ups!

    Mit einem metallischen Plong! knallte das Lkw-Halteverbotsschild auf das Pflaster des Seitenstreifens. Ups! war Rolf Brömmers Reaktion darauf, dann schob er mit einem selbstgefälligen Lächeln den Automatikschalthebel auf „R um den 18 Meter langen Sattelzug wieder ein Stück zurückzusetzen. Das Lenkrad schwenkte nach vorn, Brömmer öffnete die Fahrertür, stieg trotz seiner 93 Kilogramm flink die drei Stufen der Fahrerkabine hinab und begab sich vor die ferrarirote Zugmaschine. Erwartungsgemäß wies die Stoßstange nicht einen Kratzer auf. Er bewegte den abgeknickten Schilderpfosten lediglich zwei Mal hin und her, bis dieser sich gelegt hatte, sodass letztendlich nur ein winziger Metallstumpf aus dem Pflaster ragte. Brömmer nahm das Straßenschild in beide Hände und stiefelte damit zu einem etwa 10 Meter entfernt vor ihm parkenden Polo ohne Kfz-Kennzeichen. Da sowohl das Dach als auch die Motorhaube von einer zentimeterdicken Laubschicht bedeckt waren - auf der Haube lag zusätzlich McDonald´s-Verpackungsmüll einer Fressorgie -, schien dieser Kleinwagen schlicht und ergreifend hier zur Entsorgung abgestellt worden zu sein. Tatsächlich klebte auf der Windschutzscheibe ein ausgeblichener Hinweis vom Ordnungsamt. Brömmer schob das Halteverbotsschild unter den Pkw, wischte sich die Hände an seiner Jeans ab, bestieg kurz wieder die Fahrerkabine, um die Zugmaschine mit dem linken Vorderrad direkt über den Schilderstumpf zu fahren, und setzte sich zu Fuß in Richtung Marktkauf in Bewegung. Der Supermarkt befand sich auf der anderen Straßenseite und war von Rolf Brömmer schon häufig als Pausenort angefahren worden; zumal er hier zusätzlich eine meist saubere Toilette vorfand. Außerdem bestand die Möglichkeit, Kleinigkeiten einzukaufen, um zu Hause den Kühlschrank aufzufüllen. Kurz: Es war alles an einem Ort und nicht allzu weit vom Speditionshof seines Brötchengebers entfernt. Zudem bereitete der „Türke im Marktkauf eine sensationelle Dönertasche zu, obwohl Brömmer heute mehr nach einer in scharfer Sauce schwimmenden Currywurst mit fetttriefenden, unter Mayonnaise begrabenen Pommes war. Spontan ließ sein Magen ein erstes Knurren bei diesem Gedanken verlauten. Zunächst aber hoffte Brömmer, er würde das Gebäude erreichen, bevor der nervende Hausmeister angeschossen käme.

    „Sie schon wieder! Das darf doch echt nicht wahr sein!" Walter Tiefenbachs fisseligen Haare oder was davon übrig war, schwebten als nanodünne Tentakel um seine Glatze herum, während er mit energischen Schritten auf Brömmer zumarschierte. Sein geöffneter grauer Hausmeisterkittel flatterte wie ein armseliges Superhelden-Cape hinter ihm. Brömmer blieb lässig stehen und ließ den grauen Choleriker auf sich zuschreiten. Etwa zwei bis drei Mal im Monat führte ihn seine Donnerstag-Tour in diese Richtung; sein letzter Kunde lag quasi um die Ecke vom Marktkauf. Da er aufgrund seiner annähernd abgelaufenen Schichtzeit nicht weiterfahren durfte, der wenige Kilometer entfernt liegende Rastplatz überfüllt und ohnehin zu teuer war, steuerte er den Truck fast immer auf den gegenüberliegenden Parkstreifen vom Marktkauf, der ausreichend Platz für sein Zugmaschinen-Auflieger-Esemble bot. Das Lkw-Halteverbotsschild hatte Brömmer bisher gepflegt ignoriert, obwohl der Hausmeister ständig mit dem Finger darauf zeigte, wenn er den Sattelzug beim Einparken beobachtete und dabei wie ein bissiger Terrier um das riesige Fahrzeug herumhüpfte. Nun hatte sich das vorläufig ohnehin erledigt. Das Schild war sozusagen unsichtbar geworden.

