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Stopp. Play. Schneller Vorlauf: Roman
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Stopp. Play. Schneller Vorlauf: Roman
eBook459 Seiten5 Stunden

Stopp. Play. Schneller Vorlauf: Roman

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Über dieses E-Book

Sven, Anfang zwanzig, ist pornosüchtig und immer noch Jungfrau. Außerdem hat er keine Ahnung, was er mit seinem Leben anfangen soll. Durch einen Zufall kann er sein altes Leben hinter sich lassen und er erlebt in einer neuen Stadt eine erlösende Wiedergeburt.

Neuer Job, neue Menschen und der erste Sex - das zweite Leben ist die langersehnte Erlösung. Jetzt kennt Sven kein Halten mehr, und ganz egal ob Mann oder Frau - er muss alles ins Bett bekommen, was er kriegen kann, um seine Pornoträume wahr zu machen. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht so leicht abschütteln.

In den sorgenfreien Neuanfang schleichen sich allmählich wieder die alten Fehler, und dann hat Sven auch noch das Gefühl, die Zeit renne ihm davon. Aber ist es wirklich nur ein Gefühl?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. März 2021
ISBN9783753181783
Stopp. Play. Schneller Vorlauf: Roman

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    Buchvorschau

    Stopp. Play. Schneller Vorlauf - Théo alias Hugluhuglu

    Schwarzblende

    »Eine Sekunde ist folgendermaßen definiert: Die Sekunde ist das 9 192 631 770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hybridfeinstrukturenniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.«

    Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig

    »Einszweidrei, im Sauseschritt

    Läuft die Zeit; wir laufen mit.«

    Wilhelm Busch

    Vorspann

    (Stimme aus dem Off) Hätte ich längs statt quer geschnitten; wäre ich aus dem Bus ausgestiegen, statt nach Paris zu fahren; hätte ich die Hand nicht losgelassen, sondern fester gehalten.

    Würde ich nur endlich Schwimmen lernen.

    Aufblende

    Zurückspulen

    »Was machen sie?«

    »Sie sehen sich Schneewittchen an. Und es gefällt ihnen.«

    Das Rattern der Regionalbahn dröhnte in meinen Ohren, die Bremsen kreischten, bis es schließlich flackernd hell wurde. Die Neonlichter sprangen an, mischten sich mit dem Tageslicht, das von oben in die riesige Bahnstation fiel. Es tat noch einen Ruck, dann stand der Zug.

    Ich blinzelte, holte tief Luft, nahm meine beiden Taschen und trat auf den Bahnsteig. So also sah ein Neuanfang aus. Die Station von Chessy/Marne-La-Vallée war weiß gefliest, steril wie ein Kreißsaal, mit viel gebürstetem Edelstahl und dem Geruch von Reinigungsmitteln.

    Hinter den Drehkreuzen, am Ende einer sich beinahe geräuschlos bewegenden Rolltreppe, sprach mich ein junger Mann an. Er trug einen blauen Trainingsanzug, die Hosenbeine hatte er in die weißen Socken gestopft. Eine Baseballkappe bedeckte das kurz geschorene Haar. Ich stellte den Walkman ab. Schnaufte kurzatmig. Wollte nach den Narben tasten.

    Eine Sekunde lang stellte ich mir wieder die Frage, ob es richtig war, hierher zu kommen, doch der Gedanke tauchte sehr schnell wieder in mein Unterbewusstsein ab, wo er immer wieder nagen würde, obwohl ich niemals eine Alternative hatte. Du suchst dir nicht aus, ob du wiedergeboren werden willst – du wirst es einfach.

    Der Typ klopfte sich mit Zeige- und Mittelfinger an die Lippen. Ich hob die Schulter. »Je ne comprends pas...«, stotterte ich. Mein Herz schlug angestrengt. Er winkte ab, arrogant grinsend, und ging langsam mit wiegenden Schritten davon. Seine Turnschuhe quietschten.

    Crocodile Dundee (Peter Faiman, AUS 1986) kommt aus dem Busch in die Zivilisation. War ich wirklich hier? Ein paar Tage zuvor hatte ich noch in Hamburg auf meiner Matratze gelegen, mit dem Irrealis als meiner liebsten Ausdrucksform im Kopf und meinem ständig harten Schwanz in der Hand. Alles um mich herum wirkte künstlich, falsch, wie zu viel Make-up auf einem vernarbten Gesicht.

    Die automatischen Türen führten ins Freie auf einen runden Platz. Kalter Wind blies mir ins Gesicht, die blasse Sonne verschwand hinter dunklen Wolken, das Wasser in den Pfützen kräuselte sich. Konnte das nicht auch Hamburg sein? Hinter jeder Ecke Geisterbilder, wie auf schlecht gelagerten Videobändern. Das ist nicht Hamburg, dachte ich, das ist nicht St. Georg.

    Zwei Männer mit Funkgeräten in den Händen standen an einem durch einen Zaun abgetrennten Bereich, gleich links vom Ausgang. Hinter dem Zaun erkannte ich Leuchtreklamen - Restaurant, Bar, Billy Bob’s, Sportsbar, Planet Hollywood. Kinder mit Ballons, alte Männer mit Micky-Maus-Ohren und junge Frauen mit blauen Plastiktüten, auf denen Disneyland Paris stand, wurden beim Passieren von den zwei Männern misstrauisch beäugt. Auf ihren grünen Windjacken über den kleinen Namensschildern stand Security gedruckt.

