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Hollywood Boulevard: Roman
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eBook275 Seiten3 Stunden

Hollywood Boulevard: Roman

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Über dieses E-Book

Für David wird der »sunshine state«, das »Wunderland« Kalifornien, Wirklichkeit. Er taucht in eine subtropische Szenerie und lernt im Holly­wood YMCA einen jungen Mann ­kennen, Roy, der aus dem Mittleren Westen abgehauen ist. Mit Roy zusammen begegnet David weiteren jungen Leuten, die sich nicht nach ­überkommenen Regeln richten, und lässt sich von ihrer tabulosen Lebensweise mitreißen. Die charmant hemmungslose kalifornische Szene ist für ihn ein Gegenpol zu seiner süddeutschen Heimat.
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum20. Mai 2020
ISBN9783865327703
Hollywood Boulevard: Roman

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    Buchvorschau

    Hollywood Boulevard - Michael Kiesen

    1

    Die Begegnung. Los Angeles, Stadtteil Hollywood, Hudson Avenue, ziemlich nahe beim Hollywood Boulevard, Haus des YMCA, Umkleideraum. Ich trat vor einen der Spiegel und kämmte mich. Mein Haar war noch recht feucht, obwohl ich es eine Weile mit dem Handtuch gerieben hatte. Um mich herum Bewegung. Hinter mir gingen Leute hin und her. Auf der Höhe meiner Schulter erschien ein Gesicht im Spiegel, rund, flach, gelblich, pechschwarzes Haar, wohl ein Amerikaner chinesischer Herkunft, er begann, sich auch zu kämmen, ich trat etwas zur Seite, um ihm eine Hälfte des Spiegels zu überlassen. Ich drehte mich um. Meine Tasche war noch da, stand auf einem Hocker, der Aufdruck „Lufthansa", rötlichgelb auf dunkelblau, leuchtete mir entgegen. Jenseits des Hockers zogen sich zwei Mulatten an. Sie lachten, unterhielten sich. In ihrer Nähe ein nackter Weißer, groß, muskulös, er schloss eines der schmalen Schränkchen ab, kam auf mich zu, bog zum Duschraum ab. Ich sah wieder in den Spiegel, kämmte ein paarmal feuchte Haare nach links, die mir senkrecht in die Stirn hingen. Draußen war es sicher schon recht kühl. Ich musste noch hier bleiben und die Haare eine Weile trocknen lassen. Ich konnte ein bisschen fernsehen. Ich steckte den Kamm in die Jacke, nahm meine Tasche, ging zwischen zwei Reihen der schmalen Metallschränkchen hindurch, vorbei an den beiden Mulatten, deren ungehemmte Heiterkeit mich unerklärlicherweise fast verdrießlich stimmte, erreichte den Flur, der an der gegenüberliegenden Wand entlanglief.

    In einer Ecke des Raumes befand sich eine Polsterbank, überzogen mit hellbraunem Kunstleder, davor ein Fernsehgerät. Auf der Bank saß ein blonder junger Mann, die Beine ausgestreckt, er sprach mit einem weiteren blonden jungen Mann, der sich auf einem Hocker neben der Bank niedergelassen hatte. Ein zweiter Hocker stand da, frei, ich nahm Platz, stellte meine Tasche auf den Boden. Auf der Mattscheibe ein Mann in hellem Dress, der den Mund bewegte, wahrscheinlich ein Tennisspieler, der interviewt wurde, ich verstand fast nichts, das Rauschen der Duschen, das aus zwei offenen Durchgängen in den Umkleideraum drang, vermischte sich mit dem Ton aus dem Lautsprecher.

