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Freunde in Manhattan
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eBook236 Seiten3 Stunden

Freunde in Manhattan

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Über dieses E-Book

Ein junger Deutscher erkundet New York und den American way of life. Der Leser gerät mit dem Erzähler in einen Sog von Abenteuer und Sinnlichkeit und lernt die Metropole in ihrer faszinierenden Vielfalt kennen. Es ist das ­ewige New York, dem eine ungeheure Kraft und Dynamik innewohnt, Heimat für Menschen unterschiedlichster Herkunft, ein Ort, an dem man die Kunst des Überlebens lernen und intensive Freude am Leben finden kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum25. Juni 2020
ISBN9783865327253
Freunde in Manhattan

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    Buchvorschau

    Freunde in Manhattan - Michael Kiesen

    ALSO VOM HAUS meiner Tante war ich enttäuscht. Ich habe was erwartet … weißt du … wie in Hollywoodfilmen … Bungalow, große Zimmer, Fensterflächen, weiter Garten, Swimmingpool … Aber nichts dergleichen. Ein schmales Holzhaus, dunkelgrün angestrichen, zwei Stockwerke, darüber ein spitzer Giebel … Wenn man den zweiten Stock wegnimmt, würde man bei uns so was als Gartenhaus aufstellen … oder, sagen wir, als Wochenendhaus. Das ist drüben ein sehr verbreiteter Haustyp.

    Auf der Fahrt durch Queens vom Kennedy Airport her habe ich zahllose Kästen dieser Art gesehen und bei meinem Ausflug nach Boston … Kennedy ist ja auch in einem Holzhaus aufgewachsen … in einer stillen Straße im Bostoner Stadtteil Brooklyn … die Außenwände auch grün angestrichen, im Innern allerdings geräumiger als bei meiner Tante … und schöner eingerichtet … Die leben drüben bei Weitem nicht so gut, wie man hier so glaubt. Natürlich gibt es in der Gegend, wo meine Tante wohnt, Viertel mit Villen in großen Gärten … und in Boston die Patrizierhäuser auf dem Beacon Hill … und so fort, und so fort … Aber die sogenannte Mittelschicht … ziemlich bescheiden … habe ich den Eindruck. Ein Fernsehgerät und einen Kühlschrank hat so gut wie jeder. Doch diese Holzhäuschen, diese Almhütten, mit denen sie sich zufriedengeben … Zufriedengeben … Na ja, vielleicht ist es richtig, sich mit so einer Behausung zu begnügen, statt alles aus Stein oder Beton zu bauen wie bei uns hier und Jahrzehnte daran abzuzahlen.

    Und meine Tante selbst … tja … Sie raucht so viehisch viel. Eine nach der anderen. Du, bestimmt, wenn die nicht so maßlos qualmen würde, wäre ich öfter abends bei ihr geblieben und hätte auf den Fernseher gestarrt, so mies das Programm auch ist. Mit diesem „Esso is doing more … If you say Budweiser you have said it all … Guten Morgen … Lufthansa, the line of the red baron … You have got a lot to live, Pepsi has got a lot to give … If you want to drink more than one … Enjoy Coca-Cola, the real thing …" Immer wieder knallen einem diese Sprüche entgegen … als ob sie einem Sahnetorte ins Gesicht klatschen würden. Und dazwischen kommt auch nichts Rechtes … fade Familiengeschichten, alberne Shows, Science-Fiction-Krampf, moraltriefende Western, Lustiges und Heldisches aus dem Zweiten Weltkrieg, an dem sie sich immer noch weiden, weil es der letzte Krieg ist, den sie gewonnen haben … am besten sind noch diese Krimiserien, die sie auch bei uns bringen, wenigstens spannend und ab und zu ganz realistisch, wie mir scheint. Warum meine Tante ständig diese Stängel zwischen den Lippen braucht, weiß ich nicht. Vielleicht anstatt. Sie ist Witwe. Ihr Mann wurde ermordet. Kein großes Drama. Ganz banal, ein beinahe alltäglicher Tod in New York: Meine Tante wohnte damals noch in Brooklyn; ihr Mann ging nach dem Abendessen spazieren, allein, weil meine Tante erkältet war; als er nach zwei Stunden nicht zurückgekommen war, suchte ihn meine Tante trotz ihrer Erkältung, zusammen mit einem Nachbarn; sie fanden ihn in einer Hofeinfahrt; er war schon tot, erstochen; seine Brieftasche fehlte.