    Vor der gehechelten Frage setzte ich die Taschen auf dem rissigen Beton ab. Meine Rettungsringe störten. Fettes, wichsendes Schwein auf deiner Matratze, nackt in deiner Wohnung, dachte ich, immer und immer wieder, wie ein Mantra, weil ich es so oft gesagt hatte, alleine in meiner Wohnung. Ständig fürchtete ich, meine Hose, die viel zu eng auf meinen dicken Hüften saß, würde im Schritt reißen.

    »Housing? C’est au Centre, non?«, sagte Paul.

    »Mais non, c’est à la marina«, erwiderte Jean.

    »Non, pas encore. Ils sont en train de déménager

    »Excusez-moi...« Der eine schlug den anderen vor die Brust und zeigte rechts am Bahnhof vorbei. Der andere hob beide Hände vors Gesicht, sagte laut »Quel con!« und zeigte links am Bahnhof vorbei. »C’est par la«, sagte Paul, und Jean sagte »Ta gueule. C’est par la.«

    Ich sah wieder über den Platz zurück zum Bahnhof. Hinter ihm erhob sich ein Turm eines rosafarbenen Schlosses. Eine überdimensionale Narrenkappe zierte die Spitze, auf ihr prangte eine große 5. Der Drang, zurück in die RER-Station zu gehen, mich der Hilflosigkeit hinzugeben und alles abzublasen, wurde größer.

    Ich gehörte hier nicht her, das war nicht meine Welt. Das war verrückt. Ich sollte Pornos gucken, gehörte auf die Matratze, oder nicht? Pornos machten glücklich. Und als ich so guckte und der Streit der beiden Wachleute heftiger wurde, lief ein Typ Ende zwanzig, unrasiert und mit Brille, an mir vorbei. Unter seinem Arm klemmte ein großes, weißes Stoffkaninchen.

    »Verdammt, ich komm’ zu spät, zu spät, oh fuck«, fluchte er auf Deutsch und rannte in Richtung des Turms, dem Besucherstrom entgegen. Er rannte, er hatte keine Micky-Maus-Ohren und keine Plastiktüte in der Hand, und er lief nicht mit der Masse. Dieser Mann mit dem Stoffhasen unter dem Arm war kein Besucher, war kein Gast und sprach Deutsch. Auch er war hier fremd, konnte Auskunft geben. Oder nicht? Du gehörst nicht hierher, dachte ich wieder, du musst wichsen, Glück herbeimasturbieren oder dem Kaninchen folgen, dem Kaninchen folgen.

    »He, warte!« Ich packte meine Taschen und folgte ihm. Er lief quer über den Bahnhofsvorplatz und hielt sich links. Ich ächzte unter meiner Last, es hatte wieder zu regnen begonnen. Leichter Nieselregen, der das Pflaster rutschig machte. Der Typ stoppte nicht und behielt seinen Vorsprung von etwa zehn Metern. Ich dachte an die Wachleute, die ich ohne Untertitel nie verstehen würde. Ob die beiden miteinander fickten?

    Der ferne Turm rückte näher, Menschenmassen strömten mir zwischen Bäumen und penibel geharkten Beeten hindurch aus einem rosaroten Gebäude mit rotem Dach entgegen, das sich von links nach rechts über etwa dreihundert Meter erstreckte. Ich hörte Kinder schreien und Frauen schimpfen.

    Noch während ich überlegte, verschwand der Typ hinter einem Tor. Keuchend blieb ich davor stehen. Castmember only stand auf dem verschlossenen Tor. Rechts davon begann ein dichter Maschendrahtzaun, dazwischen befand sich eine kleine Lücke.

    Ich zuckte mit den Schultern und schlüpfte durch den schmalen Durchgang. Ein gepflasterter Weg führte hinter dem Tor links um das rosa Gebäude herum. Ich folgte dem Weg und erreichte ein kleines Pförtnerhaus, das wie eine Grenzstation den Durchgang verwehrte.

    »Housing?«, fragte ich keuchend einen Mann hinter einer Glasscheibe, wieder in grün, wieder mit einem kleinen Namensschild auf der Brust. Wo war das Kaninchen? Mein Herz schlug hart, meine Lunge brannte. Zehn Meter mehr und ich wäre umgekippt und verreckt.

    »Vous travaillez ici?« Ich verzog das Gesicht. »Are you working here?«

    »Ich muss durch... das Kaninchen...«

    »Votre contract de travail...«

    »Wie komme ich da nur hin?« Ich durchsuchte meine Taschen nach dem Anschreiben, nach etwas Offiziellem.