    Ich versuchte nun, dem Gespräch der beiden jungen Männer rechts von mir zu folgen. Um Bärte ging es. Der Soundso hatte sich einen Vollbart wachsen lassen, stand ihm überhaupt nicht, aber ein anderer hatte auch einen und sah ganz gut damit aus. Dann Sätze, die, vermengt mit dem Rauschen der Duschen und der Stimme aus dem Apparat, mich nicht erreichten. Der auf der Bank hatte hellblondes, leicht gewelltes Haar, eine sehr blasse Haut, trug ein weißes T-Shirt, dunkelblaue Trainingshosen, ungeputzte, an mehreren Stellen zerrissene Tennisschuhe. Der andere war dunkelblond, sein Haar reichte bis über den Kragen, er hatte Bluejeans an, hellbraune Wildlederschuhe, ein rot und weiß kariertes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren. Ich fing nun wieder eine Äußerung des Hellblonden auf: Er würde sich gerne einen Bart wachsen lassen, einen Schnurrbart, aber seine Haut sei zu empfindlich. Der Dunkelblonde erwiderte etwas, ich verstand es jedoch nicht, sein Gesicht war von mir abgewandt. Auf der Scheibe erschien ein Nachrichtensprecher. Die Unterhaltung zwischen den beiden jungen Männern brach ab. Ein Film wurde eingeblendet, Flüchtlinge am Rand einer Straße, einige schleppten Reste ihrer Habe auf dem Rücken von Tieren, auf Viehkarren mit, Lastwagen mit fliehenden Soldaten, Geschützdonner, Rauch am Horizont. Wieder der Sprecher, er berichtete von weiteren Kriegswirren, freundlich, fast lächelnd, als ob er von einer Fürstenhochzeit in Monaco oder Liechtenstein erzählen würde. Dann Lokales, empörte Hausbesitzer aus Anaheim, durch deren Wohngegend ein Freeway geführt werden sollte. Der Dunkelblonde bewegte den Kopf mit einem Ruck nach vorn, seine Haare fielen über das Gesicht, er warf den Kopf in den Nacken, die Haare sanken zurück.

    Ich weiß nicht, warum ich zu sprechen begann. Vielleicht aus Langeweile. Vielleicht, weil ich mich gerade einsam fühlte. Vielleicht, weil ich mein Englisch üben wollte. Bestimmt, ich bin außerstande anzugeben, wieso ich es tat. Man soll mir auch nicht unterstellen, ich hätte ihn angesprochen, weil er mir gefiel. Ich hatte sein Gesicht bis dahin gar nicht genau gesehen, er hatte sich mit dem Hellblonden unterhalten, dabei hatte sein Hinterkopf in meine Richtung gewiesen, und als er nach Beginn der Nachrichten zum Fernsehgerät hinstarrte, tat ich es ebenfalls. Ich fragte ihn überdies nichts, was ich gerade wissen wollte, vielmehr stand für mich die Antwort fest, ich war schon das dritte Mal hier und kannte mich einigermaßen aus.

    Ich sagte also: „Isn’t there a hair-dryer for everbody in here?"

    Er wandte mir das Gesicht zu, sah mich an. Sicher erfasste ich in diesem Moment nicht die Einzelheiten seines Gesichts, bewertete es auch nicht. Ich wurde nämlich plötzlich unsicher, ob es im Englischen das Wort „hair-dryer" gab, ich hatte es aufs Geratewohl gebildet.

    Ich sagte daher schnell: „Is this the correct word: hair-dryer? Have you got this word in English?"

    Er ging auf meine beiden letzten Fragen nicht ein, er beantwortete nur die erste: „No, you have to bring your own." Nein, man müsse seinen eigenen mitbringen. So war es. Ich wusste es schon.

    Der Hellblonde äußerte etwas. Ich verstand nur so viel, dass er einen Platz oder Bereich nannte, an dem es zehn Föhne gab.

    „Where?", fragte ich.

    Der Dunkelblonde wiederholte, was der andere gesagt hatte: „In the executive branch there are ten hair-dryers."

    Beide verwandten das Wort „hair-dryer", ich hatte also den richtigen Begriff gefunden.

    Da ich den Dunkelblonden wohl immer noch etwas verständnislos ansah, fügte er hinzu: „The executive branch is in another part of the building."

    Aha, in der Managerabteilung, die sich in einem anderen Teil des Gebäudes befand, waren zehn Föhne.

    Das sei ja unglaublich, sagte ich lächelnd mit Empörung in der Stimme, die teils ernst, teils ironisch gemeint war, bei denen seien zehn Föhne, aber hier fürs gemeine Volk gebe es gar keinen.

