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FOUND - Bis hierhin und noch viel weiter: Autobiografie
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eBook395 Seiten5 Stunden

FOUND - Bis hierhin und noch viel weiter: Autobiografie

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Über dieses E-Book

Thomas Meyerhöfer, bekannt durch seinen LifeHouseChannel auf YouTube und dem Talk-Format "Superfromm" bei BibelTV hat nach seinem erfolgreichen ersten Buch "Lost. Bring mich heim — Sinnsuchergeschichten" nun eine außergewöhnliche Autobiografie veröffentlich.

Thomas Meyerhöfer hat ein bewegtes Leben: Polizist, Pastor, Künstler und Medienmensch. In seinem neuen Buch FOUND wagt er einen Blick zurück aus einer himmlischen Perspektive: Er stellt sich vor, wie er nach seinem Tod auf Jesus trifft. In einem Raum zwischen Himmel und Erde sprechen sie über die verschiedenen Lebensstationen von Thomas Meyerhöfer: Die Arbeit bei der Polizei, die Ausbildung zum Pastor, sein Dienst als Evangelist. Seine schwere Depression und die Zeit danach.
Das Buch bietet ungewöhnliche Einblicke, ist geprägt von einer fast schamlosen Ehrlichkeit. Manchmal trotzig, voller Empörung und Unverständnis. Aber immer auch durchzogen von einem festen Glauben an einen liebenden Gott, der stets an seiner Seite war. In guten wie auch in schweren Zeiten.
Ein mutiges Buch mit ungewöhnlichen Perspektiven. Himmlisch-phantasievoll. Ein Buch, das fasziniert, ermutigt und herausfordert, an einen liebenden Gott zu glauben und ihm das eigene Leben vertrauensvoll in die Hände zu legen. Auch, wenn dabei die eigenen Pläne und Vorstellungen auf der Strecke bleiben können.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Aug. 2022
ISBN9783765576621
FOUND - Bis hierhin und noch viel weiter: Autobiografie

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    Buchvorschau

    FOUND - Bis hierhin und noch viel weiter - Thomas Meyerhöfer

    STOP!

    Eine kurze Vorbemerkung noch. Die nun folgende Geschichte ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit … WENN … wenn du sie in dieser Schriftart liest. Dann handelt es sich um meine ganz persönliche Lebensgeschichte. Von Anfang an.

    Und dann kommt es zu Unterbrechungen meiner Erzählung. Ansatzlos finde ich mich im Himmel bei Jesus wieder. Ich nutze die Chance, ihn über mein Leben auszufragen. Diese Passagen habe ich mir teilweise ausgedacht. Leicht zu erkennen an der veränderten Typographie.

    Du hast also jederzeit die Möglichkeit, dich zurechtzufinden. Dass an manchen Stellen die Wirklichkeit nach Fantasie klingt und die Fantasie ihren Platz in der Realität haben könnte, steht auf einem andern Blatt. Aber deshalb gibt’s diese typographische Orientierungshilfe. Und jetzt: ab ins Buch. Ich wünsche dir viele inspirierende, herausfordernde und fröhliche Stunden!

    Herzlichst, wo immer du gerade bist, dein

    Thomas Meyerhöfer

    Im Himmel

    Ich war tot.

    Gestorben.

    Warum und an was? Ich wusste es nicht.

    Es gab keine Blutspritzer an den Händen und um meine Hüften wehte nicht das Operationshemdchen vom Krankenhaus.

    Ich trug meine verwaschenen Jeans, die abgewetzten Adidas-Laufschuhe und das übliche schwarze T-Shirt. So wie immer.

    „Gibt’s auch eine andere Farbe?", nervte Doro, wenn ich wieder vor meinem Kleiderschrank stand und mir ein frisch gewaschenes schwarzes Shirt aus dem Regal zog.

    „Schatz, die Dinger sind gebügelt!", protestierte sie und schüttelte in gespieltem Entsetzen ihren Kopf. Die langen Federn an den Ohrringen flogen ihr durchs Gesicht.

    „Das nächste Mal bügelst du", grinste sie und verschwand aus unserem Schlafzimmer.

    Doro. Meine Geliebte. Partner in Crime. War sie in diesem Augenblick gerade damit beschäftigt, meine Beerdigung zu planen? Vermutlich würde sie das alles nur im Funktionieren-Modus überstehen; mit unseren Kindern im Wohnzimmer sitzen und sich über den Behördenkram ärgern.