    „Wie groß muss denn das Schild erst sein, damit Sie es beachten? Häh? Hausmeister Tiefenbach stand dicht vor Brömmer und wies mit dem Finger und ausgestrecktem Arm in die Richtung, in der das Verkehrsschild normalerweise zu sehen war. „Welches Schild, Graukittel?, stellte sich Brömmer blöd. Tiefenbach blickte an der durchaus imposanten Figur Brömmers vorbei. „Da vorn. Das Halteverbotsschild für Lkw. Das ist doch jedes Mal unser Thema. Ich dulde hier keine Seitenstreifen- Dauerparker und Heckenpisser. Neulich hat mir sogar einer hinter den Marktkauf geschissen!"

     „Ich sehe da beim besten Willen kein Schild, Herr Hausmeister. Der Polo scheint in der Tat zur Dauerparker-Front zu gehören und ist dazu gut getarnt. Oder? Brömmer hatte die Hände in den Hosentaschen und machte eine Kopfbewegung zum belaubten Kleinwagen hin, unter dem Brömmers Schilder-Geheimnis verborgen lag. Tiefenbach schaute zuerst zum Polo, dann zu Brömmers MAN-Zugmaschine. Mit weit ausholenden Schritten ging er auf Brömmers Truck zu. Er begab sich auf die Beifahrerseite, kam aber schnell wieder auf die Fahrerseite, um sich erneut mit in die Hüften gestemmten Fäusten kopfschüttelnd vor den Lkw zu stellen. Der Hausmeister sank stöhnend auf seine Knie und lugte angestrengt unter die Zugmaschine. „Das gibt es doch nicht! Wo haben Sie das Schild gelassen?

    „Da war heute kein Schild. Sonst würde ich dort nicht parken, Graukittelchen." Brömmer setzte sich wieder in Bewegung, denn so langsam wurde es Zeit, das Scheißhaus aufzusuchen. War ihm die heutige Hausmeister-Konfrontation etwa auf den Magen geschlagen?

    „Das gibt es doch nicht!" Tiefenbach schrie erneut seine Verzweiflung heraus und hob fortwährend die Arme über den Kopf; dabei drehte er eine komplette Runde um die Zugmaschine mit dem aufgesattelten Auflieger, nahezu ein 40-Meter-Spaziergang. Brömmer erreichte inzwischen den Marktkaufeingang und rechtzeitig das Herrenklo.