    »Your workin’ contract... Arbeitsvertrag«, sagte der Mann ungeduldig. Er sprach das deutsche Wort so gelassen aus, als hätte er es bereits hundert anderen fetten, verpickelten Rekruten an den Kopf geworfen, die so verpeilt wie ich gewesen waren. Den Arbeitsvertrag hatte ich im Rucksack. Immer wieder hatte ich ihn während der langen Bahnfahrt angestarrt, wie eine Geburtsurkunde, die bewies, dass ich ein neues Leben startete. Der Mann beäugte das Papier kritisch, nickte, wies mit der Hand auf das Drehkreuz und ließ mich hindurchtreten.

    Ein paar Meter weiter links befand sich eine Bushaltestelle. Davor stand wieder der Typ mit Brille und dem weißen Kaninchen unter dem Arm. Gegenüber, hinter einem hohen Wall, über den die Wipfel einiger Tannen ragten, tauchte eine Wasserfontäne auf. Rattern und vielkehliges Schreien hallten wie von einem Jahrmarkt herüber.

    »He.« Ich holte viel Luft, unterdrückte den Brechreiz und stellte mich neben den Typen. Er sah auf die Uhr und nickte mir dann zu.

    »Hallo«, sagte er kurz.

    »Entschuldigung. Aber kannst du mir helfen?«

    »Ja, aber ich hab’s eilig.«

    »Ich will zum Housing. Wie komme ich da hin?«

    Er sah mich lange an. »Du bist neu?« Ich nickte. »Ist ganz einfach. Ich muss in die gleiche Richtung.« Und dann murmelte er wieder mit einem Blick auf die Uhr: »Ich komm’ zu spät, wo bleibt der verdammte Bus?«

    Wir warteten ein paar Minuten, die Haltestelle füllte sich mit Menschen jeder Hautfarbe und Sprache. Ein vollbesetzter Bus kam, leerte sich rasch, wir stiegen ein. Ich spürte den Hintern einer kleinen Frau an meinem Oberschenkel. Mit freien Händen hätte ich den straff gespannten Stoff ihres Hosenrocks an meinen Fingerspitzen ertasten können.

    »Das Kaninchen...«

    »Für eine Freundin. Wo wirst du arbeiten?«

    »Im Santa Fe«, sagte ich. »An der Rezeption.«

    »Na, dann sehen wir uns ja noch.« Der Bus hielt wieder. Wir stiegen aus, und er zeigte statt mit dem Zeigefinger mit der ganzen Hand durch den Regen in eine Richtung. »Durch das Hauptgebäude, geradeaus und links. Gleich die erste Tür wieder links.« Er sah wieder auf seine Uhr. »Ich muss los.«

    »Und wo arbeitest du?«, rief ich ihm hinterher, doch er war bereits im großen, zweistöckigen Betonklotz verschwunden. Vielleicht zu einem Videodreh. Die Franzosen machten gute Pornos.

    Zwei Schritte geradeaus, an einer Kantine vorbei, wieder heraus aus dem Gebäude, hinein in die Pfütze. Man sah mich an, als trüge ich statt meiner Taschen ein Paket Pampers mit mir herum. Mitleidiges Lächeln, sofern man mich auf meinem Weg überhaupt beachtete.

    Close-up: Nervös kaue ich an den Fingernägeln,

    Close-up: Eine Maschine ratscht über meine Kreditkarte, jemand sagt etwas auf Französisch, in den Untertitelten steht ›Mietkaution‹.

    Totale: Man verfrachtet mich zusammen mit zwei anderen Mädchen in ein Auto. Kalte Tropfen klatschen mir ins Gesicht. Ob die beiden Mädchen fickten? Ob ich sie bitten konnte, sich für mich auszuziehen? Die eine hatte sehr große Titten, aber ein langweiliges Gesicht. Die andere war viel zu mager.

    Ich wagte nicht zu fragen wohin die Reise ging. Die Frau hinter dem Steuer redete ohne Unterlass auf Französisch. Französisch, ein Synonym für Oralverkehr. Ob sie mir einen blies, wenn ich sie darum bat? Oder reichte mir die Fantasie? Der Wagen schaukelte durch ein Tor, verließ das Gelände. Meinen nassen Rucksack umklammernd sah ich zu, wie wir uns langsam vom Park entfernten.

    Das also war Frankreich, war das Disneyland Paris. Mein Vater lebte in Frankreich, in einer Kommune irgendwo am Mittelmeer. Frankreich war Niemandsland. Vergeblich suchte ich den Turm des Märchenschlosses hinter den regennassen Fensterscheiben. Außer Sichtweite bogen wir von der Hauptstraße ab in ein von Regentropfen gebrochenes Neubaugebiet. Zwischen Neubaugebiet und Themenpark lag eine riesige Brache, durch Bahngleise von der Straße getrennt. Als wir ausstiegen, ratterte ein TGV vorbei.

    Der Regen hatte aufgehört, der Himmel blieb grau. Ich nahm meine Taschen aus dem Kofferraum, mein Blick fiel auf das Schild neben dem am Eingang zu einer Wohnanlage stehenden Gebäude, in dem die Mädchen verschwanden.

    Les Pleiades bestand aus etwa einem Dutzend Häusern, drei Stockwerke hoch, rosa angemalt die Holzfassade, mit Sprossenfenstern und kleinen Balkonen. Farbe brachte mich zum Lächeln. Den französischen Mietvertrag verstand ich nicht, den Kollegen fehlte die Geduld, mir jedes Detail zu erklären. Keine Untertitel. Ich nahm es hin, ebenso wie den Code für die Haustür und den Schlüssel für mein Apartment. Höflich, aber bestimmt begleitete man mich hinaus.