    Ich drehte mich im Kreis und hatte Mühe, mich zurechtzufinden.

    Hier sah es aus wie an der Endhaltestelle eines trostlosen Bahnhofs. Nur ein Gleis führte unter das große Betondach. Hinter den zersplitterten Scheiben der Auskunft hingen Papierfetzen eines früheren Fahrplans.

    Die Beleuchtung summte und immer wieder flackerte das Licht.

    Wieso war ich hier?

    Ich lehnte mich an einen kalten Eisenmast, atmete tief ein und versuchte so, die anrollende Panikwelle in Schach zu halten.

    Als ich noch lebte, zweifelte ich nicht daran, dass mich nach meinem Tod der Himmel erwartet: lichtdurchflutet, laute Musik und glückliche Menschen. Dazu Engel, die aus fetten Posaunen den himmlischen Ankömmlingen einen Willkommensgruß schmetterten. Die Helden aus der Bibel mischten sich unters Volk und vor allem: Gott selbst würde seine Arme ausbreiten, mir die Tränen abwischen, mich trösten und mir ins Ohr flüstern, dass ich es endlich geschafft hätte. Ein bisschen so wie damals mit Papa in Italien.

    Ich war noch ein Knirps und mit den Eltern im Urlaub. Auf dem Weg zurück zum Hotel hatte ich mich rettungslos verlaufen. Ich drehte mich im Kreis. Und dann begriff ich: Das hier … das war nicht unser Hotel.

    Eine Panikwelle überrollte mich. Ich rief nach Mama und Papa – vergeblich! Nur mit Mühe schaffte ich den Rückweg zum Strand.

    Vom Meer aus betrachtet glich ein Hotel dem anderen. Und das gab mir den Rest: Ich schrie um Hilfe, heulte hemmungslos und ließ mich in den Sand fallen. Die vorbeiziehenden Urlaubshorden überließen mich meinem Schicksal. Sie hatten Besseres zu tun, als ein verlorenes Kind zu beschützen.

    In diesem hilflosen Moment erinnerte ich mich wieder an die Aussage von Papa:

    „Wenn ihr euch verlaufen habt, trichterte er mir und meinem Bruder ein, „dann geht zu Bademeister Nummer sieben!

    Stephan und ich nickten synchron. Verlaufen? Wir doch nicht!

    „Habt ihr gehört, Bademeister Nummer sieben!", wiederholte mein Vater vorwurfsvoll, weil er wusste, dass seine Jungs in Gedanken im Meer plantschten und unter den Wellen tauchten.

    Alle hundert Meter hockten weiß gestrichene Holzhütten am Strand. An den Seitenwänden hingen große schwarze Ziffern. Hütte Nummer sieben stand in Sichtweite unserer Handtücher, Schaufeln und Sandeimerchen.

    „Bademeister Nummer sieben", wiederholten wir.

    Papa nickte und wir stürzten uns ins Mittelmeer.

    An diesem Abend erschien kein Suchtrupp. Aus den Lautsprechern krächzte Werbung. Die Sonne kam dem Meer gefährlich nahe. Dass ich mich selbst in diese missliche Lage gebracht hatte, spielte an diesem Abend keine Rolle.

    „Ich will zum Bademeister Nummer sieben!, fing ich an zu brüllen. „Bademeister Nummer sieben! Ich … will … zum … Bade … meister … Nummer … sieben!!

    Plötzlich beugte sich ein dicker, braun gebrannter Mann zu mir herab. Der riesige Bauch hing über den Bund seiner weißen Sporthose. Aus seinem Mund kamen Worte, die ich nicht verstand.

    „Bade … meister … Nummer … sieben", schniefte ich und fing gleich wieder an, über den Strand zu brüllen. Der dicke Italiener fasste meine Hand und stapfte mit mir los. Ich heulte noch lauter. Vor einem weißen Häuschen blieb er stehen. Davor hockte ein Mann mit einem schwarzen Schnurrbart. Er trug ein helles Unterhemd und lächelte. Der Fremde erhob sich schwerfällig und streichelte mir über den Kopf. In diesem Augenblick entdeckte ich meinen Vater! Er lief den Strand entlang. Er suchte nach mir!

    „Babaaa! Babaaa! Babaaa!"

    Ich riss mich los, rannte zu Papa, warf mich in seine Arme, heulte und schrie und zitterte und schluchzte. Alles gleichzeitig. Alles auf einmal. Mein Vater! Er hatte mich gesucht und gefunden! Meine Tränen wässerten seinen Hals, den ich umklammerte. Und Papa ließ mich nicht mehr los.

