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Drauf geschissen
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eBook546 Seiten6 Stunden

Drauf geschissen

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Über dieses E-Book

„Drauf geschissen“ ist Claas Wolkenschlägers Lebensmotto.
Zumindest in peinlichen Momenten oder skurrilen Situationen, die er nicht selten selbst heraufbe-schwört. Bei seiner Ausbildung zum Speditions-kaufmann erlebt er während seiner Lehrzeit und anschließenden Tätigkeit in der Spedition Grobe allerhand merkwürdige Situationen, die nicht selten von seinen notgeilen Chefs ausgelöst werden.
Schließlich gerät auch noch die Einweihung seiner ersten eigenen Wohnung zum Desaster und Claas muss nun auch noch um die Gunst der einzigen Person fürchten, die ihn wirklich interessiert: Seine süße Arbeitskollegin Yvonne ...
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum14. Juni 2023
ISBN9783989112858

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    Buchvorschau

    Drauf geschissen - Udo Fröhlich

    Für's Grobe

    Claas Wolkenschläger, 25jähriger Speditionskaufmann und ehemaliger Gecko-Besitzer, saß in der Mini-Küche seiner Single Wohnung an einem winzigen IKEA-Lerhamn-Tischchen und starrte aus dem Dachfenster. Das kleine Tischchen hatte er kurz nach seinem Einzug gebraucht über eBay-Kleinanzeigen erstanden. Für drei Euro. Claas stieß auf diese Anzeige mit zwei unscharfen Fotos des Möbelstücks und wunderte sich anfangs über die graphischen Verzierungen auf der ansonsten weißen Tischplatte. Irgendwie machte ihn das neugierig. Da es eine Selbstabholer-Anzeige war, hatte sich Claas auf den Weg gemacht und traf bei der Abholadresse auf eine junge, alleinerziehende Mutter mit ihrem elf-jährigen Sohn. Jan-Ole. Das Tischchen stand in Jan-Oles Kinderzimmer.

    „Mein Jan-Ole ist ein begnadeter Zeichner, prahlte die junge Mutter. „Er zeichnet immer und überall. Leider auch überall drauf.

    „Was zeichnet er denn so?", fragte Claas und blickte dabei etwas genauer auf die voll gemalte Tischplatte des Objekts seiner Begierde.

    Pimmel.

    Die Tischplatte war mit Edding-Pimmelzeichnungen vollgekrakelt. Jan-Ole war anscheinend ein begnadeter Pimmel-Zeichner oder auf dem besten Wege dorthin.

    „Raketen und Kanonen!", erklärte Jan-Oles Mutter freudig und verschränkte die Arme vor ihrer riesigen Brust. Claas fiel auf, dass sie keinen BH trug. Ihm kamen sofort Gedanken wie: Im vollbesetzten Bus darf die sich nicht schnell umdrehen. Oder: Wird Jan-Ole noch gestillt?

    Nun wandte er seinen Blick dann doch wieder auf die Zeichnungen. Es waren eindeutig Pimmel. Bei aller aufzubietenden Fantasie konnte Claas da weder eine Kanone noch eine Rakete erkennen.

    „Ihr Sohn malt Schwänze. Also, Penisse."

    Jan-Ole saß währenddessen im Wohnzimmer und sah fern. Seine Mutter blickte nun auch auf die Tischplatte und dann wieder sehr ernst zu Claas. Sie stemmte beide Fäuste in ihre Seiten.

    „Was soll das sein?"

    „Pimmelchen", antwortete Claas ruhig.

    „Jan-Oooleeee! Komm mal bitte in dein Zimmer!", rief sie ihren kleinen Künstler. Er kam prompt.

    „Erkläre bitte dem jungen Mann, der deinen alten Tisch kaufen möchte, was du da für tolle Sachen gezeichnet hast." Dabei wies sie mit einem Finger auf die Tischplatte.

    Jan-Ole blickte mit hochrotem Gesicht auf seinen Tisch und murmelte leise: „O.k.. Kanonen und Raketen. Darf ich weiter Saber Rider gucken?"

    „Natürlich, mein Engel. In einer halben Stunde gebe ich das Dressing über deinen Salat, hörst Du?"

    Jan-Ole nickte und lief mit gesenktem Blick ins Wohnzimmer. Anschließend wandte die Mutter sich wieder Claas zu.

    „Für drei Euro nehme ich ihn sofort mit. Fünf Euro sind mir zu viel."

    Er bekam den Tisch für drei Euro und stellte ihn kurz darauf in seine beengte Küche. Dort saß er nun und blickte verträumt vor sich auf die Pimmel-Zeichnungen. Kanonen und Raketen. Von wegen! Wahrscheinlich war Jan-Oles Mutter deswegen alleinerziehend. Sie fühlte sich jedes Mal angegriffen, wenn ihr Partner seine Kanone oder Rakete in Stellung gebracht hatte.

    *

    Lemmy Kilmister war gestorben. Stefan Raab hatte seine TV-Karriere an den Nagel gehängt. Die Scorpions tourten immer noch auf ihrer Abschied-vom-Abschied-Tour. Black Sabbath gaben ihr letztes Konzert.

    Claas dachte nach. Über sein Leben. Wie alles bisher so gelaufen war. Immerhin war er schon 25 Jahre alt. Unverheiratet. Natürlich. Das hatte ja noch Zeit. Vorher wollte er noch ein bisschen Spaß haben. So wie in den letzten Jahren. Mensch, was hatten seine Kumpels und er alles für eine Scheiße angestellt. Micky und Sebastian hießen die beiden. Manche Aktionen waren aber auch echt peinlich. So im Nachhinein. Bei genauerer Betrachtung waren das alles Handlungen, um auf sich aufmerksam zu machen oder so etwas wie ein kleines Rebellieren. Ein Aufbegehren. Aber wogegen eigentlich? Gegen den Nicht-Spaß im Leben. Gegen das Erwachsen-Sein oder zunächst das Erwachsen-Werden. Genau. Oder? Drauf geschissen.

    *

    Claas kaute gedankenverloren auf einem dick belegten Sandwich herum. Die lila BATMAN-Wanduhr mit den gelben Ziffern und schwarzen Zeigern zeigte kurz nach sieben Uhr an. Er hatte also noch Zeit, bis er zur Arbeit starten musste.