    Was ich sagen will: Wenn ich in der Nähe meiner Tante nicht um meine Gesundheit gefürchtet hätte, wäre ich nicht so oft nach Manhattan gefahren und wäre vielleicht nicht vom „Pfad der Tugend abgekommen. „Pfad der Tugend, wie ihn meine Eltern verstehen. Und andere Spießer. Du, wenn meine Eltern eine Ahnung hätten, was ihr Bubi da drüben so angestellt hat! Es reizt mich schon, ihnen alles zu erzählen, nur um den Ausdruck ihrer Gesichter genießen zu können. Wo sich mein Vater doch solche Mühe gegeben hat, mich zu einem ordentlichen Menschen zu prügeln.

    Aber es war wohl nicht bloß der Rauch, der mich fortgetrieben hat. Auch diese Unruhe in mir, der Wunsch, den ganzen Schlamassel hier zu vergessen.

    Mein „Weg in die Hölle" begann mit einem Arrangement meiner Tante. Was daraus entstehen würde, konnte sie jedoch bei aller Sorgfalt nicht übersehen.

    „Heute Nachmittag kommt eine gute Bekannte von mir. Sie stammt auch aus Deutschland. Berlin. Sie hat eine sehr nette Tochter. Die bringt sie vielleicht mit."

    Ich freute mich. Sehr nette Tochter … Vielleicht eine mit schulterlangen braunen Haaren und schmalem, regelmäßigem Gesicht … oder meinetwegen eine niedliche Blonde mit vollen Brüsten …

    Was dann erschien … ach, weißt du … nett … einen guten Charakter hat sie wohl schon … Eine Fußballfanatikerin ist sie … ja! … man glaubt es kaum. Meine Tante hatte das Tischchen im Garten gedeckt … Wir setzten uns, schon fragte mich Susi … so heißt die Maid … ob ich in oder bei Stuttgart wohnte und ob ich zu den Spielen des VfB ginge. Das sei ja eine interessante Mannschaft gegenwärtig. Allerdings seien sie auswärts oft zu zaghaft. Sie begleite ihren Vater zu jedem Heimspiel von Cosmos. Ob ich das nächste Mal mitginge. Ihr Vater sei für Hertha, weil er aus Berlin komme. Sie sei für Bayern München, wenn auch in den vergangenen Jahren … Und so ging es den ganzen Nachmittag weiter. Der Fallrückzieher von … in dem Länderspiel gegen … und so fort …

    Susis Mutter stellte fest, dass wir beide uns ausgezeichnet unterhielten. Dabei sprach fast bloß ihre Tochter. Sie weiß das ganze Zeug aus einer deutschen Sportzeitung, die ihr Vater abonniert hat. Selbst spielt sie auch, mit ihrem Bruder und seinen Freunden im Garten und so.

    Ich langweilte mich bei diesem Geschwätz ziemlich. Ich interessiere mich für Fußball ja nicht allzu sehr. Schon weil mein Vater davon so begeistert ist. Sicher, vor dem Fernsehgerät … da lässt man sich schon manchmal mitreißen … bei einem Länderspiel oder Bundesligaspiel … und so ein Fallrückzieher ist schon ’ne Wucht … aber im Grunde … was soll’s? … Dieses ganze Gerenne … Mein Freund Achim meint, Fußball sei etwas Faschistoides, der Trainer als Führer, die Spieler Sieger und Besiegte … das Recht des Stärkeren …