    Genau so hatte ich mir immer meine erste Begegnung mit Gott im Himmel vorgestellt: feste Umarmungen, Küsse auf die Stirn und ins Gesicht und viele Streicheleinheiten. Die pure Liebe, fettes Glück und überschwängliche Dankbarkeit! Mein Kopf an der Brust dessen, der mich während meiner Erdenzeit nicht nur einmal in ausweglosen Situationen gefunden und mich daraus gerettet hatte.

    Stattdessen lehnte ich mich in einem verlassenen Bahnhof gegen einen schmutzigen Eisenmast. Der Wind trieb dreckige Plastiktüten vor sich her.

    „Und jetzt?" Das Echo hüpfte durch die menschenleere Halle.

    „Ist das der Himmel?", schrie ich übers Gleis.

    Niemand machte sich die Mühe, meine Fragen zu beantworten.

    Es kam auch kein dicker Italiener vorbei, um mich dem Bademeister Nummer sieben zu übergeben.

    Ich war allein.

    „Also dann …"

    Vorsichtig stieß ich mich vom Eisenmast ab, hielt die Luft an, machte einige Schritte und tauchte tiefer in die dunkle Halle ein. Ich zählte mit, weil ich mir einredete, meinen Ausgangspunkt so schneller wiederzufinden. „Eins, zwei, drei … achtzehn, neunzehn …" Erst als sich mir nach fünfundzwanzig Schritten keiner in den Weg stellte, getraute ich mich wieder zu atmen.

    Ich schnappte nach Luft wie ein kleines Baby, das aus einem Schreikrampf zurückkommt.

    Ich sah mich um.

    Weiter vorne hing ein kaputter Automat an der Betonwand. Früher war er rot lackiert. Heute klebten nur noch ein paar Farbfetzen an den verrosteten Seitenwänden. Auf der schmutzigen Plexiglasscheibe stand in schwarzer Schreibschrift das Wort „Fi me".

    Ein Filmautomat? Im Himmel? Analoge Technik wie vor sechzig Jahren? Bevor ich den Inhalt des Automaten näher untersuchen konnte, entdeckte ich den dunklen Gang.

    Ohne den fahlen Schein dreier altmodischer Laternen, die über dem Eingang im Wind schaukelten, hätte ich ihn nie bemerkt.

    Ich vergaß den alten Blechbehälter und kümmerte mich um den geheimnisvollen Zugang. Es war ein Tunnel. Er führte direkt in den Bauch des Bahnhofs.

    Weit auseinanderliegende Funzeln enthüllten mir eine dreißig, höchstens vierzig Meter lange Strecke.

    Ohne mich umzudrehen, betrat ich den Gang. Ich wollte wissen, wohin er führte.

    Dieser Flur erinnerte mich an meinen ersten Polizeieinsatz: Hunderte Demonstranten besetzten mehrere Gebäude, die durch ein Labyrinth miteinander verbunden waren. Nach zähen Verhandlungen zogen sie sich zurück; nicht ohne im größten Raum des Hauses ihr persönliches Abschiedsgeschenk an uns Polizisten zu hinterlassen: Eine braune stinkende Masse klebte an Wänden und auf Teppichen. Kein schöner Anblick. Vom Gestank ganz zu schweigen.

    Immerhin: Hier gab es keinen scheußlichen Geruch.

    Nach ein paar Schritten beendete eine Mauer ohne Durchlass die Passage. Wäre der Himmel in Sicht- und Hörweite, müssten spätestens jetzt die ersten Töne zu hören sein. Es war alles still.

    Ich hatte noch nie Probleme damit, Stille auszuhalten – auch nicht, als ich dem dauernickenden Psychiater aus meinem Leben erzählte, plötzlich nicht mehr weiterwusste und nach einer Weile unweigerlich in ein tiefes Schweigen fiel.

    Eine kleine Tür in ein Treppenhaus beendete meinen kurzen Ausflug in die Vergangenheit.

    Mir war sie gar nicht aufgefallen.

    Die Stufen führten in weitläufigen Kreisen immer weiter in die Höhe.

    Alle paar Meter beleuchtete eine Glühbirne die Umgebung; sie hing an einem Kabel, das direkt aus der Mauer kam.

    Während meines Aufstiegs dachte ich an Geschichten von früher, in denen mir Menschen über ihre Begegnung mit dem Sohn Gottes erzählten.