    Vor ungefähr vier Jahren war es Claas gelungen, sich an seine eigene Arbeitsgleitzeit bei Spedition Grobe („Wir sind für 's Grobe), seinem Ausbildungsbetrieb und derzeitigen Arbeitgeber, heranzutasten. Früher rumpelte Claas immer kurz vor acht Uhr mit seinem schwarzen Jeep Grand Cherokee auf den Mitarbeiterparkplatz. Irgendwann hatte er aber festgestellt, es reichte vollkommen aus, bis 8.15 Uhr dort einzuparken, weil der Senior-Chef, der „Alte genannt, selbst nie vor 8.30 Uhr auf seinen reservierten Parkplatz fuhr, um den dunkelblauen 7er BMW abzustellen. Denn Georg „der Alte Grobe achtete penibel darauf, wer von seinen Mitarbeitern ( „Die kriegen alle meine Kohle!) bereits geparkt und somit den Dienst angetreten hatte oder erst gleichzeitig mit ihm auf die asphaltierte Fläche rollte, was eindeutig „zu spät" bedeutete. Den Anschiss bekam man unmittelbar auf dem Parkplatz. In einer Lautstärke, dass die gesamte Disposition und Lagerkolonne bis Rampentor 13 Bescheid wussten.

    Eigentlich war bei Spedition Grobe zwischen sieben Uhr und acht Uhr Arbeitsbeginn. Jede verspätete Minute wurde mit Lohnabzug bestraft. Ab acht Uhr sollte ein Kunde auf jeden Fall jemanden erreichen können. Maxime vom Senior-Chef.

    Claas' Kolleginnen und Kollegen aus den Büros trudelten also alle irgendwie bis acht Uhr ein. Lediglich die Jungs der Verladekolonnen vom Versandlager starteten jeden Morgen um sieben Uhr ihre Beladungen. Die dazugehörigen Ladepapiere wurden immer einen Tag vorher von den Disponenten an den entsprechenden Rampentoren auf die Lieferscheinpulte gelegt.

    Den Parkplatz vom „Alten kennzeichnete ein zerbeultes Auto-Nummernschild mit dem Kfz-Kennzeichen des BMW . Es war an eine Metallstange geschraubt und von einem der hauseigenen Kfz-Schlosser in die Teerdecke gerammt worden. Allerdings stellte Grobe Senior seine Limousine oftmals ein wenig zu dicht an die Parkplatzmarkierung und daher musste besagter Schlosser häufiger mal das Nummernschildblech wieder gerade biegen. „Das „G hat einen Knick!" Mehr brauchte der Alte nicht zu sagen.

    So gegen 8.15 Uhr fühlte sich für Claas nun seit einiger Zeit als Start in den Arbeitstag gut an. Seltsamerweise wies seine Stempelkarte aber immer eine Arbeitsbeginn-Stempelzeit zwischen 7.30 Uhr und 7.50 Uhr auf. Und das lag an Claas' besonderem Trick: Die Stempeluhr, ein sehr altes, analoges Gerät aus den 70er-Jahren (Stechuhr genannt), wurde noch mit Stempelkarten aus hartem Karton bedient. Man schob diese in einen Schlitz oberhalb vom Gehäuse, drückte die Karte kurz herunter und vernahm das Geräusch des Zeitstempels, wenn die Uhrzeit aufgedruckt wurde. Sie wurde drauf gehämmert. Eingestanzt. In dem Ding steckte ein „Mini-hau-den-Lukas. Denn es ertönte ein sehr, sehr lautes „Pling! beim Stempeln. Anschließend wurde die abgestempelte Stechuhrkarte zurück ins Mitarbeiterstempelkartenregal gesteckt; in das dazugehörige Fach mit der entsprechenden Personalnummer. Frau Säbstett, die Leiterin des Personalbüros und ewige Single-Dame („Alte Jungfer, wie Grobe Senior immer meinte, „die wollte keiner haben.), wertete diese Karten immer am Monatsende aus, um die Lohn- und Gehaltsabrechnungen zu bearbeiten.

    Für seinen Stempelzeiten-Trick benutzte Claas beim Abstempeln einen sehr starken Magneten, den er vor längerer Zeit mal aus einer Lautsprecherbox heraus gebaut hatte. Genauer: Die Box war ihm beim Umsetzen im Zimmer heruntergefallen. Leider knallte sie dabei mit einer Ecke direkt auf die Fliesen. Die Box sah danach an dieser Stelle etwas abgerundet aus. Außerdem war auch ein wenig Lack abgeblättert. Für Claas vom Design her nicht mehr tragbar. Das Auge hörte schließlich mit. Wozu arbeitete er? Genau, um sich Metal-CDs, Konzert-Tickets und neue Boxen gönnen zu können. Also wurde die beschädigte Box einfach mal aus purer Neugierde zerlegt und dabei entdeckte er den Monster-Magneten am Basslautsprecher. Die Idee, damit die Stempeluhr seines Arbeitgebers zu manipulieren, kam ihm relativ schnell.

    Lautsprechermagnete haben eine ungeheure Anziehungskraft. Das hatte Claas aus dem Physikunterricht und „Galileo" mitgenommen. Ein paar Tage später startete er den ersten erfolgreichen Versuch an der Stempeluhr.

    Claas konnte den Minutenzeiger zurückstellen, indem er den Magneten über die Sichtscheibe der Stempeluhr bewegte, sodass der Blech-Zeiger in die gewünschte Position gezogen wurde. Stempelkarte einstecken, „Pling! Nach dem Stempelvorgang schob Claas den Zeiger natürlich wieder an die ursprüngliche Stelle zurück, ging erneut zu seinem Wagen und verstaute den Magneten wieder im Handschuhfach. Von dem Tag an wurde in die Arbeitszeit geglitten. Diesen Trick (Claas wollte nicht von Betrug sprechen. Angemessene Gleitzeitbestätigung fand er besser) ließ er auch schon mal der ein oder anderen hübschen Auszubildenden zugute kommen. In lockeren Gesprächsrunden mit den Mädels während der Arbeitspausen, lenkte Claas ein Gespräch gerne mal in diese Richtung. „Aber schön das Schnäuzchen halten!