    Der Hellblonde murmelte irgendetwas wie „yes", der Dunkelblonde lächelte. Meine Frage war beantwortet, die Bemerkung des Hellblonden hatte ihren Widerhall gefunden, es gab eigentlich zu zwei Fremden nichts mehr zu sagen, zumal die Nachrichten nach einem Werbespot fortgesetzt wurden, man zeigte ein Fest im Freien, in einem Park wahrscheinlich: auf einer Wiese verkleidete Gestalten, die herumblödelten.

    Und doch sagte ich noch etwas, fügte ganz bewusst ein „Reizwort ein: „After all it’s too much to bring a hair-dryer all the way from Europe.

    Der Dunkelblonde meinte, es sei besser, das Haar nicht mit Hilfe des Föhns zu trocknen.

    Er war auf das Wort „Europa" nicht eingegangen. Keine Frage: Do you come from Europe? oder: Where do you come from?

    Ich war verblüfft, äußerte eine weitere banale Bemerkung: Man sei manchmal ganz froh, wenn man die Haare etwas schneller trocken bekomme.

    Der Dunkelblonde lächelte. Nicht spöttisch, sondern freundlich, duldsam.

    Ich wandte mein Reizwort noch einmal an: In den Hallenbädern, die ich in Europa besucht hätte, seien immer Föhne angebracht gewesen, für Frauen und Männer. Er antwortete nur: „Really?" Auch diese Äußerung wirkte nicht abweisend.

    Spätestens jetzt musste ich sein Gesicht genügend beobachtet haben, denn ich weiß, was ich ihn als Nächstes fragte.

    Dieses Gesicht … Ich bin mir bewusst, dass ich sein Gesicht nicht genau zu beschreiben vermag. Es ist unmöglich, ein Gesicht vollkommen mit Worten zu erfassen. Ich kann nur ein Schema geben und ein paar Einzelheiten daran heften. Der Rahmen: das glatte dunkelblonde Haar, das von den Fransen auf der Stirn in gerundetem Schwung abwärts floss und nur am Hinterkopf die Kragenhöhe erreichte. Die Form: weder breit, noch schmal, weder rund, noch lang, auch nicht oval, sondern zwischen diesen Extremen. Die Augen graublau. Die Nase gerade. Der Mund ohne Besonderheit. Die Wangen nicht voll, vielmehr spannte sich die gebräunte Haut straff zwischen Backenknochen und Kiefer. Meines Erachtens harmonische Züge. Warum? Die einzelnen Teile passten zueinander, insbesondere „stimmten" die Proportionen, vielleicht nicht im Sinne des Kanons eines Bildhauers der Antike oder Renaissance, aber sie waren so, dass man sie als angenehm empfand.

    Was ich nun von ihm wissen wollte, interessierte mich tatsächlich. Ob denn hier in Hollywood nicht jeder, der auch nur ein bisschen gut aussehe, Schauspieler beziehungsweise Schauspielerin werden wolle.

    Ich hatte die Frage allgemein formuliert, sie konnte aber eigentlich jeweils nur für eine bestimmte Person beantwortet werden. Er verstand dies sicher, erkannte wohl auch das Kompliment, das in meiner Äußerung enthalten war; er antwortete mit einem schlichten ‚Nein‘ und fuhr fort, natürlich gebe es hier viele Leute, deren Ziel dies sei. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn er erwidert hätte, er sei Schauspieler oder Schauspielschüler, sein einfaches ‚Nein‘ jedoch verwirrte mich.

    Ich entgegnete, wenn ich in Hollywood lebte, würde ich auf jeden Fall versuchen, Schauspieler zu werden. Allerdings sei es wohl recht schwierig, Engagements zu bekommen.

    Natürlich, es gebe hier so viele Schauspieler, meinte er. Manche müssten eben irgendwelche Jobs annehmen, bis sie wieder ein Angebot erhielten.

    Das sei immer noch besser, fand ich, als dieser Beruf, den ich in Deutschland hätte.

    Was für ein Beruf das sei.

    „Lawyer."

    Er äußerte, in Deutschland könne man aber sehr jung Rechtsanwalt werden. At a very young age.

    Sehr jung. Er hielt mich für sehr jung. Ich erklärte ihm den Ausbildungsgang eines deutschen Juristen, Abitur, Studium, erste Staatsprüfung, Ausbildung in der Praxis, zweite Staatsprüfung.