    Achim an meiner Stelle hätte wahrscheinlich mit Susi zu streiten begonnen, wegen ihrer „faschistoiden Gesinnung … Aber Susis Fußballgerede wäre nicht so schlimm gewesen, wenn ich mich … was ich jetzt sage, würde Achim auch für faschistoid halten … wenn ich mich an ihrem Busen, an ihren Beinen, an ihrem Gesicht hätte erfreuen können … Bezeichnungen wie „hübsch und „hässlich" lässt Achim nicht gelten … Ausdruck elitärer Gesinnung … faschistoid … verwerflich … Trotzdem hat er sich eine Freundin ausgesucht, die recht ordentlich aussieht. Aber eine Giftschleuder ist sie. Samt ihrer netten Figur müsste man schon einen Kran zu Hilfe nehmen, um mich auf die draufzubringen …

    Also Susi … ein breites Gesicht, ausgeprägte Backenknochen, zwar blond, aber so ein fades Aschblond, sehr kräftige Arme, stämmige Beine … Im Ringkampf hätte die mich schon besiegen können. Ein guter Kamerad ist sie allerdings bestimmt. Ich sage ja, ihr Charakter …

    Warum mich meine Tante mit ihr zusammengebracht hat, kann ich mir nicht recht erklären. Vielleicht hatte sie nichts Besseres zur Verfügung. Vielleicht hat sie als Frau da andere Maßstäbe. Auch möglich, dass sie mich nicht in Versuchung bringen wollte … um keine Vorwürfe von meinen Eltern zu bekommen … oder überhaupt … Was weiß ich, was in so einer Pfarrerstochter vorgeht, die mit einem amerikanischen Soldaten davongelaufen ist?

    Susis Mutter sieht bedeutend besser aus als die Tochter, schmaleres Gesicht, schlank … Sie muss einen bösen Bolzen von Mann geheiratet haben. Sie war auch recht liebenswürdig. Sie machte Tante Trudchen meinetwegen Komplimente, sodass ich es hören konnte. Ich sei ja ein reizender Junge, so hübsch, und dieses schöne dunkelblonde Haar, ich hätte eine gewisse Ähnlichkeit mit der Tante … Meine Tante widersprach, ich sei ganz der Vater. Ich sah sie an und sagte barsch, das sei nicht wahr. Tante Trudchen entgegnete ruhig, doch, so sei es, was das Äußere betreffe, den Rest könne sie nicht beurteilen, dazu kenne sie mich zu wenig.

    Ich will dich nicht mit allen Einzelheiten dieses Nachmittags langweilen. Jedenfalls gab ich mir beim Abschied einen Ruck, um die drei Weibsen nicht zu verärgern, und fragte Susi, ob wir uns mal wieder treffen könnten. Sie schien hocherfreut zu sein. Meine Tante schlug vor, wir beide sollten zum Jones Beach auf Long Island fahren.

    Der Bus hielt am West Bath House des Jones Beach. Eine Frau stand am Eingang des Schwimmbads und sagte, es sei geschlossen, es werde erst am Samstag der kommenden Woche geöffnet. Susi und Ingo sahen einander an. Susi zog die Mundwinkel nach unten, drückte die Lippen vor. Ein Mann kam her. Ihm sagte die Frau das Gleiche wie ihnen. Er fing an zu schimpfen. Die Frau entgegnete, sie könne auch nichts dafür, er solle seinem Gouverneur schreiben.

    Ingo: „Und jetzt?"

    „Tja … und jetzt … In dieser Parkanlage … so hinter einem Baum oder Busch, da können wir uns irgendwo umziehen. Oder … vielleicht ist die Galerie geöffnet."

    „Galerie?"

    „Ja, umgibt das Schwimmbad. Komm!"