    Bei denen hatte Claas dann natürlich einen besonders dicken Stein im Brett. Das war ja schließlich seine Absicht. Speziell an manchem Montag, wenn das Wochenende bei den jungen Dingern zu heftig ausgefallen war, kam Claas' Magnet zum Extra-Einsatz. Aus müden und verquollenen Augen sahen ihn die verspäteten Mädchen flehend vor der Stempeluhr an. „Claas, bitte zehn Minuten!"

    Da die Stempeluhr ziemlich einsam und verlassen, also unbeobachtet, zwischen Dispositionsbüro und Versandlager an der Wand hing, gab Claas dem Flehen der Mädchen sehr häufig nach und holte für diese heimlichen Gefälligkeiten den Magneten aus seinem Jeep. Verspätungen wurden von Frau Säbstett während ihrer Lohnabrechnungstätigkeit sofort an den alten Grobe gemeldet und auch das gab dann immer mächtig Ärger („In eurem Alter war ich disziplinierter! Wer säuft, kann immer noch pünktlich zur Arbeit kommen!") und besagten Gehaltsabzug. Die Kohle fehlte natürlich im Party-und Schminkbudget der Mädels. So konnten die Auszubildenden dank Claas ein paar Minuten länger vor ihrem Schminkspiegel verbringen, um zumindest die optischen Spuren des Partytreibens zu beseitigen. Immerhin hatte Claas dadurch schon das ein oder andere Date bekommen.

    Die weiblichen Auszubildenden waren aber auch wirklich sehr attraktiv. Annähernd Models. „Heidi-Klum-Kandidatinnen".

    Sie mussten beim Vorstellungsgespräch das „Grobe-Casting durchlaufen: Unter anderem im zweideutigen, schlüpfrigen Small-Talk mit beiden Chefs bestehen, lasziv gucken, albern herum kichern und wissen, wie die Hauptstadt von Italien heißt. Je nach äußerem Erscheinungsbild, ließ die „Jury Athen noch durchgehen.

    Die „Jury bestand aus Grobe Senior und seinem „Ich knalle alles weg, was mir vor's Rohr kommt -Sohn Philipp. Das Zeugnis dieser Bewerberinnen war meistens megaschlecht. Der Notendurchschnitt war aber irrelevant, wenn das Bewerbungsfoto auch auf der Penthouse- Titelseite bestehen konnte. Die Ausbildungsstelle zur Speditionskauffrau war bei entsprechendem Pornodarstellerinnen-Aussehen und Verhalten trotzdem sicher. Die Bewerberinnen freuten sich dermaßen, überhaupt einen Ausbildungsplatz ergattert zu haben, obwohl sie keine zwei Haupt- und Nebensätze geradeaus sprechen konnten. „Suuupiii! Geiiiil!", quiekten die jungen Damen und hüpften auf ihren High Heels aus dem Chefbüro. Gut, die ein oder andere Ausnahme (sexy und intelligent) war auch schon dabei gewesen. Scheinbar wollten allerdings derartige Auszubildende bessere (weil besser bezahlte) Ausbildungsplätze und nicht unbedingt den zur Speditionskauffrau bei Spedition Grobe. In manchen Unternehmen musste eben doch das Zeugnis überzeugen und nicht die Titten oder der Arsch. Drauf geschissen.

    Die Chefs stellten nun mal auch für's Auge ein. Sie stellten eigentlich nur für's Auge ein. Lediglich die männlichen Azubis mussten schon etwas auf dem Kasten haben. Deren Vorstellungsgespräche entwickelten sich deshalb allzu oft zu einem Geographie-Quiz. „Wo liegen die Dolomiten? Sag jetzt nicht: Im Eisfach! Den alten Gag brachte Grobe-Senior immer. Ihm war es völlig egal, dass seine jungen Bewerber die Anspielung auf den 90er-Jahre Langnese-Kracher „Dolomiti meistens nicht verstanden.

    Alle drei Jahre gab es dann „Frischfleisch. Die jeweils ausgelernte Spediteuse wurde zwar nicht unmittelbar entlassen, aber von beiden Chefs absolut respektlos behandelt. Sozusagen aus der Firma herausgeekelt. Meistens mit der Übertragung von unwürdigen, langweiligen und sinnlosen Arbeiten. Ablage im muffigen Kellerarchiv, den Katakomben der Spedition zum Beispiel. Hier lag sicherlich auch noch der Gründer August Wilhelm Grobe in einem der Regale und moderte vor sich hin; war Claas' Vermutung oder die Auszubildende wurde auf dem Möbellager als Lieferscheinkontrolleurin beim Entladen der angelieferten Ware eingesetzt. Vornehmlich samstags. In Gesellschaft der netten, notgeilen Möbelpacker, die sabbernd ihre Sackkarren von Rampe zu Rampe rollten und die weibliche Auszubildende lüstern anglotzten. Konversation fand kaum oder nur mit obszönen Sprüchen statt. „Ich höre so gerne, wenn Du Lattenrost auf Tor 12 sagst, Michelle.

    Das hielt meistens keine Auszubildende lange aus. Viele Mädels kündigten dann. Spätestens jedoch, wenn der alte Grobe oder sein ungehobelter Sohn Philipp selber „Hand anlegten. Und das war wörtlich gemeint. Der Klaps auf den Po war noch das Harmloseste. Meistens fingen beide Grobes auf einer Weihnachtsfeier an zu fummeln und zu grapschen. Vornehmlich, wenn sie zum „Du übergingen.

    Der alte Georg Grobe war kurz nach der Silberhochzeit von seiner Ehefrau verlassen worden. Man munkelte im Firmenbuschfunk, die Senior-Chefin hatte sich vor längerer Zeit schon einen sehr jungen Toy-Boy zugelegt und genoss ihren Lebensherbst. Vielleicht war auch schon Wintereinbruch bei ihr.

    „Die Feier hat die Alte noch mitgenommen!", nörgelte der Alte immer dann, wenn er von seiner Trennung erzählte. Claas wunderte das eigentlich nicht. Erstaunlich, überhaupt 25 Jahre mit so einem Klotz ausgehalten zu haben. Vielleicht war er ja früher charmant und sexy gewesen . Vielleicht war er aber damals schon dickbäuchig, ständig schwitzend und proletenhaft, aber seine Frau fuhr total darauf ab. Gruselige Vorstellung. Oder wieder mal das Geld als Geilheitsfaktor. Die Zahl auf dem Kontoauszug am Ende des Monats stimmte. Sieglinde Grobe konnte wieder die Kreditkarte ihres Mannes zum Glühen bringen. Wie geil!