    Helles Treppenhaus mit Sprossenfenstern, Linoleum voller Brandflecken auf den Stufen, weiße Wände übersät mit gelblichen Spritzern, struppiger Filz auf dem dunklen Korridor, dritte Tür rechts mit Guckloch. Wie in Amerika. Dunkle Gänge, anonym. Wie in den Filmen. Wie in... Ich kniff die Augen zu.

    Durch die geschlossene Tür dröhnte laute Musik. In den zweiundzwanzig Quadratmetern, die sich Apartment 203 nannten, stopfte ein junger Typ gerade seine Sachen in den Kleiderschrank neben der Kochnische.

    Er erschrak, beugte sich zur Seite, drehte die Musik leise, grinste. Seine Hand war warm und trocken. »Hi, ich bin Jeremy.« Kurze blonde Haare standen hart gegelt nach oben, sein kariertes, zugeknöpftes Hemd hing aus der Jeans. Jeremy mit dem festen Händedruck und dem eckigen Kinn im glattrasierten Gesicht. Ein bisschen Ewan McGregor in Trainspotting (Danny Boyle, UK 1996). Der Film, in dem Kelly McDonald eine geile 15jährige spielte, die sich ficken ließ. Im Kino hatte ich bei der Szene, in der sie auf Ewan ritt und ihre Titten zeigte, eine Erektion bekommen. Wippende, perfekte Titten.

    »Stört dich die Musik?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »White Rabbit von Jefferson Airplane. Kennst du das?« Wieder schüttelte ich den Kopf. Natürlich kannte ich es. In Platoon (Oliver Stone, USA 1986) hören es die Hauptfiguren im Bunker beim Kiffen. Als er mich fragte, was ich von unserem Apartment hielt, suchte ich nach dem Wort für Backofen. Jeremy lachte wieder.

    »Backofen? Sag bloß, du kannst kochen, mate«, sagte er und hielt dabei einen Wasserkocher hoch. »Hauptsache wir haben eine Kaffeemaschine.«

    »Ich dachte an Tiefkühlpizza.« Deep freezer, bucket, stove und hometown. Ich zapfte mein Hirn an und suchte nach Vokabeln wie ein Pionier nach Panzerminen. Und wenn ich länger überlegte, stand Jeremy geduldig neben mir, sah mich amüsiert an und half mir manchmal.

    Jeremy drehte die Musik auf, tanzte armkreisend ein paar Schritte vor und zurück und schüttelte den Oberkörper. Ich trat hinaus auf den Balkon und sah über das Feld zum Disneyland, in dem sich der Turm des Märchenschlosses aus der Ebene erhob.

    »Wie gut ist dein Französisch?«, fragte er über meine Schulter, und ich sagte: »Kaum vorhanden. Wie lange bleibst du?« Es dauerte eine Weile, bis Jeremy antwortete.

    »Bis Anfang September. Weshalb bist du hier?«

    Eine hektische Montage von Bildern und Geräuschen: 756 verfickte Filme, Kerzen, Gurken und Holzkisten, Nutten und leere Spritzen, eine Matratze und Regen, eine Null auf dem Kontoauszug, das schwarze Blut. Stimme aus dem Off:  Blinddarm, Null-Wissen. 756.

    Ich weiß nicht, ob ich zusammenzuckte, aber ich presste ein »Kein Kommentar« heraus. Die neue Haut an meinen Handgelenken juckten zum ersten Mal seit Tagen wieder. Zitternd starrte ich auf mein Spiegelbild in der Balkontür. Immerhin hatte ich eines, nicht wie Dracula, (Francis Ford Coppola, USA 1992.)

    Kneift jemand, der Erinnerungen verdrängen will, wirklich die Augen zusammen und senkt den Kopf, oder ist das nur eine stereotype Einstellung aus schlechten Filmen?

    Zwei Gestalten standen nach einem Klopfen in der Tür, üppig im Umfang doch überraschend flink. Sie sprangen am Kleiderschrank, den vier Quadratmetern Badezimmer und der Kochnische vorbei in unser kombiniertes Wohn- und Schlafzimmer.

    »Was ist los...«, sagte der eine.

    »...wollen wir gehen?«, fragte der andere.

    »Was sind das für niedliche kleine Kerle?«, fragte ich, um witzig zu sein.

    »Wir sind keine Kerle, wir sind Herren«, sagte ernst der eine.

    »Du kannst mit uns reden wie mit vernünftigen Menschen. Willkommen«, sagte streng der andere. Ich lief rot an und wurde ausgelacht.

    »Darf ich vorstellen?« Jeremy zeigte auf den rechten. »Das hier ist Svante.«

    Svante hatte schütteres Haar, einen spitzen Bierbauch und eine bemerkenswert große Nase in seinem schmalen Gesicht. Als er mir grinsend die Hand gab, sah ich ein strahlend weißes Gebiss. Er erinnerte mich an Harpo von den Marx Brothers, nur viel dicker. »Wir haben uns auf dem Weg hierher im Flughafenbus getroffen.«

    »Und ich bin sein Mitbewohner Lewis«, sagte der andere, noch umfangreicher als Svante, Orson Welles’ Doppelgänger auf der Fähre nach Hongkong. Ich kam mir dünn vor.

