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Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot
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eBook346 Seiten4 Stunden

Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot

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Über dieses E-Book

Wer träumt nicht davon, einmal 68 Millionen zu gewinnen? Und… dann?
Was macht man eigentlich, wenn alles, was man sich erträumt hat, plötzlich aus der Portokasse bezahlbar ist…
Eurojackpot-Gewinnerin Constanze Weber (50), mit pragmatisch gestrickten Naturell, hat darauf eine simple Antwort. Villa in St. Tropez, Porsche vor der Tür, eine Entourage von Dienstleistern, kurz: ein Leben im Jetset!
Bevor es aber so richtig losgehen kann mit dem Geld ausgeben, gibt's eine Leiche im Keller und die Wildtier-Mafia steht vor der Haustür.
Letzteres, weil ihre umtriebige Mutter, Schauspielerin Brenda (75), sich mit dem Geldsegen zum Schutz gefährdeter, vom Aussterben bedrohter Tiere in Asien und Afrika und im Kampf gegen Wilderei engagiert.
Inspiriert von ihren Eindrücken entwickelt Brenda Buck schließlich eine grandiose Idee, um den Drahtziehern dieses Milliardengeschäfts eine Lektion zu erteilen, die sie so schnell nicht vergessen werden.
JACKPOT ist sehr unterhaltsam, facettenreich und hochaktuell. Überbordende Dynamik und Tatkraft triumphieren in dieser Tragikomödie mit zum Teil rabenschwarzem Humor!
Wie das Duo Mutter & Tochter mit dem Gewinn von 68 Millionen Euro im Rücken versucht, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen und sich 'Mama' dafür auch gerne mit der Mafia in Südostasien anlegt, ist mitreißend und faszinierend.
Es ist ein Roman über zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und ein Roman über eine Frau, die weiß, was sie will:
"Niemand auf der Welt braucht einen Elefantenstoßzahn - außer ein Elefant."
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Mai 2021
ISBN9783347304116
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    Buchvorschau

    Mein Jahr mit Mama und dem Jackpot - Sharon Wunsch

    1 „Na, Constanze, was macht die hohe Kunst? Du klingst abgehetzt." Mama hatte offensichtlich Langeweile, wenn sie mitten am Tag anrief. Ich überlegte, was ich ihr anbieten könnte. Bislang war so ziemlich alles schief gelaufen.

    „Es regnet, …ich war draußen, um die Zeitung aus dem kaputten Briefkasten zu retten."

    Dass ich zu allem Überfluss dem Briefträger auf der Treppe äußerst peinlich entgegengestürzt bin, verschwieg ich.

    „Du hättest dir ruhig Zeit lassen können, Kind! Es gab nur Meldungen zu irgendwelchen gestörten Popstars in Entzugskliniken und Kriege toben wie üblich auf der südlichen Halbkugel oder besser gesagt: Hemisphäre!", war Mutters trockener Kommentar.

    „Außerdem ist doch heut´ der Tag, an dem dieser olle Mann vor einem halben Jahrhundert den zerknüllten Zettel aus der Tasche gezogen hat, um sein verrottetes Land endlich sanieren zu lassen. Da schreiben die Gazetten eh´ immer das Gleiche und voneinander ab. Wie hieß er noch mal?"

    „Günther Schabowski, Mama."

    „Ach ja, richtig! Hat er klug gemacht. Jetzt haben wir den Salat! Unser Theater ist weiterhin in einem jämmerlichen Zustand, und kein Geld in Sicht. Geht alles in den Osten!"

    Die Geräuschkulisse veränderte sich. Es knackte in der Leitung. Ich hörte spitze Absätze auf dem Parkett. Brenda schien durchs Zimmer zu spazieren.

    „Mama, bist du noch dran?"

    „Na klar, Mienchen, hab´ nur eben mein Fernglas rausgeholt und beobachte nebenher, wie sich die Eltern auf der Kinderparty gegenüber beim Sackhüpfen blamieren!"