    Da schwebten Wesen über Blumenwiesen, weißes Licht vermischte sich mit tiefblauem Himmel, Tiere konnten sprechen und ein schmächtiger Jesus hatte alle Zeit der Welt, um sie über Vergangenheit und Zukunft aufzuklären.

    Von einem leerstehenden Bahnhof und einem riesigen Treppenhaus hatte ich noch nie gehört.

    Um ehrlich zu sein: Ich wollte keine Sekunde länger an diesem schrecklichen Ort bleiben; und ich wünschte mich zurück zu Doro, zu unseren Kindern und hinter den Lenker meines Motorrades.

    Ich schnaufte schwer und beugte mich über das Geländer. Es war kalt. Mein Schweiß tropfte auf die Stufen.

    „Wie lange noch?", rief ich in die Dunkelheit.

    Natürlich erhielt ich keine Antwort.

    Dafür entdeckte ich das Ende der Treppenstufen.

    Nur noch wenige Meter trennten mich von einer Tür. Und dann? Das nächste Treppenhaus?

    Ein schmutziges Schild baumelte am Ausgang. „Exit" stand dort. Englisch? War das die Sprache des Himmels?

    „Und was kommt als Nächstes?, zischte ich. „Vielleicht ein Marathon oder gehässige Prüfungsfragen? Ich zog mich am Geländer bis nach oben und ließ mich erschöpft auf die oberste Stufe fallen. „Ich weiß nicht, was das soll, Jesus, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt."

    Ich legte meinen Kopf auf den kalten Boden. „Möchtest du mich bestrafen? Oder ist das gar nicht der Himmel?", dachte ich.

    Mich fror bei diesem Gedanken.

    Wenn das die Hölle war, dann würde sich hinter dieser Tür das nächste Treppenhaus befinden. Und noch eins. Und wieder eins. Dunkel, kalt und ewig ziellos unterwegs.

    Dann könnte ich gleich liegenbleiben.

    Warum gab es kein Empfangskomitee? In der Bibel stand geschrieben, dass Jesus am Ende der Zeit unsere Tränen abwischen würde. Und? Wo war er? Weder der Sohn Gottes noch ein großes weißes Taschentuch erwarteten mich am Bahnsteig. Ganz davon abgesehen, liefen mir keine Tränen übers Gesicht; ich war extrem wütend. Könnte das der Grund dafür sein, dass mir der Himmel verschlossen blieb? Oder stellte sich in diesem Augenblick heraus, dass mein bisheriger Glaube ein belangloser Zeitvertreib gewesen war?

    Als die Kälte meinen Körper bearbeitete, wusste ich nicht, womit ich mehr Probleme hatte: Eine Ewigkeit lang in der Hölle Treppen steigen, ohne jemals den Ausgang zu erreichen …. oder mit der Erkenntnis leben müssen, dass es überhaupt keinen Himmel gibt.

    „Finde es heraus", flüsterte ich, erhob mich schwerfällig und legte meine Hand auf die Türklinke. Lautlos schwenkte die Tür nach außen und erlaubte mir den Zutritt zu einem gigantischen Foyer!

    Die Wände streckten sich in die Höhe – breiteten sich nach links und rechts aus … die Ausmaße verschlugen mir die Sprache.

    Hinzu kam, dass durch die kalte, dunkle Halle fetter Nebel waberte. Der feuchte Schleier verhinderte die Sicht auf die wahre Dimension des Konstrukts.

    „Was soll das?, brüllte ich durch die Halle. „Zeig dich endlich!

    Noch während das Echo durch die Halle kreiste, öffnete sich eine Tür. Ein breiter Lichtstrahl kämpfte gegen die Dunkelheit und gewann.

    Eine Gestalt lehnte sich an den Türrahmen. Jetzt winkte sie mir zu.

    „Sprichst du meine Sprache?", rief ich in ihre Richtung. Meine Nerven waren nicht mehr die besten.

    „Klar!", antwortete die Erscheinung und kam einige Schritte auf mich zu.

    Es war ein Mann. Er trug einen Vollbart, hatte schulterlanges Haar und sah auf den ersten Blick sympathisch aus.

    Vielleicht ein Engel?

    Oder Jesus?

    Im Augenblick spielte das ehrlich gesagt keine große Rolle für mich. Ich wollte nur noch weg.