    »Ich hoffe, er schnarcht nicht«, sagte Svante.

    Lewis hob den Zeigefinger der rechten Hand »... und du auch nicht...«

    »Dann hoffen wir, dass wir nicht schnarchen«, sagten sie gleichzeitig.

    »Ich wache manchmal von meinem Schnarchen auf«, sagte ich.

    »Warum?«, fragte Svante.

    »Warum?«, fragte Lewis.

    Svante packte mich am Kragen meiner Lederjacke und kam mit seinem Gesicht ganz dicht an meines heran. Unsere Nasen berührten sich beinahe. »Kennst du die Geschichte vom Walross und dem Zimmermann?«

    Svante hatte Pickel dort, wo die Nasenflügel aufhörten. Sein Atem roch nach Pfefferminz.

    »Später.« Lewis rückte seine Baseballkappe zurecht. »Später.«

    »Welchem Comic seid denn ihr entsprungen?« Jeremy grinste herausfordernd. »Oder seid ihr Zwillinge?«

    »Ich glaube, wir sollten das jetzt nicht diskutieren.« Lewis kniff Jeremy in die Nase und gab mir einen leichten Schlag gegen die Brust. »Nun los. Der Supermarkt ruft.«

    Svante ging in die Knie, bis die Gelenke knackten, lief auf der Stelle, der Fußboden vibrierte.

    »Warum macht er das?«

    »Weiß ich nicht, mate«, gab Jeremy zur Antwort. »Und jetzt komm.«

    Der Supermarkt war weit. Weit weg, dachte ich, weil wir mit Bus, RER und zu Fuß mindestens eine Stunde nach Torcy unterwegs waren. Sollte so mein neues Leben aussehen? Eine Stunde fahren, wenn ich neues Wasser brauchte? Und während wir zwischendurch immer wieder auf Anschluss warten mussten, hüpften Svante und Lewis herum, erzählten, was sie in ihrem vorigen Leben gemacht hatten.

    Svante hatte Stockholm vor drei Jahren verlassen und in der Schweiz eine Hotelfachschule besucht, Lewis lernte Koch in London. Jeremy flüsterte, sie seien bestimmt harmlos, und klopfte mir auf die Schulter.

    Im Supermarkt beim Waschmittel fragten sie schließlich, was ich vorher getan hatte. Wortlos bog ich ab zur Käsetheke und tat, als hätte ich die Frage nicht gehört. Kaufhaus. Sven im Kaufhaus, Zombie im Kaufhaus, Zombie (George A. Romero, Dawn of the dead, USA 1977.) Null. Blind. Hier hingen Kondome und Gleitgel so selbstverständlich im Regal wie Kaugummis und Gurken. Gurken und Gleitgel. Karotten.

    Ob es an der Kasse Pornos gab? Vor ein paar Jahren, als ich auf Interrail-Tour in Spanien gewesen war, hatte es noch Pornos mit Tieren zu kaufen gegeben. Wie genau nahmen es die Franzosen mit der Pornografie? Spanien. Mein Herz klopfte hart. Sonja auf allen Vieren. Ich wünschte mich zurück auf meine Matratze, wollte die Kiste am Fußende öffnen.

    Ich hatte das Gefühl, der Boden bebte, wenn Lewis neben mir die Kühlregale abschritt und sich nicht für einen Käse entscheiden konnte.

    Fump, fump, fump, machte es, und Jeremy und Svante lachten meckernd dazu. Dumpf klangen sie dabei und langsam. Fump, fump, fump, und Lewis bewegte wie ein Walross die Hüften.

    »Wir feiern«, rief Jeremy.

    »Was feiern wir?«, fragte ich.

    »Geburtstag«, sagte Lewis, und Svante lachte wieder. Tief aus dem Bauch und meckernd hell zugleich. Dabei wippten seine wenigen Haare träge auf dem kantigen Schädel.

    »Wer hat Geburtstag?« Für die Frage erntete ich Gelächter.

    »Du auch nicht? Dann wird das eine Nicht-Geburtstags-Feier.«

    Sie federten durch die Gänge des Supermarktes. Fump, fump, fump, hörte ich, Lewis stoppte beim Bier. Lewis trank viel, manchmal konnte er einen dieser Pappkartons Brückbier alleine austrinken, die kleinen 0,25 Liter-Flaschen verschwanden mit einem Schluck. Lewis trank und rollte dann durch die Gänge in Maya 4 wie ein außer Kontrolle geratener Supertanker durch den Suezkanal.

    »Ick bin Space Mountain«, grölte er manchmal auf Deutsch dazu.

    Sie schnappten sich jeder einen Karton Bier, ich füllte meinen Einkaufswagen mit Käse und lief vor zur Kasse. Ein Franc war 30 Pfennig, Francs mal drei durch zehn sind Deutsche Mark. Zwei Deutsche Mark für einen Pornofilm in der Videothek. Back to Nature. Doppelpenetration für zwei Mark, zwei Stunden lang. Ich schloss die Augen und öffnete sie langsam wieder.