    Nun aber war der Alte seit zwei Jahren Single und benahm sich auch entsprechend.

    Grobe Junior war nicht besser. Philipp Grobe, gerade 30 Jahre alt geworden, hatte diesen Geburtstag mit einer feucht fröhlichen Mallorca-Party im Speditionslager mit der gesamten Belegschaft und ein paar Geschäftsfreunden gefeiert. Er schmiss eine Motto-Party „On the Beach. Dafür ließ er drei Lkw-Ladungen Sand ankarren und vor den letzten beiden Rampentoren abkippen. Darauf wurde die Cocktailbar platziert, einige Liegestühle aufgestellt und ein ausschließlich Reggae abspielender DJ engagiert. Am „Strandgrill fanden 400 Würstchen ihre Abnehmer. Das Dessert-Buffet landete zu später Stunde zum Teil im Sand, sodass sich Schokoladenpudding und Vanilleeis zu einer ekligen Matsche verbanden.

    Nach dieser Feier rutschte am darauffolgenden Montag der süßen Auszubildenden Michelle das „Du" bei Philipp Grobe heraus und Claas hatte es zufällig mitbekommen. Zu dem Zeitpunkt wurde Michelle auch von Claas umworben. Er hatte so einige Male den Magneten über das Stempeluhrziffernblatt gleiten lassen, wenn Michelle um 8.15 Uhr kreidebleich aus ihrem Polo kletterte und eigentlich 15 Minuten zu spät zur Arbeit gekommen wäre.

    Doch bisher waren seine Versuche, den obligatorischen Kaffee mit ihr trinken zu gehen, gescheitert. Als sie nun den Juniorchef in Claas' Beisein duzte, konnte Claas sich gleich bildlich vorstellen, was noch passiert sein musste, nachdem er die Feier verlassen hatte. Aber auch Michelle fand sich irgendwann im Muff des Archivs wieder und drei Monate später hatte sie gekündigt. Drauf geschissen.

    Auf der besagten Geburtstagsfeier erschien natürlich auch Philipp Grobes Clique. Lauter Schickimickis, wie Claas fand. Er hatte die ein oder andere oder den ein oder anderen schon öfters in Philipps Büro angetroffen und war dabei in Gespräche geraten, die fast ausschließlich um teure Urlaube, unbezahlbare Autos oder operierte Frauen gingen. „Was sagst Du dazu?", fragte Philipp ihn dann nebenbei und süffisant, obwohl er natürlich wusste, dass Claas als Gehaltsunterschichtler eigentlich gar nichts zu solchen Themen beitragen konnte.

    Tat dieser aber. Besonders nachdem er das mit Michelle wusste oder es sich in manch schlaflosen Nächten mit wilden Fantastereien ausgemalt hatte. Dieses Mal ging es thematisch wieder mal um schnelle, teure Autos. Wie den Audi TT, den derzeitigen Boliden vom Junior-Chef. „Ein Audi TT ist doch ein Schwanzersatz. Darum hab' ich mich mit meinem Jeep angepasst." Diesen Spruch brachte Claas, obwohl Philipp in dem Moment Damenbesuch im Büro hatte. Jennifer, das damalige heiße Spielzeug vom Junior-Chef, kicherte, Philipp fiel die Kinnlade herunter und Claas legte den Ordner, den Philipp angefordert hatte, locker auf dessen Schreibtisch ab und verließ wieder das Büro. Von Philipp kam dazu später seltsamerweise keine Reaktion oder gar Anschiss. Hatte ich wohl Recht, dachte Claas. Oder der Spruch war bei Jennifer einfach gut angekommen und daher von Philipp unkommentiert stehen gelassen. Egal. Drauf geschissen.

    Philipp Grobe hatte nach seinem Abitur ein Wirtschaftsstudium in den USA angefangen. Wo genau, wusste Claas nicht mehr. Irgendwo in Kalifornien, in der Nähe von San Francisco, weil Philipp mal erzählte, er hätte nach einer Party von der Golden Gate Bridge herunter gekotzt. Aber Philipp musste das Studium abbrechen, da er mehrfach betrunken am Steuer seines Miet-BMW („Die Amis lieben German Cars) erwischt worden war. Die Mitstudenten seiner WG kifften und tranken zwar genauso oft und viel wie er, nur stellten sie sich dabei anscheinend ein wenig geschickter und vor allen Dingen unauffälliger an. Außerdem waren sie amerikanische Staatsbürger und so wurde Philipp nach drei weiteren Auffälligkeiten und einem Drogenfund in seinem BMW , nicht nur vom Campus sondern auch des Landes verwiesen. Der alte Georg Grobe tobte, kochte und schrie vor Wut die ganze Spedition zusammen. Das waren 25 Berufskraftfahrer, zehn Handelsfachpacker und Frau Säbstett, die halbtags in der Buchhaltung arbeitete und von Georg Grobe nur „Püppi gerufen wurde. Claas sprach sie natürlich respektvoll mit „Frau Säbstett an und versuchte das „ä und „e exakt zu betonen. Darauf legte sie großen Wert. Zwei Damen (älteren Semesters) in der Auftragserfassung, zwei Disponenten mit dem Dispositions-Leiter Herrn Kremer in der Tourenplanung, eine Sekretärin oder Assistentin oder Gespielin der Geschäftsleitung (das Tittenmonster der Chefs) und drei Mann in der eigenen Lkw-Werkstatt, die sich um den Zustand des Fuhrparks zu kümmern hatten. Dazu gehörte auch der 7er BMW vom alten Grobe und die ständig wechselnden Sportmodelle vom Junior. Aktuell mal wieder ein Audi TT. In rot. Mit jeder neuen Freundin, so schien es, wurde von Philipp Grobe auch der fahrbare Untersatz gewechselt. „Man will ja schließlich nicht in Erinnerungen unterwegs sein.