    „Komm mit!", lächelte der Fremde und machte mit seiner rechten Hand eine einladende Bewegung hinein ins Licht.

    Der grelle Lichtschein schmerzte – ich musste meine Augen bedecken.

    „Ist gleich vorbei, lachte der Typ, „du warst zu lange in der Dunkelheit. Doch deine Augen gewöhnen sich schnell daran.

    Er schob mich aus der feuchten Nebelhalle zu sich ins Licht. Hinter meinen Lidern kreiselten gelb-orangene Farbtupfer.

    „Gib dir noch ein paar Sekunden!, riet mir der Fremde. „Wir haben Zeit.

    Ich stieß mit meinem Fuß gegen ein Hindernis.

    „Nichts passiert!, rief er schnell. „Du kannst jetzt deine Augen langsam öffnen.

    Das Zimmer

    Ich hielt mich an der Lehne eines großen, schwarzen Ledersessels fest.

    Drei dieser großen Polstermöbel verteilten sich im Zimmer.

    Die Anordnung war gewollt: Jeder sollte jedem in die Augen sehen können.

    In der Mitte des Raumes stand ein niedriger Glastisch. Die gesamte Stirnseite bestand aus einem riesigen Fenster. Keine Stütze störte den Blick ins Freie. Wie war das technisch möglich?

    Vorsichtig näherte ich mich dem Wunderwerk.

    Draußen strahlte ein Himmel, so blau, dass es fast schon überzogen wirkte. „Da hat jemand den falschen Insta-Filter erwischt", dachte ich und berührte vorsichtig das Glas. Wieso hinterließ ich keinen Fingerabdruck auf der Scheibe?

    Draußen vor dem Fenster spielten Kinder. Sie rannten um die Wette, kickten den Ball übers Gras oder ließen sich von großen Schaukeln in die Luft werfen.

    Am Waldrand ästen Rehe.

    In meiner Erinnerung öffneten sich Türen zu zahlreichen Bibelstunden, in denen alte Männer von klobigen Kanzeln herab davon sprachen, dass eine Zeit kommen würde, in der Babys gefahrlos neben dem Nest der giftigen Otter spielten. Mit feuchten Augen zitierten sie aus der Heiligen Schrift und malten aus, wie es sein würde, wenn Löwen und Kühe Stroh fressen, Wölfe und Lämmer gemeinsam im frischen Klee weideten; dass es keine Feindschaft mehr unter den Menschen gäbe und Raubtiere das Jagen eingestellt hätten.

    „Das ist dann, der Prediger schloss das schwarze Buch und schwenkte es über seinem Kopf, „das tausendjährrige Rrrreich! Seine Stimme donnerte und in seinen Augen lauerte das Unheil. „Bis dahin, kam er zum Schluss, „bis dahin wirrd die Männschheit leiden.

    Aus unerfindlichen Gründen blieb mir dieses Leid wohl erspart. Entweder hatten die Prediger gelogen oder die Zugangsbestimmungen waren geändert worden. Allerdings hatte die Welt vor dem Fenster eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem, was mir in den Anfangszeiten meines Christseins über die letzten Tage der Menschheit gepredigt worden war. Vielleicht konnte mir der Fremde meine Fragen beantworten. Ich drehte mich um. Er lehnte sich gegen die verschlossene Tür.

    Das quadratische Zimmer war groß, ich schätzte jede Wand auf sechs Meter Länge. Bis hinauf zur Decke mindestens drei Meter. Gegenüber der Fensterfront befand sich eine weiße Einbauküche. Darauf stand eine Kaffeemaschine, es gab einen Kühlschrank und eine Spüle. Alles in Weiß. An der Decke hingen vier Lampen, die mich an die smarte Beleuchtung unserer irdischen Küche erinnerten. Unauffällig suchte ich nach einer Fernbedienung fürs Licht. Vergeblich. Dann gab’s da noch ein tiefergelegtes, schlankes Sideboard. Mir gegenüber. Auch in Weiß. Natürlich. Zwei fette Lautsprecher thronten links und rechts daneben. Ich hätte schwören können, dass neben der rechten Box ein iPod Touch lag. In Blau.

    Musik schwebte durch die Luft. Die Folkband America sang über das Pferd ohne Namen. Die Lautsprecher besaßen einen exzellenten Klang – der Bass hervorragend ausgesteuert. Noch nie hatte ich Musik in dieser Qualität gehört.

    „Ich bin also tot", sagte ich der Fensterfront.