    Ein schadenfrohes Lachen untermalte den Satz.

    „Wenn du sehen könntest, wie fett die Bagage geworden ist, und die sind noch nicht mal im Schulalter. Seit zwei Stunden wird entweder gefressen oder gehüpft. Grausig! Solche Kinder möchte man spätestens, wenn sie in der Pubertät sind, vermutlich gerne irgendwo abgeben.

    Aber dann sind sie zu groß und zu fett vom Eis-, Negerkuss- und Burger-Gefresse und passen in keine Babyklappe mehr, auch wenn man noch so kräftig drückt! Die da hinten muss übrigens die Großmutter sein…"

    Sie sprach, als ob ich neben ihr stünde. Ich fühlte ihren langen dünnen Finger auf etwas zeigen.

    „Gott nee, zwei dicke Kugeln aufeinandergepresst und oben drauf noch so‘ ne faltige Kugel. Ich würd´ mich erschießen…"

    „Mutter, findest du nicht, dass du damit zu weit gehst und deine Betrachtungsweise ziemlich oberflächlich - um nicht zu sagen irrelevant - ist. Ich mein´, du kennst die doch gar nicht! Als Schauspielerin solltest du mehr Möglichkeiten haben als Polemik!"

    Ihre Stimme drang leise und gepresst an mein Ohr, wahrscheinlich war sie mit Koordination von Fernglas und Telefon überfordert.

    „Jaa, jaa, lenk´ nur ab, Constanze! Oder spricht da schon wieder dein Ehegatte - der moralisierende Harald - aus dir? Das verändert das Bild nur unwesentlich und erinnert mich umso mehr an das, was ich gerade hinter mir habe."

    „Und… das wäre?, antwortete ich leicht genervt. Mama hatte demnach ebenfalls keinen besonders aparten Tag, wie sie gern zu sagen pflegte. „Ist kein gutes Timing für geschliffene Dialoge, Herzchen! Hab´ mir heut´ morgen das Script für ein Theaterstück angetan. Es ist zum Kotzen. Da bekommst du endlich mal ein Angebot, und dann geht´s um so was weltbewegendes wie die veränderten Geschlechter- und Generationsmodelle vor dem Hintergrund des digitalisierten Kapitalismus! Nicht besonders prickelnd, glaub´s mir…

    Polternd ließ sie das Fernglas in die Schublade plumpsen und schob diese geräuschvoll zu.

    „Und was hast du für eine Rolle darin?"

    „Ich soll eine uralte versiffte ehemalige Bürgermeisterin spielen, die allesamt Entscheidungen getroffen hat, für die es keine Rückfahrkarte gibt im Leben! Elendig einseitig, voller Klischees! Keine Chance für eine einzige gute Kritik! Was soll ich damit? Wenn du mich fragst: Das ist einfach nur gemein. Hat mit dem jungschen Schnösel von Regisseur zu tun. Du weißt schon… dem Dingsda… diesem Gideon von Trebel, den ich immer Nebel nenne!"

    Sie stöhnte und spielte mit dem Telefonkabel. Ein weiteres Zeichen ihrer Gereiztheit.

    „Biochemisch mag es ein Hirnschaden sein. Aber sozial und ökonomisch funktioniert Arroganz prächtig. Selbstherrlichkeit ist mal wieder verblüffend aktuell unter den Theaterleuten, mein Kind. Leider…!"

    Ihr Ausatmen war mehr ein Schnaufen. Wenn das ´ne wehleidige Nummer werden sollte, hätte ich keine Chance und wäre ihren Monologen hilflos ausgeliefert. Da gab´s für Brenda kein Pardon.

    „Klugscheißer sind zwar unerträglich, aber immer noch erträglicher als Dummschwätzer, Constanze, - glaub´ s mir!"