    Ich sei also Deutscher, stellte er fest. Er habe auch deutsche Vorfahren. Er heiße East. Der Name sei anglisiert worden. Er sei ursprünglich länger gewesen, so etwas wie „castle" sei eigentlich anzuhängen.

    Ost, Osten, Ostburg. Ich war zufrieden, das Gespräch bewegte sich in den persönlichen Bereich. Ich sagte wieder „etwas Nettes: Vielleicht hätten seine Vorfahren dem Adel angehört, wenn das Wort „Burg ein Teil des Namens gewesen sei. Das könne gut sein, er sei ja blond. Viele Mitglieder des deutschen Adels seien blond. Ich erkannte die Gelegenheit, mich interessant zu machen, anzugeben. Ich fragte ihn, was denn Adel für einen Amerikaner bedeute, hier gebe es ja so etwas nicht, ob Adel für ihn etwas sei wie aus einem Märchen.

    So sei es wohl, meinte er.

    Ich erzählte ihm, bei der letzten Party, die ich in Deutschland besucht hätte, seien nur Adlige gewesen, außer mir. Meine Freundin sei adlig. Das bedeute nicht viel heutzutage. Sie arbeite wie jedermann. Eben noch der Name. Und dann der Umgang … Auf ihren Partys sei ich meistens der einzige Bürgerliche. Manche Gäste meiner Freundin seien sicher entsetzt, dass sie so etwas wie mich einlade. Aber andere seien sehr nett zu mir und hätten mich auch schon eingeladen. Dass die so genannten Adligen sich von Bürgerlichen wesentlich unterschieden, hätte ich nicht feststellen können. Sicher, in der Regel ein geschliffenes Benehmen … Ein paar Adlige, die ich kennengelernt hätte, seien mir recht seltsam vorgekommen, leicht beschränkt, dazu nicht gerade attraktiv.

    „Ah, yes, the intermarriage", bemerkte er. Die Inzucht. Oh, rief ich aus, er wisse ja bestens Bescheid.

    Ein nackter Mann tauchte plötzlich vor mir auf, kam vermutlich aus der Sauna, deren Tür ein paar Schritte von unserer Ecke entfernt war, ließ sich auf die Polsterbank fallen, neben den Hellblonden, starrte zu dem Fernsehgerät hin.

    Der Dunkelblonde wollte wissen, wo ich in Deutschland wohnte. Ich sagte es ihm.

    Ah, Stuttgart sei doch die Stadt, wo Mercedes sei. Mörsihdes.

    Ja, in einem Vorort. Ein zweites Werk befinde sich in Sindelfingen, nicht weit von Stuttgart. Ich sagte ein paar lobende Sätze über meine Heimat. Die Lage Stuttgarts in einem weiten Tal, das barocke Neue Schloss, das Alte Schloss im Renaissancestil, in einem seiner Türme die Kronjuwelen der Könige von Württemberg. Von Heidelberg habe er sicher auch schon gehört. Das wunderbare Schloss dort, auch Renaissance, aber größer und prunkvoller als das Alte Schloss in Stuttgart, zerstört von einem Feldherrn Ludwigs des Vierzehnten von Frankreich, teilweise wieder aufgebaut, an einem Hang gelegen, von Wäldern umgeben, ein Inbegriff des Romantischen.

    Wie diese Stadt heiße.

    Heidelberg.

    Kenne er nicht.

    Das sei seltsam. Heidelberg sei hier meines Wissens sehr bekannt. Die meisten Amerikaner, die nach Deutschland kämen, besuchten Heidelberg. Ob er nicht auch mal nach Europa fliegen wolle.

    Europa interessiere ihn nicht besonders, behauptete er. Er wolle lieber bald einmal in eine Reservation fahren. Seine Vorfahren mütterlicherseits seien Indianer.

    „Oh really! Then you belong to these persons who really have got the right to live here." Dann gehöre er zu den Personen, die wirklich das Recht hätten, hier zu leben.

    Er lächelte. „I don’t want to go that far." So weit wolle er nicht gehen. Er fügte hinzu, er fühle sich seinen indianischen Verwandten sehr verbunden. Er erwähnte ihren Kampf gegen Entwürdigung und Unterdrückung. Seine Großmutter habe der Führerschicht angehört und habe sich Umsiedlungen widersetzt. Das alles bedeute ihm viel.