    Langsam drehte ich mich um, suchte mir einen Platz und ließ mich in den Sessel fallen.

    Der Fremde grinste mich an. „Du kannst ja doch sprechen", entgegnete er, wählte sich den Sessel gegenüber aus, ließ sich fallen und lehnte sich zurück.

    „Und, was kommt jetzt?"

    Das klang eine Spur zu genervt, doch ich schaffte es nicht, mit meinen Gefühlen klarzukommen. Mir gegenüber hockte ein großer, bärtiger Typ Ende dreißig und hörte Volksmusik aus den Staaten.

    „Was soll denn kommen?"

    Er beugte sich zu mir herüber und schien tatsächlich an meiner Antwort interessiert.

    „Woher soll ich das wissen? Ich bin tot und … ist das der Himmel oder die Hölle? Bin ich verloren oder gerettet?"

    Ich rutschte auf meinem Sitzkissen hin und her.

    „Was hast du denn erwartet?"

    Die Frage passte mir nicht. Meine Vorstellungen vom Himmel hatten noch nie mit denen der anderen übereingestimmt.

    Lobpreis immer und überall?

    In einer unüberschaubaren Menge die Hände in die Luft strecken?

    Weiße Kleider tragen? Immer glücklich sein?

    In einer Stadt aus purem Gold leben müssen?

    „Niemals", flüsterte ich.

    „In einem solchen Himmel wollte ich auch nicht leben", antwortete mein Gegenüber leise.

    Ich hob verwundert den Kopf. Er konnte Gedanken lesen. Warum erstaunte mich das nicht?!?

    Draußen vor der Fensterfront verabschiedete sich die Sonne und wanderte am Fichtenwald vorbei in Richtung Osten. Und was passierte mit den Kindern? Würden die von ihren Eltern abgeholt – vorausgesetzt, die lebten schon im Himmel? Bot das Lamm dem Wolf seine wollene Seite an, damit der nicht fror?

    „Bist du Jesus?", fragte ich unvermittelt.

    „Jepp", erklang‘s von gegenüber.

    „Muss ich mich jetzt niederwerfen?"

    „Kommt gleich, grinste der Typ. „Doch zuerst musst du dich umziehen. Die im Chor tragen alle weiße, lange Kleider.

    Mir wurde schlecht. Nur kurz, denn Jesus konnte sich nicht zurückhalten und sein Lachen flog durchs Zimmer.

    „Kein guter Witz!", entgegnete ich und musste lächeln. Das erste Mal, seit ich gestorben war.

    „Komm schon, das war doch lustig!" Der Sohn Gottes wischte sich die Tränen vom Gesicht.

    Er gefiel mir.

    „Was machen wir hier?", fragte ich unvermittelt.

    Jesus holte tief Luft.

    „Dort, er zeigte mit seinem Kopf in Richtung Fenster, „dort draußen ist der Himmel. Doch bevor du meine Welt betrittst, möchte ich mit dir über dein Leben reden.

    „Über mein Leben?"

    Jesus erhob sich.

    „Hast du Durst?"

    Ich nickte. Vermutlich würde er mir das wunderbare Wasser des Lebens präsentieren: sprudelnd, klar und voller guter …

    „Pepsi Max, richtig?"

    Jesus schenkte mir schon zum dritten Mal nach. Ich schwieg noch immer und starrte aus dem Fenster.

    Also: Er wollte mit mir über mein Leben reden.

    Würde davon abhängen, ob ich freien Zugang zum Himmel bekäme?

    Würde er mir meine Sünden unter die Nase reiben?

    Mir anschließend mitteilen, dass es für mich keinen Zutritt gäbe?

    „Das stresst mich!"

    Ich knallte mein Glas auf den Tisch. Ein hoher Ton pfiff durch den Raum.

    „Was stresst dich? Dass du mir über dein Leben erzählen sollst?"

    „Nein! Ich … wenn du plötzlich … dann tot." Ich suchte nach den richtigen Worten.

    Der Sohn Gottes lächelte und nickte aufmunternd zu mir herüber.

    „Ich … ich glaube, dass du dich nicht in mich hineinversetzen kannst, antwortete ich eine Spur zu schnell. „Bis jetzt warst du der Mann aus dem Buch, der Sohn Gottes, der König, der in den Wolken kommen soll, der Mann mit dem Schwert in der Hand, der den Teufel besiegt hat, übers Wasser marschierte, das Meer staute, die Sonne stoppte … all diese Aktionen …

    „Aktionen?"