    Wieder dauerte der Rückweg eine halbe Ewigkeit. Man zog mich, obwohl es schon nach acht Uhr war, zu Lewis und Svante ins Apartment 314.

    »Eine Tasse Tee«, sagte ich und lehnte Svantes Bier ab. Nach fünf Stunden sprachen die drei schon im Chor: »Was? Du trinkst kein Bier?«

    »Keinen Alkohol«, sagte ich und holte aus meinen Einkäufen eine Packung mit Teebeuteln. »Davon bekomme ich sofort Kopfschmerzen.«

    Jeremy sah mich an, als hätte ich Micky Maus eine verfickte Ratte genannt.

    »Ich brauche nur an einer Flasche Beck’s zu riechen, und mir brummt der Schädel.« Mein Lächeln fiel sehr unschuldig aus. Aber eine leere Beck’s-Flasche passte mit genügend Gleitgel sehr gut in meinen Hintern, aber noch besser waren Gurken und Karotten, während ich an nackte Haut dachte und an einen dicken Schwanz in meinem Arsch.

    »Keinen Alkohol«, flüsterte Svante, Lewis machte große Augen, Jeremy hob die Schultern. »Na, macht nix. Wenn er lange genug mit uns zusammen ist, lernt er das auch noch.«

    Der Wasserkocher pfiff, Svante fing zu singen an, Lewis stimmte sofort mit ein.

    »Ich habe heut’ nicht Geburtstag, hurra.« Erst zusammen, dann nur Svante: »Viel Glück zum Nichtgeburtstag.«

    »Für wen?«, fragte Lewis. Svante sprang auf die Füße und zeigte auf sich. »Für mich.«

    Lewis schlug sich vor den Kopf. »Ach dich.«

    »Viel Glück zum Nichtgeburtstag«, sang Svante. Lewis zeigte abwechselnd auf mich, Jeremy und seinen Mitbewohner.

    »Für dich!«

    »Für mich!«

    »Für dich!«

    »Die Tassen hoch, der Nichtgeburtstag, der ist da, den wollen wir heut feiern, hurra«, sangen sie im Chor. Jeremy starrte mich mit offenem Mund an, ich starrte zurück. Svante warf Lewis eine Flasche Bier zu, gleichzeitig drehten sie die Deckel ab, setzten die Flaschen an den Hals und ließen sie, gluckgluckgluck, leer laufen. Unter dem anschließenden Rülpser erzitterten die Wände des kleinen Apartments. Ich rieb mir die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte Jeremy eine Flasche in der Hand. »Na dann, cheers

    Nach ein paar langen Zügen landete die leere Flasche im Mülleimer. Erschüttert hielt ich mich an meinem Becher Tee fest. Tee war ein guter Einlauf, Kamillentee. Ich war nicht wirklich hier, nicht in diesem Zimmer. Das war hier nur Kulisse eines schlechten Films, wackelig und schlecht gebaut.

    »Spielst du Karten?«, fragte Svante, ich gähnte unwillkürlich. »Und dann sag uns bitte den Grund deines Hierseins.«

    Warum bin ich hier? Wo bin ich? Zitat aus 33 bekannten Filmen, Labyrinth war einer davon, (Reise ins Labyrinth, Jim Henson, USA 1985.) Warum ich bin hier? Wie lange tun Erinnerungen weh? Wie lange muss sich die Hauptfigur winden und die Augen zusammenkneifen, um glaubwürdig zu wirken? Du Praktikant, kannst nicht einmal Action rufen. McDonald’s war viel zu gut für dich. Ein kurzer Blick noch ins Leere, eine leise Stimme, nur ein Zischeln im Hintergrund. (Null-Wissen, Blinddarm). Lewis schlug in die gleiche Kerbe. »Kamst du mit einer bestimmten Absicht hierher?«

    Als er meine vor den Mund gehaltene Hand sah, winkte er ab. Ins Bett und nicht mehr daran denken. Die anderen protestierten schwach. Leise schloss ich die Tür hinter mir, auf dem Flur hörte ich sie wieder singen. Diesmal erkannte ich auch Jeremys helle Stimme: »Lirum, larum, Löffelstiel, wer drüben sitzt, der ist zu viel...«

    Ich legte mich ins Bett und lauschte dem Ticken des Regens an der Fensterscheibe. Praktika statt McDonald’s, Schülerfilmgruppe statt Schlafen. Ein Stück Zimmerdecke am Fußende meiner Liege wurde durch die Laterne auf der Straße aus der Dunkelheit gerissen. Ein Schatten wie der einer Spinne (Arachnophobia, Frank Marshall, USA 1992.) Jeden einzelnen meiner 756 Filme. Scheiß Null-Wissen. Weiße Wände, leer und ohne Schmuck, ohne Firlefanz. Wie im Krankenhaus, dachte ich, in der Station für Neugeborene.