    Einen größeren Einkauf anhand eines Einkaufszettels brauchte Brömmer nicht mehr zu tätigen. Seitdem Anna ihn vor zwei Jahren verlassen hatte, hielt sich seine Motivation, etwas Gesundes und noch dazu Essbares für sich zu besorgen, stark in Grenzen. Er aß seit damals fast ausschließlich auswärts. Gerne Fastfood. In zahlreichen bundesweiten Imbissbuden wurde er mit seinem Namen begrüßt, manchen Bratwurstbrätern gab Brömmer ein „High-Five über den Tresen. Fortan lagerten zu Hause im Kühlschrank hauptsächlich Bierflaschen und Wurstscheiben; Letztere immerhin öfters aus magerem Geflügelfleisch. Das Einzige, was Brömmer sich regelmäßig zubereitete, waren Brote, die er entweder zum Frühstück oder zwischendurch im Lkw zu sich nahm, wobei selbst das immer seltener wurde; wozu gab es fertige Sandwiches in den Supermärkten? Zu viel mehr reichten seine Kochkünste gar nicht aus, falls man da überhaupt von Kochen sprechen durfte. Früher hatte Anna für ihn gekocht, immer wenn er nach einer Tagestour relativ zeitig am Abend heimkehrte. Sonntags besorgte er Brötchen und sie nahmen miteinander ein spätes Frühstück zu sich. Vor längerer Zeit hatte dann sogar ihr gemeinsamer Sohn Tobias mit am Tisch gesessen. Der 23-jährige junge Mann wohnte seit dem Sozialwissenschaftsstudiumbeginn zusammen mit seiner Freundin Clara und zwei Mitstudenten in einer WG in Dortmund, nahe der elterlichen Wohnung. Nachdem Brömmer und Anna sich zunächst auf unbestimmte Zeit getrennt hatten, besuchte Tobias ihn öfters mal am Wochenende, um mit ihm ein Bierchen zu trinken oder nur, um zu quatschen. Tobi (sein gehasster Spitzname) hatte erst seit der Trennung seiner Eltern wieder mehr Nähe zum Vater gesucht. Brömmer vermutete, er tat Tobias leid, obwohl er in dessen Beisein nie übermäßig gejammert hatte. Im Gegenteil, meistens log er Tobias an, wie sehr er die Ruhe und Unabhängigkeit genoss, seitdem Anna zu Olaf gezogen war. Ihrem Neuen. Und Brömmers bestem Kumpel! Ehemaligem Kumpel. Olaf Wibbel-Stegemann hieß dieser Mistkerl und hatte diesen bescheuerten Namen genau so verdient. „Wichser-Stechermann wurde er fortan von Brömmer genannt. Unfassbarerweise hatte Brömmer ihn zusammen mit Anna in ihrem gemeinsamen Ehebett erwischt. Das obligatorische „Ich kann das erklären, hatte Brömmer damals mit einem Faustschlag abgewürgt. Das war zwar schon zwei Jahre her, jedoch wollten weder Anna noch er an eine Scheidung denken. Das Wort „Beziehungspause kam zuerst aus Annas Mund. Wahrscheinlich, weil sie ihre „Pause ganz gut füllen konnte. Mit Olaf. Brömmer stimmte dem aber sofort zu. Eine Scheidung kam ihm zu endgültig vor. Da glimmte sehr lange weiterhin ein Hoffnungsfunken in ihm, zumal er Anna de facto noch liebte. Außerdem konnte er sich seinen Ex-Kumpel absolut nicht als Ablösung vorstellen. In letzter Zeit schickte Anna ihm fast täglich Whatsapp-Nachrichten. Manchmal lediglich eine Abfolge von Emojis. Unterm Strich fasste er die Nachrichten unter dem Oberbegriff „Hab Dich lieb zusammen. „Vermisse Dich!, war sogar einmal dabei. Doch Brömmer ließ sie zappeln. Der Schmerz saß schließlich weiterhin tief. Es freute ihn dennoch jedes Mal, wenn er zwischen Annas Zeilen herauslas, dass es anscheinend mit „Wichser-Stechermann nicht mehr so gut lief; anders konnte er die Formulierungen  nicht interpretieren. Brömmer konnte warten. Er wollte warten. Ja, verdammt, er liebte sie immer noch!

    Brömmer wusch sich die Hände, verließ das WC, drehte eine kleine Runde um die Regale im Supermarkt und deckte sich mit Kleinigkeiten ein. Wenige Minuten später schlenderte er mit einer vollen Plastiktüte vom Marktkauf über den halbvollen Parkplatz zurück zu seinem Truck. Vielleicht stellte er den Lkw das nächste Mal quer über die Parkreihen. Wäre mal ein Spaß. Hausmeister Tiefenbach stand nach wie vor neben Brömmers imposantem Lkw, nur hielt er jetzt ein Handy in die Höhe. „Ich habe Beweisfotos!", schrie er schon von Weitem, mit einem Finger stetig auf das Display tippend.

    „Was für Fotos willst du denn gemacht haben, Graukittel?"

    Tiefenbach kam Brömmer entgegen und scrollte dabei auf dem Handy herum. „Hier, das Kennzeichen von deinem Lkw und sogar vom Auflieger. Das hat grüne Buchstaben. Auch bestimmt irgendeine krumme Sache."

    Brömmer verdrehte die Augen und ersparte sich die Erklärung, dass dieses Nummernschild mit einer Steuerbefreiung zu tun hatte und absolut rechtens war. Stattdessen schaute er sich breit grinsend die Fotos auf Tiefenbachs Handy an, die den im Sonderfarbton lackierten Lkw von allen Seiten zeigten, sozusagen eine Bilderserie. Brömmer haute dem Hausmeister sanft auf die Schulter und sagte: „Schöne Fotos von meinem Truck. Vielleicht kannst du die an ein Trucker-Magazin verkaufen. Die müssten dann aber bitte zusätzlich ein Titten-Girl einfügen. Kennst das ja." Lachend ging er weiter zur Zugmaschine. Der Hausmeister sah ihm verdattert hinterher.