    Um Mama abzulenken fragte ich, was sie beim diesjährigen Faschingsball des Theaters auf die Beine gestellt habe. Sie liebte Partys und Verkleidungen.

    „Ach, das war sehr schön diesmal, wenn auch extrem warm. Ich ging als Froschkönigin, hatte so ein Ganzkörperkondom in Knallgrün an und eine Maske aus Pappmaschee. Es roch darunter nach Kleber, sag ich dir. Mir ist richtig übel geworden. Aber dafür habe ich nichts gegessen, ein Pfündchen weniger auf den Hüften und den zweiten Platz belegt: klasse, nicht wahr?

    Tilly Rasmussen ist übrigens Erste geworden, die ging als Rauchmelder. Das sah vielleicht putzig aus! Ich fand meins zwar schicker, aber was soll´s: Originalität gehört belohnt. Stell dir vor, Kind, den ganzen Abend konnte sie nur durch klitzekleine Schlitze sehen. An der Seite hing eine Perlenschnur, wenn man an der zog, gab´s ein Mordsgetöse. Dazu blinkte das Kostüm und an der Hüfte stiegen Rauchwölkchen auf.

    Alles per Hand gesteuert. Erinnerte schon irgendwie an einen Rauchmelder und das war´s wert…"

    Mama gluckste leise und schien nach weiteren Highlights zu suchen.

    „Weißt du noch, was du als kleines Mädchen mal gesagt hast, Mienchen? Das war auch nach ´ner Faschingsfeier. Du bist mitten in der Nacht zu mir ins Bett gekrochen und hast allen Ernstes erklärt, dass du das nächste Mal als Nudel gehen möchtest! Süß, nicht?"

    Sie lachte und schien tatsächlich versöhnter mit diesem Tag. Eigentlich war´s relativ einfach mit ihr, wenngleich für mich oftmals schikanös: Ich hatte weder Fantasie für Sperenzchen, noch Geduld für ihre zahlreichen Spielchen. Schließt du eine Baustelle, kommt durchs Schlüsselloch eine neue daher.

    Das war Brenda Buck, 74 Jahre jung, wie sie gern erklärte, und immer auf der Überholspur…, wenn man sie denn ließ. Heute war mir nicht danach.

    Außerdem fiel mir zu dem Beispiel mit der Nudel noch ein, dass sie sich zum damaligen Event verabschiedete, ohne mir etwas zum Essen dazulassen. Ich ersehnte mich nicht nur kostümmäßig als Nudel, ich hätte auch gern welche gehabt. Es gab lediglich Corned Beef aus der Dose, ohne alles wohlbemerkt. Und ich traf meine Mutter erst weit nach Mitternacht vorm Kühlschrank wieder, nachdem ich ihr die Haustür aufschließen musste, an der sie eine geschlagene Viertelstunde das Schlüsselloch gesucht und dabei einen Höllenlärm verursacht hatte. Das Licht im Treppenhaus brannte zwar nicht, aber ihr Fluchen war unverkennbar. Als ich öffnete, wankte sie ganz in pinkes Tüll gehüllt an mir vorbei.

    „Na endlich… wurde ja auch Zeit!"

    Grummelnd ließ sie den Nerzmantel achtlos neben der Garderobe fallen, entledigte sich ihrer hochhackigen Pumps, indem sie einen nach dem anderen durch den langen schmalen Flur schleuderte und Richtung Küche schlich.

    „Ich sag´s Dir, Mienchen, auf solchen Events wird nur stundenlang geschwatzt und rumcharmiert und nix gibt´s zu fressen! Schrecklich, warum tue ich mir das nur an?"

    Sie hickste leise, starrte in unseren fast leeren Kühlschrank und griff sich seufzend ein halbes Glas Gurken. Die toupierten Haare standen zu allen Seiten ab, nachdem sie die rote Pracht vom runden Tüll-Hütchen befreit hatte, der nun auf dem Wasserkessel thronte.