    Flashback: Im fahlen, blauen Mondlicht schimmerte das Blut an meinen Handgelenken schwarz. Immer wieder fiel ich auf den Rücken, zog mich an den Ästen von Tannen wieder hoch, kroch über die Gräber, taumelte zwischen Grabsteinen hindurch und versuchte, den Schmerz an meinen Armen zu ignorieren.

    Dann schloss ich die Augen und schlief ein, träumte von Hamburg und einem Berg Videokassetten, träumte davon, den Nachtzug zu verpassen, unter einer dicken Schicht Eis im Wasser zu treiben und nach Luft zu schnappen, und immer wieder tauchte die Holzkiste am Fußende meines Bettes auf.

    Wenn ich längs geschnitten hätte statt quer? Ganz sicher hätte es dann nicht einfach nur wehgetan. Schließlich konnte ich anhand eines beliebigen Zwei-Sekunden-Ausschnitts jeden einzelnen meiner 756 Filme, die auf etwa 370 Videokassetten gespeichert an meiner Wand gestapelt waren, zweifelsfrei identifizieren.

    Mein Filmwissen nützte mir nichts, absolut nichts, kein einziger von 756 verfickten Filmen half mir, kein einziger. Null-Wissen. Unnütz wie ein Blinddarm. Markus und ich, ich und Markus. Er machte mich wahnsinnig. Der Gefangene von Alcatraz. Und sein Wärter. 756 Filme und Tausende Filmszenen hätten zu irgendetwas nützen sollen. Null-Wissen. Blinddarm. Alles Scheiße.

    »Traditions!« Svante hüpfte auf dem Weg zum Bus um uns herum. Der Morgen war grau und kalt, ich fröstelte. Meine Augen brannten, ich fühlte mich wie gerädert. Was machte ich hier? War das Leben nicht scheiße? Und ich war nur Praktikant. Warum hatte noch niemand Action gerufen? Lewis rückte seine Krawatte zurecht. »Seh’ ich gut aus? Seh’ ich gut aus?«

    »Was ist das da am Kinn?«, war alles, was mir einfiel. Welche Rolle spielte er? Lewis blieb stehen, fasste sich ans Gesicht und erstarrte.

    Svante rannte »Rasieren« rufend die letzten Meter zur Haltestelle. Jeremy und ich sahen Lewis achselzuckend an. »Und dann zu spät kommen«, sagte ich.

    »Rasieren muss ich mich doch nicht...«, sagte Lewis. Wir stellten uns neben den Schweden. »...ist was für Spießer«, ergänzte dieser. In der Ferne tauchten die Scheinwerfer des Busses auf. Ich setzte mich auf einen freien Platz, schaltete meinen Walkman ein und starrte in den trüben Morgen. Es war halb neun. Ich gähnte und freute mich auf Supertramp und das Verbrechen des Jahrhunderts als Soundtrack zum Film. Der Bus machte eine Tour über die Dörfer und hielt an der RER-Station.

    Mit uns stieg der Typ vom Vortag aus, und wieder hatte er ein weißes Kaninchen im Arm. Ich wollte ihm etwas hinterher rufen, doch da war er bereits verschwunden. Svante und Lewis zogen mich zu einem gelben Bus unter den grauen Dächern der Haltestelle.

    Die Disney University war ein kleiner Bau neben dem Hotel Cheyenne. Svante erzählte von Seminarräumen und einem Schulungsraum für Computer. Woher wusste er das? Hinter den Automatiktüren roch es nach Kaffee und Croissants. Nichts von dem, was ich sah, war echt, alles Plastik und Kulisse. Ich war nicht wirklich hier, in dieser künstlichen Welt, in der jeder Tisch an seinem Platz stand, jedes Schild an der richtigen Stelle klebte und jeder Mensch eine Aufgabe hatte. Die Wolken blau, die Bäume grün, mit einem scharfen, flimmernden Rand wie X-Wing-Fighter vor dem Bluescreen. Alles Trick, Kulisse, nicht echt.

    Wir bekamen unsere Namensschilder ausgehändigt. Sven auf Plastik, darüber der Turm vom Märchenschloss mit der Narrenkappe. Um uns herum etwa dreißig junge Leute und mindestens zehn europäische Sprachen. Der Kakao im Pappbecher verbrannte mir die Lippen. Er war zu süß, um echt zu sein, und das Croissant roch zu sehr nach Croissant.

    An den Wänden hingen Glaskästen, in denen Poster von BuenaVista-Produktionen, Videokassetten von Disneyfilmen und Baseballkappen mit dem Logo der Mighty Ducks (Mighty Ducks, das Superteam, Stephen Herek, 1992) ausgestellt waren. Requisiten für meinen Film, und ich war was war ich? Komparse? Sollte ich Action rufen?

    Ich war nicht der Regisseur, nur der Regisseur konnte Action rufen, ich war nur Praktikant, nur ein fettes, wichsendes Schwein. Neben Lewis tauchte in Anzug und Krawatte ein Mann auf. Was er sagte ging im Lärm unter. Lewis folgte erschrocken dreinblickend dem Mann.

    »Seine Hose war zerknittert«, sagte Jeremy.

