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Irre: Kriminalroman
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eBook233 Seiten3 Stunden

Irre: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

In einer geschlossenen Anstalt treffen drei höchst ungewöhnliche Menschen aufeinander: Carla, die von ihren erwachsenen Kindern "überredet" wurde, sich einige Zeit zu erholen, Paul, der manisch die skurrilen Geschichten der anderen Patienten zum Besten gibt, und Ellen, die nichts anderes tut, als zu lächeln und zu schweigen. Im Laufe ihrer Unterhaltungen entfalten sich die bizarren Geheimnisse der drei -mit fatalen Folgen. Aus den Mauern, die sie umgeben, kommen sie nie wieder heraus. Viele abgründige Geschichten in einer. Ein ungewöhnlicher Kriminalroman der virtuosen Erzählerin aus dem Ahrtal mit überraschenden Erzählperspektiven, der seine Leser bis zum bittersüßen Ende fesselt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Juli 2013
ISBN9783954410750
Irre: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Irre - Erika Kroell

    feiern.

    Hey, Sie, kommen Sie her!«

    Die Stimme kam von hinten links aus der Ecke. Dort saß ein Mann und winkte mir zu.

    »Setzen Sie sich zu uns!«

    Ich blieb in der Tür stehen und sondierte erst einmal meine Umgebung. Der Raum war grell erleuchtet; hässliche Neonröhren zogen sich in exakt bemessenen Abständen an der Decke entlang, tauchten das Zimmer in ein kaltes Licht und ließen niemandem die geringste Chance, sich in einer dämmrigen Ecke vor den Augen der Welt zu verstecken. Für ein Zimmer dieser Größe waren viel zu viele Menschen darin. Es hatte den Charme der Raucherzimmer in einem Krankenhaus. Nur rauchte hier niemand.

    Am liebsten wäre ich rückwärts wieder hinausgegangen. Aber da stand dieser beleibte Cherub – »Ich bin Schwester Hilda, meine Liebe« – unmittelbar hinter mir. Ihr heißer, keuchender Atem befeuchtete meine empfindsamen Nackenhärchen. Es gab kein Zurück.

    Entschlossen trat ich einen Schritt in den Raum hinein und ließ meinen Koffer zu Boden sinken. Ich fühlte mich wie Alice im Wunderland vor der Entscheidung, ob sie nun in den Keks beißen soll oder nicht. Nur mit dem Unterschied, dass, egal, ob ich hineinbeißen würde oder nicht, das Ergebnis immer dasselbe bliebe.

    »Nun kommen Sie schon her. Hier ist noch ein Plätzchen frei!« Der Mann in der Ecke winkte heftig. Ich streifte ihn kurz mit einem Blick und beschloss, ihn so lange wie möglich zu ignorieren.

    Die Tür, durch die ich eingetreten war, war die einzige in dem fast quadratischen Zimmer. Ein Doppelfenster in der rechten Wand gab den Blick auf einen kahlen Garten frei, in dem nur hier und da ein wenig Grün spross. Die meisten Bäume und Büsche waren noch winterbraun und traurig. In der Mitte des Gartens machte ich eine gepflasterte Plattform aus, auf der im Sommer wahrscheinlich Stühle und Tische mit bunten Sonnenschirmen standen. Allein die Vorstellung belebte mich ein wenig.

    Wenn wenigstens eine weiße Schneedecke diese trübe Aussicht etwas erfrischen würde. Aber nach Schnee sah es nicht aus.

    Als kleine Entschädigung gaben die abwaschbar-uringelb gestrichenen Wände dem Raum das Flair einer lange nicht gereinigten Bahnhofstoilette. Der Geruch war entsprechend.

    Der quadratische Resopaltisch, an dem der winkende Schreihals saß, war einer von fünfen, die gleichmäßig im Raum verteilt standen. Auf fast allen Stühlen saßen Menschen, manche auch daneben. Einige waren recht anständig gekleidet in Hose oder Rock, Pullover oder Hemd. Andere trugen Jogginganzüge, Nachthemden oder gestreifte Bademäntel, die bessere Tage gesehen hatten. Vielleicht auch nicht.

    Außer dem Mann in der Ecke starrten mich noch einige neugierige Augenpaare an. Die meisten Patienten allerdings schien die Anwesenheit eines Neuankömmlings weit weniger zu beeindrucken als die buntflirrende Talkshow, die über den Bildschirm des Fernsehers in der Ecke flackerte. Ich war nicht undankbar dafür.