    „Wie kommt denn der Hut da hin?", sinnierte sie Minuten später, nachdem sie die angebissene Gurke im Aschenbecher abgelegt hatte. „Na ja… issaauchegal!"

    Ihr übernächtigter Blick erinnerte mich an eine Eule. Mimisch eingeschränkt, aber auch - wie selten bei Tage - freundlich über den Dingen stehend und in sich ruhend, starrte sie mit riesengroßen dunklen Augen auf die Wanduhr gegenüber. Ein hässliches Teil von ihrer letzten Italy-Reise.

    Das Zifferblatt zeigte eine Pizza, jede Zahl unterlegt von einer Salamischeibe. Die Zeiger glitten als Scampi tagtäglich knackend 360° um ihre Achse. Das Geräusch machte mich schon frühmorgens halb wahnsinnig. Mama lachte, wenn die Scampischere des Minutentakts ein Geräusch von sich gab, als zerbreche eine Salzstange, während der Stundenzeiger sich kratzend über die Platte schob, als würde unsere Katze Amy versuchen, die Tür zur Speisekammer zu öffnen. Ganz schlimm war´s, wenn die Zeiger sich einmal pro Stunde übereinanderlegten.

    Mutter konnte sich eine Reihe von Monaten darüber amüsieren, dann war sie Gott sei Dank kaputt.

    Während der Scampicorpus am angestammten Platz klebte, hatten die Scheren irgendeine Stunde nicht heil überstanden und steckten als ein X am Boden des Glases.

    Beseitigt wurde das gute Stück nie. Mama bewahrte alles auf, was eine Erinnerung an gute Zeiten heraufbeschwor. Da war nichts zu machen.

    Todmüde saß sie in der besagten Faschingsnacht in der Küche und grinste ihre Pizza-Uhr an: „Kannste nicht mal zaubern und uns wat zu essen servieren? Ne´ Pizza für mein Mienchen und für mich die große Scampi da unten… piacere!"

    Sie lachte, biss ein Stückchen von der Gurke ab, wobei ihr Wasser übers Kinn in einem schmalen Rinnsal den Hals hinunterlief.

    Auf ihre Hände gestützt, hing sie Minuten später unmittelbar mit dem Gesicht überm Tisch, sodass ich befürchtete, es könne jeden Moment auf die Platte krachen. Die Eulenaugen wirkten riesig im eingefallenen, blassen Gesicht. Eine Reihe falscher Wimpern hatte sich gelöst und klebte an der rechten Braue.

    Ich fror, hatte die Knie unters Nachthemd gezogen, während ich darauf wartete, dass Mutter endlich ins Bett ging.

    *

    Ihre eher kleine Statur zwang sie am hohen Esstisch sehr aufrecht zu sitzen, um halbwegs vernünftig essen zu können, wie sie sich ausdrückte. Das massive Eichenteil stammte von meinem Vater, der bei einer stattlichen Größe von einsneunzig die Sonderanfertigung mit in die Ehe gebracht hatte.

    „Um auch optisch und tagtäglich meine Unterlegenheit zu demonstrieren", pflegte Mama allen Bekannten zu erzählen.

    Leon war Theaterintendant des Hamburger Schauspielhauses, an dem sie engagiert war. Doppelt so alt und ein wichtiger Mann, zu dem die Leute aufschauten. Meine Mutter mit ihrem frechen Mundwerlk gehörte selbstverständlich nicht dazu.

    Was ihn, im Gegensatz zu anderen Menschen aus dem Dunstkreis von Brenda Buck außerordentlich interessant machte, war die Tatsache, dass er sie penetrant ignorierte. Fuchsteufelswild habe sie das anfänglich gemacht. Nicht lange darauf sei er ihrer Koketterie allerdings erlegen. Sie sagte das mit überheblichem Blick und hochgezogenen Augenbrauen, als ob es sich bei der Jagdtrophäe um einen Fasan handelte, und nicht um einen Menschen, mit dem sie eine Partnerschaft eingehen wollte.