    Svante biss in sein drittes Croissant. »...oder seine Schuhe nicht geputzt!« Ich trank noch einen Kakao. Kurz vor neun tauchte Lewis wieder auf. Sein Gesicht glatt wie ein Babypopo.

    »Rasieren oder nach Hause fahren, hat er gesagt. Fuck, zehn Francs hat mich das Rasierzeug gekostet«, schimpfte er auf dem Weg in den Seminarraum. Unser Trainer hieß Richard, war Engländer und nicht ganz dicht.

    »Wir sind alle verrückt.« Er ging von links nach rechts und zurück. »Will jemand eine Tasse Tee?«

    »Jederzeit«, rief Svante und hob die Hand.

    »Nicht vor den Gästen«, erwiderte Richard in seiner perfekt einstudierten Rolle. Wann rief jemand Cut? Mit der ganzen Hand zeigte er auf Svante, bis dieser verlegen zu Boden blickte. Dann griff er nach drei Kollegen der ersten Reihe und zerrte sie vor die Tafel. Ausziehen. Jetzt alle ausziehen und dann fickt euch gegenseitig. Als Aufnahmeprüfung. Nur wenn wir uns richtig durchfickten, durften wir hier arbeiten.

    »Gäste«, sagte Richard und richtete die drei mit einem Schlag in den Rücken auf, »sind unser ein und alles. Und warum sind sie das?«

    Die Kollegen an der Tafel sahen sich ratlos an.

    Lewis sprang auf. »Weil sie Geld bringen?«

    »Setzen.« Richard wies auf seinen frei gewordenen Stuhl. Lewis senkte den Kopf.

    »Das ist ja richtig«, munterte ihn unser Trainer gleich wieder auf. »Aber sagen dürfen wir so etwas nicht.«

    Für sein anschließendes »Fuck!« bekam Lewis einen bösen Blick.

    »Und das sagen wir auch nicht vor den Gästen.« Richard hob Zeigefinger und Augenbrauen. »Nur Backstage.«

    »Merk ich mir«, sagte Lewis, ballte die Fäuste und murmelte: »Nur Backstage.«

    Backstage. Back to Nature, mein Lieblingsporno. Viele Arschfickszenen und immer von hinten.

    »So. Und jetzt das erste Quiz.«

    »Au, fein. Quiz«, rief Svante. Ein Murmeln ging durch die Menge. Neben mir sagte jemand »Quel con.« Alle schienen begeistert.

    »Wann...«, begann Richard, »... kam Dagobert Duck zu seiner ersten Milliarde?«

    Ein Raunen ging durch die Reihen. Eine Hand hob sich.

    »Kurz nach dem Bau von Disneyland Anaheim?«, fragte jemand mit südeuropäischem Akzent. Andrews Arm streckte sich, seine Hand wies in Richtung des Antwortgebers.

    »Rrrrrrrichtig!«, rief er.

    Svante klatschte begeistert in die Hände. »So habe ich mir das gewünscht.« Dann wurden wir gefragt, wann Disneyworld Florida errichtet, wann Disneyland Tokyo seine Pforten geöffnet und gegen welche Widerstände man Disneyland Paris gebaut hatte. Kurz nachdem Jeremy neben mir zu schnarchen begonnen hatte, wurden wir in die Mittagspause entlassen. Erinnerungen wie Geisterbilder tanzten vor meinen Augen. Alles war voller Titten, voller gespreizter Schenkel, voller Sperma und steifen Schwänzen. Wann hörte das auf? Wann konnte ich das Band zurück spulen und neu bespielen?

    Man karrte uns in einem gelben Bus in den Bereich hinter dem Park, in dem ich das Housing gefunden hatte. Bus, Schulbus (Nightmare on Elm Street II, Jack Sholder, USA 1985).

    Richard verteilte an der Bustür gelbe Plastikkarten. »Damit könnt ihr in der Kantine essen. 18 Francs steuert Disney dazu, alles andere bezahlt ihr zur Hälfte. Das wird sich aber bald ändern.«

    Es war das Paradies. Salate, Steaks mit Pommes, Schokoladenpudding und Reisgerichte, Couscous und Tomatensauce, Pizza und Schnitzel, Joghurts und Früchte, Fisch und Kartoffeln, und ich brauchte nur zu wählen. Nicht wie in Hamburg. Assoziationen waren der Bandsalat, hinderten mich daran, den Counter auf null zu stellen. Hamburg, Titten, gespreizte Schenkel, der Konjunktiv, die Matratze.

    »Ich muss nicht einmal den Abwasch machen«, sagte ich zu Jeremy. Dieser drehte sich nach einer jungen Dame im engen Mieder um. Sie hätte Pirat sein können. Und wo war Kapitän Hook? Die verlorenen Jungs? Tinkerbell? Hinter dem Mieder dicke Titten. Scheiß Konditionierung.

    Nach dem Mittag landeten wir wieder bei Richard. Er ließ uns die Schuhe ausziehen und auf die Stühle steigen. Misstrauisch beäugte er unsere Füße. Ich schämte mich nicht wegen meiner weißen Sportsocken, aber die junge Dame neben mir, auf ihrem Namensschild stand Marijke, versuchte vergeblich, ihre Ottifantenstrümpfe zu bedecken.

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