    Die erdrückende Fülle des Zimmers, meine alles in allem unerfreuliche Situation und Schwester Hildas dicker, dampfender Leib in meinem Rücken ließen mich ein wenig schwindlig werden. Schnell nahm ich meinen Koffer auf und gab dem Drängen des winkenden Mannes in der Ecke nach. Besser, mit Schwachsinnigen an einem Tisch zu sitzen als auf der Türschwelle ohnmächtig zu werden und gleich in der Geschlossenen zu landen.

    Er hatte mich offenbar die ganze Zeit im Auge behalten. Kaum tat ich den ersten Schritt in seine Richtung, sprang er auf und zog den einzigen freien Stuhl am Tisch zurück. Auf dem dritten Platz hockte eine freundlich wirkende, ältere Frau, die mir unverbindlich zulächelte.

    Ich stellte den Koffer in meiner Nähe an der Wand ab und setzte mich.

    »Nehmen Sie Platz, und ruhen Sie sich erst mal aus«, rief der Mann, obwohl ich längst saß. »Sie sehen etwas mitgenommen aus.«

    Ich nickte. Genauso fühlte ich mich auch. Er setzte sich ebenfalls, sprang aber sofort wieder auf und streckte mir seine Hand hin.

    »Ich bin Paul. Seien Sie herzlich willkommen in unserer kleinen verrückten Familie.«

    Sein Witz riss ihn schier von den Füßen, und noch während er meine Hand hielt, sank er prustend wieder auf den Stuhl zurück.

    »Entschuldigen Sie«, lachte er und wischte sich die Augen, »mit der Zeit wird man hier ein bisschen komisch.«

    In mir regte sich kein Widerspruch.

    Während Paul seine Lachtränen mit einem karierten Taschentuch abwischte, in das er anschließend kräftig schnäuzte, musterte ich ihn. Er trug einen dunkelblau-grünweinrot-gestreiften Bademantel, aus dessen Ärmeln ein hellblauer Schlafanzug mit dunkelblauen Biesen herausragte. Der Kragen des Schlafanzugs stand offen, und ich sah grau geringelte Brusthaare hervorquellen, gerade so viele, dass es mir zu viel war. Sein lockiges Haupthaar hatte die gleiche Farbe, durchzogen von wenigen dunklen Strähnen. Das Gesicht war hager, die Augen lebhaft, die Nase groß und ein wenig gebogen. Irgendwann einmal, das mochte so an die tausend Jahre her sein, musste er ein schöner Mann gewesen sein.

    »Und das hier«, fuhr er fort, jetzt wieder ruhiger, »ist Ellen. Darf ich vorstellen: Ellen, das ist ... wie, sagten Sie, war Ihr Name?«

    Ellen lächelte mir zu. Ihr Alter war undefinierbar. Glattes graues Haar hing bis auf ihre mageren Schultern herab, die von einem dünnen, zartgeblümten Nachthemd kaum verborgen wurden. Über dem runden Ausschnitt mit hellgelben Rüschen sah ich hervorstehende Schlüsselbeine, die Kuhlen bildeten, ausreichend für eine Tasse Suppe. Den Flecken auf ihrem Nachthemd nach zu urteilen, hatte Ellen diese Tatsache auch schon entdeckt.

    Ihre blauen Augen blickten mich lebhaft und interessiert an, aber hinter diesem Blick spürte ich eine nicht fassbare innere Abwesenheit. Ich mochte sie.

    »Hallo, Ellen«, sagte ich freundlich und streckte ihr eine Hand entgegen. »Ich bin Carla.«

    Ellen ließ ihren strahlenden Blick von meinem Gesicht zu meiner Hand sinken, fasste sie und drehte sie hin und her, während sie sie eingehend musterte. Bevor ich Gefahr lief, mir die Handlinien deuten zu lassen, zog ich sie wieder zurück. Ellen lächelte ungebrochen.

    »Carla! Was für ein reizender Name«, rief Paul überschwänglich und legte mir vertraulich eine Hand auf den Arm.

    Manisch, beschloss ich und schob die Hand sanft fort. Er ließ sie auf den Tisch plumpsen und drohte mir mit dem Zeigefinger der anderen.