    Der Gatte stammte aus einer wohlhabenden hanseatischen Familie, zu der niemand Zugang bekam, der nicht mindestens Mediziner, Staatsanwalt oder honoriger Vertreter einer Kaufmannsgattung war. Sie sei da eher hineingestolpert und dieser ‚Aasgeier‘ schneller überdrüssig geworden, als sie bis Zehn zählen konnte. Eine ganz und gar verlogene Gesellschaft, und ihre Zeit mit denen kräftezehrend.

    Kurzum: Die beiden nervten und unterdrückten einander, bis sich der Magnetismus von Anziehung und Abstoßung binnen weniger Jahre derart verbraucht hatte, dass jeder nur noch Luft haben wollte und den andern in Freiheit entließ.

    Die Ehe wurde nicht geschieden, aber das war auch nicht mehr nötig.

    Mein Vater starb ein Jahr nach meiner Geburt. Und damit war das Thema für Mama erledigt.

    Viele andere Männer kamen und gingen. Der Tisch von Leon hingegen wurde nie ausgetauscht. So ärgert er Mama heute noch.

    *

    In Zeitlupe nahm sie die angebissene Gurke aus dem Aschenbecher und klemmte sie umständlich zwischen ihre goldberingten Finger. Mit der anderen Hand versuchte sie vorsichtig, ein Feuerzeug aus ihrer kleinen Krokotasche zu ziehen, um mit halbgeschlossenen Augen das Deli-Gemüse anzuzünden. Es zischte, der Geruch war ekelerregend, zumal es noch ein paar Haare mit erwischt hatte.

    Kurzerhand nahm ich ihr Gurke und Feuerzeug weg, zog sie am Ärmel hoch und schob sie Richtung Schlafzimmer. Sie protestierte schwach, wollte unbedingt noch ein Gläschen Champagner haben.

    „Erst, wenn du im Bett liegst, Mama", sagte ich ziemlich bestimmend für eine Sechsjährige.

    Wenig später ließ sie sich ohne großes Brimborium in ihre Decke wickeln und beendete schnarchend ihren Tag, um mich gegen 10.00 Uhr laut singend, mit einem „Nothing gonne stop me now…" zu wecken. Allzu viel Schlaf benötigte Madame eigentlich nie!

    „Herzchen, hast Du meine Tasche gesehen? Ich weiß gar nicht, wo ich die gelassen habe. Komisch!"

    Mit wiegenden Hüften stand sie in der Türschwelle, sich ihrer nächtlichen Unzulänglichkeiten durchaus bewusst, jedoch wild entschlossen, gnädig drüber hinwegzusehen, um erneut und taff wie üblich durchzustarten. Krone geraderücken und auf geht´s!

    Damit erinnerte sie mich unweigerlich an unseren Terrier Geoffrey. Sein weiches, schwarzes Fell war irgendwann struppig und mausgrau. Halbblind… und mit nur noch einem Zahn im Maul mischte er dennoch zuverlässig jeden Morgen sämtliche Köter auf, egal wie groß sie waren. Tänzelnd umwarb er die Damenwelt bis zum letzten Atemzug. Nichts konnte ihn aufhalten.

    „Geoffrey, setz´ die Schiebermütze auf, der Kampf beginnt", blieb das Motto eines jeden Tages. Wild entschlossen und mit weit ausholendem Schritt verließ Brenda Buck samt Hund das Haus. Und nur ein um die Ecke kommender polnischer Riesenlaster konnte ihn stoppen.

    Dasselbe dachte ich übrigens von Mutter.

    *

    Meine Kindheitserinnerungen hatten mich vom Telefonat abgelenkt. „Gibt´s noch was Wichtiges, Mama?"

    „Nee, eigentlich nicht, oder doch… ja. Hast du die Lottozahlen mitbekommen? Alles unsere Geburtstage: 11,14,22,29… und noch so´n Firlefanz.