    „Heh! Die Fotos zeige ich gleich den Bullen! Tiefenbach hielt wieder winkend das Handy hoch. Brömmer blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Wie? Bullen? Hast du die Polizei gerufen? Der Graukittel nickte hastig wie ein pickendes Huhn, die Haarfissel schwebten jeweils entgegengesetzt, und im selben Augenblick hielt ein Streifenwagen hinter dem Auflieger. Brömmer seufzte und lehnte sich an die Zugmaschine, nachdem er den Einkauf im Fußraum der Beifahrerseite abgelegt hatte. „Polizeiobermeister Haselbeck, stellte sich der männliche Polizist vor und setzte sich seine Dienstmütze auf. Ihm folgte ein Polizistinnen-Model. Brömmer ertappte sich dabei, wie er sie anstarrte. „Polizeimeisterin Dröge, sprach sie und ihr Name passte absolut nicht zu ihrer Stimme; erst recht nicht zu ihrem äußeren Erscheinungsbild. Fand Brömmer; mit dröge hatte das so gar nichts zu tun. Eher mit heiß und sexy. Da luden die Handschellen an ihrem Gürtel gedanklich gleich zu Fesselspielen ein. Brömmer zog leicht die Mundwinkel hoch. „Was haben wir denn? Wer von Ihnen hat uns gerufen?", fragte Haselbeck und blickte von Brömmer zu Tiefenbach, der sofort das Wort ergriff und dem Polizisten mit einer schnellen Handbewegung sein Handy vors Gesicht hielt, sodass dieser erschrocken einen Schritt zurück machte und eine Hand an die Waffe legte, als ob er befürchtete, gleich von einem Laser aus dem Mobiltelefon getroffen zu werden.

    „Ich! Der Lkw steht im absolut totalen Halteverbot!"

    „Mehr Halteverbot geht nicht", dachte Brömmer.

    Die Polizistin begann, langsam um das Aufliegergespann herumzugehen. Sie schmunzelte über den Aufkleber an der Aufliegertür „Meiner ist 18 Meter!"

    „Wo steht denn das Verbotsschild?, rief sie zu den zwei Herren, als sie um das Aufliegerheck herum wieder in Sichtweite kam. Tiefenbach schritt sofort in ihre Richtung. Haselbeck blickte Brömmer ins Gesicht. „Hat er Recht?, fragte der Polizist den Trucker leise. Brömmer schüttelte sanft mit dem Kopf. „Da steht kein Schild", meinte Brömmer, zog die Schultern hoch und zog ein Pokerface.

    „Hier ist kein Schild!", rief die Polizistin. Brömmer hob erneut die Schultern und sah wieder zu Haselbeck.

    „Das hat er doch entfernt!, schrie Tiefenbach über die Straße und zeigte mit seinem Handy auf Brömmer. Haselbeck bedeutete Brömmer mit einer Kopfbewegung, ihm auf die andere Straßenseite zu folgen. Der Hausmeister wies aufgeregt vor den Lkw und meinte: „Hier hat es immer gestanden. Genau hier. Seit einigen Monaten. Die Polizistin schaute auf den Boden und dann Tiefenbach in die Augen. „Ich sehe hier aber kein Schild. Brömmer stellte sich vor, wie dem Hausmeister die Zornesröte ins Gesicht schoss. „Ich bin doch nicht bescheuert! Er parkt hier jeden Donnerstag. Immer direkt vorm Schild. Völlig ignorant. Und ich verwarne ihn jedes Mal. Immer. Jeden Donnerstag. Das Schild stand genau da. Immer. Seit Monaten. Tiefenbach tanzte wie ein Rumpelstilzchen-Klon vor der Zugmaschine herum. Polizeimeisterin Dröge fasste mit ihrer zarten Hand den Arm des Hausmeisters, den dieser daraufhin energisch wegzog. „Ich bin doch nicht blöd! Jeden Donnerstag. Und ihm ist das egal! Jetzt machte er ein paar Schritte auf Brömmer zu, der seelenruhig mit den Händen in den Taschen dastand. „Langsam, Herr Hausmeister, sagte Haselbeck zu dem aufgebrachten Mann. Doch der stand bereits direkt vor Brömmer und blickte zu ihm hoch, denn der Berufskraftfahrer überragte mit seinen 190 Zentimetern Tiefenbach um fast einen Kopf. „Wo.Ist.Das.Schild?"