    »Carla, Carla, Carla, ich habe das Gefühl, Sie mögen uns nicht.« Schelmisch lächelte er mich an. »Lassen Sie uns das sofort ändern. Was kann ich für Sie tun?«

    Was konnte er für mich tun? Das Haus in die Luft sprengen? Meine Kinder auf den Mond schießen? Bei Schwester Hilda Fett absaugen?

    »Wie wär’s mit Kaffee?«, antwortete ich lahm. Ich war müde und ausgelaugt. Ein Kaffee würde mir wahrscheinlich guttun.

    »Kommt sofort, gnä’ Frau.« Voller Energie sprang er auf und eilte durch den Raum zur Tür.

    Ellen lächelte mich wieder oder immer noch an. Offenbar stand auch ihr nicht der Sinn nach Konversation. Ich zog versuchsweise die Lippen auseinander und hoffte, dass es einem Lächeln ähnelte.

    Die anderen im Raum Anwesenden nahmen mittlerweile keine Notiz mehr von mir, und ich nutzte Pauls überstürzten Aufbruch, um mich in Ruhe umzusehen.

    Den Tisch in der rechten hinteren Ecke des Raums nahm eine Frau ganz allein ein. Zweifellos die fetteste Frau, die ich je gesehen hatte, und ich war in den Talkshows aller Privatsender sozusagen zu Hause. Sie brachte schätzungsweise zweihundert Kilo auf die Waage, gäbe es denn eine, die sie hätte aushalten können. Ihre Massen hatte sie in ein geblümtes Stoffkleid überdimensionalen Ausmaßes verpackt, das an zwei weit entfernt liegenden Löchern zwei kugelrunde Patschhändchen freiließ. Ihre Füße konnte ich zum Glück unter dem Tisch nicht erkennen. Zwischen ihren dicken Backen lugten zwei winzige dunkle Äuglein hervor, die wie gebannt auf eine Stelle des Tisches starrten, als fixierten sie ein besonders ekliges Insekt. Sie rührte sich nicht.

    Etwa einen Meter über ihrem Kopf war ein Eckregal angebracht, das einen großen Buntfernseher trug. Das schien der Hauptanziehungspunkt für die meisten Anwesenden zu sein.

    Der nächste Tisch, direkt vor dem Fenster mit der atemberaubenden Aussicht, war mit vier Leuten besetzt, die gemeinsam ein perfektes Gruselkabinett abgegeben hätten. Links saß ein Mann um die dreißig, der von einem mehrteiligen Bewegungsablauf vollständig gefangen genommen wurde. Er schüttelte langsam, aber stetig, den Kopf von links nach rechts und zurück. Seine linke Hand lag auf seinem Kopf und ballte die Finger abwechselnd zur Faust und ließ sie wieder locker. Faust. Offene Hand. Faust. Offene Hand. Der rechte Arm hing locker an der Seite herab, baumelte sogar ein wenig, und die dazugehörige Hand schien permanent nach etwas zu greifen, das ich nicht sehen konnte. Schnapp, schnapp, schnapp.

    Ihm gegenüber saß ein Mann, der sein Großvater hätte sein können, sowohl vom Alter als auch vom Aussehen. Er verharrte ganz ruhig in seiner Haltung, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und erzählte. Ich lauschte angestrengt in den Raum hinein, hörte aber kein Wort über seine Lippen kommen. Die anderen am Tisch schenkten ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Offenbar führte er unhörbare Gespräche mit unsichtbaren Personen über ungeschehene Ereignisse.

    Die Frau, die mit dem Rücken zum Fenster saß, wandte ihren Blick in dem Moment mir zu, als ich sie ansah. Sekundenlang starrten wir uns an. Augenblicklich fühlte ich mich bedroht, obwohl sie keinerlei Regung zeigte. Zumindest nicht im Gesicht, muss ich korrigieren, denn als mein Blick zu der vierten Person am Tisch wanderte, sah ich, dass ein Bein der Frau permanent nach dieser Person trat. Und die, oder vielmehr der, befand sich unter dem Tisch. Er war wohl der lebhafteste der vier. Er kauerte, halb sitzend, halb kniend, mitten unter der quadratischen Tischplatte, hatte den linken Kragen seines Sakkos hochgeklappt und flüsterte unauffällig in seine Jacke. Dabei lugten seine flinken Augen heimtückisch unter den halb geschlossenen Lidern hervor und versuchten, hin und her huschend die gesamte Umgebung zu erfassen. Die Tritte der Frau über ihm ignorierte er.