    Diese drei Männer aus der Lkw-Werkstatt waren wirklich vom Fach oder konnten zumindest super improvisieren. Der alte Grobe hielt viel von ihnen. Claas wusste jedoch, dass die Werkstatt-Jungs gerne mal einen Lkw mit geöffnetem Motorraum (Dabei wurde die Fahrerkabine komplett nach Vorne geklappt, als ob die Zugmaschine kotzen würde) in der Werkstatt stehen hatten, um Arbeit vorzutäuschen, wenn der Alte in der Mittagspause vorbeischaute. Völlig ausgelastet waren die drei sicherlich nicht. Die Lkws (Sattelzugmaschinen. Damit wurden die Möbelauflieger gezogen) waren ja meistens unterwegs und kamen oft erst am Samstagvormittag von ihren Touren zurück. Unter der Woche hieß es immer mal kurz: Abschmieren und Ölstand überprüfen. Sehr lange durften die Zugmaschinen nicht stehen bleiben. „Was nicht rollt, bringt nichts rein! waren die Worte vom alten Grobe. Oder: „Wir fahren zur Not auch Scheiße. Hauptsache, der Kunde zahlt!

    Auf jeden Fall hatte Philipps Rausschmiss aus dem Studium und die Ausweisung aus den Staaten Georg Grobe viel Geld gekostet. Zuerst die Uni-Zulassung, dann die Kaution, der Anwalt und später die Strafe beliefen sich wohl auf ein so hohes Sümmchen, dass er einen Lkw verkaufen und den dazugehörigen Fahrer entlassen musste. „Scheiß Amis! So posaunte Georg Grobe es des Öfteren heraus, wenn er mal wieder Streit mit seinem Junior hatte. Das war in letzter Zeit überwiegend der Fall. „Du haust die ganze Kohle raus!, schrie Georg Grobe seinem Sohn häufig hinterher, wenn dieser wieder Tür knallend das Büro verlassen hatte.

    Philipp Grobe erzählte dagegen immer gerne von seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ob der jeweilige Zuhörer nun wollte oder nicht. „San Francisco ist geil!" Während der drei Monate hatte er aber wohl lediglich die Barszene San Francisco's ausgiebig kennengelernt. Doch das war nun alles Geschichte. Der alte Grobe versuchte seitdem immer wieder, Philipp in das Speditionsgeschäft einzuführen. Ganz klar, er sollte irgendwann mal den Laden übernehmen.

    Doch Junior machte viel lieber Party und kaufte sich schnelle Autos, in die er sich die willigsten Mädchen packte, oftmals eben auch Auszubildende. Philipp brachte so einiges von dem Geld, das ihm sein Vater monatlich zahlte, durch. „Von irgendetwas muss der Junge ja leben. „Irgendetwas waren immerhin 15.000 €. Das bekam Claas zufällig mal bei einem Gespräch zwischen Püppi und dem alten Grobe mit. Claas schaute gerade bei Frau Säbstett ins Büro, um ihr ein „Mahlzeit! zu zuflöten. Georg Grobe stand vor ihrem Schreibtisch, die Hände darauf abgestützt und sagte zu ihr: „Püppi, Sie überweisen dem Bengel wie immer seine 15 Tausend und nicht einen Cent mehr. „Püppi nickte, ohne ihm dabei in die schlitzartigen Augen zu schauen sondern klimperte munter weiter auf ihrer Tastatur herum. Der Alte drehte sich schnaufend weg und stampfte aus dem Büro heraus. „Mahlzeit, wünschte Claas ihm überschwenglich freundlich und machte seinem Chef im Türrahmen Platz. Zehn Meter weiter kam ein „Mahlzeit!" vom Senior zurück. Immerhin. Junior hatte bei Frau Säbstett wohl um mehr Geld gebettelt und anscheinend ließ sie sich solche Forderungen zunächst mal von dessen Vater absegnen. Schließlich gehörte ihm die Spedition. In diesem Fall wurde dann eben abgelehnt. Der arme Philipp musste also weiterhin mit seinen jämmerlichen 15 Tausend Euro im Monat klar kommen. Da war strenge Spardisziplin gefragt und wöchentliche Studien der ALDI-Angebote gefordert, dachte Claas und grinste auf dem Flur zur Disposition.

    Philipp Grobe arbeitete, beziehungsweise saß seine Anwesenheitsstunden in einem eigenen Büro im Obergeschoss des Speditionsgebäudes mit modernen weißen Möbeln, einem Glasschreibtisch und einem Pirelli-Kalender an der Wand, ab. Allzu oft war er nicht im Büro anzutreffen. Der alte Grobe dagegen war täglich im operativen Einsatz und als Single blieb er noch länger in seiner Firma. Grobe Senior machte jeden Tag im Gebäude das Licht aus.

    *

    2011 ging es seiner Spedition sehr schlecht. Hauptsächlich wurden Neumöbel von seiner Lkw-Flotte transportiert und dem alten Grobe waren zwei Großkunden, für die er Küchen auslieferte, abgesprungen oder pleite gegangen. Das ließ fest kalkulierbare Umsätze und gute Gewinne schrumpfen. Und auf die Schnelle bekam er keine vergleichbaren Ersatzkunden akquiriert. Auf Philipp brauchte Georg Grobe sich da überhaupt nicht zu verlassen. Meistens würden die Kunden ihn eher für einen Zuhälter halten, als einen ordentlichen Kaufmann, sobald Philipp irgendwo auftauchte und zu reden anfing. In dem Jahr stand deswegen auch Claas' Job auf der Kippe. Er sollte entweder entlassen werden oder zumindest für weniger Geld und einem Änderungsvertrag auf dem Lager, statt im Dispositionsbüro arbeiten. Der alte Grobe wollte das der Belegschaft als Sparmaßnahme und Verkleinerung des Verwaltungsapparates klar machen. „Die Sesselfurzer werden zu teuer. „Du kannst bleiben. Aber Du gehst zunächst mal auf's Lager. Verstehst Du?, wandte er sich an Claas.