    Jesus legte seinen Kopf schief.

    „… und jetzt sitze ich dir (ich überhörte seine Verwunderung) „… dir gegenüber und du gibst mir Pepsi zu trinken und lässt America im Hintergrund laufen? Das kriege ich NULL auf die Reihe! Echt nicht!

    Ich musste husten, verschluckte mich vor Aufregung.

    „Lass uns über dein Leben reden!" Er überhörte meine Unsicherheit.

    „Warum?!? Was willst du jetzt noch wissen? Du weißt doch sowieso Bescheid. Über alles!"

    Ich hielt die Luft an.

    „Das stimmt, antwortete er leise. „Aber ich möchte, dass du dir Zeit für einen Rückblick auf dein Leben nimmst.

    Meine Augen brannten. Warum, wusste ich nicht.

    „Was ist deine früheste Erinnerung?", wollte er von mir wissen.

    Ich ließ meinen Kopf zurück auf die Lehne fallen.

    Die Deckenlampen verbreiteten eine heimelige Wärme.

    Die Leuchten strahlten mit der untergehenden Sonne um die Wette.

    In wenigen Minuten würde die Zimmerbeleuchtung das einzige Licht in der Dunkelheit sein.

    Wer wohl auf die Kinder dort vor dem Fenster aufpasste?

    Ich atmete tief durch. Warum wollte Jesus, dass ich in meine Kindheit zurückreiste? Spekulierte er auf eine fromme Antwort? Wenn ja, dann könnte ich ihm davon berichten, wie meine Mutter meinen Bruder und mich ins Bett schickte. Ein paar Minuten später stand sie in der Tür und wir sprachen unser Nachtgebet: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm."

    Natürlich wusste ich damals noch nicht, was dieses Gebet zu bedeuten hatte. Es gehörte zum Abendritual wie der Gute-Nacht-Kuss meiner Mutter.

    Im blauen Haus der Fantasie

    Aufgewachsen bin ich in einem abgelegenen Dorf. In meiner Erinnerung dauerte es Stunden, um die kurvige Straße durch einen finsteren Wald hinauf auf den Berg zurückzulegen. Endlich oben angekommen, spuckte einen die Dunkelheit zurück ins Licht. Ein paar Dörfer verteilten sich auf der Hochfläche. In unserem gab es einen Bäcker, zwei Gaststätten, eine evangelische Kirche und den Tante-Emma-Laden. Dazu viele Bauernhöfe mit Güllegruben direkt neben der Haustür. Die Bauern ratterten auf ihren Treckern vor dem Haus vorbei und glotzten auf das Rosenspalier in unserem Vorgarten. Wir waren die Zugezogenen. Die Städter. Die aus Stuttgart kamen. Die, die keinen Misthaufen neben ihrer Haustür sitzen hatten und in deren Garage kein grüner Trecker repariert werden musste.

    Hinzu kam noch ein selbstgemachter Doppelskandal.

    Aufreger Nummer 1: Mein Opa hatte das Haus gebaut und er verlangte von den Malern, dass sie es mit hellblauer Farbe verputzten. Für die Menschen aus dem Dorf war das ein gefundenes Fressen für weitreichende Spekulationen: In einem hellblauen Haus wohnten entweder Italiener oder es war ein Bordell. Beides traf nicht zu.

    Aufreger Nummer 2: In dem hellblauen Haus lebte ein älteres Ehepaar. Meine Großeltern. Außerdem: Zwei Teenies, die einen Kinderwagen durch die mit Kuhscheiße verdreckten Straßen schoben. Im Kinderwagen schlief ich. Ein Bastard – beinahe, denn ich hatte Mitleid mit meinen Eltern und ließ sie vor meiner Geburt noch heiraten. Einige Tage später stand ich auf der Matte, vielmehr: lag im Bettchen.

    1962 war das ein Skandal! Nicht nur auf dem Dorf, sondern auch in der Landeshauptstadt, wo meine Eltern damals lebten. Deshalb begann für meine Eltern ein Spießrutenlauf durch die Meute schwäbischer Gutmenschen. Eine Jugendliche mit dickem Bauch? Geschwängert von einem noch jüngeren Bürschchen?

    Als ich ein Jahr alt wurde, endete das Martyrium für meine jungen Eltern in der Großstadt … und das neue Leben nahm seinen Anfang. Allerdings mit den eben genannten kleinen Denkfehlern: Ein „blaues Haus" reichte seinerzeit zum Dorfgespräch inklusive Vorverurteilung. Und: Zwei Kinderwagen schiebende Teenager brachten die Gerüchteküche zum Überkochen.