    Ich wollte eben meinen Blick weiterwandern lassen; als Paul mit einem kleinen Tablett zurückkam, auf dem eine Tasse dampfenden Kaffees stand. Mit einer galanten Geste platzierte er das Tablett vor mich auf den Tisch.

    »Voilà, Madame.«

    »Ganz herzlichen Dank.«

    Gierig griff ich nach der Tasse und nahm einen großen Schluck. Oh, mein Gott, das tat gut. Der heiße Kaffee floss in meinen Magen hinab und belebte sofort meine müden Glieder. Ich atmete auf.

    Jetzt fehlte mir nur noch eins. Ich griff links in meine Jackentasche und fischte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug heraus und zündete mir eine an.

    »Wir dürfen hier nicht rauchen«, zischte Paul und blickte sich besorgt um.

    Genüsslich nahm ich den Filter zwischen die Lippen und zog, dass die Glut hörbar knisterte.

    »Sie können mich ja rausschmeißen, wenn sie wollen.«

    Paul sah mich einen Moment überrascht an, dann begann er zu lachen.

    »Das ist gut«, gluckste er, »rausschmeißen. Das ist echt gut.«

    Er lachte so heftig, dass ich jeden Moment mit einer Herzattacke rechnete.

    »Wollen Sie auch eine?«

    Ich hielt ihm die offene Schachtel hin, und unter Lachtränen fingerte er eine Zigarette heraus. Ich gab ihm Feuer. Er inhalierte tief mit zurückgelegtem Kopf und blies eine lange Rauchfahne zur Decke.

    Ellen reagierte genauso auf mein Zigarettenangebot wie ich erwartet hatte. Sie lächelte.

    Nachdem der göttliche Kaffee getrunken war, benutzten wir den Unterteller als Aschenbecher. Paul rauchte noch intensiver als ich. Wer weiß, wann der arme Kerl zum letzten Mal Nikotin genossen hatte. Seine Glut war mindestens einen Zentimeter lang, als er die Asche abklopfte und die Zigarettenspitze auf seinen Handrücken drückte. Die kleinen Härchen kringelten sich sofort zusammen. Es roch scharf.

    »Damit werden wir echt Ärger kriegen«, stellte ich fest und rümpfte die Nase, als das verbrannte Fleisch zu stinken begann. Paul starrte wie gebannt auf die Zigarettenglut, die sich langsam in seine Hand hineinfraß. Seine Augen glänzten, und der Schmerz füllte sie mit Tränen.

    »Hören Sie auf mit dem Quatsch«, befahl ich und nahm ihm den Zigarettenstummel weg. Gerade, als ich die Glut in der Untertasse ausdrückte, stampfte Schwester Hilda in den Raum und trat an unseren Tisch. Ich legte meine Hand über Pauls verbrannte.

    »Frau Noelle, Sie dürfen hier nicht rauchen!« Schwester Hildas Ton erinnerte mich an irgendwas aus meiner frühesten Kindheit, das ich bisher erfolgreich verdrängt hatte.

    »Schon klar«, antwortete ich und ließ sie den Unterteller und die Kaffeetasse abräumen. Sie schnupperte. »Und noch dazu so ein schreckliches Kraut«, tadelte sie. Ich unterdrückte ein Lächeln. Wahrscheinlich glaubte sie jetzt, ich rauchte Fingernägel.

    »Sie werden bald Ihr Zimmer beziehen können. Nur noch ein wenig Geduld.«

    Ich wartete darauf, dass sie mir die Wangen tätscheln würde, damit ich endlich einen Grund hatte, ihr in den fetten Bauch zu treten, aber sie tat es nicht, sondern ging einfach mit dem Geschirr wieder hinaus.

    Vorsichtig hob ich meine Hand von Pauls. Meine Handfläche war an seiner Wunde kleben geblieben, und es schmerzte vermutlich, als ich meine Hand wegzog. Paul ließ sich aber nichts anmerken.

    Die Wunde sah nicht gut aus. Sie war kreisrund, am Rand schwarz verkohlt und mittendrin ein Gemisch aus blutrotem Matsch und grauer Asche. Unerfreulich.