    Wir einträchtig beieinander, komisch, nich…? Eddy, Harald, du und meine Wenigkeit. Ich hab´s beiläufig aus dem Radio mitbekommen, aber ich dachte, ich informier´ dich mal. Sicherlich bist du durch Haralds umtriebige Weekend-Planung noch gar nicht dazu gekommen, nachzusehen, oder?

    Apropos: Wo schleppt der Gute dich denn diesmal hin? Hoffentlich nicht wiederauf´ne Rennbahn, wo du dir mit deiner Pferdehaar-Allergie dicke Augen holst."

    Der kleine Seitenhieb auf meinen Mann war nicht neu. Mutter konnte Harald nicht ausstehen, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Mein unterdrücktes Stöhnen war echt. Viele von seinen Ideen waren in der Tat eine Zumutung. Die neueste reihte sich da lückenlos ein.

    „Ich hab´s dir gemailt, Brenda!"

    Wenn sie mich nervte, ging ich in letzter Zeit dazu über, sie beim Vornamen zu nennen. Was sie tunlichst übersah.

    „Es geht auf die Hundemesse. Du weißt doch, dass sich Harald Gedanken darüber macht, einen Hund anzuschaffen, damit ich mehr rauskomme." Wie naiv ich manchmal bin! Ich hätte wissen müssen, dass dieser Hinweis reinster Sprengstoff ist.

    „Damit Duuu mehr rauskommst?"

    Sie spie es durch die Muschel und schnappte nach Luft.

    „Ich fass´ es ja nicht! Der soll sich gefälligst um sich selber kümmern, da hat er genug zu tun! Tsss…"

    Mamas Verachtung war durch den Hörer greifbar.

    „Bloß keinen Hund, Schätzchen. Es gibt Lebewesen, die einem Aufmerksamkeit schenken, ohne dass man sie entwurmen muss!"

    Ihr Lachen klang wie das Wiehern eines Pferdes.

    Ich entließ mich mit einem kurzen Gruß an Eddy, indem ich endlich auflegte.

    *

    Um mich herum war´s plötzlich totenstill. Ich hatte Mama belogen, und es war bei Gott nicht das erste Mal. Niemand würde mit mir dieses Wochenende verbringen. Ich saß im Dustern und konstatierte, dass ich es nicht gerade einfach habe in meinem Zustand. Es hört mir nur niemand zu. Nicht mal mein Mann.

    Der Radius meiner Aktivitäten erinnerte zuweilen eher an einen Häftling mit Fußfessel, der sich wie eine Geisha trippelnden Schrittes vorwärts bewegt, und deshalb seine Zeit lieber rauchend im Sessel verbringt. Letzteres tue ich schon eine Ewigkeit, und Rauchen war eine neue schlechte Angewohnheit.

    Ich stand mir selbst im Weg und wartete auf ein Zeichen. Laut meiner Ärztin war dieser Zustand zum überwiegenden Teil meinem Klimakterium zuzuschreiben.

    Es hieße nicht umsonst W-e-c-h-s-e-l-j-a-h-r-e!

    Sie dehnte das Wort derart in die Länge, als ob mir dadurch ein Licht aufgehen müsse. Und im Übrigen… ließ sie mich mit erhobenem Zeigefinger altklug wissen: Ich allein besäße den Schlüssel für die Fußfessel und sollte diesen gefälligst auch benutzen.

    Ihr Ton missfiel mir. Sie war eine alte Freundin von Mama und schien aus diesem Grunde der Auffassung zu sein, Erziehungsmaßnahmen seien angebracht. Der lange Arm der Brenda Buck!

    Es lief darauf hinaus, dass meine Mutter immer schon meinte, ich besäße - im Gegensatz zu ihr - das Temperament einer Schlaftablette. Und genau dieser Umstand schien sich in der sogenannten Menopause verstärkt zu haben.

    Mein Pragmatismus kannte kein Ende.