    Sie gingen zur Meerseite des West Bath House. Auf der Strandpromenade blieben sie stehen. Der ungemein breite Strand, in der Länge an den Horizonten verschwindend. Zahlreiche Menschen im feinen, weißlichen Sand. Wegen der Ausdehnung des Strandes jedoch kein Gedränge. Der Ozean graublau unter einem blassblauen Himmel. Ingo setzte dazu an, etwas zu bemerken wie: toll … wunderschön … Aber er unterließ es. Diese abgenutzten Wörter … zu gering für diese Küste.

    Sie stiegen eine Treppe zu der überdachten Galerie hinauf, die das Schwimmbad umgab. Hier oben waren wenige Leute. Ingo sah auf das Schwimmbad hinab, zwei Becken, drei Sprungbretter, an Backsteinmauern kletterte Efeu zur Galerie empor.

    Sie be gaben sich zu der hinteren Seite der Galerie und zogen sich um. Huch, hoffentlich kommt jetzt niemand daher! Kommt jemand? Wir werden noch verhaftet. Ach, ich kriege das nicht zu, hilf mir mal!

    Dann zum Strand. Nahe dem Meer ließen sie sich nieder, auf zwei schmalen Handtüchern. Susi bewunderte die blaue Mütze, die Ingo aufsetzte. Er sagte, er habe sie in Kopenhagen gekauft. In Kopenhagen? Ja, er sei im vergangenen Jahr mit seinem Schulfreund Achim dort gewesen. Dauernd sei so sonniges Wetter gewesen, er habe eine Mütze gebraucht, er sei in verschiedenen Geschäften gewesen, bis er ausgerechnet bei einem königlichen Hoflieferanten etwas Nettes gefunden habe. So ausgerüstet an den Bellevue Strand nördlich von Kopenhagen; feiner, weißlicher Sand wie hier, Wälder dahinter, jenseits der Meerenge die schwedische Küste erkennbar … Ingo hörte auf zu sprechen. Diese Mädchen dort, die ohne Bikinioberteil dagesessen hatten, anders als bei den Puritanern hier, seine anhaltenden Erektionen … Susi sagte: „Glaubst du, dass der VfB Stuttgart in den nächsten Jahren mal deutscher Meister wird?"

    Durst. Schlangen vor hellgrünen Getränkeautomaten neben dem Verkaufsraum des West Bath House. Sie stellten sich an. Die Platten heiß, auf denen sie standen. Das Sonnenlicht auf ihrer Haut. Susi wollte einen Becher Coca-Cola. Ingo entschied sich für ein Getränk, das er nicht kannte: Root Beer. Musste eine Art Bier sein, vielleicht ohne Alkohol.

    Endlich gelangten sie an die Automaten. Dann drängten sie sich mit den gefüllten Papierbechern zwischen den Leuten hindurch, setzten sich auf die Stufen zwischen der Strandpromenade und dem Vorplatz des „Badehauses".

    Ingo nahm einen Schluck. „Das schmeckt ja abscheulich! Nach Kaugummi. Wie flüssiger Kaugummi."

    „Ich mag Root Beer auch nicht."

    Er nahm noch einen Schluck. „Pfui Teufel!"

    „Trink doch bei meiner Cola mit!"

    „Nein, nein. Das trinke ich jetzt. Immerhin löscht es den Durst. Vielleicht mag ich es beim letzten Schluck."

    In der Brandung. Die Wellen waren zu hoch, als dass Susi und Ingo weit hinausschwimmen konnten. Sie sprangen empor, wenn die Wellenkämme auf sie zukamen, ließen sich in die Wellentäler treiben. Es war anstrengend. Ingo schlug nach einer Weile vor, ans Ufer zurückzukehren. Sie waren schon im knietiefen Wasser, da prallte eine offenbar sehr hohe Welle gegen ihre Rückseiten, warf sie um. Sie schliffen ein Stück durch den Sand. Ingo stand auf, half Susi hoch. Sie starrten einander betroffen an, dann lachten sie, rieben den nassen Sand von sich ab.