    „Drauf geschissen, dachte Claas und wollte bleiben. Außerdem hielt sich seine Lust, wieder Bewerbungen zu verfassen und abzusenden, um anschließend bei Vorstellungsgesprächen den Münchhausen oder Pinocchio zu geben, stark in Grenzen. Eventuell konnte er bei besseren Zeiten dann wieder einen Gehaltssprung machen. Am Wichtigsten war ihm eigentlich, er blieb in Yvonnes Nähe. Seiner Traumfrau. Seitdem Yvonne ihr Vorstellungsgespräch hinter sich gebracht hatte (und sogar „Rom wusste) , war Claas von diesem blonden Engel mehr als angetan. So unterschrieb Claas bei Frau Säbstett seine Änderungskündigung.

    Desweiteren wurde einer der beiden Disponenten entlassen. Dieser hatte hauptsächlich mit den Kunden zu tun, deren Transportaufträge es nun nicht mehr gab. Seitdem war Claas die meiste Zeit auf dem Versandlager, bekam aber immer mal wieder die Möglichkeit, in der Disposition auszuhelfen, wenn Urlaubsvertretungen oder Krankheitsausfälle überbrückt werden mussten. Eigentlich war die Disposition nun tatsächlich sogar unterbesetzt. Diese Arbeit machte ihm auch wesentlich mehr Spaß. So kam Abwechslung in seinen Arbeitsalltag.

    Natürlich gab der alte Grobe seinem Sohn eine Mitschuld an der Firmenkrise. „Hast Dich nicht genug um die Kunden gekümmert. Ich kann das nicht alles alleine machen! Er hatte Recht, aber es änderte nichts daran, dass Philipp sich weiterhin lieber um Partys, Frauen und schnelle Autos kümmerte, als Geschäftskunden bei Laune zu halten. Manchmal ging es aber nicht anders. Beschwerten sich nämlich diese vernachlässigten Auftraggeber vermehrt über unzuverlässige Lieferungen und drohten sogar mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen, schmiss Philipp einfach einen Fahrer raus, der vermehrt Touren für diesen Kunden fuhr und brachte so im Grunde genommen nur ein Bauernopfer. Sein Vater bekam davon häufig gar nichts mit. Philipp besprach seine Vorhaben sehr oft im Alleingang mit Püppi Säbstett. Die musste in so einem Fall ihre abgespeicherten Lückentext-Kündigungsschreiben im PC aufrufen und entsprechend absenden. Das tat sie sogar ohne Rücksprache beim „Alten. Da war „Püppi" ziemlich abgebrüht und machte einfach ihre Arbeit.

    Philipp verfasste anschließend ein Entschuldigungsschreiben an den betroffenen Kunden, um darin die Entlassung des Fahrers, der „unverantwortlich gearbeitet hatte und „dass so etwas nie wieder vorkommen würde, zu verpacken. Das Kündigungsschreiben wurde zum Beweis in Kopie mitgeschickt. Der Kunde sollte sehen, bei Spedition Grobe handelte man und ließ sich ein derartiges Gebaren vom Fahrpersonal nicht bieten. Dabei war es eigentlich ausschließlich die Schuld der unterbesetzten Disposition, die utopische Terminvorgaben mit unrealistischen Lieferversprechungen bei der Tourenplanung von den Fahrern verlangte. „Wir fahren Lkw und fliegen keine Helikopter!", schrie irgendwann einer der Fahrer wütend hinter dem Dispo-Tresen und hätte den Disponenten fast über selbigen gezogen. Als von einem weiteren Kunden über einen längeren Zeitraum Aufträge ausblieben, wurde wieder ein Lkw verkauft und die Entlassung eines Fahrers folgte unmittelbar darauf.

    Die Zugmaschinen wurden zum größten Teil von Einzelfahrern bewegt. Das hatte für einen Fahrer den Vorteil, sozusagen seinen eigenen Lkw zu fahren, anstatt ständig in fremden, von Kollegen vollgeschwitzten Lkw-Kojen die Pausen und Nachtruhezeiten zu verbringen oder deren verklebte Porno-Heftchen wegzuräumen. So war jeder für die Sauberkeit und Ordnung seines Arbeitsgerätes (und das waren die Lkw für die Fahrer) selber verantwortlich. Auch technische Probleme besprach der jeweilige Fahrer selbstständig direkt mit den Mitarbeitern der Lkw-Werkstatt („Hinten links ist sie blind sorgte für das Wechseln der Rücklichtbirne). Wurde nun wieder eine Zugmaschine verkauft, aber kein neues Fahrzeug angeschafft, (was es tatsächlich ab und zu auch mal gab), stand der dazugehörige Fahrer möglicherweise auf der Straße. Nicht unmittelbar. Vor dem Ablauf der Kündigungsfrist wurde so ein Kraftfahrer als Rangierfahrer auf dem Hof der Spedition eingesetzt, damit er nicht noch „dummes Zeug bei den Kunden erzählen konnte. So musste er die täglich zu beladenen Auflieger mit einer uralten Rangier-Zugmaschine (Die Betriebsnutte. Da durfte jeder mal drauf) vom Aufliegerabstellplatz holen, um sie vor die jeweiligen Rampentore zur Beladung abzustellen.

    Das geschah normalerweise immer im Wechsel unter den Kraftfahrern. Jeden Tag musste mal ein anderer Fahrer diese stupide Aufgabe erledigen, bevor er nachts oder am frühen Morgen (nach seiner gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit; zwinker-zwinker) die nächste Tour startete und ausrollte. Immer unterwegs zu zufriedenen Kunden (zwinker-zwinker). Nach seiner Kündigung sollte nun Walter Friesen während der kompletten Kündigungsfrist das Rangieren übernehmen. Gerade für einen Fernfahrer wie Walter eine derbe Enttäuschung und Demütigung. Seit sieben Jahren war er bei Spedition Grobe beschäftigt und hatte seitdem immer treu und gewissenhaft seine Küchenmöbel zu den Küchenstudios geliefert. Oftmals in Innenstadtlage. Ein Graus für jeden Trucker, wenn er mit 18 Meter Fahrzeuglänge durch die Fußgängerzone musste. Küchenteile ohne Fahrstuhl in die dritte Etage zu schleppen, war für Walter kein Thema. Diesel im Blut und die Deutschlandkarte im Hirn. Walter brauchte kein Navi, das stand mal fest. Doch seit gestern hieß es: Hofdienst. Das Kündigungsschreiben hatte Walter bereits per Einschreiben am Samstag erhalten. Dispositionsleiter Kremer erwartete ihn am Montag im Dispositionsbüro, um mit ihm die nächsten sechs Wochen seiner Kündigungsfrist zu besprechen („Sechs Wochen lang ist die Hof-Nutte deine Freundin). Walter konnte auch den „gelben Urlaub nehmen: Die Krankschreibung vom Arzt. Doch er hatte einen anderen Plan.