    »Lecken Sie mal drüber«, befahl ich. Paul starrte fasziniert auf die Wunde und schüttelte heftig den Kopf. Ich nahm seine Hand und hielt sie Ellen vors Gesicht. »Lecken Sie mal drüber.« Ellen lächelte mich an.

    Also nahm ich Pauls Hand und leckte die Wunde sauber. Sie sah gleich viel besser aus. Dafür hatte ich einen grässlichen Geschmack im Mund.

    »Ich brauche noch einen Kaffee«, sagte ich, und Paul sprang sofort auf und lief hinaus.

    Eine weitere Zigarette aus meiner Schachtel ging ihrer natürlichen Bestimmung entgegen. Paul eilte mit dem Kaffee herbei, und unser Ritual wiederholte sich.

    »Aber nicht wieder auf der Hand ausdrücken, klar?«

    »Auf der Hand?« Paul starrte mich entgeistert an. »Wie kommen Sie denn auf die Idee?«

    »Nur so«, antwortete ich und trank meinen Kaffee, ließ aber Paul und seine Zigarette nicht einen Moment aus den Augen. Er rauchte ganz manierlich und deutete auf meinen Koffer.

    »Man hat Ihnen noch kein Zimmer zugeteilt, was?«

    Ich schüttelte den Kopf. »Offenbar haben sie draußen Probleme mit irgendeinem Geisteskranken, der sich partout nicht festbinden lassen will. Als ich eben ankam, hatte er gerade einen Pfleger zusammengeschlagen. Aber Schwester Hilda wird das schon hinkriegen.«

    Paul nickte. »Sicherlich. Sie kriegt alles hin.«

    Wir schwiegen, tranken Kaffee und rauchten.

    »Wie lange haben Sie denn gekriegt?«, fragte Paul, als wir unsere Stummel in der Untertasse ausdrückten.

    Ich blickte ihn fest an. »Ich bin freiwillig hier. Ich kann jederzeit wieder gehen, wann immer ich will.«

    »Ach, was«, grinste er spöttisch.

    »Ist wirklich wahr«, bekräftigte ich. »Meine Kinder haben mich vor die Alternative gestellt, freiwillig hier hinzugehen oder mich einweisen zu lassen. Ich hielt es für besser, die freiwillige Variante zu wählen.«

    Paul nickte verständnisvoll.

    »Und warum sind Sie hier?«

    Einige Sekunden gönnte ich mir, diese berechtigte Frage zu überdenken. Sie war nicht mit einem Satz zu beantworten, stellte ich fest. Einiges war geschehen, und letztendlich hatte ein ganzes Bündel von Ereignissen mich in meine jetzige Lage gebracht.

    »Das erzähle ich Ihnen später. Warum sind Sie hier?«

    Paul lächelte. »Das erzähle ich Ihnen auch später«, antwortete er. »Ohnehin haben die meisten anderen hier viel interessantere Geschichten als ich. Ellen, zum Beispiel. Was sie erlebt hat, würden Sie nicht für möglich halten.«

    Ellen lächelte.

    »Und was hat sie erlebt?«

    »Das erzähle ich Ihnen später«, grinste Paul frech.

    Aha, so lief also der Hase.

    »Also gut«, gab ich mich geschlagen, holte tief Luft und versuchte nun doch, meine Geschichte in einem Satz zusammenzufassen. »Ich feiere Weihnachten.«

    Paul stutzte, nickte dann aber langsam mit dem Kopf. »Aha, ich verstehe.«

    »Und Sie? Warum sind Sie hier?«

    Er zeigte ein winziges Lächeln. »Das erzähle ich Ihnen wirklich später. Meine Geschichte ist nicht halb so interessant wie ...«, er blickte sich im Raum um, »... wie zum Beispiel die von Gerhard.« Sein Blick haftete auf einem sehr dicken jungen Mann, den ich bisher noch nicht wahrgenommen hatte. Er saß an dem Tisch, der der Tür am nächsten lag, und plauderte angeregt mit einem älteren, grauhaarigen Herrn, der Seriosität und Adel ausstrahlte.

    »Gerhard ist gut genährt, wie Sie sehen, und das ist auch sein Problem«, erklärte Paul. Ich zog eine Augenbraue fragend in die Höhe.

    »Gerhard hat sich zu gut

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