    Ich wurde ohne Bewegung immer dicker und blieb dennoch genau dort sitzen, wo ich am liebsten war: daheim mit einem guten Buch in der Hand! Die Ausreden wurden immer abenteuerlicher, mein Hintern immer runder, die Bücher immer dicker.

    Harald bezeichnete das uncharmanterweise mit den Worten ‚man könne sich den Arsch auch breitsitzen‘.

    Was ihm klösterliche häusliche Ruhe über Tage bescherte, denn ich dachte nicht im Traum daran, mich mit so was abzugeben oder gar zu unterhalten.

    Unglücklich, ich meine so richtig unglücklich und deprimiert war ich deswegen aber keineswegs.

    Einen Mann hatte ich auch, wenngleich der wiederum nicht allzu oft bei mir weilte. Nur, das war nichts wirklich Neues. Insofern hatte sich mein Inneres Ich längst damit abgefunden. Handelsvertreter sind halt viel unterwegs. Unser Leben unterschied sich allein dadurch schon von dem anderer Familien.

    Mir ist es recht, ich bin gern allein oder sagen wir mal: Ohne Klimakterium war ich ziemlich gern allein, und nun, da diese seltsame Stimmung in mir Einzug gehalten hat und ungefragt in mir wohnt oder präziser gesagt, sich breitgemacht hat, ist es nicht mehr ganz so gemütlich.

    Ich spüre einerseits durchaus die Aufforderung, dem etwas Neues hinzuzufügen. Was es sein könnte, wusste ich zwar nicht, aber schon, was mich generell abhalten würde.

    Woran jede Umsetzung hapert, ist meine absolute Faulheit. Und die mangelnde Entscheidungsfreude, würde meine Mutter behaupten. Um ermutigend hinzuzufügen: Vielleicht ist´s auch - wegen der gleichzeitig anzutreffenden Langsamkeit - die Schilddrüse. Sie ersparte sich nicht den Hinweis, mich diesbezüglich doch mal von Liesbeth Gräuel, eine Internistin und enge Freundin aus dem Theaterklub, untersuchen zu lassen.

    Das war typisch für Mutter: Jeden Tag ein Tablettchen, und ich würde zum Flummyball mutieren. Sie glaubte jeder noch so idiotischen Medikamentenwerbung und fraß permanent irgendwelche Wundermittel.

    Für sie bräuchten keine Labortiere zu sterben. Sie probierte alles selber aus und hatte mehrfach bei Versuchsreihen teilgenommen, wo sie vor allem durch ihren hohen Unterhaltungswert gern gesehen wurde.

    Die Firmen Boehringer und Hoechst schickten ihr alljährlich Präsentkörbe zum Geburtstag, was ihr schmeichelte.

    Ich denke eher, sie möchten kontrollieren, inwieweit Mama ihre Versuchsreihen überlebt hat, um dann - möglichst als Erster - den Korpus öffnen zu dürfen und nachzuschauen, wie diese Kreatur das jahrelang überstanden hat.

    Brenda Buck verfügte über eine grandiose Gesundheit: außen und innen zäh und unverwüstlich. Dazu passt, dass ihr Vorname übersetzt so viel bedeutet wie flammendes Schwert‘.

    Die altnordische Herkunft aus dem frühen 20. Jahrhundert demonstriert meine Mutter auch im 21. noch vorbildlich.

    Die zugeschobene Visitenkarte ihrer Busenfreundin ließ ich in den nächsten Papierkorb fallen.

    *

    Eigentlich bin ich mir im Klaren, worin der wahre Grund dafür liegt, dass die Faulheit mich derart in ihren Klauen hält. Es ist auch keine weitere Ausrede, ganz gewiss nicht: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass mir schlichtweg das Geld für großartige Erneuerungen fehlt!

    Die meisten Veränderungen, die mir in den Sinn kommen, sind ausgesprochen kostspielig.