    Walter war so richtig sauer und unglaublich enttäuscht. Zunächst hörte er sich das obligatorische Gebrabbel von Kremer an. Klar, der konnte ja nichts dafür. Wenn Küchen-Moning pleite ging, war das sicherlich nicht Kremers Schuld. Dass man ihm, Walter Friesen, aber nicht andere Ausweichtouren übertrug sondern gleich rausschmiss, das hatte ganz bestimmt der Junior-Grobe, Philipp, dieser notgeile Arsch, zu verantworten.

    Walter hatte schon öfters mitbekommen, wenn die beiden Chefs Meinungsverschiedenheiten in der Disposition austrugen. Dabei fielen oft die Worte „deine Schuld und „schwanzgesteuerter Nichtsnutz vom Senior. Philipp nahm die Beschimpfungen überwiegend schweigsam hin. Respekt vor seinem Vater? Wahrscheinlich ging er dabei gedanklich bereits die Fahrerliste durch, um sein nächstes Opfer herauszustreichen. Dieses mal traf es eben Walter Friesen. Philipp ließ Walter diese Demütigung und niedere Arbeit des Rangierens von seinem Chefdisponenten Kremer an den Mann bringen. Die Worte kamen aus Kremers Mund und rauschten einfach durch Walters Schädel hindurch. Beim linken Ohr rein und aus dem rechten wieder raus. Das stumpfe „Auflieger mit Rangiermaschine aufnehmen und vor die Rampentore setzen" wollte Walter sich auch nicht allzu lange antun. Die nächsten sechs Wochen kein Autobahnkreuz durchfahren und keine fette Currywurst an der Raststätte. Nicht mit Walter. Sieben Jahre zufriedene Kunden beliefert. Manchmal die Faust in der Tasche geballt, wenn mal ein Kunde frech wurde. Ärger herunterschlucken. Den Dampf am Dispositionstresen ablassen. Das war Walter Friesen.

    An einem Samstagvormittag sollten wieder Auflieger für die Restverladungen einiger Touren der kommenden Woche an die Rampen bewegt werden. Statt vor Rampe 13 schob Walter einen Auflieger direkt in das Heck des neuen Audi TT von Philipp Grobe, sodass der Wagen zusätzlich noch mit der Front gegen ein Stahlgeländer gepresst wurde. Dieses Geländer begrenzte den Kellerschacht zum muffigen Ablagearchiv.

    Der Audi hatte Totalschaden. Philipp Grobe sprang aufgrund des Lärms, der vom Speditionshof durch sein geöffnetes Bürofenster drang, hinter seinem Schreibtisch auf und rannte zum Fenster. „Dieses blinde Arschloch! Den schmeiß ich raus! Der alte Grobe verdrehte im Nachbarbüro nur die Augen und rief durch seine offen stehende Bürotür: „Hast Du schon!

    Kremer hatte ihn heute Morgen unterrichtet, nachdem die letzten Entlassungen immer Alleingänge von Philipp gewesen waren. Walter Friesen war für Kremer eine andere Nummer, wie er es nannte. Da hielt er es für angemessen, auch den Senior-Chef in Kenntnis zu setzen. Doch leider nahm Georg Grobe es tatsächlich nur zur Kenntnis. Der Firma musste es wohl wirklich richtig schlecht gehen, wenn der Alte so gar nichts dazu sagen wollte.

    Der Auflieger entfernte sich metallisch quietschend vom Sportwagen, nahm noch einen hinteren Audi-Kotflügel ein paar Meter mit und wurde dann schließlich ordnungsgemäß vor Tor 13 abgesetzt. Walter Friesen kletterte aus der Rangiermaschine. Am Auflieger war nichts von dem Unfall zu sehen. Fast. Ein zerbrochenes Rücklicht und die Heckstoßstange ein wenig eingebeult. Das würden die Ex-Kollegen aus der Werkstatt schon hinbekommen.

    Walter Friesen kam etwas später mit stolz geschwollener Brust in das Dispositionsbüro, knallte den Lkw-Schlüssel auf den Tresen und sagte zu Kremer: „Feierabend! Ich muss zum Arzt. Mir ist übel."

    Mehrere Rolltore der Verladerampen waren geöffnet und alle Packer der Verladekolonnen hatten sich dort versammelt und klatschten Beifall. Es ertönten auch anerkennende Pfiffe. Philipp Grobe raste vor Wut und rannte die Treppe hinunter nach draußen zu seinem Audi TT oder zu dem, was davon noch übrig war. Der Audi TT war von den 480 PS der Rangiermaschine ordentlich in die Mangel genommen worden. Mit zusammengequetschtem Heck und zusammengedrückter Frontpartie stand der ehemals rundlich designte Sportwagen nun als roter Blechwürfel vor dem Archivkellergeländer. Es liefen Öl und Wasser unter dem Wrack hervor.

    „Ich schmeiß Dich raus!, schrie Philipp immer wieder, während er das Wrack, welches mal sein Sportwagen war, begutachtete. „Hast Du schon!, rief der Rangierfahrer, als er nach draußen trat und fügte hinzu: „Außerdem hat dein Papa immer gesagt, dass diese Fläche zum rückwärts setzen der Rangiermaschine freibleiben muss. Da rutscht man mal einmal von der Kupplung... Was stellst Du Deine Proletenkarre da auch hin!"

    Mit einem schelmischen Grinsen ging Walter Friesen in aller Ruhe zu seinem Pkw und stieg ein; mit dem ruhigen Gewissen, dass Spedition Grobe sowieso dagegen versichert war und mindestens zehn Kollegen bestätigen konnten, wie unschuldig er an dem kleinen Missgeschick war. Auf der Rangierfläche bestand nun mal Halteverbot. Ach, drauf geschissen.

    Ein Huhn?