    Brömmer hob abermals die Schultern. Plötzlich packte Tiefenbach den Trucker am karierten Holzfällerhemdkragen und schrie: „Ich lasse mich nicht von dir verarschen! Du hast es abgeflext! Das war der Moment, wo die beiden Ordnungshüter einschreiten mussten. „Heckenpisser! blökte Tiefenbach, als der Polizist ihn von Brömmer wegriss. „Scheißt mir hinters Gebäude und flext mein Schild ab!" Speicheltröpfchen flogen aus Tiefenbachs Mund, während er seine Wut hinausschrie. Die Haarfissel standen wüst vom radieschenroten Kopf ab.

    „Nun aber mal langsam, Herr... wie heißen Sie überhaupt und können wir bitte mal ihren Ausweis sehen? Die Polizistin hielt dem Hausmeister ihre geöffnete Hand hin, als ihr Kollege den Hausmeisterkittel losließ. Tiefenbach schlug den Arm der jungen Polizeibeamtin weg, machte geradewegs wieder einen Schritt auf Brömmer zu und ging ihm erneut an die Wäsche. „Wo ist das Schild? Wo ist mein Schild? Die Stimme des Hausmeisters kippte und klang schrill wie ein zeterndes Waschweib. Brömmer wischte sich den Hausmeisterrotz mit dem Handrücken von der Stirn. „Habe ich irgendwo eine Flex in der Hosentasche, Graukittelchen? Oder bin ich Copperfield?, fragte Brömmer und grinste provozierend. Polizeiobermeister Haselbeck kam auf Tiefenbach zu und packte ihn am rechten Oberarm. „Sie fassen keine Beamtin bei ihrer Dienstausübung an, verstanden? Ihren Ausweis! Bitte!

    Tiefenbach starrte verstört zu der Polizistin herüber und grummelte eine Entschuldigung. Mit der freien Hand zog er ein Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche und fummelte seinen Personalausweis heraus.

    „Also, Herr Tiefenbach, begann Haselbeck, nachdem er seinen Griff wieder gelöst hatte. „Sie haben uns gerufen, weil der Lkw von Herrn...?  Brömmer nannte seinen Namen.

    „Von Herrn Brömmer angeblich im Halteverbot steht."  

    „Im absoluten!",schrie Tiefenbach dazwischen.

    „Im absoluten Halteverbot steht. Nur ist kein Schild vorhanden, dass das anzeigt. Haselbeck deutete mit dem rechten Zeigefinger in Richtung Zugmaschine. Tiefenbach lief dunkelrot an. „Das Schild ist doch weg! Er hat es entfernt! Fast wollte sich der Hausmeister erneut auf Brömmer stürzen, bremste sich aber selber ab. Tiefenbach schmierte sich mit einer Hand die nassgeschwitzten Fisselhaare nach hinten.

    „Wie soll er das denn bitte angestellt haben? Sie beschuldigen Herrn Brömmer nun noch zusätzlich eines Schilderdiebstahls?" Brömmer sah an Haselbecks Gesicht, dass der Beamte gegen ein Grinsen ankämpfte.

    „Warum muss er nicht seinen Ausweis zeigen? Tiefenbach fuchtelte mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger krampfhaft und zitternd vor Brömmer herum. Brömmer zog lässig seinen Führerschein aus dem Portemonnaie. „Reicht der Führerschein? Die Polizistin nickte und nahm die Plastikkarte entgegen. „Im Lkw habe ich selbstverständlich meine Fahrerkarte und den Personalausweis."

    „Nicht notwendig. Wir nehmen für unseren Bericht nur ihre Daten auf und ansonsten wird da nichts weiter kommen."

    „Ich fasse es nicht! Armes Deutschland! Hier darf jeder Idiot machen, was er will!" Tiefenbach schüttelte den Kopf.

    „Beleidigen Sie gerade jemanden?", fragte Polizeimeisterin Dröge den Hausmeister.

    „Wir verwarnen Sie aufgrund der Handgreiflichkeit gegenüber meiner Kollegin und Ihres aggressiven Verhaltens, Herr Tiefenberg, sprach der Polizeiobermeister zum Hausmeister. „Bach. Ich heiße Tiefenbach, sagte Tiefenbach resigniert und ließ dabei den Kopf hängen. Jetzt bot der Hausmeister ein Bild des Jammers. Der still hängende, zerknitterte graue Kittel konnte seine Stimmung nicht besser ausdrücken.