    Ich sah in sein Gesicht, keine Schlitzaugen, keine starken Backenknochen, die Nase wohl etwas breit, aber so wie man sie in Hamburg oder Dänemark oft antreffen konnte; die freien Unterarme blond behaart.

    Ja, ja. Ich könne allerdings nichts Indianisches an ihm erkennen. Er sehe vollkommen germanisch aus.

    Er griff mit zwei Fingern der rechten Hand an seine Backenknochen. Doch, da merke man es schon.

    Ich verneinte.

    Na ja, vielleicht sei es weniger im Gesicht als in der Figur erkennbar.

    Ich zuckte die Achseln. Ich stellte fest, es sei schon recht spät und ich hätte allmählich Hunger. Ob er schon zu Abend gegessen habe.

    Er schüttelte den Kopf.

    Ob ich ihn einladen dürfe, in ein Restaurant. Wenn er nichts Besseres zu tun habe … Ich würde mich sehr freuen. Wir könnten uns dann noch eine Weile unterhalten. Das sei ungemein interessant für mich.

    Gut, meinte er einfach.

    Ich war eigentlich überrascht, dass er zusagte. Es war Freitagabend, und dieser Südkalifornier, dieser gut aussehende junge Mensch, wollte mich, irgendeinen Deutschen, der sich in Hollywood aufhielt, in ein Restaurant begleiten. Ich schlug ein Lokal in der Nähe meines Hotels vor. Er war einverstanden.

    Wir erhoben uns, grüßten den Hellblonden auf der Bank. Ich ergriff meine Tasche, mein Begleiter die seine. Er war mittelgroß, ich überragte ihn mindestens um zehn Zentimeter. Wir drängten uns an zwei Jungen vorbei, die sich auf dem Seitengang vor den Spinden umzogen. Wir näherten uns der Tür zum Vorraum. Sie ging auf. Ein junger Mann erschien, blond, mittelgroß, stämmig. Er begann zu lachen.

    „Hi!", rief er aus und gab meinem neuen Bekannten die Hand. Wo er denn gewesen sei, wollte dieser wissen.

    Der andere sagte, es tue ihm Leid, dass er sich verspätet habe, aber ein Freund habe ihn besucht, und er sei ihn nicht so rasch wieder losgeworden. Ob sie ohne ihn gespielt hätten.

    „Of course. Now you have to play with yourself."

    Der andere schlug ihm lachend auf die Schulter: „You old bastard! Is Larry still here?"

    „No, he left quite a while ago. He has got a date."

    „Yeah, this old fucker."

    Mein Bekannter lächelnd: „Take it easy!"

    „Well then, bye!"

    Wir schoben uns an ihm vorbei. Durch einen Vorraum, einen teilweise überdachten Hof, die Eingangshalle.

    Wir traten ins Freie. Über uns ein wolkenloser Nachthimmel. Ein starker kalter Wind war aufgekommen. Mein Begleiter blieb stehen, öffnete seine Sporttasche, holte einen Pullover heraus, zog ihn an. Die Stufen hinab zum Gehweg an der Hudson Avenue. Wir gingen nebeneinander her, nordwärts, den Lichtern des Hollywood Boulevards entgegen.

    Sein Gesicht bläulich im Halbdunkel, zu mir emporgewandt.

    „How did you know about the Y?" Wie ich auf das Haus des YMCA gekommen sei.

    Ich antwortete, ich besäße einen amerikanischen Reiseführer für Los Angeles, dort sei dieses YMCA aufgeführt. Ich hätte auch schon in New York Einrichtungen des YMCA besucht. Die Hallenbäder des West Side Y, des Vanderbilt Y und des McBurney Y, Ende Mai, Anfang Juni, als die öffentlichen Hallenbäder geschlossen gewesen seien und es zu kühl gewesen sei, um schon im Freien zu schwimmen.

    „How did you like New York?"