    Damit ist nicht der Gang ins nächste Fitnessstudio gemeint, was ich nebenher natürlich auch noch besuchen könnte, wenn mich nicht mein innerer Schweinehund hiervon abhielte.

    In meinem Fall handelt es sich nicht um ein Einzelexemplar dieser Gattung, sondern um eine ganze Herde. Nur das braucht ja keiner zu wissen.

    *

    Oft genug spinne ich Mama oder Harald was vor: im Handyzeitalter null Problemo. Ich könnte behaupten, ich stünde vorm Markus Dom. Dabei sitze ich daheim auf der Couch, um mir die kompletten Staffeln von ‚Mellrose-Place‘ bis ‚Sex and the City‘ reinzuziehen, und das schon seit zwei Tagen.

    Vorsichtshalber habe ich mir für besondere Telefonate ein zweites Prepaid zugelegt. Der beste Freund jedes Betrügers!

    Ich bin mit allen Wassern gewaschen, um meine Faulheit zu schützen und meine Lethargie hat sich wie ein haushohes Spinnennetz um mich gestrickt.

    Deshalb ist es auch ungemein wichtig, genau zu wissen, wann Harald das Haus betritt. Ich benötige mindestens zwei Stunden, um mich aus meinem Kokon zu schälen, meinen behäbigen 90 Kilokörper ins Bad zu schwingen, alle leeren Pizzakartons der letzten Tage vom Boden aufzusammeln, im Container zu entsorgen und meine Umgebung halbwegs auf Vordermann zu bringen!

    Einschließlich des Ausdenkens von Beschreibungen der Aktivitäten, die meine eindrucksvoll verbrachten Tage belegen würden.

    Die Museen in unserer weitläufigen Umgebung sehen mich in meiner Fantasiewelt häufig. Während ich in der Badewanne sitze, höre ich mir im Radio an, wie die jeweiligen Ausstellungen kommentiert werden. Das ist dann der heilige Stoff für meinen Ehegatten, wenn er müde und abgespannt nach Hause kommt.

    Ich konnte schon immer einmal Gehörtes einwandfrei abrufen. Das hat mir in der Schulzeit so manch gute Noten beschert und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die einzige Qualität, bei der ich meinem Mann überlegen bin.

    Er würde zwar gerne ins Museum gehen, da ist er laut eigener Aussage sogar ganz wild drauf, aberschlichtweg zu erschöpft, um es einmal wirklich zu schaffen. Das hat ihm seine Gattin mit all´ ihrer Freizeit natürlich voraus.

    *

    Fakt ist, da muss ein richtig großer - und damit extrem teurer - Plan her, der mich aus unserem geräumigen Mäuseloch von 98 Quadratmetern herausholt und meinem weiteren Leben neuen Glanz verleiht. Mein jetziges ist bruchstückhaftes Ertragen diverser aneinandergeklebter Alltäglichkeiten in einer Endlosschleife.

    Das Motto des heutigen unbedeutenden Tages hieß zum Beispiel: ‚Vorsicht, die meisten Unfälle passieren zu Hause‘.

    Auf dem Weg zum Briefkasten hatte ich mich am Treppenabsatz in der Troddelschleife meines Hausschuhs verheddert und knallte ungebremst mit dem Gesicht gegen den nächsten Türgriff zwei Meter unter mir. Es grenzt an ein Wunder, dass lediglich ein blutunterlaufenes Hörnchen meine obere Gesichtshälfte ziert. Ich hätte mir alles Mögliche brechen können, oder meine Rippen anknacksen!

    Harald würde süffisant anmerken, dass ich wegen meiner üppigen Mitte die Troddeln ohnehin nicht persönlich im Blick gehabt haben dürfte, und das Fett auf den Rippen in diesem Falle als Airbag recht dienlich gewesen wäre.

    Zu allem Überfluss würde er sein dämliches Grinsen anschalten. Schon aus dem Grunde werde ich

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