    „War es das für mich?, fragte Brömmer in die Runde. „Ich habe etwas Kohldampf und hier die Straße runter ist mein Stamm-Imbiss.

    „Klar. Sie dürfen gehen. Einen schönen Abend noch, wandte sich die junge Polizistin an Brömmer, der sie fast zu einer Manta-Platte eingeladen hätte. Gott, sah die heiß aus in ihrer Uniform. Brömmer war vor längerer Zeit mal auf einer Party eines Kollegen, wo eine strippende „Polizistin bei den meisten männlichen Gästen für sabbernde Münder gesorgt hatte. Mit einem Lächeln bei dieser Erinnerung begab sich der Trucker zur Zugmaschine und holte seine Jacke heraus. Es wurde merklich kühler und immerhin lagen 15 Minuten Fußweg vor ihm. Eine Currywurst mit Pommes rot-weiß wartete auf ihn. Brömmer lief das Wasser im Munde zusammen. Er schaute zu den drei Personen auf dem Marktkaufparkplatz zurück und sah, wie Tiefenbach zum wiederholten Male sein Handy vor die Polizistengesichter hielt. Brömmer musste lachen. „Gib auf, Graukittelchen", dachte er und machte sich auf den Weg zum Imbiss.

    Die Imbissbude von Horst Schobecker war unter Fernfahrern ein Geheimtipp. Gewesen. Inzwischen herrschte hier täglich ab 17 Uhr fast reges Gedränge in dem stets nach Frittenfett, Schweiß und angebranntem Fleisch müffelnden Holzverschlag, den Schobecker „Bei Horst nannte und wahrhaftig als Imbissrestaurant bezeichnete. Brömmer erkannte zwei bekannte Silhouetten durch die verrauchten und vergilbten Scheiben. Er öffnete die seit Monaten quietschende Eingangstür, die jeder Schwächling mit einem Tritt öffnen konnte, selbst wenn sie von Horst Schobecker mit einem Vorhängeschloss verriegelt worden war. „Hallo Porno, hallo Beethoven, begrüßte Brömmer die beiden ihm bekannten Männer unter den Gästen. Frank „Porno Dreesen war ein 43 Jahre alter Trucker-Kollege von Brömmer, der seinen Spitznamen seinem ekelhaften Oberlippenbart verdankte. So etwas trug man seit 30 Jahren nicht mehr. Selbst die Pornodarsteller vögelten heutzutage ohne derartigen Schnäuzer. „Beethoven wurde Theo Osthagen genannt, ein Fernfahrer, der erst seit drei Jahren für Spedition Klötzer unterwegs war, davor seine Brötchen ebenfalls bei Spedition Grobe verdient hatte und somit Brömmers Ex-Kollege war. Osthagens Silberlockenpracht erinnerte beim näheren Hinsehen und mit einigermaßen Fantasie an den begnadeten Komponisten. Er könnte genauso gut Mozart oder Wagner genannt werden, sahen diese Herren doch frisurentechnisch alle gleich aus. Die drei Männer tauschten kräftige Schulterklopfer aus. Porno stocherte anschließend weiter in seiner Currywurstschale herum, Beethoven nippte an einer Bierdose, vor ihm lugte ein Holzspieß aus einer randvoll mit Schaschliksauce gefüllten Pappschale; vom Fleisch war nichts zu sehen. Brömmer wandte sich dem Bedientresen zu und nahm eine Pappschale mit einer Currywurst und Pommes, die unter der Mayonnaise nur zu erahnen waren, entgegen. Schobecker hatte ihm bisher nie etwas anderes zubereiten müssen. „Na, wohin hat Kremer dich denn geschickt?, fragte Brömmer Porno, der sich die Currysaucenreste mit dem Handrücken aus dem Bärtchen wischte. Die Hand wurde anschließend mit einer Serviette gesäubert. „Tagestour nach Siegen. Wenn ich mich jetzt aber schon wieder auf dem Hof blicken lasse, jagt der Blödmann mich womöglich zum Laden bei Porti-Möbel in Hamm. Porno warf Serviette und Pappteller in einen Schwungdeckelmülleimer mit ausgeblichenem Langnese-Logo, obwohl Schobecker gar kein Eis verkaufte, und der Deckel streifte durch den Saucenrest. Oskar Kremer war der Chef-Disponent bei Spedition Grobe. Er hatte dort seine Ausbildung zum Speditionskaufmann absolviert und war seitdem bei Grobe hängengeblieben; irgendwann würde er seine eigene letzte Fahrt disponieren. Davon waren einige Fahrer überzeugt. Für Oskar Kremer war sein Job Fluch und Segen zugleich. Mehr ein Segen für ihn selbst, er wurde gut bezahlt; dagegen ein Fluch für die Kraftfahrer, da Kremer selbst nie hinter dem Steuer eines Lkw gesessen hatte. Seine Auslieferungstouren wurden womöglich deswegen ab und zu sehr sportlich von ihm geplant. Die jüngeren Fernfahrer-Kollegen verleitete seine Planung daher häufig zu Lenkzeitüberschreitungen und sie bekamen von der BAG (Bundesamt für Güterverkehr) bei entsprechenden Autobahnkontrollen durch deren Beamte ihre Strafen aufgebrummt. Der Seniorchef Wilhelm Grobe meinte dazu jedes Mal lapidar, wenn einer der jungen Wilden ihm mal wieder ein Strafticket auf den Eichenholzschreibtisch legte: „Macht eure Pausen ordentlich, dann braucht ihr auch keine Strafen zu bezahlen." Mit zwei Fingern schob er die Verwarnung zu seinem Kraftfahrer rüber, der sich im Anschluss über Kremers fantasievolle Planungen beschwerte. Es war immer dasselbe.