    Ich begann, von Manhattan zu schwärmen, der Skyline bei Tag und bei Nacht, der Aussicht vom Dach des Rockefeller Center aus, dem stillen Fort Tryon Park am Hudson, den Sonntagnachmittagen auf dem Washington Square, wo sich irgendwelche Bands einfanden und Leute zu der Musik tanzten, der 42. Straße zwischen 6. und 8. Avenue als Corso der Lebenshungrigen, von ungeheuer schwungvollen Theateraufführungen am Broadway, von frischen und nackten Schauspielen, die ich in Greenwich Village gesehen hatte …

    Wir bogen in den Hollywood Boulevard ein. Im Gegensatz zur Hudson Avenue war er hell erleuchtet, von hohen gebogenen Straßenlaternen aus, von zahllosen Schaufenstern her; die meisten Geschäfte noch geöffnet. In den Gehweg eingelassen die Sterne für die Großen des Films … die Großen, sagen wir: die Erfolgreichen des Films. Am Rand beider Gehwege zur Fahrbahn hin mittelhohe Lorbeerbäume, das Ruhmessymbol der Alten Welt für hysterische Fleischberge, schwule Säufer, hemmungslose Ausbeuter der Neuen. Und die Menschen, die uns entgegentrieben … Der Hollywood Boulevard eine der wenigen Straßen in Los Angeles, auf der zahlreiche Menschen auch abends gingen. Gerade näherten sich uns zwei Mulattinnen, groß, sehr schlank, schmale, edle Gesichter, sie hatten wohl eine spanische Beimischung.

    Ob er schon in New York gewesen sei, fragte ich ihn.

    Er bejahte. Er teile meine Meinung, dass es eine sehr interessante Stadt sei, aber leben wollte er dort nicht.

    Ich entgegnete, ich liebte New York, trotz des Drecks auf den Straßen, trotz des Smogs, der ab und zu auftrete, trotz der Elendsviertel, einer Schande für dieses reiche Land, trotz der zahllosen Räuber und Mörder, von denen man sich bedroht fühle.

    Er wollte wissen, ob ich hier schon in einem Kino gewesen sei.

    Ich zögerte. Dieser Pornofilm … ob ich es sagen sollte. Warum denn nicht? „Only once. But I must admit it was a dirty movie."

    Er lächelte. „A dirty movie?!"

    Ja. Es sei am vergangenen Montag gewesen. Was könne man schon an einem Montagabend tun …? Da sei ich eben in diesen Pornofilm gegangen.

    Ich ergriff seinen Arm, deutete auf den Boden. Wir blieben stehen. Ob er es je beachtet habe, hier sei der Stern der Monroe.

    Nein, sei ihm noch nicht aufgefallen.

    Wir gingen weiter. Ich nannte Marilyn Monroe genial als Schauspielerin und Frau, sprach von ihrer Ausstrahlung, ihrer Stimme, ihrem Gang, ihrem Körper. Ich hätte fast alle Filme gesehen, in denen sie mitgespielt habe.

    Auch ihm gefiel sie sehr.

    Ob er wisse, wo ihr Grab sei. Nein.

    Schade, ich würde es gerne besuchen. Wahrscheinlich sei es auf dem Hollywood Cemetery. Ich wolle mal hingehen, vielleicht würde ich es finden.

    Wir überquerten die Highland Avenue. Ungefähr zweihundert Meter nach Norden die neugotische Methodistenkirche, angestrahlt, vor dem dunklen Wall der Santa Monica Mountains.

    Er fragte, ob ich den Film „Erdbeben" gesehen hätte. Ich verneinte.

    Das sei schade. Er sei sehr aufregend, und es werde viel von Los Angeles gezeigt.

    Ich erwiderte, ich hätte mit mir gerungen, ob ich den Film ansehen solle oder nicht, aber dann hätte ich mir gesagt, dass ich eines Tages nach Los Angeles fliegen würde und mich die Bilder dann verfolgen würden.

    Er sagte, vor ein paar Jahren sei im San Fernando Valley ein Erdbeben gewesen. Ein Krankenhaus sei eingestürzt, eine Kirche, eine Brücke …

    Sei mir bekannt. Ich wies auf die nachtumhüllte Bergkette. Das sei da drüben gewesen, da drüben. Ob er keine Angst vor Erdbeben habe.

    Ich sah ihn

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