    „Ist das deine erste Erinnerung?"

    Jesus griff mit der rechten Hand seinen linken Oberarm.

    „Nein. Das ist der Anfang. So wurde es mir erzählt."

    „Hattest du deswegen ein schlechtes Gewissen?" Jesus streckte sich.

    „Ich? Warum? Nein, natürlich nicht. Kann ich denn etwas dafür? Außerdem sagst … außerdem steht es ja in der Bibel, dass wir alle geplant und gewollt sind. Oder?" Mein Atem ging schneller.

    „Warst du gewollt?", hakte Jesus nach.

    Ich wand mich. „Was soll die Fragerei? Du … also Gott … ihr wolltet mich doch, oder? Immerhin steht das so in der Bibel, dass wir von dir oder euch im Mutterleib gebildet werden."

    „Warst du gewollt?", wiederholte er seine Frage.

    „NEIN!", schrie ich auf und sprang ans Fenster.

    „Ich war nicht gewollt! Es war ein One-Night-Stand und fertig. Aber das weißt du ja auch. Das passiert! Da denkt doch keiner an die Folgen – und an eine mögliche Schwangerschaft sowieso nicht! Ich kann froh sein, dass sie mich nicht abgetrieben haben!"

    Jesus schwieg.

    „Wer behauptet das?", wollte er nach einer viel zu langen Pause wissen.

    „Ist das wichtig?" Mein Schädel brummte, obwohl ich tot war.

    Der Sohn Gottes sagte immer noch nichts.

    „Darf ich dich etwas fragen?", flüsterte ich.

    „Frag mich."

    „Wieso willst du das alles von mir wissen? Du weißt doch sowieso alles."

    Jesus holte tief Luft. „Weil …, er legt seine Hände auf die eckigen Lehnen des Sessels, „weil ich mit dir über dein Leben sprechen möchte. Hast du gedacht, du kommst hier an und wir überspringen kommentarlos deine lange Reise? Du trägst Begegnungen, Erfahrungen und Geschichten in dir und der Himmel soll ignorieren, was tief in deinem Herzen ruht?

    Aus dieser Sicht hatte ich es noch nie gesehen.

    Ich nickte. „Das verstehe ich", gab ich Jesus zur Antwort.

    „Wie weit schaffst du es zurück?"

    Er ließ nicht locker.

    „Autos, ich spielte immer mit Autos. Ich hatte sogar ein hellblaues Tretauto aus Blech!"

    „Passend zum Haus!" Jesus grinste.

    „Aus Blech", wiederholte ich gereizt.

    In einer Holztruhe versteckte ich meine wundervollen Schätze: Polizeiautos, Rennwagen, ein Porsche, ein schwarzer Mercedes und ein tiefer gelegter VW-Käfer. An dem fehlte aber das rechte Hinterrad. Und jedes Mal, wenn uns die Eltern meines Vaters besuchten, überreichten sie mir ein neues Fahrzeug. Vorsichtig befreite ich es aus seiner Schachtel, legte es zu den anderen in die Truhe und konnte es kaum abwarten, bis ich die Erlaubnis erhielt, vom Kaffeetisch aufzustehen. Dann rannte ich zurück in mein Zimmer und fantasierte mich durch Autobahnen und Verfolgungsfahrten. Das neue Modell war natürlich der Star in meiner Geschichte.

    „Wie alt warst du?" Jesus richtete sich in seinem Sessel auf.

    Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht vier?"

    „An was kannst du dich noch erinnern?", wollte er wissen.

    „Keine Ahnung!", gab ich ihm zur Antwort.

    „Schau aus dem Fenster, forderte mich Jesus auf. „Vielleicht hilft dir das weiter!

    Aus dem Fenster? Dort gab es keine Aufreger: weite Wiesen und am Horizont der dunkle Wald. Die letzten Sonnenstrahlen verteilten rosa Farbspritzer an den Himmel. Sonst war hier …

    „Die Natur!", flüsterte ich.

    Jesus lächelte und nickte entspannt.

    Hinter dem blauen Haus gab es unseren riesigen Garten, daran schlossen sich weite Felder an und am Ende der Äcker wartete der Wald. Wer sich in dem verirrte, musste viele Kilometer marschieren, um ins nächste Dorf

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