    Die Remoulade und der zerlaufene Käse quollen an allen Seiten aus Claas' Sandwichmaker heraus. Darin befanden sich kross getoastete Weißbrotscheiben, so wie er es am liebsten aß. Viel Senf auf dem Kochschinken, reichlich Remoulade auf dem Gouda. Der Sandwichmaker-Deckel musste brachial zugedrückt werden, so dick waren die Brotscheiben von Claas belegt worden. Die Remouladen- und Käsereste am und rund um den Sandwichmaker waren zum Teil schon ein wenig älter. Bei jedem neuen Toastvorgang lag ein besonderes Flair in der Luft. In der Mini-Küche roch es dann immer, als ob angebrannte Weißbrotscheiben in altem Fett bruzzelten. Es stank ähnlich wie in einer schlecht laufenden Imbissbude. Dort ließ sich das alte Frittenfett bekannterweise auch immer aus allen übrigen Gerüchen (Schweiß, Urin und Fürze) herausschnüffeln. Wenn die Remouladenreste irgendwann richtig fest angetrocknet waren, kratzte Claas sie mit seinem Brotmesser aus dem Sandwichmaker heraus. Und nur dann! Da das Brotmesser allerdings häufig ebenfalls voller Senf und Remoulade war, lagerten sich immer wieder neue Reste auf den Sandwichmaker-Hitzeplatten ab. Ein ewiger Kreislauf. Drauf geschissen.

    Es schmeckte einfach zu lecker. Außerdem ging diese Art der Zubereitung immer super schnell, wenn sich bei Claas der Hunger meldete. In einem großen Kaffeebecher mit der Aufschrift „Scheißtag am Morgen" genoss Claas seinen löslichen Kaffee. Hinter ihm auf der kleinen Arbeitsplatte stapelten sich die dreckigen Teller und Gläser der vergangenen Tage. Oder waren es schon Wochen? Es befanden sich allerdings keine Kaffeetassen darunter. Die Kaffeetasse hielt er gerade in der Hand. Jeden Tag kam wieder heißes Wasser hinein. Das desinfizierte die Tasse quasi täglich auf 's Neue. Davon war er überzeugt.

    Claas' Blick schweifte gedankenverloren über den Frühstückstisch und blieb an einem Marmeladenglas mit Erdbeergelee hängen. Etwas verträumt und schläfrig blieben seine Augen auf dem Marmeladenglas-Etikett haften und die Pupillen weiteten sich, als das Haltbarkeitsdatum von seinem Gehirn registriert wurde. „Das war vor drei Monaten", dachte Claas . Da war Sebastian, einer seiner Kumpels, zum Frühstück bei ihm gewesen. Erdbeermarmelade müsste eigentlich rötlich im Glas schimmern. „Sieht eher weißlich aus, erkannte Claas und schraubte müde den Deckel ab. Der Schimmel sah aus wie ein weißer, kleiner Schwamm, den man in das Marmeladenglas gedrückt hatte. Aus dem Glas strömte außerdem ein süßlich fauler Geruch. Im Kühlschrank wäre eigentlich noch Platz gewesen. Aber so hatte das Gläschen drei Monate in der warmen Küche unter dem Dachfenster gestanden und die Schimmelpilzkultur konnte wachsen und gedeihen. Ein gezielter Wurf, gefolgt von einem „Strike! sollte das Glas in den offen stehenden Mülleimer befördern. Das gelang Claas aber nicht. Stattdessen fiel das Glas auf den Fliesenboden, wo es in seine Bestandteile aus Scherben, Gelee und Schimmel zersprang. „Scheiße! Claas drehte sich umständlich zu seiner Wandhalterung mit der Küchenpapierrolle um. Aber da war nur noch eine leere Papprolle auf der Halterung. Glücklicherweise bekam Claas jedes Jahr mehrfach von seiner Mutter ihre gebrauchten Küchenhandtücher geschenkt („Die brauche ich nicht mehr. Sind aber noch schick und haben ein tolles Muster.) Mit einem dieser schicken, kariert-hässlichen Tücher wischte er das Malheur auf.

    Das mit Schimmel-Gelee verklebte Handtuch wanderte in den Mülleimer. Nachschub war sicherlich schon in Planung. Feucht wischen konnte er auch noch nach Feierabend. Drauf geschissen. Die BATMAN-Küchenuhr zeigte ihm noch zehn verbleibende Minuten zum Frühstücken an. Sein Blick wanderte nun aus dem Dachfenster hinaus, unter dem er saß. Claas blinzelte gegen die Sonne und blickte ein wenig verträumt hinüber zum Nachbarhaus. Er blinzelte erneut, sah auf die BATMAN-Uhr und sofort wieder nach draußen. Auf dem Dach saß ein fetter Vogel. „Ein Huhn?, fragte sich Claas erstaunt, erhob sich etwas vom Stuhl und zwinkerte erneut mit seinen geblendeten, schlaftrunkenen Augen. „Quatsch. Kann ja nicht fliegen. Dann musste er schmunzeln, nachdem er den Vogel identifiziert hatte. Es saß eine wirklich fette Taube auf den First-Pfannen des Hauses seines Nachbarn. Ungewöhnlich groß. Wahnsinnig fett. Die Taube kackte. „Super Leben. Fressen, kacken, herum flattern und vögeln. Und die scheißt auf alles, sprach Claas zu sich selbst. Plötzlich flog die Taube ziemlich behäbig in Claas' Richtung und setzte sich, fett wie sie nun einmal war, direkt auf den Rand vom Carport, unter dem die C-Klasse von Claas' Vermieter Erwin Wiesener stand. Die Taube entleerte prompt ihren Darm. Claas klebte bereits mit der Nase an der Velux-Fensterscheibe, um die kackende Riesen-Taube besser beobachten zu können. Eine weiße Taubenscheiße-Creme landete mittig auf der Motorhaube vom rückwärts eingefahrenen Benz. Als ob jemand einen Becher Vanillepudding darüber gekippt hatte. Mit Sahne. Aber der Pudding war noch nicht richtig steif geworden. Da der Benz zudem noch schwarz lackiert war, fiel das richtig auf. „Die scheißt echt auf Alles.

    Manchmal kamen Claas häufiger derartige Gedanken. Auf alles scheißen. Alles war einem egal. Man konnte es ja oftmals sowieso nicht ändern. Oder sich einfach darüber hinwegsetzen und sein

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