    Wieder auf den Handtüchern. Susi war still. Sie schien müde zu sein. Die graublauen Wellen, die unaufhörlich heranjagten und über den flachen Sand brachen. Diese weite aufgeraute Fläche bis hin zu der leicht gebogenen Linie des Horizonts … der Ingo plötzlich verdross, weil er ein Ende vorspiegelte … über das man gleiten konnte, weiter, weiter … bis zur portugiesischen Küste … zur spanischen … zur französischen … Biaritz … diese Bucht zwischen zwei felsigen Landzungen, wo jetzt wohl seine Eltern lagen, wo er auch sein könnte … das mürrische Gesicht seines Vaters, in den Augen entstand ein Vorwurf, wenn er den Sohn ansah … Ingo drehte sich auf den Bauch. Lachen … es kam von einer großen dunkelgrünen Decke her, auf der zwei Mädchen und zwei junge Männer lagen; gebräunte Hautflächen, Stoffstreifen; eines der beiden Mädchen kreischte auf, ihr Begleiter goss aus einer Dose Saft auf ihre Brüste. Lustig sein … Ingo legte den Kopf auf seine Unterarme, schloss die Augen. Er roch die salzige Frische seiner Haut. Der gebogene Horizont … der Vater, die leicht herabgezogenen Mundwinkel, die beiden schwachen Furchen zwischen den Brauen, die blassblauen Augen, starr auf ein Ziel gerichtet … Ingo kam es vor, als stände jemand neben ihm, um auf ihn einzuschlagen. Er wusste, dass es nicht so war. Trotzdem schienen sich alle seine Muskeln anzuspannen. Ingo biss sich in den Unterarm. Die Unruhe wich nicht. Er legte sich auf den Rücken, öffnete die Augen. Nur Susi neben ihm, nur Susi …

    Im Schatten eines hohen Busches. Sie warteten auf den Bus nach Freeport. Vor ihnen auf dem Rasen lagen einige Paare.

    Wenn er ein Mädchen bei sich hätte, mit dem er auch gerne da im Gras läge … sie auf den Mund küssen, auf den Hals, sich auf sie wälzen und durch die Jeans ihr Fleisch spüren … und sich sanft an ihr reiben …

    Der Bus brauste heran. Sie fügten sich in die rasch entstehende Schlange ein. Sie gerieten ziemlich ans Ende.

    Susi machte sich Sorgen: „Hoffentlich kommen wir noch rein."

    „Wenn nicht, fahren wir eben mit dem nächsten und gehen inzwischen spazieren."

    „Aber nicht, dass wir dann wieder draußen bleiben."

    „Ach, bei diesem Wetter könnte man sich auch in den Sand legen und hier übernachten."

    „Mein Bett wäre mir da schon lieber."

    Hinter ihnen eine Stimme: „Guten Tag! Wie geht’s?" Die Lautbildung war angelsächsisch.

    Sie drehten sich um. Ingo starrte ins Gesicht eines lächelnden jungen Mannes. Angenehme Züge, hellbraunes Haar, so gestutzt, dass man auch beim Militär zufrieden wäre. An seiner Seite ein Mädchen, nach Ingos Geschmack ausgesprochen hübsch, schulterlanges, leicht gewelltes dunkelblondes Haar; sie trug ein indisches Hemd aus dünnem weißem Stoff und Bluejeans. Der Fremde hatte ein braunes T-Shirt an, auf das groß eine weiße 15 gedruckt war, sowie zu Shorts gekürzte Bluejeans und weiße Sneakers.

    „Haben Sie auch deutsche Eltern?, fragte Susi. Der junge Mann zuckte mit den Achseln. Er sagte auf Englisch, er spreche nicht Deutsch. „Guten Tag! und „Wie geht’s?" sei alles, was er könne. Er habe das von einem Freund gelernt, der als Soldat in Deutschland gewesen sei. Er sei auch gar nicht sicher gewesen, ob sie Deutsche seien. Nur der Aufdruck auf dieser Tasche … Er deutete auf Ingos Sportt asche. Das sei doch eine deutsche Firma. Susi lachte. Der Amerikaner wollte wissen, ob sie hier ihre Ferien verbrächten. Susi antwortete, er ja, sie dagegen … Die Dunkelblonde sah Susi und Ingo aufmerksam an, lächelte.