    Derartige Situationen kannten die alteingesessenen Kraftfahrer zur Genüge, daher widersetzten sie sich häufiger den Anweisungen Kremers mit der Begründung: „Hier ist jetzt Schicht im Schacht, Oskar. Pause streng nach Vorschrift. In 45 Minuten geht es weiter. Oder hast du so’n dickes Portemonnaie und tätigst für mich die Überweisung an die netten Beamten, die hier gerade neben mir stehen? Meine Fahrerkarte ist nämlich sauber und das soll auch so bleiben. Übrigens habe ich mein Handy auf „mithören gestellt. Die Fahrerkarte war im Prinzip eine scheckkartengroße Plastikkarte, die einen Chip enthielt, auf dem sämtliche Tätigkeitenzeiten, gefahrenen Geschwindigkeiten und Pausen abgespeichert wurden, die der dazugehörige Fahrer verursacht hatte. Diese Karte wurde bei Kontrollen entweder von einem Polizeibeamten oder eben BAG-Mitarbeiter in einem speziellen Lesegerät ausgelesen; jede Geschwindigkeitsüberschreitung sowie nicht gemachte Pause konnte auf deren Laptop ausgewiesen werden. Manch alteingesessener Trucker von Grobe versuchte den Fahranfängern gerne mal weiszumachen, dass sogar ihre Scheißhausbesuche registriert werden mussten.

    Kremer legte meistens nach so einer Antwort hinsichtlich der Fahr- oder Schichtzeiteinhaltung kommentarlos auf. Da gab es ohnehin nichts zu diskutieren. Die Jungspunde meinten dagegen, sie müssten es den alten Trucker-Haudegen ab und zu zeigen und fuhren gerne mal einige Kilometer weiter oder verlängerten ihre Fahrzeit um ein Stündchen, um den nächsten Kunden oder Beladeort auf jeden Fall rechtzeitig oder sogar früher als angekündigt, zu erreichen. Mit „angekündigt" waren Kremers Avisierungen gemeint. Bei einigen Ladestellen oder Entladeorten war es erforderlich, dem jeweiligen Lagerleiter die ungefähre Ankunftszeit des Lkws mitzuteilen, damit sich sein Personal darauf vorbereiten konnte und somit unnötige Leerlauf- oder Wartezeiten auf dem Lager vermieden wurden. Brömmer löste derartige Angelegenheiten gerne mal mit einem Sechserträger Bier, den er unterwegs erstanden hatte. Wurde einem Lagerverantwortlichen etwas Hopfenlastiges überreicht, sah er über die 15 Warteminuten oder Verspätung bisweilen hinweg. So ein Präsent reichte meistens für mindestens drei weitere überreizte Wartezeitfenster. Danach musste aber durchaus wieder in alkoholhaltige Getränke investiert werden. Bei anderen Rampenherrschern bestand diese kleine Korruption aus Zigarettenschachteln oder Hochglanzmagazinen mit gynäkologischen Anschauungsobjekten; Brömmer kannte diesbezüglich seine Pappenheimer.