    Sie befanden sich nun an der Tür des Busses. Ingo ließ Susi und die Dunkelblonde vorgehen. Dann bot er dem jungen Mann an einzusteigen. Er lehnte ab, schob Ingo vor sich her, die Stufen hinauf zum Fahrer, bei dem man bezahlte. Die Leute, die stehen mussten, rückten schon eng zusammen, damit weitere Personen hereinkommen konnten. Der Fahrer: „Move on! Move on! I am not leaving until everybody is in. Move on! Move on!"

    Schließlich war der Bus so voll, dass man doch nicht alle Wartenden mitzunehmen vermochte.

    Der Bus fuhr ab, jagte die breite Asphaltstraße entlang. Der junge Mann neben Ingo. Wie bitte? Ja, furchtbares Gedränge. Eben zu wenige Busse. Hübsch am Jones Beach; schade, dass die Schwimmbäder noch nicht geöffnet sind. Der junge Mann badete ohnehin fast nur im Ozean. Small Talk bis Freeport.

    Am Bahnhof in Freeport. Sie stiegen aus, gingen zur Plattform hinauf. Sie unterhielten sich zu viert. Das Mädchen und ihr Freund wohnten in New York. Ihr gefiel es dort, ihm nicht. Sie stammte aus Boston, studierte jedoch an der Columbia University Soziologie. Die Harvard University besuchte sie nicht, weil sie sich nicht immer in Reichweite ihrer Eltern befinden wollte. Der junge Mann hatte New York ziemlich satt, das Häusermeer, die Hitze im Sommer, die Hetzerei der Leute, ihr Ernst, der Hass … Er würde gerne in San Francisco leben. Er war leider immer noch nicht dort gewesen. Aber Freunde hatten ihm davon erzählt, die wunderbare Lage, das milde Klima, Chinatown, Sausalito, Heiterkeit, südlich das fast unberührte, gewaltige Küstengebiet Big Sur. Aber die Erdbebengefahr. In New York starb man vielleicht bei einem Unfall der Untergrundbahn oder wurde von ein paar Burschen ermordet.

    Der Zug fuhr ein. Sie fanden im selben Wagen Plätze, die jedoch nicht beisammen lagen. Susi setzte sich zu Ingo, ihre amerikanischen Bekannten ließen sich ein paar Bänke vor ihnen nieder.

    In der großen Halle der Pennsylvania Station. Der junge Mann gab Ingo die Hand.

    Er sagte zu Susi und Ingo: „Has been nice talking to you.

    Ingo zögerte, die Hand loszulassen. Dieser junge Mann … sein freundliches, selbstsicheres Lächeln … der erste New Yorker, mit dem er gesprochen hatte … einer, der bestimmt mehr erlebt hatte als Achim und er … diese Begegnung nun schon vorbei … Ingo wusste nicht, was er sagen sollte, so gab er die Hand frei.

    Die Dunkelblonde lächelte Susi und Ingo an. „Bye, bye!"

    Sie und ihr Freund gingen zum Ausgang an der 7. Avenue, Susi und Ingo zu dem an der 8. Avenue.

    „Die beiden sind nett", bemerkte Susi.

    Ingo schwieg.

    Bevor ich zum ersten Mal allein nach New York fuhr, redete meine Tante auf mich ein, wie ich mich zu verhalten hätte, um diesem Dschungel wieder zu entrinnen. Ob ich noch alles zusammenbringe … Also, wenn man in der Stadt umherwandere, müsse man jeweils nach einigen Schritten zurückschauen, ob einem eine verdächtige Gestalt folge. Falls ja, losrennen. Natürlich müsse man auch auf die Leute achten, die einem entgegenkämen. Verdächtig seien Schwarze und Puerto Ricaner

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