    Theo Osthagen lutschte mit einem ekligen Geräusch die restliche Schaschliksauce vom Holzspieß. „Friss doch das Stäbchen gleich mit, Beethoven, meinte Brömmer lachend. Ein paar der übrigen Gäste stimmten in das Gelächter mit ein. Die Stimmung war wieder hervorragend bei Schobecker. Die Fahrer genossen es, unter ihresgleichen zu sein. Natürlich verirrte sich durchaus mal der ein oder andere Feierabendgast ohne Lkw-Führerschein bei Horst Schobecker; jedoch gehörte der späte Nachmittag oder frühe Abend meistens den Truckern. „Ich fahre jetzt zusammen mit einem Kollegen, erzählte Osthagen ernst.

    „Wo ist der?", wollte Brömmer wissen.

    „Wichst bestimmt noch in deiner Zugmaschine!, grölte Porno und alle anderen Frittenbudengäste lachten weiter. Sogar Horst Schobecker gackerte mit, während er die Frittenkelle an seiner fleckigen Schürze abwischte, bevor sie wieder auf den Haken über der Fritteuse kam. „Der ist Muslim. Der isst nur sein eigenes Essen, flüsterte Theo Osthagen fast.

    „Herzlichen Glückwunsch. Du müffelst ihm doch gleich die Bude dermaßen voll, dass allein dein Geruch pure Sünde für ihn ist, laberte Brömmer. Jetzt kochte die Stimmung in der Imbissbude. Plötzlich flog die Tür auf und ein südländisch aussehender, großer, dunkelhaariger Mann mit einem zweihandbreit langen Vollbart betrat den Fresstempel. „Tach, sagte er in die Runde.

    Brömmer nickte ihm zu. „Attila, stellte der Türke sich vor und reichte ihm die Hand, dann begrüßte er Porno per Handschlag. „Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?, fragte Osthagen seinen Kollegen; wahrscheinlich auch, um den anderen zu zeigen, wer in seiner Fahrerkabine das Sagen hatte.

    „Papiere. Die Lieferscheine sind jetzt ordentlich abgeheftet und unsere Stunden im Fahrtenbuch eingetragen", antwortete Attila akzentfrei.

    „Ihr müsst ein Fahrtenbuch führen?" Brömmer blickte Attila fragend an.

    „Nur für uns. Zur Kontrolle. Falls mal bei den Abrechnungen etwas nicht passen sollte", bemerkte Osthagen.

    „Genau", stimmte Attila bei.

    „Kein Festgehalt?, erkundigte sich Brömmer weiter. Die beiden Klötzer-Fahrer schüttelten ihre Köpfe. „Jede Stunde wird bezahlt, meinte Osthagen wichtig.

    „Reich mir mal bitte eine Cola rüber", wandte sich Brömmer an Horst Schobecker, der daraufhin eine eiskalte Dose aus dem Kühlschrank holte und Brömmer stumm in die Hand drückte.

    Einige Gäste verließen Verabschiedungen brüllend und kurz ihre Hand  hebend, den Imbissbudenverschlag. Brömmer und Beethoven schoben ihre Pappteller in den Mülleimer; der Schwingdeckel sammelte weitere Saucenreste ein. „Ich nehme einen halben Flattermann, bestellte Attila und erntete einen bösen Blick von Osthagen. „Wir müssen gleich los, Atti, sprach dieser zu ihm und tippte mit dem Finger auf seine Armbanduhr.

    „Zum Mitnehmen, Horst, rief Attila dem Imbissbetreiber über den Tresen zu. „Sicher nicht, sagte Osthagen bestimmend. „In meinem Lkw wird kein fettiger Fraß gefuttert und die Sitze versaut." Attila blickte Osthagen grinsend an.

    „Entspann dich, Theo. Ich nehme das tote Vieh mit nach Hause."

    „Das wird in einer Stunde sein. Dann ist es kalt."

    „Mikrowelle, Theo. Wir sind zivilisiert und modern. Unser Essen ist inzwischen meistens sogar schon vorher gestorben." Attila lachte und schlug seinem Kollegen freundschaftlich auf die Schulter. Die vier Fernfahrer lachten und grölten gemeinsam, und selbst Horst Schobecker stimmte mit ein, obwohl er Attilas Bemerkung gar nicht gehört hatte; die Abzugshaube

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